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Kapitel 1

 

 

Die Party war im vollen Gange. Xandra Lober beobachte von ihrem Platz im Raum, wie die Jugendlichen ein- und ausgingen. Sie kannte nicht einmal die Hälfte und nahm an, es ging der Gastgeberin ähnlich.

Viele stammten aus diesem Dorf oder den umliegenden. Man sah sich in der Schule oder auf der Straße. Bei einigen der Gäste sah es anders aus.

Oh Mann, hatte sich das Gerücht um die Party gestreut.

Einer meinte zu seinem Freund, er wäre über zwei Stunden unterwegs gewesen und lobte im gleichen Atemzug die Stimmung.

Was würden Melanies Eltern sagen, sobald sie dieses Chaos sahen?

Die Tür stand für jeden Besucher offen. Man nutzte drinnen und draußen alle sich bietende Fläche. Überall lagen Pappbecher; zwischendrin auch mal eine geleerte Flasche. Der Teppich wies Flecken auf, die sich nicht so leicht beseitigen lassen würden. Über andere Dinge oder Gerüche in dem Haus wollte Xandra erst gar nicht nachdenken.

Sollte sie jemals auf die Idee kommen, ihren Geburtstag so in Szene zu setzen, würden ihre Schwester und Drago ausflippen, da die unbedingt die Aufseher darüber mimen wollten.

Besonders Drago sprach sich gegen diese Menge an Besuchern aus, wie sie an ihrem letzten Geburtstag sah. Dort hatte er kurzerhand die hälfte der Gäste vor das Tor gesetzt.

Was Prisca betraf, die war eh immer gegen alles, das nach Spaß klang.

Ein lautes Seufzen drang über ihre Lippen, als sie an ihre Schwester dachte. Die benahm sich nicht, wie man es von einer Schwester erwartete, sondern meinte, in Xandras Leben eine Mutterrolle einnehmen zu müssen.

Bei Melanie sah das ganz anders aus. Ihre Eltern mussten ihr die Party erlaubt haben. Obwohl selbst sie das Ergebnis davon nie erahnen könnten.

Und irgendwie stimmte Xandra dieser Gedanke traurig.

Xandra hätte auch ganz gerne, dass so viele den Geburtstag mit ihr feierten. Immerhin bot ihr Heim genug Platz diese Menge an Leute zu beherbergen, ohne dass man sich auf die Füße trat.

Aber Prisca und Drago würden ihr das nicht Mal in 1.000 Jahren erlauben.

Apropos Drago, wo steckte dieser lichtscheue Macho gerade. Vorhin stand er neben ihr und meinte etwas in der Richtung, ihr Kaff würde endlich mal aus seinem Dornröschenschlaf geweckt werden, aber sie solle ja nicht daran denken, es zu kopieren.

Eigentlich brauchte Xandra nicht einmal suchen.

Sie folgte einfach dem missgünstigsten Blick eines der Jungen zu einer Ansammlung von schätzungsweise 20 Mädchen, die sich jede einen näheren Platz an dem Adonis in ihrer Mitte erkämpfen wollten.

Angeregt unterhielten diese sich mit einem auf den ersten Blick jung aussehenden Mann.

Mit seinen 1,85 Metern stach er deutlich zwischen ihnen hervor. Unter seiner schwarzen Hose und dem Hemd ließ sich ein durchtrainierter Körper erahnen, den Xandra sehr oft im Wasser ihres Pools oder am See betrachtete. Zu den schwarzen Sachen kam sein so dunkles Haar, dank dem er wie ein verwegener Fremder aussah, bereit für jedes Abenteuer.

Seine Augen bildeten den Kontrast zu dem dunklen Auftreten. Strahlend blau, wie das klare Wasser einer trophischen Lagune, in das man am liebsten eintauchen würde. Ein einziges Lächeln von ihm war dazu imstande, den Körper einer Frau in wohlige Schauer der Verzückung zu versetzen, wie darunter auch das Blut gefrieren konnte.

Besonders, wenn er seine strahlend weißen Zähne offenbarte, wirkte er oft wie ein Raubtier zum Sprung bereit. Außer er verbarg sein wahres Ich.

Vom Alter konnte man ihn auf Anfang 20 schätzen. In Wirklichkeit war er wesentlich älter.

Dieser Adonis war Drago und der genoss den Trubel um sich herum sichtlich.

Dabei behauptete er immer, so viele Menschen nicht gerne um sich haben zu wollen. Dies traf anscheinend nur auf Menschen innerhalb ihres Heims zu.

Die Ironie des Ganzen war, dass keines der Mädchen diesen Traumtypen während des Tages zu sehen bekam. Außer sie. Xandra konnte ihn jederzeit besuchen. Ein Angebot, das sie schon als Kind gerne in Anspruch genommen hatte. Sie trat täglich an sein Bett, um bei ihm zu sein und sich an ihn zu kuscheln. So wohlig war es ihr bei ihrem großen Beschützer.

Ein langsamer Schmusesong wurde aufgelegt.

Jetzt seufzte Xandra nicht mehr aus Frust, sondern im tiefsten Wunsch Dragos erwählte Tanzpartnerin zu sein.

Sie wollte mit ihm über die Tanzfläche schweben, von allen Augen begafft.

Früher hatte er keine Probleme sie in den Arm zu nehmen. Seit ein paar Jahren ging er auf Abstand. Dabei würde sie alles tun, dass er ihre Gefühle erwiderte; die gleiche Liebe für sie empfand, sie sie zu ihm.

Xandra ließ sich nach hinten auf das Sofa plumpsen, auf dem bis eben ein Pärchen knutschte. Jetzt sollte es ihre Bastion gegen süße Typen und einfach alles werden, was ihren Frust auf das Leben und die Liebe stärken könnte.

Sie ergriff eines der Kopfkissen und presste es sich vor ihre Brust. Der Kopf legte sich schwer darauf. Vor ihr reicht der Junge ihrer Träume der Gastgeberin dieses Abends seine Hand zum Tanz, was die natürlich nicht ablehnte.

„Hi!“, kam es von rechts.

Ein Junge stand dort. Es benötigte sehr viel Mut, sie ausgerechnet in dieser Phase anzusprechen. Oder unglaublicher Dummheit.

Xandra wandte nur gering den Kopf und beschenkte den Jungen mit einem kurzen Mustern. Es reichte, um die wichtigsten Fakten aufzufangen.

Der Junge sah gar nicht mal schlecht aus. Er war sogar niedlich.

17 Jahre, blondiertes Haar, die Jeans zerschlissen, das Hemd strahlend weiß. Doch ihrem Drago konnt er bei Weitem nicht das Wasser reichen. Aber kam in diesem Raum irgendjemand gegen diesen Traum eines Mannes an?

„Hallo.“ Xandra schenkte dem Jungen an dem Kissen vorbei ein Lächeln.

Er nahm es als Einladung, sich neben sie zu setzen.

„Du scheinst ja mal nicht im Fanclub von diesem Weichei zu sein“, spie er aus. Sein Blick lag in der Mitte des Raumes und auch Xandra fand wieder dorthin.

Weichei? Als ob der Typ es mit Drago aufnehmen könnte! Dafür hätte er schon 700 Jahre eher aufstehen müssen!

Ihre Gedanken blieben bei ihr. Laut sagte sei: „Nö!“

Xandras Blick sprach ganz andere Worte.

Sie war versunken in das nahe Bild vor sich. Der hübsche dunkle Mann und das Mädchen. Beide wirkten so leicht, als würden sie von Wolken auf der Musik getragen werden. Für Melanie existierten nur noch dieser Tanz und der Junge, in dessen Armen sie lag.

Ein Traum fern ab von Xandras Welt.

Konnte sie nicht einfach mit der Anderen tauschen? Damit sie statt ihrer diesen Platz bekam. Den Kopf auf seine Brust geschmiegt alles um sich herum vergessen.

Selbst eine Schwester, die draußen in der Nacht auf ihren Prinzen wartete.

Ob Melanie Koch wusste, dass sich ihre kleine Schwester heimlich mit dem Jungen traf, der sich in diesem Moment um sie kümmerte? Eher nicht!

Ein erneutes Seufzen drang über Xandras Lippen. Tiefer und schwerer als die zuvor.

Wieso war ausgerechnet sie die Einzige, die andauernd von Drago weggestoßen wurde?

Sie sah toll aus!

Ihr vollen, roten Lippen luden zum Küssen ein. Das blond gelockte Haar reichte bis über ihre Schulter und wurde von ihr gerne offen getragen. Mit einer Größe von 1,75 Metern musste sie nicht sehr weit aufzusehen, um in seine schönen Augen zu blicken. Ihre Figur war top. Sie hatte nichts daran auszusetzen. Aber am eindrucksvollsten war ihr Blick, in dem sie, genau wie Drago, mit strahlend blauen Augen bestach.

Jeder Junge ihrer Schule sah ihr nach. Sie sehnten sich nach einem Lächeln von ihr. Dort war sie es, die eine Bitte um ein Date kühl abwies.

Nur ihre Familie behandelte sie noch wie ein Kind. Wovon besonders Drago nicht erkennen wollte, zu welcher Frau sie wurde. Immerhin näherte sich ihr 16. Geburtstag.

„Das gibt es doch nicht!“, ertönte die hohe Stimme eines Mädchens hinter ihr mit einem herausstechenden amerikanischen Akzent.

Xandra brauchte nicht zurückzusehen, um zu wissen, wer dort stand. Dennoch legte sie ihren Kopf auf die Lehne des Sofas und sah zu der hübschen Amerikanerin auf.

Eine weitere Traumfrau aus ihrer Familie.

Lizzy Miller, Xandras 17-jährige Adoptivschwester, die aus Chicago stammte. Ihr Vater kümmerte sich schon seit Xandra ein Baby war um beide Mädchen. Die eigene Tochter kam lange Zeit zu kurz. Erst ein Schicksalsschlag führte Lizzy nach Deutschland.

Wunderschön aber eisig, wie der blaue Liedschatten um die sanften braunen Augen.

Ein Schutzschild gegen alles um sich herum. Die vorgesetzten neuen Schwestern und den Vater, der sie im Stich ließ. Es dauerte eine ganze Weile, bis dieses auftaute.

Rote Lippen schenkten der Schwester ein Lächeln. Als einzigen Makel sah das junge Mädchen ihre Nase an und eine Narbe auf der Stirn, die sie immer unter Make-up versteckte.

Ihr Körper war schlank und wurde von ihr durch meist freizügige Kleidung betont.

Vom Charakter her war Lizzy der Alptraum jedes Mädchens.

Selbstsicher ging sie auf den Jungen zu, der ihr gerade gefiel.

Meist animierte sie die Typen zu einem harmlosen Flirt, nachdem nur ein Bruchteil von ihnen eine Nacht oder mehr mit ihr verbringen durfte. Egal ob diese in einer Beziehung steckten oder für sie frei waren.

Lizzy wusste, was sie wollte und wie sie es bekam.

Zurück ließ sie einige bis dahin glückliche Beziehungen in einem Scherbenhaufen. Unglückliche Mädchenherzen und schmachtende Jungs. Viele sahen in der schönen Brünette nur die Zicke oder das eiskalte Biest.

„Wie kommt es, dass dich dieser Drachen nicht im Schloss eingesperrt hat?“

Mit Drachen betitelte sie Xandras ältere Schwester Prisca, Priscilla Lober.

Sie zeigte sich nicht begeistert, wenn Xandra davon sprach, auf eine Party zu gehen. Besonders wenn sie Drago oder Lizzy zur Begleitung bestimmt.

„Sie weiß nichts davon“, lautete Xandras Antwort.

Lizzys Stimme klang gespielt, als sie auf mitfühlend machen wollte. „Dann wünsch ich dir viel Glück, das du den nächsten Tag noch erlebst.“

Ein Grinsen zog sich über Xandras Gesicht. So schlimm würde es schon nicht werden.

„Und dann noch in diesem Outfit.“ Lizzy schüttelte den Kopf und spielte die Enttäuschte. Ob sich da der Traum von der Schauspielerei verwirklichen ließ?

Die junge Amerikanerin lachte laut auf, dann kam sie um das Sofa herum und drängte sich zwischen ihre Adoptivschwester und deren Verehrer.

Diese Frechheit war Xandra von ihr gewöhnt. Sie nahm es Lizzy längst nicht mehr übel. Xandra wollte eh nicht mit diesem Jungen flirten. Er war nicht mal ihr Typ. Da war sie ihrer Adoptivschwester dankbar sich dazwischen zu drängen.

Der Junge blieb ruhig und sagte nichts.

Aber recht hatte Lizzy, musste sie sich eingestehen.

Würde Prisca ihre Schwester in schwarzen Hotpants und Top sehen, bei denen sehr viel an Stoff gespart wurde, würde Xandra wirklich nicht lange leben oder aber für die nächsten fünf Jahre – wenn nicht sogar länger – in ihrem Zimmer eingesperrt werden. Prisca hasste es, wenn ihre Schwester so etwas trug. Sie wollte ihre kleine Schwester beschützen. Es war nett. Nur reichlich übertrieben.

„Wollt ihr beiden hübschen irgendetwas trinken?“, fragt der Junge, wobei sein Blick nur Xandra galt.

„Ja gerne“, antworte diese.

„Bring uns bitte ein Bier“, bestimmte Lizzy, obwohl Xandra lieber ein einfaches Wasser hätte. „Oder willst du etwas anderes, Xan?“, wandte sich die Brünette an ihre Adoptivschwester, die energisch mit dem Kopf schüttelte.

Wenn Lizzy bestimmte, durfte man dem nicht Widersprechen, hatte Xandra in den letzten Jahren gelernt. Die junge Amerikanerin konnte sehr zornig sein, wenn jemand ihre Entscheidungen änderte, selbst wenn diese für einen anderen waren.

Verträumt sah Xandra auf die Tanzfläche, wo sich Drago immer noch amüsierte. Melanie schien hin und weg von diesem Traumtypen, und genoss jede seiner Berührungen, das sanfte Streicheln ihres Armes und seine Küsse.

Wie ein verliebtes Paar.

Wieder fragte sich Xandra, ob Jana ihrer Schwester von ihrem Traummann erzählt hatte und ob Melanie davon wusste.

Es war gut möglich, dass keiner von diesen heimlichen Treffen wusste.

Ein überraschter Schrei drang aus Lizzys Kehle. Als Xandra zu ihrer Adoptivschwester sah, lag deren Blick auf der Tanzfläche. Überrascht und zornig, direkt auf Drago.

„Welcher Idiot hat dem was von der Party hier erzählt?“, rief sie zornig.

Im Gegensatz zu Xandra, zeigte sie nicht angetan von Drago. Sogar das Gegenteil war der Fall. Beide hassten sich.

Eine Tatsache, die Xandra bewegte, auf dem Sofa von der Brünetten weiter wegzurücken. Erfuhr Lizzy, dass Xandra ihm etwas davon gesagt hat, würde sie sicher nicht lebend hier herauskommen. Lizzy übertraf Prisca in ihrem Zorn.

„Keine Ahnung“, brachte Xandra zögernd heraus.

Früher war selbst Lizzy von Drago fasziniert und besonders von dessen Pferd. Also bat sie ihn, auf einen kleinen Ausflug mit zu können. Auf diesem ließ er Lizzy einmal in seinen Sattel. Unwissend, dass das Vollblut nur seinen Herren auf dem Rücken duldete, zeigte sie sich begeistert davon und wurde von dem Ross im hohen Bogen aus dem Sattel geworfen. Von dieser Flugstunde behielt sie die Narbe auf ihrer Stirn zurück. Dieses Ereignis verzieh sie ihm nicht so leicht.

Und Xandra würde sich ewig danach sehnen ihrem Heim ein friedliches Zusammenleben zu bringen. Wie normale Menschen. Doch ihre Familie war leider nicht normal.

„Na da haben wir die Schuldige!“, rief Lizzy laut. Sie krabbelte auf dem Sofa zu Xandra und piekste sie mit dem Zeigefinger in die Seite. „Du bist überführt! Gestehe!“

Lachend erhob Xandra die Hände.

„Ich verweigere die Aussage!“

Als sie in Lizzys Gesicht blickte, wurde es Xandra unwohl in ihrer Haut. Die Adoptivschwester wirkte so zornig, dass sie ihr Angst machte.

Doch was jetzt passierte, darauf war die Blondine nicht gefasst.

Lizzy setzte sich normal hin und seufzte auf.

„Solang der mich nicht anspricht.“

Mehr nicht. Dabei hatte Xandra schon eine Standpauke erwartet.

„Was treibt ihr hier eigentlich?“, ertönte eine den beiden wohlbekannte Männerstimme.

Drago hatte sich von der Tanzfläche lösen können. Nun stand er vor ihnen, mit seinem Blick musterte er die beiden Schwestern. Nicht nur seine strahlend blauen Augen lagen auf ihnen, auch die der Mädchen, die ihn vorhin umschwärmt hatten. Feindselig schauten sie auf beiden und Xandra wünschte sich, sie hätten einen Grund für diese Eifersucht.

„Das ist ja eine Szene, die ihr da liefert.“

„Schon mal was von Dialogprobe gehört!“ Lizzy streckte ihm die Zunge raus, worauf er sofort ihre Hände ergriff. Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, das sicher so manches Mädchenherz zum Klopfen gebracht hätte. Lizzy dagegen schenkte ihm ihre eisigste Miene.

„Ach mein Sonnenscheinchen, ich sehe schon, wie dir die Welt zu Füßen liegt und dein Name in aller Munde ist.“

Dragos Worte waren mehr ironisch als ernst gemeint. Er wusste, wie sehr Lizzy sich eine Karriere als Schauspielerin wünschte, genauso wusste er, wie sie es hasste, wenn er darüber Witze riss. Doch das schreckte ihn nicht ab, sondern amüsierte ihn nur.

Lizzy riss ihre Hände aus seinen. Die Wut verflog, um den Weg für Neugier zu ebnen.

„Was willst du Macho eigentlich irgendwann mal machen?“, erkundigte sie sich bei ihm.

Der Junge kam zurück, fand jedoch keine Zeit ihnen beiden die Flaschen zu reichen. Vorher wurden sie ihm von Drago abgenommen. Unter Protest von Lizzy und mit den Worten, dass sie zu jung dafür wären.

Nur Xandra war froh darüber.

„Ich werde ins Hotelmanagement gehen“, verkündete Drago und reichte die beiden Flaschen ein paar Jungs, die in der Nähe standen. „Unser kleines Schlösschen läuft ganz gut.“

Recht hatte er, musste Xandra zugeben. Ihr Schloss lockte einige Touristen ins Dorf und der größte Teil war sein Verdienst.

„Dich als Boss einer großen Hotelkette kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen“, gestand Lizzy.

„Ach, ich will auch nicht von unserem Schloss weg. Mir gefällt es dort zu sehr.“

„Und ich hab gehofft, wir sind dich ziemlich bald los.“ Lizzys Stimme klang enttäuscht über seine Worte. Im Schloss war sie nicht die Einzige, die auf Drago verzichten konnte, das wusste Xandra und wurde sich klar, wie weit sie von der Erfüllung ihres Traumes entfernt stand.

„Ich werde euch auch im nächsten Jahrhundert noch erhalten sein.“ Drago lachte lauthals auf.

„Oh Gott, das wäre eine absolute Tragödie.“

Xandra konnte sich darauf ein Lachen nicht verkneifen.

Lizzy lebte seit drei Jahren im Schluss, wusste jedoch nicht, mit was für Gestalten sie ihr Heim teilte. Da war ihr Vater, der in den USA wegen mehrerer Delikten gesucht wurde, das Alltäglichste.

„Also für die holde Weiblichkeit wäre das ein Traum“, warf Drago ein.

„Hey Xan, sag doch auch mal was!“, forderte Lizzy ihre Adoptivschwester auf, für sie Partei zu ergreifen.

Ob ich ihr wirklich helfen sollte? überlegte Xandra kurz, kam dann aber zu dem Entschluss, dass Schwestern zusammenhalten sollten, egal ob sie vom Blut vereint wurden oder nicht.

„Was sagt eigentlich Jana, dass du ihrer großen Schwester den Abend versüßt?“ Xandra lächelte ihn an und zeigte sich gespannt auf seine Antwort.

„Lizzy, unser kleines „Bämuchen-wechsel-dich“, sagt doch immer bei so was …“ Mit einem Grinsen auf den Lippen, klopfte er der jungen Amerikanerin bei seinen Worten leicht auf den Kopf. „Die Verspätung war rein familiär!“

Jetzt sah die Brünette nur noch rot.

Sie fing sich schnell wieder. Ihr Zorn wandelte sich in Verwunderung.

„Halt mal!“, rief Lizzy laut. „Der ist mit Jana zusammen und macht sich an Mel ran?“ Eine Frage, auf die Xandra bestätigend nickte. „Also so was würde ich nicht machen. Mit dem Bruder meines Lovers ins Bett steigen oder mit ihm flirten, während wir noch zusammen sind. Selbst ich hab meine Grenzen.“

Energisch erhob sich ihre Stimme und wurde von Dragos Schnauben einfach weggeblasen.

Er schüttelte kurz den Kopf, dann wandte er sich Xandra zu.

„Xan, meine Süße, wie spät ist es jetzt?“

Xandra schaute auf ihre Armbanduhr, um ihm dann mit 11 Uhr 23 zu antworten. Mit seiner Reaktion darauf hätte sie nicht gerechnet.

Drago riss ihren Arm zu sich, um die Zeitangabe zu überprüfen, was weder angenehm, noch schmerzlos war. Vor Schmerz heulte Xandra auf und sah ihn grimmig an. Wieso musste er nur so grob zu ihr sein?

„Mist“, schnaubte Drago auf, dabei ließ er ihren Arm wieder los. „Ich hab Jana glatt vergessen. Die muss doch schon seit 30 Minuten auf mich warten.“

Lizzy begann, aus vollem Hals zu lachen.

„Na dann beeil dich mal Casanova. Ich hoffe aber für Jana, sie ist nicht so dumm auf einen wie dich so lange zu warten.“

Drago war schon längst auf den Weg zur Tür, doch vorher stoppte er. Sein Blick lag auf Xandra, an die er sich auch wandte.

„Du gehst bitte nach Hause Xan. So lange mit Lizzy die Zeit zu verbringen ist für niemanden gut. Am Ende teilst du noch mit der den Ruf als Schlampe, oder landest im Bett von irgendeinem Typen.“ Mit einem Zwinkern verabschiedete er sich.

„Hey!“, brüllt Lizzy auf. Er hörte es nicht mehr. „Wenn ich den Typen in die Finger bekomme, dann kann er was erleben!“

Selbst wenn Drago ihr Brüllen mitbekommen hätte, beeindruckt wäre er davon nicht.

Xandra sah ein, dass er wohl recht hatte. Es war wirklich Zeit zum Schloss zurückzukehren.

Sie verabschiedete sich von der Adoptivschwester mit einer Umarmung. Von dem Jungen nur mit einem Winken. Als Xandra dann, auf dem Weg zur Tür war, wurde sie von jemand aufgehalten.

„Xandra!“, sprach Melanie sie an. „Der Typ vorhin, mit dem du und Lizzy geredet habt, der hat doch dieses schwarze Pferd.“ Ja, das stimmte. Xandra ließ ein Nicken von sich kommen. „Das Tier ist sicher bei euch untergebracht.“ Gut geschlussfolgert, dachte sich die Blondine und ließ erneut ein Nicken von sich kommen. Dann kam die Frage, auf die immer alles hinauslief. „Du weißt nicht zufällig, wo der wohnt?“

Genau das war der Punkt, den sie hasste.

Drago verdrehte irgendeinem Mädchen den Kopf und sie wurde dann mit Fragen regelrecht bombardiert. Entweder von dem Mädchen selbst, oder wenn er irgendeinem Typen die Freundin ausspannte, von dem. Kurze Fragen wie heute waren da eine Seltenheit. Dennoch wählte Xandra, die für sich bequemste Antwort.

„Lizzy ist hier die Expertin für Kerle und deren Adressen“, sagte sie mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen. Dann verließ sie das Haus mit der Gewissheit, dass ihre Adoptivschwester die ganze Party zusammenbrüllte, weil sie das Thema Drago nicht ausstehen konnte. Oder Melanie traute sich nicht an die junge Amerikanerin heran. Das war eine weitere Möglichkeit.

Mit einem Schmunzeln auf den Lippen ging sie dem an das Dorf grenzenden Walde entgegen. In der Richtung lag das Schloss, indem sie lebte. Tief im Wald und nur durch eine Straße zugänglich. Meist ging Xandra direkt durch den Wald, da der Weg zum Schloss nicht beleuchtet war. Doch Angst brauchte sie nicht haben.

Ein schwarzer Schatten huschte an den Bäumen vorbei. Große Pfoten traten vom weichen Boden auf den Beton der Straße. Die Straßenlampe beleuchtete unter sich zwischen den parkenden Autos einen Wolf.

Langsam lief das Tier vor sie, mit gekräuselter Nase und hochgezogenen Lefzen stand es knurrend da. Sein Blick in die Richtung des Waldes gerichtet, wohin der Hengst mit seinem Reiter verschwunden war.

Xandra legte dem Wolf die Hand auf dem Kopf.

„Lass ihn“, rief Xandra in ruhigem Ton.

Nein sie war es nicht, die nachts Angst haben musste. Sie war immer gut beschützt.

 

Kapitel 2

 

 

Der bleiche Mond schien herab und warf sein Licht auf eine Waldlichtung, die fern ab des Dorfes lag.

Für die dicht stehenden Bäume im Wald benötigte sie eine Taschenlampe. Hier am Treffpunkt ruhte diese in ihrer Tasche. Jana konnte die zu einem Wall stehenden Bäume in ihrer Abgrenzung erkennen.

Und sogar die einzelnen hohen Pflanzen zeichneten sich im Licht ab.

Wiegend reckten sie sich entgegen, als ein seichter Wind hindurchfuhr.

War es dieser, der sie frösteln ließ? Den ganzen Tag über zeigte sich der Sommer von seiner schönsten Seite. Sie trug nichts weiter als ein dünnes Kleid und der Wind war eher ein laues Lüftchen.

Jana wurde vom Schauer der Anspannung des baldigen Treffens geschüttelt. Denn jeden Augenblick musste er die Waldlichtung betreten, war sich Jana bewusst.

Er würde an diesen wundervollen Ort kommen, perfekt für ein Date unter dem Vollmond, wie er immer kam.

Von einem so dunklen Ross getragen, als sei die Nacht selbst in das Fell des Rappen gewoben. Dann würde er von dem Rücken des Tieres absteigen und sie in seine Arme schließen, den Kopf zu einem leidenschaftlichen Kuss gesenkt.

Ein verzücktes Seufzen entstieg ihren Lippen über diesem romantischen Gedanken.

Eigentlich versprach sie ihm, nichts über die Treffen zu erzählen. Es sollte ihr Geheimnis bleiben. Doch ihrer besten Freundin musste sie davon berichten.

Zu Anfang zeigte diese sich genauso fasziniert und ließ sich von den wundervollen Geschichten der Treffen mitreisen. Mittlerweile wuchsen deren Einwände, die Freundin solle sich nicht in den Träumen verlieren.

Jana war es egal.

Ihr schwarzer Ritter war real und immer für seine Prinzessin da. Schöner, als sie es sich in ihren in ihren Träumen vorstellen könnte. Und dafür war ihr egal, sich nach Nachtanbruch aus dem Haus schleichen zu müssen, um ihren Geliebten zu treffen.

Die Geheimnisse und sogar das Verpassen der Geburtstagsparty ihrer großen Schwester erhöhten die Freude darauf. Ihr Bauch kitzelte nicht alleine aus den Gefühlen einer beginnenden Liebe, sondern im Nervenkitzel.

Er wusste genau, wie er sie ködern konnte, aber es war ihr egal.

Ein Wiehern erschütterte die Stille des nächtlichen Waldes in seinem Schlaf.

Es mochte noch weit entfernt sein, brachte jedoch einen wohligen Schauer über sie.

Ihr Ritter hatte sie nicht versetzt, wurde ihr jetzt bewusst.

Nicht mehr lange und sie läge in seinen Armen.

Solang es nur nicht dieses Biest mit ihrem klapprigen alten Gaul war.

Ein Mädchen aus dem Dorf, das zu gerne weit nach Nachtanbruch ausritt. Nicht wie Jana, die sich mit einem Jungen traf. Wieso es das Mädchen tat, interessierte Jana auch nicht.

Leider blieb in ihr auch die einzige Möglichkeit, herauszufinden, wo dieser Traum von einem Jungen wohnt. Alle anderen Ställe hatte Jana schon ausgekundschaftet. Es blieb nur noch dieser eine übrig.

Jana scheute sich bisher, dort hinzugehen.

Zu einem mitten im Wald gelegenen Schloss, mit angrenzenden Stallungen. Laut eigener Aussage gehörte es diesem Mädchen.

Xandra Lober.

Alleine ihr Name blies sämtliche romantische Stimmung weck, die erst in einem weiteren, näheren Wiehern, widerhallte.

Das Schloss, von dem man bei Tag an diesem Punkt die Zinne der beiden Türme ausmachen konnte, strotzte nicht gerade von Größe und Prunk. Aber es war seinen Bewohnern gelungen, daraus ein lockendes Hotel für Touristen zu machen.

Was die Bewohner betraf …

Um die rankten nicht ohne Grund zahllose Gerüchte und Geschichten. Genährt von allerlei komischen Begegnungen und Begebenheiten.

Wie eben Xandras nächtliche Ausritte.

Bei den Jungs war sie durchaus beliebt, auf Jana wirkte ihre Ausstrahlung eher unheimlich.

Nicht, dass sie in Gothic-Kluft zur Schule ging oder den Friedhof nachts unsicher machte, wie ihre Adoptivschwester in den ersten rebellischen Monaten nach Ankunft im Dorf.

Leider legte sich das sehr schnell wieder. Mit Schwarz schmückte sich Lizzy immer noch gerne, jetzt aber im Inbegriff eines Vamps. Sogar einer ihrer Lehrerinnen sollte das Mädchen die Ehe zerstört haben.

Die dritte Schwester viel da eher wegen ihrer Normalität auf. Sie war zu jedem Lieb und half, wo sie konnte.

Dann gab es einen Cousin der beiden. Wolfgang Lorenz. Wie viele der Bewohner sperrte er sich gerne im Schloss ein. Vor einigen Jahren war das anders. Er viel mit einer Bande ein, die im Dorf für jede Menge Chaos sorgte.

Das war auch die schaurigste der Geschichten. Man soll die Jungs später tot im Wald gefunden haben. In ihren Herzen steckten silberne Kugeln.

Was daran Wahrheit war und was Legende, wussten einzig die Schlossbewohner. Denen waren ihre Geheimnisse jedoch heilig.

Nun zu James Miller.

Woher die Familie den kannte, wusste niemand. Er war plötzlich da und kümmerte sich um beide Mädchen, deren Eltern auf grausame Weise ermordet wurden.

Angeblich gab es dann noch eine weitere Person im Hintergrund des Schlosses. Aber die zählte Jana zu allen weiteren Geschichten von Geistern und was sich noch über die Jahre hielt.

Ein erneutes Wiehern erklang so verdammt nahe, dass Jana ihre Augen suchend zum Wald richtete. Dann ließ sich ein dunkler Schatten erahnen, der an den Bäumen vorbei durch die Nacht wanderte. Beinah in Zeitlupe setzte das Tier den ersten Fuß auf die Waldlichtung.

Das Fell glänzte im Schein des Mondes und gab dem Hengst einen Schein, als sei er in die Szene eines Filmes getreten. Genau wie sein Reiter, der fast schon zu perfekt für die Realität war.

Ihr Ritter in dunkler Kleidung erschien und Jana war, als setze ihr Herz für diesen einen Wimpernschlag aus, in dem ein Lächeln auf seinen Lippen einen Platz zum Verweilen fand.

Egal ob Jana das Mädchen nicht mochte, sie musste Xandra fragen, ob sie den Rappen und seinen Reiter kannte. Vielleicht konnte man sämtlichen Krieg ja auch bei einer Poolparty beilegen.

Der Hengst näherte sich dem Mädchen, dessen Augen in der Dunkelheit vor Verzückung leuchteten. Sie sah ihn und verfolge, wie sich der Schatten auf seinem hübschen Gesicht zurückzog.

Unter dem Vollmond hatte sein Gesicht etwas Elfenhaftes. Die Farbe seiner Augen wirkten im Einklang mit dem Augapfel. Einmal konnte sie ihn im Licht einer Straßenlaterne sehen und wäre am liebsten darin versunken.

Drago wandte sich erst von ihr ab, als er von seinem Pferd stieg.

Mit einem kaum spürbaren Klaps auf dem Po, gab er dem Tier zu verstehen von hier fort zu traben.

Wie außergewöhnlich gut der Hengst auf seinen Reiter hörte. Jana fand es erstaunlich.

Dann war es endlich soweit. Drago nahm Jana in die lang herbeigesehnte Umarmung und legte seine Lippen auf ihre.

Jana schloss die Augen für diesen genießerischen Moment. Sie spürte nur noch diesen Kuss und versank irgendwann ganz in diesem Augenblick.

Er war ihr Traummann und ihr Held.

Janas Gedanken streiften den Augenblick ihres Kennenlernens.

Es war eine mondlose Nacht. Nicht so schön wie im ersten warmen Tag des Sommers, sondern feucht und kalt. Auch die Situation war eine andere. Während Drago sie in den Sturm seiner Küsse, gegen einen der Bäume presste; Liebkoste und eine Zärtlichkeit schenkte, die sie bisher nicht kannte, konnte sie damals nur Zittern.

Eine Hand unterdrückte ihre Schreie. Sie sah an den Bäumen vorbei die beleuchtete Straße und wusste, kein Licht würde sie erreichen. Niemand konnte ihr helfen; niemand würde sie retten kommen.

Die andere Hand öffnete ihre Jacke und riss den Pullover mit aller Gewalt auf.

Jana wollte in der Nacht ihren Busen mit der Hand bedecken, oder ihren Peiniger von sich stoßen. Beides misslang in einem Schlag, der sie traf und zur Erde stieß. Dort lege er sich auf sie, um sich das zu nehmen, was ihm seiner Meinung nach zustand.

Und diesen Typen hatte sie wenige Tage zuvor ihrer Schwester als ersten Freund präsentiert.

Der Zuwall wollte, das Drago bei seinem Ausritt an ihnen vorbei kam. Er erkannte die Situation sofort und verschwendete keine Zeit. Ohne zögern sprang er vom Rücken des Tieres. Für den Jungen bei ihr, kam alles überraschend. Er verstand nicht, wieso er plötzlich von ihr gerissen wurde. Noch weniger den Faustschlag, mit dem alle Verachtung des anderen auf ihn einhagelte.

Ein letzter Schrei, und ihr Peiniger verschwand verletzt. Als Nächste nahm Jana einen wunderhübschen Jungen wahr, der ihr seine Hand entgegenstreckte.

Es glich einem Traum, aus dem Jana nicht aufwachen wollte und es bis jetzt nicht tat.

An diesem Tag vor wenigen Monaten wich er nicht von ihrer Seite, bis sie sicher an ihrem Haus ankam. Damals begannen ihre geheimen Treffen.

Er war ihr Freund. Ihr geheimer Freund.

Seine Küsse lösten sich von ihren Lippen und machten am Hals weiter. Sein Finger fuhr spielerisch über ihre linke Seite. Es kitzelte und Jana lachte vergnügt auf.

Sie liebte seine Berührungen und die Spiele. Er wusste genau, was sie mochte und wie er in ihr den Wunsch weckte, er möge ihr sofort die Kleider vom Leib reisen. In genau diesem Moment hasste sie die schleichende Langsamkeit, mit der er sich vortastete.

Seine Hand griff an ihren Rücken und öffnete ihr Kleid.

Trotz seiner Spiele oder vielleicht auch genau deswegen, wünschte sich Jana, die Nacht möge nie ein Ende finden.

 

In diesen wundervollen Traum im Licht des Vollmondes schlich sich ein Geräusch.

Zuerst so leise, dass sie dachte, sich zu täuschen. Sie verdrängte es, genau wie der Junge bei ihr. Für beide gab es nur diesen innigen Moment ihres Kusses und die Verheißung einer kommenden, wilden Nacht.

Schnell schwoll das Geräusch an. Gewann an Kraft und war nun nicht mehr zu ignorieren.

Ein tiefes Drohen aus dunkler Kehle.

Jana öffnete die Augen. Innerlich hoffte sie, dass dies nur Einbildung war. Sie irrte.

Aus dem Dickicht trat ein Hund. Seine großen Pfoten setzter er langsam auf, als würde ihm die Nacht gehören und seine Beute keine Möglichkeit der Flucht haben. Die Lefzen hochgezogen, offenbarte er kräftige, weiße Zähne, bereit zuzubeißen. Sein Fell war schwarz und struppig. Dieses monströse Tier glich keiner ihr bekannten Rassen.

Janas Körper begann zu zittern. Mit jedem Schritt heftiger, je näher das Tier ihnen kam.

Wolf, ging es ihr durch den Kopf. Vielleicht war das ein Wolf.

Ihren Körper presste sie gegen den Baum. Ihre Augen lagen vor Panik geweitet auf dem Tier. Ihr Herz lag donnernd in ihrer Brust.

Drago löste seine Lippen von ihrem Hals. Anscheinend war ihm dieses Tier noch nicht aufgefallen. Erst jetzt folgte er ihrem panischen Blick. Doch statt über dieses Untier besorgt zu sein, schnaubte er unbekümmert auf.

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder ihr zu.

Was Jana jetzt sah, ließ sie an eine Sinnestäuschung glauben.

Sie hatte erwartet, dass Drago sie vor dem Monster beschützte, mit ihr floh und auf alle Fälle Angst zeigt, doch nichts von dem passierte. Nur ein hübsches Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, als sei das Untier gar nicht da, oder ein harmloses Häschen, das vor ihm stand.

Seine Hand fuhr über ihre Wange, während seine Lippen leise zu ihr hauchten: „Hab keine Angst. Fiffi tut dir nichts.“ Dann wandte er sich an das Tier. Seine Stimme war in so einem höhnischen Ton, den sie noch nie von ihrem Liebsten gehört hatte. „Nicht wahr Fiffi, du tust der süßen Jana nichts.“

Wie um seine Worte Lüge zu strafen, begann der Wolf noch lauter und drohender zu knurren. Der ganze Körper des Tieres spannte sich zum Sprung auf den Mann an. Es sah so aus, als wäre der Hund ganz und gar nicht davon überzeugt, dass Teenys kein leckerer Mitternachtsimbiss waren.

Aber es sah auch so aus, als ob Drago das Tier kannte.

Wusste er, wer diese Bestie hier draußen frei laufen ließ?

Drago löste sich von ihr und ging zielstrebig auf den Hund zu, während Jana ihm ängstlich zusah.

War er irre? Er meinte doch nicht wirklich solch eine Bestie bändigen zu können, die nicht gerade so aussah, als ob sie ruhig da stehen bleiben wollte.

Wenn das alles nur gut ging.

Dann sagte Drago etwas, dass sie noch mehr erschütterte.

„Wolfgang, du elender Spielverderber“, ging ihr Geliebter den Hund zornig an. „Hast du nicht rumgetönt, du passt in solchen Nächten auf Xan auf, statt mit mir rum zu streiten? Wenn ihr irgendetwas passiert, dann kannst du sicher sein, dass ich deinen verflohten Arsch dem erstbesten Werwolfjäger auf dem Silbertablett serviere. Also verschwinde hier!“

Was hieß das? War diese Bestie Xandras Wachhund? Was hatte er gesagt? Werwolfjäger? Was bedeutete das? So etwas wie Werwölfe gab es nicht. Und wieso sprach er mit diesem Tier, als würde ein Mensch vor ihm stehen?

Jana verstand das alles nicht.

Aber das wollte sie jetzt auch nicht. Ihr einziger Gedanke galt der Flucht. Wenn es gehen würde.

Janas zitternder Körper lehnte an den Baum und ließ sich einfach nicht bewegen. Der Schock und die Angst hielten sie in ihrem Bann, sodass sie nicht einmal einen Fuß vor den anderen setzen konnte.

Es kam, wie sie befürchtete. Der Wolf sprang auf Drago zu.

Tränen stiegen ihr in die Augen, als Dragos Blut von seinem rechten Arm tropfte, in dem sich das Tier verbiss. Ein Schmerzensschrei drang aus seiner Kehle, der Jana durch Mark und Bein ging.

„Du verdammter Bastard!“, fuhr Drago das Tier an. „Willst du unbedingt so schnell ins Grab?“

Die Bestie riss wild an seinem Arm, bis sich ein großes Stück Fleisch daraus löste. Drago schrie auf, während ein Schwall Blut die Erde rot färbte.

Jana weinte bitterlich. Sie sank zu Boden, ihre Augen lagen weiter auf dieses schreckliche Schauspiel vor ihr. Es gelang ihr nicht, sich davon zu lösen.

Was konnte sie tun? Wie konnte sie ihm helfen?

Die Bestie stand da, mit dem Stück Fleisch im Maul. Von seinen Lefzen tropfte das Blut zu Erde. Drohend knurrend, bis es das Stück Fleisch vor Dragos Füße spuckte. Es erschien Jana so, als versuche das Tier, das Blut aus seinem Maul zu bekommen. Regelrecht angewidert davon schüttelte es sich, ehe sein Blick wieder auf Drago wanderte, der seine Hand auf die klaffende Wunde presste.

„Das wirst du bereuen!“, knurrte Drago, dessen blaue Augen sie meist liebevoll anblickten und jetzt mit wahnsinniger Wut erfüllt auf dem Tier lagen. Von ihrem Geliebten erkannte sie darin nichts mehr.

Gott, das musste doch ein Alptraum sein, ermahnte sie sich. Das war doch nicht real! Es konnte nicht real sein!

Es erschien ihr sogar so, als würden sich in Dragos Mund, der seine Zähne entblößte, Reiszähne befinden. Wie bei dem Gebiss eines Tieres.

Wenn sie nur aus diesem Grauen erwachen könnte.

Erneut sprang das Tier auf Drago zu, doch diesmal zeugte der Mann von schnellen Reflexen und ungeheurer Kraft.

Dass es ihn ein zweites Mal das Tier erwischen konnte, dazu ließ er es nicht kommen. Drago sprang zur Seite und noch ehe die Pfoten der Bestie die Erde berühren, versetzte er dem Tier einen Tritt gegen die rechte Seite. So heftig, dass es an einem der Bäume geschleudert wurde.

Ein Aufheulen drang aus der Kehle des Hundes, dessen Körper auf den Baum traf und dort schwer zur Erde fiel.

Jana wollte sich von dem Schauspiel abwenden, doch es gelang ihr immer noch nicht. Sie war wie versteinert. Flehte darum, endlich zu erwachen. Doch nicht geschah.

Sie hörte das wahnsinnige Lachen ihres Prinzen, der vorhin noch seine Lippe auf ihre presste.

„Wolfgang, du weißt, dass du mich nie besiegen wirst“, drang es in einem wilden Lachen aus seiner Kehle, das sogar Jana Angst machte. „Und da du es nicht anders willst, wird diese Nacht deine letzte sein.“

Er ging zu dem Hund, der versuchte sich auf seinen zittrigen Läufen aufzurichten, die aber jedes Mal unter seinem Gewicht nachgaben. Je näher der Mann dem Tier kam, umso unheimlicher wurde auch der Blick der Bestie. Todesangst und ein unbändiger Zorn lagen darin. Der Mann dagegen wirkte rasend vor Wut. Sie wirkten beide wie Bestien, nicht nur dieser große Hund.

Wie? fragte sich Jana. Wie konnte sie hier nur herein geraten?

Ein Schleier aus Tränen verhüllte ihren Blick. Sie konnte erkennen, wie auf dem hübschen Gesicht ihres Liebsten ein Grinsen erschien. Und wie sich die Bestie aufrichtete, um erneut auf Drago zuzuspringen.

Diesmal brauchte Drago nicht ausweichen. Er ergriff den Kopf des Tieres und schleuderte es gegen eine alte Pappel, die nah bei ihm stand.

Jana verbarg weinend ihr Gesicht in den Händen, hörte das Aufjaulen des Tieres, und wie Drago zu der Bestie rief: „Gib auf!“

Dann endlich gelang es ihr, sich aus der Starre zu lösen. Sie war nur noch von einem einzigen Gedanken gepackt. Einfach nur hier zu verschwinden. Von diesem Ort des Grauens. Von dieser Bestie und diesem Wahnsinnigen, den sie bis eben noch geliebt hatte.

Auf zittrigen Beinen richtete sich auf, dann sprang sie in die Nacht. Hinter ihr hörte sie Drago ihren Namen rufen, doch Jana wollte einfach nur weg. In Sicherheit und ihn nie wieder sehen.

Sollte sich die Polizei doch um diesen Irren kümmern.

Das Mädchen, das den Wald entlang stolperte, bemerkte Jana zuerst nicht. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, in dem Dunkel nicht zu stürzen und immer wieder in Panik hinter sich zu sehen. Mit klopfendem Herzen und aus Angst, ihr könnte jemand folgen.

Erst als sie das Mädchen überrannte, erkannte sie die Blondine. Die knappen Sachen, die sie trug, waren ungewohnt an ihr. Die blauen Augen lagen zuerst zornig auf der Anderen.

„Hast du keine Augen im Kopf“, fuhr Xandra Lober sie an.

Doch als sie bemerkte, wie aufgelöst Jana war und wie sehr sie zitterte, wirkte sie verwirrt.

„Was ist los?“, wollte sie wissen.

Diese Irre trägt doch immer so eine Waffe mit sich herum, ging es Jana durch den Kopf. Ja genau, deswegen hatte sie doch schon mal einen Schulverweis bekommen. Vielleicht war sie die Rettung.

Dann brach auch schon alles aus Jana heraus. Das Geschehene schilderte sie dem Mädchen in jeder Einzelheit. Weinend presste sie ihren Körper an den der Anderen. Zitternd und hoffend auf Trost. Doch dieser blieb am Ende der Geschichte aus.

Es war sogar so, dass Xandras Stimme von einer unheimlichen Kälte erfüllt wurde, als sie Jana von sich wegstieß.

Eine silberne Pistole legte sich genau zwischen ihre Augen.

Jana spürte das kalte Metall auf ihrer Haut.

Nein, das war kein Alptraum, wie sie deutlich spürte.

„Irgendwann kämpfen die mal bis zum Morgen und dann heißt es: Bye, bye Drago!“, drang es in einem Seufzen aus Xandras Kehle.

Tränen liefen Jana über die Wange.

Beide befanden sich nahe den Häusern. Aus der Ferne drang Musik an ihre Ohren, die von der Geburtstagsfeier ihrer Schwester stammte. Würde sie jetzt schreien, könnte es sicher jemand hören und sie retten kommen.

Janna öffnete ihren Mund, ohne ein Laut erklingen zu lassen. Xandra gab ihr mit leichtem Druck der Waffe zu verstehen, ruhig zu sein.

„Vorwärts!“, befahl die Blondine und richtete sich mit Jana zusammen auf. „Ich bin ja hier diejenige, die ihr Kuscheltier nicht morgen wieder zusammenflicken will.“

Kuscheltier? War diese Bestie ihr Haustier? Wie konnte sie so ein Monstrum nur frei rumlaufen lassen?

Xandra wies ihr mit der Pistole an weiter zu laufen und Jana gehorchte. Wie sehr wünschte sie sich im Moment, dass irgendjemand kam und sie aus den Händen dieser Psychopathin rettete.

 

Xandra sah auf das Mädchen vor sich, das zitternd zu dem Lauf der Pistole blickte. Eigentlich hätte sie mit Jana Mitleid haben müssen, doch sie freute sich darüber, dass diesmal sie Dragos Opfer werden sollte.

Viele von den Mädchen auf der Schule hackten auf ihr rum. Von diesen war Jana die Schlimmste. Wie oft litt Xandra schon unter ihren Angriffen?

Nun war sie es, die auf die Andere herunter sah und ihre Macht genoss, während sie das Mädchen durch den Wald schubste, in dem der nahe Tod auf sie wartete. In Form des verführerischsten Mannes, der je auf Erden wandelte.

Doch als Xandra die Waldlichtung betrat, konnte sie nichts mehr von dem wunderschönen Mann erkennen, dem ihr Herz gehörte.

In den faszinierenden blauen Augen stand unbändige Wut geschrieben. Seine Lippen, auf denen sich ein grimmiges Lächeln abzeichnete, standen offen und wirkte mit den spitzen Reißzähnen wie das Maul einer Bestie. In seinem rechten Unterarm klaffte eine Wunde, im linken Unterschenkel hatte sich ein Wolf verbissen, auf den der Mann mit dem unverletzten Bein immer und immer wieder eintrat.

Es war ein schrecklicher Anblick, den die Beiden boten.

Einen Moment stand sie unter Schock da. Ihre Hand lag auf ihrem Mund, damit kein Schrei hinausdrang. Dabei vergas sie sogar Jana für einen Augenblick. Doch dieses dumme Ding war selbst starr vor Angst, als dass sie an eine Flucht gedacht hätte.

Der volle Mond stand noch weit am Himmel und warf sein bleiches Licht auf die Beiden. Ein rundes Gebilde, das ihren Cousin oft in seinen Bann zog, dabei wusste er sich dem allem zu widersetzen. Jetzt wirkte der Werwolf wie eine reißende Bestie. Knurrend riss er an dem Bein des Vampirs, der ebenfalls dem Wahnsinn verfallen schien und sich lachend dem finalen Tritt näherte.

„Hört auf!“, hörte Xandra ihre Stimme durch den Wald hallen.

Es war ihr in diesem Moment, als würde sie nicht direkt am Ende dieser Waldlichtung stehen, sondern alles von weit entfernt beobachten, ohne etwas tun zu können.

Bis Drago seine Stimme erhob und sie damit aus diesem Schock holte.

„Wenn du deinen Schoßhund magst, dann gib ihm den Gnadenschuss! Ansonsten kocht er uns im Rollstuhl das Essen.“ Dragos blaue Augen hafteten an Xandras Cousin, der vor ihm im Staub lag und unter dem Druck auf sein Rückrad laut aufheulte.

Der Schrei des Werwolfs erklang schmerzlich in Xandras Ohren.

Tränen stiegen ihr über diesem Bild in die Augen.

Sie liebte ihren Cousin, genau wie Drago. Keinen von beiden wollte sie verlieren. Aber auch wenn sie es gewollt hätte, würde es nicht gehen.

In einem kleinen, feinen Rinnsal floss geschmolzenes Wasser, von der Waffe aus, ihre Hand entlang. In dieser Nacht hatte sie keine Patronen aus Silber in die Waffe gelegt, sondern Kugeln aus gefrorenem Wasser. Kein Weihwasser, wie es manche Mythen rieten. Eher eine Mischung aus frischem Quellwasser und anderen Zutaten, die besonders bei jungen Vampiren eine lähmende Wirkung hatten.

Was konnte sie tun? Wie konnte sie ihrem Cousin helfen?

Der Schuss, den sie abgab, war viel zu tief angesetzt, das wusste Xandra nicht erst nach dem Schrei, der durch den Wald hallte. Schon vorher war es ihr klar. Aber sie hatte auf keinen gezielt, sondern wollte versuchen, ob der Schuss die Beiden vielleicht stoppte.

Hätte Drago sich nicht plötzlich aufgebäumt, wäre der Schuss ins Leere gegangen. So geriet seine linke Schulter in die Bahn.

Jetzt stand Xandra da. Mit zitternden Händen umklammerte sie die silberne Pistole. Heiße Tränen flossen über ihre Wange. Ihre Augen waren auf das schmerzverzerrte Gesicht des Mannes gerichtet, den sie so sehr liebte.

Sie konnte sich nicht rühren, noch nicht mal die Waffe fallen lassen, so starr war sie. Nicht nur vor Schreck, sondern auch vor Angst, als sie den wahnsinnigen Blick sah, der auf Dragos Gesicht lag.

Sie hatte nicht mehr den Mann vor sich, der sie immer beschützte und sogar wie ein Vater zu ihr war. Nein, er hatte sich in dieser Nacht zu einem Monster verwandelt.

Ein Augenzwinkern mehr brauchte es nicht, da stand er schon hinter ihr. Sanft fühlte sich seine Berührung an, mit der er ihre blonden Locken zurücknahm und ihren Hals freilegte; warnend die Stimme an sie gewand.

„Willst du mich umbringen?“

Seine Zunge fuhr in einer zärtlichen Liebkosung über ihren Hals und überzog ihren Körper mit einer Gänsehaut.

In jeder anderen Nacht, in jeder anderen Situation eine Berührung, die wohlige Schauer geweckt hätte, statt purer Angst.

Seine Lippen legten sich auf die blanke Stelle. Nicht zum Kuss, wie sie sich oft wünschte.

Xandra spürte seine Zähne über ihre Haut gleiten. Jeden ihrer in Panik verstärkten Pulsschläge kostete er genüsslich aus. Sog sie in sich auf und wehte seinen heißen Atem in einem knurrenden Laut über die Stelle, ehe seine Zähne hart hineinstießen.

Ein gellender Schrei löste sich aus ihrer Kehle, hallte an den Bäumen ab, ohne dass es ein Fremder je hören könnte.

Noch war ihre Qual nicht zu Ende. Seine Zähne sanken tiefer in sie. Damit offenbarte er dem Mädchen ein schmerzvolles Ziehen und Brennen.

Die Schlucke, die er nahm, waren nicht gierig, aber dennoch ohne Nachlassen.

Xandra spürte, wie sein Griff um sie fester wurde, mit jedem Schluck, den er nahm. Sie dagegen wurde immer schwächer.

„Bitte hör auf“, flehte sie ihn an.

Bilder schossen ihr in den Kopf. Von früher. Wie sie mit ihm rumtollte, als sie noch ein Kind war. Schon immer genoss Drago ihr Vertrauen, obwohl sie ihn eigentlich hassen müsste.

Ihr Flehen wurde leiser, bis es verklang.

Die Waffe, die sie vorhin noch fest umklammert hielt, lag jetzt schwer in ihrer Hand.

Xandra schloss die Augen, die Waffe entglitt ihren Fingern und fiel zu Boden.

Ein zweiter Schuss löste sich, als die Pistole auf der Erde aufkam. Diesmal blieb sie nur in einem alten Baum stecken.

„Drago!“ Noch einmal versuchte sie ihn, aus seinem Wahnsinn zu wecken. Mit einer Stimme, kaum mehr als ein Wispern.

Es schien zu gelingen.

Er hörte auf zu trinken und löste seine Lippen von ihrem Hals. Sofort sackte Xandra kraftlos in seine Arme, die sie zärtlich umschlossen.

„Oh Xan!“, hauchten seine Lippen, auf denen jetzt ein nettes Lächeln lag. Seine tiefen, blauen Augen sahen sie wie immer fürsorglich an. Nur seine Stimme enthielt einen Funken Neugier, als er sie fragte: „Was würdest du tun, wenn ich dich jetzt hier liegen lasse?“

Seine Frage lief drauf hinaus, dass Xandra unweigerlich zum Vampir werden würde, wenn sie nicht innerhalb der nächsten viertel Stunde handelte.

Ihre Antwort war beiden klar.

Selbstmord formten ihre Lippen. Sie brauchte es nicht aussprechen, er verstand auch so. Viel zu oft hatten sie sich darüber unterhalten.

„Dabei ist die Unsterblichkeit so wundervoll“, lautete seine Meinung. Davon konnte ihn niemand abbringen, genauso wenig wie Xandra von ihrer Ansicht. Auch seine Argumente waren ihr wohl bekannt.

So verlockend aber dennoch reichte es nicht für sie, sich danach zu sehnen. Höchstens vielleicht, wenn sie diese Zeit an seiner Seite verbringen konnte. Als seine Geliebte.

Ein dummer Gedanke. Besonders in dieser Nacht, nach dem, was er getan hatte.

„Man bleibt immer so jung, wie am Tag der Verwandlung und ist dazu noch jedem Menschen überlegen. Die Sinne werden geschärft, auch die Kraft steigt.“

Ein Raubtier, auf die nächtliche Jagd spezialisiert, ging es Xandra durch den Kopf.

„Menschen sind so leicht zu beeinflussende Kreaturen. Ihren Willen nach dem eigenen Wunsch zu leiten, kann ich einem jungen Vampir wie du einer wärst schon in den ersten Wochen lehren.“

Sein Blick wanderte zu Jana.

Das junge Mädchen verstand immer noch nichts von all dem, was hier passiert war. Apathisch saß sie da und presste ihren Körper an einen großen Baum, fast so, als würde er ihr Schutz vor all dem gewähren.

Ein trügerisches Gefühl.

„Es gibt nur eine Sache, die mich daran stören würde, dich als kleine Vampirin zu wissen.“

Es viel Xandra schwer, so kraftlos wie sie war den Kopf anzuheben, aber es gelang.

„Was?“, wollte sie von ihm wissen und schaute ihm in die wunderschönen Augen.

Drago sah sie an, als sei nichts zwischen ihnen vorgefallen. Wie immer blickte Drago als Freund oder Vater auf sie herunter. Das ziehende Gefühl in ihrer Brust, der Wunsch sich im wundervollen Blau seiner Augen zu verlieren, hielt selbst jetzt an. Sie wollte ewig in seinen Armen zu liegen.

Seine Worte jedoch holten Xandra in die Realität zurück.

„Du meine Liebe bist zu nett. Würdest du denn einen Menschen einfach so töten können, um an sein Blut zu gelangen?“

Xandra schüttelte den Kopf.

Bei allen romantischen Träumen, das konnte sie wirklich nicht.

„Außerdem bist du noch viel zu jung. Dein Leben hat gerade erst begonnen.“

Ein Pfiff reichte, um den Rappen an die Seite seines Herrn zu rufen. Gehorsam kam Diabolo vor ihnen zum Stehen, sodass Drago Xandra nur noch vorsichtig in den Sattel heben musste.

„Was ist mit ihr“, wollte das Mädchen wissen und deutete auf Jana.

„Mit der wollte ich mir einen schönen Abend machen. Aber das kann ich jetzt vergessen.“

„Und deinen Mitternachtstrunk hattest du auch schon.“ Schmollend wandte sich Xandra von ihm ab.

Sie liebte Drago und sehnte sich trotz allem immer noch so sehr nach seiner Nähe, dennoch schmerzte sie der Gedanke an das Passierte.

„So war das nicht geplant“, beteuerte er. „Ich hab dir bisher nie etwas getan und glaub mir, wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen. Außerdem hatte ich mich erst vor Kurzem genährt.“

Wie konnte er das nur tun? Beim Gedanken daran stiegen ihr die Tränen in die Augen. Sie hatte sich in seiner Nähe bisher immer sicher gefühlt. Und jetzt? Wie sollte sie sich jetzt verhalten?

Xandra kam nicht mehr dazu, ihn das zu fragen.

 

Mit einem leichten Schlag auf den Po des Rappen gab Drago ihm die Anweisung los zu galoppieren. Es bedurfte noch nicht einmal eines einzigen Wortes. Das Pferd wusste von alleine, wohin es sollte. Zurück zum Schloss und das auf dem schnellsten Weg.

Der Start kam für Xandra überraschend, dazu noch mit ihrem kraftlosen Körper. Ihre Hände gruben sich in die Mähne des Rappen. Aufrecht sitzen war ihr im Moment noch nicht möglich.

Aber Drago wusste, dass das Mädchen stärker war, als sie vielleicht meinte.

„Pass auf Xandra auf, statt immer mit mir zu streiten“, rief er Wolfgang zu, der sich wieder aufgerappelt hatte. Das dunkle Fell wirkte noch räudiger als in jeder anderen Vollmondnacht.

Der Wolf trat näher zu dem Vampir. Ein Jaulen stieß aus der Kehle der Bestie, als sie das Gewicht auf einen der Vorderläufe verlagerte. Knurrend wandte er den Kopf zum Gegner. Beide wussten, dass dieser Kampf ein Ende haben musste, aber bei Wolfgangs Gebaren, fiel es Drago schwer sich unter Kontrolle zu behalten.

Dazu noch die eisige Kugel in seiner Schuler, die erst spät ihre volle Wirkung ausfaltete. Er spürte, wie sich ein feiner Nebel Wahnsinn in seinem Kopf breitmachte.

„Geh“, fuhr er den Wolf an, bevor dieser dafür sorgte, dass Drago noch einmal die Beherrschung über sich verlor.

So schnell er mit drei seiner Läufe kam, humpelte der Wolf dem Pferd hinterher.

Den Blick weiter auf die Richtung gerichtet, in dem er noch das Tier ausmachen konnte, knurrte Drago: „Das wird noch eine Standpauke geben.“

Drago wandte seine Aufmerksamkeit dem Mädchen zu.

Eigentlich wollte er seinen Gefühlen in dieser Nacht anders freien Lauf lassen, als im Rausch der Wut. In dem er den zarten Leib des Mädchens unter sich spürte. Doch jetzt war dieses Ding nur noch ein wimmerndes Bündel, das sich auf ihre zitternden Beine hievte und in den Wald stürzte, nicht mehr die pure Verführung, wie zu Beginn des Treffens.

Wenn Jana dachte, sie brauchte nur so schnell laufen, dann wäre sie in Sicherheit, irrte das Mädchen. Unsicher stolperten ihre Schritte durch die Dunkelheit der Nacht. Dabei schien sie alles mitzunehmen, was auf ihrem Weg lag.

Ein Schrei stieß aus ihrer Kehle, als Jana über einen großen Ast voran auf den Boden stürzte. Ganz anders wie bei dem Jäger, der jedes Hindernis klar erkannte. Noch ehe sich das Mädchen aufgerichtet hatte, war er auch schon bei ihr.

„Jana.“ Sie schreckte beim Klang seiner Stimme zusammen.

Mit dem Alter lernte jeder Vampir, einen Menschen zu beeinflussen. Ein Blick vermochte die Beute zu lähmen oder schenkte ihr ein Gefühl der Sicherheit. Nur eine handvoll davon, waren mächtig genug, ganz in einen Menschen einzudringen. Sogar die Erinnerungen zu manipulieren.

Das Zittern des Mädchens erstarb. Es bedurfte nur einer einzigen Anordnung, schon schlossen sich ihre Augen und sie kippte nach hinten, in einen tiefen Schlaf hinein. Drago senkte sich zu ihr. Er musste sie jetzt nur noch nach Hause bringen. Selbst wenn sie durch das Haus liefen und an vielen der Besucher vorbei kamen, nahmen die das nicht wahr.

Erst in ihrem Bett schlug das Mädchen wieder die Augen auf.

„Pst“, hauchte Drago. Seinen Finger legte er Jana auf die Lippen. „Du hattest nur einen Albtraum. Leg dich einfach wieder hin.“

„Es war schrecklich“, schluchzte sie. Ihre Hände griffen nach ihm. Einen Moment blieb er bei ihr. Bis sie eingeschlafen war.

In seinen Gedanken war er nur bei Xandra, die er schon so lange kannte. Niemals hätte er ihr das antun wollen. Willentlich hätte er es auch nie gekonnt.

Sein Blick wanderte zum Fenster, wo hoch am Himmel der runde Mond stand.

Blitzend entblößten sich seine Zähne. Ein runder Ball, der einzig auf ihn gerichtet schien.

Oh, wie er diese Zeit hasste. Nur eine kleine Stimme war es, die durch diesen Zorn flehendlich klang. Darum bittend, er möge in dieser Nacht nicht alles zerstört haben. Dass er seine Xandra nicht verlor.

Kapitel 3

 

 

 

Die Zeit konnte zu einem hinterhältigen Gesellen werden.

Xandra wusste, ihr Gefühl riss sie in einen trügerischen Strudel.

Die donnernden Hufe des Rappen pflügen zielsicher über den Waldboden. So schnell wie bei manchem feurigen Ritt unter seinem Herren. Ihr erschien es immer noch zu langsam.

Mit jedem aufsetzen, mit jedem Schlag auf die weiche Erde unter Holz, Blättern und Pflanzen, schienen die Sekunden eingestampft zu werden, die ihr die Zeit nahm.

Acht Minuten brauchte das Tier bis zum Hof ihres Schlosses. Viel kürzer, als mit es mit Xandras Stute möglich wäre.

Ihr Körper fühlte sich ausgelaugt und müde an. Er schrie danach, im weichen Sattel liegen zu bleiben. Gleichzeitig wusste Xandra nicht, woher sie die kurze Kraftreserve nahm, sich hinhab zu schwingen. Mehr fallend stieg sie aus dem Sattel des Tieres. Ihre Hand griff nach den Zügeln, an denen sie Halt suchte und sich aufrichtete.

Wie viel mochte Drago von ihr getrunken haben, dass sich ihr Körper anfühlte, als würde er jeden Moment kraftlos zusammensinken. Sie wünschte es sich ja sogar. Einfach hinlegen, bis sie wieder bei Kräften war. Das durfte sie nicht! Xandra musste gegen dieses Gefühl ankämpfen. Sie musste ins Schloss – in ihr Zimmer –, wenn sie weiter als Mensch auf der Erde wandeln wollte. Andererseits hatte sie sich schon öfters gewünscht immer an Dragos Seite zu sein, ohne dass sie es jemals zugegeben hätte.

Neun Minuten waren vergangen, da stand sie vor dem großen Tor, das ihr noch nie so schwer vorkam, wie in diesem Moment.

Ihr Vater jagte Wesen der Nacht, wie Drago eines war. Von ihm hatte sie auch ein paar Dinge behalten. Ihre Pistole samt silberner Kugeln. Die Anweisung, wie sie Kugeln aus Quellwasser goss, die viele Jäger nicht nur als Mittel zur Lähmung von jungen Vampiren nutzen, sondern in einigen Formen zur Folter.

Wenigstens das war ihrem Vater zuwider.

Xandra konnte verstehen, wieso Drago davon in Wahnsinn gefallen war. Er war alt und mächtig. Die lähmende Wirkung war bei ihm nicht möglich. Dennoch spürte er die Schmerzen genau wie jüngere Vampire.

Auch das Mittel, was sie jetzt benötigte, stammte aus der Hinterlassenschaft ihres Vaters.

Ein alter Alchemist hatte es entworfen. Dieser sah den Biss eines Vampirs als Infektion an – eine Krankheit, für die es ein Mittel der Behandlung geben musste. Sein Mittel sollte helfen, solang man es innerhalb der ersten 15 Minuten nach dem Biss anwandte. Erfolgte eine spätere Behandlung, würde das Opfer daran sterben, da die Verwandlung schon voll begonnen hatte und der junge Vampir zu schwach war, dass sein Körper gegen das Mittel ankämpfen konnte. Kam es innerhalb dieser viertel Stunde zum Einsatz, war das Gift – wie es ihr Vater eher sah – noch nicht so verbreitet im Körper. Das Opfer konnte dagegen ankämpfen und sich auch wieder davon erholen.

Zuerst streckte Xandra ihren Kopf in die Eingangshalle hinein. Vorsichtig schaute sie zu jeder Ecke, nicht dass sie in diesem Zustand ihrer Schwester über den Weg lief. Sie wollte nicht riskieren als Erstes von Prisca aufgehalten zu werden.

Erst nachdem sie sichergestellt hatte, niemanden zu sehen, durchquerte sie den Raum, hin zum Eingang in den Turm, wo ihr Zimmer lag.

Kaum hatte sie die erste Stufe betreten, sah sie auch schon einen älteren Mann auf der Treppe.

„Xandra, ist irgendetwas los?“, erkundigte sich James, ihr Adoptivvater, der sie genauso gut kannte, vielleicht sogar etwas besser, wie die eigene Tochter.

Bekümmerung zeichnete sich in dem Gesicht des Mannes Ende 40 ab. Sein Haar war von dunklem Braun, genau wie die Augen, die langsam über ihren Hals wanderte.

Ein Zucken ließ sich um seine Mundwinkel erkennen. Xandra wusste nicht, ob es ein Anflug von Schmerz war, die Adoptivtochter so zu sehen, oder Wut auf den Vampir.

Er erkannte vor ihren Worten, dass sich das junge Mädchen in Eile befand und trat zur Seite.

„Wir sollten später reden“, sagte Xandra und eilte auch an ihm vorbei, die steinernen Stufen hinauf.

Wieso hatte sie nicht das Zimmer im ersten Stock behalten? fragte sich Xandra.

Ihr Schloss besaß zwei Türme.

Von der Aussicht her, wäre ihr der Ostturm lieber gewesen. Doch der wurde von ihrem Hausgeist bewohnt. Blanka, eine nicht sehr gesellige Geiserdame, wegen der auch ein eisernes Schloss, jeden Eingang in diesen Turm versperrte. Dazu kamen ein paar Banne, die ein Geist nicht übertreten durfte.

Xandra hatte den Westturm gewählt. Nicht nur wegen der Aussicht. Für ihre Entscheidung gab es damals einen ganz anderen Grund. An einen möglichen Vampirbiss hatte sie bei ihrer Wahl nicht gedacht.

Die zwölfte Minute rückte an.

Durch ihre Adern brannte sich ein Feuer. Es überschüttete ihren Körper mit einer Andeutung von Kraft, die sie vielleicht gewinnen könnte, sollte sich alles zu lange hinziehen. Ein lockender Ruf, dem sie standhalten musste.

Drago konnte ihr nicht viel von seiner Verwandlung berichten. Dafür lag alles zu lange zurück. Nur sein erstes Opfer war im in Erinnerung geblieben.

Dreizehn Minuten noch.

Suchend wanderten ihre zitternden Hände durch die Tasche, bis sie den Schlüssel entdeckte. Er war alt und zeigte das Emblem dieses Hauses. Das alte Wappen mit einem dunklen Hund.

Sie versuchte, den Schlüssel in das Schloss zu stecken. Aber es wollte ihr nicht gelingen. Ihre Hände zitternden zu sehr, sodass sie immer wieder das Loch verfehlte.

Die letzte Minute war angerückt und eine sichere Hand umfasste ihre. Gemeinsam öffnete James mit ihr die Tür, die unter Xandras heftigen Stoß aufflog.

Das Kästchen stand nah in einem Schrank. Ihr blieb nicht mehr viel Zeit, um sich ein Stückchen Watte zu holen, wie ihr Vater in seinen Aufzeichnungen riet. Also griff sie nach der Bluse, die noch auf ihrem Bett lag. Am frühen Abend fand sie nicht mehr die Zeit, diese zurückzulegen, jetzt war sie dafür dankbar. Einen kleinen Teil des Ärmels beträufelte sie mit der Mixtur.

Nur noch wenige Sekunden und die Zeit würde verstrichen sein.

Xandra zögerte, fand letztendlich doch den Mut und legte das nasse Stück Stoff auf ihren Hals, wo sie den Biss deutlich spürte.

Im ersten Moment spürte sie nichts. Nur das Pulsieren vom Mahl aus, das sich in einem wärmenden Feuer durch alle ihre Adern zog.

War es zu spät, oder wirkte das Mittel nicht mehr?

Die Stelle an ihrer Haut wurde wärmer. Brennend heiß sogar. Als würde irgendetwas in ihr verbrennen. Dieses Gift, das sich durch ihre Adern schob.

Ihre Hand presste sich auf ihren Mund, um den Schrei zu ersticken, der ihre Kehle hinauf drängte, während das Mittel durch ihre Adern floss. Erste heiß wie ein Vulkan, dann plötzlich erkaltend. Ein Kampf, der in ihrem Inneren tobte. Das vampirische Gift, gegen die Mixtur des Alchemisten.

Xandra keuchte auf, wandte sich, wusste aber auch, sie konnte die Hand nicht von ihrem Hals nehmen. Ihre rechte Hand schwand vom Mund hin zur fein gestickten Tagesdecke ihrer Großmutter, in die sich ihre Finger hinein krallten.

Jetzt konnte auch nichts mehr den Schrei aufhalten.

Selbst in solch einem Moment hoffte sie, dass Prisca es nicht hören würde.

Nur ihren Adoptivvater duldete sie an ihrem Bett, der ängstlich auf sie sah, ohne zu wissen, wie er ihr helfen konnte. Es war nicht, dass sie kein Vertrauen in die eigene Schwester hatte, aber Xandra wusste auch, dass dieser Zustand ihr stark zusetzen würde. Wenn sie dann vor Drago trat, würde sie kaum ihre Gefühle zügeln können, was dem Vampir immer missfiel, wenn einer der ihm unterstehenden Schlossbewohner die Worte gegen ihn erhob.

Viel zu stolz war der Vampir.

Dicke Tränen rannen ihre Wangen entlang. Mit ihnen erstarb auch die Kälte und der Schmerz in ihr. Das Mädchen sank in ihre Decke nieder wo sich ihre Augen, von Anstrengung schwer geworden, schlossen.

 

Ein dröhnender Schmerz schob sich durch die Windungen ihres Gehirns. Verklang kurz, um dann in einem großen Schlag wieder hervor zu brechen. Mächtig genug, um sie in den Wachzustand zu holen.

Wie lange hatte sie geschlafen?

Vernommen nahm sie die Umrisse ihres Adoptivvaters wahr, der bei ihr saß.

„Jetzt sag mir bitte, was geschehen ist?“ In seinen Händen lag ein Tuch, mit dem sie später die Mahle verdecken konnte. „Es war doch nicht Drago. Für ihn gibt es nichts Wichtigeres als dein Wohl.“ James verstummte. Prüfend sah er auf das Mädchen, das vor sich mit vor Gram gequältem Blick lag, ohne eine Ahnung, was sie sagen konnte. „Es wird Zeit, dass er alle Karten offen legt.“

„Wie meinst du das?“, verlangte Xandra zu erfahren.

James strich seiner Adoptivtochter zärtlich über die Wange.

„Ich bin es nicht, der dir das sagen darf“, sprach er. „Es ist alleine Dragos Pflicht.“

Er verhielt sich wie ein richtiger Vater, ohne Unterschiede zwischen seinen drei Mädchen zu machen. Seine Hand griff nach der Bluse, bevor er ihr Anordnete: „Jetzt geh ins Bett! Ruh dich aus!“

Xandra schüttelte den Kopf.

„Nein!“, sagte sie streng. „Ich muss mich erst um Diabolo kümmern. Er steht sicher noch im Hof.“

„Lass das!“, wies James an. „Du musst dich nach all dem ausruhen.“

Sie wolle nicht auf ihn hören.

Diabolo war ein liebes Pferd, das gehorsam auf seinen Herren wartete. Xandra wollte ihn nicht einfach so draußen stehen lassen. Außerdem gab es kaum jemanden, den das Vollblut an sich heranließ.

Unbeachtet ihres Zustand, richtete sich Xandra mit Schwung auf.

Ein Fehler!

Warme Übelkeit legte sich über ihren Magen. Das Zimmer begann sich zu drehen. Es bedurfte nicht James Druck, dass sie sich zurück legte und es wenige Minuten später noch einmal versuchte. Vorsichtiger dieses Mal.

Ihr Körper hatte sich noch nicht erholt. Auf zittrigen und schwachen Beinen stand sie vor ihrem Adoptivvater, dessen Sorge sich nicht vertreiben ließ.

James hatte recht, sie sollte hier bleiben. Doch es gab noch einen anderen Grund für Xandra hinunter zu gehen. Sie hoffte, Drago noch einmal zu sehen.

Über den Tod ihrer Eltern wurde Xandra früh aufgeklärt. Drago und Aurica waren es, machte ihr die Schwester oft begreiflich. Gegen Auricas Wunsch, die am liebsten alle Familienmitglieder umgebracht hätte, verschonte Drago beide Kinder. Nicht nur das.

Damit beide jemanden hatten, der sich auch tagsüber um sie kümmerte, wurde James im Schloss aufgenommen, der in Amerika seine eigene Familie zurück lassen musste.

Xandra war noch zu jung, um sich an alles aus dieser Zeit zu erinnern. Sie wusste nur von dem, was Prisca ihr berichtete. Drago war schon immer in Xandra vernarrt, weswegen es die Vampirin in diesem Duo vermiet, ihr etwas anzutun. Ihr Spielball war eher Prisca. Für sie musste diese Zeit der blanke Alptraum gewesen sein.

Es gab nur eine einzige Erinnerung aus der Zeit mit Aurica, die Xandra behalten hatte. Und selbst nachdem Aurica verschwand, änderte sich für Prisca kaum etwas. Erst als Wolfgang zu ihrer sonderbaren Familie stieß, hatte sie jemanden, der ihr Halt gab.

Trotz all dem – die Kämpfe zwischen Wolfgang und Drago, oder ihre Schwester, die oft an den Vampir geriet – genoss Drago ihr absolutes Vertrauen. Sie liebte ihn. Früher als eine Art Vaterersatz, während sie sich heute nach seiner Nähe verzehrte.

Genau das war es, was sie hoffen ließ, er möge ihr noch einmal in der heutigen Nacht begegnen, auch wenn sich wegen des vorangegangenen Ereignisses in ihr eine ungewohnte Angst breit gemacht hatte.

Dummkopf! gab sie in ihren Kopf ein. Drago würde ihr nie absichtlich etwas tun. Nicht einmal, wenn ihn jemand dazu versuchte zu zwingen oder er ausgehungert war.

Vielleicht war diese Veränderung in dieser Nacht eine der Sachen, über die er mit ihr reden sollte.

 

Diabolo befand sich nicht auf dem Hof, auch nicht bei den Koppeln, die in der Nähe lagen. Also ging sie zum Stall, der versteckt hinter ein paar Bäumen errichtet wurde.

Wie in den meisten Nächten war in dieser der Stall noch beleuchtet. Ihre Pferde waren daran gewöhnt. Diabolo freute sich sogar, wenn sein Herr spät abends zu ihm kam.

Genau solch ein Bild präsentierte sich Xandra auch in dieser Nacht, nachdem sie an die Tür getreten war.

Die meisten ihrer Pferde standen in ihrem Boxen. Den nächtlichen Besuchern warf kaum eines Interesse zu. Ihre Körper waren von allem abgewandte. Manch eines versuchte zu schlafen, während andere ihre Box nach Futter durchsuchten. Eine vorwitzige Fuchsstue schob ihren Kopf zu Xandra hinaus, um ihre Kleidung mit den Nüstern nach versteckten Leckereien abzusuchen.

Bevor sie von einem Wiehern verraten wurde, tätschelte Xandra über die Stirn des jungen Tieres.

Drago genoss das volle Interesse von drei ihrer Pferde. Diabolo stand in seiner Box. Unruhig scharrte der Vollbluthengst mit dem Huf. Ein frustriertes Wiehern stieß aus seiner Kehle, um seinen Unmut darüber laut zu machen, dass sein Herr sich nicht um ihn kümmerte. Sein Interesse galt im Moment ganz den beiden Pferden, die ihn freudig begrüßten.

Eine alte Schimmelsute und ein Wallach standen an der Tür zu ihrer Box, wo sie von dem dunklen Mann liebevoll gekrault wurden.

Der stolze Hengst verursachte plötzlich einen solchen Krach, in dem er mit dem Huf gegen die Boxenwand schlug, dass sein Herr ihm endlich Aufmerksamkeit schenken musste.

Obwohl er eine Rüge von diesem kassierte.

Letztendlich reichte ihm sein Herr eine Hälfte des Apfels, den er die ganze Zeit bei sich trug. Von dem anderen teilte er sich eine Scheibe ab und streckte sie sich in den Mund.

„Ich wusste gar nicht, dass Vampire auch andere Nahrung zu sich nehmen, als Blut“, machte sich Xandra bemerkbar.

„Du liegst schon lange im Bett, wenn ich den Kühlschrank plündere, meine Liebe“, antwortete ihr der Vampir. Erst nachdem seine Hand kurz über die die Stirn des dunklen Tieres strich, wandte er seine Aufmerksamkeit ganz dem Mädchen zu. „Es tut mir wirklich leid. Es ist vielleicht besser, wenn du mir in Zukunft in solchen Nächten fern bleibst. Ich will dir nicht noch einmal etwas antun.“

Ein dünnes Lächeln zog sich über seine wunderhübschen Lippen.

Selbst wenn sie nicht verstand, wieso das so war, nickte sie ihm zu. Dann brachen beide in Schweigen aus.

Drago lehnte sich zu dem Hengst an die Box, während Xandra einfach nur da stand, den Blick zu Boden gerichtet.

Was solle sie zu ihm sagen? Wie konnte sie diese bedrückende Stille überwinden, wenn selbst er die richtigen Worte nicht kannte?

Dabei verstanden sie sich oft ganz ohne einem einziges Wort. Xandra kam es manchmal auch so vor, als wüsste Drago, wann sie ihn brauchte. Als würde eine unsichtbare Verbindung zwischen beiden bestehen.

Sogar dem Rappen schien diese gespannte Stimmung zwischen den Beiden aufzufallen. Mit seinem Kopf schob er seinen Herren an. Fast so wie in der Aufforderung, er möge den ersten Schritt tun. Etwas, dass nicht nur seine Meinung war.

„Drago, rede mit ihr!“, drang es in einem leichten Akzent von der Tür. James war zu ihnen gekommen. Jetzt sah er den Vampir streng an, ohne seine Ehrfurcht zu verlieren oder um den stolzen Vampir nicht zu kränken. „Xandra ist alt genug, sie sollte die Wahrheit erfahren.“

Welche Wahrheit? Xandra sah verwirrt zu ihrem Adoptivvater. Was wusste er über Drago, dass ihr bisher verborgen blieb? Sie verstand das alles nicht. Nicht bei dem vertrauten Verhältnis, das sie zueinander hatten. Xandra dache, sie wüsste alles von und über ihn.

Sein Leben dauerte über die Jahrhunderte an. Es war schon viel zu lang, als dass sie jedes Detail davon ergründen konnte.

„Schreib du mir nicht vor, wann ich ihr was offenbare“, knurrte der Vampir den Freund an und offenbarte seine gefährlich blitzenden Reißzähne.

„Dann erzähl ihr wenigstens von dem Fluch“, forderte James ihn auf. Drängender als zuvor. „Wenn du sie nicht irgendwann verlieren willst, sag ihr, was los ist.“

„Vielleicht hast du recht.“ Immer noch in Rage über die Anordnung aber einsichtig, wandte er den Blick ab und ließ sich letztendlich an der Boxenwand zu Boden sinken. „Bei welchem meiner Flüche beginne ich da am besten?“

 

Wenn du sie nicht irgendwann verlieren willst, dieser Satz hing schwer über ihm. Wie ein Beil, dessen Hiebe sich unaufhörlich näherten, und drohte ihn zu vernichten.

Wenn er sie nicht sogar durch die ganze Wahrheit verlor, kroch eine Angst immer wieder in ihm hoch. Nochmehr sogar, als davon in dieser Nacht womöglich etwas an ihrem vertrauten Verhältnis zerstört zu haben.

Sie stand vor ihm, so schön wie einst ihre Mutter, mit strahlend blauen Augen, rein wie dieses Quellwasser, das sie zum Mixen der Kugeln nutzte.

Ein Schmerz brannte in seiner Schulter. Er hatte versucht sie aus seinem Fleisch zu reißen aber dieses verflixte Ding war in seinem Körper zersplittert, wie es vom Schöpfer vorgesehen wurde. Ein hinterhältiges Objekt, geschaffen einen Vampir zu quälen.

Xandra hatte in dieser Nacht nicht vor im Schmerzen zuzufügen, das wusste er und dennoch war sie der Grund für diese Qual. Sein von Schmerz und Wut vernebelter Kopf könnte dazwischen kaum unterscheiden, wenn er nicht mächtig genug wäre, diesen Drang zu bekämpfen. Nur hin und wieder gelang es ihn nicht sich zu beherrschen und davor hatte er schon immer Angst.

Dass er womöglich seinem kleinen Püppchen wehtat.

Noch dazu zielte das Mädchen so gut, wie Michael, dessen Namen sie trug.

Ein Grinsen zog sich über seine Lippen, während er an den Jäger dachte und ihre erste Begegnung. Damals hatte er diese Dinger das erste Mal kennengelernt, unwissend darüber, welchem Vampir der geübte Jäger gegenüberstand.

Michael Lober war auch einer der wenigen Jäger, die Drago je verschont hatte.

Xandra wusste davon. Er hatte ihr die Chance gegeben, mehr über diesen Mann zu erfahren, wie es schon lange ihr Wunsch war.

Aber womit fing er jetzt an? Mit welchen seiner Flüche?

Vielleicht ja ganz zu beginn. Mit seiner Familie. Einer Dynastie mächtiger Kriegsherren, unter deren Füße sich schon immer Blut und Knochen ihrer Feinde auftürmten.

Dadurch machten sie sich mächtige Feinde.

Einer davon Verfluchte einen dieser Kriegsherren, lange bevor Drago selbst geboren wurde. Aber er kannte dessen Legende und Bildnisse. Sein Vater hatte es so gewollt.

Dieser Fluch hielt nicht bei ihm an, sondern ging auf die Kinder über.

Ein unbeschreiblich grauenvoller Fluch, für die Ewigkeit geschaffen. Drago konnte sich nichts Besseres vorstellen, als sein vampirisches Dasein, wenn die Alternative eine geisterhafte Existenz war. Dazu verdammt, die Welt um einen nur stumm zu beobachten und nicht darauf Einfluss nehmen zu können.

Xandra lauscht neugierig der Erzählung und sogar der Hengst, dessen Kopf sich zu ihm niederließ.

Als Nächstes erzählte er von einer Zeit, die er ohne seine Schwester verbrachte.

Er war damals noch sehr jung und meinte auch ohne die erfahrene Vampirin gut zu Recht zu kommen. Sie zog es nach Asien, während er durch Europa streifte. Auf diesem Weg gelangte er in ein kleines Dorf, über das eine Gräfin herrschte, die ihn in ihre Burg einlud. Trotz ihres ansprechenden Aussehens interessierte er sich zu der Zeit eher für eine hübsche Schankmaid, die er jede Nacht umgarnte, um sie für ein paar Stunden in seine Arme zu locken. Er hatte vor dies jede Nacht zu wiederholen, bis der Blutdurst erweckt war.

Die Gräfin reagierte auf seine Abweisung ungehalten.

Sie akzeptierte keine Ablehnung von einem solch jungen Mann und nahm sich vor ihn zu besitzen. Deshalb schickte sie ein paar Männer aus, um ihn zu fangen. Doch nur einem von ihnen gelang es. Einem Jäger. Spezialisiert auf Vampire. Er hatte ihn schon eine Weile beobachtet und wusste um dessen Umwerben der hübschen Schankfrau. Eigentlich mehr im Willen, einen weiteren Vampir zu vernichten aber im Ruf des lockenden Geldes, stellte er Drago eine Falle mithilfe des unwissenden Mädchens.

Drago als unerfahrener Vampir erkannte die Gefahr nicht. So gelangte die Gräfin an ihre Beute, auch wenn diese nicht willens war, sich der Frau unterzuordnen.

Die Gräfin wusste vorher nichts von Vampiren. Erst der Jäger klärte sie auf. Die Vorstellung ein Raubtier vor sich zu haben, erschreckte sie nur kurz. Bis der Gedanke sie einnahm, einen Geliebten zu besitzen, der nie altern würde.

Sie ließ Drago in Ketten legen. In der Hoffnung diese und Hungern würden ihn gefügiger machen. Drago, der schon als Kind seinem Vater in dessen Stolz übertraf, war kein billiges Haustier. Sie entschloss sich zu anderen Wegen.

Die Gräfin bestellte Magier zu sich, die mit Hilfe von Werwolfblut einen Zauber vollführten. Während des Vollmonds war er nun ganz von seinen Gefühlen geleitet. Hatte er Hunger, war es ihm egal, an was oder wem er sich nährte. War er zornig, wollte er alles, was diese schürte oder ihm Schmerzen bereitete, sofort zerschmettern. Wie Xandra in dieser Nacht.

Stand eine Frau vor ihm, begehrte er diese. Nur wenn er sie auch in wachem Zustand begehrte, konnte ihn kaum etwas dran hindernd, sie sich zu nehmen.

So nutzte sie den Zustand, um ihn während der Vollmondnächte wie ein zahmes Tier zu dressieren.

Für den stolzen Vampir war es jedes Mal eine Demütigung, sich ihr hinzugeben. Nie wollte es ihm gelingen, die Wut des restlichen Monats für diese eine Nacht aufzusparen.

Jede seiner Drohungen gegen sie nahm die Gräfin mit einem überlegenen Lächeln auf.

Die Zeit verging und in ihr wuchs der Wunsch mehr von ihm zu haben, als nur diese eine Nacht im Monat. Ein Kind, das er ihr nicht schenken konnte. Vampiren war es nicht vergönnt, Kinder zu zeugen oder zu gebären. Sie konnten nur über ihren Biss andere Vampire erschaffen.

Aber dieses verdammte Weib schaffte vieles, was sie sich in den Kopf setzte. Und sie besaß sehr gute Magier.

„Also bist du der Traum vieler Frauen?“, stellte Xandra fest, worauf er nickte, ohne sich überhaupt den Rest angehört zu haben. „Ein gut aussehender Vampir, der in manchen Nächten zum willenlosen Liebhaber wird und bei dem frau auf ein Kind hoffen konnte.“

Ein Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab, während ihr Blick hoffender wurde. Er kannte ihre Gefühle für sich schon lange. Sie machten ihm aber auch schmerzhaft bewusst, dass es vieles mehr gab, was er ihr offenbaren musste.

„Jetzt kann ich besser gegen den Vollmond ankämpfen“, offenbarte er ihr. „Es gibt deswegen auch ein paar Blutlinien, die auf mir gründen.“

Ein grimmiges Lächeln zog sich über seine Lippen, wann immer er an die Gräfin dachte und die Demütigung durch sie. Auch sah er noch genau Auricas Blick vor sich, als sie ihn in diesem Gefängnis entdeckte. Eine stumme Anordnung, das nächste Mal auf seine ältere Schwester zu hören.

„Ich bekam meine Rache, kurz, nachdem unser Kind geboren wurde“, sage er. „Ich fügte ihr keine Schmerzen zu aber den Säugling gab ich meinen Biss. Es war mehr aus der Befriedigung, das sie dieses Kind niemals würde nähren können oder aufwachsen sehen. Ich weiß nicht, ob es den Biss überlebte und wenn ja, ob sie dazu fähig war, dieses Wesen mit Blut zu versorgen. Es hat mich einfach nicht interessiert. Aber sie damals zu sehen, flehend um das Leben ihres Kindes, während ich mich von dessen Blut nährte, war Erfüllung genug.“

Er bereitete sich darauf vor, dass sich Xandra angewidert über die Schilderung von ihm abwandte, doch das Gegenteil war der Fall. Sie wirkte neugierig auf das, was er zu berichten wusste. Mehr noch sogar.

Sie näherte sich ihm langsam.

„Wenn du in Vollmondnächten zum Tier wirst, dann hast du etwas mit Wolfgang gemeinsam“, tastete sie sich vorsichtig zu diesem Thema vor und streckte sogar ihre Hand nach ihm aus. „Könntet ihr beide nicht darauf aufbauen? Macht einen kleinen ‚Club der Mondsüchtigen’ auf, oder etwas Ähnliches.“

Ein Grinsen ließ sich auf seinen Lippen erblicken. Dann griff seine Hand nach ihrer, um das Mädchen in seine Arme hinein zu ziehen.

In diesen Nächten war Drago wirklich nicht mehr er selbst. Sogar Xandra nahm er ganz anders wahr, wie sonst. Ihre hübschen Gesichtzüge glichen sich mehr denen ihrer Mutter an und auch das wundervolle Blau ihrer Augen verschwamm zu einer anderen Farbe.

Ein tiefes Knurren rollte seine Kehle hinauf. Mit seiner Hand strich er die blonden Locken fort, die mit ihrem Blut verklebt waren. Die Blutung war gestillt und er wusste, dass ein bitterer Geschmack drauf liegen würde, wenn er seinem Drang nachgab, diese so lockende Stelle mit den Lippen zu liebkosen. Oder seine Zähne noch einmal in ihr Fleisch zu stoßen. Um von ihrem köstlichen Blut zu kosten und sie für ewig bei sich haben zu können.

Gedanken, für die er sich morgen hassen würde.

„Geh ins Bett“, zwang er sich durch diesen alles von ihm verschlingenden Nebel hindurch, der in dieser Nacht kaum noch zu bezwingen war. „Bevor dich deine Schwester hier findet.“

Sie wandte sich zu ihm um und blickte ihn aus ihren glänzenden Augen an, die noch an Schönheit gewannen. Ihre Lippen waren ihm so nah, sehnend nach der zarten Berührung, die er ihnen in den letzten Monaten vorenthielt.

Kurz fing er James Blick auf, der ihn wieder begreiflich machte, gegen diesen Wunsch anzukämpfen.

Dieses Mädchen war seine Xandra. Nicht die Frau, die er jetzt vor sich sah.

„Geh ins Bett, Schatz!“, forderte Drago sie erneut auf und brachte irgendwie ein Lächeln zustande, das nichts mehr von dem Wunsch offenbarte, von dem er für einen Moment beseelt wurde. Es gelang ihm sogar, ein schelmisches Grinsen aufzusetzen. „Du weißt doch, was passiert, wenn deine Furie von Schwester hier auftaucht.“

 

„Furie?“, drang es von der Tür aus zu ihnen. Prisca stand dort, den Blick zornig auf den Vampir gerichtet, dessen Hand wider seiner Worte fest auf Xandras Bauch ruhte. Unwillens, sie gehen zu lassen.

Eben noch, als sie sich in die Augen sahen, hatte Xandra der Wunsch gepackt, es einfach zu versuchen. Ihre Lippen auf seine zu legen, egal ob er sie wie sonst von sich wegstieß. Oder war es sogar sein Wunsch gewesen, den sie mit solch brennender Leidenschaft aufgefangen hatte?

Jetzt sah sie auf ihre Schwester mit der blutbefleckten Kleidung.

Dragos Nase kräuselte sich angewidert über den Geruch, wie er es oft machte, wenn sich Wolfgang verletzte. Werwolfblut hatte für ihn nicht denselben Geruch, wie das eines Menschen. Er ekelte sich davor.

„Er hat ausnahmsweise Recht“, gestand Prisca. „Du solltest schon längst im Bett sein, Xan.“

Xandra richtete sich kurz ihre Haare, damit die Male wieder darunter verborgen lagen, dann richtete sie sich auf. Ein Fehler, wie sie an der erschütterten Miene ihrer Schwester ablas, ohne deren Gefühle auffangen zu müssen.

„Was bitte, soll der Aufzug?“, verlangte sie streng zu erfahren und stürzte energisch zum jüngeren Mädchen, um an deren Sachen herumzuzupfen. „Wo hast du diese überhaupt her? Ein paar Zentimeter weniger Stoff und du bist nackt.“

Xandra verdreht die Augen.

So schlimm war es nun auch wieder nicht. Ihre Schwester übertrieb maßlos!

„Daran wird meine Tochter Schuld tragen“, bemerkte James.

„Du warst bei Melanies Geburtstagsfeier?“, fragte Prisca, worauf ihre jüngere Schwester nickte und demütig den Blick zum Boden wandte. „Hatte ich dir nicht gesagt, es sei zu gefährlich nachts noch unterwegs zu sein.“

„Aber Drago und Wolfgang waren in der Nähe.“

„Die sind keine Ausrede“, fuhr Prisca dazwischen. „Egal ob gerade Vollmond ist, oder nicht. Das sind zwei ausgewachsne Kindsköpfe, die nur dran denken zu raufen. Mehr nicht!“

„Keine Beleidigungen, bitte“, beschwerte sich Drago mit einem warnenden Knurren.

Als auch er aufstand, zeichnete sich ein befriedigtes Lächeln auf Priscas Lippen ab.

„Durchlöchertes Hemd“, begann sie aufzuzählen. „Eigentlich sollte ich erschüttert sein, dass ihr meine Schwester dort mit hineinzieht. Ansonsten einige Bisswunden, die schwerste am Arm. Es ist schön, dass du diesmal richtig viel abbekommen hast.“

„Zügel deinen Ton, Mädchen!“, fuhr der Vampir sie streng an. Sein Mundwinkel zuckte auf vor Schmerz, unter einer hektischen Bewegung. Die Fleischwunden waren weniger wichtig, als der Schuss, von dem aus qualvolle Wogen durch seinen Körper rauschten.

Prisca beachtete ihn kaum. Ihre Hand fuhr sanft über die Wange ihrer kleinen Schwester.

„Solange wenigstens du unbeschadet bist.“

„Ja!“, rief Xandra viel zu schnell und machte sich daran mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen, zum Ausgang zu laufen. Da hielt sie Prisca am Arm zurück.

Ihre Finger legten die Stelle frei, an der sich die Spur vom Biss zeigte. Sie würde die nächsten Tage mit einem Halstuch oder irgendetwas anderes, das ihren Hals verbarg, herumlaufen müssen.

Aus Wut wuchs Verzweiflung.

„Was ist passiert?“ Tränen stiegen in Priscas Augen. „Das kann nicht sein!“ Sie wandte sich an Drago. „Behaupte ja nicht, es hätte sich ein anderer Vampir in die Gegend verirr. Wir wissen alle, dass du dann sofort handelst.“

„Ist schon gut!“, versuchte Xandra ihre Schwester zu beruhigen. Drago mochte es schon während er normal war nicht, dass Prisca ihn anschrie. Wenn er sich wirklich in Vollmondnächten so verändert, wollte sie nicht wissen, was dann passieren konnte. „Du weißt, dass bei den Sachen unseres Vaters eine Phiole war.“

„Wir wissen aber nicht, ob dieses Zeug wirkt“, sprach Prisca und schlang ihre Arme um die Schwester. „Ich will nicht, dass du solch ein Monster wirst.“

„Ich habe es nicht gewollt“, warf Drago in einem verzweifelten Versuch ein.

„So sieht es aber nicht aus“, bellte Prisca ihm entgegen. „Du hast versprochen sie vor allem zu beschützen, nicht meine kleine Schwester dir für einen Mitternachtssnack aufzuheben.“

Dragos Hände ballten sich zu Fäusten, er tat einen Schritt auf die Schwestern zu, bekam sich aber noch in den Griff.

„Ob es wirkt oder nicht, seht ihr morgen früh“, rief er streng.

Prisca löste sich von ihrer Schwester, die sie jetzt genauso streng ansah, wie auch Drago.

„Du gehst auf dein Zimmer!“ Das Mädchen nickte und erst danach, wandte sich Prisca Drago zu. „Und du gehst in die Küche, damit ich deine Wunden versorgen kann. Für euch scheine ich nur noch eine Krankenschwester zu sein.“

Noch einmal strich der Vampir seinem Rapphengst über die Stirn, erst dann folgte er der Anweisung.

Xandra begleitete ihn.

Kapitel 4

 

 

Nachdem sich beide weit genug vom Stall entfernt hatten, brach Prisca schluchzend zusammen.

„Wieso?“, rief sie dem Vampir eine Frage nach. „Wieso kann er uns nicht in Ruhe lassen? Was sind wir denn schon für ihn? Zwei Mädchen, die da sind, um ihn zu amüsieren? Kann er sich denn niemand anderes suchen, um ihn zu quälen?“

James zog seine Adoptivtochter an sich. In den vielen Jahren, in denen er schon hier im Schloss lebte, hatte er beide so lieb gewonnen, als wären sie sein eigen Fleisch und Blut. Nicht nur der Bund mit einem Vampir, wie er es einst gesehen hatte.

Jetzt hasste er es, Pirsca so zu sehen. Wie sie zitternd da lag und weinte.

Beide Schwestern waren seit ihrer Kindheit in Dragos Obhut und nur Xandra wurde von ihm liebevoll behandelt. Zwischen Prisca und ihm stand ein bitterer Krieg, in dem sie meinte, ihre kleine Schwester beschützen zu müssen.

„Arme Kleine“, hauchte James ihr zu. „Drago ist manchmal ein Idiot.“

„Nett ausgedrückt“, war ihre Meinung. „Weiß du, was ihm das gibt? Wieso kann er uns nicht einfach gehen lassen?“

Es war wie in Xandras Zimmer. Er hatte kein Recht ihnen irgendetwas zu erklären. Das war ganz alleine Dragos Pflicht, wenn er nicht beide verlieren wollte.

„Er hat es nicht gewollt“, wiederholte James die Worte des Vampirs. „Wir wissen doch alle, wie viel Xandra ihm bedeutet.“

„Ja!“, brachte Prisca zwischen ihren Schluchzern hervor. „Ich weiß, wie er in Vollmondnächten ist. Er hat mir von seinem Fluch berichtet.“

Das hatte Drago getan? James hätte es ihm nicht zugetraut mit Prisca so ehrlich umzugehen.

„Drago meinte, ich hätte es so gut drauf, ihn auch an klaren Tagen zu reizen, dass ich in dieser Zeit einfach Abstand nehmen soll. Aber ich habe trotzdem Angst um Xandra.“ Ihre Tränen waren kurz verebbt, nur um jetzt wieder voll auszubrechen. „Was passiert, wenn das Mittel nicht wirkt. Was wird dann aus ihr?“

„Dein Vater war ein sehr guter Jäger, dass sagt auch Drago“, versuchte James das Mädchen aufzumuntern, was bei dem Geschehen nicht sehr einfach war. Aber er war auch zuversichtlich. „Wir sollten fest daran glauben, dass wirkt.“

Sie brachte durch ihr Schluchzen ein Nicken zustande. Wahrscheinlich dachte sie noch nicht einmal daran, was sie sich selbst aufgebürdet hatte. Die Ankündigung Drago zu verarzten, auch wenn selbst James an diesem Tag der Meinung war, der Vampir könne noch eine ganze Weile mehr unter den Verletzungen leiden.

Erst nachdem Prisca sich beruhigte, machten sie sich auf ins Schloss. Sie nahmen einen der Nebeneingänge. Er lag nahe beim Stall und führte durch einen kurzen Gang, direkt zur Küche. Dort hielt Prisca an der Tür inne, um in den Raum zu spähen.

Wie erwartet offenbarte sich dort folgendes Bild.

Wolfgang machte den jämmerlichsten Eindruck. In all die Bandagen gehüllt und mit geschienten Lauf lag er auf einem Läufer vor dem erkalteten Kamin. Seine Augen lagen starr auf die beiden am Tisch gerichtet. Drago und Xandra, die gegen den Willen aller noch nicht im Bett lag.

Drago schaute interessiert zum Obstkorb und griff sich kurz darauf eine der Orangen.

„Was hast du vor?“, verlangte Xandra zu erfahren, deren Misstrauen geweckt wurde.

Eine Frage, auf die er nur zu grinsen begann. Er nahm seinen Arm mit der Orange zurück und warf diese durch die offene Tür der Küche hin in den Speisesaal.

„Los Fiffi, fang!“, forderte er den Werwolf während des Wurfes auf.

Dieser jedoch ließ nur ein müdes Knurren von sich hören.

„Er ist kein Hund!“, empörte sich Xandra.

„Benimmt sich aber wie eine Töle“, entgegnete Drago sich und sah zu Wolfgang. „Außerdem nimmt er mir solche Scherze nicht böse.“

Wäre er nicht so erschöpft von dem Kampf, würde Wolfgang jetzt mit den Zähnen fletschen. In dieser Nacht kam nur ein Schnauben vom Boden.

„Könntest du versuchen, dich nur ein bisschen zu verändern?“, bat Xandra, nachdem sie all ihren Mut zusammen genommen hatte. „Ich mag dich, aber ich mag auch die anderen. Mit James kommst du ja klar. Aber Prisca und Wolfgang sind meine Familie. Ich mag es nicht, wenn du sie quälst. Besonders meine Schwester.“

Für einen Moment wirkte Drago unschlüssig.

Er war der mächtige Vampir. Zu stolz sich von irgendjemanden etwas befehlen zu lassen, wie es Wolfgang und Prisca oft taten, besonders wenn es um Xandra ging. Sich da in ein friedliches Leben einzugliedern, eine Gemeinschaft, die sich gemeinsam bestimmte, nicht von einem einzelnen beherrscht wurde, wäre für ihn unmöglich.

„Bitte!“, flehte Xandra und griff nach seinen großen Händen. „Mir wäre es egal, was ihr zu meinem Geburtstag macht oder ob ich beschenkt werde. Mein einziger Wunsch ist, dass es Prisca und Wolfgang leichter haben. Kannst du nicht wenigstens versuchen, mit ihnen Frieden zu schließen. Für mich.“

Xandra wusste genau, welche Worte sie anschlagen musste, um die Bestie vor sich zu zähmen. In ihrer Nähe zeigte sich der Vampir oft von seiner friedlichen Seite.

Wie jetzt, wo er mit dem Zeigefinger der rechten Hand kleine Kreise auf ihrem Handrücken zeichnete, während er überlegte.

„Das würde schwer werden.“ Genauso wie er sich auch dazu überwinden musste, diese Worte überhaupt über die Lippen zu bringen. „Ich kann es versuchen.“

Die erste Probe stand sofort an.

Vom Boden aus, drang ein missmutiges Knurren zu ihnen. Nur mit viel Beherrschung konnte der Vampir verhindern, dem Werwolf einen finsteren Blick zuzuwerfen.

„Über Langeweile können wir uns wohl nicht beklagen“, rutschte es James leise heraus.

„Etwas mehr Langeweile würde mir schon genügen“, gestand Prisca.

Selbst die Worte des Vampirs waren für sie die reine Qual. Entgegen der Hoffnung ihrer jüngeren Schwester, glaubte sie nicht an Frieden. Und wollte auch kein friedliches Leben mit ihm, nachdem er die Eltern der beiden Mädchen ermordet haben sollte. Prisca war vier Jahre alt. Sie hatte sich hinter dem Bett versteckt, von wo sie alles mit ansehen musste.

Am Allerschlimmsten war es für sie ihre Schwester zu sehen, die dem Vampir so viel Gefühl entgegenbrachte.

„Xandra, geh ins Bett“, rief Drago. Um seine Worte zu untermauern, zog er seine Hände zurück. „Du hast heute genug durchgemacht.“

Wie automatisch kam ein Gähnen von ihr. „Du hast wohl Recht“, gab sie als Antwort darauf zu.

Sie stand vom Tisch auf. Doch bevor sie die Küche zum Esszimmer verließ, hockte sie sich zu Wolfgang hinunter.

„Schlaf gut“, wünschte sie ihrem wölfischen Cousin.

Egal, ob Wolfgang drauf bestand in Vollmondnächsten genauso menschlich behandelt zu werden, wie an jedem normalen Tag, genoss er Xandras Streicheleinheiten sichtlich.

Erst danach verließ Xandra die Küche. Nicht so voller Elan wie sonst, eher mit schlurfendem Gang. Es war wirklich zu viel für das Mädchen. Dann noch der Blutverlust.

Wolfgang wollte schon hinter ihr her, um sie sicher ins Bett zu bringen, doch Drago hielt ihn zurück. Xandra sei stark genug, war seine Meinung.

Drago lauschte in die Ferne, bis sich die Schritte des Mädchens verloren.

„Wie lange seid ihr schon da?“, wollte er jetzt von den beiden stummen Zuhörern erfahren.

James war es, der die Tür aufstieß und als erstes eintrat, gefolgt von Prisca. Es war eine Geste des Schutzes für das Mädchen, auch wenn James wusste, dass es unnötig war. Beide gerieten sehr oft aneinander, besonders wenn niemand anderes in der Nähe war.

Nur Xandra gelang es dem stolzen Vampir in Gespräche zu locken oder anderes zu tun, die ihn bei jemand anderes in Rage versetzen würden. Bei ihr jedoch wurde er nur selten laut. Zu James eigenem Glück wusste Lizzy nichts von allem und ging auch so Drago oft aus dem Weg, so dass sie wenigstens nicht diese Seite an ihm kennen lernte. Es war schlimm genug, eine seiner Adoptivtöchter in ihrer Qual zu beobachten. Bei seiner eigenen Tochter würde er da nicht wegsehen können.

Dragos Miene verzog sich vor Schmerz, als er das Hemd auszog. Prisca trat sofort einen Schritt zurück.

Am qualvollsten für den Vampir war wohl der Schuss in die Schulter.

„Silber, oder die Mischung unseres Vaters?“, erkundigte sich Prisca, bevor sie einige Schritte auf ihn zu tat.

Drago verzog erneut das Gesicht über die blanke Frage. Seine Fingernägel gruben sich in Holz des kleinen Küchentisches.

Bis eben, in Xandras Nähe, konnte er sich beherrschen, doch jetzt entstellte eine Grimasse des Schmerzes und der unbändigen Wut das Gesicht des hübschen Vampirs.

„Wie ich diese Dinge hasse“, spie er aus.

Wieder trat Prisca einige Schritte zurück, stieß dabei sogar gegen einen der Schränke, von dem sie fast einen der Teller mit ihren Händen fegte.

„Pass auf!“, fuhr er sie zur Krönung von allem noch an.

In dieser Nacht war er noch ungehaltener, als sonst. Besonders jetzt, wo alles Eis geschmolzen war und die Kugel nun ihre volle Wirkung zeigen.

„Ob es helfen würde, wenn ich versuche, die Rückstände auszuspülen“, erkundigte sie sich mit unsicherer Stimme.

Drago wirkte mehr denn je wie ein wildes Tier, das darauf lauerte, sein Opfer im geeigneten Augenblick zu reißen.

„Versuch es!“, presste er zwischen seinen Zähnen hervor.

Mit ihren zitternden Händen nahm sie eine Karaffe aus dem Schrenk um diese mit frischem Wasser zu füllen. Man hörte sie deutlich schlucken, bevor das Mädchen sich zu ihm traute.

Ein kühler Schwall kaltem Wassers, lief über die nackte Brust des Mannes und ihre zarte Hand, die sie zaghaft darauf presste.

Ein gellender Schrei drang aus seiner Kehle, bei dem das junge Mädchen von ihm wegeilen wollte. Doch Dragos Hand legte sich auf ihre.

„Ich brauche neue Sachen“, stieß er unter durch seine Schmerzeslaute hervor. Der klägliche Versuch sich von der Qual abzulenken. „Es wäre schön, wenn du in die Stadt gehen würdest.“ Seine Finger schlossen sich schmerzhaft fest um die Hand des Mädchens. „Ewas nettes für Xandras Geburtstag wäre auch ganz passend“, keuchte er auf, während sich der Wasserstrahl in seine Wunde ergoss. Seine Hose entlang, unter dem Stuhl hatte sich schon eine Wasserlache gebildet.

James Hand legte sich auf die Schulter seiner tapferen Adoptivtochter, der es gelungen war, einen Teil der Kugelrückstände heraus zu spülen.

„Lass mich das machen“, ordnete er an. „Es war eine harte Nacht für alle beteiligten. Geh ins Bett, ich kümmere mich um unseren edlen Schlossherren.“

Es gelang dem Mädchen nicht über den Scherz zu lachen, aber sie gehorchte. Mühsam entwand sie ihre Hand Dragos festem Griff. Doch als sie wie ihre Schwester zum Esszimmer verschwinden wollte, hielt Drago sie zurück.

Wie eine unsichtbare Fessel, legte sich seine Macht über sie, bis sie still stehen blieb, den Blick abwesend in den Raum gewand.

Der Werwolf am Boden hatte bisher alles still beobachtet, jetzt aber stieß er ein drohendes Knurren aus, dass deutlich sagte: „Lässt du sie nicht augenblicklich gehen, reiß ich deinen anderen Arm in Stücke.“

„Drago lass sie in Ruhe“, bat James den Vampir.

Dieser aber wandte sich nur ungerührt von allem ab.

„Könntest du dich bitte um meine Wunden kümmern“, rief Drago mit befehlerischer Stimme. Den Werwolf ignorierte er vollkommen, der hilflos zu seiner Cousine schaute.

Der Wolf richtet sich auf. Tänzelte unruhig um sie herum und versuchte mit einem heißeren Jaulen eine Reaktion von ihr zu bekommen, doch Prisca war ganz vom Bann des Vampirs gefangen.

Wie ihm geheißen, so folgte James. Wesentlich grober, als das Mädchen, versuchte er die Reste der Kugel auszuspülen. Eine recht klare Substanz mit einigen Splittern darin. Geriebene Kräuter und andere Zutaten.

Es gelang nicht restlos, dafür hatten sich die Splitter zu weit in sein Fleisch gegraben aber es schien ihm ein wenig Linderung von dem Schmerz zu verschaffen.

James verschloss die Wunde mit einem Pflaster, dann versorgte er sich um den gewaltigen Biss am Arm. Drago wollte später selbst die Bisswunden an seinen Beinen versorgen.

„Priscilla!“, rief der Vampir streng, nachdem alles fertig war.

Noch ehe das Mädchen einen Schritt gehorsam auf ihn zu tat, war auch schon der Wolf in den Weg gesprungen und stand jetzt mit gebleckten Zähnen vor ihm. Ein tiefes Knurren rollte seine Kehle hinauf.

Das Mädchen lenke ihre Schritte auf einem Weg, den Drago ihr vorgab, um den Wolf herum, bis sie sich in seinem Schoß nieder ließ. Ihren Kopf lehnte sie gegen seine Brust.

Mit einem Angriff von dem Wolf war jetzt nicht mehr zu rechnen. Er wusste, dass er sonst womöglich die eigene Cousine verletzt hätte.

„In solchen Nächten ist es schwer mich zu beherrschen“, stieß es aus Dragos Kehle hervor, wie das schnurren eines Katers. Seine Hand, tätschelte das Gesicht des Mädchens, deren grünen Augen, leer wirkten. „Beide sind in den letzten Jahren wunderhübsch geworden.“

„Lass sie in Ruhe!“ James Stimme erklang zur selben Zeit wie das Knurren des Wolfes.

„Es würde mich zwar nicht stören, wenn sie das gleiche Interesse wie ihre Schwester zeigen würde aber beide sind für mich tabu.“

Die Hand des Mannes kam auf dem Bach des Mädchens zum Ruhen. James hoffte, sie erinnerte sich morgen nicht mehr an den Zwang des Vampirs. Sie würde ihn dafür hassen.

James beäugte Drago skeptisch und selbst Wolfgang ließ sich nicht von seinen Worten beruhigen. Sie schürten noch eher den Zorn des Wolfes, der drohend mit seinem Fang in die Luft schnappte.

„Priscilla“, stieß Drago erneut befehlerisch aus. Ihre Augen lagen jetzt ganz auf dem Gebieter. „Schlaf!“, ordnete er in einem einzigen Wort an.

Der Körper des Mädchens erschlaffte in seinen Armen. Er Fing mit der seiner Schulter ihren Kopf auf, der daran hinab wieder zurück an seine Brust sank.

„Was hast du vor?“, verlangte James voller Skepsis zu erfahren.

Egal was Drago gesagt hatte, in James gewann eine Angst an Macht, die er zuvor noch nie hatte, als er den faszinierten Blick des Vampirs auffing.

Beide Mädchen waren wirklich wunderhübsch, da musste James ihm Recht geben.

Die Finger des Vampirs spielten mit einer Locke ihres goldenen Haares.

„Ich könnte ihr einen schönen Traum für diese Nacht eingeben“, sage er und studierte interessant, jeden ihrer zarten Gesichtszüge. „Zum Beispiel von mir. Vielleicht bringt das uns näher.“

Sofort drang ein erneutes Knurren von dem Wolf aus zu Drago.

„War nur ein Scherz.“ Ein vergnügtes Lachen drang vor dem Vampir, bevor seine Stimme ernster wurde. „Sie wird nach all dem, was heute passiert ist, kaum Schlafen können. Ich denke, dass es jeder von uns weiß.“

Er hob den Körper des Mädchens leicht an und senkte seine Lippen an ihr Ohr.

„Vergiss was in den letzen Minuten passiert ist, seitdem du die Küche betreten hast“, sagte er mit sanfter Stimme. „Denk an deine kleine Schwester und vergiss für diese einzige Nacht, was mit euren Eltern passiert ist. Träum von ihnen. Von einem schönen Sommertag, lange vor dieser Zeit.“

Drago wandte sich James zu. „Dein kleines Töchterchen kennst du am Besten. Sie wird nach der Party sicher bei irgendeinem Jungen die Nacht verbringen. Also geh ins Bett. Es bekommt dir nicht gut, wenn du immer so lange wachst, bis Lizzy meint, nachhause zu finden. Überlass es diesmal mir. Ich schau später nach ihr. Ich muss noch mal in den Wald, um Xandras Waffe zu suchen.“

Drago hob das schlafende Mädchen in seine Arme, begleitet vom wachsamen Blick des Wolfes.

„Ich bring Prisca in ihr Bett.“

Das Mädchen kuschelte sich wohlig an die nackte Brust des Vampirs. Ein Lächeln legte sich auf ihre vollen Lippen. Einer der wenigen Augenblicke, für den James Drago dankbar war und ein angenehmer Ausgleich für die sonstigen Streits.

„Du kannst mitkommen, wenn du mir nicht vertraust“, rief Drago dem Wolf zu. „Es stört mich nicht, wenn du vor ihrer Tür wachst. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich dich vor Sonnenaufgang sogar wecken.“

Wolfgang folgte dem Vampir hinaus und auch James sah ein, dass Drago Recht hatte. Müde von der langen Nacht, ging er ins Bett.

 

Unruhig drehte sich Xandra in ihrem Bett von einer Seite auf die andere. Nichts half. Ihre Gedanken waren viel zu sehr mit dem beschäftigt, was in dieser Nacht geschehen war.

Der Biss. Xandras Finger betasteten die Stelle, an der seine Zähne grob in ihren Hals stießen. Ein kurzer, brennender Schmerz ließ sie zurück schrecken.

Dann die Szene im Stall. Was er ihr erzählt hatte aber auch, als sie in seinen Armen hielt. Sie sahen sich tief in die Augen und… Ein Kribbeln durch fuhr ihren ganzen Körper vom Bauch aus, bis hin in die Wangen, die von einer angenehmen Wärme erfüllt wurden.

Alleine der Gedanke an diesen Blick vertrieb den Schmerz in ihrem Hals.

Was sie dabei gefühlt hatte. Dieses so starke verlangen seine Lippen zu spüren, oder vielleicht war es wirklich sein Wunsch. Normalerweise konnte sie das auseinander halten. Doch nicht in dieser Nacht. Es schien sich eher zu verschmelzen.

Ein Geräusch drang zu ihr. Jemand schloss vorsichtig die Tür auf und drückte die Klinge herunter. Dann öffnete sich die Tür.

Da ihr Schloss öfters Gäste beherbergte, hatte sie sich angewöhnt, ihre Tür zu verschließen. Nur die Bewohner des Schlosses besaßen einen Schlüssel dazu. Wie auch ihr nächtlicher Besucher.

„Dass du dich zu dieser Urzeit ins Zimmer eines jungen Mädchens schleichst“, rief sie ihm zu.

„Entschuldige, falls ich dich geweckt habe“, kam es sofort von ihm.

Xandra schüttelte den Kopf.

„Nein, ich kann nicht schlafen.“ Ihre Finger tasteten nach dem Knopf fürs Licht ihrer Nachttischlampe.

Sofort, als ein Lichtfunken aufblitze und das Zimmer von einem gedämpften Licht erfüllt wurde, wandte er seinen Blick von ihr ab. Dragos Agen waren an die Dunkelheit gewöhnt, so dass ihn sogar dieses eigentlich recht dunkle Licht blendete.

Erst langsam nahm er seinen schützenden Arm herunter, wandte sich aber weiter zum Schrank, wo er ein Kästchen in die Hand nahm, das offen herum stand. Normalerweise bewahrte sie darin ihre Pistole auf, die sie im Wald vergessen hatte.

Umso überraschter war sie, als er in seine Tasche griff und eine hell blitzende Pistole herausholte.

„Danke“, kam es verlegen von ihr. Während sie ihn weiter beobachtete, wie er die Waffe zurücklegte. Als nächstes warf er einen Blick in das Kästchen daneben. Darin lagen ein paar Dinge, die ihr vom Vater geblieben waren. Darunter auch die Phiole, die er heraus zog und im sanften Schein der Lampe betrachtete.

„Ich hab nach Lizzy geschaut. Ihr geht es auch gut aber ich denke nicht, dass sie die Nacht noch ins Schloss kommt. Dabei hab ich auch deine Pistole eingesammelt. Ich will nicht, dass sie womöglich einer der Dorfbewohner findet.“

Von der Flüssigkeit in dem kleinen Flächchen war fast alles aufgebraucht. Xandra wollte nicht wissen, ob es für eine weitere Dosis reichte. Es war das erste Mal, dass Drago sie gebissen hatte und sie konnte sich jede weitere Wiederholung sparen.

„Wenn du es dir wünschst, fertige ich ein paar Portionen von dem Mittel an“, rief er zu Xandras Überraschung. Drago schien ihre Verwunderung darüber aufzufangen. „Xan, wie du weißt, lebe ich schon sehr lange. Du kannst dir gar nicht vorstellen, mit was die Leute alles schon auf mich losgegangen sind. Umso amüsanter war es, sie deren Wirkungslosigkeit zu präsentieren. Dieses Mittel ist mir ebenfalls bekannt.“

Sie brauchte ihm keine Antwort geben. Wenn dieses Mittel half, war es ihr angenehm für den Notfall mehr zur Hand zu haben.

Drago legte das Flächchen zurück, um dann zu ihr zu kommen.

Ein verzücktes Seufzen stieß aus ihrer Kehle, als er siech zu ihr setzte und so einen reumütigen Blick aufsetzte, dass es ihr schwer viel, dem nicht nachzugeben.

„Bist du mir noch sauer? Ich schwöre, dass ich dir nie etwas antun würde. Und ich flehe dich wirklich an, bleib mir in Vollmondnächten fern.“

Seine Lippen. Sie waren ihren so nah. Xandra hätte nur noch ihren Kopf heben müssen.

Noch ehe sie sich selbst begreiflich wurde, was hier passierte, schob sich schon Dragos Finger als Trennlinie zwischen beide und blieb auf ihren Lippen ruhen.

„Egal was du dir wünschst, dies kann ich dir nicht erlauben“, sagte er ruhig. „Xan, sieh es bitte ein. Es gibt doch bestimmt in deiner Schule einen netten Menschen. Auch wenn alle wissen, welche Gefühle du zu mir hast. Versuch sie zu vergessen und such dir einen menschlichen Freund. Jemanden, der dich gut behandeln würde.“

Drago löste sich ganz von ihr und stand auf. Sein Weg führte ihn noch nicht zur Tür, sondern ans geöffnete Fenster, wo er nach draußen griff, um die Fensterläden zu schließen.

„Ich lass sie dir einen Spalt breit offen. So kannst du selbst überprüfen, ob das Mittel wirkt. Es ist besser, als dich womöglich zu verlieren, falls das Mittel nicht hilft.“

Sie nicke ihm zu und war froh, dass er daran dachte.

„Jetzt schlaf!“, ordnete er an. Gehorsam legte sich Xandra zurück ins Bett.

Noch ein einziges Mal, senkte er sich zu ihr herunter an ihr Bett.

„Ich werde dir versprechen, dass ich versuche mich mit Wolfgang und Prisca auszusprechen. Ob es klappt, dir deinen Wunsch zu erfüllen, kann wohl noch niemand sagen. Aber ich werde es diesmal wirklich versuchen.“ Wie zu der Zeit, als sie noch ein kleines Kind war, drückte er ihr seine Lippen in einem sanften Kuss auf die Stirn. „Jetzt schlaf, meine Liebe.“

Die Schwere einer plötzlichen Müdigkeit legte sich über sie, die Drago herbeirief. Nicht so plötzlich, wie wenn er einen Menschen beeinflusste aber dennoch ohne Möglichkeit sich dem zu widersetzen.

Ihre Lieder schlossen sich und sie hörte nur noch Dragos monotone Stimme, die sie in einen angenehmen Traum geleitete. Viel zu fantastisch um real zu sein und dennoch mit der Verheißung seines tiefen Versprechens.

Impressum

Bildmaterialien: Folgt, müsste aber von AshenSorrow (deviantart.com) sein
Tag der Veröffentlichung: 21.11.2011

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