Das Erbe der Amazonen
Wer sich zum Beginn der Geschichte begibt, kann hier die Reiheinfolge einsehen und somit gleich erfahren, was noch folgen wird.
Viel Spaß!
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Band 1: Blutige Schwingen - beendet -
Band 2 (Alinas Weg): Zerbrochen Familienbande - in Arbeit -
Band 2 (Eros Weg): Henkersohn - in Arbeit -
Band 3: Tempel der Weissagungen - in Planung -
Im Osten durchbrachen die ersten Sonnenstrahlen die Nacht. Zwischen den Bäumen ließen sich vereinzelt glühende Funken ausmachen. Nicht mehr lange und ihr Weg in Richtung Südwesten würde vom morgendlichen Licht überflutet werden.
Bis jetzt blieb die dunkle Gestalt unentdeckt.
Wie ein Dieb schlich sie durch die Schatten der Nacht, darauf bedacht keinen Laut von sich zu geben und die Spuren von Ross und Reiter versteckt zu platzieren.
Belohnt wurde sie mit einem guten Vorankommen. Innerhalb dieser einen Nacht gelangte sie in die Nähe der Landesgrenze.
Es konnten nur noch wenige Schritte sein.
„Halt!“, ein geschriener Befehl ließ sie innehalten. Zu nah, um mit dem Ross einfach davon zu galoppieren. „Bleibt stehen!“
Sie gehorchte.
„Dreht Euch langsam um und enthüllt mir Euer Gesicht!“
Es war eine der Grenzwachen. Ein junger Mann kaum die Dreißig überschritten, mit viel zu sanfter Stimme für diesen Posten und einem kleinen, robusten Pony unter sich. Doch trotz einem vertrauten Klang darin, sah sie sich gefangen im Anblick der silbernen Klinge.
Bei ihrer Weigerung zu einem Drittel gezogen, blitzte sie im Schein des Lichtes auf und versetzte das Mädchen in eine Zeit, die weit zurücklag.
Und als sei sie noch das kleine Mädchen von damals, wich sie in ihrem Sattel zurück.
Der Mann beachtete das nicht. Er wiederholte ihren Befehl ein zweites Mal, sein Beidhänder fest in der Hand und endlich konnte sich das Mädchen lösen.
Die Starre der Zeit viel von ihr ab.
Immerhin war sie keine vier Jahre alt mehr, sondern ein junges Mädchen, das sich zu verteidigen wusste.
Sie nahm die Kapuze des langen Mantels ab und jetzt war es der Mann, der mit samt seines Ponys zurückwich.
Im silbernen Mondlicht wirkte das gewöhnlich honigblonde Haar blässlich, fast schon weiß. Ihre Haut schien von Elfenbein überzogen. Und auf der weißen Stute hatte sie nichts von einem todbringenden Egel, wie sie von manchem genannt wurde.
Dem jungen Mann erschien sie sogar wie eine Fee. Bis er ihre Züge einer jüngeren Erinnerung von ihr zuordnete.
„Alina!“, stieß er fassungslos aus und beide wussten sogleich, seine Wiedersehensfreude, durfte in dieser Nacht ihrer Flucht nicht sein.
Die Grenzwache sah sich um.
„Was tut Ihr alleine in dieser Gegend?“ Der junge Mann wirkt irritiert. „Und wo ist Ero? Ihr seid gewöhnlich unzertrennlich.“
Alina konnte seine Verwirrung nur erwidern. Sie wusste nicht, wer dieser Mann war, oder wieso er ihr so vertraut entgegenkam. Nicht alleine mit Worten. Nach Anweisung seines Herren, näherte sich das kleine Pony ihr. Die Waffe glitt zurück in die Scheide.
Jegliche warnende Geste wurde von ihm abgelegt.
Dafür nahm er sie nun in einem fast brüderlichen Blick auf. Seine Lippen schürzten sich und sein Ton klang streng.
„Sagt mir, was los ist, dann sehe ich darüber hinweg, dass es aussieht, als wolltet Ihr unerlabt die Grenze ins Nachbarland überschreiten, Alina.“
Der junge Mann richtete sich im Sattel auf.
Anhand des Wuchses der Bäume zog er drei imaginäre Linien. Jede von ihnen zeugte von der Grenze eines der Länder.
Miro zu Ura würde er sie willkommen heißen. In ihren Sachen befand sich ein Reisepass, der ihr jederzeit erlaubte, die Grenze zu überqueren. Was die Grenze zu Lerana betraf, war es höchstens dem adeligen Ero erlaubt, dessen Vater seine Söhne öfters zum Handel losschickte.
„Sagt, was ist los!“, forderte die Grenzwache sie auf. „Ist etwas mit Eurem Freund oder der Schule? Was könntet Ihr im Feindesland wollen? Oder seit Ihr sogar wegen eines eurer Auftritte unterwegs? Dann dürfte Eurer zukünftiger Schwiegervater auch Euch die nötigen Pässe besorgt haben.“
Der Junge Mann legte sich auf dem Pony nach vorne und streichelte sein ruhiges Tier, dass von einem Strauch ein paar Blätter abzupfte. Auch Belena wollte davon kosten, was Alina ihrer Stute verbat.
„Ja!“, sagte sie. Im gleichen Moment befahl sie ihrer Stute einen Schritt zurück. „Das könnte ich tatsächlich. Aber sagt mir zuerst, woher Ihr mich kennt.“
Ein magerer Versuch sich um das eigentliche Thema zu drücken.
Sie pendelte gewöhnlich zwischen Miro und Ura. In eines der anderen Länder wollte sie noch nie.
Nicht nach Saron, wo ihre Mutter den Tod fand, oder Lerana.
Ihr Gegenüber lächelte in dieser Art, die besagte, er würde sie sehr gut kennen.
„Alina, erinnert Ihr euch wirklich nicht?“, wollte er wissen. „Es ist natürlich, immerhin durchlaufen viele Schüler die Ausbildung von Marno. Ich war bis vor zwei Jahren Schüler dort. Und wie ich denke, empfände es euer Vater eine Verschwendung einen seiner besten Schüler als Grenzpatrouille zu wissen. Aber mir macht die Arbeit Spaß. Besonders wenn ich Händler begrüße und bei denen am Lagerfeuer die interessantesten Geschichten höre. Nun sprecht Alina, in welchen Auftrag seid ihr unterwegs?“
„Keinen!“, gestand sie mit vor Traurigkeit schwerer Stimme.
Sie durfte keine weitere Seele in Gefahr bringen.
„Ihr könntet auch zwei weitere Schritte zurücktreten.“ Er deutete auf den Baum hinter ihr. „Dort seit Ihr wieder in Ura und ich habe keine Befugnis euch aufzuhalten.“
In der Ferne konnten beide die Fackel einer weiteren Grenzwache aus dem anderen Land ausmachen. Ohne zu zögern, drehte sich Alina um.
„Beeil dich!“, rief ihr der Junge hinterher.
Sofort gab sie Belena die Anweisung in Galopp loszubrechen.
Für Mitleid mit ihrer alten Stute bleib keine Zeit, oder einem Ruf des Dankes an den Mann.
Sie sprang über einen Baumstumpf, aus dem Wald hinaus und wäre beinah eine Böschung hinuntergestürzt.
Gerade rechtzeitig fanden Belenas Hufe festen Stand auf dem abfallenden Untergrund. Auf einer kargen Weide ritten sie durch den aufgehenden Sonnenschein.
Das Morgenrot spiegelte sich in seinem Feuer auf der linken Seite des schmutzig weißen Fells der Schimmelstute.
Mejo streckte seinen Arm nach der anderen Grenzwache aus.
„Lass sie!“, befahl er dem Anderen, der sich gerade daran machen wollte, hinter der Flüchtigen herzueilen.
Bei ihm würde Alina vergebens auf Mitleid treffen.
„Kannst du mir verraten, wieso ich darauf hören sollte?“, verlangte der ältere Mann mit fester Stimme zu hören. „Du weißt, welche Strafen die Könige für unerlaubte Grenzübertritte vorsehen. Deine Freundin sollte keine Ausnahme bilden.“
„Sie hat sicher ihre Gründe“, sagte Mejo in Gedanken verloren. Er sah sie in der Ferne verschwinden und wünschte ihr, was immer sie in diesem Land suchte, sie würde es finden.
Lerana, das Land von Zauberern und der Magie. So wurde es im Volksmund genannt.
Und tatsächlich besaß es etwas Magisches.
Belenas Hufe tänzelten unruhig auf dem weichen Untergrund. Ein Gras aus vollem Grün erstreckte sich unter ihnen, soweit ihre Augen sahen, und in dem sich die ersten Blüten an diesem Morgen öffneten.
Es lud nicht nur die Stute ein, darin zu rennen, zu springen und zu tanzen.
Den Klängen der Natur verliehen allem eine Harmonie, von der Alina nicht wusste, ob sie trog.
In der Nähe weidete eine Kuhherde.
Alles wirkte so friedlich, wie sie es sich für ihre Heimat wünschte.
In Miro gab es viele Landstriche, die Schlachten zerstört waren.
Die Felder trugen keine Früchte, das magere Vieh zeigte sich über jeden Grashalm dankbar.
Und selbst dieses wenige wurde untereinander geneidet.
Viele Bauern lebten mit der Angst, Viehdiebe könnten ihnen diese Grundlage des Lebens stehlen. Jedes Stück Vieh oder aufgehendes Saatkorn, entschied darüber, ob sie der Forderung ihres Königs nachkommen konnten und was letztendlich ihnen selbst blieb.
Ihre Könige, denen das Wohl ihres Volkes am Herzen liegen sollte, sahen jeden säumigen als Dieb an ihnen.
Alina hegte Hoffnung in die beiden Prinzen von Ura und Miro. Man hörte, dass sie sich zurzeit zu Studienzwecken im Ausland aufhielten. Was sie daraus mitbrachten und ob sie dem Weg ihrer Vorfahren folgten, würde sich erst zeigen, nachdem sie an die Macht kämen.
Bis dahin würden noch viele Jahre dahingehen.
Einst gaben die Amazonen den Bürgern Hoffnung. Sie kämpften für ihre Ideale und die Freiheit aller. Und selbst 14 Jahre, nachdem die stolze Königin auf den Straßen Teljas starb, lebte ihre Legende weiter.
In den Köpfen der Leute. Hier zählten sie zum Symbol des Widerstandes und der Hoffnung.
Wie würde das Urteil dieser Leute ausfallen, wüssten sie, dass sich die Tochter dieser Kämpferin auf der Flucht befand? Könnten sie womöglich ihr Handeln und ihre Gefühle verstehen? Die Angst erneut alle Personen zu verlieren, die sie liebte?
Alina erhob den Kopf und sah zurück.
Ihre Heimat lag in der Ferne. Man konnte den Wald verschwimmend sehen.
Ach Ero. Hoffentlich hielt Morlo sein Versprechen, ihn unbeschadet gehen zu lassen. Und Marno, wie anders sollte sie handeln? Wie anders konnte sie Nettes Zorn auf ihr Versagen und die Schule abwenden?
Mit vor Gram schreiendem Herzen rief sie ihrer Stute zu, sie solle weiter.
Noch gab es keinen Platz zum Ruhen.
Auf ihrem Weg kam Alina an in vollem Korn stehenden Feldern vorbei. Sie liebkoste die Ehren mit ihren Fingern, als seien diese etwas Besonderes. Und wie sehr wünschte sie sich, dieses von der Sonne in glühendem Gold stehende Gut zu befreundeten Bauern zu bringen.
Eine ganze Ernte davon könnte die Familien den Winter überstehen lassen.
In der Ferne sah sie ein kleines Bauernhaus stehen.
Ihre Reise führte weiter durch friedliche Landstriche. Manchmal sah sie Bauern bei der Arbeit, grüßte diese freundlich und zog weiter.
Eine Familie bot der Reisenden sogar ein Mahl und Ruhe für ihr Pferd.
Da es abends war, nahm sie gerne an, mit Belena im Stall unterzukommen. Dafür bedankte Alina sich am nächsten Morgen, indem die Tiere schon fertig versorgt waren, als die Familie aufstand.
Als Entlohnung wurde Alina sogar Proviant für ihre weitere Reise gereicht.
In ihrer Fantasie nahm Lerana schon immer die Form eines Landes an, in dem Magier und Hexen lebten. Kein Ort, indem herzensgute Menschen sie mit ihrer Gastfreundschaft aufnahmen.
Als Kind stellte sie sich die Wälder voller magischer Wesen und Feen vor. Und meinte, die Burgen und Dörfer seien so finster, wie ihr Telja bei ihrem ersten Besuch erschien. Nur dass die Wachen an den Toren statt Menschen, Feuer speiende Drachen waren.
Durch diese Träumerei fühlte sie sich von der Realität ein bisschen enttäuscht.
Dennoch konnte sie auch ein Feuer der Neugier nicht verschweigen, als sie mit Belena den Pfad zur ersten Stadt auf ihrer Reise beschritt.
Die Häuser wirkten klein, fast schon nichtig. Die vorwiegende Bauart bestand aus Stein. Manches wollte herrschaftlich durch Verzierungen glänzen. Vermutlich das Heim einer Familie, die mit dem Handel ihr Vermögen gemacht hatte.
In den Straßen herrschte noch immer ein geschäftiges Treiben, obwohl der Markttag gerade beendet wurde.
Alina erhob sich im Sattel ihrer Stute und versuchte vom Rand davon aus, zu erspähen, was angeboten wurde. Einer der Karren hatte gepökelten Fisch geladen.
In ihren Satteltaschen verwahrte sie ein paar Münzen. Es würde reichen ihr ein schönes Mal zu kaufen.
Ihre Schule lag nicht in der Nähe zum Meer und die Händler auf den Märkten in Miro baten sehr selten Fisch an. Sodass Djoni, wie diese Stadt genannt wurde, für sie einen noch größeren Reiz bekam.
Diese Stadt wartet mit einer weiteren Überraschung für ihre Gäste auf.
Alina setzte sich gerade wieder in den Sattel, da flog ein gewaltiger Feuerball über die Dächer der Stadt und zersprang an seinem höchsten Punkt in viele kleine Funken, die den Himmel für einen kurzen Moment in ein glühendes Rot tauchten.
Die Stute unter ihr scheute vor dem Spektakel.
Alina gelang es kaum, sie unter Kontrolle zu halten.
„Was ist hier los?“, fragte sie.
Die Bewohner der Stadt kümmerten sich weniger um das Feuer am Himmel, von dem ein zweiter Ball über sie hinweg rollte. Ihr Schimpfen galt der Besucherin mit ihrem verängstigten Tier.
„Bleib ruhig, Belena“, flüsterte sie ihrer Stute besänftigend zu.
In ihrem Kampf hatte die Stute einen der Warenkörbe umgeworfen.
Das Tier tippelte unruhig im Kreis herum, den ihr die Leute boten, nur um nicht von der wild gewordenen Stute umgerannt zu werden.
„Ruhig, mein Mädchen.“
Und tatsächlich gelang es der Herrin, ihre Stute mit ihren Worten zu besänftigen.
Alina tätschelte der Stute über den Hals, die wild schnaubend da stand und solche Abenteuer in ihrem Alter nun wirklich nicht mehr brauchte.
Die Leute gingen ihrer Tätigkeit weiter nach und Alina stieg gerade aus dem Sattel, da flog ein weiterer Feuerball über den Himmel hinweg.
Alina wollte sich am Sattel festkrallen aber sie kam zu spät.
Belena sprang vom Schreck aufgescheucht in den Galopp und warf ihre Reiterin ab. Donnernde Hufe schreckten die Leute auf. Dort eine Mauer. Ihre Stute kam in einem heulenden Wiehern mit den Füßen aufstampfend zum Stehen. Sie trat nach dem Objekt am Himmel. Aber ihre Stute am Boden, würde es nicht erwischen können oder den Zauber wegscheuchen. Dafür mussten sich die Leute vor den fliegenden Hufen in acht nehmen, unter deren Bewegungen sich der am Sattel befestigt schwere Beidhänder löste.
Als er mit einem Knall aufschlug, reichte das der Stute.
Sie setzte in einem wilden Galopp zur Flucht aus der Stadt an.
„Belena!“ Alina rannte ihr einen Teil des Weges nach aber sie wusste, dass sie ihre Stute nicht würde einholen können.
Für ihr Alter besaß sie noch immer einen guten Spurt.
„Oh Belena.“ Alina ließ sich in einem Seufzen auf den Boden fallen und sah der Stute nach.
Die Bewohner um sie herum hatten kein Mitleid für das Mädchen übrig. Sie hörte aufgebrachte Worte und Schimpfen gegen eine Fremde, die ihr Tier nicht für den Besuch hier vorbereitete.
Es sausten drei weitere Feuerbälle über den Himmel, bis sich alles beruhigt hatte.
Das Schauspiel verebbte.
Alina ging zu dem Marktstand mit Obst, dessen Korb voller Pfirsiche ihre Stute in ihrer Scheu umgeworfen hatte.
Sie nahm einen davon in die Hände, dessen pelzige Oberfläche Beschädigungen aufwies. Mit Belenas Flucht, besaß sie nun nicht einmal mehr die Möglichkeit der Verkäuferin den entstandenen Schaden zu entgelten.
Auf ihre Frage, ob sie etwas tun konnte, wurde sie von der Verkäuferin abgewiesen.
„Du bist nicht von hier, Mädchen“, wurde Alina von einer weiteren Bewohnerin dieses Landes angesprochen.
Eine Bäuerin, wie Alina erkannte, als sie sich umdrehte.
Die Frau trug ein einfaches, erdfarbenes Kleid, auf denen der Schmutz von der Arbeit auf dem Feld nicht so leicht zu erkennen war. Vor ihre Brust presste sie das in ein Tuch gehülltes Schwert, dessen eindrucksvolle Gravierung durch eine umgeschlagene Ecke im Stoff in der Sonne aufblitzte.
Ein zürnender Drache. Ob dieser für den Schrecken gesorgt hatte und an ihrer Vorstellung aus Kindheitstagen mehr dran war, als sie bisher dachte?
„Woran sie das gemerkt haben?“, brummte Alina und sah zum Himmel, dessen Blau sich in ihren Augen spiegelte.
Die Bäuerin neben ihr ließ nicht von ihrem Lächeln ab.
Ihre Augen zeugten Interesse an dem Mädchen. Ihr genauso braunes Haar, das sich kaum im Ton zu ihrem Kleid unterschied, fiel in einem geflochtenen Zopf über ihre rechte Schulter.
„Mein Name lautet Danila. Und es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Fremde.“ Erst jetzt wurde sie sich wieder des Schwertes in ihren Armen bewusst. „Das muss Euch gehören. Eure Stute hat es abgeworfen. Wo kommt ihr her, dass ein Mädchen in eurem Alter mit einer Waffe reisen muss?“
Alina schätzte die Bäuerin auf Anfang 40. Danila reichte ihr den Beidhänder und Alina nahm ihn stumm entgegen.
Wieder fragte sie, wie es Ero ging.
„Es gehört nicht mir“, sagte sie. „Ich verwahre ihn lediglich für einen Freund.“ Sie sah neugierig zu Danila. „Und diese Feuerbälle? Was für ein Land ist das hier, in dem seine Gäste mit solchen Geschossen begrüßt werden? Und was für ein Riese schießt diese ab.“
Danila begann zu lachen.
„Sie sind harmlos“, sagte die Frau.
Das hätte mal einer ihrer Stute begreiflich machen müssen.
„Diese Feuerbälle sind nichts Ungewöhnliches für uns. Unsere jüngste Königin ist ein lebhaftes Kind. Sie ist sehr verspielt und bewirkt dieses Wunder, wenn ihr langweilig ist. Ihr müsst wissen, dass ihre Schwestern zurzeit verstritten sind und somit andere Dinge zu tun haben, als sich um ihre Schwester zu kümmern. Seitdem fliegen die Feuerbälle häufiger. Aber sorgt Euch nicht. Unser Land wird von einem Schutzzauber bewahrt, der die Geschosse abfängt, ehe sie die Erde berühren.“
Belena wird das nicht trösten.
Alina sah wieder in die Richtung, in der ihre Stute verschwand.
„Wie heißt du?“, erkundigte sich Danila bei ihr.
„Alina“, antwortete sie und schenkte ihrer neuen Bekanntschaft ein Lächeln. „Ich bin Tänzerin aus Miro.“
Sie verneigte sich in ihrer Vorstellung vor der Frau.
Danila blinzelte überrascht.
Jetzt war sie es, die um ihre Fassung kämpfte.
„Was habt ihr?“, wollte das Mädchen wissen.
„Euer Name eilt euch voraus“, plapperte die Frau drauf los. „Wie man hört, heißt so die zukünftige Schwiegertochter eines Richters aus Ylora. Er ist für seine Grausamkeit gegenüber den Angeklagten berühmt.“
Verdammter Beldor! Wieso musste er dafür sorgen, dass sich das Gerücht so weit streute?
Ihr würde auch nicht vergönnt sein, es einfach aus der Welt zu verbannen, wie sie hieran erkannte.
„Ich bin nicht die Verlobte seines Sohnes!“, blies Alina allen Frust an der Geschichte heraus. „Wir sind Freunde. Alles andere wünschen sich unsere Väter. Nichts weiter!“
„Und was verschlägt Euch nach Lerana?“, erkundigte sich Danila. Sie trat einen Schritt zurück. Plötzlich wurde es ihr unangenehm in der Nähe des Mädchens.
Was hatte sie nur, dass sie wie ihr Freund Ero, versucht war, den Mann zu verteidigen?
Beldor genoss einen schlechteren Ruf, als sein König. Dabei war er der liebste Mensch, den sie kannte. Er sorgte sich um alle und würde den Leuten gerne dem Vergehen angemessene Strafen geben.
Keine derart Ungerechten, wie sie das Gesetz vorschrieb.
„Ihr scheint mir ein nettes Mädchen zu sein“, sagte die Bäuerin. „Wenn Ihr einen Platz zum Schlafen benötigt, seit Ihr gerne mein Gast.“
„Ich kann Euch nicht bezahlen“, wandte Alina sofort ein und wurde von Danila durch eine Geste am Weitersprechen gehindert.
„Ihr seit mein Gast“, bestimmte sie. „Es ist mir eine Freude Euch mein Haus zur Herberge zu machen. Und jetzt kommt!“
Danila eilte voraus und Alina setzte hinterher.
Wer auch immer diese Frau war. Sie besaß eine Art, der sich das Mädchen nicht wiedersetzen konnte.
Danila führte ihren neu gefundenen Gast aus Djoni heraus. Zuerst die Hauptstraße entlang, von der ein Feldweg abführte.
Das Gespür der Kopfgeldjägerin befahl ihr, sich auf der Hut zu befinden.
Wie schnell entpuppte sich manche gute Tat für einen Fremden zur Falle, ihn auszurauben?
Andererseits, was besaß sie anderes als dieses Schwert in ihren Händen?
Ihr Gold befand sich in Belenas Satteltaschen.
Alina klammerte sich an das glänzende Stück in ihren Händen fest. Ihr Blick schaute zurück.
In der Ferne konnte man die Stadt sehen. Von ihrer Stute ließ sich nichts mehr erahnen.
„Wenn es Euch beruhigt, schicke ich morgen meinen Sohn aus, nach Eurem Pferd zu suchen. Wie weit kann es schon gekommen sein?“
Die Sorge ließ sich nicht verscheuchen.
Was, wenn jemand die Stute einfing oder ein wildes Tier sie riss? Würde Belena die Gefahren überhaupt einschätzen können? Sie lebte im Schutz ihrer Schule. Für die Stallungen, Weiden und Lager wurden immer ein paar der Schüler als Wachen abberufen.
Es würde nichts daran ändern, dass die Sonne sich dem Westen näherte. Selbst wenn Alina alleine aufbrach, ihre Stute zu suchen, könnte sie das nicht bis der Abend hereinbrach schaffen.
Sie musste der Fremden somit glauben und ihr vertrauen, um wenigstens ein Bett für die Nacht zu bekommen.
Das Haus der Bäuerin stand inmitten von fünf großen Feldern, die von der Familie alleine bewirtschaftet wurden und zu der eine Scheune mit Vieh gehörte.
Wie Danila berichtete, holten sie sich zur Erntezeit oft Hilfe von Reisenden oder heuerte jemanden in der Stadt an.
Sie verfügten nicht über großen Reichtum aber ihnen reichte es zu einem guten Leben.
Zu dieser Familie gehörte neben dem Sohn Roton, ein eher schmächtiger Bursche in Alinas Alter, auch der Mann des Hauses.
Melisio. Ein beinah zwei Meter großer Hühner, in dessen Nähe Sohn und Frau wie Winzlinge wirkten. Das nach oben gekrempelt Hemd offenbarte Arme, die doppelt so stark waren, wie die seines Sohnes. Die Sonne hatte ihm einen dunkleren Hautton verliehen.
Seine Arbeit, mit dem er das Kaltblut das Geschirr abnahm, kam zum Erliegen, als er seine Frau bemerkte. Die Zügel drückte er seinem Sohn in die Hände, der auf dem Kutschbock saß und nicht einmal dort seinen Vater überragte.
Dann fing Meliso seine Frau mit diesen starken Armen auf.
Es schien ein Wunder, dass er sie damit nicht erdrückte.
Der ihm nur in den Grundzügen seines Gesichts ihm ähnelnden Sohns wirkte an dem Gast seiner Mutter interessiert. Er sagte nichts.
Das übernahm der Vater mit einer rauen, gut zu seinem Aussehen passenden Stimme.
„Wen bringst du da mit, Danila?“
„Ihr Pferd hat gescheut und dieses arme Kind abgeworfen“, berichtete die Frau von Alinas Schlamassel. Der Rest war schnell erzählt und Alina von den übrigen Bewohnern des Hauses akzeptiert.
„Wir haben über dem Stall eine Unterkunft für die Arbeiter, die uns auf den Feldern helfen“, sagte er. „Mehr können wir Euch nicht bieten.“
„Das macht nichts“, sagte sie schnell. „Habt vielen Dank für die Gastfreundschaft und ich werde mich gerne dafür erkenntlich zeigen. Lasst mich bei der Arbeit auf dem Feld und im Stall helfen.“
Die Familie nahm das Angebot gerne an.
Alina musste zwar selbst dafür sorgen, das Kämmerchen im Stall für die Nacht herzurichten. Roton, der ihr frische Decken für den Schlafplatz brachte, wollte ihr gerade helfen, da rief der Vater den Jungen zur Arbeit.
Sie ging zum Fenster und sah, wie er neben dem Vater zum Haus zurückkehrte.
Später lud Danila sie zum Abendessen am Tisch der Familie ein. Von ihr bekam Alina auch ein paar Kleider. Ihre wachen mit Belena auf und davon.
Es mochte nichts Großes sein, doch sie war dankbar für alles.
Abends lag sie im Stall noch lange wach. Das Licht im Haus war längst verloschen.
Auch sie sollte Schlafen aber konnte nicht.
Ihr Gedanken waren bei der Familie, die sie so herzlich aufnahm. Sie erinnerten Alina an Beldor und Miri.
Wie es ihnen ging und wie Ero? Hatte Morlo sein Versprechen gehalten, ihn nach Hause zu schicken?
Die Eltern würden ihren Jüngsten sicher nicht noch einmal gehen lassen.
Wie gerne hätte sie Gewissheit und wie sehr wünschte sie sich in diesem Moment, es gäbe in diesem Land wirklich nur Zauberer, wie es die Legenden berichteten. Dann könnte ihr jemand der Bewohner vielleicht berichten, wie es ihrem Freund ging.
Immerhin war dies das erste Mal, das sie wirklich getrennt waren.
Und wenn sie es zugab, fehlte ihr Ero sogar.
Alina schmiegte sich in die Decke.
Auch ihr Vater nahm einen Teil ihrer Gedanken ein.
Sie würde ihm keine Nachricht hinterlassen können. Das war zu gefährlich. Nerre könnte diese abfangen. Aber vielleicht wusste sie es schon.
Es hieß über sie, sie sei intelligent und stark.
Alina konnte nur darum flehen, dass diese Frau ihr nicht noch mehr nahm, als sie es schon tat.
Die Zeit innerhalb dieser Familie flog dahin. Zuerst kümmerte sich Alina wie versprochen um die Tiere. Dann half sie Roton bei seiner Arbeit auf dem Feld mit den Pferden.
Wurde er schnell damit fertig, hieß es für sie, dass er mehr Zeit hatte, nach Belena mit ihr Ausschau zu halten.
Roton kannte die Gegend besser als sie aber trotz seiner Hilfe fanden sie keine Spur mehr von der Schimmelstute.
Es gab viele Pferde, die auf den Straßen von Djoni aus geführt wurden. Unter deren Spuren ließen sich die von Belena selbst für die geübte Spurenleserin nicht herausfiltern.
Der Junge führte sie zu Höfen aber auch dort hatte niemand eine herrenlose Schimmelstute gesehen.
„Versuchen wir es morgen weiter“, schlug Roton vor. „Im Süden gibt es einen Händler. Versuchen wir es dort. Vielleicht hat einer seiner Kunden sie gefunden. Oder wir laufen die Farmen den Fluss entlang ab. Sie findet schon wieder zurück.“
Alina lächelte ihren Begleiter an.
Gemeinsam machten sie sich auf den großen Arbeitspferden zurück zum Hof, wo die beiden jungen Leuten von Danila schon erwartet wurden.
Sie wollte von Alina ein paar Geschichten aus ihrer Heimat hören. Besonders interessiert zeigte sich ihr Sohn von den Sagen der Amazonen.
Leider war es für Alina zu lange her, dass sie diesen gelauscht hatte. Immerhin war sie während dieses Krieges ein kleines Kind.
Sollte sie ihre eigene Version des letzten Kampfes berichten. Davon, wie eine blonde Furie ihrer eigenen Schwester in den Rücken fiel.
Diese erlegt, wie man es mit gejagtem Vieh tat.
In dieser Nacht fiel Es Alina leicht einzuschlafen. Dass sie überhaupt erwachte, lag an einer der Treppenstufen.
Sie war lose und quietschte, sobald man darauf trat.
Eigentlich wollte sie Meliso davon berichten. Jetzt war sie glücklich, es nicht getan zu haben.
Der dunkle Schatten tastete sich sicheren Schrittes voran. Er kannte jedes Objekt im Raum. Als sei er unzählige Male hier gewesen.
Auch das Bett, in dem das Mädchen schlief, wusste er.
Nicht ihr galt seine Aufmerksamkeit, sondern der vom hereinfallenden Mondschein silbern leuchtenden Klinge des Beidhänders.
Alina drehte sich blitzschnell herum und erfasste den Griff des Schwertes, bevor es ihr Besucher tun konnte.
Sie vergaß, wie schwer Eros Schwert war.
Das Gewicht zog ihre Hand hinunter, selbst als die die zweite zu Hilfe nahm.
Wenn sie daran dachte, wie leicht es Ero im Kampf mit Dugol fiel, das Schwert zu schwingen, wurde ihr begreiflich, sie müsste wirklich einmal wieder trainieren.
Der Schatten vor ihr wich verschreckt zurück. Ein unbedachter Schritt, schon stolperte er und fiel vor dem Bett zu Boden.
„Roton!“, rief sie überrascht, als sie den Dieb erkannte, dessen Gesicht nun vom Mond beschienen wurde. „Was willst Du hier? Hattest Du vor mein Schwert zu stehlen? Ich hab Deiner Familie vertraut und ihr hintergeht mich?“
Echte Enttäuschung ließ ihre Stimme schrill durch den Raum klingen und weckte unter ihnen die Tiere.
Aufgebrachte Laute mischten sich mit den Klagelauten des Jungen.
„Nein!“, jaulte er wie ein geschlagener Hund auf. „Es ist anders, als Ihr denkt. Ich wollte …“
Seine Stimme nahm einen so leisen Klang an, dass sie ihn nicht verstehen konnte.
Erst einmal machte sie Licht, damit sie den Eindringling vor sich sehen konnte.
Roton wirkte voll von ihr ertappt und Alina fand es fast schon niedlich, wie der Junge vor ihr saß, als hätte ihn ein Regenschauer überrascht.
Sie stellte das Schwert mit der Klinge auf den Boden und lehnte ihre Arme über die Parierstange. Vermutlich lehnte sie sich sogar zu weit nach vorne.
Statt zu antworten, wirkte der Junge jetzt vom Anblick ihres Busenansatzes aus der Bahngeworfen, der sich ihm durch Alinas Nachthemd bot.
Während ihrer Arbeit als Tänzerin, musste sie weit mehr ertragen. Sich da vor einem Gleichaltrigen zu schämen, passte nicht.
„Sprich!“, forderte sie ihn auf und Roton schluckte schwer.
„Ich wollte … ich wollte …“, stotterte er.
Alina drehte die Klinge des Schwerte so zu ihm, dass der Drache ihn anzuspringen drohte.
„Ich wollte es mir nur einmal ansehen“, brachte er endlich nach seinen vielen Anläufen heraus. „Lerana ist nicht gerade ein Land, in denen Schmiede sehr viele solcher Aufträge bekommen. Es mag Gauner geben, wie überall aber meist ist es sicher. Wir benötigen keine solchen Dinge. Aber sagt, könnt Ihr damit umgehen.“
Das Mädchen lachte lauthals auf.
„Im Tanz und im Kampf“, antwortete sie ihm frei heraus. „In meiner Heimat bin ich als Kopfgeldjägerin bekannt. Es gehört eigentlich meinem Partner. Der kann damit besser umgehen.“
„Könnt Ihr …“ Er wusste vor Scheu nicht, wie er es richtig formulieren sollte. „Könnt Ihr es mir bebringen?“
Eine Frage, über die seine Eltern nicht glücklich sein würden.
„Wir gehen morgen zu dem Händler. Vielleicht weiß er etwas über den Verbleib meiner Stute. Danach kann ich Dich unterrichten.“
Roton nahm das Versprechen in Jubel auf.
„Ich lerne schnell“, sagte er. „Du wirst sehen, dass ich damit umgehen kann, noch bevor Du gehst.“
Wenn er sich da mal nicht übernahm.
Alina lachte auf und sah, wie zur Treppe ging und unten verschwand. Sie hörte ihn auf der letzten Stufe stolpern, dann kehrte Ruhe ein.
Das Schwert nahm wieder seinen Platz im Tuch ein und sie legte sich nach löschen des Lichts wieder hin. Sich gewiss, das eine Person in dieser Nacht vor Aufregung nicht schlafen würde können.
Der nächste Tag begann genauso, wie der erste. Alina übernahm die Versorgung der Tiere und mistete ihre Ställe aus. Danach half sie Roton, für den es an diesem Tag bloß ein Thema gab.
Das Schwertkampftraining mit Alina.
Vor seinem Vater, dem er half und der die beiden jungen Leute ganz genau im Auge behielt, wollte er es verheimlichen. Sein Vater war ganz Bauer. Das Führen eines Schwertes sah er als unnötig an.
Aber ganz unbemerkt von ihn, blieb es nicht und so nahm er Alina an diesem Abend zur Seite, als sie für die Nachtruhe zum Stall wollte.
„Ich will, dass Du das lässt!“ Er stand im Tor zur Scheune, die starken Arme vor der Brust verschränkt. „Er ist Bauer, kein Ritter. Also setz ihm nicht solche Flausen in den Kopf.“
Alina legte ihr schönstes Lächeln auf.
„Zuhause habe ich viele Jungs kommen und Gehen sehen. Viele davon Bauern, die sich später durch größere Tapferkeit auszeichneten, als mancher Adelige. Euer Sohn besitzt andere Bestrebungen als diese Jungs aber ich denke, sie sollten ihn gewähren lassen. Ein Verbot würde ihm den Wunsch kaum nehmen.“
Die gestrengen Züge des Mannes nahmen Weiche an.
„Vielleicht hast du Recht. Ich nahm an, mein Sohn würde sich das gleiche Leben wünschen, wie ich es führe. Er würde irgendwann den Hof übernehmen, eine wundervolle Frau kennen lernen und mit ihr glücklich hier leben.“
„Mein Vater hat mich zur Kopfgeldjägerin erzogen“, sagte sie und schlüpfte in einer tänzerischen Bewegung an ihm vorbei in die Scheune. „Dabei wünsche ich mir nichts Sehnlicheres, als zu tanzen.“
Sie sprang in eine Pirouette zu einem Tanzschritt. Der abrupt in einer Figur zum Halten kam.
Schwere legte sich über sie, die sie mit langsameren Bewegungen in ihren Tanz mit einband.
„Und was mache ich nun? Mein Vater hat mir Stärke gelehrt aber ich laufe weg. Um nicht noch mehr geliebte Personen sterben zu sehen.“
Sie wusste nicht einmal, ob der Mann es gehört hatte. Aber vermutlich sprach sie zu leise.
Alinas Tanz endete.
Sie ging zu der Leiter, die das Dach der Scheune mit dem Boden verband.
„Bleib, solange du willst, Mädchen“, sprach Meliso, da hatte Alina gerade die Sprosse berührt.
Sie sah zu ihm.
„Wir sind dir dankbar für deine Hilfe. Und ich werde ein paar meiner Freunde von deiner Stute berichten. Vielleicht sieht jemand das Pferd.“
Die nächsten Tage vergingen ungefähr gleich.
Alina ging zuerst der Arbeit nach. War diese getan, begab sie sich mit Roton auf die Suche nach ihrem Pferd, ohne dass sie je erfolg hatte. Belena blieb verschwunden. Am vierten Tag gab sie es letztendlich auf und konzentrierte sich ganz auf Rotons Wunsch, den sie damit enttäuschte, ihn mit einem Stock statt dem Schwert kämpfen zu lassen.
Sie selbst widmete sich in den Abendstunden ihrem eigenen Training an dem Beidhänder.
Ob dieses Land nun in Frieden lebte oder nicht, Alina fühlte sich unsicher, jetzt wo ihre Dolche weg waren.
Der Beidhänder mochte schwer sein aber mit genug Übung würde sie auch diesen meistern.
Eine Woche später verließ sie die Familie wieder.
Es war ein schwerer Abschied.
Roton hatte sie in den letzten Tagen lieb gewonnen und Alina mochte seine Familie. Die mütterliche Danila und Meliso, der sie in seiner Strenge manches Mal an ihren eigenen Vater erinnerte. Nur dass Meliso nicht so rau mit den Leuten umging, die unter seiner Obhut standen.
Danila weinte beim Abschied und wollte sie gar nicht mehr aus ihren Armen lassen.
Aber Alina konnte es nicht weiter hinausschieben. Sie musste weiter und zu dieser Insel, wo vielleicht auch ihr Schicksal zu finden war.
Djoni war eine wundervolle Stadt, die trotz seiner überraschenden Begrüßung ihr wohlgesonnen war.
Alina schloss sich dort einer wandernden Truppe aus Schaustellern, Gauklern und Artisten an. Diese Leute boten ihr eine Bühne, mit ihrem Tanz in den Städten die Zuschauer zu begeistern und gleichzeitig einen kleinen Lohn zu bekommen. Nicht viel aber es reichte, für ein Pferd, neue Kleider und Proviant.
Leider konnte sie nicht lange bleiben. Der Trupp zog weiter durchs Land. Sie jedoch wollte zur Küste.
Diese befand sich südlich und nicht weiter im Landesinnere, wohin ihre Begleitung wollte.
Bevor sie sich trennten, wünschten alle dem Mädchen eine gute Weiterreise.
Alina hatte Glück, dass ihr Weg von so vielen netten Leuten begleitet wurde.
War es einst auch so im Dorf der Amazonen?
Sie besaß kaum noch Erinnerungen an diese Zeit, ihre Mutter oder wen sie sonst kannte.
Da war Gedana mit ihrer Familie. Alina wusste nicht einmal, dass sie einst Freundinnen waren.
Dafür kannte sie Marno und die Schüler, von denen sie jeden einzelnen schützen musste.
Aber wie tat sie das?
Nerres Armee mochte der Schule zahlenmäßig unterlegen sein. Sie besaßen jedoch Kampferfahrung und schreckten nicht zurück jemanden zu ermorden.
Von ihren Jungs hatte noch nie einer Blut an den Händen.
Viele waren zu sanft, das Schwert zum Töten zu schwingen. Sie waren dort, um sich und ihre Liebsten zu verteidigen.
Wie konnte das nur ausgehen? Was konnte der Tempel ihr für eine Antwort liefern?
Für sie entwickelte sich diese Lösung zur einzig wahren und richtigen.
Sie musste dorthin!
Die weiten Landstriche Leranas zogen an ihr vorbei. Dominiert von Ebenen, die sich den Horizont entlang zogen.
Und je weiter sie zum Herz des Landes vordrang, umso seltener sah sie das Schauspiel am Himmel. Auch wenn es nicht das letzte Wunder bleib, mit dem dieses Land aufwartete.
Seitdem sie sich vom der Gruppe trennte, vergingen vier Tage.
Alina zog von Ort zu Ort. In manchem davon führte sie ihre Tänze auf. Es lief gut, doch ihren letzten Weg wählte sie nicht klug aus.
Seit Stunden folge sie einer Wiese entlang, ohne auf eine Siedlung zu treffen, ein Hof oder ein See.
Sie war müde, genau wie ihr Pferd, dem sie die letzte Ration Wasser überlassen hatte.
Im Westen zog die Sonne ihre Bahn am Himmel und drohte am Horizont zu versinken.
Alina musste einen Unterschlupf für die Nacht finden.
Sie konnte im Abendanbruch auf die Jagd gehen aber Wasser war wichtiger. Nicht nur für sie.
Ihre Hand tätschelte den Hals des der gutmütigen braunen Stute.
Sie führte das Tier an den Zügeln entlang und für einen Moment erschien es ihr, als würde etwas in der Ferne funkeln und glitzern.
Eine Sinnestäuschung stand für sie fest.
Durst verleitete das Gehirn gerne zu Täuschungen. Besonders wenn sich die letzten Tage des Sommers so drückend zeigten und die Hitze an den Kräften zehrte.
Das Pferd schritt voran und drängte das Mädchen an seinen Zügeln eine Anhöhe hinauf.
Dabei war das nicht die Art dieses braven Pferdes.
Alina wollte nicht dort entlang, sondern weiter dem Weg folgen, der sie in den Wald führt.
Hinaus aus der Sonne und vielleicht in die Nähe eines Flusses.
„Halt“, befahl sie dem widerspenstigen Tier. Dabei legte sie all ihr Gewicht in die Zügel.
Mit einem Schwung des Kopfes kämpfte die Stute gegen das Gewicht an und zog Alina über den Hügel.
Das Mädchen verlor die Zügel aus ihrer Hand und damit auch den Halt. Sie rutschte den plötzlich abfallenden Hang hinab, fiel und landete auf ihrem Po.
Ein warmer Schmerz schoss durch ihre Handflächen, die sich auf dem harten Untergrund aufschrammten.
Als sie die Augen wieder öffnete und mit der Stute schimpfen wollte, hielt sie darin abrupt inne.
Alina blinzelte durch das grelle Sonnenlicht hindurch.
Was sie für eine Sinnestäuschung hervorgerufen durch die Hitze hielt, waren in Wirklichkeit die Zinnen ein Schlosses.
Nicht irgendeines Bauwerkes, sondern in der Sonne blitzend, als wäre jeder Stein davon durch Glas oder Kristall ausgetauscht worden.
Aber das war unmöglich! Wie sollte ein solches Bauwerk überhaupt zu errichten sein?
Alina kannte die Schlösser ihres Königs von Besuchen, auf denen sie Ero begleitet. Diese waren zum Teil so undenkbar herrlich aber aus Steinen errichtet. Nicht Kristall.
Magie! Vielleicht damit? Oder ein finsterer Zauberer wollte sie in die Irre leiten.
Daran schien ihre Stute nicht zu glauben, die auf das Schloss voranschritt.
Es gab Situationen, da sollte man auf den Instinkt der Tiere vertrauen. Also eilte sie dem Tier nach und nahm wieder ihre Position an den Zügeln ein.
„Ist schon gut“, sagte sie, als könne das Pferd ihre Worte verstehen. „Ich gehe dorthin. Bist du damit zufrieden?“
Alina näherte sich vorsichtig dem gewaltigen Bauwerk. Doch selbst aus der Nähe verlor sich diese kristallene Erscheinung nicht.
Sie musste es mit dem Finger berühren, um ganz sicher zu sein und tatsächlich spürte sie darunter etwas Festes.
Nicht spiegelglatt sondern aufgeraut. Ihre Finger ertasteten dort eine Fuge, wo die Steine aufeinander lagen. Womit die Blöcke verbunden waren, konnte sie nicht sagen.
Ähnlich wie die Hütten, bei denen sie mit angepackt hatte, sie in ihrer Schule zu errichten? Das konnte sich Alina nicht vorstellen.
Erspähen konnte man durch die milchig weißen Steine nichts von dem, was im Inneren des Schlosses vor sich ging.
„Hey du!“, fuhr eine harsche Stimme über sie hinweg.
Alina zuckte darunter zusammen, als hätte sie eben etwas verbotenes getan. Sie fühlte sich ertappt.
Ihr Blick wirkte schuldbewusst, ihr Finger, mit dem sie eben die Mauer berührte, wanderte nervös zum honigblonden Haar des Mädchens. In ihren abgewetzten Sachen, musste sie dem Mann in seiner hellen Uniform wie eine Herumtreiberin oder Diebin erscheinen.
„Was suchst Du am Schloss unserer Königin?“
„Entschuldigt“, sagte sie, nachdem Alina in ihre Selbstsicherheit zurückgefunden hatte. „Ich bin auf Reisen und wollte um Wasser für mein Pferd bitten. Wenn es möglich ist, auch um ein Quartier für die Nacht. Mir genügt der Stall.“
Die Wache des Schlosses sah das schmutzige Mädchen vor sich skeptisch an.
Alina tat einen Schritt auf ihn zu.
„Oder gibt es hier in der Nähe eine Herberge. Ein Fluss oder See würde es auch tun, an denen ich für die Nacht mein Lager aufschlagen kann?“
„Dieses Schloss liegt außerhalb jeglicher Ortschaft“, sprach der Mann. Er wandte dem Mädchen seinen Rücken zu, das sich mit dem Gedanken abfand, für diese Nacht keinen geeigneten Platz zum Nächtigen zu finden.
Vermutlich würde sie ihre Reise nach einer kleinen Pause in der Nähe die Nacht über fortführen.
„Kommt!“, rief ihr der Mann zu ihrer Überraschung zu. „Ruht Euch im Hof aus. Wir bringen Eurem Pferd einem Eimer Wasser.“
Keine Unterkunft aber wenigstens würde sich das Pferd stärken können.
Alina folgte der Wache um die Mauer herum zum Tor des Schlosses.
Es lag inmitten einer grünen Wiese. Nicht erhöht, wie man es gewöhnlich tut, um ein Schloss vor möglichen Angreifern zu verteidigen. Oder wurde hierfür Magie eingesetzt?
Die Feuerbälle wären eine gute Möglichkeit des Angriffs.
Alina verlor diese Gedanken aus dem Augen, nachdem sie das Tor durchschritten.
Die dicken Mauern türmten sich zum Himmel auf, als wollten sie diese erreichen. Das gewaltige Tor schuf tatsächlich für einen Drachen Platz und was sich darin verbarg, glich einem Traum aus Eis und Wasser.
In der Mitte des Platzes stand ein großer Brunnen mit fünf Fontänen. Jede gehalten von einer Figur, die vermutlich für eine ihrer Königinnen stand.
Ein Fisch im Sprung dargestellt für das lebensspendende Element, zu dem sich ihr Pferd hingezogen fühlte.
Alina hielt es im Griff, während die Wache einen Knaben aussandt einen Eimer mit Wasser zu füllen.
Dann entdeckte sie einen aufsteigenden Adler.
Alina lehnte sich auf den Rand des Brunnen. Ihre Hand tastete nach der dritten Skulptur, die ein Pferd darstellte, das sich gegen den Wasserstrahl erhob.
Wie ihre Belena, die vor dem Zauber flüchtete.
Als Viertes ein pummeliger Drache, der statt Feuer Wasser ausspie.
Zuletzt ein erhobener runder Stein, in der Mitte, aus dem das Wasser ungehindert sprudelte. Einfach aber in seiner Position das Herzstück dieses Kunstwerks aus Kristall und Wasser.
Alinas Hände berührten das klare Nass.
Dabei fing sie das Spiegelbild eines Schmutzfinken auf. Zerzaustes Haar, das matschig statt golden wirkte. Von der Hitze gerötete Wangen und ein Kleid, mehr Lumpen als Tracht.
Ihre befeuchten Finger berührten ihre Wange und schenkten ihr eine Kühle, in die sie gerne eingetaucht wäre.
Sie beherrschte sich.
Vom Hof aus führten ebenfalls fünf Türen ins Schloss.
Fünf Teile des Landes wurden von jeweils einer Königin geführt. Eine Zahl, die in diesem Schloss zum Symbol erklärt wurde.
Alina zählte fünf Türme. Zu jeder Seite des Brunnens standen fünf Kübel mit Blumen bepflanzt.
Fünf Wappen prangten an den mit Efeu bewachsenen Wänden.
Um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Der Hof selbst wirkte in seinem ewigen Eis nicht kühl und verlassen.
Kinder spielten darin. Die älteren Bewohner tratschten oder rümpften über den verschmutzten Gast ihre Nase.
In dieser Aufmachung sollte sie hier nicht um ein Bett bitten.
Alina widmete sich wieder dem Pferd, dem der Knabe einen Eimer mit Wasser hingestellt hatte.
An dieser Stelle hatte sich ein weiterer Bewohner des Schlosses eingefunden.
Ein Mädchen in Alinas Alter. Mit solch hellem Haar wie im Schnee der Kristalle, aus denen dieses Schloss bestand und einer elfenbeinfarbenen Haut.
Man könnte meinen, diese Fee würde über das Schloss herrschen aber dafür war sie mit 18 Jahren noch deutlich zu jung, wie Alina fand und verwarf den Gedanken.
Die Unbekannte tätschelte dem Pferd die Stirn.
„Ich habe gesehen, wie gut Ihr Euch um dieses Pferd kümmert“, sagte sie mit einer Stimme, so klar, wie das Wasser, das hier über den Kristall rann.
Der Braune entriss ihr den Kopf und senkte ihm wieder in den Wassereimer, wo das Pferd jeden Tropfen davon begierig nach mehr aufsog.
„Wie gefällt Euch unser Land“, wollte sie wissen und begutachtete die Besucherin nun genauer und ohne Scheu. Hätte die Wache sie gelassen, hätte sie Alina sogar berührt.
„Es ist wundervoll“, sagte Alina ehrlich. Das war es! Wundervoller als Alina es in ihrem Leben je sah. „Meine Heimat ist anders.“
Alina sah betrübt zu dem schönen Brunnen zurück und wünschte sich wenigstens einen Teil nach Hause zu bringen.
Kämpfte ihre Mutter dafür? Aber zu welchem Preis? Wollte Alina das gleiche Leben wie ihres? Sie konnte ja noch nicht einmal für ihre Schule eintreten.
„Ich weiß“, überraschte das Mädchen sie. „Ich habe viele Dinge über Miro, Saron und Ura gehört. Die Könige sind überheblich und egoistisch. Wenn sie weiter ihr Volk ignorieren, wird diese Dynastie irgendwann untergehen.“
Ihre Stimme nahm einen strafenden Klang an, der erst nach einer Pause weicher wurde. Wie ihre Berührungen des Pferdes.
„Hier ist es anders. In Lerana herrschen die Königinnen mit bedacht und treffen ihre Entscheidungen zum Wohle des Volkes. Es ist wohl wie mit diesen Tieren.“ Sie lehnte sich gegen das Fell des Rosses. „Behandelt man sie gütig, geben sie auf ihre Art ihren Dank zurück. Die Bürger tun das mit manchen Geschenken und großen Festen zu Ehren der Könige.“
Alina hatte jedenfalls nichts gehört, das dagegen sprach.
Wo sie auch hinkam, sagte niemand ein böses Wort gegen die Königinnen.
Nicht wie in ihrer Heimat, wo man aus Angst schwieg, sondern in echter Anerkennung.
„Wenn ihr so gut zu Euren Tieren seit, werdet ihr mit Sicherheit irgendwann eine gute Anführerin sein.“
„Wenn das so währe“, widersprach Alina in einem Seufzen. Sie stellte sich an die gleiche Seite der Stute, wie das Mädchen stand. „Meine Belena ist mir davon gelaufen, kaum dass wir dieses Land betraten. Wie sollte ich irgendjemanden führen, wenn ich nicht einmal mein Pferd bei mir behalten kann?“
„Ihr werdet sie finden“, sagte das Mädchen mit ihrer beruhigenden Stimme.
Während sie zwei das Tier streichelten, berührten sich ihre Finger.
Trotz ihrer Jugend, wirkte diese Berührung auf Alina wie eine Geste ihrer Mutter.
„Wenn das stimmen würde.“
Sie versuchte die Träne vor der Fremden zu verbergen, die sich aus ihren Augen schob.
Nicht nur Belena fehlte ihr. Auch Ero und Falira.
Sie wollte niemanden mehr an den Tod verlieren und doch gab sie alles auf, woran ihr Herz hing.
„Ach, wo bleiben meine Manieren.“ Die Fremde klatschte in ihre Hände, worauf zwei Zofen zu ihnen eilte. „Bereitet unserem Gast ein Zimmer, führt sie ins Bad und legt ihr frische Kleidung heraus. Ich bin sicher, ihr passt eines meiner Kleider. Und kümmert euch auch um das Pferd. Keinem meiner Gäste soll es an etwas mangeln.“
„Das ist nicht nötig“, erhob Alina einen Widerspruch und überhörte dabei sogar den herrschenden Ton in der Stimme der Anderen.
„Doch das ist es!“, bleib das Mädchen vor ihr Überzeugt. „Ihr befindet Euch in meinem Schloss, also lasst mich Euch bewirten. Wir bekommen so selten Besuch aus fremden Ländern. Vielleicht erzählt Ihr mir eine Geschichte Eurer Abenteuer.“
„Euer Schloss?“ Alina sah die Ander an, als zweifle sie an ihrem Gehör.
Sie hoffte sogar, dieses Mädchen würde sie korrigieren. Doch nichts Derartiges geschah.
Die weißhaarige verneigte sich sogar höflich vor ihrem Gast.
„Mein Name lautet Liliza. Ich bin eine der Königinnen dieses Landes und heiße Euch herzlichst in Lerana willkommen.“
Mit Liliza begegnete Alina die erste der fünf Königinnen dieses Landes. Eine Schönheit, so zerbrechlich wie ein Zitronenfalter. Deren Erscheinen nicht in Alinas Bild einer Königin passen wollte.
Sie kannte ihren König als einen pompösen Herrscher, der nach Außen hin seine Macht ausstrahlte.
Seine Krone trug er zu öffentlichen Anlässen, nicht aber im Spiel mit Ero.
Was die Gewänder betraf, wurde alles für ihn von den besten Schneidern hergestellt.
Dieses Mädchen trug ein eher schlichtes Kleid, in dem sie sich wie ein Schmetterling im Flug frei bewegen konnte.
Sie scheute sich nicht einmal vor dem verschwitzten Fell der braunen Stute. Schmiegte sich an sie und lauschte auf den ruhigen Herzschlag des Tieres.
Genau dieses Bild hatte sie vor sich, als die beiden Zofen Alina mit sich ins Schloss rissen.
Keine Bitte um Gnade fruchtete bei den beiden Zofen. Sie stießen Alina durch die Gänge des Schlosses oder zogen sie hinter sich her. Dann ein letzter Schubs in einen der Räume hinein.
Die Tür schloss sich hinter ihr, da sprang Alina gerade zurück.
Ihre Hände klopften gegen das Holz.
„Ich will doch gar nicht der Gast Eurer Königin sein“, heulte sie auf. Ihre Hände fassten um den Griff. Drehten ihn rissen daran, aber ließen die Tür nicht aufspringen.
Alina hatte ganz überhört, wie sie abgeschlossen wurde.
In einem Seufzen wandte sie sich um, ließ sich gegen die Tür fallen und glitt daran hinunter.
Als sie den Blick hob, versuchte Alina die Illusion durch Blinzeln zu vertreiben.
Vor ihr erstreckte sich das das Badezimmer dieses Schlosses.
Die Wände des Raumes ragten in die Höhe und führten zu einem Kuppeldach, durch das die Sonne hineinschien und eine prächtige Illusion erschuf.
Für jede der fünf Königinnen wurde als Symbol ein Element erschaffen.
Das glühende Feuer stand für die jüngste der Königinnen, deren Wunder sie schon erlebt hatte. Aber was war darin Liliza? Wasser oder Eis?
Alina stand auf und ging durch das Badezimmer zu dem großen Becken. Eine Wasserfläche, die sich um eine kristallene Figur schloss.
War sie schon einmal hier, konnte sie das Angebot auch annehmen.
Also entledigte sich Alina des schmutzigen Kleides und stieg in das kühle Wasser.
Alina konnte die Erfrischung nach der anstrengenden Reise wahrlich gebrauchen.
Sie lehnte sich an den Rand. Ihren Kopf darauf ruhend, richtete sie den Blick an die Decke.
Mit leisen Schritten tapste das Mädchen durch den Raum. Ihr Summen verstummte, als sie die Besucherin im Schlummer vorfand.
Sie schlich zu ihr und beugte sich über diese.
„Wie gefällt Euch das Schloss?“, lautete die Frage des Mädchens, mit der sie die Besucherin weckte.
Alina öffnete die Augen und sah in das helle Gesicht einer Schönheit. Sie stand über sie gebeugt. Ihr weißes Haar lag rechts hinter dem Ohr, links hielt sie es sich mit der Hand aus dem Gesicht.
„Es ist wundervoll“, antwortete Alina mit ihren ehrlichen Eindrücken.
Ihr Finger deutete auf die Kuppel, in der sich das letzte Sonnenlicht des Tages spiegelte und der Illusion noch einmal Kraft verlieh.
Liliza setzte sich auf dem Rand zu ihr, die Beine angewinkelt. Ihre Hand glitt durch das Wasser.
„Jede unserer Königinnen beherrscht eines der Elemente“, berichtete sie. „Durch das Land meiner Schwester bist du schon gekommen.“ Ihr Finger zeigte auf das verglimmende Feuer und wanderte dann weiter. „Mir sind Gaben gegeben, mit denen ich den Leuten helfen kann.“
Sie nahm Alinas rechte Hand in ihre Hände.
Ein Gefühl überkam Alina, dass sie nicht beschreiben konnte. Sie weckte die Erinnerung an die Liebe im Arm ihrer Mutter. Wärme und Geborgenheit, die einem nur diese schenken konnte.
Genau!
Alina sah zu der Illusion über ihr.
Das weiße, strahlende Licht, musste für Liliza stehen. Eine Königin die bloß Liebe führ Volk empfand.
Als Liliza ihre Hände zurückzog, war der Schmerz vergangen. Auch die Wunde, die sich Alina bei ihrem Sturz an den Handinnenflächen zugezogen hatte, verschwand, nachdem das Mädchen neben ihr auch die zweite ihrer Hände mit dieser Gabe berührte.
„Ich vermag keine großen Wunder zu vollbringen aber es reicht manchen Schmerz zu lindern, mit dem viele zu mir pilgern.“
Liliza stand auf.
„Genug von mir geredet!“ Tänzelnd lief sie am Rand des Bassins vorbei und vollführte eine weite Drehung. „Man sagt, Ihr seid eine wundervolle Tänzerin. Unterrichtet mich bitte.“
Alina erhob ihre Hand zur Warnung, da war es schon zu spät.
Das leichtsinnige Mädchen rutschte auf dem glitschigen Untergrund aus und landete unsanft im Wasser.
Unter einem Schrei tauchte Liliza wieder auf. Alina war dort und begutachtete die Wunde an dem Arm des Mädchens, womit diese über die Kante des Bassins gerutscht war.
Liliza mochte anderen helfen können, aber nicht sich selbst.
Sie musste jeden Schmerz tapfer ertragen und auch ihre Wunden heilten mit dem normalen Tempo. Sie blutete auch genauso wie andere.
Trotz ihrer Gabe war Liliza eben einfach nur ein Mädchen wie jedes andere. Ein bisschen verträumt, aufgeweckt und viel zu leichtsinnig.
Von Lilizas Sturz bleiben Aufschürfungen an Beinen, Po, Rücken und Armen zurück. Aber das Mädchen hielt sich tapfer, während eine der Zofen ihre Wunden versorgte.
„Sagt mir!“, sprach sie mit vor Schmerz verkniffenen Augen. In ihrer Kehle hielt sie einen Schrei zurück, während die Frau ihre Wunden mit einer Tinktur beträufelte, die angeblich von Generation zu Generation weitergegeben wurde und wahre Wunder wirken sollte.
Was sie tat, war höllisch stinken. Dagegen war der Geruch des verschwitzen Pferdes noch angenehm, wegen dessen sie ihre Königin ins Bad geschickt hatten.
Alina rieb sich ihre Hände und war froh, dass diese nun verheilt waren und sie nicht in den Genuss des angeblichen Wundermittels kommen musste.
Sie sah auf das Mädchen, das bäuchlings nackt auf der Liege lag.
„Habe ich es richtig gesehen, dass dich meine Diener im Bad eingesperrt haben? Seit ihnen nicht böse. Sie übertreiben einfach manchmal in ihrem Eifer.“
Alina antwortete nicht auf die Frage. Sie zupfte an dem Kleid, dass man ihr von Liliza herausgelegt hatte.
Wie das Mädchen richtig geschätzt hatte, besaßen beide die gleiche Größe. Ihre Kleider passten Alina ausgezeichnet. Und was für ein Kleid sie ausgesucht hatten.
Eines von der Art, wie es ihr Miri gerne heraussuchte. Von einem Weiß, mit dem sie sich nicht einmal in den Stall trauen würde, in der Gefahr, es sofort mit Flecken zu versehen.
Alina konzentrierte sich wieder auf das Mädchen vor ihr.
Ihre zweite Schülerin in diesem Land.
Wenigstens würde sie in dieser Disziplin das Kleid nicht ruinieren.
Das Schloss war in vielen Hinsichten zauberhaft.
Als Lilizas Gast stand es Alina frei, das Schloss alleine zu erkunden. Beobachtet vom wachsamen Auge der Diener. Wofür ihnen Alina nicht einmal böse war.
Sie sorgten sich um ihre junge Königin.
Alina fand das rührend.
Bei ihrer Erkundung des Schlosses entdeckte sie einen Gang, der sich entlang zum Hauptturm zog.
Säulen stützten das Dach, die im Gegensatz zu dem restlichen Gemäuer gläsern durchschimmernd wirkten.
Alina musste sie berühren, damit sie sicher sein konnte, dass nicht etwa Eis hier zur Decke wuchs.
Die Wände zu den Seiten fehlten. Den einzigen Schutz bot ein Geländer. Der Wind sauste durch den Gang und riss am Stoff ihres Kleides.
Genau das wollte man an diesem Ort.
An der Decke wurden allerlei Dinge angebracht. Holze, Metalle, Glöckchen, Kristall, Glas und viele andere Materiale. Zusammen ergaben sie eine Sinfonie der Natur, unter der sie ihre Augen schloss und sich davon in einen Tanz fallen ließ. Leitend vom Luftstrom.
Es war wunderschön.
Warm und friedlich. Ein Paradies verglichen mit ihrer Heimat. Aber sie wusste auch, dass dieser Moment nicht von Dauer war.
Alina konnte hier nicht verweilen. Sie musste weiter!
Zu dem Tempel, in der Hoffnung eine Lösung für ihre Misere zu finden.
Klatschen ertönte und ließ Alina in ihrer Bewegung erstarren.
Der Wind spielte in dem Korridor mit ihren blonden Locken. Ihre Augen öffneten sich und nahmen die verschwommene Gestalt aus, die in ihrer Blässe beinah mit dem Hintergrund verschmolz.
Der jungen Königin dieses Ortes.
„Bravo!“, rief Liliza in ihrer Euphorie. „Dass will ich auch versuchen!“
Gesagt, getan! Unter dem wachsamen Blick der sie begleitenden Zofen setzte sie zu einem Tanz, der im Gegensatz zu den gleitenden Bewegungen der Tänzerin eher stümperhaft wirkte.
Wie Alina versprochen hatte, zeigte sie der Königin eine Tanzabfolge, die ihre Schülerin, so gut sie es konnte, nachahmte. Mit dem nicht ganz so vorteilhaften Erfolg.
Einmal verlor Liliza sogar das Gleichgewicht.
Alina war dort, fing sie auf und warf das Mädchen in einen gemeinsamen Tanz.
Sie lachten beide vor Freude laut auf. Und sogar die beiden Zofen klatschten bei der Darbietung in die Hände.
Zu Ende des Tanzes trat Alina zu dem Geländer und stützte sich darauf.
„Einfach wundervoll!“, meinte Alina zu der jungen Königin. „Euer Land ist so schön. Ich wünschte, wenigstens einen kleinen Teil davon in meine Heimat mitnehmen zu können.“
Liliza gesellte sich zu ihr.
Ihre Arme legte sie auf das Geländer.
„Ihr habt bisher nur das Gebiet der jüngsten Königin bereist“, sagte sie. „Meine Schwestern und ich versuchen wenigstens bei ihr alles im Gelichgewicht zu halten. Sie ist noch Jung. Vermutlich versteht sie nicht einmal, was um sie herum passiert. Wie zerbrechlich die Einheit ist, der wir unsere Gabe verdanken.“
Kummer zeichnete sich auf dem hübschen Gesicht des Mädchens.
„Die Ruhe im Land zerbricht. Tiere und Pflanzen werden krank, Ernten gehen verloren. Unsere Gewässer unterliegen den Stürmen. Die Fische verschwinden. Alles nur wegen des Streits von drei dummen Mädchen. Und egal was ich tue, ich finde keinen Punkt, an dem ich zwischen ihnen vermitteln kann.“
Liliza sprang plötzlich auf. Sie ergriff Alinas Arm und zog diese mit sich.
„Folgt mir!“
Dann startete sie in einen schnellen Spurt an die beiden verwunderten Zofen vorbei.
Alina konnte ihr lediglich folgen, da die andere nicht gewillt war, sie loszulassen.
Sie ließen die Frauen hinter sich.
Liliza zog ihren Gast aus dem Schloss heraus in den Garten.
Auch diesen hatte sie schon erkundet. Meinte Alina jedenfalls. Bis die Herrin über diesen Ort sie an einen See führte. Von Trauerweiden versteckt führten Trittsteine über das Wasser.
Selbst hier wollte Liliza ihre Begleitung nicht loslassen.
Alina balancierte über die Steine und musste dabei kämpfen, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Würde Liliza sie endlich loslassen, könnte Alina ihr ohne Probleme folgen.
So war sie froh, trockenen Fußes das Ufer zu erreichen.
Erst hier öffnete sich Lilizas Hand.
Das Mädchen hockte sich zum Boden, um ein paar Blumen zu pflücken.
Sogar Alina ließ sich nieder. Ihr Ziel war eine einzige der Blüten. Eine Pflanze, mit weißem Kelch.
Als Alina aufsah, verstand sie, was Liliza ihr zeigen wollte.
Von der anderen Seeseite, meinte man, der von den Zeiten, in denen er schon dort stand, angegriffene Pavillon mit seinem Runddach, sei zur Zierde errichtet. Wo sie sich genähert hatte, erkannte sie, wohin die Stufen führten.
Im Inneren stand ein Altar.
Alina trat die Stufen hinauf.
Wie dieser Pavillon wirkte auch dieser, als sei dieser aus einer längst vergangenen Epoche.
Ein fünfgeteiltes Wappen nahm die ganze Fläche davon ein.
Alina trat zurück, als Liliza davor trat. Den Strauß in den gefalteten Händen kniete sie davor nieder und sagte ein Gebet auf.
Es war nicht richtig das zu tun aber Alina wagte sich vor und berührte die Steinerne Platte. Ein Riss zog sich dadurch, unter dem der Altar drohte zu brechen.
„Dieser Ort ist das Herzstück unseres Landes“, sagt sie mit gewichtiger Stimme. „Seit Generationen symbolisiert dieser Ort unseren Bund. Das Versprechen in Frieden und Zusammenhalt für unser Volk zu sorgen. Jetzt droht dieser Bund zu brechen. Und egal wie sehr ich mich bemühe, es gelingt mir nicht, meine Schwestern zu einen.“
Der Kummer lag schwer auf dem zerbrechlichen Mädchen. Es drückte sie hinab aber sie kämpfte tapfer dagegen an und richtete sich auf. Den Strauß legte sie in die Mitte des Tisches, die der Riss schon überschritten hatte.
Alina trat von dem Altar hinunter auf die Wiese und hockte sich ins Gras.
Wie ihr einst jemand gezeigt hatte, flocht sie einen Kranz aus den Blumen. Lauschend Lilizas Stimme, die von ihren Schwestern und der Geschichte dieses Landes berichtet.
Als sie endete, fand auch die letzte Blüte ihren Platz im Kranz.
Liliza schwieg. Sie wagte es nicht einmal Alina anzusehen, als diese wieder neben sie trat.
Alina legte den Kranz auf den Altar.
Er berührte jeden Teil des Wappens und schloss den Strauß in seine Mitte.
„Es tut mir leid, euch mit dieser Bitte belasten zu müssen“, überwandet sich die junge Königin mit zittriger Stimme zu wenigen Worten.
Als Liliza ihren Gast ansah, standen Tränen in ihren schönen Augen.
„Bitte versucht dieses Land zu retten. Redet mit meinen Schwestern. Wenn es jemand schafft, sie zu erreichen und diesen Streit zu schlichten, dann seit das ihr, Alina. Amazonenprinzessin!“
Amazonenprinzessin. Wie lange wurde Alina seit dem Amazonenkrieg nicht mehr so genannt? Und jetzt viel alles in sich zusammen, was sie ihr zweites Leben nannte.
Mit vier Jahren wurde sie von allen verlassen.
Das Dorf, aus dem sie stammte, wurde bei einer Schlacht eingenommen. Den einzigen Freunden wurde sie entrissen, um ihre Mutter im Schwert der Schwester sterben zu sehen. Dann Marli, die sich für sie opferte.
Könnte Arela ihr immer noch freundlich begegnen, wüsste sie darum? Dass Alina der Grund war, weshalb ihre Mutter nie zu ihr zurück gekehrt war.
Ihre junge Seele, gezeichnet vom Verlust, gelang es nicht leicht, wieder in jemanden Vertrauen zu fassen. Und doch war da Marno, der sie in all den Jahren niemals fallen ließ.
Er wurde für sie zu einem Vater und sollte nun vernichtet werden. Wie ihre Schule.
Bedroht von einer Frau, die den Grund von Alinas Schmerz bildete.
Nerre, deren Hass auf dem Schwur gründete, auch die letzte Amazone zu töten. Selbst vor ihrer eigenen Nichte würde sie nicht halt machen, diese als Symbol für einen sinnlosen Krieg zu vernichten.
Dabei war Alina es nicht mehr.
Das kleine Mädchen verschwand vor so vielen Jahren. Nala, die Amazonenprinzessin war tot.
Sie war nur noch Marnos Tochter. Kopfgeljägerin und Feigling!
Einen anderen Ruf hatte sie nicht verdient.
Nicht die Heldin, nach der sich das Volk sehnte. Wofür ihre Mutter starb. Sie war ein Flüchtling. Eine Ausgestoßene.
Daher beabsichtigte Alina abzulehnen, als Liliza ihr anbot, eine Weile ihr Gast zu sein.
Letztendlich gab sie den Wunsch nach.
Sie begleitete die junge Königin während derer Pflichten. Und es war eine tolle Erfahrung.
Von ihrer Heimat kannte sie die Strenge eines Herrschers, dessen Forderung es war, auf dem Rücken seines Volkes getragen zu werden.
Liliza bedeutete dagegen das Herz dieses Landes.
Sie herrschte mit Liebe und Güte. Verlieh ihrem Volk durch starke Bündnisse zu Sicherheit. Handelsbeziehungen führten zu einem Wohlstand, den die Bürger des Landes ihren Königinnen mit Schlössern dankten, deren Pracht alles erstrahlte.
Alina erfuhr dabei mehr über die Sorge der jungen Königin.
Ihr erschien es als Kleinigkeiten.
Jeden angebrochenen Tag verunstaltete neues Unkraut den von ihrer Schwester angelegten Garten. Das Wetter wechselte sich mit plötzlichem Gewitter ab. Während Alina dort war, musste Liliza zwei ihrer Bürger aufgrund deren Verletzungen behandeln.
Nur zwei Launen der Natur, in der sie meinte zu erkennen, wie stark an dem Band zwischen den Schwestern gezogen wurde.
Sie hatte Angst mit Zerreißen davon, das Geschenk ihrer Kräfte zu verlieren und damit den Schutz ihres Landes.
Alina sah Liliza in ihrer Verzweiflung zu, ohne zu wissen, was sie tun konnte. Wie konnte sie die Königinnen näher zusammenbringen, wenn es nicht einmal deren Schwester gelang?
Marno hatte ihr gelehrt, immer ein offenes Ohr zu haben. Den Leuten beizustehen, wo ihre Hilfe nötig war. Sie sollte die Königinnen wenigstens anhören.
Nicht sofort.
Zuerst wollte sie einen anderen Ort aufsuchen. Den eigentlichen Grund, dieses Land zu betreten.
Alina wollte sich nicht groß mit der Verabschiedung aufhalten, die Liliza ihr vielleicht zugedacht hätte. Daher packte sie eines Nachts ihre Sachen und schlich sich zum Stall.
Schon damals bei Eros Familie war es ihr nicht gelungen, sich unbemerkt davon zu stehlen.
Doch hier überraschte es sie, Liliza an der Box von Alinas braunen Stute stehen zu sehen.
Die Hand der jungen Königin lag auf Stirn des Tieres, unter der sich eine Blässe abzeichnete.
„Ein treues Tier!“, sprach sie mit ihrer ruhigen Stimme. „Es würde alles für seinen Reiter tun. Ihn sogar in den Kampf führen!“
Was Allina nicht bezweifelte.
Sie hatte das Tier auf ihrer Reise günstig erworben, da es sich vor dem Karren eines Händlers beinah kaputt gearbeitet hatte.
Dieser mochte ihm nicht viel Wert bemessen haben. Doch seine Beine waren von der langen Arbeit kräftig und nach ein wenig Pflege, war es wieder ein robustes Tier.
Kein Ersatz für ihre Belena.
„Du solltest es frei lassen, wenn du sie wiedergefunden hast.“ Ihr war, als könne Liliza ihren Gedanken lauschen. „Es findet seinen Weg und seinen wahren Herren. Da bin ich mir sicher!“
Alina lächelte.
Das wollte sie.
Dann sah Liliza sie an.
„Du wirst deinen Weg nicht gehen können, ehe der Streit unter meinen Schwestern nicht geschlichtet ist! Nimm dein Schicksal an, statt es zu bekämpfen, Amazonenprinzessin!“
„Es ist mein Leben!“, widersprach Alina mit fester Stimme. „Ich bestimme den Verlauf, niemand sonst!“
Keine Königin, die meinte ihr Schicksal zu kennen. Nicht Beldor, der sie am Traualtar mit seinem Sohn sah.
Niemand!
Alina war frei und würde für dieses Privileg kämpfen.
Ob nun in der Schule bei Marno, oder zum Schutz dieser fern ab von aller Rache durch ihre Tante.
Liliza trat von der Box fort, in der die Stute untergebracht wurde.
„Meint ihr wirklich, euer Vater würde wollen, dass ihr euch wie ein feiger Hund davon stehlt?“
„Er würde wollen, dass ich überlebe!“
„Und eure Mutter? Ihr tragt Nettes Erbe in euch. Alles, für das sie kämpfte. Sie hat sich für die Zukunft geopfert. Für das Leben ihres Kindes!“
Alina verstummte.
Ihre Mutter … Sie konnte sich nicht einmal mehr an ihr Gesicht erinnern. Nicht an ihre Stimme, oder wie es sich anfühlte, von ihr umarmt zu werden.
Sie war fort!
Verschwunden aus ihrem Leben.
Ein sinnloser Tod in einem sinnlosen Kampf.
Dem wollte Alina nicht folgen! Dem würde Alina nicht folgen!
„Ich habe keine Mutter!“, sagte sie stattdessen. „Und mein einziger Vater ist Marno! Und wenn ihn zu retten bedeutet, feige zu sein, dann bin ich das! Er hat immerhin sehr viel für mich gegeben!“
Liliza ging vor und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
„Geh deinen Weg!“, sprach die junge Königin. „Ich bin mir sicher, du wirst den richtigen wählen.“
Als sie sich zurückzog, blieb Alina mit einem schweren Herzen zurück.
Liliza war nett, fürsorglich und so großzügig, eine Fremde aufzunehmen, der gegenüber sie sich verhielt, als würden sie sich Jahre kennen.
Alina tat es Leid, sie enttäuschen zu müssen. Denn genau das hatte sie vor.
Sie wollte so schnell wie möglich zu der Insel, von der ihr der Dieb Morlo berichtet hatte.
Eine Lösung zu finden für ihr Problem.
Würde sie das, entschied sich, ob Alina den Königinnen helfen konnte oder vorher ihren Weg beschritt, ihren Vater und die Schule zu retten.
Getrieben von diesem Gedanken ritt sie los. In Richtung Süden.
Nur um dort an einem Punkt anzulangen, an dem sie nicht weiter konnte.
Oh, verdammtes Biest! Liliza musste davon gewusst haben! Wieso hüllte sie sich in Schweigen, statt ihr alles zu offenbaren?
Ein Lachen entstieg ihrer Kehle, dass sich mit dem Brechen der Wellen gegen die Steinküste vermischte, die von einem tobenden Sturm hierher getrieben wurden.
Wasser schlug hoch zu ihr, benetzte ihr Gesicht.
Als sie ihre Lippen beleckte schmeckte sie das Salz der Brandung.
In all den Jahren ihres Lebens war sie das erste Mal an der Küste.
Sie hätte sich besseres Wetter gewünscht.
Es würde wie bei jedem Sturm sein. Der Wind würde sich legen, die Wolken aufbrechen. Und würde sie die Chance bekommen, konnte sie im Wasser mit den Fischen schwimmen.
Alina trieb ihr Pferd die Küste entlang nach Westen. Dort in der Ferne stiegen Rauchschwaden zum Himmel.
Ein Dorf bedeutete Fischer und einen Hafen.
Sie konnte von dort aus zur Insel übersetzen.
Alina wusste noch nicht, wie treffend Lilizas Prophezeiung sein würde.
Sich in den Schatten einer Bucht schmiegend lag das Fischerdorf, das Alina aus der Ferne entdecken hatte.
Die Fischer hatten versucht ihre Boote vor den Sturm zu retten, indem sie diese ans Land zogen.
Alina stand vor einem der Schiffe.
Es lag auf der Seite. Bäume waren darauf gestürzt, umgeknickt, als seinen sie lediglich dünne Äste. Das Laub der Krone lag auf dem Schiff aber es reichte, um an dem Grün vorbei zu erkennen, dass es leckgeschlagen war und vor dem nächsten Auslaufen würde repariert werden müssen. Zwei weitere fanden sich dahinter. Beide vom Wind dorthin gedrückt. Eines lag in zwei, das andere wirkte aus der Ferne ganz passabel aber das konnte täuschen.
Kaum zu glauben, dass ein Sturm zu so etwas fähig war.
Andererseits hatte er solch eine Intensität angenommenen, das Alina sich im Sattel festklammern musste. Ihre Stute kämpfte tapfer dagegen an.
Sie mussten zu den Häusern!
Schon auf ihren Weg hatte sie Reusen sehen können, die vom Sturm beschädigt und an Land gespült wurden. An den Häusern fand sie ebensolche Beschädigungen.
Fensterläden waren heruntergefallen. Eines der Fenster lag eingeschlagen. Sie sah zerstörte Netze und sogar eine eingestürzte Hütte.
Alina hoffte für die Bewohner, sie konnten dem entkommen.
Wenn sie sich schon nicht die Schwestern zusammenführen konnte, würde sie ihre Überfahrt damit bezahlen, nach dem Sturm die Schäden zu beseitigen.
Ganz so, wie es ihr Marno beigebracht hatte.
„Wer seit ihr?“, fragte eine Stimme laut durch den Sturm zu ihr.
Alina drehte den Kopf dem Eingang einer der Hütten zu.
Dort stand ein Mann, der seinen Körper gegen die Tür stemmen musste, die der Sturm wieder schließen wollte.
Er erkannte selbst, wie unsinnig es war, in dem Sturm ein Gespräch zu führen.
„Stellte euer Pferd im Stall unter und kommt zu uns herein.“
Knapp gehalten und vom Sturm verzerrt. Alina verstand genug, um dem nachzukommen.
Sie stieg ab und führte ihre Stute zum Stall.
Als sie die Tür geöffnet hatte und wieder geschlossen, fiel sie, die Zügel in der Hand, auf die Knie.
Die Stute senkte ihren Kopf zu ihrem, sodass Alina ihre Hand erhob, um die Stirn des Tieres zu streicheln, das genauso erschöpft war, wie sie.
Was ist das für ein Sturm?
Alina hatte viele erlebt. Auch von solcher Stärke, die Dächer abdecken konnte. Mehr als einmal, wurden ihre Häuser vom Blitz getroffen. Immer war sie froh, dass niemanden etwas passierte.
Aber das übertraf alles!
„Wo kommt der ganze Wind her?“, fragte Alina daher, nachdem sie sich ins Haus gekämpft hatte.
Angestrengt atmend lehnte sie sich an die geschlossene Tür.
„Hoffentlich hört das bald auf! Ich wollte mit dem Schiff übersetzen.“
Dem entgegen sprach der grollende Donner, der über das Meer kam und davon kündigte, gerade erst richtig anzufangen.
„Ihr seid nicht von hier!“, stellte eine raue Stimme fest, von der sie auch ins Haus gebeten wurde. Im Tosen des Sturmes klang sie ganz anders.
Alina sah in den Raum.
Dort saßen acht Personen.
Zwei Männer, von denen einer mit geschientem Arm da saß und zu jeden passend eine Frau. Dann vier Kinder. Eines ein Baby, in den Arm der Mutter. Dann ein kleiner Junge und zwei Mädchen zueinander ungefähr im gleichen Alter.
Rotwangig und mit Zöpfen, schauten sie neugierig zu der Fremden. Zu ihr. Alina.
Die sich nun verbeugte.
„Mein Name ist Alina!“, stellte sie sich vor. „Ich bin eine reisende Tänzerin und mich haben die Erzählungen dieses Landes gelockt!“
Was immerhin besser klang als Kopfgeldjägerin oder Mörderin. Je nachdem, was hier über sie erzählt wurde. Angeblich mit dem Sohn des gefürchteten Mannes von Ura verlobt. Außerdem flüchtig nach einem Auftrag für das Heer von König Teron. Und hoffentlich als verstorben geltend.
„Nun, möchte ich weiterziehen.“
„Mädchen, hast du nicht bemerkt, was in diesem Land vor sich geht? Im Moment legt kein Schiff von hier ab!“
Sein Blick ging zur Tür, die unter dem Druck des Windes knarrte.
„In jeder Familie gibt es Streit, unsere Königinnen sind da keine Ausnahme. Wir spüren es an den Stürmen und der rauen Seen, wenn sie zürnen. Meist vergeht es, sobald sie sich beruhigt haben. Aber dieser Sturm … Dauert er noch länger an, müssen wir unser Heim verlassen!“
„Ein Sturm endet!“ So kannte es Alina.
Der Wind würde sich legen, die Sonne strahlen. So war es normal! Dieser Sturm jedoch war nicht natürlichen Ursprungs.
„Dieser Sturm dauert nun einen Monat an. Unsere Nahrungsmittel gehen zur Neige!“ Er sah zu seiner Frau, dann den Kindern. „So sehr wir das Dorf lieben, wir können hier nicht mehr lange bleiben!“
Verdammte Liliza! So nett sie war, sie hätte mir sagen können, was mich erwartet.
Doch hätte ich es geglaubt?
Die ehrliche Antwort darauf lautete: Nein!
Sie war ohne solche Wunder aufgewachsen. Ohne Magie. Selbst wenn sie den Zauber sah – die feurigen Bälle am Himmel – es fiel ihr schwer das alles zu glauben.
Zudem …
„Liliza sah nicht wütend aus!“, sprach sie unbedacht aus. „Höchstens besorgt.“
„Ihr seit Gast unserer Königin Liliza gewesen?“, sprachen sie, als gäbe es eine zweite dieses Namens.
Alina nickte.
„Sie war nett und aufgeweckt.“ Geradezu aufgekratzt und dennoch beherrscht.
„Unsere Königin Liliza trägt die größte Bürde!“, sprach die Frau das erste Wort. Ihre Stimme wirkte so gütig, als würde sie jemanden in eine Umarmung nehmen.
Ihr Mann mochte sie zur Vorsicht mahnen, immerhin war sie eine Fremde, doch sie ließ sich davon nicht hindern.
„Die Gaben ihrer Schwestern mögen unkontrolliert vernichtende Ausmaße annehmen. Natur und Menschen erholen sich davon. Schäden werden beseitigt, unser Königreich wieder hergerichtet, wenn alle mit anpacken. Ihr ist es nicht gestattet, ihre Gefühle ausbrechen zu lassen. Sie muss diese kontrollieren. Liliza ist der Quell des Lebens. Was ist unser Land, wenn ihm die Freude am Leben und die Liebe genommen werden?“
Das der weißhaarigen Liliza solch eine Gabe zuteil wurde.
Heilung hatte Alina am eigenen Leib erfahren und mehrmals gesehen. Außerdem besaß sie ein Wissen, dass man meinte, sie könne im Geflecht des Lebens sehen, was sie wollte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Klarer, als man selbst.
Wie albern!
In gewisser Weise war Alina auf die anderen Königinnen gespannt und deren Gaben.
Der Herr des Hauses mochte ihr misstrauen, doch in einem waren sich die Bewohner einig.
In diesem Sturm schickten sie das Mädchen nicht fort.
So erfuhr Alina, dass dem anderen Paar das eingestürzte Haus gehörte.
Der Mann hatte sich im Versuch die Kinder zu retten den Arm gebrochen. Ihnen war nichts geschehen. Sie hatten sich im Kamin verkrochen, der weitestgehend vom Einsturz verschont geblieben war.
Sie dort heraus zu holen, war eine andere Geschichte.
Eine, die mit gutem Ende aufwartete.
Bis auf ein paar Schrammen blieben die Kinder unverletzt.
Alina wurde in dieser Nacht auf dem Boden des Hauses aus Decken ein Schlaflager bereitet. Zusammen mit der Familie, die hier aufgenommen wurde.
Die Kinder waren toll.
In ihren Spielen und ihrer Art trotzten sie sogar dem Sturm. Es half den Erwachsenen in der ernsten Lage nicht zu verzweifeln, heiterten sie auf und berührte sogar Alina.
Sie konnte verstehen, wieso es diesen Leuten so schwer viel ihr Heim und alles was sie besaßen aufzugeben. Und doch waren da sie.
Die Familien waren am Leben und egal, was kommen mochte, sie würden neu anfangen können.
Das fand sie, die einzig die Flucht sah, mit ihren Problemen umzugehen, beeindruckend.
Und sie beschloss, ihnen auf der Reise zu helfen.
Der Sturm hielt an, befand sich im Streit mit den Wellen, wie die Schwestern, denen diese Elemente gehorchten.
Wind und Wasser, als müsse eine die andere übertreffen.
Die Wolken brachen über Nacht nicht auf, wie die Familien hofften. Sie hatten sich aufgetürmt und hingen schwer über der Küste. Drohend, dem Meer nicht zu nahezukommen.
Mittags war es noch so dunkel, als würde die Nacht nie vergehen.
Gespenstisch!
Die Männer schlugen sich nach draußen.
Das Meer war so stürmisch. Die Wellen schlugen bei Flut so hoch an Land, dass sie manchen Fisch mitrissen, der nach Ebbe in flachen Pfützen zurück blieben. Genug Nahrung für die Familie, die Reise zu beginnen.
Was sie in den nächsten Stunden nicht würden aufbrauchen, legte man in Salz ein und packte es auf die Lasttiere. Ihre Stute, ein weiteres Pferd und ein Esel.
Bei Aufbruch, platzierte man die Kinder zwischen sich. Bildete eine Linie. Durch Kleidung von den an Intensität gewonnenen Sturm geschützt.
Mit dem Mann, der sie begrüßte, als Führer durch das Unwetter.
Er führte sie zuerst zu einem Fluss, dem sie stromaufwärts ins Inland folgten.
Beide Männer hatten Speere mitgenommen, um im Wasser fischen zu können, nachdem sie das Sturmgebiet verlassen hatten.
Die gefangenen Fische dienten ihnen zur Nahrung und als Handelsgut.
Alina setzte ihre Künste als Fährtenleserin ein. Zur Unterhaltung der Kinder.
Sie konnte ihnen manches Vogelnest zeigen und die Eier darin. Mit Nennung der brütenden Eltern.
Spürte mit ihnen kleinen und großen Tieren auf. Manche davon, von denn Kindern bestaunt, andere durch Fallen gefangen.
Ein richtiges Abenteuer.
„Danke!“, sagte nach einem dieser Jagdausflüge die Frau des raustimmigen Mannes. Was Alina für den ersten Moment nicht verstand, die ihren Bogen abstellte.
Sie hatte ihn sich auf der Reise aus einer Hasennussrute geschnitzt. Mit einer Sehne versehen, die sie aus dem Schweifhaar ihrer Stute geknüpft hatte. Ihre Pfeile waren mit den Federn gefangener Wildvögel versehen.
Es genügte, den Kindern ein Spielzeug zu bieten und für manche Beute.
Etwas anderes wollte sie damit nicht.
Und genau das meinte die Frau. Sjena, wie sie hieß.
„Den Kindern machen die Abenteuer mit dir Spaß. Und wir können die Zeit ohne sie nutzen um uns wegen unserer weiteren Reise etwas zu überlegen. Aber sag!“
Sjena sah Alina streng an.
„Woher weiß eine Tänzerin so viel von der Jagd?“
„Alleine reisende Tänzerin!“, betonte es Alina und versuchte die Frau mit einem Lächeln zu besänftigen. „Ein hübsches Gesicht mag manche Vorstellung ermöglichen aber es füllt nicht den Magen, wenn der Weg zu lang ist.“
„Eine beeindruckende junge Frau“, sprach Sjena in ihrem Lob.
Einer dieser Momente mit den Kindern war es auch, auf dem sie die junge Frau entdeckte, vom Alter her vielleicht gerade 20.
„Eine Fee!“, wie eines der Mädchen sie leise beschrieb.
Und tatsächlich konnte man das von der jungen Frau denken, die über das Laub des Waldes zu schweben schien. Eins mit der Natur und allem um sie herum.
Ihr Kleid war vom Grün der Blätter, sie im einfachen Schnitt kleidend. Beinah, als sei es von einer Bäuerin geliehen. Eine braune Kordel lag als Gürtel um ihre Hüfte und fiel an der Seite herab.
Eines der wenigen Verzierungen ihres Kleides.
Eine Kapuze ging von ihren Schultern aus über ihren Rücken.
Ihr Haar erinnerte an Haselnüsse. In seinen Wellen hatte sich Laub verfangen, dass in seiner Farbe so leuchtend war, dass es sie mehr schmückte, als es Juwelen getan hätte.
In ihrer linken Hand trug sie einen Stoffbeutel, mit rechts kraulte sie ein Eichhörnchen, dass auf ihrer Schulter saß.
Ihr Lächeln konnte einen verzaubern.
Alina nahm die Kinder behutsam zu sich.
Sie sollten kein Geräusch von sich geben, das die Fee – eine andere Bezeichnung fiel auch ihr nicht ein – womöglich vertreib oder den Zauber aufhob, von dem sie hier gefesselt wurde.
Und ein Zauber, das war es tatsächlich, den sie entfachte!
Der Wald war an dieser Stelle erkrankt.
Die Fee ging zu einer der Baumstämme, deren Holz spröde war, als würde er jeden Moment in sich zusammen fallen.
Alina hörte nicht, welche Beschwörung sie sprach.
Noch mitten in den Worten erhoben sich die Blätter zu ihren Füßen. Tanzten im Wind um sie herum, als seien es Kinder, die sie zum Spiel einluden.
Sie folgte dem Ruf.
Drehte sich mit den Blättern, summte ein Lied, dass Eichhörnchen dabei in ihre Hand nehmend. Während um sie herum ein Wunder geschah.
Was tot war sprießte vor Leben.
Aus umgestürzten Bäumen erhoben sich neue Triebe. Wuchsen in die Höhe, verästelten sich und bildeten eine dichte Krone aus, die im entfachten Zauberwind ihr Lied begleiteten.
Von Krankheit zerfressenes Holz wurde gestärkt, mattes Laub von einem neuen Glanz erfüllt. Stimmten ein, als hätten sie ein neues Leben gefunden.
Ergrautes Gras wurde Grün, dort, wo es ihre Füße berührten.
Auf dem Boden der Lichtung erblühten Blumen, wie Alina sie nicht kannte. In einer Masse, wie es Alina nie zuvor sah.
Es war großartig.
Von einem Frieden, dass man alles Schlimme vergaß. Nicht einmal Alina sah es kommen, als Männer die Lichtung betraten, auf der die Fee in ihrem Zauber tanzte.
„Wen haben wir denn da?“, rief einer aus der Bande vergnügt. Seine Stimme ließ die Fee erschrocken anhalten. „Ich dachte, mein Kamerad ist ein Träumer, als er mir von einer Magierin berichtete, die den Wald verzaubert.“ Ihre Augen öffneten sich, während er das sagte, die so braun war, wie der Baum, den sie berührte. „Und da finden wir sie. Eine Schönheit. Du wirst uns gute Dienste leisten, bevor wir dich an deine Schwestern gegen einen angemessenen Preis zurück verkaufen, Waldhexe.“
Sie stolperte zurück, im Wissen, nicht vor ihnen fliehen zu können.
Und doch drehte sie sich um.
„Lauf!“, rief sie.
Nicht zu Alina und den Kindern, sondern dem Tier, dass sie bei sich hielt.
Dann hatte der Mann sie erreicht. Mit einem brutalen Ruck, riss er sie herum.
Ihm nicht unterworfen, wie er es vielleicht hoffte, sondern erhaben.
„Meine Familie besitzt nicht das Vermögen, dass ihr von ihnen erhofft“, sprach sie. „Wir leben von dem, was uns die Natur gibt und die Menschen. Wir bereichern uns nicht an ihnen. Das ist Teil des Bundes, den wir schlossen.“
Dem Räuber interessierte das nicht.
Er zuckte es mit den Schultern weg.
„Dann wirst du uns dienlich sein und wir sehen, was die Leute bereit sind, für ihre Waldhexe zu zahlen!“
Wieso bezeichnete er die junge Frau so? Waldhexe. Fee traf es da eher, wie Alina fand.
Sie hockte sich zu den Kindern herunter, den Zeigefinger an die Lippen legend. Ihnen bedeutend, sie sollten leise sein.
Dann drängte Alina sie leicht zurück hinein in ein Gebüsch.
Sollte etwas geschehen, würden so wenigstens die Kinder nicht entdeckt werden.
Alina hatte ihn genug beigebracht, damit sie ihre Spuren zum Lager zurückverfolgen konnten.
Das übte sie bei jedem ihrer Jagdausflüge mit ihnen.
Erst, als Alina überzeugt davon war, dass die Kinder in Sicherheit waren, trat sie vor, weiterhin vom Schatten der Bäume verborgen.
Alina legte einen Pfeil ein und spannte die Sehne bis auf Höhe ihres Ohres.
Sie ließ den Pfeil los, der vorbei an dem Geäst von Bäumen und Sträuchern zu der Gruppe flog. Direkt vor den Füßen des überraschten Räubers und der noch überraschteren Fee landend.
Die Blätter der Bäume glitzerten noch vom Einfluss ihrer Magie.
Einen Moment schien alles im Schein davon zu schweigen.
Alina hörte nur die Geräusche, während sie den nächsten Pfeil zog und den Bogen spannte.
Sonst nichts!
Keine Tiere, nicht das Laub der Bäume im Wind.
Alles wirkte angespannt.
Erst Alinas Stimme brach das.
„Ich an deiner Stelle würde sie gehen lassen und verschwinden!“, sprach sie warnend zu dem Mann, der immer noch die Fee in seinen Armen hielt. „Der nächste Pfeil ist für dich bestimmt!“
Der Räuber sah in die Richtung, aus der Alina auf ihn schoss.
Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Immer noch der Meinung, er sei es, der diesen Moment bestimmte!
„Bloß ein Mädchen!“, sprach er abfällig über sie. „Komm raus und leiste uns Gesellschaft! Ich bin sicher, wir finden für dich Verwendung!“
Er nickte seiner Bande zu, sie sollten sich darum kümmern und sie aus dem Wald ziehen, der sie verbarg.
„Als ob die Frauen hier was anderes können, als ihre Arbeit und ihren Männern das Bett zu wärmen! Dieses Land ist so schrecklich friedlich!“
Seine Stimme klang, als würde ihn nichts mehr anwidern.
„Ein ewiger Frieden, für den ihre Königinnen schon sorgen. Nun! Jetzt sind sie im Streit. Ihre Armeen sind mit Schadensbegrenzung und Reparaturen beschäftigt. Auf die Hilfeschreie reagieren sie daher verzögert. Ideal für uns!“
Was ihn vergnügte.
Die Hilflosigkeit der Bewohner auszunutzen, sie zu plündern und womöglich auch zu ermorden.
Was er mit der Fee gedachte zu tun, ehe er sie gebrochen verkaufte, wollte sie sich nicht einmal vorstellen. Es genügte, ihren Bauch zu verdrehen.
„Jetzt sei brav und zeige dich!“
Wie er wünschte, trat Alina aus ihrem Versteck.
Für einen Moment schienen die Männer vom Gold ihrer Haare geblendet zu werden, beleuchtet von dem durch die Kronen der Bäume auf die Lichtung fallenden Licht. Damit spielte, wie der Wind, der ihre Wange streifte.
Ebenso eindrucksvoll war ihre Erscheinung.
Ein langer Mantel, unter dem ein kurzes Kleid lag.
Um ihren Oberschenkel hatte sie sich eine Klinge gebunden, eine Weitere steckte im Schaft ihres Stiefels.
Auf ihrem Rücken trug sie den schweren Beidhänder von Ero.
Nicht, dass sie den Leuten nicht traute.
Es war eher Sjena, die es nicht gerne sah, dass es im Lager herum lag.
Nicht wegen der Kinder bei ihr. Es waren mehr die Väter, die davon fasziniert wurden und zu gerne einen Moment hätten, es auszuprobieren. Sie befürchtete, ihre Männer könnten sich daran verletzen, während Alina eher besorgt war, dass dieses schöne Stück den Übermut ihrer nicht überlebte.
Die Räuber hatten recht.
Dieses Land war im Frieden. Sie kannten ihre Sicherheit, nicht das Grauen von Hunger und Krieg. Dadurch wirkten sie verletzlich und fast schon naiv.
Sollte der Bund ihrer Königinnen gebrochen werden, würde genau das über sie hereinfallen.
Alina mochte nicht zu sagen, wer es wäre, der diese Verletzlichkeit ausnutzen würde. Ob aus ihrem Land, Miro, oder einem anderen. Doch der Feind lauerte schon auf eine Möglichkeit einzufallen.
„Ich bin nur auf reisen und stamme aus einem Land, in dem es für eine Frau nötig ist, mit einer Waffe umzugehen!“, sprach sie, mit dem Bogen weiterhin auf die Männer zielend.
In ihrer Heimat waren Angriffe durch Banditen in manchen Gegenden an der Tagesordnung.
Wer es sich zutraute, verteidigte sich. Wenn schon nicht mit dem Schwert, dann mit allem anderen, was einem zur Verfügung stand. Eine Heugabel oder Sichel konnten in richtiger Hand zur Waffe werden.
„Also lasst sie und verschwindet, wenn du nicht willst, dass der nächste Pfeil in deiner Schulter oder deinem Kopf landet!“
Er zog sich zurück, hinter das Mädchen. Genau das griff Alina auf, ihn zu verhöhnen.
„Und jetzt muss der große Anführer eine Frau als Schutzschild nehmen. Da hatte ich es schon mit besseren Gegnern zu tun!“
Der Räuber verzog die Lippen.
„Große Töne für ein Mädchen, das alleine fünf Männern gegenüber steht!“
Ihr Schweigen lag nicht etwa daran, dass sie von ihnen eingeschüchtert war. Alina hatte schon gegen bedeutend mehr Leute gekämpft, die zudem besser war, als diese kleine Bande.
Nur waren deren Köpfe meist benebelt vom Alkohol.
Den Bonus hatte sie hier nicht.
Alina musste sich in dieser Situation also groß machen.
Diese Bande einzuschüchtern und so ohne einen Kampf die Fee frei zu bekommen, war ihr lieber als anders. Besonders vor den Kindern.
Also trat sie in ihrer Überlegenheit auf und hoffte, sie beging damit keinen Fehler.
„In Miro nennt man mich den blutigen Engel! Ich bin Kopfgeldjägerin! Bei meinen Aufträgen bekomme ich es mit Leuten zu tun, die nicht solche Feiglinge sind!“ Sie sah zu den Männern. „Soll ich euch beweisen, womit ich mir diesen Namen verdient habe? Wollt ihr das wirklich herausfinden?“
Alina nahm ihre Mienen auf, die zwischen Zweifel und Angst dahin schweiften.
Gut so!
„Verschwindet!“, herrschte sie die Männer an. „Und Finger weg von ihr!“ Sie trat einen Schritt auf die Bande zu, drohend mit dem schussbereiten Pfeil auf sie zielend. „Oder wer möchte den Anfang machen?“
Womöglich wägten die Räuber sogar ab, wie schnell nach dem Schuss sie den Bogen erneut gespannt hatte. Da könnte Alina sie beruhigen.
Das Schwert wäre schneller gezogen.
Erleichtert nahm sie auf, wie die Vierergruppe zurückwich.
Dann sprach einer auf ihren Kameraden ein.
„Lassen wir diese Entführung! Es war ein Zufall, dass wir sie entdeckt haben! Wir ahnten doch alle, es kann nicht so glatt laufen, wie gehofft! Selbst du musst einsehen, das alles ist den Ärger nicht wert! Wer weiß, ob hier irgendwo ihre Beschützer lauern! Wir sollten gehen!“
Also war es nicht direkt sie, von der die Bande in Angst versetzt wurde.
Eher die Befürchtung, Alina könne sie zu lange aufhalten.
Der Räuber bei der Fee verzog die Lippen.
Er ließ die junge Frau nicht gerne los aber fügte sich letztendlich der Gruppe.
Als sie weg waren, ließ Alina den Bogen sinken. Die Sehne ging zurück in ihre Ruheposition.
Wenigstens hatte sie Schlimmeres verhindern können, egal, wo diese Beschützer der Fee sich im Moment aufhielten.
Alina wollte ihr gerade ein Lächeln schenken, um sie in der Ruhe ihrer Freiheit zu begrüßen, doch es zerbrach am kalten Blick der Fee.
So wie sie aussah, hatte Alina ihr kein Stück geholfen.
„Das war nicht nötig!“, sagte sie auch. Mit so einer arroganten Stimme, als würde Alina weit unter ihr stehen. Und kaum hatte sie es gesagt, wandte sie sich zum Wald ab. „Ich mag schwach aussehen aber ich habe meine Möglichkeiten, mich zu verteidigen!“
Gut, was sie konnte, das beherrschte Alina schon lange.
Sie wandte sich eingeschnappt von ihr ab.
Wenn es sich Alina ehrlich zugestand, war sie enttäuscht über die Reaktion der anderen.
„Bilde dir nichts darauf ein! Ich habe das nur wegen der Kinder gemacht! Sie hätten mir nicht verziehen, wäre ihre Fee von Banditen entführt worden!“
„Kinder?“, fragte sie und wirkte ehrlich interessiert, was in Amüsement umschlug. „Fee? Haltet ihr mich allen Ernstes für eine Fee?“
Lachen hallte in ihren Ohren.
Alina drehte sich um.
„Nicht ich, die Kinder!“ Was halb der Wahrheit entsprang.
Eine junge Frau so verbunden mit der Natur, was blieb da anderes, als eine Fee? Obwohl sie aus der Nähe betrachtet nicht mehr so wirkte.
Alina pfiff nach den dreien, die darauf auch aus dem Unterholz krabbelten.
Vorsichtig. Um nichts zu tun, was die Fee verscheuchen würde. Und mit ein wenig Scheu vor der Unbekannten.
Meinten sie, die junge Frau würde sie mit einem Zauber belegen?
„Wer seid ihr denn?“, wollte die junge Frau wissen. Nicht mehr von oben herab, sondern vollends entzückt von den Kindern, die der Reihe nach einen Namen zu ihr riefen. „Es freut mich, euch kennenzulernen!“
„Und es würde sie sicher freuen, wenn sich ihre Fee dazu einverstanden erklärt, sie und ihre Eltern zum Essen zu begleiten. Sonst glaubt ihnen niemand, dass sie eine Fee gerettet haben!“
Alinas Stimme wirkte offiziell. Ganz so, wie man einen hohen Gast einladen würde.
„Wirklich?“, sprach die junge Frau und gluckste auf. „Das können wir nicht zulassen! Also werde ich euch gerne begleiten.“
„Die Räuber sprachen von Beschützern“, sprach Alina ein Thema an, dass sie mehr beschäftigte, als die Frage danach, wer sie war, wenn schon keine echte Fee. „Wenn euch Leute zu eurem Schutz unterstehen, wo sind die dann? Hätten die euch nicht zu Hilfe eilen müssen?“
„Ich bin ihnen entwischt!“, lautete ihre einfache Erklärung. Als wäre es keine große Sache. „Ginge es nach ihnen, würde ich in einen Turm gesperrt! Wer will das schon?“
Urteilte sie streng darüber. Wieder mit dieser Arroganz, dass Alina sich fragt, wieso auch sie dachte, diese junge Frau sei eine Fee.
Vom ihrem Charakter her war der Zauber ganz verflogen.
Nicht bei den Kindern, die in ihrer Gestalt meinten eine Märchenfigur zu erkennen. Daher eilten sie voraus, um ihren Eltern die Sache zu berichten.
„Sie sind niedlich!“, meint die junge Frau. „Noch solche Träumer. Das ist schön.“
„Anders, als in meinem Land!“, sprach Alina in Kummer.
Der Junge erzählte ihr, er würde seinem Vater beim Angeln helfen. Wie die Jagd mit ihr mehr ein Spiel, als wirkliche Arbeit. Während die Kinder ihres Landes davon nur träumen konnten.
Sobald sie eine Harke halten konnten standen sie auf dem Feld.
Sie kannte das von den Jungs, die von ihnen unterrichtet wurden und von den Bauern.
„Miro, sagtest du!“, sprach die junge Frau gedankenverloren. „Ich habe viel über das Land gehört. Der König soll einen Großteil der Abgaben in Steine und Prunk für seine Schlösser ausgeben.“
„Ich durfte ihn einmal besuchen und fand es schrecklich!“ Sie seufzte. „Alleine die Tafel hätte manches Dorf satt bekommen. Aber statt die Reste dem Volk zu geben, wird es zum verrotten weggeworfen!“
Und wehe einer der Dienstboten stahl etwas davon. Der musste um seinen Kopf fürchten.
„Ich habe gehört, eure Königinnen seien besser“, fügte Alina hinzu. „Liliza ist mir schon begegnet. Sie ist anders, als ich mir eine Königin vorgestellt habe. So warmherzig und für jeden ihrer Bürger da. Ihr könnt froh sein, eure Königinnen zu haben.“
„Können wir?“, sie begann zu lachen. Erst ein Kichern, dass bald durch den ganzen Wald schallte.
Alina verstand nicht, was daran so lustig war.
Und überhaupt, war es gar nicht nett, über jemanden zu lachen.
In der Ferne sah man schon das Lager, als die junge Frau stehen blieb.
Auch Alina hielt an, auf sie wartend.
„Liliza ist eine alte Besserwisserin!“, urteilte sie auf der Art, die Alina zunehmend unsympathischer wurde. „Ich weiß nicht, wie du sie kennengelernt hast aber sie liebt es einen zu bevormunden. Sie spielt sich gegenüber jedem so auf, als wäre sie die Mutter und man selbst ein unreifes Kind. Dabei ist sie das noch.“
Als wäre sie um so vieles älter!
Alina hatte Liliza als nettes Mädchen kennengelernt.
Sie konnte einen überfahren, wie mit der Bitte um Hilfe, aber ohne einen zu bedrängen.
Und so sehr Alina es missfiel, dass Liliza, ihr nichts vom zum Erliegen gekommenen Schiffsverkehr erzählt hat, sie mochte dieses Mädchen!
Genau deswegen wollte sie Liliza verteidigen.
„Sie hat alles Recht dazu! Sie ist eine der Königinnen dieses Landes!“
Die junge Frau neben ihr hob die Lippen zu einer Grimasse. Als hätte Alina etwas unverzeihliches gesagt.
„Ich vergaß!“ Sie setzte sich in Bewegung. Mit ihrem schwebenden Gang streifte sie an Alina vorbei. „Du bist nicht aus diesem Land! Es sei dir verzeihen!“
In was auch immer für ein Fettnäpfchen sie getreten war, man konnte darin versinken!
Alina folgte dem Mädchen.
Sie kamen im Lager an, wo Alina mit der Familie zusammen aus Tüchern Zelte gebaut hatten. Eines für sie, zwei für die Familien mit ihren Kindern. Nicht komfortabel, aber genügend.
Die Kinder wirkten aufgeregt.
Mit Hilfe von wilden Gesten berichteten sie, was geschehen war. Von der Frau, die nur noch für sie eine Fee war. Über die Räuber. Wobei Alinas Einschreiten sie nur deswegen nicht beunruhigte, da sie es auf die lebhafte Fantasie der Kinder schob, die einen Hasen schon mal zum Fabelwesen machten und eine sie anfauchende Waldkatze wurde zum Wolf.
Bis sie mit einem Lächeln auf den Lippen hinter den Kindern auftauchte.
Nicht Alina, sondern die junge Frau, bei den Bürgern dieser Länder keine Unbekannte aber eben auch keine Fee.
Sjena nahm erschrocken ihre Hand vor den Mund, der die ganze Zeit offen stand.
Dann ging sie zu einer Verbeugung in die Knie, den Kopf weit gesenkt. Die Kinder dabei mitreißend, als sei es ein Fehler, sie nicht erkannt zu haben.
Alina verstand nicht.
Nicht einmal als die anderen zu ihnen kam, von denen sich nur Sjenas Ehemann nicht unterwürfig ihr gegenüber zeigte.
Sofort ging eine Schelte an ihren Mann, auf den sie sich wieder zu dem Mädchen wandte. Tausend Entschuldigungen auf den Lippen.
„Vergebt ihm, Hoheit. Er ist ein sturer Bock, dem es manches Mal an Anstand fehlt. Ich werde ihn später an seine Pflicht gegenüber eurer Hoheit erinnern. Es tut mir so leid, dass er euch nicht den gebürtigen Respekt entgegenkommen lässt.“
Bei ihm traf die Reaktion seiner Frau höchstens auf ein Schnauben, die sogar die Kinder weiter unten hielt, um nicht respektlos zu wirken und damit den Zorn der jungen Frau auf sich zu ziehen.
Alinas Kopf viel zu Seite. Sie war baff.
Hoheit? Hoheit wie in Königin? Ihre Königin? Eine der fünf?
Genug hatten sie ja zur Auswahl.
„Unsere Königin, die um unser Wohl besorgt ist. Das ich nicht lache!“ Der Mann war sauer.
Nicht erst seit jetzt, sondern seitdem alles begann. Sogar noch bevor sie gezwungen waren ihr Haus zu verlassen.
Denn der Streit zwischen den Schwestern hatte ihnen die Existenzgrundlage genommen. Sogar ihr Leben bedroht.
„Wenn ihr wirklich unsere Königin seid, wieso müssen wir dann leiden, nur weil ihr euch im Streit mit euren Schwestern befindet? Was haben wir getan, damit uns alles genommen wird, dass uns etwas bedeutet? Das uns beinah die Kinder genommen werden.“ Er deutete auf seinen Freund. „Ihr solltet uns schützen, nicht unser Leben gefährden.“
Sjena sah ihren Mann warnend an, ihm gebietend, den Mund zuhalten. Zog sich jedoch zurück, als sie erkannte, es waren auch ihre Gedanken. Ihr Mann sprach lediglich aus, was jeder von ihnen dachte, ausgenommen die Kinder.
Was die junge Frau betraf. Sie verhärtete sich gegen die Anschuldigung. Schob diese sogar weiter, als würde ihr Leid das der Leute vor ihr übertreffen.
„Nicht nur ihr leidet unter meinen Schwestern. Wir haben uns im Bund geschworen die andere zu unterstützten, doch sie zerstören, was mir lieb und teuer ist. Wie soll ich das verzeihen?“
Sie schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu verscheuchen. Mit einer Handbewegung verbot sie das Thema.
„Reden wir nicht darüber!“ Sie begann die Kinder anzulächeln, die nun wieder zu ihr aufsehen konnten. „Meine Retter haben mich zu einem Essen eingeladen und ich habe vor, dieses anzunehmen!“
„Alina!“, schrie eines der Mädchen und sprang auf. „Sie hat die Räuber vertrieben!“
Ein imaginärer Orden, der von ihrer Königin niemals würde vergeben werden.
„Alina!“, fiel es der jungen Königin schwer, ihren Namen überhaupt in den Mund zu nehmen. „Das hatte ich ganz verdrängt!“
Als sie sich zu ihr umdrehte, war es wieder ihre Arroganz, die sich über sie gelegt hatte.
Da gab es ein Detail, dass sie zu gerne genoss.
Den Umstand Alina wegen ihrer Unwissenheit vorführen zu können.
„Verzeih, dass ich versäumt habe, mich dir vorzustellen!“ Sie deutete einen Knicks an. Nicht vornehm, sondern den Moment voll auskostend. „Mein Name lautet Azera und ich bin eine der Königinnen dieses Landes. Mir wurde die sensibelste Gabe zugeteilt. Ein Gespür für die Natur und all ihre Wesen. Ich bin ausgewählt, meinem Volk die Zukunft zu schenken. Indem ich ihnen den Boden bereite, auf denen sie pflanzen können und ihre Ernten vor Krankheiten bewahre.“
Wie sie die Bäume im Wald heilte und neues Leben schenkte.
Eine beeindruckende Gabe!
Azera, Herrscherin von Lerana und damit die zweite Königin, der Alina auf ihrer Reise begegnete. Während Liliza in ihrer Bereitschaft zur Aufopferung für ihr Volk eine Königin war, sah man es an diesem Mädchen in ihrem Verhalten anderen Gegenüber. Eine Arroganz, mit der sie über anderen Stand, wie es nur eine verwöhnte Königin an den Tag legte.
Meinte Alina in ihrem vorschnellen Urteil.
Und dann sah sie ein Mädchen, dass mit ihrem schwebenden Gang und der Anmut einer Herrscherin. Ihr Kleid wirkte falsch an ihr. Sie sollte sich ihrem Stand gerecht in Tücher hüllen aus Gold gewoben.
Die sich einem der Männer zu wandte und seinen Arm nehmen wollte.
Dieser zog ihn weg, im gleichen Gedanken, der Alina kam.
Sie ist eine Königin und sollte sich dementsprechend verhalten! In ihrem Schloss sitzend, bis ihre Bürger um Audienz baten. Nicht in einem Wald, wo sie sich sogar niederließ und den Mann bat, sich zu ihr zu setzen.
Auf seine junge Königin sehend, gab er nach.
Er setzte sich zu ihr und reichte ihr seinen gebrochenen Arm, damit sie diesen von der Schlinge und den Bandagen befreite, um ihn zu begutachten.
„Ihr seid auf dem Weg zu meiner Schwester?“, erkundigte sie sich bei ihnen. Als sie von ihnen eine Bestätigung bekam, nickte Azera zufrieden. „Das ist gut! Liliza mag eine Besserwisserin sein, aber sie ist auch eine ausgezeichnete Heilerin. Ihre Fähigkeiten sind besser als meine aber ich werde ein wenig Linderung verschaffen können.“
Behutsam tat sie den Arm wieder zurück in die Schlinge, im Willen, ihm nicht mehr weh zu tun, als nötig.
„Du, Bogenschützin, du begleitest mich!“, wies die Königin Alina an, noch während sie dies tat. Ihr Ton klang schroff, bei der Bezeichnung für Alina sogar verächtlich.
Was hat sie gegen mich?, fragte sich Alina. Ich habe nicht gewusst, dass sie die Königin dieses Landes ist aber das ist kein Grund einen so zu behandeln!
Hinter ihr stellten sich die Kinder auf.
Alina neigte sich zu ihnen und tätschelte dem Mädchen den Kopf.
„Ich würde meinen, hier möchte uns jemand begleiten!“
„Sie sollten hier bleiben!“, sprach die Königin streng. Sie erhob sich. Dabei streifte sie Laub und Erde vom Rock ihres Kleides. „Sie …“
Bevor die Königin etwas Falsches sagte, verbot Alina ihr den Mund.
„Ich weiß nicht, was ihr vor habt, aber ich denke, die Kinder werden ihren Vorteil daraus ziehen können, ihre Königin bei einem ihrer Wunder zu beobachten!“
Und ich muss mich nicht mit den Launen einer Königin herum schlagen!, dachte Alina zufrieden bei sich.
Ging sie zusammen mit Azera in den Wald, würde nur einer von ihnen zurück kommen.
Sie mochte von der Königin erstaunliche Wunder gesehen haben, doch keine, die sich mit Alinas Schwertkunst messen konnten.
„Wir gehen Kräuter sammeln!“
„Umso idealer!“, sagte Alina, bevor Azera etwas einwenden konnte. „In den letzten Tagen habe ich damit verbracht, ihnen das Fährtenlesen beizubringen und ihnen die dazugehörigen Tiere gezeigt. Ihre kräuterkundige Königin kann ihnen sicher beibringen, wie sie Giftpflanzen erkennen und welche Kräuter irgendwann für sie nützlich sein könnten. Zum Beispiel, wenn sich eines ihrer Elternteile verletzt.“
Genau damit bekam sie die stolze Frau.
Der Vater hatte sich verletzt, als er seine Kinder retten wollte. In einem Sturm, für den sie im Zwist mit ihren Schwestern mitzuverantworten hatte.
„Ihr wollt das?“, richtete sie eine freundliche Frage an die Kinder.
Eine Antwort brauchten sie nicht geben!
Wie sie auf ihre Königin zusprangen, sie umarmten und jubelten, war Zustimmung genug.
Eine kindliche Freude, der sich die junge Frau nicht weiter verwehren konnte.
„Ihr meint nicht, es sei zu unvorsichtig, Bogenschützin? Immerhin könnten die Räuber noch in der Nähe sein. Ist es mit den Kindern nicht zu leichtsinnig?“
Alina sah zu der kleinen Gruppe, die meinte ihre Königin mit ihre Fähigkeiten im Spurenlesen beeindrucken zu müssen.
Sie hatten die Fährte eines Rehs mit kleiner Hilfe von ihr entdeckt, der sie nun versuchten zu folgen.
Alina schüttelte die Sorge fort.
„Vorhin hatte ich die Kinder auch bei mir. Sie hatten sich gut versteckt und keinen Laut von sich gegeben. Mein Name ist übrigens Alina, Waldhexe!“
Wie du mir, so ich dir!
„Ihr hattet Glück, dass die Räuber nichts von den Kindern wussten, Kopfgeldjägerin! Sie könnten die Kinder gefangen nehmen und gegen euch einsetzen!“
Sie will mich nicht einmal mit Respekt bedenken!
Was habe ich ihr denn getan? Ich wollte sie nicht einmal treffen! Als ich sah, dass sie in Gefahr ist, habe ich eingegriffen, wie jeder es tun würde!
„Unsere falsche Fee, hat großspurig herumgetönt, mit ihren Gaben Räuber in die Flucht zu schlagen! Ihr würdet mir sicher helfen, damit den Kindern nichts geschieht! Oder seit ihr gar nicht so mächtig, wie ihr tut und die beeindruckendste Gabe hat eine eure Schwester mit ihren Feuerbällen?“
Azera blieb direkt vor Alina stehen.
Gleich einer Warnung, nicht mehr zu sagen, als bis dorthin.
„Meine Schwester meint, ihr könntet reparieren, was nicht kaputt ist! Schwestern streiten sich nun mal! Das ist normal! Liliza soll sich nicht aufspielen, als sei es das Ende unseres Landes!“
Genau das befürchtet Liliza, wie die Bewohner Leranas.
Und vielleicht war es genau der Punkt.
Azera fühlte sich durch ihre Schwester, in deren Auftrag Alina kam, bevormundet.
„Ich hatte nie vor, hier lange zu verweilen. Mein einziges Ziel ist eine Insel, zu der ich wohl nur komme, wenn ihr euch beruhigt und euch mit euren Schwestern vertragt.“
„Begleitet mich zu meinem Schloss!“, forderte Azera Alina mit streng erhobener Stimme auf. „Seht euch an, was mir meine Schwestern antun und sagt mir, wie ich ihnen verziehen soll! Danach lasse ich euch gerne in das Reich meiner Schwester Mezi bringen. Die Straße von ihrem Schloss verbindet beide Kontinente miteinander. Vielleicht weiß sie einen Weg, wie ihr auf eure Insel gelangt!“
Die dritte der Königinnen.
Wie sie ist? Mehr wie Liliza oder Azera?
Alina versuchte sie sich vorzustellen.
So Feenhaft wie jede Schwester bisher. Beherrscherin einer Gabe, die Alina sich nicht einmal vorstellen mochte.
Wenn Alina meinte, das Eis zwischen ihnen darin gebrochen, dass sie nicht vorhatte die Rolle der Einmischerin zu spielen, wie von Azera befürchtet, kannte sie die junge Königin nicht!
Ihre den Kindern entgegengebrachte Wärme war Balsam. Ganz, wie man sich eine Königin vorstellte, der die Gabe gegeben wurde, mit der Natur im Einklang zu sein. Den Bewohnern fruchtbaren Boden und eine reiche Ernte zu schenken.
Geduldig beantwortete sie jeder ihrer Fragen. Die Kinder pflücken voreilig Pflanzen, in denen sie die richtige vermuten. Und obwohl Azera deutlich anzusehen war, dass sie nicht mochte, wenn Pflanzen unnötig beschädigt wurden, so übte sie Nachsicht mit den Kindern.
Sie folgte ihnen, nachdem Alina diese auf die zuvor im Dickicht des Waldes verlorene Rehfährte zurück führte, damit sie zusammen auf einer Lichtung das Reh dabei beobachten konnten, wie es sich um das dort auf seine Mutter wartende Junge kümmerte.
Doch wann immer Alina sich der Königin näherte, blieb diese gewohnt abweisend.
Azera war es aus irgend einem Grund zuwider, überhaupt mit ihr zu reden.
Was sollte es dann für einen Sinn haben, dass die junge Königin ausgerechnet sie bat, mit ihr die Kräuter zu sammeln.
Vielleicht war es wirklich, dass ihre beeindruckenden Kräfte nicht zur Verteidigung ausreichten und die junge Königin war nur zu stolz es zuzugeben.
Wie dem sei!
Alleine die Anwesenheit der Kinder gebot Alina, sich an dem Ort nach möglichen Gefahren umzusehen.
Die größte bedeuteten die ihnen begegneten Räuber.
Sie konnten sich noch in der Nähe aufhalten.
Daher erkundete Alina vom Windschatten des Rehs aus die Umgebung. Sie wollte das von den Kindern betrachtete Idyll nicht dadurch zerstören, dass sie dem Tier ihre Gegenwart verriet.
Mit dem beruhigenden Ergebnis, nicht unauffälliges auffinden zu können.
Der Wald war so ruhig, das Alina verlockt wurde, einen Moment still da stehend dem Gesang der Vögel zu lauschen.
Alles flog dahin, hinauf zum unendlich blauen Himmel.
Ihre Sorge um Marno und ihr beider Schule, die sie zusammen aufgebaut hatten. Von der Alina meinte, ihr nur in der Flucht zu entkommen
Sie wusste, es war nur für diesen Augenblick. Es gab Probleme, von denen entkam man nicht. Ihre waren solche.
Und doch erlaubte sich Alina für diesen Moment ein klein wenig Ruhe. Dabei ergab sie sich der Selbsttäuschung, es sei ein ganz normaler Tag und Nerre wäre niemals mit ihrer Forderung in ihr Leben getreten.
Ihre Augen schlossen sich.
In einem tiefen Atemzug nahm Alina den Geruch des Waldes auf.
Am liebsten mochte sie den Geruch am frühen Morgen, wenn Moos und Boden noch feucht waren und einen intensiven Geruch verströmten.
In den letzten Stunden war es getrocknet.
Nun dominierte das Holz der Bäume mit einer süßen Note von Waldblumen, die dort wuchsen, wo das Licht die Kronen der Bäume durchdrang.
Die Illusion des Friedens endete erst damit, dass das Blau ihrer Augen wieder erstrahlte und sie sich bewusst wurde, dass sie nicht in Miro war, wo Marno mit den Schülern ihre Rückkehr erwarteten. Und auch Ero war nicht ihre Begleitung. Das war eine Familie mit ihren Kindern, zu den eine der Königinnen dieses für sie so fremden Landes dazugestoßen war.
Zu der sollte sie zurückkehren.
Als Alina an dem Platz ankam, wo sie zuvor die Gruppe um Azera zurück ließ, war von diesen zuerst nichts zu sehen.
Es wird doch nicht …?
Sie verscheuchte den Gedanken sofort wieder, sobald er kam.
Das konnte nicht sein!
Außer ihren Spuren und der, der Tiere, konnte sie keine auf ihrem Weg und der unmittelbaren Umgebung entdecken.
Sie trat vorsichtig auf das Dickicht zu, von dem aus vorhin die Kinder mit der Königin das Reh beobachtet hatten.
Die Pflanzen des Bodens waren niedergedrückt, kleine Äste geknickt.
Ihre Hände berührten den Boden, der nichts von einem Kampf zeigte, oder davon, dass sie durch Gewalt weggerissen wurden. Sie sind freiwillig gegangen.
Und als Alina den Kopf hob, zu dem Versteck der Rehkuh für ihr Junges, entdeckte sie ein weiteres von Azeras Wundern.
Sie saß genau dort vor ihr auf dem Waldboden. Das Rehktiz hatte seinen Kopf in ihren Schoß gelegt, als sei es der Bauch seiner Mutter. Lies sogar zu, dass sie es streichelte und wurde auch nicht von den ganzen Kinderhänden auf sich aus der Ruhe gebracht.
Die Rehkuh stand grasend dort. Als würde von der kleinen Gruppe keine Gefahr ausgehen.
Es ging mehr von der jungen Königin aus.
Azera besaß eine beruhigende Art, dass sie für die Tiere keinerlei Gefahr ausstrahlte.
Als gehöre sie zu ihnen.
Alina zog sich vorsichtig zurück, um keinen verräterischen Ton von sich zu geben, der die Tiere doch noch gestört hätte.
Sie wusste nicht, ob der beruhigende Bann auch für sie wirken würde oder nur für die Kinder an Azeras Seite.
Vorhin war sie an einer Lichtung vorbeigekommen. Genau dort war sie nun hin unterwegs.
So viele unterschiedliche Pflanzen, wie sie wuchsen, war es ein Schatz an Kräutern.
Sicher fand Azera dort, was sie suchte.
Alina zogen eher die Blumen an, von denen sie ein paar sammelte, um sich dann mit ihnen am Rand des Waldes niederzulassen.
In einer beinah verblassten Erinnerung sah sie sich wie jetzt einen Kranz aus Blumen flechten. Damals sah sie es für ihre Mutter vor.
Eine einzelne Träne stahl sich aus ihrem Auge, als sie daran dachte, wie glücklich sie war, ihr die Krone aus Blumen auf ihren Kopf zu legen. Glücklich die Mutter nach all den Wochen endlich wieder zu sehen.
Nur, damit sie ihr wieder entrissen wurde.
Für immer!
Denn der letzte Marsch der Amazonen führte zur Hinrichtung.
Nicht für deren stolze Königin, der ein König verfallen war.
Alina wischte sich die Träne weg. Wollte sie nicht für eine Mutter vergießen, die sie verriet.
Bis heute verstand sie nicht, wieso ihre Mutter es tat.
Was hatte es ihr gebracht?
Alle ihre Kameraden waren tot! Keiner von ihnen konnte fliehen!
Sogar Marli, die ihr Leben für Alina gab.
So viele starben an diesem Tag für sie. Dabei war alles gut.
Ihre Mutter hätte einfach ruhig bleiben müssen, dann würde sie noch leben und Alina hätte an ihrer Seite aufwachsen können.
Das redete sie sich zumindest ein, wann immer sie an ihre Mutter dachte. Um Wut auf sie zu empfinden, nicht Trauer, sie verloren zu haben.
Alina beendete ihre Krone, dann lehnte sie sich zurück an einen Baum, zu dessen gewaltiger Wurzel sie saß. Lauschte dem Klang von Vögeln und Blättern.
So friedlich es war, konnte man ganz vergessen, was um sie herum geschah.
Eine Hand legte sich auf ihre Schulter.
Noch bevor sie zu Azera hoch sah, sprang ihr ein Mädchen um den Hals.
„Wir haben die Rehe gestreichelt!“, rief das Kind stolz. „Und das eine hat mich sogar abgeschleckt! War das rau!“
Alina nutzte die Gelegenheit dem Kind den Blumenkranz auf den Kopf zu setzen.
„Aber ich bin hier doch nicht die Königin!“, wand sie einen Protest ein. „Ihr würde eine Krone zustehen!“
Genau diese richtete sich nun an das Kind.
„Wenn du meinst, ich soll sie tragen, werde ich das!“, sprach Azera und neigte sich vor, damit das Kind sie erreichte.
Das Kind sah es sogar als Ehre, den Kranz von ihrem Kopf auf den ihrer Königin zu legen.
Eines der interessantesten Dinge an ihnen.
Azera setzte wie Liliza keinen Wert darauf mit solchem Schmuck ihren Status hervor zu heben.
Sie traten als einer von ihnen vor zu ihrem Volk.
Anders, als der Herrscher, den sie schon traf.
König Ylias war ein großer Mann und das nicht nur durch seine Statur, die er an seinen Sohn weitergab. Sein ganzes Auftreten, im Verhalten, das er nicht einmal in Schachpartien mit Ero ablegte, bis hin zu den edlen Stoffen, die er trug, war erhaben.
Dieses Mädchen dagegen … Wüsste Alina nicht, dass sie eine Königin ist, sie hätte Azera nie für eine solche gehalten.
Gerade lächelte die junge Königin ihre noch jüngere Untertanin an, um ihr ein Dank zu schenken.
„Du solltest ebenfalls eine haben? Wie wäre es, wenn ich dir eine mache.“
Bevor das Kind überhaupt antworten konnte, war Azera auch schon an ihr vorbeigeschritten.
Ihre Schritte bewegten sich über die Wiese, als suche sie den idealen Platz.
Als sie ihn endlich gefunden hatte, ließ sich die Königin nieder.
Sie flocht die Blumen nicht etwa zu einem Kranz, wie Alina es getan hatte.
Azera strich über die Blüten in der Wiese, die sich sogleich zusammenfügten und aus dominiert von grün geschmückt mit weißen Glöckhen eine Krone fasste.
Als Geschenk für ein Mädchen, dass über diesen Zauber die Augen aufriss.
„Wollten wir nicht Heilkräuter suchen?“, erinnerte Alina sie.
Keineswegs böse darüber, so von der Königin ausgeboten zu werden. Der Kranz war lediglich ein Zeitvertreib, während sie auf die Gruppe wartete.
Alina sah zu Boden und hielt ebenfalls Ausschau nach Kräutern.
Und wurde schnell fündig.
Sie hatte gerade ein paar davon abgezupft, als ein überraschter Schrei erklang.
„Das sind aber keine Heilkräuter!“, erkannte Azera richtig.
Sie hatten einen anderen Nutzen.
Eines besaß die Eigenschaft zu einer kurzzeitigen Lähmung der betroffenen Körperregion zu führen, gelang es ins Blut. Ein weiteres war ein wirksames Schlafmittel.
„Ich habe vor eine Paste daraus zu machen, um, wenn nötig, meine Pfeile damit zu präparieren“, erklärte sie sich. „Dieses Land mag den Frieden gewohnt sein, aber wie man an den Räubern gesehen hat, gibt es Leute, die es ausnutzen.“
„Mit Pfeilen auf sie zu schießen ist so barbarisch!“, urteilte Azera Alinas Vorhaben mit tadelnder Stimme ab. „Sie dabei zu verletzen, das kann ich nicht gutheißen!“
„Und wie gehen eure Beschützer mit Leuten um, die euch etwas tun wollen? Quatschen sie so lange auf diese ein, bis sie gelangweilt aufgeben? Oder eilen sie euch nicht eher mit dem Schwert zu Hilfe?“
Alina hatte seit ihrer Kindheit kämpfen gelernt. Hätte Marno sie nicht darin unterrichtet, wäre sie jetzt womöglich tot.
In einem anderen Leben, zu einer anderen Zeit hätte sie womöglich ein so behütetes Leben wie Azera. Da dies für Alina jedoch ein zu schöner Traum war, ließ sie sich kein schlechtes Gewissen damit einreden, dass sie Blut an ihren Händen kleben hatte.
„Genau deswegen mag ich sie nicht!“ Azera hob ihren Kopf leicht nach oben und von Alina weg. Kein weites Wort dazu dulden lassend, als diese wenigen.
„Wie schön, dass es weitere Menschen gibt, die euch missfallen! Und ich dachte, nur mir wird diese Ehre zuteil!“
Alina Seufzte den Spruch über ihre Lippen.
Sie wollte nicht ganz garstig zu dem Mädchen sein. Azera mochte eine hochnäsige und auf andere herabsehende Art an sich haben. Doch sie war sanft.
Vielleicht sogar zu sanft.
Alina wünschte ihr, es möge nichts geschehen, dass ihr Herz erkalten ließ.
Sie pflückte eine Pflanze aus dem Gras.
In der Bewegung, mit der sie ihren Arm nach oben hielt, sie Azera anzubieten, schlossen sich ihre Augen.
„Das dürfte eine von denen sein, die du suchst!“, sprach sie ruhig zu der Königin. „Als Tee aufgebrüht, kann die Pflanze Schmerzen lindern.“
„Ihr seid kräuterkundig?“, sprach Azera, als wäre dies eine so große Überraschung.
„An unserer Schule wird nicht nur der Schwertkampf gelehrt. Die Schüler sollen auf dem Feld auch wissen, was sie tun müssen, wenn sie verletzt sind oder um ihre Kameraden zu unterstützen. Auf dem Schlachtfeld steht ihnen nicht immer ein Arzt zur Seite. Dafür finden sie dort mitunter Pflanzen, die ihnen wenn nötig das Leben retten können!“ Ihr schwebte sogar ein Lächeln über die Lippen. „Natürlich kann mein Wissen nicht an eures heranreichen.“
Es war das erste Mal an diesem Tag, dass es von Azera für sie erwidert wurde.
Und bei nicht mehr beließ es die Königin.
Ein einzelnes, wahres Lächeln für Alina, schwindend mit dem Moment, als Azera die Pflanze an sich nahm.
Jedes weitere an diesem Tag geschah in reiner Höflichkeit der anderen Gegenüber.
Alina beschloss, ihr es nicht zu übel zu nehmen.
Sie durchreiste das Land lediglich.
Umso schöner war es mit anzusehen, wie die Königin mit den Kindern umging und später mit der Familie.
Neben den Kräutern zur Behandlung des Mannes, hatte sie ein paar Küchenkräuter gesucht. Mit ihnen bot sie an, bei der Speisezubereitung zu helfen.
Die beiden Frauen wollten es sich nicht nehmen lassen, dem hohen Gast ein Mahl zu kochen.
So bescheiden sie gerade lebten, wollten sie den Abend für sie angemessen gestalten.
Daher boten sie ihrer Königin eine Baumwurzel zum Stuhl an, während die Familie auf dem Boden saß. Die Kinder nahmen auf einem Baumstumpf platz.
Alina stand lieber. Wie auch der raustimmige Mann.
Eines musste er seiner Königin hoch anrechnen.
Seit langem war es der erste Tag, an dem seine Familie nicht mit Gram an das dachte, was sie zurückgelassen hatte.
Seine Frau wirkte ausgelassen im Plaudern mit ihrem Gast. Wie auch die Kinder. Und das stimmte ihn glücklich.
Gab hoffen auf eine Zukunft, in der das Volk nicht so von ihren Königen verlassen waren, wie es ihnen angesichts des Leides, das sie traf, erschien.
Und dank Azeras Zauber, schmückten Blumen die Bäume um sich herum und ein Schwarm Leuchtkäfer brachte Licht in die Nacht.
Es war ein warmer und zauberhafter Abend.
Eine weitere Besonderheit umgab die Königin.
Die Familien hatten sich am Feuer Fisch gebraten, während sich Alina mit den Kindern einen Hasen teilte, den sie beim Überprüfen ihrer Fallen dort vorfand.
Azera begnügte sich mit einem Mahl aus dem Gemüse, dass sie in einem der letzten Dörfer erwarben, durch das sie kamen. Verfeinert mit Wurzeln, die beide Frauen im Wald gefunden hatte.
Am Abend hatte sie die junge Königin nicht gefragt. Jetzt, wo sie hier zusammen lagen, stellte sie ihre Frage.
„Wieso habt ihr nichts von unserem Essen genommen? Der Hase war gut!“
Das war noch so eine Sache, die beiden Mädchen nicht recht passte.
Die Familien wollten ihre Königin nicht draußen Schlafen lassen, wie diese vorschlug. Bei den anderen war kein Platz, sodass man Azera bei ihr einquartiere.
Alina lag auf dem Rücken, die Arme unter den Kopf gelegt, der nach rechts, zu der Königin sah, wo sie durch das ins Zelt fallende geringe Licht der Nacht Azeras Schemen ausmachen konnte.Die Augen der Königin schlossen sich gerade.
Ihre Stimme klang gewohnt arrogant, sie tadelnd.
„Mein Essen hat mir sehr gemundet! Danke der Sorge!“
Zicke! Was frage ich auch?
Alinas Kopf drehte sich wieder so, dass sie zum Dach des Zeltes sah, ehe auch sie ihre Augen schloss, im Vorhaben, den Abend damit enden zu lassen.
„Wieso mache ich mir überhaupt Sorge? So, wie ihr mich behandelt!“
„Ihr riecht nach Blut, Kopfgeldjägerin!“, stieß die Königin aus. „Dem von Tieren und dem von Menschen. Unmengen davon! Mehr, als die Familien zusammen, die vom Tierfang leben. Mehr, als ich an den Räubern gerochen habe. Ich kann es kaum ertragen, in eurer Nähe zu sein!“
So ist es also!
Dabei empfand Alina es nicht so, dass sie stank.
Auf der langen Reise war sie selten an eine Möglichkeit gelangt, zu baden. Das brachten solche Wege mit sich.
Den letzten Menschen hatte sie vor Wochen töten Müssen.
Damals im Lager der Räuber.
Alina durfte nicht mehr nach ihm richten.
Dann erkannte sie …
Azeras Gabe war eng mit der Natur verbunden.
Sie spürte jede Zelle eines jeden Blattes, dass im Laufe seiner Zeit an einem Baum wuchs, ohne ihn zu berühren. Spürte jedem Bauteil des Lebens nach, um es nach ihrem Willen zu manipulieren.
Sie spürte anders als sie.
Wieso war es dann so abwegig für sie, dass Azera sogar das Aussehen des ersten erspüren konnte, den Alina töten musste. Damals in Notwehr, wurde es später zu ihrem Beruf.
„In Miro nennt man mich nicht ohne Grund blutiger Engel!“
So oft hatte sie es gesagt, ohne je um diesen Namen gebeten zu haben. Aber es passte zu einer Frau, die auf Aufträgen ihren Körper im Blut ihrer Opfer badete. Meinte man, sah man sie nach einem ihrer Aufträge.
Glücklich machte sie es nie.
Aber welches Glück erwartete sie auch für sich?
Einer Mörderin! Damit hatte Azera recht, sie so zu betrachten.
Alina konnte es ihr nicht verübeln.
„Vom Tanzen alleine kann ich nicht leben und unsere Schule etwas beisteuern … Ich konnte alleine davon die Schule meines Vaters nicht unterstützen.“
Mit Nerres Drohung im Ohr, würde sie das wohl nie wieder können, solange ihr keine Lösung für ihr Problem mit der Kommandantin.
„Ihr seid Tänzerin?“
Azera wirkte so überrascht, als hätte sie bei Alina erwartet, dass diese nebenher der Schlachtung nachging, nicht aber einer darstellenden Kunst, wie dem Tanz.
Dabei war es sehr gut mit ihrem Können am Schwert zu vereinbaren.
Aus dem Schwertkampf nahm sie ein paar der Bewegungen mit in den Tanz, die sie gerne durch Waffen unterstrich. Ebenso half ihr, dass sie es gewohnt war, eine Übung so lange zu wiederholen, bis sie passte. Im Tanzen übte sie ihre Beweglichkeit und die Kontrolle über ihren Körper. Es machte sie geschmeidiger.
Natürlich würde ihr Vater es ihr nie anerkennen, oder Ero.
Beide sahen ihre Leidenschaft als ein Schleifen lassen ihrer Übungen am Schwert.
Azera drehte sich Alina zu.
„Dann solltest du mein Schloss besuchen!“, sprach die Königin. „Die schönen Künste sind dort genauso gerne gesehen, wie in den Schlössern meiner Schwestern Liliza und Mezi. Mit deinen Fähigkeiten am Bogen könntest du meiner Schwester Erza gefallen.“
Wenn Alina eine Besichtigung des Landes vor hätte, dann würde sie die Schlösser besuchen.
Doch sie wollte so schnell wie möglich zu der Insel.
„Du begleitest die Familien zu deiner Schwester?“, erkundigte sich Alina.
„Um mich von ihr belehren zu lassen!?“ Ihre Stimme erhob sich zu einem schrillen Aufschrei. „Wenn die Familien es sich wünschen, werde ich sie gerne ein Stück ihres Weges begleiten.“
„Eure Begleiter warten dort auf euch?“
„Die sollen wieder in meinem Schloss sein! Ich werde mich doch noch frei bewegen dürfen! Außerdem möchte ich nicht mehr darüber reden!“
Den letzten Satz sagte sie in die Decke hinein gemurmelt, gerade als Alina etwas auf ihre Leichtsinnigkeit äußern wollte.
Zur Untermalung davon, drehte Azera sich von ihr weg.
Ihr Gespräch war damit beendet.
Wie Azera in der Nacht zuvor versprochen hatte, half sie am nächsten Morgen bei den Vorbereitungen zum Aufbruch.
Wann immer jemand meinte, es sei keine Arbeit für eine Königin, wandte sie ein, es würde ihr Spaß machen.
Und so kam es, dass die Familie auf ihrer Reise königliche Begleitung hatte. Ohne die erhoffte Eskorte durch deren Wachen.
Erst, als das Schloss im Norden mit seinen hohen Türmen erstrahlte, stoppte Azera den Trott.
Ab hier würde sie ihre Reise alleine fortsetzen.
Alina folgte ihnen mit ihrer vollbeladenen Stute, um dann zurück auf das Mädchen zu sehen, das sich daran machte, der Straße weg vom Schloss alleine zu folgen.
Von Azera ließ Alina den Blick zum Schloss wandern.
Wenn Lilizas Gabe die Hellsichtigkeit beinhaltete, wusste sie um die Nähe der Schwester und würde dieser jemanden zu deren Sicherheit hinterher schicken?
Sicher!
Sie tat ein paar Schritte und entschied sich dann zu etwas, dass sie im nächsten Moment wohl bereuen würde.
Ihr Weg führte gerade aus entlang der Unendlichkeit goldener Meere. Weizenfelder, die in den nächsten Wochen geerntet werden würden.
Solche Pracht hatte sie zuletzt nahe der Schlösser ihres Königs gesehen.
Alleine zum Füllen seiner Speisekammern vorgesehen. Viel zu viel für die Familie mit ihren Bediensteten.
Man hätte damit ganze Städte versorgen können aber lieber vernichtete man den überzähligen Rest, statt ihn auszugeben.
Wie es hier war?
Ihre Hände wanderten über die vollen Ehren des Korns.
Azera wirkte um ihr Volk besorgt, fürsorglich kümmerte sie sich um dieses.
Alina konnte ihr nicht solche Härte im Umgang damit unterstellen, wie sie ihre Könige an den Tag legten.
Was Alina in helle Aufregung versetzte, legte Schatten des Kummers auf die Miene der Königin.
Azera tastete prüfend über die Körner, hin zu den Blättern.
Ihre Schritte führten in das Feld, den Blick zum Blau des Himmels abschweifend lassen.
Alina wollte ihr zurufen, sie solle auf den Weg bleiben, da war Azera schon in dem stillen Meer verschwunden.
Was ist mit dem Pferd? Ich kann es wohl kaum an den Halmen befestigen!
Noch während Alina das dachte, entglitten die Zügel ihren Fingern und fielen zu Boden. Wohin die Stute drängte. Zum saftig grünen Streifen am Rand des Feldes.
Alina ließ es zurück und eilte der Königin nach, die im Gold des Meeres versunken schien.
Zuerst in die Richtung, in die Azera davon eilte. Bis das grasende Pferd hinter ihr in der Ferne verschwand.
So weit konnte die Königin nicht gegangen sein!
Also zurück!
Alinas Schritte nahmen an Geschwindigkeit zu, als die Stute einen Schritt voran setzte.
Die Angst wuchs in ihr an, das Pferd könne verschwinden, wie ihre Belena.
Sie säße erneut ohne Proviant und Gold da.
In ihrer Eile hätte sie beinah das Hindernis vor sich nicht gesehen.
Eine Gestalt, den sie als Körper einer jungen Frau ausmachte.
Azera!
Sie stoppte gerade noch rechtzeitig, das Unglück zu verhindern.
Ihre Hände berührten den Rücken der Königin, die den Boden befühlte.
„Es hat seit Tagen nicht geregnet!“, sprach sie in Sorge. „Die Pflanzen schreien nach diesem letzten Schub der Energie, bevor das Volk die Ernte einholt! Falls ihnen denn etwas zum Ernten bleibt.“
Ihre Finger betasteten die Blätter und jetzt sah Alina, was der Königin die größte Sorge bereitet.
Zwischen den gesunden Pflanzen standen kranke, die ein Pilz befallen hatte. Er würde sich bis zur Ernte ausgebreitet haben, wenn niemand etwas dagegen unternahm.
Um die gesunden Pflanzen stand es nur wesentlich besser.
Raupen fraßen daran.
Unmengen der gestreiften Gesellen hatten sich daran niedergelassen.
Und jetzt verstand Alina, was Azera zuvor am Himmel versucht hatte auszumachen.
Vögel!
Sie konnten sich an den Raupen dick und rund fressen, doch ihr Gesang war verstummt.
Eine ganze Weile schon.
„Seht ihr, was mir meine Schwestern antun?“, fragte Azera streng.
Demonstrativ stand sie auf.
„Nur, dass sie nicht alleine mir schaden, sondern unserem Volk! Es wird verhungern, sollten sie nicht zur Vernunft kommen“
Es war wie im Wald.
Azera lies sich in einen Zustand der Harmonie und Verbindung mit allem um sich herum fallen.
Nahm jeden kleinsten Tropfen Feuchtigkeit aus der zu trockenen Luft auf, um Energie an die Pflanzen weiterzuleiten.
Unter ihrem Einfluss schwand die Krankheit, wurde verdrängt, jedoch nicht die Raupen.
Blieben ihre natürlichen Feinde verschwunden, würde von der Ernte nicht viel übrig bleiben.
Alleine deswegen, musste niemand verhungern, stand für Alina fest.
Weizen war wichtig, doch sie hatte Felder gesehen, deren Ertrag geringer ausfiel und von dem ganze Dörfer nach Abgaben an den König überleben mussten.
Für sie war es normal.
Nahm der Krieg die jungen Männer mit, blieben viele der Felder unbestellt. Tobten Schlachten über das Land hinweg, zerstörten sie Häuser und vertrieben Menschen.
Man baute alles auf und lebte von dem, was man hatte.
Dann gab es die Jahre, in denen kaum etwas blieb.
Verluste durch Hungersnöte, waren in ihrem Land häufig.
Selbst sie erlebten mit ihrer Schule Jahre, in denen sie einige ihrer Schüler fortschicken mussten, da ihre Vorräte und ihr Geld nicht ausgereicht hätten, alle zu versorgen.
Dann gab es wiederum Zeiten, in denen sie ihre noch so knappen Vorräte mit den Bauern um ihr Schule teilten, um diese in mageren Jahren zu unterstützen.
Während ihrer Reise sah Alina die wahren Ausmaße der Kreis im Landesinneren.
Sie sah Bauern über verendeten Tieren stehen.
Klagen hagelten auf die junge Königin ein, wohin sie kamen. Dass sie nichts dagegen unternahm. Die Anschuldigung, es sei ihr Werk.
Anders konnten sie es sich nicht erklären.
War es keine Krankheiten und Schädlinge, von der die Ernte gefährdet wurde, dann Unkräuter.
Sie bedeckten die Felder. Nahmen den Pflanzen Nährstoffe weg oder verdrängten diese ganz.
Die Weiden wurden von Giftpflanzen überwuchert, an dem das Vieh zugrunde ging.
Wie oft sie auch die Weiden davon beräumten, am Abend waren sie wieder da und die Tiere, die davon fraßen, dem Tode nah.
Azera beteuerte, es sei nicht ihr Werk. Sie liebte das Volk und schwor in ihrem Bund, für alle zu sorgen.
All das verstoße gegen ihren Schwur!
Waldhexe.
Wieder hörte Alina dieses Wort. Dieses Mal aus dem Mund von Azeras Volk.
Mit ihm verscheuchten sie ihre Königin.
Die ihnen nicht einmal böse war.
Der Ursprung von all dem war Zauberei. Und ihr war nun mal das Gebieten über die Natur zur Gabe gegeben.
Sie konnten niemand anderen dafür verantwortlich machen, als ihre Königin. Selbst, wenn es diese vor ein Rätsel stellte.
Denn Azera war nicht dafür verantwortlich.
Aber wenn nicht sie, wer dann?
Im nächsten Dorf war es ähnlich. Die Bewohner bangten um ihre Existenz und gaben ihrer Königin die Schuld daran.
„Es müssen meine Schwester sein!“, stand für diese fest. „Nur sie können dafür verantwortlich sein! Ich weiß nicht wie oder warum, aber sie waren es! Und da soll ich mich mit ihnen vertragen?“
Alina wusste darauf keine Antwort.
Doch, was hatten ihre Schwestern für einen Grund, dem Volk absichtlich zu schaden? So wie Alina zwei der Königinnen erlebt, konnte sie nicht glauben, dass deren Schwestern so anders waren.
Oder waren diese Vorfälle nicht einmal von einer Person hervorgerufen, sondern kamen einfach als Ergebnis des Streits der Schwester.
„Wen haben wir denn da? So treffen wir die Waldhexe und ihre Beschützerin nach kurzer Zeit wieder! Und ihre Garde ist auch nirgends zu sehen! Es muss unser Glückstag sein!“
Die Stimme kam von hinter ihnen.
Beide Mädchen drehten sich um, da gab der Mann schon den Befehl sie zu umzingeln.
Es war der gleiche, der Azera vor einigen Tagen angriff.
Alina zog den schweren Beidhänder und machte sich bereit, ihn zu benutzen, sollten sie nicht von ihrem Vorhaben abweichen.
Die Stute schickte sie mit einem Klaps auf den Po davon.
Sie würde Alina im Kampf behindern, womöglich sogar verletzt werden. Da riskierte sie lieber, die Stute später zu suchen.
„Sechs gegen zwei!“, brachte der Räuber es auf den Punkt. „Wie es aussieht, sind wir im Vorteil! Dieses Mal werden wir nicht einfach verschwinden! Gebt auf, bevor wir euch weh tun müssen!“
Kampflos würde es nicht geschehen, stand für Alina fest.
Sie wollte gerade zum Erstschlag ausholen, bei dem sie einen, vielleicht sogar zwei ausschaltete, als Azera ihren Arm vor ihr ausstreckte, um Alina zu stoppen.
„Ich sagte, ich benötige deine Hilfe nicht!“, sprach sie in ihrem hochnäsigen und ihr überlegenen Ton. „Mag sein, dass mich alle für hilflos halten, aber das bin ich nicht!“
Sie nahm ihre Hände an den Rock, den sie leicht anhob.
„Ihr wollte eine Hexe!“, rief Azera in Rage aus und erhob ihr Bein, dass sie ihnen zu einem kleinen Teil präsentierte. „Da habt ihr sie!“ Auf das letzte Wort Stampfte sie mit ihrem Fuß auf.
In diesem Ruf wurde der Boden vor und hinter den Männern durchstoßen.
Ranken erhoben sich, von denen die Räuber gefangen wurden.
Keine Ranken! Die Äste eines Baumes! Trauerweiden, in deren Netz sich die Männer gefangen sahen.
Die Bäume Wuchsen über sie hinweg, wiegten sich zu einer Musik, die nur sie hörten und zu der Azera begann sich im Tanz zu drehen. Lachend, beinah wahnsinnig klingend, während die Äste der Bäume in Peitschenschlägen auf die Räuber niedergingen.
Ihr Anführer erhob schützend die Arme vor seinem Gesicht.
„Ah! Nein! Aufhören! Aua!“ Seine Schreie erklangen, vermischten sich mit dem Lachen des Mädchens. „Ah! Da sagt man … Scheiße, lass es aufhören! Von der Waldhexe heißt es, … Au! … sie würde niemals jemanden verletzen!“
„Fühlt euch geschmeichelt!“ Azera blieb vor ihnen stehen, die Arme stemmte sie in ihre Hüften. Genoss es sogar. „Für euch mache ich gerne eine Ausnahme!“
Lass sie bloß niemals wütend auf mich werden!, dachte Alina bei sich und zuckte unter dem Knallen der Peitschenschläge zusammen, als würden sie ihr gelten.
Sie empfand Azeras Verhalten, die diesem Moment sichtlich genoss, als gruselig.
„Meinst du nicht, sie haben genug?“, war es Alina, die Azera zügelte.
Ausgerechnet sie, die es hier meist nicht enden ließ.
Alina bevorzugte Aufträge bei denen egal war, ob sie den zur Jagd ausgeschriebenen lebend vor den Richter stellte, oder den Nachweis für dessen Tod erbrachte
„Meinst du? Was machen wir jetzt mit ihnen?“
Nachdenklich hob Azera einen Finger an die Lippen.
„Meinst du, wir können sie gehen lassen?“
Nachdem sie uns schon zwei Mal auf unserer Reise begegnet sind? Wohl besser nicht.
Aber was sollen wir dann mit ihnen tun?
Alina wusste darauf keine Antwort und brauchte sich nicht lange damit zu beschäftigen.
„Azera!“ Der Name der Königin, war das erste, das geschrien wurde. Danach ging eine Flut von Tadel auf sie ein, ehe eine von ihnen den Mann überhaupt sah. „Als ich diese Position einnahm, war ich stolz! Ich, einer der auserwählten in der Garde unserer König! Ich konnte nicht ahnen, was das für eine undankbare Arbeit ist!“
Erst jetzt konnten sie den Mann sehen, der als Anführer ihrer ihm folgenden Garde den Weg hinauf kamen.
Es waren sechs Mann in ledernen Harnischen, die in ihrer Farbe mit dem Wald verschmolzen.
Bis auf ihren Anführern waren sie mit kleinen Pferden ausgestattet, bei denen nicht wert darauf gelegt wurde, dass sie den Trupp schmückten. Der Anspruch an die Tiere schien es, im Gelände trittfest zu sein und ihre Reiter wenn nötig durch das ganze Land zu tragen.
Ihr Anführer saß auf einem grauen Kaltblut, dass sogar die Männer überragte.
Kräftig im Körperbau, mit schwarzem Behang. Stark genug, seinen Bär von Reiter zu tragen.
Das von ihm mitgeführte Pferd wirkte dagegen wie ein Pony.
Nicht nur der verwaiste Sattel machten klar, dass sie es für ihre Königin vorsahen.
Azera wollte etwas zu ihm entgegnen, da brachte er sie mit einem Zeichen zu verstummen und führte seinen Tadel weiter.
„Da ist man einmal kurz abgelenkt, den Schaden, den ihr im Volk anrichtet zu beseitigen, da stiehlt sie sich davon!“
„Ich habe meinem Volk keinen Schaden angerichtet!“, hielt sie in ihrem arroganten Ton entgegen. Erhaben über ihn und jeden, den sie damit tadelte. „Wie könnte ich ihnen ein Leid zufügen? Ich bin da, ihnen ein Leben zu bereiten. Land, dass sie bestellen können und sie nährt! Es sind meine Schwestern, die mir alles antun! Sie müssen es sein! Wer hat sonst die Macht dazu?“
„Kommandant!“ Einer der ihm unterstehenden Soldaten war zu ihm getreten. Seine Stimme mahnte Pflichttreue. „Sie ist immer noch unsere Königin. Ihr habt ihr Gehorsam geschworen.“
„Was ich geschworen habe, war nicht Kindermädchen für ein verzogenes Kind zu spielen!“ Er drückte seinem Soldaten die Zügel des Pferdes in die Hand, das er mit sich führte und stieg dann aus dem Sattel. „Als ich ein Kind bin ich einmal der vormaligen Königin begegnet.“
„Du warst einmal Kind?“ Azera schürzte ihre Lippen, was in diesem Fall einer Herausforderung gleich kam. „Es fällt einem schwer, das zu glauben, so ein schrecklicher Spaßverderber, wie du bist!“
Jetzt stand er seiner Königin gegenüber.
Der Mann senkte den Blick nicht etwa, um sich ihr unterzuordnen.
Er war so verdammt groß, vielleicht sogar um einen Kopf größer als Ero und der war ihr in den Jahren, die er erwachsen wurde, über den einiges über den Kopf gewachsen.
Dieser Riese – eine andere Bezeichnung kannte sie für ihn nicht – hatte schon auf dem Pferd gewaltig gewirkt. Jetzt hatte er sich zu einer einschüchternden Größe aufgetan.
Die feenhafte Azera hätte er sich bequem auf eine seiner breiten Schultern setzen können.
Dann sähe sie wirklich mehr wie ein Kind aus, als eine junge Frau.
Das schien sie nicht weiter zu stören, während sie ihm seine Vergehen an ihrer Hand abzählte.
„Du korrigierst meine Haltung, selbst, wenn wir alleine sind, ebenso meine Sprache. Ist es wenigstens dann nicht egal? In jedem Gespräch mit meinen Gästen, meinst du mir Informationen einflüstern zu müssen. Denkst du, mich nimmt einer von denen als Königin ernst? Es lässt mich wirklich aussehen, als sei ich noch ein Kind. Zu ungeschickt auf eigenen Füßen zu stehen.“
„Im Gegensatz zur vormaligen Königin bist du das! Sie mochte damals schon Älter gewesen sein, aber war immer noch eine Schönheit und hatte nichts von ihrer Anmut eingebüßt. Sie besaß eine Höflichkeit und Wortgewandtheit, von der du nichts übernommen hast. Es ist kaum zu glauben, dass sie dich in ihren letzten Jahren hat unterrichtet!“
„Wenn du ältere Frauen bevorzugst, sollte ich dich mit meiner der Benimmlehrerin meiner jüngsten Schwester bekannt machen.“ Sie nahm ihren Kopf zur Seite, beleidigt durch seine Worte. Austeilen konnte auch sie! „Sie ist genauso streng, wie du es bist! Ihr würdet wunderbar zueinander passen. Du und dieses schrumpelige Gemüse!“
„Wenn ich nicht wüsste, dass deine jüngere Schwester in ihrem Benehmen noch kindischer ist, als du es bist, würde ich das tun. Damit sie dir ein passenderes Gebaren beibringt!“
„Torza ist noch ein Kind!“, schoss es hervor, begleitet vom Peitschen der Weiden und den Schreien der Männer darunter. „Gebietet der Thron, dass sie ihre Kindheit nicht genießen kann? Gebietet der Thron, dass wir nicht wir selbst sein dürfen? Müssen wir uns verstellen und unserem Volk etwas vorspielen?“
Er sagte nichts darauf.
Sein Blick ging zu Alina und er schien sie erst jetzt wahrzunehmen.
„Wer begleitet dich hier eigentlich?“
„Bloß eine weitere Person, die meint, ich könne nicht auf mich aufpassen!“
Womit sie umschrieb, Alina hatte sie gerettet.
„Kopfgeljägerin!“, sie deutete von Alina zu dem Mann. „Barbar!“ Und ging dann in ihrer Geste wieder zurück.
„Barbar! - Kopfgeldjägerin!“
„Alina!“, stellte sie sich vor. „Ich stamme aus Miro.“
„Und ich heiße auch nicht Barbar, sondern Carvius!“ Er sah streng zu Azera. „Würdest du aufhören, mich so zu nennen? Würde es dir gefallen, bezeichne ich dich so, wie es andere tun? Als Waldhexe!“
Darauf drehte sie wieder ihren Kopf weg.
„Das habe ich so oft in den letzten Tagen gehört. Ich habe mich daran gewöhnt!“
Worte, die er mit der Hand weg schlug, als seien sie von keinerlei Bedeutung.
„Und was macht eine Kopfgeldjägerin aus Miro bei uns? Es ist doch nicht schon so weit, dass ich meine Pflicht in der Leibgarde tun muss und jemand will den Kopf unserer Königinnen? Ich könnte es nachvollziehen! Selbst mir kommt mit diesem Weib manches Mal in den Sinn ihr den Kopf abzureißen. Ich darf nicht und ich darf auch nicht zulassen, dass dem jemand anderes nachkommt!“
Alina begann laut loszulachen.
Es war auch zu komisch beide als Königin und ihr die Treue geschworener Kommandant zu sehen.
Also erzählte Sie es ihnen. Nur, dass sie Rat auf der Insel suchte, nicht ihre ganze Misere.
„Das wird schwierig!“, meinte er und sah zu dem Himmel. „Es sieht im Moment nicht so aus, aber an unserer Küste tobt ein Sturm. Ihr werdet nicht auf die Insel gelangen können.“
So sah es immer mehr aus!
Ihr einziger Versuch würde die Brücke bedeuten, über die eine ihrer Schwestern herrschte.
„Begleitet uns zum Schloss!“, schlug Carvius vor. „Ruht euch dort von eurer Reise aus! Bleibt so lange, wie es euch beliebt und füllt eure Vorräte auf, bevor ihr weiterzieht. Das ist das einzige, was wir für euch tun können, wenn ihr doch unsere Königin die letzten Tage ertragen habt!“
„Hey!“, schrillte ein Schrei von Azera auf. „Mich muss niemand ertragen! Alle drängen sich mir auf!“
Wobei das mit dem Ertragen gut hinkommt!, dachte Alina bei sich. So sehr Azera gegenüber ihrem Volk eine Königin war, konnte sie durchaus mit ihrer Art anderen gegenüber anstrengenden sein.
„Was ist mit denen?“, er deutete auf die Räuber.
„Wollten mich verkaufen!“, antworte Azera ihm. „An mein Volk! An meine Untergebenen! An dich!“
Zum Ende hin klang ihre Stimme über den Gedanken erschüttert und fand in Carvius Bestätigung.
„Hätten sie behalten können! Für jemanden wie dich, zahle ich doch nicht noch was! Lieber warte ich darauf, dass es denen zu Leid wird, dich zu ertragen!“ Er nahm seine Hände vor der Brust zusammen. „Ich sage immer, unsere Königin sollten zur Zierde dienen, nicht die Geschicke des Landes leiten. Man sieht, wohin das bei euch Schwestern führt!“
Er rief einer seiner Männer zu sich, der sogleich auf seinem Pferd aus der Formation sprang, hin zu ihm, wo das Tier in einem Wiehern zum Stehen gebracht wurde.
Unruhig wirkte die brauen Stute, als wisse sie schon um die Wichtigkeit ihrer Aufgabe, wie deren Reiter.
„Nimm einen mit und geleitet die Bande zur Grenze unseres Landes. Sorgt dafür, dass sie es nicht wieder betreten!“
„Ich werde dem sofort nachkommen!“ Der Soldat verneigte sich zuerst vor seinem Kommandanten, dann vor seiner Königin. „Majestät, kommt wohlbehalten im Schloss an!“
„Schleimscheißer!“, kommentierte Carvius, nachdem sein Soldat zu der Gruppe zurückgekehrt war.
Gerade instruierte er einen der Männer zu ihrer Aufgabe.
Azera kicherte los, geschmeichelt von den Worten.
„Er sorgt sich um seine Königin, wie es ein Untertan eben sollte!“
„Ein Untertan, der dich zur Königin hat, ist damit gestraft genug und sollte dich nicht noch mit Schmeicheleien belohnen!“
„Tz!“, machte sie nur, ihn mit diesem einen Laut für seine Worte tadelnd.
„Jetzt komm!“ Er schenkte ihr ein aufforderndes Nicken, aus dem heraus er sich umdrehte. „Lass uns zum Schloss zurückkehren.“
Carvius lief los und sie … tat nichts dergleichen!
Wie auch der Kommandant ihrer Garde nach wenigen Schritten merkte.
Er drehte sich zu ihr um.
„Azera!“, rief er ihren Namen warnend in die Länge gezogen aus, es nicht zu übertreiben. „Du steigst jetzt in den Sattel oder ich schwöre dir deinen königlichen Arsch solches Feuer zu geben, dass du in den nächsten Tagen deinen Thron mit zehn Kissen polstern musst!“
Seine Worte untermalend, setzte er auf sie zu, wollte nach dem Mädchen greifen, dass ihm in einem federleichten Sprung nach hinten auswich.
Mit jedem ihrer Schritte der den Boden verließ, als sie tänzelnden Schrittes zurück setzte, hinein in eine Drehung und um ihn herum, sprossen Pflanzen aus dem Boden.
Carvius drehte sich, griff nach ihr und wieder entkam sie ihm.
Ein helles Lachen erklang aus ihrer Kehle.
Azera hatte sichtlich Spaß an dem Spiel zwischen ihnen.
Die Pflanzen erhoben sich, bildeten Blumen aus und ehe Carvius es bemerkt hatte, griffen sie nach ihm.
Ihre Stängel waren viel zu dünn. Er brauchte einfach kraft in seine Arme zu legen, schon rissen sie.
„Azera!“, schickte er ihr zu, als er sich von den Pflanzen befreite, die nach seinen Beinen griffen. „Lass das! Ich schwöre dir, ich mache meine Drohung war!“
Statt sich davon einschüchtern zu lassen, blieb sie einfach vor ihm stehen, ihren Finger an die Lippen gelegt, ihn sich betrachtend. Den Moment, als er sich aufrichtete nutzend, ihren Finger von ihren Lippen auf seine zu legen.
Carvius öffnete verwirrt seine Augen, die so braun waren, wie das Fell der Rehmutter, die ihnen vor ein paar Tagen begegnete.
Und wie diese, so schien auch er in ihren Bann gefangen.
„Ich werde nicht reiten, sondern gehen!“ Mit zurückziehen ihrer Hand, löste sich der Bann, doch da fand er sich schon gefangen in einem Netz der Pflanzen.
Dieses Mal hatten ihn so viele umschlungen, dass es ihm nicht gelang, sich loszureißen, egal wie sehr er zog oder sich drehte.
„Azera!“ Wütend dieses Mal. „Ich verpasse dir eine Tracht Prügel, wenn du mich nicht sofort wieder los machst!“
„Du!“ In einem Bogen zog ihre Hand eine Linie zwischen ihnen, auf die ihre Pflanzen den Mann ein Stück in die Luft hoben. „Bist!“ Sie stellte sich in Position auf. „Ein Barbar!“
Unter ihren Füßen erhoben sich weiße Blütenblätter aus dem Boden, die um einen Korb lagen, so gewaltig, dass sie darauf stehen konnte. Getragen durch eine Pflanze, die darunter wuchs.
Nur ein kleines Stück. So weit, dass sie mit ihren Händen sein Gesicht fassen konnte.
„Und dennoch mag ich dich!“
Azera stellte sich auf die Zehenspitzen, zog sich an ihm hoch und drückte ihre Lippen in einem Kuss auf seine.
So standen sie einen Moment da. Er mit aufgerissenen Augen, die nicht begreifen wollten, was hier geschah, ihre lagen unter geschlossenen Lider.
Ein Riese mit seiner Feenkönigin.
Während der Konfrontation mit den Räubern, galt Alinas größte Sorge dem Fortschicken der Stute, die mit ihren Vorräten, dem erarbeiteten Geld und allem, was sie bei sich trug, wie ihre Belena verschwinden könnte.
Unbegründet, wie sie schon kurz darauf feststellte.
Carvius war es, der sie zurück hielt, als sich Alina aufmachen wollte, ihr Pferd zu suchen.
Sie sollte Azera vertrauen. Also tat sie es und sah, wie die junge Königin ein weiteres Mal ihre Gabe nutzte.
Indem sie sich in das Gras setzte.
Ihre Finger strichen über das Gras, dem sie ihre Botschaft mit gab.
Tatsächlich trabte das Pferd heran, geleitet durch einen Ruf, den nur seine Ohren vernahmen.
Das Tier kam vor der jungen Königin zum Stehen. Seinen Kopf ließ es herab, die Frau zu etwas aufzufordern, dass nur sie verstand. Ein Schnauben stieß aus seinen Nüstern, zu der Azeras Hand das Gras entlang glitt.
Beinah so, als sei Azera seine Herrin, von der die Stirn des Pferdes getätschelt wurde.
Alina ging zu ihnen.
Berührte das Pferd an der Schulter und überprüfte dabei ihr Gepäck darauf, ob sich was gelöst hatte oder verloren ging.
„Wie lautet ihr Name?“, wollte die Königin wissen und Alina sich ein Versäumnis eingestehen.
Sie hatte beim Kauf den Namen nicht erfragt.
„Pferd!“, antwortete sie daher.
Einfach nur die Bezeichnung Pferd. Was ihr nicht angemessen war, sah auch Azera so.
„Sie hat einen Namen verdient! Jeder hat einen Namen verdient! Du magst es schließlich, wenn man dich nur Frau nennt!“
„Du nennst mich Kopfgeldjägerin oder Bogenschützin! Verhält es sich nicht ähnlich?“
Was von Azera ignoriert wurde.
„Du solltest ihr einen Namen geben. Einen schönen und ehrenvollen! Wenn sie schon der Ersatz für ein anderes Pferd ist!“
„Die Stute ist kein Ersatz!“, warf Alina ein. Im gleichen Moment schockiert über die Worte, wie sie davon verwirrt wurde.
Woher wusste sie von ihrer anderen Stute. Alina hatte dem Mädchen nichts von Belena erzählt.
„Sie denkt es!“, sprach Azera, die ihren Kopf an den der Stute schmiegte.
Und dann verstand Alina.
Die Augen der jungen Königin lagen geschlossen und doch wirkte sie hoch konzentriert.
Ihr Atem ging mit den Stößen des Pferdes. Ihre Hände strichen die Seiten des Halses entlang.
Spürten jeder Bewegung nach und den Gedanken des Tieres.
Sie war eins mit ihm, wie mit allem in der Natur.
„Das ist Albern!“, urteilte Alina den Gedanken ab. „So albern!“ Erst hart, dann sanft. Sich sehnend nach etwas, das nicht da war und ihr fehlte. „Ein Familienmitglied kann man nicht ersetzen!“
Genau so sah sie ihre Stute.
Als Alina zu Marno kam, besaß er Belena schon. Für Alina wurde sie die erste Vertrauensperson, nach ihrem Verlust. Eine Freundin, der sie all ihren Kummer anvertraute, ihre Geheimnisse, die Marno bis heute nicht kannte.
Das blieb die Stute für sie.
Wie konnte sie Belena da durch ein anderes Pferd ersetzen?
„Marli!“, sprach sie nach kurzer Zeit der Überlegung. „Dann heißt sie ab jetzt Marli!“
„Ein komischer Name!“, meinte Azera dazu. „Ein so schönes Pferd sollte den Namen einer Königin bekommen! Wie meinen!“
Azera trat in einer geschmeidigen Bewegung, in der ein Ast vom Wind gewiegt wurde, von der Stute weg. Ihre linke Hand verlor ihren Platz am Pferd, die rechte glitt den Hals hinauf, dann wieder hinab zum Kinn.
Die junge Königin stand gebeugt da und wirkte in ihrem Lachen selbstverliebt über den Gedanken. Versiegend in einem Kuss auf die Nase des Pferdes.
Alina wollte das nicht so stehen lassen.
Daher ging sie vor die Stute und vertrieb die andere mit einem Stoß ihres Körpers von dem Platz.
Sie tätschelte nun selbst das Kinn der Stute, hob es an und unterstrich ihre Entscheidung.
„Marli ist gut! Es war der Name einer Närrin, die ihr Leben umsonst für einen unsinnigen Traum hergab! Andere würden sie für eine Heldin halten!“ Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, dass sie kaum selbst wahrnahm. Es umspielte ihr Herz mit einer Wärme, die beim Gedanken an den verlorenen Kampf der Amazonen meist von Kälte ausgefüllt wurde. „Arela wird es freuen! Eine Erinnerung an ihre Mutter im Namen für ein Pferd!“
Ihre Augen schlossen sich in der Aufforderung einer Antwort.
„Würde dir das gefallen? Sobald ich meine Belena wieder habe, werde ich dich zu einer Freundin von mir schicken.“ Das Blau ihrer Augen erstrahlte nun wieder schöner, als der Himmel dieses Sommertages. „Dort wirst du es gut haben! Meine Freundin weiß, wie man Pferde glücklich macht!“
Wie zur Zustimmung, schüttelte die Stute kurz mit dem Kopf.
„Na dann, Marli …!“
„Azera, lass die Plauderei enden. Wir wollen weiter!“ Es war Carvius, der sie unterbrach und zum Aufbruch drängte.
Genau, was Alina vorschlagen wollte.
Sie nahm ihr Pferd bei den Zügeln. Dann machte sich die Gruppe auf. In Richtung des Schlosses.
„Ein Kuss von unserer Königin! Ich kenne welche, die gerne ein solches Geschenk bekommen würden!“ Derjenige seiner Männer, der das sagte, tat es, als sei diese Geste eine Trophäe.
Dabei war es lediglich ein Kuss.
Ein einziger Moment des Überrumpelns, den sie ausnutzte.
Es hatte nichts zu bedeuten!
Und doch spürte Carvius noch den Geschmack ihrer Lippen auf seinen.
Sie schmeckten nach süßem Blumenstaub. Als hätten die ganzen Blüten um sie herum sich auf sie gelegt.
„Sie ist ein Kind!“ Unerzogen, arrogant und launisch!
Er hatte ihr den Po nicht versohlt. Dabei hatte sie es sich redlich verdient!
„Unsere Königin mag eine Zauberin sein, aber ein Kind ist sie seit Jahren nicht mehr!“
Ein weiterer war zu ihnen gekommen und ritt jetzt links neben ihm, dass er von zwei von ihnen flankiert wurde.
Die beiden Mädchen liefen vor ihnen.
Seine Bedingung!
Wenn sie schon laufen wollte, hatte er sie so wenigstens im Blick. Soweit kam es noch, dass sie ihm ein weiteres Mal entwischte!
Sie Plauderten miteinander, als kannten sie sich schon Jahre. Azera und diese Alina.
„Ihre Begleitung sieht auch nicht schlecht aus“, meinte der Links von ihm. „Ein echter Leckerbissen!“
„An dem du dir die Finger schneiden wirst!“, sprach Carvius und fixierte das Mädchen mit den goldenen Locken.
Sie sah wirklich nicht so aus, als könne sie jemandem ein Leid zufügen.
„Wegen des Schwertes?“, schloss sein Untergebener. „Es ist zu groß! Wie soll dieses Mädchen es schwingen können?“
„Unterschätze sie nicht!“
Carvius sah zu dem blonden Mädchen, hinter deren hübschen Gesicht sich nicht erahnen ließ, welcher Tätigkeit sie nachging.
Kopfgeldjägerin!
Es war bekannt, dass Leute dieses Berufsstandes schon mal logen, wenn sie damit näher an das Ziel ihres Auftrags gelangten.
Und ihre Königinnen hatten genug gegen sich aufgebracht. Nicht erst dadurch, dass ihr Land dem Chaos in die Hände gefallen war – es grenzte an ein Wunder, bisher keine Toten zu beklagen.
Jeder weitere Tag dieser Katastrophe, die sie überkam, konnte das nachholen.
War es nicht das eigene Volk, dann Vertreter anderer Länder.
Azera hatte so manchen durch ihre Art gekränkt und beleidigt. Besonders im Ankauf ihrer Wunder.
Wenn sie einzig Gier trieb, sie aufzusuchen. Vorgebend, dem eigenen Feldern etwas Gutes zu wollen, sahen sie eher vor, den Boden des Konkurrenten unfruchtbar zu machen.
Ob es nun ein König war, der seinen Gegner dadurch aushungern wollte oder ein Bauer, der mit dem Nachbar im Streit war. Zudem war Fruchtbarkeit ein hoch bezahltes Gut, das Azera in ihrer Mildtätigkeit manchem ohne Kosten überließ.
Zuletzt die zahllosen Verehrer, die in den letzten Jahren versucht hatten, um ihre Hand anzuhalten.
Sie sahen sich schon an der Seite ihrer Königinnen sich das Land anzueignen.
Carvius musste all diese Möglichkeiten untersuchen.
Auch wenn er den Königinnen die Schuld gab, und sie ihre Gaben bedacht vergaben, konnte sich einer diese angeeignet haben.
Dann war da Azera – seine Königin – die diesem Mädchen so weit vertraute, sie zu begleiten.
Eines konnten ihre Königinnen.
Sie sahen in die Herzen der Menschen. Erblickten Gutes wie Schlechtes und sprachen erst dann ihr Urteil über diese.
Azera behandelte Alina abweisend, was nicht bedeutete, sie vertraute ihr nicht.
Und doch, hätte er dieses Mädchen gerne von der Seite seiner Königin an seine geladen, um seiner Pflicht der königlichen Garde gegenüber zu erfüllen, in dem er jegliche mögliche Gefahr von ihrer jungen Herrscherin fern hielt.
Verdammte Azera! Verdammter Kuss!
Wieso verwirrte diese kleine Geste eines Kindes … – wie er es sich immer sagte. Denn als nichts anderes wollte er sie sehen.
Azera, das Kind, nicht die Frau, zu der sie geworden war, seit sie das Schloss zum ersten Mal betrat.
Würde er sie ihres Alters entsprechend sehen, hätte das alles zwischen ihnen verkompliziert.
Verdammte Azera! Verdammte, kleine Hexe!
Ihr Blick ging nach hinten zu den ihnen in einigen Abstand die Gruppe aus Männer folgte.
Carvius hatte sich zwei an die Seite gerufen, mit denen er sich unterhielt, aber meist liefen sie in Formation.
Azera hatte damit recht, er liebe seine Pflichten in der Position!
Für ihn musste alles nach von ihm vorgegebener Ordnung in Genauigkeit geschehen.
Sie waren die Garde der Königin und sollten so erscheinen!
Als eine Truppe, die Stolz auf ihre Position verspürte und diesen auch nach außen hin präsentierte. Eindrucksvoll und Ehrfurchtgebietend. Genauso, wie er die Garde als Kind erlebte.
Mit einer Königin, die anmutig sein sollte und ein Vorbild fürs Volk. Nach seinen Vorstellungen für sie agierend.
Der nichts ferner stand, als dies!
Sie waren so verschieden, dass es den Kuss absurd machte.
„Du sagtest, du magst sie nicht!“
„Tue ich auch nicht!“, äußerte Azera sich scharf. „Sie sind Barbaren! Sie essen Tiere! Das sind andere Lebewesen! Und wie sie sich zu Tisch geben! Wiederlich! Außerdem verletzen sie andere Menschen!“
„Menschen, die dich sonst verletzt hätten?“
„Das rechtfertigt es nicht!“
„Pflanzen sind auch Lebewesen!“, erinnerte Alina sie. „Und was die Tischmanieren betrifft. Ich lebe mit zum Teil hundert Jungs zusammen. Die übertrifft am gemeinsamen Tisch nichts! Selbst unser Gast aus dem Adel meint oft diesen in nichts nachstehen zu müssen!“
„Das ist etwas anderes!“, meint Azera zu ersterem Teil. „Die Natur schenkt ihre Früchte, uns zu nähren.“
„Andere Tiere fressen auch Tiere!“ Alina zuckte mit den Schultern und sah nichts Schlechtes daran.
„Das ist etwas anderes!“
„Ich denke selbst Belena frisst unsere Mäuse.“
„Also das ist albern!“
„Es würde den Schwund unserer Mäuse im Stall erklären!“ Sie schüttelte den Gedanken in ab. „Aber du magst ihn! Carvius!“
„Dafür müsste ich von Sinnen sein!“ Ihre Stimme klang zuerst scharf, doch zerbrach sogleich, als sie weitersprach. „Außerdem hast du ihn gehört! Er hält nichts von mir! Als Königin bin ich eine Katastrophe!“
Azera wollte erschüttert über die bloße Vorstellung davon klingen. Doch darunter erkannt man Bedauern.
„Ich denke, er mag dich trotzdem!“
„Woher nimmst du die Gewissheit, wenn ich es bin, der er jeden Tag vorhält, was sie falsch macht!“
„Vielleicht genau deswegen!“, sprach Alina ihre Vermutung aus. „Weil er insgeheim möchte, dass du eine Königin wirst, zu der alle aufsehen. Zu der auch er aufsehen kann.“
„Meinst du?“
„Jungs sagen auch nicht immer direkt heraus, was sie wollen und denken!“
In ihrer Schule war sie von so vielen Jungs umgeben, die in Testosteron beinah ertranken. Als einziges Mädchen dort, war sie nicht einmal 10, als ihr einer von ihnen das Versprechen gab, sie in späteren Jahren zu heiraten und ihr ein gewaltiges Anwesen zu erbauen.
Nicht Ero, aber jemand, der meinte, mit diesem im Wettstreit um ihre Gunst zu stehen.
Dabei wollte sie zu dieser Zeit noch überhaupt nichts von Jungs wissen und schon gar nicht von Ero.
Es sollte nie dazu kommen, dass der Junge überhaupt die Chance bekam erwachsen zu werden.
Sein Leben endete im Alter von 16 Jahren.
Es war ein Feuer.
Der Versuch eine Familie aus den Flammen zu retten, besiegelte sein Schicksal.
Sie trugen Schuld daran!
Nicht, indem sie die Flamme entzündeten, von der das Haus verschlungen wurde.
Damit, ihm diese törichte Moralvorstellung mitgegeben zu haben, anderen zu helfen, sollten diese in Not sein.
Seine Familie hielt ihnen das nicht zum Vorwurf.
Sie waren stolz auf ihren Sohn. Darauf, dass er sein Leben nicht sinnlos auf dem Schlachtfeld verlor, zu dem er damals auf dem Weg war, sondern bei einer wahren Heldentat.
Ihr blieb der bittere Beigeschmack um seinen Tod.
Vielleicht war es besser, sich nicht in den Streit der Schwestern einzumischen. Einmal wenigstens gegen ihre Grundsätze zu verstoßen.
„Es gibt jemanden, der etwas auch nicht mag!“, sprach Azera plötzlich.
Alina sah sie verwirrt an. Verstand nicht, wie sie es meinte.
Darauf deutete Azera auf die Stute, die hinter Alina her lief.
„Marli gefällt nicht, dass du sie entstellt hast!“
Dem Pferd gefällt bitte was nicht?
Alina glotzte von Azera zu der Stute, dann wieder zurück.
„Ihr Schweif!“
Azera brachte Alina zum Stehen und Marli nach ihrem Willen sich so positionieren, dass man das Hinterteil der Stute sah.
Den zerstückelten Schweif, dort, wo Alina ihr die Kostbarkeit für ihre Zwecke nahm.
Ebenso musste die Mähne des Tieres leiden.
Azera begutachtete den ausgefransten Schnitt. Befühlte die Haare mit ihren Fingern.
„Ich kann sie wachsen lassen!“
Die junge Königin wollte gerade mit ihrem Zauber beginnen, da erklang ein Ruf!
„Lass das!“, verbot Alina ihr, begleitet von dem empörten Schnauben des Pferdes.
Mehr wegen der Demütigung, weiterhin mit gestutztem Schweif herumlaufen zu müssen.
Zum Teil gestutzter Schweif. Einen dünnen Vorhang Schweifhaares, hatte sie ihr gelassen. Doch dieser taugte nicht einmal dazu, die Fliegen zu verscheuchen. Wie die Stute versuchte zu demonstrieren, indem sie mit dem Stummel schlug, den Vorhang dabei mit sich ziehend.
Alinas Finger fuhr unter die Lippe des Pferdes.
In einem Lächeln schlossen sich ihre Augen.
„Es ist mein Pferd!“, sagte sie bestimmt. „Wenn jemand etwas damit macht, bin ich es!“
Marli schlug erneut mit dem Schweif und blies aus ihren Nüstern.
Als zweifle sie die Hilfe an und wollte wissen, wie sie sich vorstellte, den Schaden ohne Magie beseitigen zu können.
Damit hätte sie sogar recht.
Alina beherrschte keine Wunder. Sie konnte dem Pferd kein Schweifhaar wachsen lassen. Dafür besaß sie in anderen Dingen Geschick, wie sie beweisen konnte, nachdem sie einem fahrenden Händler begegnet waren, bei dem sie fand, was sie begehrte.
Doch zuerst musste sie den Schweif ein weiteres Stück kürzen.
Damit er in einem Bogen hinab fiel. Zu dem längeren Haar, das sie ein Stück ein kürzte. Es zu drei Strähnen abtrennend, flocht Alina Garn von helleren und dunkleren Blautönen, die im Dunkel des Schweifhaars aufleuchteten.
Die daraus entstehenden Zöpfe schmückte sie durch Perlen und passend eingefärbten Federn.
Genauso ging sie bei der Mähne der Stute vor, die sie zu einem Netz flocht und bunt verzierte.
„Siehst du!“, sprach sie zu dem Pferd. „Jetzt sieht man sofort, dass du zu einer Tänzerin gehörst!“
Marli konnte damit keine Fliegen verscheuchen, doch hoch erhoben, besaß ihr Schweif nun etwas erhabenes, als sei sie das Pferd einer Königin.
Alina erinnerte die Stute vom Eigensinn her an Eros Falira.
Kein anderes Pferd mochte sich mit der edlen Zucht von Beldor messen und doch weckte es die Sehnsucht.
Jeden ihrer Aufträge ging sie mit Ero an. Er, sie und die beiden Stuten waren ein Team. Und so oft sie beteuert hatte, alleine klar zu kommen, vermisste sie dieses Zusammensein.
Wie es ihm gerade ging? War er bei seinem Vater, so wie sie wollte? In Sicherheit.
Hatte der Räuber Morlo sein Versprechen gehalten?
Sie hoffte es!
Folgt demänchst ...
Bildmaterialien: Bild: Thomas Siepmann/pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 23.10.2011
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