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Reihenfolge

 
Das Erbe der Amazonen


Wer sich zum Beginn der Geschichte begibt, kann hier die Reiheinfolge einsehen und somit gleich erfahren, was noch folgen wird.


Viel Spaß!

 

 

 
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Band 1: Blutige Schwingen - beendet -


Band 2 (Alinas Weg): Zerbrochen Familienbande - in Arbeit -
Band 2 (Eros Weg): Henkersohn - in Arbeit -

Band 3: Tempel der Weissagungen - in Planung -

Prolog

 



Einst gab es drei verfeindete Länder. Das Land Miro, in dem alle herrschenden Könige mit blankem Schwert allein durch Kampfgeist ihre Siege errangen. Es gab Saron, von ausgezeichneten Strategen geführt, gelang es ihnen selbst mit der geringsten Anzahl von Kriegern das Blatt zu wenden. Und zuletzt Ura. Dessen Könige kannten weder gute Kampfstrategien, noch besaßen sie starke Männer. In ihren Besitz befanden sich die größten Kriegsmaschinen, mit denen sie ganze Landstriche überrollten und jeden gegnerischen Angriff abwehrten.

Ein Problem gab es für die Könige dieser Länder.

Verwöhnt vom Sieg wollte ihre Eitelkeit nicht einsehen, dass es einen Gegner gab, den selbst sie nicht bezwingen konnten. Die mächtigsten ihrer Nachbarn, die lange Feldzüge zu ihnen geführt hatten.

Miro standen Saron und Ura gegenüber; Saron Miro und Ura; Ura Miro und Saron.

So entbrannte ein furchtbarer Krieg, der nie enden wollte.

Generationen, über Generationen zog er sich hin, bis Jahrhunderte ins Land gingen, in denen die Bürger dieser drei Länder vor Ausbeutung schrien.

Ihre Äcker wurden hauptsächlich für die Armeen der Könige bestellt, ihnen jedoch blieb kaum etwas. Nicht einmal vom Vieh, das sie züchteten. Sogar der Wein auf den Feldern war ganz ihren Königen vorbestimmt und den Festen, die sie für die wenigen reichen Bürger der Länder gaben. Dem Volk blieb nur das Nötigste zum Überleben.

In all ihrer Not gab es kaum einen Bürger, der sich dagegen zur Wehr setzte. Furcht beherrschte sie vor den barbarischen Strafen. Selbst Diebstahl hatte die Hinrichtung zur Folge.

Einige Gruppen gab es, die sich gegen ihre Könige auflehnten. Jedoch ohne Erfolg. Jeder Versuch sie zu stürzen wurde vereitelt und die Täter öffentlich hingerichtet.

Tief im Herzen dieser Rivalität, wo sich die Landesgrenzen begegneten, entstand ein kleines Diebeslager. Angeführt von der Diebin Alina bestahlen sie so die reichen Bürger, was den Königen noch keinen Grund zum Handeln gab.

Für die Diebin mit ihrer Bande eine lohnende Zeit. Dennoch wollte sie einfach nicht bei dem Unglück der armen Bürger wegsehen. So begab es sich, dass sie eine Küchenmagd vor den Häschern des Königs von Saron rettete.

Die kranken Eltern des armen Mädchens konnten ihre zu hohen Steuern nicht mehr bezahlen und in ihrer Not wusste sie sich nicht anders zu helfen, als etwas Besteck vom Königshof zu stehlen. Kurz drauf wurden auch ihre Eltern verhaftet, um die Schuld der Tochter zu sühnen.

Alina nahm nicht nur das Mädchen auf, bei Überführung von Gefangenen befreite sie deren Eltern und somit begann alles.

Das ehemalige, als unbedeutend geltende Diebeslager wuchs schneller als die Könige dachten. Die gütige Tat der Diebin glich einem Weckruf an das Volk und so schlossen sich Flüchtlinge aber auch Rebellen dem Lager an, das tief im Wald versteckt lag.

Jeder fand dort eine Heimat und aus dem einfachen Lager wurde ein Dorf, das mit Waffengewalt seine Freiheit verteidigte.

Die drei Länder legten ihre Differenzen zeitweilig bei.

Ihre Ziele änderten sich.

Ihr Gegner war jetzt einzig dieses kleine Dorf, das bei den Bauern ein Sinnbild für Mut und Freiheit geworden war.

In einem Kampf gelang es die Diebin mit einigen ihre Untergebenen gefangen zu nehmen, doch ihr Schatten ließ sich nicht vertreiben. Nicht einmal, als Alina hingerichtet wurde, verloren die Bauern ihre Hoffnung.

Das Dorf wuchs weiter und schien dadurch gestärkt in seinem Sinn nach Widerstand.

Angefeuert vom Willen des Überlebens, schlossen sich Krieger der königlichen Armeen ihnen an. Mit deren Hilfe erbeuteten sie sogar mächtige Kampfmaschinen von Ura.

Über die Jahre gab es viele Anführer für das kleine Dorf. Überwiegend Frauen, die es dominierten. So wurde das Dorf vom Volksmund meist Amazonendorf genannt.

Seine größte Stärke gewann es jedoch, als eine junge Frau mit Namen Nette in das Dorf floh.

Zu dieser Zeit herrsche König Teron über Saron, König Ylias über Miro und König Selon über Ura. Diese Könige beschlossen untereinander eine Wette. Wem es gelang das Dorf der Amazonen zu stürzen, bekam ein Viertel von jedem Land zu seinem hinzu.

Derweilen stieg das Mädchen Nette zur Anführerin des Dorfes auf. Fortan wurde sie voller Ehrfurcht als Königin der Amazonen gesehen. Auch wenn es ihr nie gelang, die Könige zu stürzen, bereitete sie ihnen mit guten Kampfstrategien und Verhandlungsgeschick einen wehrhaften Gegner, dessen Verteidigung niemand durchbrach.

Besonders Teron zeigte großes Interesse daran, die Amazonenkönigin zu stürzen. Wieso, wussten nur wenige. Seine Krieger brachten, wie die der anderen Könige, nur Niederlagen ins Schloss zurück.

Dies alles sollte sich mit einem hinterhältigen Plan ändern.

 

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Kapitel 1

 



Gehorsam setzte der fuchsfarbene Hengst einen Huf nach dem anderen auf das Tor zu. In jahrelanger Konditionierung lehrte man dem Tier, sich nur im Kampf Männern in solcher Rüstung zu nähern. Was sein Reiter hier befahl, verlangte einiges an Geduld.

Unruhig tänzelte es unter seiner Reiterin, die das Tier immer weiter dem Tor näher trieb. Und auch die Wachen des Schlosses Telja ergriffen ihre Waffen fester, unschlüssig, wie sie auf einen Gast in solch einer Rüstung reagieren sollten.

Ein ausgemusterter Helm schützte ihren Kopf. Vielleicht wurde er aber auch einem toten Soldaten auf dem Schlachtfeld abgenommen. In der Form war er typisch für das Heer von Ura. Eine Stahlplatte schützte den oberen und hinteren Teil des Kopfes sowie die Nase. Vorne war ein Leinentuch vor Mund und Nase angebracht. Von dem Mädchen konnte man nur die Spitzen des strohig blonden Haares erkennen und zwei stahlblaue Augen, die in der Strenge eines ihrer Kommandanten auf den Torwachen lagen.

Ihre Kleidung sprach dagegen vom Widerstand gegen die drei Könige.

Den zierlichen Körper des Mädchens konnte sich kein Soldat ihres Heeres in einer Schlacht vorstellen, wo sie jedem Mann unterlegen wäre. Wenn sie nicht selbst ein so junges Mädchen unter ihren Kameraden hätten, die diese Schwäche in einer kaltblütigen Art dem Feind gegenüber wettmachte.

Den größten Teil ihres Körpers bedeckte ein Stoffkleid, das knapp über dem Knie endete. Viele dieser aufständischen Frauen trugen unterschiedliche Kleidung. Kleider, so kurz wie ihres aber auch länger, Röcke, sogar Hosen.

Darüber lag der lederne Rock ihrer Rüstung. Der dazugehörige Brustpanzer war der zierlichen Gestalt bei Weitem zu groß. Die freien Hautpartien an Armen und Beinen konnte man fast als jungfräulich bezeichnen. Darauf schlossen die beiden Torwächter, dass dieses Mädchen noch nie ein richtiges Schlachtfeld betreten hatte.

Sie hatten viele Kämpfer der Amazonen gesehen, die von Narben entstellt waren.

Anders als dieses Mädchen betraten Amazonen gewöhnlich auf zwei Arten das Schloss.

Als Mitbringsel vom Schlachtfeld in Ketten gelegt oder tot.

Die Reiterin gab ihrem unruhigen Tier die Anweisung stehen zu bleiben. Ihre behandschuhten Hände griffen nach ihrem Helm.

Das blonde Haar des Mädchens umwehte ihr schmales Gesicht, das so manchen Mann ihres Heeres viel Geduld abverlangte.

Auch ihnen war sie keine Unbekannte. Ihr König hatte sie ins Schloss beordern lassen.

Deswegen wurde nicht mehr gezögert.

Ein kurzer Ruf, schon bewegte sich das große Tor mit einem dumpfen Knarren nach innen.

Die Reiterin verschwendete keine Zeit.

Mit einem Sprung hetzte das Tier unter ihr an den zwei Wachen vorbei hinein ins Schloss, gerade als der Spalt groß genug dafür wurde. Der Galopp führt in den vorderen Innenhof und hinein in das Gebiet des Feindes, wie das Tier begriff. Eine Flucht war unmöglich. Hinter ihnen schloss sich das schwere Tor.

Aufgebrachte Leute sprangen aus dem Weg. Adelige, sogar Ritter, um dem gedrungenen Leib des Kampfrosses zu entkommen, dessen unberechenbarer Weg es ziellos über den Hof führte.

Wiehern und das Klappern von Hufen auf dem steinernen Boden wurde an den Wänden der Mauer und den ersten Gebäuden der gewaltigen Festung wieder zu ihnen zurückgeworfen. Nur ein einziger Junge, schmächtig und dem Tier hoffnungslos unterlegen, näherte sich.

Der Reiterin war es recht.

In Bedeutung dieses Gedankens schwang sie sich aus dem Sattel.

Sollte der sich um diesen wilden Gaul kümmern. Noch wenige Ritte damit, vielleicht sogar ein einziger und das Tier würde den Hunden als Futter dienen. Zu mehr waren die Pferde der Amazonen nicht zu gebrauchen.

Mit hoch erhobenem Haupt trat sie dem Schlosseingang entgegen, wo der König auf seinen Gast wartete. Was hinter ihr passierte, wie das Pferd kämpfte, sogar seine Hufe in die Höhe warf, um zu verhindern, dass der Knabe dessen Zügel in die Hände bekam, interessierte das Mädchen nicht mehr.

 

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Selbst König Teron blieb die Unruhe nicht verborgen.

Einer seiner Berater, ein kleiner Mann blickte zum Fenster hinaus. Mit seiner Art brachte er schon so manchem königlichen Soldaten gegen sich auf. Was der frische Bruch an seiner Nase bewies. Auch gegen diese Frau sprach er kein gutes Wort, deren Hengst die Unruhe verursachte.

„Unmöglich“, meinte er laut. „Diesem Weib sollte man zeigen, wo ihr wirklicher Platz ist. Hoheit, wieso lasst ihr sie in eurer Armee dienen?“

Dieser Grund würde dem Berater viel zu absurd vorkommen. Dabei lag er auf der Hand.

Sie hatte eine persönliche Rechnung mit dem Heer der Amazonen und besonders deren Königin zu begleichen. Wen sollte er anderes damit betrauen, als diese Frau, die unerbittlich ihren eigenen Kampf ausfocht?

Ungeduldig trommelten die Finger des Königs auf der rechten Armlehne seines Throns.

Sie riskierte viel dabei und würde doch die Barmherzigkeit der Amazonen am ehesten kennenlernen. Und das bei solch einem Raubtier, das von niemand Schonung erwartete und seit Jahren ihren Posten im königlichen Heer verteidigte.

Ein ungestümes Ding, wie es ihm noch nie begegnet war.

Mit erhobenem Kopf trat die junge Adlige vor ihn. Ihre Gesten schlossen eher auf einen seiner Generäle, nicht aber auf einen einfachen Soldaten, wie sie es war.

Jeder ihrer Schritte stand unter scharfer Beobachtung des königlichen Beraters. Das Weiß seiner Augen blitzte gefährlich auf, je näher diese Frau dem Thron kam.

Wahrscheinlich hatte er eher darauf gehofft, jemand hätte ihr schon längst die Kehle durchgeschnitten. Das freudige Interesse seines Königs teilte er nicht.

Ein anderer Soldat hätte sein Haupt demütig vor die Füße des Königs geworfen. Sie aber nicht.

Klirrend schlug der Helm auf dem Boden auf, den sie einfach fallen ließ. Ihre Lippen schmückte ein selbstherrliches Lächeln. Als sei er ihr untertan, nicht anders herum.

„Nerre meine Liebe, hast du gute Nachricht mitgebracht?“, wollte der König von seiner Dienerin erfahren.

Vielleicht könnte man diese Frau sogar als ansprechend oder hübsch beschreiben. Die freien Stellen ihrer Haut würden zart gebräunt aussehen, sobald sie sich erst wusch.

Schweißperlen rannen ihren wohlgeformten Körper hinab, den man sinnlich nennen könnte, wenn sie mehr Ähnlichkeit mit ihrer älteren Schwester besäße.

So aber stieß ihn dieses Mädchen eher ab, auch wenn sie alles für den König getan hätte.

„Meine Schwester kommt gerade aus Miro zurück. Wie immer kann sie einen Sieg ins Dorf tragen.“

König Teron wusste nicht, wie ihn das erfreuen sollte. Spielte dieses Weibsbild mit ihm? Wollte sie ihn verhöhnen? Langsam begriff er, wieso viele ihr Hass entgegen brachten.

„Nerre, ich dachte, ihr seid mir treu ergeben aber dennoch vergeudet ihr meine kostbare Zeit mit solcher Belanglosigkeit.“ Seine Faust schlug auf die Armlehne des Thrones und die Augen seines Beraters blitzen entzückt über diese Geste auf.

Aasgeier, so konnte man diesen Mann benennen. Er nahm alles, was man ihm vorwarf, solange er nicht selbst dafür arbeiten musste. Und genauso hoffte er dieses Weib einer angemessenen Strafe zuführen zu können, deren Lächeln nicht einmal die zornigen Worte des Königs etwas anhaben konnte.

„Oder habt Ihr euch womöglich auf ihre Seite geschlagen?“

Der rechte ihrer Handschuhe landete genau wie der Helm auf dem Boden.

„Es hat mir zum Vorteil gereicht, dass meine Schwester im Kampf war. So konnte ich mich unerkannt ins Dorf einschleichen. Mein König, ich dachte, es erfreut euch.“

War sie dumm oder einfach nur gerissen frech? König Teron wagte es nicht zu sagen.

„Was soll ich mich an einem Sieg der Amazonen freuen? Spielt nicht mit mir, sondern rückt endlich mit der Sprache heraus!“

„Meine Schwester ist mit ihrem gesamten Heer ausgezogen“, erklärte sie ihm. Der zweite Handschuh landete zu den Füßen der zierlichen Frau. „Ich weiß noch nicht welche Verluste sie erleiden mussten aber nach ihrer Rückkehr werden sie eine Zeit brauchen, um sich davon zu erholen. Wenn wir genau jetzt angreifen, hat der Widerstand ein Ende.“

„Mir gefällt deine Denkweise, Mädchen. Den schwächsten Punkt des Gegners ausnutzen.“ Das Lob an seine treue Dienerin wandelte sich jedoch gleich in eine Rüge. „Du vergisst den Pakt. Die Armeen der Könige dürfen die Amazonen nicht sofort nach einer Schlacht wieder angreifen. Das hat deine Schwester sehr gut ausgehandelt.“

Selbst dieses unschöne Detail konnte das selbstsichere Lächeln des Mädchens nicht wegwischen.

„Es wäre zu schade, wenn einer der König diesen Pakt bräche“, gestand sie in einem süßlich, listigen Ton, den der König mochte. „Für mich zählt er nicht und seht dieses Gespräch als meinen Austritt aus der Armee. Mir folgen ein paar Krieger. Ich bringe euch eure entflohene Braut zurück, ohne in eurem Namen zu handeln.“

Die Fingernägel des Königs krallten sich in die Armlehne seines Throns. In ihm wallte sich ein Glücksgefühl auf, das er schon lange nicht mehr verspürte und selbst die Wette mit den beiden anderen Königen in den Hintergrund rückte.

„Ihr müsst euch noch gedulden, mein König.“ Erst jetzt neigte das Mädchen das Haupt tief vor ihm. „Die beste Chance gibt sich in ein paar Tagen. Die Daheimgebliebenen bereiten ein Fest vor, um den Sieg zu feiern. Unseren Angriff werden sie dann nicht kommen sehen.“

Geduld, als ob er sich darin nicht schon lange üben würde.

Am liebsten würde er irgendetwas packen und zerquetschen.

So viele Jahre schon wartete er darauf, dass einer seiner Schergen ihm die entflohene Braut brachte. Bisher ohne Erfolg. Dabei wollte er nur dieses eine einzige Mädchen. Sie besitzen, damit sie für immer sein war.

„Nerre, wenn dir das gelingt, dann ist dir großer Lohn gewiss!“, versprach der König. Unter seinem Bart entblößten sich helle Zähne zu einem vorfreudigen Lächeln. „Bring mir die Amazonen, aber töte so wenig wie möglich! Ich werde ebenfalls ein Fest organisieren, zu Ehren eures Sieges und die anderen Könige einladen. Selon soll ruhig seinen Henker mitbringen. Das wird sicher ein wundervolles Spektakel!“

Noch einmal verneigte sich das Mädchen vor ihm.

Es fiel ihm schwer dies zuzugeben. Aber dieses Mädchen hatte viele Eigenschaften, die ihm gefielen. Besonders, dass sie in ihrer Treue sogar das eigene Blut hinterging.

Ihre Finger nahmen den Helm und die Handschuhe wieder auf. Dann verließ sie den Thronsaal genauso, wie sie ihn auch schon betrat. Mit festem Schritt und erhobenem Kopf.

Ein beeindruckendes Mädchen!

Der König erhob sich aus seinem Thron. Seine Schritte führten ihn zum Fenster hin, an dem der Berater noch immer stand.

„Eure Majestät“, rief der kleine Mann. „Meint ihr wirklich, dass dies eine gute Idee ist. Sie mit solch einer Aufgabe zu betrauen. Wenn sie scheitert, fällt das dann nicht auf euch zurück?“

Dumme Bedenken, eines dummen Mannes! Der König zweifelte keinen Moment an seiner treuen Soldatin.

„Denkt doch auch an den Pakt und die Abmachung mit euren Nachbarn. Selon und Ylias werden sich kaum an ihr Versprechen halten, wenn die Amazonen auf diese Art fallen.“

Mit einer einzigen mächtigen Handbewegung brachte der König seinen Berater zum Schweigen.

Es gab Zeiten, an denen er an die Diplomatie denken musste und welche, in denen nur das blanke Schwert etwas zählte.

Die Amazonen waren eine solche Sache, der man nur mit einer scharfen Klinge beikam. Bevor das Volk daran dachte, sich gegen den König aufzulehnen würde ihnen helfen. Sie sollten viel eher daran denken, was sie tun konnten, um ihrem König zu gefallen.

Über den Hof lief das Mädchen, jetzt wieder in der vollen Kleidung einer Amazone.

Alles war egal, solange dieses Mädchen ihre Aufgabe erfüllte.

Selbst er konnte sich sein Lächeln nicht unterdrücken.

„Dieses Mädchen ist die Einzige, an der die Königin der Amazonen fallen könnte!“

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Kapitel 2



Warme Sonnenstrahlen zwängten sich vereinzelt durch das dichte Blattwerk. Unter dem schützenden Grün wurden viele kleine Häuser errichtet, die sich hier zu einem Dorf zusammenfanden. Manche davon saßen zu Fuß der gewaltigen Bäume. Andere nutzten die Nähe der einzelnen Stämme für eine stabile Stütze aus Holz. Während ein Teil in den Kronen ihr Heim fanden.

Zu den einzelnen Ebenen und Häusern führte ein Labyrinth aus Treppen, Brücken und Podesten.

Nur die Bewohner dieser Siedlung fanden sich hier zurecht, während jeder Neuankömmling hoffnungslos verloren ging.

Es war ein gemütliches Heim geworden, das ihnen durch natürliche Walle schon so viele Jahrhunderte Schutz bot. Sogar den Spähern der König gelang es nicht, unbemerkt in dieses Waldstück vorzudringen.

Dabei brauchten sie sich nicht alleine auf ihre Wachen zu verlassen. Denn der Wald war zu ihrem stärksten Verbündeten geworden.

Die scheuen Tiere mit ihren ausgeprägten Sinnen erkannten jeden Feind viel eher, als es ihnen möglich war. Sie brauchten nur die Ruhe um sich herum beobachten.

In ihrem Zoll nahmen sie von dem, was der Wald ihnen anbot und nie mehr. Sie jagten nur Tiere, die vom Alter gezeichnet waren, zu verletzt, um sich zu erholen, oder von einer Krankheit befallen. Sammelten Pilze und was sie noch fanden.

Darüber hinaus züchteten sie Tiere. Pferde, Schweine und Hühner, deren Ställe sich auf dem Boden befanden. Eine der Frauen hatte sogar einen Garten angelegt.

Doch zu ihrer Hauptversorgung dienten vorwiegend Quellen von außerhalb. Bauernhöfe, die sich im Geheimen zu ihnen bekannten. Daher unterschlugen sie bei jeder Abgabeforderung der Könige einen Teil ihrer Ente, um den Widerstand zu versorgen.

Nicht nur hier fanden die Amazonen ihre Verbündeten.

Auch weit außerhalb der Reiche und dem unbarmherzigen Krieg. Ganze Lager, Gemeinden, sogar Städte boten ihren Kriegern Schutz und Nahrung.

All dies, der Krieg und die Sorgen, schienen hinter einer Mauer verdrängt worden zu sein, errichtet von diesem schönen Tag.

Die warmen Strahlen dieses wundervollen Morgens lockten Vögel heraus, deren friedlicher Gesang einen Chor anstimmte. Und sogar eine Natter hatte sich in der Nähe des Dorfes einen Flecken für ihr Sonnenbad gesucht. Die Dorfbewohner machten einen großen Bogen um das schlafende Tier, um es nicht zu reizen.

Marli lehnte sich zurück.

Sie stand auf einem der Beobachtungspodeste, von dem aus sie viel der Lichtung erkennen konnte und zwischen die Bäume hindurch spähte, lauernd auf jedes verräterische Zeichen.

Die noch recht junge Frau war eine Kriegerin.

Sie wäre gerne mit ihren Schwestern in den Kampf gezogen, statt hier zu bleiben. Seite an Seite, auf dem Schlachtfeld, um den Königen zu zeigen, dass sie immer noch tapfer ihre Freiheit verteidigten.

Jemand musste zurückbleiben. Ein Schutz für das Dorf. Genauso wichtig wie der Kampf an ihrer Grenze.

Immerhin verteidigte sie die Schwachen in ihrer Obhut. Darunter viele Kranke und Alte. Dann zwei Kinder, die unbeschwert im Dorf herumtollten, als sei wirklich alles Grauen hinter den Mauern vertrieben worden.

Gerade lauschten sie einer der Alten, während diese ihnen die Natter zeigte.

Bald war das Interesse der beiden Mädchen auf ein anderes Tier geglitten. Ein Eichhörnchen, das seinen Vorrat für den nächsten Winter zusammentrug. Dabei zuckte der wuschelige Schwanz öfters und führt bei den Kindern zu vergnügtem Lachen.

Dieser kurze Laut mochte leise sein, das Eichhörnchen jedoch schreckte sofort hoch.

Die Nase in den Wind gereckt, zuckten seine Barthaare beim Prüfen der Luft auf feindliche Gerüche. Dann erkannte es seine interessierten Beobachter, und noch ehe eine von ihnen näher kommen konnte, war das flinke Tier schon auf einen nahen Baum gesprungen. Jetzt klammerte es sich unten am Stamm fest, von wo aus es sich seine Beobachter betrachtete.

Die Ältere von beiden folgte sofort, während die Jüngere mit Verzögerung zum Baum gelangte. Die Krallen des kleinen Tieres vergruben sich bei jedem seiner Schritte erneut in die weiche Rinde des Baumes. Von oben herab beobachtete es seine Verfolger, für die der Baum ein großes Hindernis bei ihrer Verfolgung darstellte.

Marli konnte nicht verhindern, dass ein Lachen aus ihrer Kehle hervorstieß.

Die ältere von beiden Mädchen hatte die jüngere auf ihre Schultern genommen. So standen die Kinder da, in der Hoffnung das scheue Eichhörnchen doch noch zu erreichen.

Die Barthaare des kleinen Tieres zuckten erneut bei den Kletterversuchen des Mädchens. Nach einem kurzen Augenblick wandte es sich von ihnen ab, verschwand hinauf und sprang auf eines der Geländer. Leichtfüßig tapste es darauf bis zu einer Brücke und tauchte dann in die Kronen eines der Bäume, außerhalb menschlicher Sicht.

In einer solchen Zeit voller Krieg war das Dorf der Amazonen, wie es das Volk ehrfürchtig nannte, eine Zuflucht für ausgestoßene, heimatlose und zu Unrecht verfolgte. Sie fanden hier Zugehörigkeit und Schutz.

Die meisten der Bewohner waren Frauen.

Ihre Männer und Kinder gingen im Krieg verloren und alleine hätten sie ihr Leben voller Arbeit nur für den König nicht weiterführen können. Oder man hatte ihnen alles genommen, um die hohen Steuern zu begleichen. Irgendeinen Grund fand sich, hier um Zuflucht zu bitten.

Viele fanden Trost, bis sie bereit waren, ein neues Heim aufzubauen, oder suchten nach einer neuen Bestimmung. Einzig ihre Krieger durften hier lange verweilen.

Aus diesem Grund strotzte ihre Armee nicht von ausgebildeten Kriegern. Nur wenigen war es vergönnt, schon vor Eintritt in ihre Armee, an den Waffen ausgebildet zu sein.

Ganz selten schlug sich ein Mitglied des königlichen Heeres auf ihre Seite. Meist mit der Bitte begleitet, sie sollen deren Familie ein sicheres Heim bieten, oder inhaftierte Verwandte befreien.

Dank der Hilfe solcher Leute gelang es ihnen, eine stattliche Armee aufzubauen. Darunter viele Bäuerinnen, die sich im Kampf ausbilden ließen, um das Leben ihrer eigenen Familie zu schützen.

Nicht nur sie, auch ihre Familien wurden in den Lagern der Amazonen versorgt.

Hier im Herzen des Widerstandes befanden sich nur Erwachsene. Die Kinder brachte man in den Lagern außerhalb unter. In friedlichen Gebieten, weit ab von Krieg und der Reichweite von Söldnern, Dieben oder Kopfgeldjägern.

Oder die Kinder wurden von einer Familie dem Widerstand treuen Bauern aufgenommen.

Dies war eines der Gesetze ihres Lebens.

Kein Kind durfte innerhalb des Dorfes großgezogen werden.

Dabei entriss man ihnen die Kinder nicht einfach, wie es die Könige taten. Ihnen wurde freigestellt mit den Kindern zu gehen, oder im Dorf zu verbleiben. Trotz des Schmerzes einer Trennung blieben viele von ihnen hier, wohl wissend, dass es ihren Kindern gut ging.

Es gab sogar eine Kirche, die den Kindern der Amazonen Unterricht und ein Heim bot, in der Hoffnung, sie mögen dem Land irgendwann eine Zukunft bieten.

Bei diesen beiden Mädchen, die sich jetzt unter ihrem Podest eine neue Aufgabe suchten, sah es ganz anders aus.

Eine der Mütter musste einer alten Tradition folgen, die verbot, dass dieses Kind von anderen aufgezogen wurde, als den Amazonen. Sie war ihr Schatz und die Zukunft des Dorfes. Ein kleines Mädchen, das zur großen Kriegerin erzogen werden würde und die Amazonen irgendwann anführen sollte.

Auch wenn man heute kaum etwas von der späteren Anführerin wahrnahm. Vielleicht vereinten sich in ihr irgendwann einmal der Mut des Vaters und die Klugheit ihrer bezaubernden Mutter.

Die zweite der Frauen konnte sich nicht von ihrer Tochter trennen. Da sie selbst im Amazonendorf groß geworden war, stellte sich niemand gegen ihre Bitte.

Diese Frau war Melasa. Die Tochter der einstigen Anführerin Alesa.

Lange vor dieser Zeit, wurde das Recht des Anführers nur den Kindern vererbt. Diese Außenstehende hatte mit ihrer Klugheit schon oft genug dem Dorf geholfen. Sie besaß alles, was sie sich von einer Anführerin erhofften, so trat Melasa ihr Erbe an Nette ab.

Seitdem wurde die junge Frau mit Recht als Königin der Amazonen betitelt.

Ihre Tochter war die 4-jährige Nala. Ihre kleine Prinzessin mit eben solchem honigfarbenen Haar, das in der Sonne golden glänzte. Und zwei Augen so funkelnd Blau wie Juwelen.

Melasa hatte eine Tochter von 6 Jahren. Das rote Haar ihrer Mutter war dunkel und seidig, während das ihrer Tochter mehr ins Blond ging und oft wirr wirkte. Auch der Charakter beider unterschied sich wie Tag und Nacht.

Die Mutter behielt in vielen Situationen ihre Ruhe, während ihre Tochter ein rechter Wildfang sein konnte, den es nur schwer gelang zu bändigen.

Melasa war es, die sich in den letzten Jahren verändert hatte. Die große Kriegerin wurde nach der Geburt ihres Kindes ganz Mutter. Nur selten griff sie zu ihrer Waffe.

Diese beiden Kinder, die das Dorf selbst bei Regen mit Freude erfüllen konnten, zeigten ihnen, worum sie kämpften.

Damit jedes Dorf und jede Stadt von solchem Kinderlachen erfüllt wurde. Frei und ohne Angst. Es war falsch, dass die Last der Eltern, von so kraftlosen Schultern getragen wurde.

Von früher Kindheit an mussten bei der harten Arbeit geholfen werden, damit die Forderung ihres Königs erfüllt wurde. Kein Spiel, keine frohen Stunden, nur Arbeit.

Die Schreie des Volkes wurden von den Adeligen und Königen überhört. Sie interessierte nur das eigene Wohlergehen. Reichtum, ein gefüllter Bauch und berauschende Feste.

Nette offenbarte ihnen diese Einstellung mit ihrer Flucht ins Dorf.

Blind und taub für alles außerhalb ihrer Marmorwände, stolperte sie hier ungeschickt zwischen den einfachen Leuten umher. Seit ihrer Kindheit wurde sie von jeglichem Übel abgeschottet, sodass sie erst hier die Ängste der einfachen Bevölkerung kennenlernte.

Wie sie bei jedem Unwetter oder Dürre um die nächste Ernte und ihr Überleben bangten. Bei Krankheiten wurden ihr die beste Behandlung und die Sorge der Familie zuteil. Viele Bauern standen selbst mit Fieber noch auf dem Feld oder gingen zur Jagd.

Den möglichen Zusammenbruch machte es umso schlimmer.

Im Bett liegen, unfähig sich um Vieh und Hof zu kümmern, immer die Angst im Nacken, den Forderungen des Königs nicht nachkommen zu können. Oder Schlimmeres.

Genauso, wie ihr nicht bewusst war, dass jeder Soldat, der auf dem Schlachtfeld fiel, eine trauernde Familie besaß.

Und genau dieses vom Luxus ihres adeligen Leben verwöhnte Mädchen, musste in die Hände der Amazonen geraten.

Weder heute noch früher waren sie das Monster, von dem das Mädchen gehört hatte. Obwohl es manchen heimlich durch den Kopf ging, wollten sie Nette nie zwingen, zurück an den Altar zu treten. In Schloss und Bett eines Tyrannen. Und obwohl diese andere Lösung ihnen vielleicht zugutegekommen wäre, nahmen sie das Mädchen bei sich auf.

Die Amazonen gaben ihr ein Heim und neue Aufgaben, in die Nette sich schwer gewöhnte. Ihr Hände waren nun nicht mehr gepflegt wie früher, sondern rau und voller Schwielen von der Arbeit. Ihre vornehmen Kleider musste sie gegen die einer Bäuerin tauschen. Und trotz ihrer Mühe blieb sie für alle anderen bloß die Adelige.

Jahre zogen dahin aber nichts konnte ihr den Stolz und ihre grazile Art nehmen.

Während sie hier immer noch eher geduldet als erwünscht war, wuchs das Interesse eines fremden Kämpfers umso mehr an. Mit seinen Kameraden kam er damals zu ihnen, um an ihrer Seite zu kämpfen.

Er war außerdem der Erste, der in ihr mehr erkannte, wie es andere ihr zutrauten.

An seiner Seite errang sie zuerst das Schlachtfeld, später die Herzen der Dorfbewohner.

Sie schaffte, an was nie zuvor jemand dachte. Wie der Vertrag mit den Königen, der gebot, dass keine Armee sie kurz auf eine Schlacht angreifen durfte. Widerwillig unterschrieben sie und ebenso gehorsam hielten sie sich an die Abmachung.

Schon vor ihrer eigentlichen Ernennung wurde das Mädchen Amazonenkönigin genant.

Ihr Gefährte, dem sie so viel verdankte, war weder bei ihrer Ernennung dabei, noch konnte er sein Kind in Armen halten.

Seit seinem Tod waren fast fünf Jahre vergangen. Und auch wenn sie nie darüber sprach, war ihr Herz noch immer von Trauer über den Verlust erfüllt. Alles verdrängte sie in ihrer Pflicht dem Dorf und ihrer Tochter gegenüber.

Die kleine Nala würde erst in den kommenden Jahren richtig verstehen, welch große Rolle ihr das Schicksal zukommen ließ.

„Marli“, rief eine für ihre Größe ziemlich laute, kleine Dame. Das Mädchen zog die Vokale ihres Namens unendlich in die Länge. Dabei zupfte sie am Rock der Kriegerin, bis diese ihr sämtlich Aufmerksamkeit schenkte.

Gedana war zu ihr auf das Podest geklettert. Jetzt sah sie zu der großen Frau auf und zog eine Schnute. Sofort hockte sich die Amazone hinunter, um mit dem Kind auf Augenhöhe zu sein.

„Was ist denn“, erkundige sie sich bei dem Mädchen.

Nala stand unterhalb des Podestes und wartete stumm auf beide. Man konnte in dem Kind wirklich noch nicht erkennen, welchen Posten sie irgendwann bekleiden sollte. Noch wollte keiner von ihnen, dass sie an ihre Aufgabe erinnert wurde.

„Du wolltest mit uns zum See!“, beschwerte sich das rothaarige Mädchen. Ein Lichtschein von oben beleuchtete ihre vielen Sommersprossen auf Wangen und Nase. „Du hast es uns versprochen!“

Marli erhob sich. Sie tauschte mit den anderen Wächtern einen beratenden Blick, erst dann konnte sie ihren Posten wirklich verlassen.

„Weißt du, dass du recht hast?“ Sie drückte das Mädchen fest in ihre Arme. „Ich könnte ein Bad gebrauchen.“

Nala hatte das gleiche Alter wie ihre eigene Tochter. Marli gab sie zu ihren Eltern. Wann immer sie das Kind erblickte, brannte Sehnsucht in ihrem Herz als Mutter.

Krieg und Kampf waren eine Sache, die Familie eine andere.

Genau, wie es auch das Kind sah, dessen bekümmertes Gesicht sie unten erwartet.

„Was ist denn los?“, erkundigte sie sich bei ihrer kleinen Prinzessin. So wurde das Kind spaßhaft von allen genannt und vielleicht sogar ein wenig verwöhnt.

„Wann kommt meine Mami wieder zurück?“, wollte das Mädchen wissen. Sie sah mit ihren hübschen himmelblauen Augen zu der großen Beschützerin auf.

Diese Frage war interessant. Unschlüssig darauf zu antworten, leitete sie diese stumm an ihre Kameraden weiter, von denen jeder mit den Schultern zuckte.

Nettes Heer war vor Wochen ausgezogen. Selbst wenn sie eine Niederlage einstecken mussten, hätten sie Nachricht bekommen, die Kinder aus dem Dorf zu schaffen.

Jetzt konnten sie nichts anderes tun als warten. Warten auf Nachricht vom Schlachtfeld und Hoffen um einen Sieg. Die Sorge verklang nicht bei der überfälligen Botschaft.

Deswegen verdrängte sie die eigene Angst und schenkte ihrer kleinen Prinzessin ein Lächeln.

„Deine Mutter wird sicher bald wieder bei dir sein.“

Nichts davon erreichte ihr Ziel. Die Besorgnis wollte nicht von dem Kind weichen, das sich nur mit Mühe dazu überreden ließ, beide zum See zu begleiten.

Letztendlich war es Gedana, die ihren Willen bekam.

 

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Die Bewohner des Dorfes hatten sich ein Leben zur Grenze aller drei Länder aufgebaut. Es mochte hart sein, dafür konnten sie sich als frei bezeichnen.

Niemand nahm ihnen etwas weg. Kein Räuber. Keine Könige. Sie bestimmten selbst in ihrer Gemeinschaft.

Der See, zu dem Marli mit den Kindern wollte, schmiegte sich im Westen weitläufig an den Wald. Dort begann die Landesgrenze zu Miro.

Ein gefährliches Gebiet und Marli wusste, dass sie unvorsichtig war. Sie konnten auf ihrem Weg einer Grenzpatrouille begegnen. Dennoch gingen viele das Risiko ein, da der See wunderschön war. Heute kam hinzu, dass ihre Aufmerksamkeit nur der kleinen Prinzessin galt.

Das Mädchen wirkte in allem was sie tat bekümmert. Am liebsten hätte Marli sie gepackt und ihr allen Kummer entrissen.

Nala blieb ein paar Schritte hinter ihnen. Manchmal zupfte sie eine Blume vom Boden. Der Strauß in ihren Händen war schon richtig gewachsen.

Gedana dagegen hüpfte um beide herum oder lief ein paar Schritte voran. Sie wollte damit entweder Marlis Aufmerksamkeit bekommen, oder die ihrer jüngeren Freundin. Beides wollte ihr nicht gelingen.

Eine Szene, die sich am See wiederholte.

Nala saß am Ufer. Dort wo es steil herabfiel und sie ihre Füße im kühlen Nass baumeln ließ. In ihrem Schoß die Blumen. Ihre kleinen Finger verbanden sie zu einer hübschen Krone, wie es ihr eine der Frauen gezeigt hatte.

Nicht ganz so geschickt. Aber es konnte ein hübsches Geschenk werden.

Gedana stand abseits und sprach auf die Freundin ein, deren Gedanken sich nur bei ihrer Mutter befanden. Nichts half. Das Mädchen würde wohl erst wieder aus diesem Zustand gerissen werden, wenn Nette zurückkam.

Die Ältere gab auf und machte sich daran den Fischen hinterherzujagen.

Ihr Erfolg war sogar ungewöhnlich groß. Es gelang ihr, zwei Fische ans Land zu bringen. Später würde Gedana einmal eine gute Jägerin und Kämpferin werden. Wie ihre Mutter, deren Geschick im Bogen lag.

Marli wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Nala zu, die ihre Krone fast beendet hatte.

Das Mädchen erinnerte sie so sehr an die eigene Tochter, dass es die Amazone in ihrem Inneren schmerzte.

Wie gerne würde sie nach Ylora gehen, um ihr kleines Mädchen in die Arme zu schließen. Ihre kleine Arela, die sie seit einem Jahr nicht gesehen hatte und nach der es Marli verzehrte.

Wenn schon Nala sich so nach der Mutter sehnte, wie musste es dann erst Arela gehen?

Während sie so da saß, in Gedanken über ihre kleine Prinzessin und tief versunken im eigenen Schmerz, überhörte sie die Hufschritte, gedämpft vom weichen Gras.

An dem Fell, nass vom Schweiß, klebten Schmutz und Erde von der langen Reise. Grobe Narben auf dem kurzen Fell zeugten vom Einsatz als Schlachtross. Dazwischen glänzte frisches Blut von Insektenbissen. Einige Wunden, auch dort wo einst das linke Auge des Tieres saß, waren frisch und mit Blut verkrustet.

Seine Reiterin trug die gleiche Rüstung wie Marli, wirkte darin, trotz des großen Hengstes eher klein und zerbrechlich. Unter ihrem Helm fielen blonde Locken hervor, die Augen waren strahlend blau, genau wie die ihrer Tochter.

Das Pferd wollte seinen Kopf nach links neigen, um wenigstens zu sehen, wo die Stimmen herkamen. Sofort unterband die Reiterin dies. Selbst blind musste es auf seine Reiterin hören. Sich auf sie verlassen, genau wie die Amazone immer ihrem Pferd vertrauen musste.

Ein Schnauben stieß aus den Nüstern.

Erst jetzt wandte Marli sich erschrocken der Reiterin zu.

„Wenn ich gewusst hätte, wie leicht man sich an dich anschleichen kann, dann hätte ich dir meine Tochter nicht anvertraut“, kam es streng von der Kriegerin.

Marli kannte sie sehr gut. Sie wusste, dass es nicht die echte Strenge ihrer Königin war. Es war eher eine spielerische Rüge, die sofort von einem Lachen weg gerissen wurde.

Nala erkannte ihre Mutter beim ersten Wort.

Die Krone in ihren zitternden Händen haltend, trat sie vor den großen Hengst. In ihren klaren Augen glitzerten Tränen, beim Glück die Mutter endlich wieder zu sehen.

Noch ehe Nette von ihrem Pferd stieg, um ihr Kind zu begrüßen, schenkte sie der Freundin ein paar tröstende Worte.

„Arela geht es gut.“

Sie schwang sich vom Rücken des Pferdes hinab, wo ihre Tochter schon auf sie wartete. Bis sich die Mutter zu ihr hinunter beugte, um das Mädchen in ihre Arme zu schließen.

„Ich weiß doch, dass du sie vermisst. Wir kommen deswegen so spät. Mein Gesicht ist bekannt. So gerne ich selbst einen Vertrauten aus vergangenen Tagen besuchen würde, habe ich ein paar unserer Leute in die Stadt geschickt. Sie sollten nach deiner Tochter sehen.“

Ein überaus riskantes Vorgehen, wo jeder eine hohe Belohnung bekam, wann immer er eine Amazone tötete. So hofften die Könige, das Volk möge sich gegen seine eigene Hoffnung stellen.

Die Worte, die als nächstes von Nette kamen, ließen die große Amazone ins Wanken geraten.

„Sie vermisst ihre Mutter sehr, hat aber stolz gemeint, sie will ganz schnell lernen, um uns eine gute Kämpferin zu sein.“

Das reichte, um Marli einen festen Stoß zu versetzen. Tränen benässten ihre Wangen, so groß war die Sehnsucht nach ihrer eigenen Tochter.

„Geh zu ihr!“, befahl Nette. In ihrer Stimme herrschte die Autorität der Anführerin, ohne den weichen Klang einer Freundin zu verdrängen. „Geh sie wenigstens besuchen. Du hast sie so lange nicht gesehen. Ich möchte nicht der Grund sein, dass deine Tochter ihre Mutter nie kennenlernt.“

Nette ließ Nala los, um ihren Hengst an einem Baum anzubinden. Erst danach entledigte sie sich der schweren Rüstung.

Zuerst der Helm, unter dem ihr Haar schmutzig aber dennoch golden aufleuchtete. Als nächstes der Schutz um Beine und Arme. Zuletzt der lederne Brustpanzer.

Sie tat ihn gerade vorsichtig ab, da legte das Mädchen ihrer Mutter die Krone auf den Kopf.

Obwohl ihr eine richtige aus Gold mit Juwelen besetzt zustand, war es dieses einfache, kleine Geschenk, was sie wirklich tragen wollte. Nicht die Königin von Saron, sondern frei mit ihren Schwestern und dem Kind ihres verstorbenen Liebsten.

Dies war ihr Leben, für das sie und alle anderen Bewohner des Amazonendorfes auf ewig kämpfen würden.

 

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„Ich würde meine Tochter gerne wiedersehen. Aber ist dass denn möglich? So früh nach dem Kampf wird sich unser Heer ausruhen müssen. Da brauen wir jeden der kämpfen kann.“

Marli ließ sich an demselben Platz nieder, wo sie zuvor saß.

Es mochte sein, dass die Könige sie nicht angreifen durften. Dafür aber jeder andere, den man für Geld kaufen konnte. Söldner, Diebe.

Nette hatte sich in den Jahren ihre Schönheit behalten. Nur ein paar Wunden verunstalteten die wundervoll gebräunte Haut der Anführerin. Anders als so manche ihrer Schwestern wusste sie es, sich zu schützen, ohne den Kampf verlassen zu müssen.

„Keine Sorge“, rief die Anführerin. Sie setzte sich zu der Freundin. „Geh zu deiner Tochter. Ob sich ein Krieger mehr im Lager aufhält, ist unwichtig, solange du gesund wiederkommst.“

Das hieß, Marli sollte ihren hohen Kopf einziehen und sich nicht als Amazone zu erkennen geben. Sonst landete sie womöglich auf des Richters Henkerblock. Und in Ylora war es der Richter, von dem die Gefangenen auf die letzte Reise geschickt wurden.

„Danke“, sagte Marli lächelnd. Bevor ihre Anführerin sie schon jetzt losschickte, hatte sie vorher noch etwas einzuwenden. „Aber ich gehe frühestens morgen.“

Das ganze Dorf plante eine Feier zu Ehren ihrer Krieger. Ob alt, ob jung; jeder würde seinen Beitrag leisten. Sogar Nala wollte für ihre Mama einen Kuchen backen, bei dem ihr Alesa helfen würde.

Die Jäger waren schon auf der Jagd, um ein paar der Tiere zu fangen. Außerdem hatten ihnen Bauern zwei Schweine und eine Kuh geschenkt. Dazu kamen drei ihrer Hühner, die von der alten Alesa auf ihre eigene Art zubereitet werden sollten. Genau so, wie es Nette bevorzugte.

Nette blickte auf die beiden Mädchen. Den wilden Rotschopf Gedana, die schon im tieferen Wasser herumtollte, immer im Auge der beiden Frauen. Und die kleine Nala, die im flachen Wasser planschte und ein paar der Fische beobachtete, die an ihr vorbeischwammen.

„Eine Abkühlung könnte uns auch nicht schaden“, meinte die Anführerin der Amazonen und stieß die Freundin in einer spielerischen Aufforderung in die Seite.

Schnell war ihre Kleidung abgelegt. Mit einem weiten Sprung hechtete sie ins tiefere Wasser.

Neid kroch in Marli hoch, wenn sie diese wunderhübsche Frau betrachtete. Ihre seidige Haut, das goldene Haar und ein wohlgeformter Körper.

Sie mochte eine volle Amazone geworden sein, doch von ihrer Schönheit oder Anmut als Adelige hatte sie nichts verloren. Kein Wunder, dass ein Mann ihr sogar sein ganzes Königreich zu Füßen legen wollte und selbst jetzt noch Jagd auf sie machte.

Dieses unbesiegbare Wesen, dem viele die Zukunft des Landes in den Händen bescheinigten.

Die Kriegerin brauchte nur wenige Minuten, um ihrer Anführerin in den See zu folgen.

An diesem sonnigen Tag war das kühle Wasser einfach eine Erlösung. Besonders für Nette nach dem Kampf und der beschwerlichen Reise.

Sie konnte hier ihren Körper von Schweiß und Schmutz reinigen, die daran klebten.

Gedana näherte sich ihnen so weit, bis das Wasser ihr zur Brust stand. Sofort nahm Nette ihre Hände voll Wasser und bespritzte damit das Kind. Eine Aufforderung zum Spielen, die beide Kinder mit Begeisterung aufnahmen. Und selbst Marli ließ sich gerne dazu verleiten.

Keine der Kriegerinnen ahnte, dass ihre Wasserspiele mit den beiden Mädchen auch andere Aufmerksamkeit auf sich zog.

 

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Den ganzen Tag über durchstreifte die Soldatin den Wald und das umliegende Gebiet des Amazonendorfes. Hinein traute sie sich nicht, solange jeden Tag das zurückkommende Heer erwartet wurde. Ihre Tarnung war dann in Gefahr.

Was sollte sie tun, wenn die Amazonenkönigin sie erkannte? Wie würde sie reagieren, ihrer Schwester in deren Reich gegenüberzustehen? Ohne die schützenden Männer an ihrer eigenen Seite.

Nein, das durfte nicht passieren! Es mochte unvermeidlich sein, ihr wieder gegenüberzustehen. Dieses Schicksal schien den Schwestern vorbestimmt.

Dann sah sie die große Amazonenkönigin.

Wie lange war es her, dass die Schwester ihr begegnete? War es nicht vor deren Flucht damals im Schloss von König Teron?

Nerre legte sich in den Schatten eines großen Baumes. Dort wo das Gras hoch genug war, um ihr Deckung zu bieten.

Früher stand Nette alles offen. Sie sollte Königin werden und viele Untertanen beneideten sie darum. Sie beneidete die Schwester darum!

Als sie floh und alles wegwarf, war es für Nerre wie ein Stich ins Herz.

Nette verließ an diesem Tag nicht nur den König, sondern alle.

Nachdem Nerre die Nachricht erhielt, kam sie einen Tag nicht aus ihrem Zimmer. Sie weinte die ganze Zeit und wollte niemanden mehr sehen.

Ihre Finger schlossen sich um die Grashalme.

All die Jahre nagte eine unbändige Wut an ihr. Darauf, dass ihre Schwester alles hinwarf, nur für die eigene burleske Vorstellung von Freiheit. Dafür ging sie zu den Amazonen. Dafür stellte sie sich als deren Königin hin. Dafür verließ sie ihre Familie; ihre kleine Schwester.

Die Hand zog an dem Grasbüschel, bis es riss.

Dies alles würde bald enden. Wenn nicht sogar am heutigen Abend.

Nerre würde ihrer Schwester zeigen, wo ihr Platz war. Nicht unter diesen Wilden, sondern im Schloss Telja, an der Seite ihres ehrenwerten Königs.

Vorher wollte sie nur beobachten.

Die beiden Kinder waren ihr schon im Dorf aufgefallen.

Nerre hätte nie gedacht, wie einfach es sein würde, sich in das Dorf zu schleichen. Die Amazonen sollten doch so wachsam sein. Aber sie besaßen den Fehler, eine schutzlose Frau nie abzuweisen.

Besonders nachdem sie einen ihrer Kameraden angewiesen hatte, ihr für die Scharade ein paar Wunden zuzufügen.

Prellungen an den Armen, eine Platzwunde im Gesicht, das reichte, um das Mitleid der Amazonen zu wecken. Sie hatte sich dort ausgeruht, sodass nichts mehr von den Verletzungen zu sehen war.

Beide Kinder waren noch sehr jung. Das rothaarige Gör war am ältesten von beiden. Im Dorf sprang sie um Nerre herum wie ein Wiesel, das ein schmackhaftes Ei gefunden hatte. Dabei kamen Nerre die Sitzation wie ein Verhör vor. Ihre Fragen aus Misstrauen hätte für die Soldatin gefährlich werden können.

Es war klar, von wem das Kind abstammte. Selbst wenn Alesas Haar längst ergraute, wurde sie auf Bildern immer noch in dem roten, wallenden Haar als stolze Kriegerin dargestellt.

Und doch hatte nicht einmal die einstige Anführerin ihr solches Misstrauen entgegen gebracht, wie dieses Kind.

„Was für törichte Untergebene du um dich gescharrt hast, liebste Schwester“, zischte es aus dem Gras hervor.

Die Augen der Soldatin, deren Kleidung auf eine Amazone schließen ließ, fixierten die Personen vor sich.

Nette, trotz einiger Makel immer noch so wunderschön wie einst. Marli, eine großgewachsene Amazone, die als Wachposten zurückblieb und ihren Speer gekonnt schwang. Diese beiden Kinder in ihrem Spiel.

Besonders das blonde Mädchen interessierte Nerre.

Im Gegensatz zur Freundin blieb sie im Dorf eher für sich. Auch schotteten die Bewohner das Kind vor der Fremden ab. Ein Schatz, den es zu bewachen galt. Dieses Kind war scheu und taute nur im Beisein ihrer Vertrauten auf.

Was würde der König mit diesen beiden Kindern anstellen?

Für die Amazonen stand der Richtblock bereit. Sie sollten öffentlich den Tod finden. Als Mahnung für die verbliebenen Amazonen, die sich gerade nicht im Lager aufhielten und alle anderen Aufrührer. Aber es sollte auch dem Volk zeigen, dass dieser Weg nicht der richtige war.

Bei den Kindern wäre es schwieriger.

Die Leute würden nicht seelenruhig dabei zusehen, wie diese Kinder ihren Kopf verloren.

Ihr König war klug. Ihm würde schon einfallen, sie heimlich zu beseitigen oder auf anderem Weg einen Nutzen finden. Immerhin schienen in diesen Kindern alte und neue Führung vertreten. Solch ein Besitz war in mancher Hand mit Gold nicht aufzuwiegen.

Nerre entfernte sich vorsichtig, um nicht die Aufmerksamkeit der beiden Frauen zu erwecken.

Jede Faser ihres Körpers freute sich auf den nahen Kampf, der jetzt wo Nette endlich zu Hause war, losbrechen würde. Sie musste zurück, ihre Kleidung wechseln und sich auf die Schlacht vorbereiten.

 

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Marli schaute zum Himmel. Eben noch war er von einem strahlenden Blau erfüllt, jetzt zwängten sich dunkle Wolken davor und ein kühler Wind aus Norden ließ ihren nassen Körper frösteln.

Die Düsternis würden nicht lange verweilen. Spätestens am Abend war ihnen ein schöner Ausklang gewiss. Genau, was sie benötigten. Und doch waren es düstere Wolken eines nahen Gewitters, die Marlis Freude minderten. Nichts was die Natur bot, sondern ein Sturm der Rache.

„Nette, es gibt etwas, über das wir reden müssen“, begann die Amazone, nachdem sie sich ihre Lederrüstung wieder angezogen hatte.

Auch die Kinder schlüpften in ihre Sachen.

Die Anführerin verzurrte ihren Panzer am Sattel des Kampfrosses, ohne sich zu der Freundin umzuwenden aber Marli wusste, dass sie ihre volle Aufmerksamkeit schon längst besaß.

„Vor wenigen Tagen griff eine unserer Wachen eine Frau in den Wäldern des Dorfes auf“, berichtete sie. „Sie war verletzt und erzählte, Räuber hätten sie angegriffen. Er hatte Mitleid mit ihr und nahm sie mit ins Dorf. Sie war keine Bäuerin. Eher eine junge Adelige mit ausgeprägten Muskeln.“

„Hatte sie kurzes blondes Haar?“, erkundigte sich Nette. „Und ungefähr meine Statur?“

Marli konnte das Lächeln nicht verkneifen.

Sie ließ niemals durchblicken, wie ihr wirklicher Name war. Trotzdem vermutete Alesa das Gleiche.

„Wir haben uns nichts anmerken lassen“, sagte sie ohne den Namen direkt auszusprechen. „Sie wollte herumspionieren aber hat keine Information erhalten, die Alesa ihr nicht gestattete.“

„Was habt ihr der Frau berichtet“, erkundigte sich Nette.

Ihre Anführerin war mit ihrem größten Heer ausgezogen, um sich dem Kampf zu stellen, das musste selbst diesem Mädchen bekannt sein. Der Rest waren Kleinigkeiten, gespickt mit einer Falle.

Dem Mädchen wurde erzählt, das Heer hätte herbe Verluste einstecken müssen. Selbst wenn sie einen Angriff wagte, käme neben einer Strafe von ihrem König, eine große Überraschung auf sie zu.

Wäre Nette nicht siegreich gewesen, hätte man das bis ins Dorf gehört. Also würde die Soldatin einem kampfbereiten Heer gegenüberstehen.

Nette verzog ihre hübschen Lippen zu einem Lächeln. Nicht eines der Sorte, die diesen Plan beglückwünschte. Es drohte jeden Moment in Verzweiflung umschlagen.

„Euer Plan ist sehr nah an der Wahrheit“, berichtete Nette. „Wir haben gewonnen aber unser Heer ist geschwächt. Ich konnte nur einen Teil mit mir nehmen. Der Rest kümmert sich um die Verletzen.“

Marlis Miene fiel erschrocken in sich zusammen. Das konnte – nein, es durfte nicht sein!

„Der Vertrag mit den Königen“, warf sie abgehackt ein.

„Ein Abkommen mit mir, dass die Könige nur widerwillig unterzeichnet haben, schützt uns nicht, wenn meine Schwester meint, ihre verloren Ehre wiederherstellen zu müssen. Es war schon immer meine Befürchtung, dass sie ihr eigenes Heer dafür aufstellen würde. Schon damals, als ich sie unter den Soldaten des Königs entdeckte.“

Für ihr geplantes Fest würde es bedeuten, dass es nicht zur Freude gereicht wurde, sondern als Abschied.

„Meine Schwester ist nicht dumm. Sie nutzt jede sich bietende Chance, um mich zu vernichten. Aber dass sie so weit gehen würde.“

Es war das erste Mal seit langem, dass ihre Hand, die um den Zügel des Hengstes lagen, zitterten. Dabei war ihre Anführerin so stark geworden.

Egal was in der Vergangenheit passiert war. Nette liebte Nerre, wie es von einer großen Schwester erwartet wurde. Umso härter traf sie der Verrat, den das Mädchen wählen würde, um ihre Schwester fallen zu sehen.

„Alesa hat während unserer Zusammenkunft etwas angedeutet“, erwähnt Marli nun. „Ich wusste nicht, was sie meint, glaube aber, sie hat es kommen sehen. Sie sagte: Lieber den Feind glauben lassen, er hätte einen großen Sieg errungen, als ihm zu offenbaren, wie sein Verhängnis aussieht.

Alleine diese Worte brachten Nettes Lächeln zurück.

„Die Alte ist ein weiser und gerissener Fuchs“, bedachte sie ihre einstige Anführerin eines Kompliments. „Es ist besser Teron denken zu lassen, wir Amazonen sind geschlagen, damit er sie schnell hinrichtet, statt dass unsere Schwestern einen qualvollen Tod durch Folter erleiden müssen.“

„Was ist mit den Kindern?“ Marlis Leben war der Kampf. Jeden Tag wurde sie damit konfrontiert, dass es auch ihr letzter sein könnte. Egal ob auf dem Schlachtfeld oder aus anderem Grund. Sie fürchtete sich nicht und würde mit Stolz ihren Schwestern folgen, damit wenigstens die anderen und deren Familien weiterleben konnten.

Nicht nur alleine für sich, auch ihre Tochter wäre in Gefahr, könnte man auf die Idee kommen, außerhalb würde es noch viel mehr Amazonen geben.

Nettes Blick wandte sich zu ihrer eigenen Tochter und Gedana.

Beide waren viel zu weit entfernt, um die Frauen sprechen zu hören. Keine von beiden wollte die Kinder verängstigen, die ihren großen Fang betrachteten. Zehn Fische hatten sie herausgeholt. Gedana konnte drei ergattern, bei den anderen, mussten die Frauen ihnen helfen.

„Sobald wir im Dorf sind, nimmst du die Kinder!“, ordnete Nette streng an. „Ich weiß, dass Melasa gerne für das Dorf kämpfen würde, doch ihr Platz ist an der Seite ihres Kindes, da dulde ich keinen Widerspruch. Sollte meine Vermutung wegen des Angriffs stimmen, kann sie mit unserer verbliebenen Armee alles wieder aufbauen.“

Marli schaute auf die kleine Prinzessin.

Nette sagte nichts zu sich selbst oder dem Kind. Die Worte hingen unausgesprochen und schwer in der Luft.

Sollte es einen Angriff geben, würde sie an vorderster Front stehen. Zusammen mit ihren Schwestern und womöglich sterben. Für den Traum eines Lebens in Freiheit, ohne Tyrannei durch die Könige.

Marlis Einwand, sie solle gehen und sich in Sicherheit bringen, wurde von ihr abgeschmettert. Genau wie Alesas Vorschlag, nur ein paar ihrer Kameraden sollten hier bleiben, der Rest konnte sich zu ihren Verbündeten durchschlagen.

Auch das schlug Nette ab. Sie wollte kämpfen und alles verteidigen, was ihr wichtig war.

Ihr Kind, die Amazonen, das Volk mit seinem Wunsch nach Frieden und deren Hoffnung auf die starke Königin.

Nala weinte, als sie so früh wieder von ihrer Mutter Abschied nehmen musste. Nette schenkte ihr ein Lächeln und die Worte, sie würden sich bald wiedersehen.

Über dem Ganzen lag eine so gedrückte Stimmung, dass jedem bewusst wurde, es würde ein Abschied für immer sein.

Marli musste das Mädchen ganz fest an sich drücken und ihr oft bedeuten ruhig zu sein. Während ihrer Flucht durften sie kein Aufsehen bei dem lauernden Heer wecken.

Nicht das ihr Leben und das der Kinder, das erste war, dass die Soldaten in dieser Nacht nahmen.

 

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Wie es die Amazonen planten, wurde ein Freudenfeuer entfacht, zu Ehren von Nettes Sieg an ihrem Grenzland.

Schon von weiten ließ sich das Feuer ausmachen, über dem ein fettes Schwein gebraten wurde.

Ein Signal, das über die schützenden Baumwipfel hinweg, bis weit hinein in die Länder strahlend. In der Bedeutung dessen, was sie sein wollten und im Hohn gegen die Könige!

Seht her! Hier sind wir! Ihr könnt uns nichts tun! Wir haben triumphiert und werden siegen!

Ausgehandelt von ihrer Schwester, geschrieben auf einem Papier, viel zu dünn, um Bestand zu haben!

Wie sie es ihnen zeigen würde!

Es würde in dieser Nacht brennen, wie der törichte Traum, an dem die Bewohner des Dorfes festhielten!

Nerre wies ihren Untergebenen an, sich langsam zu nähern. Noch sollte keine der Amazonen ihren Angriff bemerken.

Nette saß vor dem Lagerfeuer mit zwei der Frauen, die Nerre schon bei ihrem Besuch begegneten. Es war das Einzige, was die junge Kriegerin wahrnahm. Und das Einzige, was ihr gehörte, nachdem das Zeichen zum Angriff gefallen war.

Die Soldaten verließen mit einem Kampfschrei ihr Versteck, zum Dorfplatz zu.

Es waren 15 Frauen, die hier unbeschwert saßen. Darunter die größten Krieger der Amazonen. Von dem Rest war nichts zu sehen. Wie ihr ausgerichtet wurde, musste das Heer starke Verluste erlitten haben, sodass dieser Kampf ein Kinderspiel sein würde.

Nerres Lächeln erstarb, noch während sie ihr Schwert zum ersten Schlag erhob.

Ihre Schwester, die große Amazonenkönigin wirkte nicht überrascht. Sie wusste um den Angriff. Neben sich lag das Schwert bereit, mit dem sie den Schlag ihrer jüngeren Schwester gekonnt parierte.

Der Blick der jungen Soldatin wandte sich zurück.

Von oben und aus dem Schatten der Häuser traten weitere Krieger der Amazonen. 40 an der Zahl aber weit zu wenig, gegen das Heer unter Nerres Führung.

Bestehend aus ihren Kameraden, sowie denen, die sich ihnen anschlossen, nachdem sie von dem Plan erfuhren.

Die Klingen der beiden Schwestern kreuzten sich zu einem Kampf, den keiner unterbrechen wollte.

Es war alleine der Kampf beider Schwestern, der unter einem heißen Abendhimmel ausgefochten wurde.

Keiner wollte weichen. Und nicht umsonst waren die Amazonen für ihre Kampfmoral bekannt. Dazu die stolze Königin, die genau wie ihre Schwester aus adeligem Haus stammte.

Hätte man sie vor 15 Jahren gesehen. Zwei Kinder, immer in den feinsten Kleidern und mit herrlichen Juwelen verziert. Ihnen waren Hunger und Leid fremd. Niemand hätte für diese Mädchen ein Schicksal vorhergesagt, das zum blanken Schwert führte.

Und jetzt standen sie hier, an der Kreuzung ihrer beider Wege.

Nette war geschickt im Schwert aber ihre kleine Schwester wusste genau, wie sie ihr Gegenüber aus der Bahn werfen konnte.

Keiner ihrer Gegner hatte je Mitleid mit ihr oder Liebe verspürt. Auch keine der Amazonen würde die junge Soldatin verschonen. Nur Nette, in deren Augen nicht der Wille ums Überleben stand, sondern Trauer wegen der kleinen Schwester.

Daher gab es Unachtsamkeit, die von Nerre ausgenutzt wurde.

Am Ende dieser Nacht waren es die Soldaten um Nerre, die als Sieger aus der Schlacht heraus gingen. Die Amazonen vor ihnen waren ein Haufen geschlagener Leute.

In ihrem eigenen Blut liegend, kaum noch am Leben. Es würde reichen, wenn sie bis zur Hinrichtung überlebten. Nette stand ein anderes Schicksal bevor.

Sie würde ihre Schuld begleichen müssen, indem sie mit König Teron vor den Altar trat. Den idealen Köder wusste Nerre auch schon.

„Kümmert euch um unseren Ehrengast!“, rief sie mit einem Lächeln zwei ihrer Soldaten zu. „Versorgt ihre Wunden und auch die der anderen Amazonen! Sie sollen das Tor unseres Schlosses lebend überschreiten.“

Nette lag vor ihrer Schwester. Sie krümmte sich am Boden. Ihre Hand presste sie auf die Wunde am Bauch.

Die Verletzung war nicht schwer genug, dass sie davon starb.

Die Soldatin erhob ihren rechten Fuß, mit dem sie die Schwester anstieß, sodass diese unter einem Keuchen auf den Rücken rollte. Der Kampfeswille war nicht aus der geschlagenen Königin gewichen.

„Schau nicht so!“, rief Nerre von oben herab. „Du hast selbst gewollt, dass es so endet!“ In einer Grimasse der Wut entblößte die 25-Jährige beide Reihen ihrer weißen Zähne. „Unsere Familie hat sich für dich aufgeopfert. Sie haben dich immer verhätschelt und du solltest mit unserem König vermählt werden. Dafür dankst du uns mit dieser Schande?“

Die Frau vor ihr keuchte erneut auf, als der schwere Stiefel ihrer jüngeren Schwester auf sie niedersauste.

„Unser Vater ist gestorben! Er konnte nicht mehr mit der Schande leben, in die du unsere Familie durch deinen Egoismus gestürzt hast!“

Wieder erhob Nerre ihren Fuß zu einem Schlag gegen die eigene Schwester, doch diese wehrte ihn mit ihren bloßen Händen ab.

„Ich gehe lieber freiwillig in den Tod, als das Schoßhündchen dieses Königs zu werden!“, knurrte sie mit ihrer verbliebenen Kraft.

Nerre wandte sich ab.

Wenn sie sich nicht freiwillig in ihr Schicksal ergab, würde die Schwester sie dazu zwingen.

Ihr Blick wanderte über die Amazonen. Viele von ihnen waren jung und auf den Kampfplatz geeilt. Nur einen Teil musste man aus den Häusern ziehen. Dennoch fehlten ein paar von ihnen.

„Wo ist Alesa?“, erkundigte sie sich scharf bei einem ihrer Mitstreitern. „Sie muss zwei Kinder bei sich haben. Sucht sie!“

„Alesa ist eine alte Frau, die kaum noch kämpfen kann“, wandte ihre Schwester ein. „Lass sie in Frieden. Auch unsere Kinder können kaum einen Aufstand anzetteln.“

Nerres Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Die Schwester zu ihren Füßen verstand. Kurz darauf wurden einige ihrer Späher ausgeschickt, um die Spuren der Gruppe aufzunehmen.

Ein wahrer Sieg über die Amazonen würde es sein, Nette mit dem König zu vermählen und Alesas Kopf rollen zu sehen.

Vielleicht sogar durch Hand ihrer Nachfolgerin. Der Heldin, als die das Volk sie betrachte. Die von ihr erschaffen wurde.

Und sollte die Mutter nicht spuren, würde sie es, wenn ihr eigenes Kind in Gefahr wäre.

 

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Kapitel 3



Ein starker Ruck, ließ die Insassen der Kutsche aufspringen. Eines der Räder war über einen großen Stein gerollt. Diesmal war es knapp. Beinah wäre die Achse gebrochen und hätte ihre Fahrt unterbrochen.

Der Zweispänner sah einen unwegsamen Feldweg vor sich, keine der größeren Straßen, wozu er sonst genutzt wurde.

Die beiden Rapppferde verrichteten tapfer ihre Arbeit, ihr Gespann in die vorgegebene Richtung zu ziehen. Und auch der Kutscher sagte kein Wort, obwohl man seine Zweifel, bezüglich des Weges, deutlich im Gesicht ablesen konnte. An einer Stelle zog sich der Weg sogar so schmal zusammen, dass er die Räder links vorsichtig auf das Feld manövrieren musste und Angst bekam, im weichen Untergrund stecken zu bleiben.

Er sagte nichts, aus Angst, seinen Herren zu erzürnen, der auf jede Verzögerung spekulierte, sie sogar herbei sann.

Die Kutsche wurde von bewaffneten Männern begleitet.

Soldaten, eigens vom König zugeteilt, um die Kutschgesellschaft vor Gefahren zu bewahren.

Vier ritten in Front, während vier weitere sie im sicheren Abstand auf dem Feld flankierten. Im Rücken folgte ein ganzes Heer aus seinen eigenen berittenen Wächtern und denen des Königs gewachsen.

Zur Seite der Kutsche, soweit ihm dies möglich war, ritt der Kommandant dieser Truppe. Dabei versuchte er angeregt mit dem Mann ein Gespräch zu führen, dem dieser Schutz eigentlich dienen sollte.

Wobei das durch manches, sich am Wegesrand auftuendes, Gestrüpp erschwert wurde.

Neben dem Mann saß dessen Frau Miri. Alleine ihr Kleid hatte ihn ein ganzes Vermögen gekostet. Die schmale Frau wirkte in den weit aufgeplusterten Rock mit dessen Gestell und Unterröcken um einiges fülliger, als sie in Wirklichkeit war. Schon die ganze Zeit beschäftigte er sich mit der Frage, wie sie in dieser Mode überhaupt ordentlich sitzen konnte oder die Hitze überstand.

Keine einzige Schweißperle rollte ihr hoch geschnittenes und gepudertes Dekolleté entlang.

Er liebte seine Frau, egal ob in einem Ballkleid oder seinetwegen konnte es auch einfaches Leinen sein. Aber die Mode der Frauen ließ ihn manchmal an einigem zweifeln.

Wieder ging ein holpern durch die Kutsche. Während sich die Kinder an der Seite festklammerten, genau wie er, blieb Miri in ihrer steifen Position verharren.

Dem Ehepaar gegenüber saßen zwei ihrer Kinder.

Per, der gerade sechzehn geworden war und ihr jüngstes Kind Ero, von sieben Jahren. Ihr ältester Sohn Jos blieb bei seiner Frau zuhause.

Wie der Mann meinte, eine kluge Entscheidung. Sonst hätte ihn die Frau des Hauses genauso eingekleidet wie den Rest. Dunkle Anzüge, in denen er sich wie in einem Backofen fühlte, bis oben hin zugeknöpft.

Sogar die Söhne hielten sich tapfer, ohne ihre Mutter wegen der Kleiderwahl kritisieren zu wollen. Wobei besonders Ero es seit Jahren wusste, seine Mutter zu bezirzen. Entweder durch Worte oder einem einzigen kindlichen Blick. Dabei ließ sie dem Nesthäkchen vieles durchgehen, worauf bei den älteren Brüdern früher so mancher Schlag auf den Hosenboden setzte.

Zu seiner eigenen Schande musste er gestehen, dass diese Masche selbst bei dem strengen Richter sehr gut funktionierte. Beide verwöhnten sie den Jungen gerne.

„Was für ein schrecklicher Weg“, empörte sich Miri. Eine Delle im Boden und diesmal durchzuckte selbst seine Frau in dieser steifen Haltung ein Rucken.

Er ignorierte sie und wandte sich dem Mann an seiner Seite zu, der angeregt über die Festnahme der Amazonen plauderte. Seiner Meinung nach war es überfällig, dass jemand etwas gegen diese Plage unternahm, wie er diese Widerstandstruppe nannte.

Der Richter zu seiner Seite – Beldor, wie er hieß, in seiner Funktion als Richter unter einem schrecklichen Namen bekannt -, zeigte sich zustimmend. Sein Inneres füllten Gram und Sorge.

Unter den Gefangenen, die hingerichtet werden sollten – die er hinrichten sollte – befand sich ein Mädchen, das er in Kindertagen oft auf seinen Schoß setzte.

Laut den Erzählungen nahmen ihr die vergangenen Jahre nichts von ihrer bezaubernden Art. Wäre nicht alles schrecklich schief gelaufen, hätte sie womöglich in seine Familie gefunden. Sie und Jos waren eine Zeit lang unzertrennlich.

Genau aus diesem Grund wählte er einen für die Kutsche unsagbar schlechten Untergrund. In der Hoffnung, die Achse würde brechen oder etwas passieren, damit er nicht vor dieser scheußlichen Aufgabe stehen musste.

Ein Nein gab es nicht. Sein König hatte ihn bei der Frage nach seiner Hilfe in eine Falle hinein manövriert, aus der er sich nicht mit zu retten wusste.

Nun war er auf König Terons Einladung und König Selons Bitte hin unterwegs zum Schloss Telja, um seiner Pflicht als Richter nachzukommen und die Gefangenen auch gleich zu richten.

Die Laune seiner Frau konnte nichts davon mindern. Sie freute sich darauf eine ihrer Freundinnen zu besuchen. Über das Schicksal deren Tochter machte sie sich wenige Sorgen. Ihrer Meinung nach würde einer Adeligen nichts passieren. Höchstens einen Klaps auf die Finger.

Wenn sie sich da mal nicht irrte.

Sein Gesprächskamerad rühmte sich gerade ein paar Mitglieder der Amazonen aufgegriffen zu haben, die über die Landesgrenze von Ura überqueren wollten. Richter Beldor nickte ihm stumm darauf zu, ließ auch hin und wieder einen mechanischen Kommentar fallen, sein Blick aber ruhte auf der friedlichen Natur, die keinen seiner hoffenden Gedanken wahr werden ließ.

Kein Achsenbruch, kein plötzliches Unwetter, sogar Räuber wären ihm in dieser Situation willkommener, als dem Einzug des siegreichen Heers beizuwohnen.

 

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Bei seiner eher beiläufigen Erkundung des Geländes wirkte die Gruppe, in der Nähe eines kleinen Hains erst unbedeutend.

Seine Augen verengten sich und jetzt konnte er auch die Kleidung der Frauen ausmachen.

Recht unvorsichtig dafür, dass die Amazonen eigentlich schlau sein sollen.

Der Kommandant an seiner Seite folgte dem Blick des Richters. In seinen Augen funkelte der Wille, die Frauen dem König von Saron zum Geschenk zu machen.

Richter Beldor wies seinem Kutscher an, kurz zu stoppen, gerade als die Räder ein weiteres Schlagloch erwischten. Seine Anweisung an den Kommandanten zu seiner Seite war umso schärfer.

Er sollte nicht voreilig handeln, zumal die meisten Frauen, ganz anders als die beiden Amazonen in ihrer Kleidung, wohl nie ein Schwert in Händen hielten. Es waren einfache Bauern, die sich in den Schutz der Amazonen begaben und jetzt flohen. Nette musste es kommen sehen haben, sonst wären sie zu Fuß noch nicht so weit. Nur ein paar Pferde standen bei ihnen, mehr als Lastentiere.

Eine der Amazonen, ein Rotschopf, setzte ein mattes Lächeln auf. Sie sah nicht in die Ferne nach möglichen Gefahren, wie ihre größere Kameradin, die sich ebenfalls durch diese Stelle in geringer Entfernung ablenken ließ und dadurch keinen ihrer Beobachter bemerkt hatte. Aber sie wirkte wachsamer.

Der Richter wollte schon das Zeichen zum Weiterfahren geben, als er erkannte, was der Grund ihrer Aufmerksamkeit war.

Seine Lippen verzogen sich ebenfalls zum Lächeln.

Der Kopf eines Kindes verschwand im hohen Gras.

Nein, dort befanden sich zwei Kinder.

Eines der Mädchen konnte man kaum erkennen. Sie war recht jung mit goldenem Haar. Ihre Freundin konnte nur wenig älter sein, nicht viel mehr als sein eigener Sohn. Ihre Arme schlossen sich tröstend um die Freundin.

Wieso wusste der Richter nicht zu sagen. Hatte sie sich auf der Reise etwas getan oder mochte es Kummer sein? Sie ähnelte keiner der Frauen, daher war es denkbar, dass sie im Krieg die Eltern verlor.

Richter Beldor mochte einen harten Ruf tragen, diesen Kindern den einzigen Halt zu nehmen, eine kümmernde Hand, ob verwandt oder nicht, war selbst für ihn zu hart.

Seine Hand richtete sich zur Anordnung der Weiterfahrt auf, hielt in ihrer Bewegung jedoch abrupt inne.

„Dieses Mädchen“, sprach er mit Zweifel. „Erinnert sie dich nicht auch an eines der Kinder unserer Freunde in dem Alter?“

Miri warf nur einen flüchtigen Blick auf beide Kinder, die in der Ferne spielten, dann rümpfte sie auch schon ihre spitze Nase auf eine Art, die er trotz ihrer fast 50 Jahre immer noch lieblich fand.

„Das ist bloß schmutzige Bauernbrut“, lautete ihre direkte und herablassende Antwort.

Richter Beldor lachte auf.

Nicht weil ihre Worte ihn amüsierten, sondern wegen des Gebarens seiner Frau.

Die ganze Zeit über versuchte sie ihr langsam ergrauendes Haar unter dem wundervoll, hellen Braunton zu verbergen, an dem er früher liebte, seinen Kopf zu schmiegen.

An ihrem mittleren Sohn erkannte er viel von seiner Frau. Der ebenso wilde Ton der Haare, die grünen Augen. Und doch wurde Ero ihr beider Liebling.

Auch bei den Kindern war das Interesse geweckt.

„Vater, die Frauen sind doch Amazonen“, rief Per überrascht auf. „Sie müssen Nerres Angriff entkommen sein.“

Sofort krabbelte sein jüngerer Bruder auf seinen Schoß, um den Kopf so weit über die Kutsche zu recken, dass die Gefahr bestand, er würde herausfallen. Die Augen des Kindes weiteten sich vor Staunen.

„Amazonen‽“, rief er aus. „Was passiert jetzt mit ihnen? Nehmen wir sie mit?“

„Mit euch habe ich wirklich zwei kluge Burschen“, lobte der Vater beide Kinder, obwohl es eher Pers Augen waren, die voller Schärfe die richtigen Schlüsse zogen.

Dann wandte er sich an die erste Reihe seines Gefolges.

„Bringt mit bitte das Kind! Aber entwaffnet die Frauen höchstens. Ihnen soll nichts passieren!“

Die Männer tauschten kurz unschlüssige Blicke, folgten dann aber gehorsam seiner Anordnung.

Wie erwartet waren die Amazonen trotz ihrer Leichtsinnigkeit immer auf der Hut. Besonders wenn es um die Kinder ging, denen sich jetzt vier Bewaffnete näherten.

Beide Frauen stellten sich vor sie mit gezücktem Schwert und dem Kampfeswillen all ihrer Kämpfer. Die Kinder eilten in die schützenden Arme einer der älteren Frauen.

Egal wie tapfer beide Frauen kämpften, gegen die jungen Soldaten gab es kein Ankommen. Schnell hatten sie beide unter Kontrolle gebracht. Nur einer ging zu dem Kind.

Mit der störrischen Alten, die in ihren jungen Tagen selbst eine der stärksten Amazonen war, rechnete er nicht.

Mit ihren für ihr Alter recht flinken Händen zog sie einen kleinen Dolch heraus. Die Spitze streifte seine Hand, mit der er nach dem Kind greifen wollte.

Auch sie war kein wirklicher Gegner mehr und so entriss der Soldat das Kind aus ihrem festen Griff.

Die Kleine schrie und zappelte in seinen Armen so sehr, dass Richter Beldor mit dem Kind Mitleid hatte.

Noch ehe der Soldat die Kutsche erreichte, war der Richter hinaus gesprungen und ihm entgegen geeilt. Das Kind landete wie eine wertlose Puppe vor den Füßen des Mannes.

„Lasst eure dreckigen Pfoten von ihr!“, schrie die große Amazone ihnen zu, deren glanzloses, braunes Haar zu einem dicken Zopf gebunden war. Ihre braunen Augen, die sich unter einem festen Schlag schlossen, blickten ihn gleich darauf erfüllt vor Hass an.

Dabei musste es so kommen. Dies mochte ein eher selten befahrener Weg sein aber die Frauen boten in ihrer Uniform ein unübersehbares Ziel. Wenn sie nicht schleunigst handelten und ihren Stolz bezüglich ihrer Herkunft ablegten, würden sie ihren Schwestern eher Gesellschaft leisten, als er das Schloss Telja erreichte.

Seine Hand erhob sich zur deutlichen Rüge an die Männer weit ab. Immerhin hatte er ihnen angeordnet, den Frauen nichts zu tun. Das schloss mögliche Schläge ein.

Dann wandte er sich dem Soldaten vor ihm zu.

„Hat dir niemand Manieren beigebracht‽“, entrüstete er sich.

Ehe das Mädchen ihre Tränen fortgewischt hatte oder flüchten konnte, hockte er sich zu ihr herunter. Seine für sie große Hand packte nach ihr und zwang das Kind ihn anzusehen.

„Wie lautet dein Name?“, forderte er das Mädchen auf.

Sie antwortete nicht, vergoss nur stumm ein paar Tränen.

„Sag mir deinen Namen!“ Seine Worte waren diesmal deutlicher, drängender.

Die Zähne des Mädchens schlossen ihre Unterlippe ein. Sie wollte und durfte ihm nicht antworten. Das mussten ihr die beiden Amazonen befohlen haben.

„Dieses schmutzige Ding wird einfach nur stumm sein oder zu dumm, um zu antworten“, kam es von seiner Frau Miri, die dieser Szene einen geringen Funken ihrer Aufmerksamkeit widmete.

Bei den Söhnen sah es da schon anders aus.

Per und Ero drängten über die Seite der Kutsche hinweg, um genau auf das kleine Mädchen sehen zu können. Dabei bot der ältere Junge dem jüngeren Halt, damit dieser nicht sein Gleichgewicht verlor.

Nicht einmal auf die Rüge ihrer Mutter wollten sie hören.

Der Richter sah ein, dass es keinen Sinn bei dem Kind hatte. Fand er keinen Schalter in ihr, der ihren Lippen freiwillig die Worte entlockten, würde sie weiter schweigen. Ganz so, wie es ihr die Amazonen angeordnet hatten.

Zu groß war die Angst, von der die kleine Kehle des Mädchens zu geschnürt wurde.

Seine Hand wanderte zärtlich über ihren blonden Kopf. Dann gab er den Männern Anweisung ihm beide Frauen zu bringen.

Stur setzten sich die Amazonen in Bewegung.

Von einer war ihm der Name bekannt.

Melasa, die Tochter der einstigen Anführerin Alesa. Eine alte Frau, die nun keine Gefahr mehr war und ihr einziges Enkelkind ängstlich an ihre Brust presste.

„Verratet mir den Namen des Mädchens!“, forderte er die Amazonen auf. Er ließ von dem Kind ab, das nun hinter die große Frau flüchtet.

Am liebsten würde sie sich zu ihr herunterbeugen, doch das verhinderte ein Schwert, mit dem einer der Soldaten sie im Zaum hielt.

Für einen Augenblick berieten sich die beiden Frauen. Sie sahen sich als eine große Familie, deswegen fiel in ihrem Dorf oft die Bezeichnung Schwester oder Bruder.

Genauso eng verbunden war auch ihr Denken, das sie ohne Worte verstanden, was in der anderen vorging.

„Wieso will der Henker das wissen?“ Die Rothaarige spuckte vor ihm aus.

Henker von Ylora, eine harte Bezeichnung für den Richter, dessen Autorität eher aus Angst vor seinem Richterspruch entwuchs.

„Es interessiert mich“, antwortete er ehrlich und weicher als bei seiner Forderung.

„Schneid diesem Gör und den Gänsen endlich die Kehle durch und lass uns weiterfahren“, drängte Miri auf nicht all zu charmante Art. Ein Verhalten, das die beiden Frauen in ihrer Annahme bestärkte, sie seien für die Adeligen nichts weiter als Tiere oder Müll.

„Ruhe!“, wies er seine Frau zurecht. Die deutlich schmollend die Lippen zusammenpresste und selbst ihm nun keines einzigen Blickes mehr würdigen würde.

„Wir werden mit unseren Kameraden den Kopf verlieren!“, rief die Rothaarige aus. „Wieso sollten wir euch da ihren Namen verraten. Sie ist nur die Tochter einer Kameradin von uns. Und wir ergeben uns mit Stolz in unser Schicksal. Glaubt nicht, dass ihr uns dazu bekommt, im Staub vor euch zu kriechen.“

Manch anderer würde einen Weg wählen, der in den Soldaten brannte, statt hier auf eine Antwort zu warten. Richter Beldor jedoch wollte es im Guten versuchen. Ohne den Frauen etwas anzutun.

Genau deswegen hatte er seinen Weg an den Richterblock gewählt.

Um die Freude an der Qual mancher Menschen seinen Verurteilten zu ersparen.

„Eine Antwort könnte euer aller Leben retten“, sagte er. „Wollte ich euch zum Richtblock bringen, wärt ihr alle schon in Gewahrsam.“

Wieder tauschten die beiden Frauen einen stummen Blick. Und wieder war es Melasa, die sprach.

„Wir sollen dem Henker vertrauen, dass er uns laufen lässt?“, spöttelte sie. Aus ihrem Blick sprach solche Abscheu, dass sie am liebsten eines der Schwerter ergriffen hätte, um ihn damit zu richten.

Ihre Kameradin traute ihm zwar ebenfalls nicht, blieb dafür aber ruhiger.

„Sagt mir, wieso ist es euch so wichtig ihren Namen zu erfahren“, tastete sich die brünette Amazone vor.

„Ihr wisst sicher, in welchem Verhältnis die Familie eurer Anführerin zu meiner steht“, antwortete er ihr. „Ich denke nicht, dass Nette daraus ein großes Geheimnis gemacht hat.“

Ein widerwilliges Nicken folgt sogar von dem Rotschopf. Den Rest hätten sich beide Frauen denken können.

„Das gleiche goldene Haar, dasselbe Lächeln. Wenn ich sie ansehe, muss ich an eure Anführerin denken. Nette war in dem Alter ein ebensolcher Sonnenschein.“

Das Mädchen lugte vorsichtig hinter den Beinen ihrer großen Beschützerin hervor. Selbst Miris Interesse an dem Mädchen schien für einen Augenblick geweckt. Sie wog das Bild ihrer Erinnerung mit dem Mädchen vor sich ab. Ein hübsches, feenhaftes Gesicht umrahmt von Korkenzieherlocken, gegen das der Amazonentochter mit natürlich herabfallenden Wellen.

„Er kennt meine Mama?“, rutschte es der kleinen Amazonenprinzessin heraus. Dabei achtete sie noch nicht einmal auf den Blick der Rothaarigen.

Richter Beldor lächelte zufrieden und kam ohne Umschweife zu seiner nächsten Frage.

„Wie heißt du, Kind?“

Melasa versuchte ihr den Mund zu verbieten, da rutschte es dem Mädchen schon heraus.

„Nala“, antworte sie und versetzte damit die Insassen der Kutsche, bis auf den jungen Ero in blankes Staunen.

Nettes Familie führt über die Generationen hinweg eine Tradition. Jedes männliche Familienmitglied begann mit einem R, jedes weibliche mit einem N. Bei ihrer Mutter und Miris bester Freundin war es damals Zufall. Selbst wenn sie einen anderen Namen getragen hätte, hätte ihren Mann nichts davon abhalten können, um sie zu freien.

Dass Nette eben diese Tradition bei ihrer Tochter weiterführte, erstaunte. Mehr sogar noch. Da der Name des Kindes ebenfalls der von deren Großmutter war.

Nach ihrer Flucht meinten alle, Nette müsste ihre Eltern hassen. Doch zeigte die Namenswahl, dass sie ihrer Familie vergeben hatte. Sie sogar vermisste.

Gleichzeitig wusste er, dass es auch kein Zeichen von Reue zeigte. Nette war die stolze Königin, die ihr Volk nie im Stich lassen würde.

Heiterkeit breitete sich auf der Miene des Richters aus. Er sollte es nicht sagen, fühlte aber Stolz auf dieses einst zerbrechliche Geschöpf, das zur starken Kriegerin geworden war.

„Ihr wolltet uns weiterziehen lassen. Was wird aus eurem Versprechen?“ Die Augen der Brünetten verengten sich zu Schlitzen. Ihre Kameradin dagegen hatte von Anfang an vermutet, nichts von dem sei wahr.

„Ich halte mein Versprechen“, sagte er in einem Ton, den der Richter sonst nur in seinem Gerichtsaal nutzte. „Ihr solltet den südlichen Weg einschlagen. Er liegt fern von irgendwelchen Siedlungen und führt direkt zu Wäldern, in die euch kein Soldat folgen würde, der noch bei klarem Verstand ist. Einer der gefürchteten Räuber hat dort sein Lager. Er lebt dafür die Reichen auszunehmen, da würde er nie einem König ein Geschenk bereiten. Besonders die Kutschen meiner Gäste bevorzugt er als lohnende Beute. Und selbst wenn ich ihn gerne in meinem Richtersaal begrüßen würde, werdet ihr dort für eine Zeit oder länger in Sicherheit sein.“

Sein Blick wanderte nach unten zu dem Kind.

„Nala kann ich nicht gehen lassen.“

„Nein!“, kam es zur gleichen Zeit von den schockierten Frauen. Für sie bedeutete das Mädchen einen Schatz. Jetzt wollte der Richter ihnen dies entwenden.

„Nala gehört zu uns und wir mussten ihrer Mutter versprechen sie in Sicherheit zu bringen“, rief die Brünette. „Wir sind für ihren Schutz zuständig.“

„Das Kind wäre bei mir in Sicherheit“, versuchte Richter Beldor auf beide einzureden.

Nala war unbestreitbar Nettes Tochter und somit ein Mitglied der Familie seines ehemals besten Freundes, zu der er auch jetzt noch regen Kontakt hielt. Würde er sie mit den Frauen gehen lassen, wäre dass vielleicht das Ende für dieses Kind.

Alesa und Melasa waren eine Sache. An Nettes Ruf reichten beide nie heran. Somit wäre ihr Kind für manche ein gefundenes Fressen.

„Das Dorf mag zwar gefallen sein, die Jagd geht dennoch weiter“, predigte er, nicht weit an der Wahrheit vorbei.

Nach diesem Schachzug würden die Könige sich wieder ihren Streitigkeiten widmen. Räuber blieben dann für die Kopfgeldjäger, genau wie die kümmerlichen Reste der Amazonenarmee.

Und auch für die wäre ein Schatz lockend, unter dem der Widerstand von Neuem entflammen könnte.

Egal ob lebendig oder Tod.

„Wenn jemand erfährt, dass Nala die Tochter eurer Amazonenkönigin ist, wird sie keinen ruhigen Moment mehr haben. Unter meinen Schutz wäre sie unerreichbar. Selbst Nerre mit ihrem vor Zorn geschwärzten Herz wird es nicht wagen, das Kind anzugreifen, wenn ich es aufgenommen habe.“

„Melasa“, sprach die brünette Amazone ihre Kameradin an. „Ich fürchte er hat recht. In Ura heißt es, seine Macht ist so groß, dass sie an die des Königs heran reicht. Nala wird dort vorerst in Sicherheit sein!“

Übertriebene Behauptungen!

Reichte seine Macht so weit, würden viele derjenigen, die vor ihn geführt wurden, seinen Gerichtssaal mit einer Begnadigung verlassen, statt von ihm zum Richtblock geführt zu werden.

Das Einzige, was in seiner Macht stand, war ihnen eine schnelle Hinrichtung zukommen zu lassen. Selbst, wenn er davon so verachtet wurde, wie von den beiden Frauen.

Doch sie hatte auch recht!

Befand sich Nala erst einmal in Ura, konnte Nerre toben und ihm drohen, sämtliche Krieger, die König Teron zur Verfügung standen, vor seinem Anwesen zu platzieren, sie konnte dem Kind nichts anhaben!

Die von Unsicherheit überschatteten Worte der Amazone überraschten ihn. Er wusste, dass niemand ihm das Kind einfach überlassen würde. Alles wurde egal, solange sie sich in Sicherheit befand. Nalas Wohl zählte, nichts weiter.

„Du verlangst doch nicht, dass wir diesem Mann vertrauen“, baute sich die kleinere der Amazonen vor ihrer Kameradin auf. „Einem Mann, der so viele unschuldige Seelen mit seinen eigenen Händen hingerichtet hat. Viele unserer Schwestern sind diesem Mörder zum Opfer gefallen. Und ihm willst du allen ernstes Nala anvertrauen?“

Leider konnte Richter Beldor ihre Worte nicht entkräften. Es stimmte, dass sich viele Amazonen in seinen Gerichtssaal verirrt hatten. Mancher Soldat brachte seine Gefangenen auch nach Ylora, nur damit er die Gefangenen richtete.

„Es gefällt mir genauso wenig, wie dir, aber es wird uns nichts anderes übrig bleiben“, sagte sie ruhig und griff in einer beschwichtigenden Geste an die Schulter des Rotschopfs. „Nette würde genauso handeln. Da bin ich mir sicher.“

„Nein!“, entfuhr es Melasa. Mit einem einzigen Schulterzucken entledigte sie sich dem Griff. Ihr Schritt zurück führte sie genau in die Arme eines der Soldaten. „Du bist verrückt! Wir können sie ihm nicht überlassen! Er wird sie nur zu Nettes Familie bringen. Willst du, dass es ihr genauso wie der Mutter ergeht? Dass sie dazu erzogen wird, ein braves Mädchen zu sein, das sich willig in das Bett eines gut situierten Mannes begibt, egal ob sie ihn liebt oder nur der Familie gefallen will.“

Bei diesen Worten musste er sich einmischen.

„Nettes Familie hat durch diese Entscheidung ihre zwei Kinder verloren!“, sagte er streng. „Nette ging zu euch und was aus Nerre geworden ist, haben eure Kameraden erfahren. Selbst wenn Nala ihre Familie kennenlernt. Ihren Großvater hat der Gram ins Grab gebracht, die Großmutter würde diesen Fehler nie wiederholen!

„Er kann noch so viel erzählen, ich glaube ihm nicht!“, knurrte Melasa, wie ein angriffslustiger Wolf, jeden Moment zum Sprung bereit.

Wenn nicht bald etwas passierte, würde sie wohl die Waffe eines der verwirrten Soldaten um sich herum ergreifen.

„Ich weiß auch nicht, ob man solch einem Menschen vertrauen kann“, gab die Brünette ihrer Freundin recht. „Aber seine Worte stimmen. Er ist ein angesehener Adeliger, und wie man hört, soll er König Selon als Freund begegnen. Mit dieser Macht wird ihr dort niemand etwas antun. Es wäre für sie das Beste!“

Melasa warf ihrer Freundin einen warnenden Blick zu, dann dem Richter vor sich.

„Wir geben Nala in deine Obhut“, gab sie sich auf das Drängen ihrer Kameradin geschlagen. „Sollte ihr etwas passieren, dann sorge ich persönlich dafür, dass der Richter seinen Kopf verliert!“

Ein Knurren, das im Wind verhallte. Während sogar der Kommandant an seiner Seite ungeduldig wurde. Es würde nicht viel fehlen, dass er darum bat beide Frauen und auch die Gruppe zu verhaften.

Immer noch glimmte eine wilde Begierde in seinem Blick, diese Amazonen König Teron zum Geschenk zu machen.

Das wollte er nicht riskieren. Genau wie die Amazonen es nicht wagen konnten eine Waffe gegen ihn zu richten. Nicht jetzt und schon gar nicht in Zukunft. Der Richter war immer gut bewacht.

„Nala wird es bei mir gut haben!“, versprach er, in der Hoffnung beide zu besänftigen.

„Wir geben Nala in deine Obhut, Richter.“ Ein Lächeln zog sich über die Lippen der Brünetten, dass er gerne erwiderte. Er war schon längst auf eben diese Forderung vorbereitet. „Ich habe Nette versprochen, auf ihre Tochter aufzupassen. Ich habe nicht vor, mein Versprechen zu brechen. Wo Nala hingeht, werde ich sie begleiten.“

„Gut“, willigte er ein. „Solange du die Waffe nicht gegen mich erhebst, wird es keine Probleme geben.“

„Glaubt mir.“ Die Amazone verzog ihre Lippen zu einer grimmigen Miene. Sogar die hellen Zähne wurden dabei entblößt. „Es wäre mir eine Freude euch das zurückzugeben, was ihr so vielen angetan habt. Nala zuliebe beschränke ich meine Aufgabe darauf, ihr eine gute Beschützerin zu sein.“

„Närrin!“, urteilte der Rotschopf. „Du bist wahnsinnig!“

Das ging dem Richter langsam zu weit.

„Du bist die Närrin, Mädchen!“, rief er mit dem strengen Ton seines Amtes. „Ich könnte ebenso meine Wegbegleitung bitten, die Verhandlungen zu übernehmen. Viele davon brennen darauf ihre Verwandten und Freunde zu rächen, die im Krieg mit den Amazonen gefallen sind. Ich denke, ein Großteil weiß noch nicht einmal, wieso ich euch nicht auf der Stelle töten lassen.“

„Melasa, bring du die anderen in Sicherheit, ich kümmere mich gut um Nala.“ Wieder griff die junge Frau nach der Schulter ihrer Kameradin und wieder wurde sie abgewiesen.

„Tu nicht so vertraut!“, zischte diese. „Wenn du das tust, kannst du dich nicht mehr Amazone nennen! Ich sehe schon, dass du uns in den Untergang führst und das mit der unschuldigen Nala.“

„Bitte gebt ihnen ihre Waffen wieder.“ Die Stimme der Brünetten verriet nichts von dem Kummer, die Freundin zu verlieren. Dafür ihre Augen.

Sie verlor in den letzten Tagen sehr viel. Ihre Freunde, vielleicht sogar Verwandte und jetzt gab es keinen Weg mehr zurück. Mit ihm zu gehen, bedeutete ausgestoßen zu sein.

Der Richter tippte einen der jungen Soldaten auf die gepanzerte Schulter.

Gehorsam schaute er ihn an und in seinem Blick glimmte ein Feuer aus blanker Wut auf.

„Melasa“, richtete er das Wort noch einmal an die Amazone. „Besonders du solltest einen Umweg gen Osten einschlagen. Dort befindet sich ein Dorf, dass soweit mich meine Informationen nicht täuschen, was sie meist nie tun, von euren Verbündeten geführt wird. Du solltest dich dort einkleiden. Es wäre schaden, wenn ich bei meiner Heimkehr euch noch einmal begegnen muss. Dann kann ich keine Gnade walten lassen.“

Melasa machte sich schon daran einen Weg aus den Soldaten zu suchen, da hielt er sie zurück. Die Hand des Richters lag schwer auf der Schulter des jungen Soldaten.

„Sei folgsam und gib dein Schwert meiner neuen Begleiterin, ebenso wird sie dein Ross nehmen“, rief er streng.

Die Augen des Soldaten weiteten sich. Es war kein Blick der Verwirrung, wie es jeder erwartet hatte, sondern blanke Furcht, die sich alsbald in Hass wandelte.

„Sag deinen Kameraden, sie sollen die Schwerter zu Boden werfen“, sprach der Richter ungerührt weiter, ohne die zitternde Hand des Jungen vor ihn zu beachten.

Es hätte nur einer einzigen Reaktion gefehlt, schon wäre die Klinge in seinem dicken Bauch versenkt worden.

„Wie viele sind es? Fünf … oder sechs?“

Sechs Soldaten sprangen aus dem nahen Heer. Ehe ein anderer überhaupt reagieren konnte, waren sie auch schon um Richter Beldor versammelt. Die Schwerter bereit zum Kampf und hoffend jeder von ihnen bekäme eine einzige Chance den Richter zu ermorden.

Doch dieser wirkte so kühl wie das Eis, von dem in ein paar Wochen die Welt überzogen sein würde.

„Ich bin heute in spendabler Laune“, rief der Richter selbstsicher. „Ihr könnt ziehen. Meine einzige Bedingung ist, diese Frauen sicher zu eurem Anführer zu bringen. Ich bin sicher er wird erfreut sein, die einstige Amazonenanführerin Alesa kennenzulernen. Mit ihr reisen ihre Tochter Melasa, sowie ihre Enkeltochter, wenn ich richtig schließe.“

Die Amazone schnaufte getroffen auf.

Es war deutlich, dass sie ihm ein Fluch an den Kopf werfen wollte, doch sie hielt sich zurück.

„Woher?“, wollte der Junge vor ihm wissen, dessen Schwertklinge jetzt zu Boden sank. „Woher wisst ihr, dass wir zu Morlo gehören?“

„Ich habe meine zuverlässigen Quellen“, rief der Richter mit einem selbstsicheren Grinsen im Gesicht.

Gegen ihren eigenen Willen und auf Anweisung des jungen Soldaten ließen die Männer ihre Waffen sinken.

Es bedurfte eines Zeichens ihres Anführers, schon entfernten sie sich. In ihrer Begleitung die junge Amazone Melasa. Sie warf ihrer Kameradin einen letzten Blick zu, der erneut deutlich sagte, was für einen Fehler sie da beging.

Nala streckte ihre kurzen Arme nach der Frau aus, die ab jetzt nicht mehr zu ihrer Familie gehörte.

Das Mädchen verstand nicht, wieso sie sich von ihnen und der etwas älteren Freundin trennen sollte. Noch dazu gab sie das Mädchen zu dem älteren Jungen hoch in die Kutsche.

„Bevor ich mich in die Hände Unbekannter gebe, forsche ich genau nach“, richtete er ein tiefes Grollen an die Männer. „Von jedem kenne ich die düstersten Geheimnisse und auf viele von euch könnte das Gefängnis warten, sollte es jemals herauskommen. Deswegen vergesst, was hier passiert ist, genau, wie ich mein Wissen nicht an den Tag bringen werde.“

Seine Männer traten aus der Masse heraus, dicht um die Kutsche herum. Sollte jemand etwas Falsches tun, müssten sie erst an ihnen vorbei.

Nach dieser Rede setzte er sich wieder in die Kutsche.

Miri wirkte nicht beruhigt, eher das Gegenteil. Nicht nur, dass ihr Mann eine Amazone mitnahm, er hetzte auch noch die Soldaten gegen sich auf. Männer, die sie alle eigentlich beschützen sollten.

Die Jungs ließen sich dagegen nicht aus der Ruhe bringen. Forschend rutschte Ero zu dem kleinen Mädchen, dem in den letzten Tagen so viel widerfahren war. Erst der Verlust ihrer Mutter, jetzt wurde sie auch noch ihren Freunden entrissen.

Nur die brünette Amazone war noch bei ihr, die hoch auf dem Ross saß.

Ihre Hand tätschelte tröstend den Kopf des Kindes. Kurz darauf setze sich die Kutsche wieder in Bewegung.

„Wie heißt Ihr?“, erkundigte sich Richter Beldor.

„Marli“, antwortete ihm die Amazone.

Er griff in ein Fach bei der Kutsche, wo ein alter Mantel lag. Nichts, was er einem Gast anbieten würde. Es reichte aber bis in die nächste Stadt, um die Rüstung der Amazone vorerst zu verbergen.

 

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Das Kind in den Armen der Frau zitterte in Angst, die Soldaten könnten es genauso enteisen, wie schon die Freundin. Dabei sprach sie immer wieder beruhigend auf ihre Enkelin ein.

Selbst als sich die Pferde in Bewegung setzten und die Kutsche, samt ihrem Anhang in der Ferne verschwand, ließ sich das Kind nicht beruhigen.

Sie zitterte unaufhörlich weiter, ihre Augen waren gefüllt mit den Tränen um ihre verlorene Freundin.

„Nala“, schluchzte sie. „Wieso haben sie sie mitgenommen?“

Ihre kleine Prinzessin war noch zu jung, um alles zu verstehen. Die Gefahr, in der sie sich hier täglich befunden hatte und die Angst der älteren Frau, sie könnte mit genau solchen Scheuklappen aufwachsen, wie es ihre Mutter tat. Dennoch setzte sie ein zuversichtliches Lächeln auf, bevor sie mit ihrer Enkelin sprach.

„Er ist ein Freund ihrer Mutter, du weißt doch, dass Nette nicht in unserem Dorf geboren wurde.“

„Aber Nala! Ich will, dass sie zurückkommt!“ Das Mädchen drückte einen weiteren Schwall Tränen aus ihren Augen.

„Glaub einfach daran, dass sie wieder zu uns zurück finden wird.“ Alesas Hände strichen tröstend über den Rücken des Kindes. Sie hatte gesehen, das Marli mit ihnen ging.

Sollte der Richter wahrlich solch ein ehrenvoller Mensch sein, wie ihr Nette berichtete, würde sie dem Kind von ihrer Herkunft berichten können. So konnte sie später selbst entscheiden, welchen Weg sie ging. Und Alesa hoffte, es würde nicht das träge Leben eines Adeligen sein, was sie lockte.

„Er wird sich gut um deine Freundin kümmern.“

„Meinst du?“, kam es im giftigen Zischen einer Kobra von ihrer Tochter Melasa. „Marli ist töricht, wenn sie glaubt, der Richter würde sie in der Burg Telja nicht als eine Gefangene ausliefern.“

Die junge Frau kickte in ihrer Wut einen Stein weg. Dabei traf sie beinah einen der Männer am Kopf, der in der Rüstung eines Soldaten von König Selon zu ihnen kam.

Sein Haar war so dunkel wie die Nacht, die Augen dagegen hell wie ein nebelverhangener Morgen.

„Sie reißt Nala in ihr Verderben! Und was kann ich tun? Soll ich ihnen vielleicht hinterher, um das Kind aus den Fängen dieser Barbaren zu reisen?“

„Das hat keinen Sinn“, sagte der junge Mann mit den hübschen Augen. Er war nur etwas jünger als ihre Tochter.

Jetzt hockte er sich in ihrer Nähe auf den Boden, den Blick ließ er spähend in die Richtung wandern, wo auch der letzte Soldat verschwand.

Zuerst prüfte er alle Richtungen auf mögliche Feinde und skizzierte dann einen Wegeplan für sie und seine Leute auf die Erde.

„Der Richter reist mit 20 seiner eigenen Leute. Noch mal 30 wurden ihm vom König zugeteilt. Du müsstest dich in der nächsten Stadt in ihr Nachtquartier schleichen, das überaus gut bewacht wird. Der Richter hat den meisten Schutz für seine Familie angeordnet. Er selbst wird wohl nur den Kommandanten bei sich haben, wenn er abends nach den Pferden schaut.“

Alesa lächelte interessiert.

„Es war euer Plan genau dann anzugreifen“, schloss die Amazone.

„Nicht in dieser Stadt“, meinte der junge Mann. „Der Stall liegt dort zu offen. Nur Felder, über die man jeden Feind schon in der Ferne erblickt. Aber der nächste Gasthof nahe der Landesgrenze bietet gute Möglichkeiten, sich anzuschleichen.“

„Sollen wir es doch noch umsetzen?“, verlangte einer seiner Kameraden zu erfahren.

In seiner Antwort verwischte er die Skizze zu seinen Füßen.

„Es hat keinen Sinn!“, sagte der Mann. „Beldor weiß nun von unserem Vorhaben. Er wird es nicht dazu kommen lassen, uns einen Angriffspunkt zu bieten. Tun wir es doch, sitzen wir in der Falle.“

„Wir hätten ihn sofort angreifen sollen, als sich uns die Möglichkeit bot“, knurrte ein anderer der Männer. „Doch unser Anführer meinte, wir sollen ihn am Leben lassen. Dabei war er es, der alle Chance hatte, den Bastard die Kehle aufzuschlitzen.“

Alesa lachte.

Sie hatte schon vieles über diesen Mann gehört, der im Land als Henker von Ylora bekannt war.

„Du lachst, während unsere Zukunft in den Händen solche eines Übels liegt?“, entrüstete sich Melasa.

„Liebste Tochter“, meinte sie. „Nette hätte es nicht anders gewollt! In seiner Obhut ist das Kind wohl verwahrt!“

Immerhin gründet seine ganze Hoffnung darauf, dieses Kind würde erwachsen werden. Um das Versprechen zweier Männer zu erfüllen, das mit Nettes Heirat zu zerbrechen drohte.

Sie schwieg über dieses Wissen um den Richter.

Nette hatte ihr wahrlich viel erzählt. Nicht nur über die eigene Familie und ihre sorglose Kindheit. Auch von diesem Mann berichtete sie voller Liebe, wie für einen Vater.

Ein Richter, der im Gerichtssaal die volle Strenge seines Amtes walten ließ, ohne für irgendjemanden eine Ausnahme zu machen. Nicht für Geld oder den Tränen der Familie.

Von seiner oft strengen Hand im Heim, aber auch der Liebe zu seiner Familie, in der sie sich immer wohl fühlte. Ihre Freundschaft zu dessen ältesten Sohn wie anfängliche Pläne für eine Hochzeit zwischen beiden.

Sie verstand selbst nie, wieso ihr Vater dem Werben des Königs nachgab, während sein Bestreben doch immer darin bestand, eine seiner Töchter mit dem Sohn seines besten Freundes zu vermählen.

Wieder spien die Männer Flüche gegen den Richter aus und wie nah sie ihrem Ziel waren.

„Beldor zu töten macht keinen Sinn!“, lautete ihre Meinung. „Er ist ein Mann, der seine Arbeit zu ernst nimmt, kein wahrer Feind! Die, die ihr töten müsst, sind die drei Könige! Sie wärmen ihren Po auf dem Thron, ohne einen Blick auf die wahren Probleme ihrer Bürger zu werfen. Sie sind es, die ihr stürzen müsst!“

„Ihr Amazonen seit ein komisches Pack!“, urteilte der junge Anführer. Er erhob sich. „Kommt jetzt! Mein Vater wird wissen, was er mit euch anfangen kann, wo der Henker euch doch zu ihm schickt.“

Der Dieb Morlo war auch bei ihnen eine Berühmtheit. Anders als viele kleinere Diebe war es ihm nicht egal, wer sein Opfer wurde. Er suchte diese bevorzugt unter den reichen Bewohnern, statt plündernd und mordend die Bevölkerung zu beuteln.

Wie einst ihre Heldin, die nie eine Hand gegen die hungernde Bevölkerung erhob.

Genauso wie sie es eine Freude nannte, den viel genannten Richter zu erleben, war es für sie, diesen Dieb einmal kennenzulernen.

Das würde noch eine interessante Möglichkeit ergeben.

 

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Kapitel 4




Auf ihrem Weg zum Schloss Telja, legten sie nur selten eine Pause ein aber häufiger als geplant. Das erste Mal in einer kleinen Ortschaft, wo niemand Fragen stellen würde. Nicht einmal zu dem Mädchen, das sich in dieser Fremde an Marli schmiegte.

Das konnte Richter Beldor seiner Frau zugutehalten. Trotz ihren anfänglich scharfen Worte konnte sie das Kind an ihrer Seite nicht missachten, das nur wenig jünger als ihr eigener Sohn war. Daher versuchte sie das Mädchen zu trösten, wenn die Tränen das kleine Wesen übermannten.

Sie war es auch, die das Kind in eines der hübschesten Kleider steckte, was sie auf die Schnelle fand. Die Amazone zeigte sich über diese Maskerade entrüstet. Immerhin war das Kind keine Puppe.

Miri ignorierte die Proteste der Frau und blühte in Nähe des Kindes auf. Immerhin hatte es sie frustriert nur Jungs zu haben, kein kleines Mädchen wie ihre beste Freundin. Das alles musste nun die kleine Nala ausbaden, die sich zudem in solchen Kleidern unwohl fühlte.

Seine Frau vertrat die Meinung, ein Mädchen von solcher Abstammung, sollte man diese auch ansehen.

Es störte sie nicht mehr das Kind aufgenommen zu haben, dafür fand sie an deren Beschützerin Anstoß. Schließlich konnte man die Amazone nicht einfach verstecken.

„Das nimmt noch ein schlimmes Ende!“, zweifelt sie jedes Mal, wenn sie die große Begleiterin mit dem kleinen Mädchen spielen sah, zu dem sie sich Ero gesellte.

Für ihn war es schön, beiden Kindern beim Spielen zuzusehen. Ero, der seiner neuen Freundin zeigen wollte, was für ein talentierter Junge er schon jetzt sein mochte. Beldor hatte sich gegen seine Frau durchgesetzt dem Jungen Schwertkampfunterricht zu geben.

Miri sah in ihren Bedenken zu oder schimpfte mit dem kleinen Mädchen, weil sie gut hinbekam, das neue Kleid gleich am ersten Tag schmutzig zu machen.

Keiner wollte daran denken, was für ein schreckliches Schauspiel noch folgen würde. Sogar seine Gedanken wurden von der nahen Aufgabe abgelenkt, vor der er stand.

 

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Richter Beldor nahm Nala nicht auf, um sich irgendeinen Vorteil zu verschaffen, was wohl Marli im geheimen befürchtete. Sie war Nettes Tochter. Für ihn war dieses Mädchen wie eine eigene Tochter. Wann immer Nette Hilfe brauchte, konnte sie auf ihn zählen.

Selbst in seiner langjährigen Zeit als Richter hatte er ein paar kleine Dinge eingefädelt, die ihr und den Amazonen halfen. Alles davon blieb im Verborgenen.

Womöglich ahnt nicht einmal die Amazonenkönigin davon.

Deswegen galt sein Interesse an dem Kind, es vor allem zu schützen. Besonders Nerre, die ihre Schwester gerne zu Fall brachte.

Den Soldaten, denen sie am Eingang zur Stadt begegneten, stellte er das Mädchen als eine Cousine der Frau seines ältesten Sohnes Jos vor. Die Frau an seiner Seite wäre nur eine Dienerin.

Die Wangen seiner Gemahlin röteten sich, ihre Lippen presste sie fest aufeinander. Sie lauerte darauf von den Wachen ein verurteilendes Wort zu hören, das ausblieb.

Richter Beldor besaß einen bekannten Namen. Daher war den Wachen und Soldaten um Schloss und Stadt dessen Familie ebenfalls bekannt. Genau wie Miris Art, nie ein Wort mit ihnen zu reden. Sie empfand Soldaten, sogar ranghöhere Männer, denen ein adeliger Stand gebührte, als unwürdig mit ihr zu sprechen.

Erst nach Bestehen dieser Hürde fielen sie in ihr Gespräche zurück.

„Ich werde nicht zusehen, wie aus Nala eine kleine Prinzessin gemacht wird!“, zischte Marli nah an sein Ohr. „Sie ist die Tochter unserer Anführerin. Eine Amazone.“

„Nala ist zu jung für solche Entscheidungen!“, rief der Richter streng. „Wenn es sein muss, schütze ich sie vor allem, was gegen ihren Willen passiert! Sollte sie selbst den Weg ihrer Mutter gehen wollen, werde ich die Entscheidung nicht infrage stellen.“

Unter normalen Umständen würde der Kutscher die Pferde ohne Umweg zum Haus ihrer Freunde führen. Zu Nettes Familie. Da die Frau nur etwas von der Tragödie um die geliebte Tochter wusste, nicht aber vom Glück eine Enkelin zu haben, rief er dem Kutscher zu, den Weg zu einer guten Herberge einzuschlagen. Er würde mit seiner Familie wie gewohnt bei der Freundin wohnen.

Besonders Ero fiel es schwer, sich von seiner neuen Freundin zu trennen und der Richter musste beiden eintrichtern, nichts von dem Kind oder ihrer großen Begleiterin zu erzählen. Nicht der Freundin oder irgendjemand anderes.

Das war im Moment zu gefährlich.

Extra für dieses Ereignis patrouillierten Soldaten aus allen drei Ländern auf den Straßen. Damit nirgendwo jemand eine verborgene Falle installieren konnte. Oder ein Befreiungsversuch für die Armee aus hauptsächlich Frauen plante.

Dies alles sollte verhindert werden, damit König Teron diesen Funken Hoffnung in den Ländern für immer zerstören konnte.

Fraglich blieb offen, was mit Nette passierte. Dem Mädchen, auf das der König solch eine Jagd veranstaltete. Er war ihr vollkommen verfallen und vielleicht würde für sie ein anderes Schicksal vorgesehen werden. Noch viel schlimmer als ein Tod an der Seite ihrer Kameraden.

Nerre, die ihr siegreiches Heer anführte, interessiert sich nur für ihren eigenen Ruhm. Die Anerkennung von König Teron und die Beseitigung ihrer vermeintlichen Schande. Für den Schmerz ihrer Mutter war sie blind.

In den nächsten Tagen, die der Richter mit seiner Familie im Haus der Freundin verweilte, herrschte eine gedrückte Stimmung. Es gab keinen Tag, an dem die Frau nicht unter einem Tränenmeer drohte zu ersticken.

Miri versuchte alles, die Freundin aufzumuntern.

Sie versagte.

Beide wussten darum, dass nur eines ihr Trost geben konnte. Dieses kleine Mädchen, das vor Nerre geschützt werden musste. Genau aus diesem Grund konnten sie das Kind nicht ins Haus holen, oder beide einander vorstellen.

Nicht gegen den Wunsch der Mutter. Und Beldor war der Einzige, der sie würde besuchen können.

Aber schon gar nicht konnte er es wagen, sollte Nerre die Dreistigkeit besitzen, in dieser düsteren Stimmung ihre Mutter aufzusuchen. Als potenzielle Mörderin der eigenen Schwester.

Die wenigen Momente, die er nicht zusammen mit seiner Frau der Freundin beistand, verbrachte Richter Beldor bei Marli und Nala.

In dieser kurzen Zeit fand die Amazone so viel Vertrauen, ihm von der eigenen Tochter zu berichten. Arela, in Nalas Alter und deren Heim seine Stadt, Ylora, war.

Sobald sie zurückkehrten, musste er unbedingt ein Treffen zwischen Mutter und Kind arrangieren. Wobei er an diesem Punkt seine unschöne Seite zeigte, die Leute in irgendetwas hinein zu zwängen. Wie ein Schuh, der im ersten Moment zu klein wirkte aber mit ein paar Änderungen schon passte.

Außerdem plauderten sie über alles, was ihn interessierte. Die Amazonen. Ihre Geschichte, die sich zum Teil stark gegen die Legenden abhob. Aber auch die neueren Ereignisse. Wie Nettes Wandlung von einer wohlerzogenen jungen Dame, in die große Kriegerin, genauso weise, wie stark.

Die kleine Nette. Er sah sie immer noch als Kind vor sich. Mit den hübschen locken und in prunkvollen Kleidern. Er konnte nicht glauben, dass dieses Kind, was sich in Nala widerspiegelte, schon 30 Jahre alt war und bis vor wenigen Tagen als stolze Königin ihr Volk anführte.

Im Gegenzug dazu berichtete er ihr von den ganzen Menschen, die er alleine dafür verurteilen musste, weil ihre einzige Schuld war, sich zu den Amazonen zu bekennen. Diese Verurteilungen fielen ihm genauso schwer, wie die kommenden.

 

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Während ihres Gesprächs kam ihnen die Zeit noch fern vor.

Richter Beldor erkundigte sich bei einem der Soldaten von Saron, wann Nerre zurück erwartet wurde. Eine Woche, so hatte es ihnen ein Bote berichtet.

Eine Woche, in der viele auf ein Wunder hofften, genauso Marli, sobald sie mit dem Kind alleine war. Während Beldor hoffte, die Zeit möge sie verschonen. Doch dann hatte alles doch ein viel zu baldiges Ende.

 

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Am ehesten merkte man es an den Soldaten.

Vom Tor der Stadt aus würde sich der Weg zum Gerichtsgebäude hinziehen. Dort tief im Untergrund wurden Kerker eingerichtet, in denen sich schon jetzt die Leute auf ihre Füße traten. Ein unwürdiger Ort für die Verbrecher, wie sie der König sah.

Zwischen Schurken, Mördern aber auch Dieben, fanden sich einfach Frauen und Männer. In der Not oder wegen eines falschen Wortes hierher verbannt, um auf ihre Hinrichtung zu warten.

Dort sollten die Amazonen untergebracht werden. Für Nette und ihre gefährlichsten Untergebenen sah man die stark bewachten Kerker des Schlosses vor, zu denen der zweite Halt führte.

Dafür stellten Soldaten und Söldner von Beginn an, einen provisorischen Wall auf, sowie eine Bühne für die adelige Bevölkerung. Richter Beldor wurde schon früh von seiner Begleitung, dem Kommandanten, der eigens zu seinem Schutz da war, informiert, dass er die Aufgabe hatte, die Bühne am Markt zu sichern.

Hier war ein Halt vorgesehen. Nach einer Ansprache von der siegreichen Soldatin Nerre – Beldor konnte nur ausspucken, wann immer er sie so sehen musste – würden die Amazonen getrennt werden.

Was das Schicksal für Nette vorgesehen hatte, wussten nur der König und die stolze Soldatin.

 

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„Es ist eine Schande!“, knurrte Richter Beldor laut, ehe er sich auf den für ihn vorgesehenen Platz niederließ.

So mancher Beobachter könnte fälschlicherweise annehmen, er meinte die klapprige Holzkonstruktion, unter der sich seine große Begleiterin ducken musste, oder die einfachen Holzstühle. Besonders im Letzteren stimmten ihm die Adeligen an seiner Seite zu.

Die Jungs neben ihm schwiegen. Der Platz für seine Frau war verwaist.

Ein kleines Mädchen fand statt ihrer zu ihnen. Mit ihren Händen stützte sie sich auf dem Stuhl auf, lauschend nach dem, was der etwas ältere Junge von sich gab.

Nala und Ero hatten sich angefreundet. Das Herz des Vaters machte einen Satz nach vorne, wenn er daran dachte, dass diese Freundschaft lange anhielt und vielleicht sogar zu mehr führte. Wie er es damals mit seinem verstorbenen Freund besprochen hatte. Eine Liebe, die beide Familien vereinte.

Beide Kinder wurden vom strengen Auge, der großen Frau beobachtet.

Richter Beldor musste sich eingestehen, das Marli gut mit den Kindern umging.

Selbst wenn sich Miri dagegen stellen würde, dieser Frau lange in ihrem Haus ein Heim zu bieten. Sie hoffte, ihr Mann käme bald wieder zum Verstand und seiner Pflicht als Richter nach. Nur Nala wollte sie nicht mehr hergeben. Aber er könnte sich die große Amazone gut vorstellen, indem sie beiden Kindern eine Freundin und Lehrerin war.

Besonders Ero konnte so vermittelt bekommen, dass Bauern nicht nur Diener waren, sondern gleich gestellte Menschen. Dass ihr Leben oft hart war und das Land dringend eine Reformation benötigte. Genau das lag in der Macht der Kinder. Ob nun der einfachen Bauern oder der Adeligen.

Nach dem, was heute passierte, würde sich diese Reformation Jahre zurück schieben. Und nur König Ylias und König Selon wussten, wie sich ihre Söhne entwickeln würden.

Ob sie den Kampf ihrer Väter wie die Generationen zuvor fortführen oder auf einen Frieden drängten.

Doch für solche Gedanken waren die Prinzen noch viel zu klein. König Ylias Sohn war ein Jahr jünger als Ero. Der andere Prinz nur etwas älter.

Trompeten wurden geblasen. Erst nach ihrem Verstummen kündigte ein Ausrufer den Einzug der Armee an. Die Gespräche verklangen für einen Moment, neugierig auf die Amazonen und besonders deren stolze Königin.

Nur Marlis Blick war kampfbereit auf die Gasse gerichtet, aus der sich an vorderster Front sechs Reiter befanden.

Die Tiere drängten ihre kräftigen Leiber in einheitlichem Schritt auf den Platz zu, wo sie nach Anweisung ihrer Reiter zum Stehen kam. Ein Wiehern erklang von dem Kampfross, nahe ihrem Platz. Die dunkle Brust des braunen Pferdes wurde von den unzähligen Narben aus vielen Kämpfen gezeichnet. Genauso wie man auf wenigen freien Stellen der Haut des Reiters erkennen konnte, dass dieser sich nicht vor einem Kampf scheute.

Weiter hinter folgten zwei Träger mit den Fahnen des Königs, die mehrere gut ausgerüstete Soldaten flankierten.

Mit hoch erhobenem Haupt traten sie auf den Platz. Stolz präsentierend ihre Beute, hinter sich herziehend.

Als wären die Frauen und ein paar der Männer gefangene Tiere.

Neugierig tasteten sich die Augen seines jüngsten Sohnes durch die ganzen Leute in der gleichen Rüstung, wie sie auch Marli einst trug. Während sein Vater die Anzahl überraschte.

„Wer von diesen Leuten ist Nalas Mutter?“, wollte der Junge von Marli wissen. Auch der Vater schenkte der Amazone eine Frage.

„Laut meinen Berichten ist euer Heer sehr stark. Es soll Hunderte von Kriegern umfassen. Teils davon aus den Armeen der Könige.“

Wen Richter Beldor hier sah, konnte er teils mit Namen betiteln. Viele der Amazonenkrieger trugen ein hohes Kopfgeld.

Marli schenkte ihm ein Lächeln, bevor sie sich zu dem Kind senkte.

„Dort vorne“, sie deutete auf zwei blonden Frauen. „Nerre und sie sind Schwestern.“

Die Soldatin hatte ihren Helm abgenommen und schüttelte das kurze Haar, mit dem sie nie an Nettes hübsche Mähne heranreichte. Jetzt konnte man sehen, dass die jüngere etwas kleiner war und auf die große Schwester einredete.

Nichts davon kam bei der Amazonenkönigin an, die trotz des geschlagenen Körpers und einiger verbundener Wunden wunderhübsch war. Ihr mit Staub bedecktes Gesicht war von der Sonne gebräunt und nicht wie das so mancher ihrer Schwestern gesenkt.

Egal was ihr Schicksal vorsah, sie würde ungebrochen hinein gehen.

Die strahlenden Augen des Kindes füllten sich mit heißen Tränen.

„Mama“ rief sie leise.

Sofort streckte der Richter seine Hand aus, um das Kind zu trösten. Er sah es als Fehler an aber Marli wollte ihr ein Zeichen geben, dass es dem Kind gut ging. Dabei hatte der Richter gesagt, dass er ihr alles erklärte.

Sein jüngster Sohn trat an das Geländer der Bühne und streckte den Kopf durch die Schlitze.

„Sie sieht gar nicht aus wie du“, rief er leise und Richter Beldor würde ihn zur Ordnung rufen. Doch die anderen Adeligen waren eher im Spott, als ihnen Aufmerksamkeit zu schenken.

Ero schaute zurück. Sofort senkte sich betreten sein Blick.

„Ich meine, unter einer Amazone stelle ich mir eine große Frau vor, so wie du. Aber sie schaut so zerbrechlich aus.“

Marli folgte dem Blick des Jungen hin zu ihren gefangenen Kameraden. Ihr Amazonenherz würde jetzt sicher gerne das Schwert an ihrer Seite ergreifen, um ihnen zur Hilfe zu eilen. Die Pflicht, ihrer kleine Amazonenprinzessin gegenüber, zügelte die Amazone.

Sie konnte nicht unbedacht handeln und musste sich bedeckt halten.

„Wir sind auch keine Amazonen, sondern einfach nur eine Widerstandstruppe“, erklärte sie dem Kind mit ruhiger Stimme. „Viele unserer Männer sind im Krieg gefallen oder im Kampf für unsere Sache, wie auch Nalas Vater. Unserer Kämpfer würden gerne einen solch tollen Lehrer haben, wie ihn dir dein Papa besorgt hat.“

Richter Beldor nahm sich das Mädchen auf den Schoß. Die Kleine vergrub bekümmert ihren Kopf an seiner Brust, ohne den Blick ganz von ihrer Mutter zu verlieren.

Das Kind kniff die Augen zu. Ein Schlag traf die Mutter vor ihr und der Richter meinte schon, sie fest halten zu müssen, damit das Kind nicht losschrie. Dieses zarte Wesen war stärker als so mancher Erwachsene in solch einer Situation.

Ihre Lippen pressten sich fest aufeinander.

Zärtlich strich seine große Hand über das blonde Haar.

Wie gerne würde er Mutter und Kind vor solcher Grausamkeit bewahren, die Nerre hier an den Tag legte.

Sie bedrängte ihre Schwester. Wahrscheinlich um die versteckten Posten zu erfahren. Geheime Höfe, von denen sie versorgt wurden, der Aufenthaltsort ihrer Kinder, die verborgenen Lager ihrer Krieger.

Nette schweig, wie ihre Kameraden. Jeder von ihnen hoffte, alles würde bald enden und wenigstens da wollte der Richter ihnen helfen. Diesen Menschen sollte die Folter erspart bleiben! Egal was er dafür tun musste!

Seine Aufmerksamkeit galt dem Kind, dass ihm plötzlich entrissen wurde.

Marli stellte sich hinter ihn in den Schatten, das Kind blieb unter ihrem Mantel zu den Füßen verborgen.

Als Richter Beldor wieder nach vorne sah, näherte sich Nerre mit zügigem Schritt.

„Guten Tag, Herr Richter“, grüßte sie ihn schon von weitem. „Wie lange ist es her?“

Mit ihrem behandschuhten Finger stupste sie gegen die Nase des jungen Ero.

Dieser sprang verschreckt zurück. Weg von der Frau, die ihrer eigenen Schwester den Tod bringen würde.

„Ero, Jos“, begrüßte sie beide Kinder. „Ihr seid groß geworden.“ Suchend wanderte ihr Blick über die Leute, bis er auf dem leeren Stuhl liegen blieb. „Wo sind Jos und Miri. Dass euer ältester Sohn nicht hier ist, verwundert mich weniger aber Miri besucht bei jeder Gelegenheit meine Mutter. Ich hätte sie hier erwartet.“

So kühl wie Eis. Eine Soldatin, die nach Aufstieg in der Armee ihres Königs strebte. Ein Ziel, dem sie mit diesem Sieg näher kam, auch wenn sie dabei nicht auf die Gefühle der Menschen um sich herum achtete.

„Jos ist bei seiner Frau zuhause. Er findet keinen Gefallen an solchen Spektakeln, wie du wissen müsstest.“ Nette wollte etwas sagen, doch schon sprach der Richter in einem Ton weiter, mit dem er das Mädchen vor sich verstummen lassen wollte. „Meine Frau ist bei deiner Mutter. Sie verkraftet nicht, was du deiner eigenen Schwester antust. Dieser Verrat an deiner eigenen Familie.“

„Meine geliebte Schwester“, keifte sie voller Verachtung los. „Sie ist doch selbst schuld! Was rennt sie auch zu den Amazonen? Sie hätte wissen müssen, dass es dort kein gutes Ende für sie nimmt. Und das, wo meine Schwester Königin hätte werden sollen. Eine Ehre für jede Frau unseres Königreichs. Aber sie spielt lieber die Anführerin dieser Wilden. Erwartet sie da Gnade von mir? Meine Aufgabe ist es, dieses Gesindel zu jagen.“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem gehässigen Lächeln. „Außerdem wurde es Zeit, dass jemand diesem Treiben ein Ende setzt!“

Die Hände der Frau hinter ihm ballten sich zu Fäusten. Ihr ganzer Körper zitterte. Am liebsten wäre sie auf die junge Soldatin losgesprungen, um ihr die Kehle aufzuschlitzen.

Richter Beldor nahm seine Hand nach hinten. Eine leichte Berührung streifte ihr Bein, ehe er den Stoff des Mantels zu greifen bekam. Mit festem Druck daran erinnerte er sie an ihre Pflicht. Den Schutz der kleinen Prinzessin und damit auch Ruhe zu bewahren.

Nerre wandte sich ab. Ihre Schritte stoppten und sie warf noch einen letzten Blick auf die Gesellschaft. Damit auch auf die große Amazone, deren Anwesenheit sich nicht so leicht verschleiern ließ.

Marli hielt den Kopf abgewandt und versteckte so ihr Gesicht vor der Soldatin.

„Nanu, gehört diese Gestalt zu euch?“, erkundigte sie sich. Ihre Augen verengten sich zu einem prüfenden Blick.

„Eine neue Haushälterin“, zog sich der Richter eine Lüge aus dem Nichts, in der Hoffnung diesen Riesen von Frau so zu erklären. Leider lief das nicht halb so gut, wie erhoffte.

Nerre sprang in einem eleganten Satz die Bühne hinauf und war eher als gedacht über dem Geländer vor den Stühlen.

„Ihr werdet nie von Dienern begleitet, wenn euch eine Reise nach Telja führt.“

„Dies ist eine Ausnahme. Ihr wisst, dass wir uns ganz um deine Mutter kümmern müssen. Die Frau soll für die beiden Jungs da sein.“

Richter Beldor erhob die Hand der jungen Frau zu, wurde aber abgeschüttelt.

Was jetzt passierte, ließ sich nicht verhindern.

Nerre streckte ihre Hände nach der Kapuze aus. Marli versuchte auszuweichen. Doch kaum das die Finger der blonden Soldatin den Stoff spürten, hatte sie ihn schon heruntergerissen, um das Gesicht der großen Frau zu sehen.

„Marli.“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem zufriedenen Lächeln. Ihre stahlblauen Augen nahmen wieder den Blick von kühlem Eis an, mit dem sie ihren Gegner fast erstechen konnte. „Was für eine Freude dich hier anzutreffen.“

„Das beruht nicht auf Gegenseitigkeit“, gab die Amazone zurück.

„Nerre, lass die Frau gehen“, bat der Richter. „Du hast, was du wolltest. Marli ist für dich keine Gefahr.“

Die Soldatin lehnte sich nach vorne, zwischen den Stühlen des Richters und Per. Dabei stützte sie sich mit ihrem Arm auf der Lehne des Jungen ab.

„Vielleicht habt ihr Recht.“ Weder ihre Stimme noch der Blick nahmen etwas von der Garstigkeit dieser Frau. Ihrer unerbittlichen Hoffnung, ihre Schwester zu stürzen. „Aber sie ist und bleibt eine Amazone. Das heißt, es ist meine Pflicht sie gefangen zu nehmen. Ich würde mich aber erweichen lassen.“

Sie musterte ihr Gegenüber von oben bis unten und Richter Beldor flehte darum, das Kind würde weiter so still bleiben. Dann sprach die Frau die nächsten Worte in einem gefährlich leisen Ton aus.

„Im Dorf sind diese beiden Gören doch dauernd um dich herum gesprungen. Sag mir, wo ich diese Kröten finden und auch Alesa, dann darfst du gehen.“

„Ich weiß es nicht“, antwortete die Amazone ihr. Jeder sah sie schlucken und wie ihr Körper nach hinten drängte. Nur weg von der gefährlichen Frau. „Ich habe mich von ihnen getrennt und später dem Richter als Dienerin angeschlossen.“

„Einfach so?“, forschte Nerre nach.

„Sie kann mit den Kindern umgehen, deswegen fand ich es eine gute Idee.“ Dabei musste der Richter noch nicht einmal lügen. Und auch sein junger Sohn huschte vom Stuhl fort, hin zu der Frau, deren Hand griffbereit auf dem Schwert lag.

Nerre lachte lauthals auf.

„Beldor, ich kenne euch jetzt schon so lange“, rief sie laut. „Denkst du, ich nehme irgendeinem diese dumme Geschichte ab. Du hilfst einer Amazone nicht aus bloßer Güte heraus oder weil du jemanden für deine Bälger suchst? Ist der Grund dieses Mädchen, das ihr nicht von der Seite weicht? Dieser hübsche, blonde Engel.“ Ihre Lippen hoben sich und ihr Gesicht nahm die Fratze eines wilden Tieres an. „Sag es mir, wo finde ich dieses Biest! Wo ist meine süße, kleine Nichte?“

Alle Farbe wich aus dem Gesicht des Richters.

Er erhob sich und wollte nach der Soldatin greifen. Doch diese sprang nach vorne.

Marli handelte sofort. Sie nahm Ero in ihre Arme, danach Nala, um beide Kinder außer Reichweite der Furie zu bringen. Dann sprang sie zurück, der Treppe entgegen. Mit schnellem Schritt war sie von der Bühne herunter, wo sie sich das erste Mal strecken konnte. Und auch ihre kleine Prinzessin außer Reichweite deren Tante auf den Boden absetzte.

Der Mantel flatterte wallend auf und offenbarte das Schwert an ihrer linken Seite.

„Nerre, du bist wahnsinnig“, entfuhr es Richter Beldor. Seine Stimme zitterte beim Gedanken daran, diesen Schatz wieder zu verlieren. Noch mehr quälte ihn die Angst. „Es ist ein unschuldiges Kind. Was wird deine Mutter sagen, wenn sie davon erfährt?“

„Nette steht für den Widerstand gegen König Teron, genauso ihre Tochter. Ich lasse nicht zu, dass mein Sieg über die Amazonen von diesem Gör zunichtegemacht wird!“

„Du weißt, dass ich dieses Kind nicht einfach einem Henker übergebe“, äußerte er seine Furcht. Er wollte nicht, dass Nala solch ein Schicksal erlitt.

„Für mich ist dieses Kind nur ein Stein auf dem Weg. Und du kannst dir sicher sein, dass ich ihn höchstpersönlich zerschmettern werde, sollte sich meine Schwester nicht fügen.“

Also hatte Nerre niemals vor ihre Schwester hinrichten zu lassen. Sie sollte ihre Schuld an der Seite des Königs begleichen, der schon am Tod von Nalas Vater Schuld trug.

Eine größere Strafe konnte sie ihrer widerspenstigen Schwester nicht auferlegen. Und sie würde sich bis zum Schluss dagegen erwehren. Doch es gab eine Möglichkeit. Wenn es die eigene Tochter wäre, mit der man die potenzielle Königin zu blindem Gehorsam zwang.

„Es tut mir leid“, lauteten die letzten Worte, die Marli an Richter Beldor wandte.

Entgegen ihrer ruhigen Art ergriff die große Amazone ihr Schwert. Und ehe jemand eingreifen konnte, lag es eng an Eros Hals.

Mit geweiteten Augen blickte das Kind erst Nerre an, dann seinen Vater.

Die Leute um sie herum hatten nun ganz das Interesse am Einzug der Soldaten mit ihren Gefangenen verloren. Jetzt blickten sie auf das Spektakel, genau wie Nette, in deren schönen Augen blanke Angst um das Leben ihrer einzigen Tochter stand.

„Wenn ihr mir folgt, dann werde ich den Jungen töten“, warnte die Amazone.

„Flieh nur, wohin du willst!“, knurrte Nerre. „Ich werde dich und das Kind finden! Es gibt keinen Platz, an dem ihr euch vor mir verstecken könnt!“

Marli tat einen Schritt nach hinten, dem Nala folgte. Ihren Blick richtete das Kind kurz zur Mutter, in deren Arme sie gerne geflohen wäre. Hoffend darauf, die Mutter würde sie vor allem beschützen.

Sie verstand noch nicht, dass es genau das wäre, was Nerre in diesem Moment am schönsten fände. Mutter und Kind in ihrer Hand.

Um seinen eigenen Sohn machte er sich die wenigsten Sorgen. Marli liebte Kinder. Sie würde dem Jungen nichts tun. Nicht einmal wenn Nerre sie unter Druck setzte.

Die Soldatin verstand es nicht, dafür ihre Schwester.

Hinterher konnte niemand mehr sagen, wie es passierte. Wer die Fesseln eines Teils der gefangenen Amazonen, darunter auch Nettes, zerschnitt. Oder woher ihre Schwerte kamen, mit denen sie die Soldaten umbrachten und ihrer Königin einen Weg bereiteten, auf dem sie zu ihrer Tochter eilen konnte.

Doch sie stand hier, direkt vor ihrer Schwester.

„Ich lasse nicht zu, dass du meiner Tochter etwas antust“, schrie die Frau mit aller Wut einer liebenden Mutter.

Nalas Schreie erklangen, als einer der nahen Bauern sie fortriss. Jemand hatte eines der Pferde zu Marli getrieben, auf dessen Rücken sie jetzt saß. Der Bauer reichte ihr beide Kinder.

Dann trieb sie das Tier mit ihren Schenkeln in Richtung Tor. In ihrem Rücken drei weitere berittene Amazonen, die ihr den Weg nach draußen erkämpfen würden.

„Du würdest doch deiner eigenen Schwester nichts antun“, rief Nerre voller Hohn.

„Da hast du recht, Schwesterherz!“ Auf den Lippen der Amazonenkönigin zeichnete sich ein Lächeln ab. „Ich bin nicht solch eine Schlange wie du, die aus dem Hinterhalt angreift.“

Ihr Blick wandte sich zurück, wo Marli mit ihrer Tochter verschwand. Dann blickte sie sich um.

Die Amazonen waren den Soldaten hoffnungslos unterlegen. Es gab nur diese eine Hoffnung, dass Nala entkam. So entschloss sie sich zu einem von allen Seiten unerwarteten Ablenkungsmanöver.

Nette hob ihr Schwert an.

„Lebe wohl, kleine Schwester!“, rief die stolze Amazonenkönigin, ehe sie sich das Schwert in den Bauch rammte.

Einige der Soldaten machten sich zwar sofort zur Verfolgung auf, der Großteil davon blieb aber hier, bei der verletzten Amazonenkönigin, die selbst so knapp vor dem Tod ihr Lächeln behielt.

Es war die letzte verzweifelte Tat der Mutter, die Verfolgung der Flüchtigen abzuwenden. Mit ihrem Tod, meinte sie, würde das Interesse von Nerre an ihrer Tochter erlöschen.

Und so starb Nette, die stolze Königin der Amazonen, hier vor den Augen aller Adeliger, Soldaten und Bauern.

Als Bindeglied zwischen den Welten.

Eine Adelige, die in ihrer Kindheit in ihren Häusern daheim war. Als Tochter einer angesehenen Familie von Saron, die ihre Königin werden sollte. Stattdessen entschied sie sich im Widerstand für die Bürger zu kämpfen.

Das Geheimnis in ihr Grab mitnehmend, wieso sie dies dort tat und nicht vom Thron aus.

Im Staub liegend, mit geschundenem Gesicht, ohne besiegt zu wirken. In den Armen des Richters, der noch versuchte, die Blutung zu stoppen.

Nerre stieß einen lauten Schrei aus. Keiner wagte zu sagen, ob aus Trauer um die Schwester, oder weil mit ihrem Tod ihr Plan zunichtegemacht wurde.

 

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Marli floh mit beiden Kindern dem westlichen Grenzland entgegen. Bei diesem Spektakel hoffte sie darauf, dass König Teron alle seine Soldaten ins Schloss gerufen hatte.

Zu Anfang begleiteten sie noch ihre Kameraden. Bis die Soldaten aufholten und sie sich für ihre kleine Prinzessin opferten. Jetzt lag es an ihr, das Kind in Sicherheit zu bringen.

Dann gab es noch Ero, der sich ängstlich an Marli festklammerte. Im Gegensatz zu Nala. Und auch wenn sie den Jungen ins Herz geschlossen hatte, gehörte er zu seinen Eltern. Sie konnte ihn weder zurückbringen, noch mitnehmen.

Sie waren schonen einen halben Tag geritten und erst hier ließ Marli das Pferd ruhen.

„Du bist schon ein großer Junge“, rief sie Ero zu. Er nickte. „Uns werden Soldaten folgen. Wenn du mit dem Pferd in Richtung Telja reitest, dann bist du bald wieder bei deinem Papa.“

Marli grämte es, den Jungen in dieser Fremde alleine zu lassen. Dann noch, wo sein Vater solch einen schlechten Ruf genoss. Sie wollte nicht, dass ihm etwas passiert.

Aber mitnehmen, das ging einfach nicht.

Marli drückte ihm noch einen Kuss auf die Stirn, dann verließ sie mit Nala flink den Ort. Dabei musste sie nicht nur das Mädchen beruhigen, das bitterlich um ihre Mutter weinte, sondern zügelte auch ihre eigene Angst um das eigentlich fremde Kind.

Die Landesgrenze erreichten sie zwei Tage später.

Marli war schon sicher, es würde ihr gelingen, da trat die berittene Grenzwache aus dem tiefen Schatten der Bäume.

„Halt!“, wies der junge Soldat streng an. „Wer seit ihr?“

Sein Schwert hielt er hoch erhoben. Besonders nachdem sein Blick auf ihre linke Seite fiel und ihre Waffe, die dort griffbereit hing.

„Lasst mich und das Mädchen friedlich gehen“, flehte sie den Jungen an. „Ich möchte euch nichts tun.“

„Das kann ich nicht“, rief der Soldat. „Die Grenze nach Miro dürfen nur Händler und autorisierte Personen übertreten. Solltet ihr keine Genehmigung des Königs vorweisen, muss ich euch in Gewahrsam nehmen.“

Die Hände des jungen Soldaten zitterten, mit denen er das Schwert fest umklammert hielt. Es war wohl sein erster richtiger Auftrag. Vielleicht wäre es sogar besser, er würde unter einem Kommandanten dienen, als hier alleine die Grenze abzugehen.

Marli stieß das Kind von sich fort. Dann stellte sie sich dem jungen Soldaten.

Trotz seiner Unerfahrenheit war er sehr gut ausgebildet. Seine Schläge waren ungeheuer schnell und gut gezielt.

„Flieh!“, konnte Marli dem Kind noch zu rufen, das mit geweiteten Augen da stand und ihre Beschützerin ängstlich anstarrte. „Verschwinde von hier und egal was passiert, sag niemanden deinen Namen, oder wo du herkommst.“

 

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Nala nickte, obwohl sie nicht verstand. Oder ihre Augen von den schweren Tränen brannten.

Sie musste immer auf das hören, was Marli ihr sagte. Ihre Mutter hatte es ihr so angewiesen.

Also tat sie, was die große Amazone ihr befahl. Sie floh tiefer in den Wald. Die Richtung, die Marli mit ihr einschlug. Vielleicht besiegte sie den Mann und dann kam sie zu ihr. Um das Mädchen vor allem zu beschützen, wie sie es immer tat. Genau wie ihre Mutter, die immer zurückkam, egal wie lange der Kampf dauerte.

Tränen kullerten ihre Wangen entlang. Egal wie oft sie es sagte. Ihre Tränen wollten nicht versiegen und das Herz in ihrer Brust machte laut Tock, Tock, vor Anstrengung und Schmerz.

Sie durfte nicht anhalten. Dann würde sie weinen und Nala musste ein starkes Mädchen sein. Für ihre Mutter, damit sie sich keine Sorgen machte.

Tränen schoben sich unaufhörlich aus ihren Augen und verschleierten den Blick des Mädchens. Sie sah die große Wurzel nicht, in der sich ihr kleiner Fuß verfing.

Sie fiel und dann ein starker Schmerz an der linken Schläfe, der dem Kind das Bewusstsein raubte. Die Augen schlossen sich, über ihren Kopf und den Stein tropfte ein schwaches Rinnsal ihres Blutes.

 

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Ihre Lider fühlten sich schwer an, um den Kopf lag ein fester Druck. Das war das erste, was Nala fühlte, nachdem sie erwachte.

Sofort holten das junge Kind alle Erinnerungen ein. An ihre Mutter und Marli. Egal wie sehr sie darum betete, dass alle zu ihr kamen, wusste ihr Herz, sie sah ihre Familie nie wieder.

Nicht ihre Mutter, nicht Marli und auch nicht Gedana, die im Dorf ihre Freundin war.

Das Kind war nun ganz alleine.

Und so war sie auch nicht umringt von den besorgten Freunden, als sie ihre Augen aufschlug.

Dort saß ein ihr fremder Mann.

Seine Hände rau und aufgesprungen, strichen dem Kind zärtlich über die Wange. Narben zeugten von den vielen Kämpfen, die er in seinem Leben bestritt. Wie auch die Amazonen, von denen so manche diese Zeichen der ruhmreichen Schlachten wie einen Orden voller Stolz trugen.

Dieser Mann dagegen machte ihr Angst.

Er war nicht groß, trug sein dunkles Haar aber in einem wilden Wirrwarr. Um seinen Mund herum entsprang ein dichter Bart, über den die Augen klein und gefährlich wirkten.

Nala zog die Decke höher.

„W-Wo bin ich?“ wollte sie zögerlich von diesem Mann wissen.

„In meiner Hütte“, antwortete er. „Ich habe dich draußen alleine gefunden. Du warst verletzt, also habe ich dich hierher gebracht. Aber sag wo ist deine Mutter oder jemand anderes, zu dem du gehörst? Du kannst doch nicht alleine im Wald herumirren.“

Seine Hände prüften den Verband um ihren Kopf. Sofort zuckte das Mädchen vor Schmerz zusammen.

Am Ende jedoch schüttelte sie betrübt den Kopf.

Sie hatte niemanden mehr. Nicht seit Marli sie fortgeschickt hatte. In diesem Moment verlor sie den letzten Menschen. Und ob sie diese Familie wieder fand, die Nala und Marli in den letzten Tagen aufnahm, wusste sie auch nicht.

Der Mann vor ihr stand auf. Dann trat er einen Schritt zurück.

Mit großen Gesten, die das Kind wohl aufheitern sollten, stellte er sich vor.

„Ich bin ein Ritter voller Ehre und im ganzen Land für meine großen Taten bekannt. Meine Klinge ist da, um jede Maid zu retten, egal, in was für einer furchtbaren Gefahr sie schwebt. Ob es ein Räuber ist, der sie entführt hat, oder ein geschickter Händler sie mit miesen Tricks ausnehmen will. Auf mich kann jede zählen.“

Nala machte große Augen über diese Erzählung, blieb aber weiter stumm.

Sein Oberlippenbart wackelte kurz beim Prüfen ihrer Reaktion. Er hatte auf ein Lachen des Kindes gehofft. Aber selbst dessen Ausbleiben hinderte ihn nicht am Weitersprechen.

„Ich rette jede. Sei es die hübsche Tochter eines Königs, für die sich so manche Sünde lohnt. Eine alte Greisin mit gebrochenem Bein, die ich auf meinem Rücken nach Hause tragen muss. Oder ein so bezaubernder Engel wie du. Bei meiner Ehre als Ritter, ich rette jede von ihnen.“

Eine tiefe Verneigung vor dem Mädchen, als sein einziges Publikum, folgte. Immer noch wartend auf eine Reaktion.

Ein Seufzen drang von ihm, erst dann kam er zur letzten Frage.

„Wie heißt du süßes Ding? Wem habe ich heute das Leben gerettet? Deinen Kleidern zu urteilen müssen deine Eltern wohlhabend sein. Sie machen sich sicher Sorgen, und wenn du mir sagst, woher du kommst, bring ich dich zurück.“

Wieder sank Nalas Blick.

Es gab niemanden mehr, der sich Sorgen um sie machte.

Tränen rannen ihre Wangen hinab. Sofort eilte der Mann zu ihr, dessen Erscheinung eher Räuber rief, als die Ritter, denen sie bisher begegnet war.

Diese trugen silberne Rüstungen, die sogar ihre Köpfe verbargen.

Nala stellte sich vor, darunter wären finstere Monster, die ihr die Familie raubten. Auch wenn das nicht wahr war. Es waren normale Menschen wie sie oder der bärtige Mann.

Und auch wenn Marli ihr eingeschärft hatte, niemanden etwas über sich zu offenbaren, musste sie ihm antworten. Und das Einzige, was ihr in diesem Moment einfiel, war: „Mein Name ist …“

 

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Kapitel 5




Harmonische Klänge entstiegen den Musikinstrumenten der fünf fahrenden Musiker. Nur in wenigen Momenten entfesselte sich ein wilderer Klang. Genau den nutzte das Mädchen, ihren Körper im Tanz zu strecken und dehnen.

Während des Tanzes umspielte ein hellblaues, durchsichtiges Stück Stoff ihren Körper. Es schmiegte sich an Arme und Beine und präsentierte ihre freien Hautstellen lockend den Männern.

Dabei verließ sie sich nicht alleine auf ihre Ohren. Sie musste die Musik ganz in sich aufnehmen, um nicht aus dem Takt zu kommen, der oft vom lauten Gegröle der Männer übertönt wurde.

Über ihnen war ein Zelt gespannt. Auf dem fahlen, zertretenen Gras saßen die Männer bei einer nie endenden Fülle von Wein und Bier. So musste das Mädchen noch nicht einmal nachhelfen. Sie tranken sich schon vor ihrer Animation ins halbe Koma.

Nur die beiden Anführer hielten sich während ihres Plausch damit zurück. Während ihre Untergebenen ausgelassen die dargereichte Speise und Trank kosteten, benötigten sie einen kühlen Kopf.

Trotzdem konnte sie nichts davon abhalten, die hübsche Tänzerin mit einigen ihrer Blicke zu bedenken. Und selbst jetzt wurde schon klar, wo die Männer sie am Ende des Tanzes sahen. Nicht auf ihrem Pferd mit der vereinbarten Summe. Das stand keinem von ihnen im Sinn und auch die Musiker würden in Gefahr geraten.

Das Mädchen legte ihren Kopf in den Nacken. Blonde Locken fielen ihr über die Schulter, welche nicht zum geflochtenen Kranz um ihre Stirn gehörten.

Es waren 25 bis an die Zähne bewaffnete Männer, von denen die meisten betäubt vom Alkohol noch nicht einmal mehr gerade aus laufen konnten. Vor ein paar Tagen mussten sie einen Weinhändler überfallen haben.

Ihre Augen spähten jeder noch so lasziven Bewegung nach, um mehr von dem jungen Körper der 18-Jährigen zu erhaschen. Zu ihrem Bedauern wusste sich das Mädchen gekonnt zu bewegen, um nicht zu viel unter dem recht knappen, hellblauen Kleid zu offenbaren.

Einige der Männer versuchten sogar ihre samtene Haut zu berühren, wann immer sie sich ihnen nähert. Selbst dem entwand sie sich spielerisch, ohne das lockende Versprechen ihrer Anführer zu zerstören.

Der Schleier verhüllte im Tanz einen Moment ihr elfenhaftes Gesicht. Langsam sank er hinab und ihre strahlend blauen Augen schenkten nur den beiden Anführern Aufmerksamkeit, denen sie sich in ihrem Tanz langsam näherte.

Am liebsten nutze sie zum Tanz nicht dieses Tuch, sondern ihre Dolche.

Beeindruckende gebogene Klinge, mit der Gravur eines zürnenden Drachen. Ein Bild, das kaum zu dem zarten Geschöpf passen wollte, aber so manchen Betrachter in seinen Bann zog.

Diese wurden ihr abgenommen, damit sich das Kätzchen beim späteren Plan nicht wehrte.

Das ließ sie nicht abschrecken. Alina war zu geschickt darin so manchen zu bezirzen. Sie fand immer einen Weg sich aus solchen Situationen zu manövrieren. Und bisher begegnete ihr unter den Räubern auch kein ernst zunehmender Gegner.

Ihre Schritte im Tanz führten sie galant durch die Räuber, bis hin zu ihren Anführern.

Einer von ihnen besaß eine hohe Statur. Seine kräftigen Schultern fühlten sich unter ihrer Berührung steif an. Die Muskeln spannten unter der Haut.

Zu Anfang beäugten sie seine braunen Augen misstrauisch. Er war es nicht, der allen von ihnen einen wundervollen Abend versprach. Aber selbst er betrachtete sich das junge Mädchen vor sich jetzt fasziniert, mit der stillen Vorstellung, wie er sich den mit ihr gestalten konnte.

Er könnte ihr Probleme bereiten. Besonders in seinem doch noch recht nüchternen Zustand und wo er die Kämpfe nicht alleine von seinen Untergebenen ausfechten ließ.

Alinas zierliche Hände griffen nach der Weinkaraffe. Alleine der Geruch des starken Alkohols ließ sie ins Wanken geraten. Sofort fing sie sich wieder und schenkte erst dem großen Räuberanführer ein, dann dem Mann an seiner Seite.

Kaum hatte sie die Karaffe wieder auf ihrem Platz gestellt, zog der andere Mann sie grob auf seinen Schoß.

Für einen Moment offenbarten sich in ihrer Miene ihre wirklichen Gefühle. Wut über diese Demütigung, hier vor diesen abscheulichen Männern zu tanzen. Sich ihnen wie ein Stück Fleisch in einem Hauch von Nichts zu präsentieren, dass von ihnen später als die Verpackung eines Geschenkes geöffnet werden sollte. Sie verabscheute diese Aufträge und besonders den Mann, auf dessen Schoß sie jetzt saß und an dessen wabbeligen Körper sie gedrückt wurde.

Es widerte sie an!

Aber noch durfte sie nicht aufspringen und den Wolf womöglich auf ihre Spur locken. Sie musste weiter die verführerische Tänzerin spielen.

Und genau wie das Stück Stoff ihres langen Tuchs sich in einer verheißenden Berührung um den doch schon recht kahlen Kopf des Räuberanführers legte, solch eine Verführung nahm auch ihr Lächeln an.

Den anderen Räuber konnte man trotz seiner großen Narben, die teilweise auch das Gesicht entstellten, attraktiv nennen. Dieser Fettkloß mit seinem aufgedunsenen Gesicht und den hervorquellenden Augen, mit denen er jeden Teil ihres hübschen Körpers betrachte, war einfach nur abstoßend für sie.

In einem Grinsen offenbarten sich zwei Reihen verfaulter Zähne, nur darauf wartend, seinen Mund auf ihren Körper zu pressen.

Alina musste sich ein Erschaudern unterdrücken.

Sie fragte sich, wie er seine Untergebenen dazu brachte, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Er selbst ging nicht mit ihnen auf Diebeszug.

Was auch immer er sich aus dieser Zusammenkunft versprach, würde es nicht sehr gut für den anderen laufen. Vielleicht versprach er sich in der Zusammenführung beider Räubergruppen einen hohen Profit.

„Komm mein süßes Püppchen!“, hauchte der Räuber mit seinem stinkigen Atem an ihr Ohr. „Lassen wir das alles! Ich habe ein besonders Geschenk für dich.“

Alina wollte nicht wissen, was er sich darunter vorstellte.

Ihr Finger legte sich auf seine dicken Lippen.

„Einen Augenblick!“, rief sie in einer verführerisch, süßen Stimme. „Lasst mich meinen Tanz noch beenden. Ich habe ein ganz besonderes Finale für euch vorbereitet!“

Während der Bewegung im Aufstehen blieb der Schleier auf seinem Kopf zurück. Dafür umschlossen ihre Hände den Griff des Schwertes an seiner rechten Seite.

Mit Leichtigkeit gelang es ihr, die Waffe zu ziehen.

Eine schnelle Drehung, in deren Abschluss sie sich zu dem anderen hinunterbeugte, so dass sie sich auf dem Boden abstieß und der zweite Räuber Blick auf ihren gespannten Busen und Bauch erhielt.

„Darf ich mich mit dieser Dirne auch noch vergnügen?“, wollte der große Kerl von seinem Gastgeber wissen.

Keiner von beiden bemerkte es. Sogar jetzt nicht, wo ihre Hand, in der sie das Schwert verborgen hielt, an ihrer Seite ruhte. Mit der anderen tastete sie sich langsam zu seiner linken Seite vor, immer darauf bedacht nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

„Sicher, sicher!“, versprach der dicke Kerl.

Oh, wie Alina solche Aufträge hasste. Dafür konnte sie einen kleinen Bonus einstecken.

Unter dem Zelt stand die Vereinigung zweier Räuberbanden an. Die Köpfe der Anführer würden ihr insgesamt 170 Goldstücke einbringen. Dazu noch der Betrag, den sie im Voraus für ihren Auftritt vor ihnen bekam. Dabei waren das nur 30 Goldstücke. Dann alle Habseligkeiten, die sie finden würde.

Eine recht schmale Beute. Es würde ihr aber etwas Ruhe bescheren, bevor sie wieder auf die Jagd gehen musste.

Abgemacht war, dass ihr Tanz eine Privatvorführung vor den beiden Anführern werden sollte.

In der vorangehende Planung des Auftrages, nahm sie an, sich einen Weg durch die Bande kämpfen zu müssen, um die Beute lebend fort zu schaffen.

So abgefüllt, wie die jetzt waren, fand sie es umso besser.

Ihr Körper hob sich in einer eleganten Bewegung. Dabei riss sie das zweite Schwert mit sich. Die leichten Schwerter eigneten sich gut im Kampf mit beiden Händen. Oder als Requisit im Tanz, wie sie ihnen vormachte.

„Dieses verdammte Weibsbild!“, knurrte der große Mann. „Sie kann nicht einfach unsere Schwerter nehmen.“

Er wollte schon aufstehen, was der Dicke mit einer Geste verhindert.

„Kennst du nicht die Gerüchte? Diese Kopfgeldjägerin soll es auf uns abgesehen haben.“

„Dieses kleine Ding ist eine billige Tänzerin!“, rief der Dicke und entblößte seine fauligen Zähne. „Nicht mehr, nicht weniger! Gerüchte, nichts weiter! Wer weiß, ob dieser Engel überhaupt existiert. Es weiß niemand, wie sie aussieht.“

Alina lächelte.

Diesmal aus reiner Freude.

Diese beiden würden den berüchtigten Engel kennenlerne. Wenn auch auf eine Art, die keiner sich wünschte.

Mit den Waffen in der Hand tänzelte sie an den Räubern vorbei in die Mitte des Raumes, wo sie die Schwerter vor sich kreuzte. Ein Tanz folge, dem die Räuber mit Faszination folgten.

Unter ihnen ein junger Räuber, der sich im Gegensatz zu seinen Kameraden gut zu benehmen wusste. Er schenkte ihr keine derben Sprüche, sondern höchstens ein hübsches Lächeln, das sie gerne entgegnete.

Wenn er sich weiter benahm, vielleicht verschonte sie ihn dann.

Alina bog und wiegte ihren Körper zur Musik und im Tanz mit den beiden Schwertern. Manches Mal ließ sie die stumpfe Seite der Klingen über ihre Haut an Armen, Bauch und Bein fahren.

Schwerter waren nicht ihre Waffen. Vor Jahren einmal. Damals unterrichtete ihr Vater sie darin. Jetzt kämpfte sie mit ihren Dolchen, die als Tanzrequisiten kaum auffielen.

Für diesen Auftrag würde es so gehen müssen.

Alina näherte sich im Tanz den Räubern, die von ihren Anführern am weitesten entfernt saßen. Dort hielt sie in einer Position inne, die den Spielleuten verdeutlichte, ihre wirkliche Aufführung würde nun beginnen.

 

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Das Verstummen von Spiel und Musik beunruhigte keinen der Räuber. Sie dachten eher an ein ganz besonderes Geschenk, wie es ihnen ihre Anführer versprachen.

Alina ließ sogar zu, dass zwei der Räuber ihre Beine berührten.

Sie lächelte.

Nicht zu den Berührungen dieser beiden widerlichen Männer. Es galt ganz alleine deren Anführern.

„Gestatten, man nennt mich den blutigen Engel“, stellte sich Alina mit einer angedeuteten Verneigung vor. „Wie ihr richtig gehört habt, bin ich Kopfgeldjägerin.“

Kaum hatte sie dies gesagt, ließen die Männer ihre Haut los, als sei sie so heiß, dass sie sich daran verbrannten. Selbst nachdem sie zu ihren Waffen griffen, verwischte sich das Lächeln auf ihren Lippen nicht.

Alina hob die beiden Schwerter an.

Eine geschickte Drehung wie in ihrem Tanz und die Klinge sauste scharf durch die Kehlen der beiden Männer, die ihr am nächsten saßen. Diese beiden Kerle, die eben noch meinten, eine Erlaubnis zu haben, sie zu berühren.

Ein roter Strahl Blut bespritzte die schlanken Schenkel des Mädchens und lief daran hinab zu ihren Füßen.

Damit musste sie sich nur noch um 23 der Räuber kümmern. Von denen einige einfach so da saßen, wie die Lämmer auf einer Schlachtbank, ohne zu verstehen, was hier passierte.

Alina kreuzte die Klingen vor sich, nur um sich kurz darauf bereit zum Kampf aufzustellen.

„Verdammte Dirne!“, keifte der große Anführer. „Das wirst du bereuen!“

Wenn er es meinte!

Alina mochte jung sein, war aber durch und durch Jägerin. So schnell brachte sie niemand von ihrer Beute ab, oder verletzte sie. Das konnte sich das Mädchen bei der Vereinbarung mit beiden Berufen nicht leisten.

Nicht die Kopfgeldjägerin; nicht die Tänzerin. Wobei eine von beiden Aufgaben sie bevorzugen würde.

Der große wollte seinen Räubern gerade den Befehl geben auf sie loszugehen, da hielt ihn der dicke Kerl zurück. Alina durchfuhr automatisch ein Zittern, das sich bis zu den Schwertspitzen fortführte.

Sein Blick auf ihr fühlte sich so widerlich an, dass sie gerne bei ihm weiter gemacht hätte. Ein hochrangiger Beamter wollte, dass beide dem Richter vorgeführt wurden. Dass musste sie sich immer und immer wieder sagen.

„Fangt sie aber krümmt dem Vögelchen keine Feder“, rief der Dicke. „Es gibt sehr viele, die für ein gefangenes Vögelchen eine hohe Summe bezahlen würden. Außerdem wollen wir uns doch nicht den Spaß nehmen lassen.“

Er verzog seinen Mund zu einem fauligen Lächeln.

Und obwohl es dem Großen nicht recht war, tanzte er schon nach Wunsch seines Kameraden.

„Vergesst es!“, stieß Alina aus.

Geschickt sprang sie nach hinten, mitten in die Schar Räuber, von denen ein paar nun da standen. Einige geschickte Schwerthiebe, schon bereiteten die Räuber dem Kätzchen Platz, über dessen Wangen sich eine feine Spur Blut zog. Nicht ihr eigenes.

Einer von ihnen stand vor ihr, die Hand auf seine Brust gepresst, unter der sich ein roter Fleck ausbreitete. Zwei weitere kamen mit schwächeren Verletzungen davon.

Schwerter waren einfach nicht ihre Waffen. Wie sehr vermisste sie ihre leichten Dolche, mit denen sie flink durch die Räuber geeilt wäre. Ein paar gezielte Stiche hatten bisher manchen zu ihren Füßen knien lassen. Für die Schwerter fehlte ihr an Kraft.

Sie schaffte nicht, ihren Gegner mit gezieltem Schlag zu enthaupten.

Und selbst jetzt taten ihr von der kurzen Anstrengung schon die Arme weh.

Sie konnte nicht aufgeben. Immerhin stand sie hier vor einer Meute hungriger Wölfe. Wenn sie schon vorher darauf aus waren sich das Mädchen gefügig zu machen, wollte Alina nicht wissen, was nach all dem mit ihr angestrebt wurde.

Zwei der Räuber sprangen gleichzeitig auf sie zu. Darunter der, dem sie eben den bösen Kratzer zugefügt hatte.

Unter dem ersten Schlag duckte sie sich, nur um kurz darauf nachzuholen, was ihr zuvor misslang. Die scharfe Klinge pflügte durch die Haut des jungen Mannes, als sei diese ein dünnes Papier.

Kurz darauf stieß sie dem zweiten das Schwert in den Bauch. Ein weiterer wagte sich vor, dessen Reaktionszeit durch den Alkohol so stark vermindert wurde, dass es ihr mit Leichtigkeit gelang ihn dahin zu strecken.

Es blieben 20 Räuber übrig.

Einer von ihnen fiel ihr den ganzen Abend über auf. Er besaß eine angenehme Ausstrahlung und Alina bedauerte, gegen ihn kämpfen zu müssen.

Er trat vor sie, in der Hand den erhobenen Krug.

Das tönerne Gefäß kippte nach rechts und vergoss seinen Inhalt neben ihm.

„Im Gegensatz zu diesen Idioten habe ich nichts getrunken holder Engel, Alina.“ Auch er ergriff sein Schwert. Mit einem Lächeln, das Alina kurz aus der Bahn warf.

Da hatte sie sich schon auf einem schnellen Kampf gefreut und dann musste sie womöglich gegen zwei ernst zu nehmende Gegner kämpfen.

Ihre Unachtsamkeit hätte ihr beinah zum Verhängnis werden können.

Der junge Räuber sprang vor, auf sie zu. Alinas zitterndes Schwert erhob sich. Da griff er schon nach ihrem Arm.

Ehe Alina verstand, schubste er sie hinter sich, wo einer seiner Kameraden folgte. Instinktiv riss sie diesem mit ihrem Schwert den Brustkorb auf. Als sie zurück sah, konnte sie erkennen, wie der Fremde zwei der Räuber mit einem gezielten Schlag seines Beidhänders richtete.

„Mein Name lautet Mos“, stellte er sich ihr vor. „Ich habe lange nach euch gesucht und bin angenehm überrascht, welchem bezaubernden Wesen mir hier gegenüberstehe.“

„Ich bin geschmeichelt!“, verlieh Alina ihren viel zu deutlichen Gefühlen Worte.

Ihre Wangen pochten vor Scham und ihr Herz schlug im schnellen Takt. Anders als bei ihren sonstigen Kämpfen, war das Fieber des Kampfes nicht für ihren Herzschlag zuständig.

„Nun habt ihr mich gefunden. Und was wollt ihr von mir?“

„Wir sollten später darüber reden!“, rief er mit einem Nicken auf die Räuber. „Ich kümmere mich um das Gesindel, edle Dame!“

Ihr Herz jauchzte über seine galanten Worte auf.

Edle Dame.

Sie wurde wohl nie so betitelt. Dirne konnte da schon schmeichelhaft sein. Es störte sie aber auch nicht, einen Mitstreiter gewonnen zu haben. Selbst wenn sie der Wechsel von einer Seite auf die andere misstrauisch stimmen sollte.

Alles erschien ihr im Glanz seiner charmanten Art egal.

„Die Anführer sind mir!“, rief das Mädchen, ehe sie ihr Schwert erneut erhob. „Jemand wünscht sie in Beldors Gerichtssaal. Einem Wunsch, dem ich sehr gerne entspreche.“

Alina sprang auf die Bande zu.

Einer kam ihr entgegen. In seinem geröteten Gesicht stand Zorn, seine Bewegungen wirkten ungelenk, verlangsamt vom Alkohol in seinem Körper. Kein wahrer Gegner, wie die fünf anderen, an denen sie vorbei musste, um zu den beiden Anführern zu gelangen.

Für Alina ergaben sie kein Hindernis, und wie sie vermutete, stellte sich nur einer von ihnen zum Kampf.

Der große Räuber, hinter dessen Rücken sich der dickliche Widerling verbarg.

Bei allem, was sie heute schon erdulden musste, wäre es ihr eine Freude diesem Kerl mit dem Schwert auf die Finger zu schlagen.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Ihr Gegner vor der zarten Gestalt griff nach links, wo er sein Schwert verwahrte. Im gleichen Moment legte sich dessen Klinge unter die Kehle des Mannes.

„Ein schönes Stück!“, lobte sie ihn. Im Schein des hereinfallenden Lichtes leuchteten die Rubine im Griff auf. „Es wird mir sicher leicht fallen, das Schmuckstück zu verkaufen.“

Hinter sich hörte sie die Räuber aufschreien.

Was sie sich ebenfalls eingestehen musste. In Mos fand sie einen ausgezeichneten Schwertkämpfer. Sie konnte sich froh schätzen ihn auf ihrer Seite zu wissen, statt auf der ihrer Gegner.

Die letzten der Räuber hauchten ihr Leben aus.

Eigentlich würde sie jetzt nach ihrem Kameraden rufen, damit dieser ihr half, ihre Beute zu verschnüren. Dieses Mal kam ihr ehrenwertere Hilfe zu.

Mos, der hübsche junge Mann, von dem sie immer noch nicht wusste, auf wessen Seite er stand und sie mit seinem Lächeln verzauberte.

Freund oder Feind? Wer mochte das zu sagen, bei einem solch dunklen Gewandt, dass auf nichts Aufschluss gab.

Wer mochte er sein und was wollte er von Alina?

 

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Eines war sicher. Dieser Mann vor ihr, nur etwas älter als ihr Kamerad hatte Manieren, die ihrer Gesellschaft fehlten.

Dabei meinte man, ein Junge aus besserem Hause müsste sich auch so zeigen.

Wenn er das tat, dann nicht vor Alina. Vielleicht konnte er sich an dem Gentleman etwas abschauen, der gerade mit einem Strick die beiden Räuberanführer vor ihrer Klinge fest aneinander band.

„Ihr seit wahrlich eine wunderschöne Frau“, schenkte er ihr ein Kompliment von vielen. „Man könnte euch fast alles verzeihen.“

Ihre Schwerter senkten sich dem Boden zu.

Wieder fragte sie sich, wer dieser Schöne mit diesen wundervollen Worten bloß war. Musste sie ihn kennen? Durfte sie ihn näher kennenlernen?

Ihre Lippen schenkten ihm ein verzücktes Lächeln, das er sofort erwiderte.

„Legt das Schwert weg“, schlug sie vor. „Ohne das lässt es sich leichter reden.“

„Da gibt es nur ein Problem“, sagte er mit seinem schönen Lächeln, auf das Alina ihn verwirrt ansah. Das Vorhaben sein Schwert beiseitezulegen hegte er nicht. „Auch wenn ihr eine reizende Gestalt seid, so kann man euch doch nicht alles entschuldigen?“

„Was?“, entstieg es ihrer Kehle. Eilte er doch nicht auf ihre Seite?

„Du hast vor einigen Jahren einen Händler getötet, vor dem du tanzen solltest“, berichtete Mos mit nun nicht mehr so netter Stimme, die sie wusste zu umgarnen. Alles in ihm zeigte sich mit dem leise vor sich hin schwellenden Feuer seiner heißen Wut. „Er war ein unbescholtener Bürger, kein solches Gesindel wie diese dreckigen Diebe.“

Alina ging in Gedanken alles durch, was sie getan hatte oder musste.

Manche Händler befanden sich darunter. Meist diebisches Pack, das gerne Fälschungen verkaufte oder sich aus anderem Grund gelistet bei den Kopfgeldern wieder fand.

Eines hatten sie gemeinsam …

Keiner von ihnen war unschuldig!

„Nie hat jemand über ihn ein böses Wort fallen lassen!“ In seiner Wut setzte Mos einen Schritt auf das Mädchen zu.

Alina wich zurück. Sie wollte die Schwerter nicht ergreifen. Nicht wenn es sich um eine Verwechslung handelte. Das ließ sie auch laut werden.

„Alle haben ihn geliebt und er wollte nur deiner Darbietung zuschauen.“

„Wann?“, verlangte das Mädchen zu erfahren. „Wann soll das passiert sein? Ich mache keinen Fehler!“

Die meisten ihrer Aufträge schickte Beldor ihnen. Wie auch heute, wo sie für einen seiner Freunde diese beiden Diebe aufspüren sollte.

„Er war mein Bruder!“

Die letzten Worte, bevor Mos sein Schwert hob und auf Alina zustürmte.

Geschickt parierte sie den Schlag.

„Du wirst bereuen, was du meinem Bruder vor zwei Jahren angetan hast!“, spuckte er ihr wild entgegen.

Alina tauchte ab, vorbei an ihn.

Es gab ein paar Begegnungen mit ihren Zuschauern, die für diese tödlich endeten. Aber das waren keine braven Leute.

Die meisten versuchten, über sie herzufallen. Wohl auch sein Bruder. Für Alina hieß es dann immer. Entweder sie, oder die! Genau wie jetzt.

Nur das ihr Gegner diesmal kein angetrunkener Grapscher war, sondern ein guter Kämpfer mit klarem Verstand. Viel zu gut für die ungeübte Kopfgeldjägerin.

Passierte nicht bald ein Wunder, ging sie unter.

„Ero!“, brüllte Alina in einer letzten verzweifelten Tat, während sie die Schläge abwehrte.

Ihre Schreie bleiben ungehört.

„Niemand wird dir helfen, kleines Engelchen!“, höhnte der Feind und wusste dabei nicht, wie wahr seine Worte waren.

Ihr Kamerad kümmerte sich gewöhnlich nicht darum, wenn sie angegriffen wurde. Lieber ging er irgendeiner andere Beschäftigung nach, bis es Zeit wurde, die Beute einzuladen.

Trotz ihrer unterlegenen Fähigkeiten nutzte sie alles, was sich ihr bot.

Mit beiden Schwertern wehrte sie seine Schläge ab und griff von sich aus an. Nichts beeindruckte den geübten Kämpfer. Es gelang ihm sogar, eines der Schwerte Alinas Händen zu entreißen.

Das schöne Rubin besetzte landete im hohen Bogen weit weg von ihr, auf der Erde.

„Ich dachte, der blutige Engel würde besser kämpfen können.“ Mos klang über diese Erkenntnis bestürzt. Worauf Alina wieder einen Schrei loswerden ließ.

„Ero, verdammt! Hilf mir endlich, du fauler Bastard!“

Keine sehr freundlichen Worte an ihren einzigen Verbündeten. Dabei musste er sich in der Nähe aufhalten. Vielleicht sogar ihr ganz nah.

Sollte er hoffen, dass sie unterging, sonst wären es seine letzten Minuten!

Für einen Moment wendete sie ihren Blick dem offenen Zelteingang zu. Eine Unachtsamkeit, die ihr Gegner schamlos ausnutzte.

Er verletzte sie nicht etwa. Nein, sein Schwert fuhr unter den dünnen Stoff ihres Ärmels. Ein einziger Schnitt, schon rutschte es die rechte Seite hinab, wo es nicht nur ihre Schulter offenbarte, sondern auch einen Teil ihres Busens.

Ein Anblick, der ihn sichtlich amüsierte.

„Vielleicht ist die Idee der Räuber gar nicht mal so schlecht“, meinte Mos. „Du bist zu mehr gut, als jemanden das Herz zu durchbohren.“ Er lachte auf. „Alina, ich werde schon dafür sorgen, dass du vor mir im Staub kniest. Und wenn ich mit dir fertig bin, du Miststück, wirst du keinen mehr in den Tod locken können. Dann will dich niemand mehr ansehen.“

Wie zur Warnung, fuhr seine Klinge über ihre Wange. Dort hinterließ sie einen dünnen Strich roten Blutes. Nicht ihres. Dafür war die Berührung zu sanft.

„Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du darum flehen, dass ich dich töte!“

„Ero!“ Ein weiteres Mal rief sie nach ihrem Freund. Wieder blieb es ohne Reaktion.

Und wieder griff Mos sie an. Jetzt erkannte sie sogar sein Spiel.

Er war besser als Alina, wollte diese aber in die Enge drängen.

„Ein hübsches Mädchen wie du, sollte lieber die Finger von Dingen lassen, mit denen sie nicht umzugehen weiß!“

Sein Hohn klang beißend in ihren Ohren. Sie gelangte ans Ende ihres Weges.

Im Rücken spürte sie die kühle Wand des Zeltes.

Wieder glitt das Schwert unter den Stoff ihres Kleides. Der Ärmel riss, so dass Alina ihn auffangen musste, um nicht nackt vor diesem jungen Mann zu stehen, wie er es sich wünschte.

„Lass das Schwert fallen, kleines Mädchen“, befahl Mos in seinem höhnisch, süßlichen Ton.

Alina biss sich vor Wut auf die Unterlippe.

Sie war am Ende. Er wusste es, sie wusste es, und wenn sie hier lebend heraus wollte, musste sie ihm gehorchen.

Gehorsam senkte sie vor ihm den Kopf, genau wie das Schwert, dessen Klinge auf dem Boden ruhte. Ihre Hand umschloss weiter eisern den Griff.

„Kluges Mädchen!“, lobte Mos sie. Sein Finger umspielte den Ausschnitt ihres Kleides, der jetzt sogar niedriger als noch zuvor lag. „Du bist am Ende, Engelchen, also gib auf!“

Seine Augen weiteten sich in Erfüllung seines Wunsches.

Alinas Kleid rutschte ihren Körper hinab, hinein in die aufgewühlte und vom Blut feuchte Erde.

Mos mochte ein ausgezeichneter Schwertkämpfer sein. Aber er war auch nur ein Mann, der schon meinte, der Sieg sei errungen.

Unter Zwang hob Alina ihren Kopf an und öffnete die Lippen, noch ehe seine die ihren berührten.

„Oh ja, ich bin ein armes, hilfloses Weib!“ Ihre blauen Augen funkelten voll Kampfeswut auf, im selben Moment umfasste ihre Hand das Schwert schmerzhaft fest.

In den Jahren ihrer Arbeit hatte sie viel gelernt. Auch dass es manchmal besser war, die Fairness auf Trainingskämpfen anzuwenden, aber nicht hier, wo jeder Fehler einen bitteren Nachgeschmack besaß.

Mit aller Kraft stieß Alina die Schwertklinge in das Herz ihres Gegners.

Er stöhnte noch auf. Sein Blut floss über die Klinge, bis hin zum Griff und über Alinas kleine Hände. Dicke Tropfen benässten das Kleid zu ihren Füßen.

Dies mochte keine angenehme Aufgabe sein, wie so mancher Tanz vor einem dankbaren Publikum. Aber sie musste es tun. Bedauern und Mitleid für ihre Opfer hatte sie schon früh genug abgelegt. Lieber hob sie sich diese Dinge für andere Menschen auf. Einfache Bauern oder ihre Freunde.

Ihre Hände ließen das Schwert los. Der tote Körper des Mannes sank neben ihr zu Boden.

Wortlos hob sie ihr Kleid auf, um damit ihren nackten Körper vor dem Blick der einzigen beiden Lebenden zu bedecken. Nur noch ihre Finger hielten es oben.

Sie verließ das Zelt und damit auch das Grauen darin.

 

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Kapitel 6




Draußen erwarteten sie als einziges die Musiker.

Sie schenkten Alina einen kurzen Blick, ohne auf ihr zerstörtes Kleid einzugehen, oder wie blutbefleckt ihre zarter Körper erschien. Ein Monster. Der Hölle entstiegen, in Gestalt eines Engels.

Blutiger Engel, da besaß sie wahrlich einen passenden Namen.

Einzig der Streicher Soto wagte etwas zu sagen.

„Wenn ihr so weiter macht, Alina, dann werdet ihr bald niemanden haben, der euren Tanz sehen will“, prophezeite der Mann fürsorglich wie ein Vater.

Das Mädchen musste sich eingestehen, das sich ihre beiden Arbeiten nicht miteinander vereinbaren ließen. Eigentlich wusste sie das schon lange. Ihre Leidenschaft am Tanz wollte sie aber nicht zugunsten der Verpflichtung ihrem Vater gegenüber aufgeben. Genau, wie sie sich nicht dem Auftrag als Kopfgeldjägerin verweigern konnte.

Es war eine elende Zwickmühle, in der sie sich befand.

Eine andere Gesellschaft vielleicht, die sie bewachte. Auch dass wurde ihr bisher verwehrt.

„Der nächste Auftritt verläuft friedlicher“, versprach sie dem Musiker. „Letztens wurde ich wegen einer Feierlichkeit angefragt. Ist es mehr nach eurem Geschmack?“

Ihr Lächeln war so süß wie Honig, dem keiner der Männer normalerweise widerstehen konnte. Nur so, mit dem zerschnittenen Kleid und dem blutbefleckten Körper kam es nicht sehr vorteilhaft an.

„Wenn ihr Ero sucht, der sonnt sich dort vorne.“ Soto deutete mit einem Nicken auf eine Anhöhe.

Nicht einmal weit entfernt, sodass man den Jungen gut erkennen konnte, der dort an eine Linde gelehnt saß.

Sein braunes Haar hob sich eine Nuance heller von der Rinde ab. Es war lang genug, dass es beim Brausen des Windes mit wogte, und lud manche Mädchenhand ein, hindurchzufahren. Jedenfalls begrüßten ihn viele der jungen Mädchen so, die er kannte oder kennenlernte. Alina dagegen fand es albern, wenn diese Hühner den jungen Adeligen umschwärmten.

Das Vermögen seiner Familie erschien ihnen eine schöne Zugabe zu dem hübschen Jungen. Dabei kleidete er sich seit Jahren kaum seinem Stand angemessen.

Genau wie jetzt, in der von Arbeiten zerschlissenen Hose und dem langen, vorne zu gebundenen Hemd, schmutzig vom Staub ihrer Reise.

Die hübschen, ebenfalls braunen Augen hielt er geschlossen.

Eigentlich hätte er ihre Schreie hören müssen.

„Mistkerl!“, fluchte Alina leise.

Soto bekam keine Aufmerksamkeit, dafür gesellte der Musiker sich zu seinem Kameraden, ahnend, was jetzt für ein Spektakel beginnen würde. So saß diese Bande zusammen, während sie leise über den Verlauf spekulierten.

Alina ärgerte sich dagegen mit anderen Problemen herum. Eben ihr unnützer Kamerad und das Kleid, das nur noch von ihren Händen gehalten wurde. So stapfte sie auf den Freund zu.

„Was muss passieren, damit du mir einmal hilfst, wenn ich dich brauche?“, prasselte ein kleines Gewitter auf den Jungen ein.

Er schwieg. Auf seinen Lippen erstrahlte ein wohliges Lächeln, über dem schönen Sonnenschein, der sein Gesicht wärmte und bräunte. Wenn er meinte, das weiter genießen zu können, hatte er nicht mit der Freundin gerechnet.

Alina sprach erst weiter, nachdem sie sich vor ihn gestellt hatte und sich somit ihr Schatten auf ihn legte.

„Ich hätte deine Hilfe wirklich gebrauchen können. Es waren 25 Männer, gegen die ich mich behaupten musste, darunter auch ein paar gut ausgebildete Schwertkämpfer. Besonders einer hat mich in Schach gehalten.“

Dass eben dieser die meisten der Räuber getötet hatte, bevor er sich mit Alina befasste, verschwieg sie ihrem Freund.

„Du lebst noch, also wieso sollte ich dir helfen?“, sagte er kühl, begleitet von einem langen Gähnen. Langsam öffnete sich erst ein Auge. „Wobei, wenn ich es mir recht bedenke, scheine ich einiges verpasst zu haben.“ Sein zweites Auge öffnete sich ebenfalls. Interessiert legte der Junge seinen Kopf schief.

„Hätte er wirklich vorgehabt mich zu töten, würde deine liebste Alina jetzt nicht vor die stehen“, rutschte es ihr heraus. Als ob es nicht schon ersichtlich genug wurde, dass der Versuch des Gegners war, sie unbekleidet vor sich zu haben.

Sie zupfte mit ihrer rechten Hand an einem der zerschnittenen Ärmel. Die linke war weiter damit beschäftigt, ihr Kleid oben zu behalten. Vielleicht hätte sie sich vorher etwas anderes anziehen sollen.

So vor ihm zu stehen, empfand das Mädchen als eine sehr dumme Idee.

„Welch ein schöner Tod!“, rief Ero belustigt. „Es ist nicht so, dass ich mir ein ebensolch frühes Dahinscheiden wünsche. Aber davor solch ein Anblick und man geht allem Nachfolgenden gerne entgegen.“

Alinas Wangen glühten.

Wirklich eine ganz dumme Idee, in ihrer Wut so zu ihm zu gehen.

„Kannst du mir erklären, wieso ausgerechnet ich immer die erniedrigten Arbeiten in unserer Partnerschaft bekomme, während du dich irgendwo ausruhst?“, bellte sie ihm über die Scham hinweg an.

Er sagte noch nichts, sondern richtete sich erst auf. Nachdem er die Erde von seiner Hose geklopft hatte, stellte Ero sich herausfordernd vor der Freundin auf. Dabei offenbarte er ein Grinsen, das seine hübschen Züge fast entstellte.

„Das kann ich dir verraten, holde Schöne!“, meinte Ero. Mit Daumen und Zeigefinger zupfte er ungeniert an dem Kleid des Mädchens. „Das kommt daher, dass ich nicht so wundervoll in einem Kleid aussehe wie du.“

Bei jedem anderen Mädchen hätte er sich nicht so forsch vorgewagt. Bei ihr war es etwas anderes. Beide wuchsen seit ihrer Kindheit zusammen auf. Erst in Konkurrenz und Feindschaft, jetzt zu Kameradschaft verdammt.

Einen Augenblick verschwendete Alina damit, sich ein Bild auszumalen.

Der hübsche Junge, mit dem schön gestalteten Körperbau und gut geformten Muskeln, besonders im Bereich von Armen, Brust und Bauch. Beim Handhaben seines breiten Beidhänders benötigte Ero Kraft.

In diesem Bild trug er nicht die gewöhnlichen Sachen, sondern eines von ihren Kleidern.

Sie konnte nicht verhindern, dass sich ein Schmunzeln auf ihre Lippen schlich. Aber es brachte sie auch auf eine Idee.

Es bedurfte nur eines geschickten Trittes, den Jungen zu Fall zu bringen. Sodass er ungeschickt zurück zum Boden fiel. Ehe er aufstand, hinderte sie ihn schon mit einem Tritt ihres nackten Fußes auf den Bauch daran.

„Ich schlage vor, du probierst es einfach aus!“, war sie es jetzt, die ihn herausfordernd ansah. „In der nächsten Zeit trägst du einen ganzen Tag lang eines meiner Kleider!“ Sie lächelte. „Wenn du nicht möchtest, dass meine Wut als Furie Beldors liebsten Sohn dahin streckt.“

Sie sah ihm an, dass er darum bitten wollte, sie davor auch ohne Kleider sehen zu dürfen. Dann aber entschied er sich um.

Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf zu einer entspannten Liegeposition.

„Tu ruhig noch einen Schritt näher treten, schönste aller Schönen. Oder hebe dein Bein weiter an. Dann offenbart sich mir wirklich ein Anblick, für den ich sterben könnte.“

Das alles sagte er in einem genießerischen Gurren.

Ihre Wangen tauchten rot ein vor Scham. Seinem Wunsch kam sie gerne nach.

Ihr schlankes Bein hob sich. Im Feuer der Wut zog sie es so schnell herunter, dass er nicht ausweichen konnte. Unter der Wucht des Trittes entwich alle Luft aus den Lungen des Jungen.

Ero hielt jetzt seine Miene nicht aufrecht, sondern rollte unter Schmerzen auf den Bauch. Aber das hatte er verdient, stand für Alina fest.

„Ich habe doch nur Spaß gemacht“, entrüstete er sich in einem Keuchen.

Alina blieb dafür ganz ernst.

„Ich nicht!“ Sie wandte sich um. „Du wirst hübsch aussehen! Ich besitze sicher eine passende Perücke.“

„Alina!“, kreischte er von seiner Position am Boden aus auf. „Bitte tu mir das nicht an. Bedenke doch, was für eine Demütigung das ist, so die Jungs trainieren zu müssen.“

Sie hörte ihn nicht, oder eher wollte es nicht. Ihre Schritte waren schon längst in Richtung des Räuberlagers gerichtet. Aber wer weiß. Vielleicht konnte es für ihn auch etwas Heilsames haben und er schenkte ihrer danach mehr Anerkennung.

 

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Bevor Alina sich daran machte, zusammen mit Ero das Räuberlager zu plündern, wollte sie sich zuerst andere Sachen anziehen. Kam sie so in die Schule zurück, würden dort die Jungs einen netten Anblick bekommen.

Vorhin zog sie sich etwas abseits des Lagers um. Weit entfernt von den lüsternen Blicken der Männer, hinter einem dichten Busch und weit herabhängenden Kiefernzweigen.

Genau dort fand sie ihre Sachen wieder. Leider nicht nur die.

Auch eine Wildziege, die zu allem Überfluss Gefallen an ihrem Kleid gefunden hatte. Davor musste sie den Proviant geplündert haben.

„Gefräßiges Vieh!“

Alina funkelte das Tier zornig an.

Die Ziege hob ihren Kopf. Zuerst wirkte es friedlich. Alina traute sich sogar einen Schritt näher.

„Alles ist gut“, sagte sie beschwichtigend. „Ich will nur mein Kleid, mehr nicht!“

Ihre Hand näherte sich dem Kleid, an dem das Tier gerade nagte. Über und über war es mit Sabber bedeckt. Das Mädchen fragte sich, wieso sie keines der Schwerter mitgenommen hatte, oder ihre Dolche. Dann gäbe es später einen leckeren Braten für sich und ihren Vater.

Das Tier hob den Kopf und schaute auf. Nicht im Willen den Stoff aus seinem Mund freizugeben. Unruhig, mit drohend erhobenen Hörnern stand es da.

Hatte die Wildziege ihren Gedanken gelauscht? Für einen Moment zeigte sich Alina davon überzeugt.

Dieses garstige Tier scharrte unruhig mit seinem Huf auf dem Boden vor sich. Und warf das Kleid ein Stück nach hinten.

Es bedürft wenige Zentimeter und sie hätte ihr Kleid berühren können.

Die Wildziege senkte den Kopf. Ein Sprung nach vorne, dem Alina gerade so ausweichen konnte, dann rannte das Tier auch schon durch das Gebüsch davon. Zurück blieben ein paar Fetzen ihres Kleides. Nichts weiter.

Das Mädchen sank bedrückt zu Boden.

Ihr Proviant war fort, genau wie ihr Ersatzkleid. Und Ero würde wieder sie für alles in Verantwortung ziehen.

Eigentlich war sie es auch. Hätte sie ihre Sachen erhöht gelegt, oder ins Lager wäre das nicht passiert. So musste sie wohl jetzt die Konsequenz ziehen.

Den Räubern ein paar ihrer Sachen zu stehlen, das hatte sie nicht vor. Da ging sie lieber hoch erhobenen Hauptes nackt zur Schule zurück.

 

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Die Ausbeute war wirklich schmal. Ein paar Goldmünzen, nicht mal genug, um ihren vollen Auftritt zu bezahlen.

Von den Räubern hatte keiner vor sie zu entlohnen. Es schmälerte jedes Mitleid, das sie mit diesen Männern haben konnte. Wenn es denn eines gäbe. Mit ihrer Arbeit bewahrte sie viele andere vor einem schrecklichen Ende. Potenzielle Raubopfer.

Neben dem Gold nahmen sie 22 Schwerter an sich. Ein Teil davon konnten die Jungs unter sich aufteilen. Was nicht gebraucht wurde, nahm ihnen sicher ein Händler ab. Genau wie das Schwert von Mos und dem Rubin besetzten. Solch exquisite Stücke fanden sicher schnell einen Käufer in der Schicht Adeliger.

Über die 13 verwahrlosten Pferde wollte Alina kaum reden. Kaputt geritten von den Männern, erschienen sie kaum mehr wert als einen vollen Magen.

Ausgerechnet für diese magere Beute opferte sie nun ihr letztes, schönes Kleid.

Dies war wahrlich nicht ihr Tag!

 

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Kapitel 7



Wenn die Pferde auch nicht mehr als Reittiere taugten, so gaben sie ein gutes Transportmittel für ihre Last ab.

Auf dem Weg zum Lager fuhren sie im Wagen der Musiker mit. Da sich Marnos Schule nicht einmal einen Tagesmarsch davon entfernt befand, nahmen sie für den Rückweg einen Fußweg in Kauf. Er führte sie über unwegsamen Waldboden, weit ab aller Straßen und möglichen peinlichen Begegnungen für Alina.

Es war genug, das Ero sie so sah, genau wie die Musiker. An die beiden Räuber wollte sie gar nicht denken, die an den Pferden gebunden eher hinterher geschleift wurden, als brav zu folgen.

Ihnen blieb das Mädchen nackt bis zu ihrem Tod in Erinnerung.

Alleine das sorgte dafür, dass Alina am liebsten vor Scham gestorben wäre.

Wieso tat sie das eigentlich?

Sie war ein hübsches Mädchen, das schon längst einen guten Ehemann gefunden haben könnte. Einer der sie auf Händen trug und ihr alles schenkte, was sie wollte. Einen gutmütigen Bauern oder jungen Edelmann.

Ganz sicher nicht Ero, wie viele hofften! Darunter auch ihr Vater, der eine Schule für den Schwertkampf aufgebaut hatte.

Und dort lag ihr Problem!

Zwar mochten die Schüler in letzter Zeit angewachsen sein. Doch hauptsächlich nahmen sie die Kinder einfacher Bauern auf. Nur wenige adelige hatten einen Weg zu ihnen gefunden.

Darunter ihr Kamerad Ero, mit dem ehrenwerten Richter als Vater. Das hieß aber nicht, dass sie gut lief.

Der alterte Ritter hatte es einfach nicht drauf sie gut zu führen, sondern ließ lieber das Töchterchen arbeiten, um ihnen Trainingsmaterialien zu beschaffen und genügend Gold alle Schüler und auch den alten Vater durchzufüttern.

Für ihren Vater war diese Schule sein ganzer Stolz, für Alina bedeutete es Schinderei.

Es gab Momente, in denen der alte Ritter selbst etwas kaufte, dies war aber ein wirklich seltener Moment.

Sie musste weiter auf die Jagd nach düsterem Gesindel gehen. Räuber und Verbrecher. Nur selten bekamen sie eine Spende ihres Königs. Ylias, König von Miro.

In der Armee fanden einige ihrer ausgebildeten Schüler einen festen Platz, dem der König gerne mit Dank entgegen kam.

Die festen Grundsätze ihres Vaters sahen vor, dass seine Schüler schon ein gewisses Alter erreicht haben mussten, bevor die Ausbildung begann. Seiner Meinung nach gehörten Frauen und Kinder nicht an die Waffe.

Bei dem Jungen Ero war es etwas anders.

Er war gerade zwanzig und somit zwei Jahre älter als der jüngste Schüler, hatte seine Ausbildung aber schon seit mehren Jahren beendet, sodass er jetzt selbst unterrichtete. Wenn er nicht gerade bei einem Auftrag an sie gefesselt war.

Eine Ausnahme genau wie bei ihr.

Alina war nicht Marnos leibliche Tochter. Er behandelte sie ohne Ausnahme zu seinen Schülern, wenn nicht sogar ein bisschen härter als diese aber mit der sanften Hand eines richtigen Vaters. Ihre Ausbildung begann im zarten Alter von vier Jahren mit anfänglich eher spielerischen Übungen, an einem aus Holz geschnitzten Schwert.

Sehr schnell zeigte das Mädchen Talent, nicht nur darin. So sah er sich mehr genötigt sie später richtig zu unterrichten.

Ero fand mit zehn Jahren seinen Weg zu ihnen. Der verwöhnte Bengel, des obersten Richters von Ylora.

Anfangs sträubte sich Marno, den Jungen anzunehmen, um den sicher viele erfahrene Schwertkämpfer warben. Letztendlich setzte sich Beldor durch. In ihm offenbarte sich ein exzellenter Überredungskünstler.

Genau seit diesem Tag wurde Marno – obwohl es eigentlich Alina war, die sich beklagte – den Jungen einfach nicht mehr los. Marno schickte Beldor mehrere Boten darüber, dass die Ausbildung seines Sohnes beendet war und er ihm nichts mehr beibringen konnte aber dieser wollte und wollte ihn einfach nicht nach Hause holen.

Viel lieber sah er ihn an der Seite eines Mädchens aus einfachen Verhältnissen. Seit Jahren hatte er sich in den Kopf gesetzt, die beiden irgendwann verheiratet zu sehen.

Ero und Alina, ausgerechnet zwei, die sich vom ersten Tag ihres Kennenlernens nicht ausstehen konnten. Ein Verhältnis, das sich bis heute kaum gebessert hatte. Obwohl Alina zugeben musste, das tief zwischen allen Differenzen ein festes Band der Freundschaft gewachsen war.

Ohne ihre kleinen Sticheleien wäre ein Tag in ihrem Leben wohl langweilig.

Genau wie jetzt, wo er ihr die ganze Zeit schon den ein oder anderen Blick zuwarf.

„Was ist?“, verlangte sie schroff von dem Freund zu erfahren. Dabei brachte sie ihn zum Stehen, indem sie einfach nicht mehr weiter ging.

Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht.

„Ich warte ungeduldig auf einen Wind, der diesen Hauch von Nichts wegweht“, lautete seine ungenierte Antwort.

Was erwartete sie anderes von diesem Jungen?

Nur ein Schnauben kam darauf von ihr. Was konnte sie auch tun, wenn ihre Hände die ganze Zeit mühsam den Stoff oben hielten.

So setzte sie nur ihre Schritte vorwärts, wohl wissend, dass sie erst einem Haufen hungriger Wölfe entging und nun auf den Weg zu einem anderen war.

Einige der Schüler begegneten ihr höflich und nett, ein anderer Teil eiferte darum, wer sie denn eroberte.

Alina spürte schwer die Hand des Jungen auf ihrer Schulter. Sie blickte zurück in ein Gesicht, dem nicht der Spott von zuvor innewohnte. Nur echte Freundschaft und Sympathie. Recht selten bei ihren gewöhnlichen Neckereien und dem Streit.

Was sie noch mehr verwirrte war, dass er sein Hemd auszog. Sofort wandte das Mädchen den Blick ab, das eigentlich mit Anblick von Jungs gewohnt aufwuchs, die sich in der Schule teilweise sehr offen zeigten und das Mädchen als Kameraden wahrnahmen.

„Ich kenne unsere Schüler“, sagte Ero mit einem zauberhaften Lächeln.

Sie war dort das einzige Mädchen und manchmal wünschte sie sich, es gäbe da nicht diese gewissen körperlichen Unterschiede. Genau wie diese Momente, in denen die Jungs versuchten ihr hinterher zu schleichen oder aufdringlich zu nähern. Wozu ein solches Auftreten geradezu einlud.

Der dünne Stoff landete von ihm aus auf ihrem blonden Schopf. Duftender Blütenhonig, so konnte man diese Farbe bezeichnen. Dunkel und golden.

Sie brauchte nichts sagen oder tun, der Junge stülpte sein Hemd über sie, damit es ihren Körper bis über den Po bedeckte.

„Damit musst du weniger verstecken. Und ich will doch nicht, dass meine zukünftige Verlobte die Blicke aller anzieht.“

Liebe Worte geschmückt mit einem bissigen Spruch. Immerhin teilte er ebenso wenig wie sie die Heiratspläne ihrer Väter.

„Danke“, reagierte sie auf seine Geste.

Er deutete in den Wald hinein.

„Geh!“, wies er an. „Dort vorne fließt ein Bachlauf. Wasch dich. Ich tränke die Pferde weiter oben.“

Sie ging nicht sofort los, sondern sah ihm eine Weile nach.

In den zehn Jahren, die sie sich kannten, entwickelte sich der verzogene Bursche zu einem hübschen Jüngling. Selbst Alina fiel es immer schwerer ihn nicht anzusehen, wenn er sich am Brunnen abkühlte, verschwitzt vom Training. Oder wie jetzt ohne Oberteil vor ihr stand.

Trotz allem blieb er für sie nur ein Freund, nicht der Liebste, wie ihre beiden Väter sich erhofften.

Sie setzte ihren Weg in die Richtung fort, zu der er sie leitete.

 

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Ein kühler Bach schob sich hier durch den Wald. Tief genug, das ihre Füße, sowie ein kurzes Stück ihrer Beine darin Platz hatten.

Zuerst fasste sie ihre beiden Hände zu einer Kuhle, um von dem frischen Wasser ihren Durst zu stillen. Um ihre Wasserbehälter brauchte sie sich nicht zu kümmern, die waren bei Ero und er würde sie mit frischem Wasser füllen, wie auch die Pferde diesen nährenden Quell gerne annahmen.

Als Nächstes entledigte sie sich Hemd und Kleid.

Wieder füllten sich ihre Hände mit klarem Wasser. Alina hob sie an, hielt dann aber inne.

Die spiegelnde Oberfläche warf ein Bild zurück. Nicht das hübsche Mädchen mit der gebräunten Haut, um das so viele der Jungs auf ihrer Schule warben. Nur die Kopfgeldjägerin.

Ein blutbefleckter Engel, wie sie so viele nannten.

In dicken Tropfen sank das Wasser durch ihre Finger, die sich langsam öffneten, sodass das Wasser plätschernd zurück in den Bach floss.

Was dachte sie auch über so etwas nach?

Es war ihre verdammte Arbeit, ihre Pflicht Vater und Schülern gegenüber, die sie dazu trieb. Was blieb ihr sonst übrig? Alleine vom Tanz konnte sie alles nie bezahlen. Genau, wie durch ihren Unterricht nicht genug Geld zusammenkam.

Auch wenn ihnen viele der Bauern dankten, besaßen sie doch nichts, womit sie ihre Ausbildung bezahlen konnten. Und Marno würde ausgerechnet von denen auch nie etwas verlangen. Er war kein Unhold.

Wieder sanken ihre schmalen Hände ins Wasser.

Das kühle Nass wusch nicht nur das Blut von ihr, auch die Gedanken riss es mit sich, bis alles fort war. Ihre Traurigkeit und der Schmerz über die vielen Menschenleben, die diese Hände schon nahmen.

Dabei war sie es selbst, die diesen Weg beschritt. Ihr Vater sah es gerne, dass ihr Talent so nicht brach lag und sie auf dem Weg auch anderen half. Die Könige kümmerten sich seit vierzehn Jahren nicht mehr um Räuber. Seitdem das Amazonendorf damals fiel und sie wieder ihrer Leidenschaft nachgehen konnten.

Den Krieg gegeneinander und die Erweiterung ihrer Reiche, egal wie viele Menschen auf den Schlachtfeldern starben oder wie das Volk schrie. Schwächer als noch vor 14 Jahren.

Nach dieser kühlen Reinigung zog sie wieder Eros Hemd an. Zuletzt riss sie ihr Kleid in Stücke, sodass sie nur noch den Rock hatte, den sie mit einem Knoten um ihre Hüfte band. Damit verringerte sich zwar die Länge um ein paar Finger aber es würde halten, bis sie in die Schule kamen und in ihr Zimmer.

Ihr Blick wanderte zum Himmel.

Es wurde Zeit. Sie mussten weiter. In wenigen Stunden ging die Sonne unter. Bis dahin mussten sie einen Platz für ihr Lager gefunden haben.

 

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Nicht weit von ihrem ersten Halt entfernt fand sich eine kleine Lichtung mitten im Wald. Genau hier, wo auch der Quell des kleinen Baches entsprang. Zwischen großen Blüten und saftigem Gras.

Hätte sie nicht ihr Problem mit dem Kleid, würde sie die letzten Strahlen der Sonne in einem wundervollen Rot zum Tanzen nutzen. Jetzt ließ sie sich nur auf der Wiese nieder. Ero in ihrem Rücken errichtete mit Seilen zwischen zwei Bäumen ein Zelt für sie beide.

Ihre Gäste würden die Nacht bei den Pferden verbringen müssen. Für Diebe und andere Lumpen machten sie sich keine großen Umstände und auch in der Schule befanden sich nur ein paar kleine Zellen in einem der alten Gebäude für ihre Beute.

„Elendes Pack“, entrüstete sich der Dicke lautstark über die Behandlung. Der Andere schwieg.

Alina bekam es nur am Rande mit. Sie zupfte die Blumen zu einem Strauß. Wie gerne sammelte sie in ihrer Kindheit Blumen? So in einem Strauß für ihre Mama.

Alles verging an einem schmerzlichen Tag, wie eine Blume auch irgendwann welkte. Herausgerissen aus ihrem Leben und weggeworfen. Nachdem sie Marno begegnete, hatte sie Schwierigkeiten sich ihm ganz anzuvertrauen.

In Angst, dass auch er sie alleine ließ. Dafür – dass er sie in all der Zeit nie aufgab, liebte sie ihn um so mehr als Lehrmeister und Vater.

Sie presste die Blumen ganz fest an ihre Brust.

Und egal was passierte, sie würde nie mehr zu lassen, dass man ihr einen weiteren geliebten Menschen nahm.

 

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Schon früh am nächsten Morgen machten sie sich weiter auf die Reise, mit wenigen Pausen. Damit sie und die Pferde sich ausruhen konnten. So erreichten sie schon gegen Mittag die Schule. Das weitläufige Gebiet, das ihr Vater bebaute.

Die Mitte von allem wurde zu einer Arena abgezäunt. Nur ein magerer Holzzaun, dem über die Jahre Wind und Wetter zugesetzt hatten. Die Jungs waren gerade dabei, ihn wieder zu richten.

Neben Kämpfen führte Alina manchmal Tänze dort auf. Meist entzündeten die Jungs dann Lagerfeuer, oder organisierten Schauspiele. Genauso Feierlichkeiten aller Art.

Westlich dieses Platzes lagen die Quartiere der Schüler sowie die Zellen.

Östlich, genau gegenüber der Quartiere hatte Marno sein Haus. Daneben ein paar Häuser für mögliche Gäste.

Im Norden lagen die Stallungen. Dort standen neben Alinas Schimmel Belena und Eros Rappstute Falira 15 weitere Pferde, teilweise von Alina erbeutet oder ihre Schüler brachten sie mit.

Letztendlich der Süden, wo sich das Trainingsgelände befand.

Westen, Osten und Süden mied Alina. Sie wollte keinem der Schüler begegnen, brannte aber auch nicht darauf Marno so wie sie aussah, über den Weg zu laufen. Sodass sie den Weg über die Stallungen und Weiden einschlug. Hier hielt sich um diese Zeit kaum jemand auf.

Ero ließ sie dort zurück. Er konnte sich in Ruhe um ihre Gäste, sowie die Pferde und deren Last kümmern. Sie machte sich auf in Richtung der Quartiere. Ein Komplex aus mehreren Häusern. Einige davon konnten bis zu 30 Schüler beherbergen. Die meisten von Ihnen dienten jedoch für weniger Bewohner bis hin zu einem, wie ihres.

Sie war eine von Marnos ersten Schülern. Im Laufe der Jahre hatte sich um ihre kleine Hütte eine Art Dorf gebildet, durch dass sie von Hauswand zu Hauswand schlich, nur damit sie mit dieser Bekleidung keiner sah.

Ungewöhnlich erschien ihr, dass sie ihre Vorsicht nach wenigen Schritten aufgeben konnte. Da war niemand, der ihr hinterher schrie oder sie ausspionierte.

Die Quartiere wirkten verlassen, sodass sie unbeschwert den Weg zu ihrem Haus einschlug. Niemand kam ihr dort entgegen. Bis …

„Alina!“, brüllte jemand aus Richtung des Trainingsplatzes und links von ihr. Noch ehe sie sich zu ihm umdrehte, konnte sie die Stimme einem ihrer Schüler zuordnen, der nur etwas älter als sie war. Demnach war er auch das erste Jahr an Marnos Schule und wurde dabei des Öfteren von Ero unterrichtet. Ein guter Schüler, der jetzt freudig auf sie zu rannte.

Dabei setzte sie nicht einmal ein Lächeln auf. Sie grüßte Delio wie für gewöhnlich kurz und freundlich.

„Kommst du gerade von einem Auftrag?“ Er musterte das Mädchen interessiert, das hier mit recht demoliertem Kleid und hauptsächlich bekleidet von einem Männerhemd vor ihm stand.

„Eigentlich sollte es ein Auftritt werden“, gab sie mit einem gezwungenen Lächeln zu. „Du kennst mich ja. Winkt ein nettes Kopfgeld, schaue ich, was ich kriege.“

Sein Lächeln darauf erstrahlte so hell, wie der schöne Tag.

„Und wann tanzt du wieder für uns Schüler? Ich bin nicht der Erste, der das wissen will.“

Leider musste sie ihn genau da enttäuschen.

„Bringt ihr Ero dazu, mir bei meinen Aufträgen zu helfen, veranstalte ich eine Tanzveranstaltung nur für die Schüler.“

Es änderte nichts an seiner Heiterkeit, auch wenn er zugeben musste: „Dann dürfte selbst ich nicht mehr an der Schule sein.“

Das sogar die Schüler kaum damit rechneten, Ero sei ihr irgendwann eine wirkliche Hilfe. Andererseits kannte Delio Ero sehr gut. Beide waren Freunde, sodass dieser ihm vielleicht auch anvertraute, wieso er Alina nie die Unterstützung zukommen ließ, wie sie es sich wünschte.

Delio zuckte mit den Schultern. Was er als Nächstes sagte und wie, glich einem viel zu dramatisch arrangiertem Schauspiel.

„In solch einer schnöden Welt will ich nicht leben, wo ich meiner liebsten Tänzerin nicht zuschauen darf. Da gehe ich doch mit Freuden zum Brunnen und springe hinein.“

„Ich kann ja eine Ausnahme machen“, wandte sie ein. Erhob sogar ihre Hände, nicht ohne ein helles Lachen. „Extra für dich, gebe ich eine private Vorführung.“

„Das muss ich gleich den Anderen sagen“, jubelte er. „Dann lerne ich auf die Art das Innere unseres Brunnens kennen. Aus Neid hinein gestoßen.“

Ein Stück begleitete er Alina zu ihrem Quartier.

Delio war ein lieber Junge, der sie seit seiner Ankunft gerne auf sich aufmerksam machte. Doch leider färbte das Training bei Ero manchmal auf ihn ab, sodass auch er zu dem ein oder anderen Spruch griff, um sie zu necken.

Obwohl er dieses Mal ganz brav war.

„Wo stecken die anderen?“, erkundigte sich das Mädchen. „Hat Marno wieder seine Aufträge verteilt?“

Delio nickte, warf mit seinem Grinsen aber mehr Fragen auf, statt sie zu beantworten.

„Marno hat alle, die schon über das dritte Jahr hinaus sind, mit einer Spezialaufgabe bedacht.“

„Sag! Womit quält der alte Mann die Jungs jetzt schon wieder?“ Es rutschte ihr einfach heraus und Marno wäre wütend auf seine Tochter, würde er sie so reden hören. In jüngeren Jahren hätte sie für ihre freche Zunge sogar eine schallende Ohrfeige bekommen.

Aber es stimmte.

Alina kannte ihren Vater sehr gut. Besonders seine Spezialaufträge, wie er sie selbst betitelte. In ihrer Kindheit hatte sie selbst darunter leiden müssen.

Jage einen Sonntagsbraten für die Schule, hieß es. Fang mir was Saftiges, damit ich mir den Bauch vollschlagen kann, meinte er wirklich. Sowie so mancher der Schüler ihm ein Rendezvous verschaffen sollte. Wobei da Alina ganz erfolgreich war.

Ein süßes kleines Mädchen. Wusste die betreffende Dame nicht, dass Marno sie nur aufgenommen hatte, er somit nicht ihr leiblicher Vater war, hoffte diese auf ein Treffen mit einem außerordentlich grazilen Mann. Ganz und gar nicht das, was dieser Schuft Marno war.

„Ein paar Bauern kamen heute früh zur Schule“, berichtete ihr der Junge. „Wilddiebe haben ihre Tiere gestohlen und die Umzäunungen, sowie die Ställe kaputt gemacht. Er, hilfsbereit wie immer, hat fast alle Schüler losgeschickt, die Schäden zu beseitigen.“

„Und nebenbei sollen sie schauen, ob sie die Wilddiebe finden, in der Hoffnung, es hat jemand ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt.“ Alina prustete los.

Wenn dem so wäre, konnte sie sich auf wenig freie Tage freuen.

„Er meint, so etwas müssen sie auch lernen.“

Damit war nicht von den Wilddieben die Rede.

„Sollte ein Zaun einer Erneuerung bedürfen, oder irgendeine andere Sache auf dem Hof schief gehen, ist es zu raten Marnos Schüler zu rufen!“ Dabei stellte sie sich vor Delio auf, auch wenn von ihrem Ernst nichts mehr geblieben war. „Der Alte muss früher zu oft eine mit dem Schwert übergezogen bekommen haben aber er hat auch recht. Die Bauern können am wenigsten für diesen Krieg. Ist bei ihnen etwas kaputt, können die Jungs ruhig mit anpacken. So bleibt ihnen auch das Mitgefühl mit anderen erhalten.“

Nicht so wie manche der Soldaten, denen egal schien, was aus den Bauern wurde. Sie plünderten, mordeten und taten vieles mehr, wovor Marno seine Schüler bewahren wollte. Sie sollten keine solchen Monster werden.

Erst an der Tür zu ihrem Quartier blieben beide stehen.

„Wo ist der Rest unserer Schüler?“, erkundigte sie sich bei Delio.

„Beim Training“, antwortete er ihr. „Marno sagt, die einen können arbeiten, wir anderen sollen trainieren.“

„Und als Tochter unseres geliebten Lehrers Marno frage ich dich jetzt, wieso du nicht beim Training bist!“ Dabei erhob sie in gespielter Strenge ihren Finger, ohne dass es etwas an seinem Lächeln änderte. Er begann sogar, ihr sein frechstes Grinsen entgegen zu strecken.

„Oh süße Alina“, säuselte er mit honigsüßer aber auch provozierender Stimme. „Als du heute Morgen zum Himmel sahst und die Sonne dein süßes Lächeln erblickte, musst du ihr so gefallen haben, dass sie uns mit ihren Strahlen belohnt.“

Er machte eine kurze Pause. Dabei trat er sogar einen Schritt von ihr zurück und noch einen weiteren, beim Weitersprechen, bis er an der Wand eines der anderen Häuser angelangte.

„Und dank dieser wirklich sehr freizügigen Kombination dankt sie uns dafür mit einer Hitze, die selbst in der Hölle für Wärme sorgen muss. Jeder schreit nach Wasser und ich bin der arme Wasserträger.“

„Wirst du wohl aufhören mit Ero zu trainieren!“, befahl sie ihn jetzt mit ihrer echten Strenge. „Der hat dich netten Jungen zu einen genauso vorlauten Kerl erzogen, wie er einer ist.“

Delio lachte heiter wie der Tag auf.

Er hatte wirklich nicht nur die Schwertkunst von Ero gelernt. Dabei dachte man nicht einmal daran, der schmächtige Junge würde einen kräftigen Beidhänder sehr gut schwingen.

Alina erinnerte sich, wie er erst vor ein paar Monaten hierher kam. Ein scheuer Junge, der in der Masse vollkommen unterging. Erst Ero hatte ihn dort herausgerissen und an seinem Talent gefeilt. Darüber nahm er jetzt ein paar Züge seines Lehrers an.

„Übrigens“, rief Delio.

Noch ehe er weiter sprach, entfernte er sich langsam von ihr, in die Richtung wo der Brunnen stand, nahe der Koppeln. Ein zweiter befand sich innerhalb der Quartiere, dieser führte aber seit letztem Jahr kein Wasser mehr.

„Marno hat mir aufgetragen, dir ein Bad einzulassen. Er hat damit gerechnet, dass ihr bald hier sein werdet. Deine Tür ist noch offen und du kannst sofort hineinspringen.“

Alina sah ihn verirrt an und Delio stoppte einen Moment.

„Der Alte verwöhnt sein kleines Töchterchen, wo er nur kann, dafür, dass er behauptet keinen Unterschied zu seinen anderen Schülern zu machen“, rief er ihr laut zu und verschwand dann auch schon hinter einem der Häuser.

Zu ihrem Haus gab es nur zwei Schlüssel. Einen besaß sie, den anderen verwahrte ihr Vater.

Als einziges Mädchen hier, galt ihr das Interesse vieler Jungs. Sodass sie sofort abschloss, nachdem sie eingetreten war. Danach zog sie ihre Vorhänge zu.

Ihr Häuschen, das aus einer Schlafkammer und diesem Raum bestand, wirkte schon von außen durch den hellen Stoff anders.

Ihre Schlafkammer wurde sehr gemütlich eingerichtet. Direkt an der Wand unter dem Fenster stand ein weiches Bett, ganz anders als die Liegen, auf denen ihre Schüler und sogar Ero ruhen mussten. Darüber wurden einige Geflechte aus trockenen Blumen angebracht.

Links und rechts vom Bett zog sich ein Regal bis hoch zur Decke. Dreieckig schmiegte es sich hinein und bot einigem Platz. Skulpturen aber auch Puppen standen hier angerichtet. In Dankbarkeit geschenkt.

Genau gegenüber dem Bett zog sich eine lange Linie aus Truhen und Schränken entlang. Platz für all ihre Kleider, auch wenn deren Anzahl in der letzten Zeit eher schrumpfte. Ganz mit der Tür abschließend, die hier an der Wand entlang zum anderen Zimmer führte.

Daneben, aber noch in der Schlafkammer, war ein prächtiger und großer Spiegel aufgestellt.

Damit erdrückte einen das kleine Zimmer fast, ganz anders wie im größeren, zweiten Raum.

In der Ecke, gegenüber der Eingangstür wartete die gusseiserne Wanne auf sie. Die Wand dahinter erstreckte sich in trostlosem Grau, ohne Fenster. In den kühleren Jahreszeiten brannte im Kamin daran ein prasselndes Feuer, wo jetzt nur Leere herrschte. Abends entzündete sie ihre beiden Leuchter rechts und links davon.

Wie im Nebenraum standen auch hier Truhen und Schränke. Nicht so drängend wie dort, eher spärlich. Kurz vor dem Ausgang stand ein Tisch sowie mehrere Stühle.

Eigentlich dachte Alina noch nicht einmal daran ihn zu schmücken, jetzt zog sich eine Girlande über die Tischdecke. Große Sommerblumen verströmten eine leichte Süße im Raum, gleich einem zarten Willkommenskuss.

Genau, wie auf dem Schemel zu ihrer Badewanne ein üppiger Strauß Blumen erblühte.

Wer wohl dieser Engel sein mochte, der sie mit diesem Geschenk verwöhnte?

Eros Vater Beldor übersandt ihr öfters Geschenke, genau wie er es auch war, der ihr Zimmer einst eingerichtet hatte. Immerhin sollte die zukünftige Verlobte alles haben, was sie brauchte. Im Gegensatz zu seinem eigenen Sohn, der sich mit ein paar anderen Schülern ein Zimmer teilte.

Oder war es Delio, der ihr dieses Geschenk bereitete?

Zuerst schlüpfte sie aus Eros Hemd. Sie ließ es auf einen der Stühle fallen. Als nächstes das Kleid. Oder eher der blutgetränkte Stoff, den sie noch immer trug. Ihr letztes schönes Kleid blieb einfach auf dem Boden liegen. Später würde sie es wegschaffen.

Sie mochte eine junge Frau sein, mit Nadel und Faden, oder welche abenteuerlichen Materialien es noch bedurfte, dieses Kleid wiederherzustellen, konnte sie nicht umgehen. Alina kannte nur den Kampf mit dem Schwert oder ihren Dolchen.

Ihr blieb nur Marno, keine Frau im Leben.

Für einen Moment streifte ihr Körper den Spiegel. Alina sah nicht hin, wusste aber was das Bild zeigen würde.

Ein Mädchen so schön wie der Morgen. Mit samtener Haut, die von jeder Narbe verschont blieb. Niemand sah in ihr eine ernst zunehmende Gefahr, ein Irrtum.

Ihre Bewegungen waren schnell, ihre zarten Hände nahmen schon so manchem das Leben.

Jetzt öffnete sie damit den Kranz aus Haar um ihren Kopf, dass die Locken in einer Mähne, ungezügelt und wild auf die Schultern vielen. Die Farbe von wildem Honig, dass sie oft mit Blumen schmückte.

Das Gesicht mit zarten Konturen gaukelte ihr im Spiegel jetzt noch öfters vor, sie könnte ihre Mutter erblicken. Dabei wusste sie nicht einmal, ob sie sich nur täuschte, oder sie ihrer Mutter wirklich ähnlich sah. Die in ihren Erinnerungen immer lächelte, obwohl sie solch einen frühen Tod gefunden hatte.

Von ihrem Vater wusste Alina nichts, genauso wie sie sich auch nicht an die Stimme ihrer Mutter erinnerte oder was für ein Mensch sie war.

Alles lag schon so viele Jahre hinter ihr. Sie war auch noch ganz klein, als sie zu Marno kam.

Klar, er hätte diese Last weggeben können, das wussten beide. Und doch konnte er sich nicht von dem Mädchen trennen. Genau, wie sie glücklich war, ihn zum Vater zu nennen.

Marno liebte sie wie sein eigenes Kind und er würde sie auch noch an den Altar und darüber hinaus begleiten, so wie er es sich wünschte.

Dabei konnte sie nichts dazu bringen ihn oder die Schule zu verlassen.

Alina stieg in die Wanne. Das kühle Wasser umspielte ihren Körper mit lauter kleinen Wellen, während sie in dieses Kühle ganz hinabtauchte. Wenig später stieß ihr Kopf wieder an die Oberfläche. Ein Stöhnen verließ ihre Kehle.

Genießerisch schloss Alina die Augen.

 

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Kapitel 8



Für einen Moment sah Ero der Freundin nach, wie sie sich vorsichtig zu ihrem Quartier aufmachte. Dabei hing die stumme Frage zwischen ihnen, wieso er ihr nicht half.

Ihr zierlicher Körper machte sie jedem Mann unterlegen. Außerdem wäre sie seine Verlobte, wenn es nach seinem Vater, Marno und ja sogar ihm ginge. Er müsste sie also vor jedem und allem beschützte. In ihm brannte sogar das Verlangen sie von allem fernzuhalten, was ihr schaden könnte. Genauso wusste er, dass Alina es nicht wollen würde, genau, wie sie ihn nie anders sehen würde.

In ihm sah sie nur einen Freund, nicht den Jungen, der schon seit Jahren heimlich in sie verliebt war.

Dabei hatte er schon ein Geschenk anfertigen lassen, falls er es jemals wagen sollte, sie ernsthaft zu fragen.

Ob sie einen verzogenen adeligen Sohn zu ihrem Ehemann erwählen könnte.

Und ein Teil genoss sogar die kleinen Neckereien zwischen ihnen. Wenn sie so wie heute vor ihn trat. Wütend über sein fernbleiben, verschwitzt vom harten Kampf aber auch stolz auf ihre Fähigkeiten.

Außerdem konnte Alina ein hinterhältiges Biest sein. Sie wusste, wie sie ihre Unterlegenheit ausgleichen konnte. Ob durch Alkohol oder wie gestern in einer anderen Ablenkung.

Doch sollte sie wirklich in Schwierigkeiten geraten, wäre er für sie da.

Obwohl ihm dies eher unwahrscheinlich erschien. Alina könnte eine bessere Kämpferin sein, als sie es vorgab. Immerhin hatte sie es in ihrer Kindheit einem arroganten Bübchen oft genug gezeigt. Seit ihrem letzten ernsthaften Kampf vergingen Jahre. Jetzt fehlte ihr das Training, um ihr einstiges Können zurückzugewinnen.

Ero hob zuerst die obere Stange an und legte sie neben sich. Danach die Zweite, bis der Eingang zur Koppel offen lag. Kurz darauf trieb er die Pferde hinein. Dabei störte noch nicht einmal, dass sie noch immer ihre Last trugen. Er würde sie ihnen später abnehmen.

Nur die beiden Anführer, ihre große Beute behielt er bei sich.

Die Schule besaß mehrere Koppeln. Einige für ihre eigenen Pferde, eine weitere für Gastpferde. So wurden Probleme vorgebeugt, die ein fremdes Pferd in der Gruppe hervorrufen könnte.

„Hey Junge!“, rief einer der Räuber, noch während Ero das Gatter wieder verschloss.

Der Dicke kam ihm dabei so nah, dass er Ero seinen stinkenden Atem ins Gesicht blies.

Mit Handwedeln versuchte er den fauligen Gestank zu vertreiben, ohne dass es half. Mit Grauen dachte er daran, was dieser Typ wohl vorgehabt hätte, wäre seine hübsche Freundin wirklich nur eine kleine Tänzerin, nicht die elegante Kopfgeldjägerin, mit der er aufwuchs.

Ein Schicksal, das er weder ihr noch einem anderen Mädchen wünschte.

Das Problem war auch nicht diese Schwabbelbacke, sondern der zweite Anführer. Dieser groß gewachsene Typ, den selbst Ero nur unter Waffengewalt dazu brachte zu laufen.

Er hätte Alina Probleme bereiten können, wenn sie es nicht auf andere Art geschafft hätte, ihn zu überwältigen.

„Was hältst du von einem Vorschlag?“ Kaum war der Gestank verflogen, öffnete der Dicke auch schon wieder seinen Mund.

Ero musste sich ganz besonders beherrschen, die erweckte Aufmerksamkeit aufrecht zu halten, obwohl ihm nach so vielen anderen Dingen eher der Sinn stand. Wie diesem Fettkloß seine Lippen zusammenzunähen.

„Was für einer?“, fragte er wider seinem Wunsch.

„Mir gehört ein riesiger Schatz.“ In einem breiten Grinsen verzog er seine Fratze. Die Augen verengten sich zu einem verschwörerischen Blick, in Annahme, der Junge hätte den Köder geschluckt. „Er liegt versteckt. Aber wenn du mich losbindest, verrate ich dir den Platz. Was hältst du davon? Gold, Juwelen, genug um dreißig dieser billigen Flittchen zu bezahlen, wie der, der du hinterher hechelst.“

Schon alleine die Beleidigung gegenüber Alina schrie danach, dass Ero seinem Vater bei diesem Kerl die leidige Pflicht abnahm, ihn richten zu müssen.

„Wo ist dein Schatz?“, fragte er dennoch und wandte all seine Aufmerksamkeit auf den Dicken. Die Klinge seines Schwertes hob sich unter seinem Griff ein Stück nach oben, sodass sie im Licht der Sonne aufleuchtete. „Was soll ich mit einem Schatz, der womöglich im Nachbarland liegt. Dafür lohnt die Reise nicht einmal.“

Für den Räuber erschien der Junge auf dessen Seite, sodass er fröhlich weiter plauderte.

„Oh, wie sich das lohnt“, rief er. „Aber ihr müsst nicht so weit reisen. Ich habe die Wagen in der Nähe abgestellt, nicht einmal einen halben Tagesweg von dem Lager entfernt. Für weitere Informationen musst du mich losbinden.“

Unter dem zürnenden Blick des anderen Räubers drehte er seinen verschwitzten Rücken Ero zu, mit der stummen Aufforderung, er möge ihn befreien.

Das Schwert fuhr wieder zurück in die Scheide.

„Ich weiß nichts, mit einem mickrigen Schatz anzufangen“, rief er mit der erhabenen Stimme seiner Abstammung.

„Mein Schatz ist nicht mickrig“, rief der verwirrte Mann. „Ganz sicher nicht. Ich habe Jahre gebraucht, ihn Idioten wie dem abzunehmen.“

Das würde ein Spaß werden, die beiden zusammen in eine Zelle zu sperren. Der Dicke deutete direkt auf den großen Kerl neben sich.

„Deinen Schatz brauche ich ganz sicher nicht“, sagte Ero, worauf der Mann neben ihm ein paar Schritte zurückwich.

Auf sein Zeichen hin trabte eine schöne Rappstute zu ihm. Seine Falira. Mit wenig Druck brachte er sein gehorsames Mädchen dazu sich zu drehen, dass beide gut ihr Brandzeichen auf den linken Hinterschenkel erkennen konnte. Die angedeutete Rose, die aus einem B entsprang.

Das Zeichen einer exquisiten Zuchtlinie. Kräftige Sprinter und edle Kutschtiere.

Die Zähne des Dicken rieben laut aufeinander, als er das Zeichen des Mannes erkannte, dem er bald im Gerichtsaal gegenüberstehen würde und dessen Richtblock auf ihn wartete.

„Ich stamme aus Miro und euch scheint mein Name entgangen zu sein. Meinen Vater werdet ihr sehr bald selbst begegnen.“

„Verflixter Bastard!“, schrie der Dicke auf. Sofort sprang er auf Ero zu.

Auch wenn seine Hände gefesselt waren, besaß er immer noch Zähne, die er beabsichtigte in seiner Wut dem Jungen ins Fleisch zu schlagen.

Ero stieß sich von seinem Ross ab und sprang nach rechts, wo er in einer Rolle auf dem Boden wegeilte. Noch ehe der Mann erahnte, was jetzt folgte, war der Junge auch schon wieder auf den Beinen und setzte zu einem kräftigen Sprung an.

Der Schlag mit seinem Ellenbogen mitten ins Gesicht dieses Typen fühlte sich so gut an.

Der Mann unter ihm keuchte auf. Er sank zu Boden und spuckte nicht nur Blut aus, sondern auch zwei seiner Zähne.

„Wenn ich nur könnte“, knurrte der Dicke und spuckte dabei ein weiteres Mal sein Blut aus. „Dann …“

Ero konnte das egal sein.

Er packte die Stricke der beiden und zog sie nach Lob seiner braven Stute hinter sich her.

 

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Der Dicke wagte es nicht noch einmal, Ero anzugreifen. Selbst jetzt, wo er ihn in die Zellen sperrte, floss noch ein feines Rinnsal seinen Mundwinkel entlang. Und Ero schwor sich, würde dieser Kerl noch einmal seinen Mund aufmachen, um ihn oder Alina zu beleidigen, würde er beide Männer in eine Zelle sperren.

Dieser große Schweigsame brannte darauf, den Mann in die Finger zu bekommen, mit dem er sich beinah verbündet hätte. Der ihn ausnehmen wollte und am Tod seiner Kameraden Schuld trug.

So löste er beiden hinter der verschlossenen Zellentür ihre Fesseln. Jeder in einem Bereich für sich, getrennt durch eine leere Zelle.

Nachdem er die Tür geschlossen hatte, hörte er das Gewitter von Stimmen. Beschimpfungen wüster Art. Jeder gegen jeden.

Ero achtete nicht darauf, er wollte es nicht hören, sondern zog sich zurück. Immerhin lag eine weitere Aufgabe vor ihm, bei der er sich wohl so einsam fühlen würde, wie seine Freundin bei ihrem Auftrag.

Er musste die Last von den Pferden nehmen und diese dann ins Lager bringen. Später sollte der alte Marno selbst aussortieren, was er für den Unterricht behalten wollte.

Ero kam gerade an den Koppeln an, als sein Name vom Brunnen aus gerufen wurde. Es war Delio, der zu ihm eilte.

Wenn man das denn eilen nennen konnte.

Über seine Schultern trug Delio ein Stück Holz, an dessen Enden zwei Einkerbungen waren. Genau passend für die Henkel von zwei Eimern, die er jeweils rechts und links darüber trug.

Der schmächtige Junge trug schwer unter seiner erdrückenden Last. Bei jedem seiner Schritte schwappte ein kleiner Schluck Wasser über die Ränder der Eimer und tränkte dabei den trockenen Boden. Sodass man seine Spur gut zum Brunnen zurückverfolgen konnte.

Am Rand der Eimer hingen insgesamt drei Schöpfkellen, die unter seinen Bewegungen hin und her schwangen. Eine viel zu starke Bewegung würde ausreichen, sie herunterfallen zu lassen.

Erst nachdem Delio zu ihm gekommen war, ließ er seine Last unsanft auf den Boden sinken. Unter seiner Hast schwappte ein großer Schluck des Wassers über den Rand zu seinen Füßen.

„Marno ruft ‚Hol die Schwerter!‘ und ich muss die Schwerter holen; Marno sagt ‚Hol Wasser!‘ und ich muss Wasser holen“, beschwerte sich der Junge keuchend vor Anstrengung.

„Diese Ehre hatte ich früher.“ Man konnte es nicht einmal einen Aufmunterungsversuch nennen. Eros Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Er genoss es diese Aufgabe jetzt an andere weiter zu geben.

„Ich weiß!“ Delio nickte, während Eros Lächeln in Verwirrung zersprang.

„Woher?“

„Alina!“, lautete die knappe Antwort. „Sie hat öfters erwähnt, dass dich Marno extra als Laufburschen hielt, weil du so ein richtig kleines verzogenes, reiches und verwöhntes Bürschchen warst.“ Er machte eine kurze Pause, in die er dann in schallendes Gelächter losbrach. „Nun ja, ich sage dir lieber nicht, wie sie dich sonst genannt hat.“

„Ich kann es mir denken“, schnaubte Ero auf.

Alina war ein süßes Mädchen, das einige Dinge in ein richtiges Biest verwandeln konnten, darunter auch Eros Name. Manchmal fragte er sich, wieso er sie überall wo jemand schlecht über seine Kameradin sprach, wie auch vor den beiden Räubern verteidigte.

Aber Ero musste zugeben, dass er es zwar hasste, doch genauso auch liebte. Ohne diese ganzen Streitereien wäre ihre Freundschaft nicht das, was sie war.

Ero griff zu einer der Schöpfkellen. Er füllte sie mit dem kühlen Brunnenwasser und nahm diese an seinen Mund. Es war einfach nur ein schönes Gefühl, wie das kühle Wasser an diesem heißen Tag in seinen Mund stürzte. Damit legte sich ein lindernder Film über den brennenden Durst in seiner Kehle.

Eine weitere Kelle mit Brunnenwasser nahm er diesmal nicht an die Lippen, er stürzte sie über seinen Kopf. Das kühle Wasser benässte sein struppiges Haar und lief von da aus auf seine Schultern, die nackte Brust entlang, bis es von seiner schmutzigen Hose aufgesogen wurde.

„Wundervoll!“, rief er genießend. „Du kommst genau richtig.“

„Und du weißt, dass wir einen weiteren Eimer am Brunnen haben, solltest du dich nach einer Dusche sehnen, kannst du diesen nutzen“, ermahnte Delio den Freund streng.

Wieder wollte Ero eine Schöpfkelle voll Wasser nehmen. Doch diesmal stellte sich Delio in den Weg.

Mit einem verschmitzten Grinsen stand er vor ihm.

„Oder frag Alina. Vielleicht kannst du zu ihr in die Badewanne steigen.“ Lüstern wirkte der Kerl beim Gedanken an die hübsche Blondine, die alleine in ihrer kleinen Hütte saß. Dabei zeigte er offensichtlich, wie bildlich er es sich vorstellte.

„So ist es richtig!“ Ero schnaubte auf. „In der Nähe der Herzensdame so charmant wie möglich und hinter ihrem Rücken solche Worte.“

„Komm schon Ero!“, forderte Delio ihn auf. „Jetzt sei ehrlich, selbst du würdest dich gerne in solch einer Situation zu ihr schleichen.“

„Nein!“, sagte er und musste sich insgeheim eingestehen, dass seine wahre Antwort eine andere wäre.

Sein Anstand verbat ihn, an solch eine Möglichkeit zu denken. Außerdem sah er in Alina nicht nur das körperlich anziehende Mädchen, sondern charakterlich faszinierte sie ihn. Selbst wenn sie es liebte, ihn zu necken.

„Ach ich bitte dich! Nenn mir den Jungen hier, der nicht gerne ihre ganze Aufmerksamkeit hätte!“

„Marno!“, warf Ero vollen Ernstes ein. Immerhin wusste er um das Buhlen der Jungs, um die schöne Tochter ihres Lehrers. Einige versuchten, sie mit kleinen Geschenken zu bezirzen. Zu seinem Glück fasste sie das bisher nicht als sehr ernst auf.

„Der ist auch ihr Vater“, warf Delio schmollend ein.

Leider nicht, fügte Ero stumm an.

Er kannte als einer der wenigen die Wahrheit. Keiner der Schüler erfuhr sonst davon, das Marno nicht ihr richtiger Vater war. Nicht einmal beide Könige wussten davon. Es würde zu viele Fragen aufwerfen. Ein Kind, das zur gleichen Zeit an der Grenze Miros auftauchte, wie der Krieg mit den Amazonen dauerte.

Ero wurde auch anvertraut, dass ihre beiden Eltern schon lange tot waren.

Der Amazonenkrieg – so nannte der Volksmund die Zeit, in der Nette herrschte, bis zu ihrem ehrenvollen Tod. Viele Gerüchte rankten sich darum, vielleicht von den Amazonen verbreitet.

Über beide Geschwister Nette und Nerre sowie das Kind der Amazonenkönigin.

Ein blondes Mädchen, das zu dieser Zeit einsam und verlassen in Miro auftauchte. Das konnte seiner hübschen Gefährtin den schlanken Hals kosten.

Alina ist Nala, ging es Ero durch den Kopf. Davon war sein Vater überzeugt. Er sah in ihr diese kleine Amazonenprinzessin, die sich einst, wenn auch nur für kurz, in ihrer Gesellschaft befand. Und diese Überzeugung war es auch, weswegen der Richter beide gerne vor dem Traualtar gesehen hätte.

Ero entging, wie sich ein Lächeln auf seine Lippen schlich.

Das ist Schwachsinn!, sagte er sich. Alina war Alina und sicher nicht diese Nala. Wer wusste schon, ob die Amazonenprinzessin überhaupt noch am Leben war.

Er selbst erinnerte sich noch an die Tage vor all den Jahren. Mit der großen Amazone Marli. Sie behandelte ihn gut und dann war da dieses süße kleine Kind mit den honigfarbenen Locken, das ein Ebenbild ihrer stolzen Mutter hätte werden können. Der großen Amazonenkönigin Nette.

Um dieses Kind zu retten, nahm Marli ihn als ihre Geisel. So floh sie mit beiden Kindern. Erst begleitet von einigen Amazonen, die zurückblieben, um die Häscher von der Spur ihrer Kameradin abzubringen.

Erst nahe einem Wald hielt sie an.

Ero wollte stark sein, ganz der große Krieger, wie er es sich damals wünschte. Er durfte somit keine Angst zeigen. Nicht mal vor dem großen Kampfross, das ihn aus seinen flammenden Augen ansah.

Also nickte er, bei der Frage von Marli, ob er denn klarkäme. Immerhin konnte er reiten, sein Vater hatte es ihm beigebracht. Auf ihren gehorsamen und edlen Tieren.

Diese Bestie schaffte es, ihn kurz nach dem Aufsteigen vom Rücken zu werfen. Dann trabte das Ross fröhlich und ohne ihn davon. Somit blieb Ero alleine.

Ziellos streifte er nah der Landesgrenze umher. Drei Tage und drei Nächte. Erst danach traf er wieder auf einen Menschen. Einen Bauer, der ihn gleich als Sohn eines Adeligen erkannte.

Statt den Jungen sofort zur Burg Telja zu bringen, wo seine Mutter für seine unbeschadete Rückkehr betete, wurde bloß einer der Söhne losgeschickt. Ero durfte dafür seine Unterkunft dort mit undankbarer Feldarbeit ableisten.

Als ihn sein Vater letztendlich fünf Tage später abholte, hatte er nur ein Grinsen für die abenteuerliche Geschichte seines jungen Sohnes übrig. Zu allem Überfluss ließ er dem Bauern noch einen stattlichen Betrag dort.

Heute wusste er, wie gefährlich es für einen der Söhne des obersten Richters von Ylora werden konnte. Nicht erst, seit es ihnen Jos so furchtbar vorführte.

Er war dankbar von diesem Bauern aufgenommen worden zu sein, der sicher für seine Heimkunft sorgte.

Damals hatte er nur die unreifen Worte eines verzogenen Bengels für den guten Mann übrig, der ihn in seinen Augen so böse behandelte.

„Ist irgendetwas lustig?“ Delio erkundete das Grinsen des Freundes.

„Nun ja, du hast Alina doch gesehen“, lenkte er weg von seinen Gedanken. „Ich habe ihr mein Hemd nicht aus Spaß gegeben.“

Delio horchte auf und vermutete vielleicht sogar, was jetzt kam würde sämtliche Hoffnung zerstören. Das Mädchen sei für Werben verloren. Beide hätten zueinandergefunden und noch Weiteres.

Da konnte ihn Ero beruhigen.

„Unsere hübsche Kopfgeldjägerin kam so von einem Auftrag zurück. Hätte ich ihr in der Not geholfen, vielleicht wäre ich zum richtigen Zeitpunkt auch dort gewesen. Ganz der ehrbare Junge, der ich nun mal bin, habe ich ihr mein Hemd überlassen.“

„Ero, du bist ein Idiot!“ Delio klopfte ihm mit festem Schlag auf den Rücken. „Solch eine Gelegenheit kommt kein zweites Mal.“

„Würde es nach meinem Vater gehen, wären wir schon längst vermählt.“ Sein Mundwinkel zuckte.

Schon so lange wünschte er sich seine Arme um sie zu schlingen, ihr einfach nah zu sein. Nicht als Freund, sondern Geliebter.

Ein Wunsch, den er weder vor seiner Familie, noch den Jungs und schon gar nicht Alina bekunden würde. Besonders sie durfte nichts von seinen Gefühlen erfahren.

Vielleicht vermochte diese Wahrheit sogar, alles zwischen ihnen zu zerstören. Diese wundervolle Freundschaft, die sie sich all die Jahre bewahrten.

„Alina ist also in ihrem Quartier.“

Delio nickte.

„Tür verschlossen, Vorhänge zugezogen.“ Ero kam nicht umher, das Bedauern aus seiner Stimme zu vernehmen.

„Du geh an deine Arbeit, ich schaue, ob sie mir schon verziehen hat.“

Delio nahm wieder seine Last auf, kurz darauf verschwand er in Richtung der Trainingsplätze.

Ero kraulte noch eine Weile die Stirn seiner Stute. Dann kümmerte er sich um die Last der Räuberpferde. Erst danach lief er zu Alinas Quartier.

Das Mädchen war gut darin beraten, ihr Zimmer immer abzuschießen. Manche der Schüler traten scheu an sie heran oder deuteten nur hinter ihrem Rücken eine Faszination für die Tochter ihres Lehrers an. Doch ein paar reichte das nicht. Von denen ging durchaus eine gewisse Gefahr aus.

Dabei gab es an der Schule eine Regel, die über vielen anderen Leitsätzen des alten Marno stand. Jeder hatte die Pfoten von seiner Tochter zu lassen. Wer Alina zu aufdringlich wurde, der musste die Schule verlassen.

Ero erreichte ihre Tür. Ein zaghaftes Klopfen daran, auf das keine Reaktion kam.

Innerlich bereitete sich schon alles in ihm auf einen erneuten Wutanfall von ihr vor, heftiger sogar als der am letzten Tag. Dennoch konnte nichts ihn davor bewahren, dass er seine Lippen anfeuchtete.

Ein Grinsen schmückte sein hübsches Gesicht, dann rief er auch schon nach seiner Freundin.

 

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Ihr Kopf lag auf dem metallenen Untergrund. Und auch wenn es nicht gemütlich war, holte sie ein kleiner Schlaf ein. Sodass sie das erste Klopfen kaum wahrnahm.

Unvorbereitet dagegen traf sie die laute Stimme.

Eindeutig Ero, auf eine recht ungenierte, sogar dreiste Art.

„Meine holde Verlobte ist doch nicht etwa schon zur Meermaid geworden?“

Alina schreckte aus ihrem Schlummer hinauf. Dabei vergaß sie ganz, wo sie sich befand. Nicht im warmen, weichen Bett, sondern der gefüllten Wanne.

Ihre Füße rutschten am glatten Boden aus. Ihre Hände ruderten in der Luft, hoffend etwas zu greifen während ihres Falles. Als Nächstes spürte sie den heftigen Schmerz im Hinterkopf. Sie schlug mit dem Hinterkopf auf dem Rand auf.

Ein Schrei löste sich noch aus ihrer Kehle, wurde aber sofort im Wasser erstickt, in das sie mit Schwung hineinglitt. Erst auf dem Boden kam sie zum Stoppen.

Kühles Wasser stürzte ihre Kehle hinab und entlud sich mit der Kraft einer splitternden Explosion in den Lungen des Mädchens.

Der Junge lauschte an der Tür. Er konnte zwar das Donnern eines Schlages hören aber ohne den zuzuordnen.

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich besorgt.

Alina stieß wieder an die Oberfläche hinauf, bis sie sich halb über den Rand gehievt hatte.

Wasser schwappte darüber, ergoss sich unter der Wanne und floss in den Raum.

In einem Hustenanfall würgte sie das geschluckte Wasser aus ihrer Kehle heraus, ohne das Brennen zu lindern. Genau so sah es auch an ihrem Kopf aus.

„Au, au, au“, drang es keuchend aus ihrer Kehle. „Nichts ist in Ordnung!“, stieß sie kurz darauf energischer aus. „Ero du Idiot!“

Ihre Faust schlug klatschend auf der Wasseroberfläche auf.

„Mistkerl!“, stieß sie ihm einen weiteren Fluch entgegen.

Meermaid, so hatte er es genannt. Tatsächlich konnte sie ihm damit das Gegenteil beweisen.

„Dann ist ja gut“, rief er mit einer so ungerührten Stimme, dass es Alina fast egal war, hier nackt zu sitzen. Am liebsten wäre sie hinausgerannt, hätte diesen elenden Hund gepackt. Dann würde sie ihn hier hinein schleifen und im Wasser ertränken.

Verdient hätte er es, fand sie.

„Du lebst ja noch und ich dachte, ich müsste dir zu Hilfe eilen.“

„Wie gut, dass du nicht solch ein Held bist!“, giftete sie auch schon los.

Mit ihrer Hand näherte sie sich tastend der Wunde an ihrem Kopf. Ein Schmerz fuhr hinein, kaum das sie diese berührt hatte.

„Verdammt!“, entfuhr es ihr.

Nahe der Wanne lag auf einem der Schränke ein großes Tuch. Es war eigentlich dazu gedacht, damit ihren Körper zu trocknen. Jetzt schlang sie es um sich. Ero bekam an diesem und den gestrigen Tag schon mehr zu sehen, sodass sie sich nicht scheute, ihre Tür aufzuschließen und diese einen Spalt zu öffnen.

„Einen solch netten Anblick hätte ich nicht erwartet!“ Der Junge lachte sie an.

Normalerweise würde sie dafür auf ihre Art kontern. Stattdessen kehrte sie ihm den Rücken zu und ging durch das Zimmer in ihrem Schlafraum.

Ero trat vorsichtig ein.

„Ist alles in Ordnung?“

Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb dann auf der Wanne liegen. Auf dem dunklen Rand konnte man wenige Blutstropfen erkennen, wo ihr Kopf dagegen schlug.

„Was ist geschehen?“, wollte er jetzt wissen. Drängender; besorgter. Es besaß einen ungewohnten Klang in ihren Ohren.

„Deine Begrüßung hat mir gezeigt, wie hart meine Badewanne ist.“ Sie wollte schon abwinken, was für eine Lappalie es sei, da schob Eros Hand eine Lage Tücher zu ihrer Schlafkammer fort.

Was sie sich durch diese dünne Lage sandfarbenen Stoffes schon andeutete, war eine wirklich besorgte Miene in den schönen Zügen des Jungen. Dabei erwartete sie bei Ero meist ein Grinsen, Lachen oder Lächeln.

Er sagte nichts weiter, setzte sich zu ihr und betupfte mit einem Tuch vorsichtig und fürsorglich die Wunde.

Der Schmerz erschien ihr in diesem Moment nebensächlich, der bei jeder Berührung einen Moment der donnernden Schläge aussetzte, nur kurz für ein eigentlich unangenehmes Brennen.

Doch das Einzige was sie spürte war eine Wärme ausgehend von ihrem Bauch, die sich bis in ihre Wangen vortastete.

Alina wagte es nicht, ihn so anzusehen. Ließ es einfach geschehen. Ruhig ohne etwas zu sagen, oder gar zu atmen. Ein Augenblick voller endloser Ruhe, bis einer von ihnen die erdrückende Stille durchbrach.

 

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„Blumen für die Dame“, rief Ero. Kein tut mir Lied oder Ähnliches, für seine ungenierten Worte.

Man konnte ihn von hier aus nicht sehen aber er müsste schon blind sein, um diesen großen Strauß nicht bemerkt zu haben.

„Von wem hast du den?“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß nicht. Vielleicht ist er von Delio.“

Ero brach, aus für sie unerfindlichen Gründen, in Lachen aus.

„Von dem sicher nicht!“, zeigte er sich überzeugt.

Nur Alina zweifelte.

„Wieso nicht? Er ist doch immer ganz charmant.“

„Glaub mir“, sagte er mit ungewohntem Ernst. „Keiner der Schüler würde auf die Idee kommen dich mit Blumen zu überraschen, außer man stößt sie mit ihrer Nase darauf. Delio ist da keine Ausnahme.“

So ganz stimmte das nicht. Sie hatte von dem ein oder anderen ihrer Schüler schon Präsente bekommen. Das musste sie Ero aber nicht unter die Nase binden.

„Mein Vater schickt dir öfters Geschenke“, überlegte der Junge laut. „Kleinigkeiten, aber auch Blumen. Ich weiß noch von einem Mal, als ein paar Boten, dein ganzes Zimmer damit dekoriert haben. Vielleicht hat sich Marno daran ein Vorbild genommen und das ist die sparsame Ausführung davon.“

Jetzt war es Alina, die sich ein Lachen nicht verkneifen konnte.

„Der doch nicht!“, war sie überzeugt. „Wann kommt mein Vater auf die Idee, mich mit etwas zu überraschen? Außer es sind neue Aufträge.“

„Alina!“, wurde ihr fröhliches Plaudern vom heutigen schuleigenen Laufburschen unterbrochen. „Marno will, dass du zu ihm kommst.“

Delio wartete noch nicht einmal auf Reaktion von ihr. Kein Klopfen an die Tür oder Ähnliches, er trottete weiter seines Weges.

„Was will der schon wieder?“, rief sie nahe an einer Lautstärke, die vielleicht sogar Delio vernommen haben könnte.

Sie nahm Ero das Tuch aus den Händen und studierte für einen Moment das Blut daran.

Obwohl ihr der Schädel donnerte, hatte sie keine schwere Verletzung davon getragen, die versorgt werden musste. Die Blutung stoppte schon, sodass sie vorsichtig ihr Haar auswaschen konnte.

Ero blieb bei ihr, zuerst in Sorge, später eher aus Neugier, wann sie ihn denn herausschmeißen würde. Alina fand, dass er das gerne haben konnte.

Zuerst ging sie an ihren Kleiderschrank.

Ihr blieb wirklich nur noch dieses eine einzige Kleid für ihre Auftritte und dieses wurde heute kaputtgemacht. Das hieß, sie musste sich sehr bald wieder Neue kaufen.

Für den Alltag in der Schule, solange sie nicht trainierte, genügte ihr ein normales Kleid. Das, was sie jetzt herausnahm, war von einem dunklen Braunton und reichte ihr bis zum Knöchel.

Sie würde sich nicht umziehen, solange der Junge noch da war.

Ihre rechte Hand griff nach seinem Hemd, das Kleid hing über ihrem rechten Arm. So bepackt trat sie vor ihren Vorhang.

„Jetzt verschwinde schon endlich!“, rief sie Ero zu. Zur gleichen Zeit schmiss sie das Hemd zu ihm, das er mit Leichtigkeit auffing.

„Ich warte draußen“, sagte Ero. „Falls Marno nichts Wichtiges will, gönn dir einfach ein paar Tage Pause. Wie wäre das? Wir satteln morgen unsere Pferde und besuchen meinen Vater. Ich kauf dir als Entschädigung ein paar Kleider für deinen Tanz.“

„Damit du dich vor der Strafe drücken kannst?!“, rief sie herausfordernd. „Vergiss es!“

„Schade.“ Der Junge lachte. Kurz darauf verließ er ohne ein weiteres Wort ihr Häuschen.

Alina schlüpfte in ihr Kleid. Das Haar fiel ihr nass auf Schultern und Rücken, wo es den Stoff durchtränkte. In der Hitze würde alles schnell trocknen und ihr noch kurz eine angenehme Kühlung verschaffen.

Später konnte sie es frisieren aber jetzt war erst einmal Marno wichtig. Und Alina konnte sich so früh nach einem Auftrag nichts vorstellen, das ihrer Anwesenheit bedurfte.

 

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Kapitel 9




Auch wenn Ero sagte, er würde hier auf sie warten, kam er gerade wieder zu ihr geeilt. Sein Quartier lag von ihrem etwas entfernt. Er hatte sein Hemd dorthin gebracht und sich wie sie kurz frisch gemacht.

Erst jetzt, wo er nach dem kurzen Sprint bei ihr war, liefen sie gemeinsam zu Marnos Hütte. Früher hatte sie mit ihrem Vater dort gewohnt. Jetzt war dieses Quartier ihr Heim geworden.

Damals, nachdem sie zu Marno fand, war an eine solche Schule noch nicht zu denken. Nach der Gründung lief sie denkbar schlecht. Zwar gaben ein paar der Bauern ihre Jungs zu ihm. Mehr aber um die eigene Familie vor Dieben zu schützen. Der König von Miro betrachtete alles mit gemischten Gefühlen.

Er sah sein Volk ungern mit Waffen.

Einzig der Aussicht auf ausgebildeten Nachwuchs für sein Heer verdankten sie ihr Bestehen.

So schleppten sie sich die nächsten drei Jahre dahin. Der ein oder andere Auftrag für die älteren Schüler fing sie in manchen Zeiten auf.

Einem dummen Zufall und einem arroganten Jungen hatten sie ihre Rettung zu verdanken.

Vor nun mehr 11 Jahren führte der Weg des obersten Richters von Ylora ihn durch Miro. Es stürmte und die nächste Unterkunft war einen weiten Ritt entfernt, sodass ihm diese Ansammlung aus kleinen Häuschen und der Stall sehr gelegen kamen. Begleitet wurde er von seinem jüngsten Sohn.

Er erkundigte sich natürlich ganz genau, wozu dieser Ort diente. Dabei immer sein Sohn an der Seite, der verschlafen ein paar beleidigende Äußerungen von sich gab. Eine Eigenschaft, die so manchem seiner Lehrer die Freude am Unterrichten nahm. Einzig aus Angst vor Beldors Ruf, blieben sie dort und mühten sich mit dem Jungen ab.

Dass sein Vater plötzlich umlenkte und meinte, sein Sohn könne doch hier blieben, gefiel diesem nicht. Ein adeliges Kind zwischen Bauern, da fiel dem Jungen schon Besseres ein.

Zu dieser Zeit wohnte Alina noch bei Marno im Haus. Sie schlief friedlich und sogar der Donner vermochte es nicht sie zu wecken. Dafür aber der plötzliche Radau.

Beldor schrie seinen Sohn an, dann auch mal Marno, wieso der ablehnte. Darauf äußerte Marno lautstark seine Meinung zu Kindern und Waffen, ohne Angst vor dem Amt des Mannes. Und dann noch Ero, der einige beleidigende Worte kannte.

Da half es auch nichts, wenn sie ihren Kopf unter dem Kopfkissen versteckte. Sie fand einfach keine Ruhe zum Schlafen.

So trottete sie hinaus, nur bekleidet mit ihrem Nachthemd.

„Was soll der Radau, alter Mann?“, entstieg es in einem langen Gähnen ihrer Kehle.

Sie sah kurz auf den gut gekleideten Richter, danach zu Ero.

„Ich dachte, du würdest niemals solche Buben unterrichten“, rief sie. Schlaftrunken wischte sie sich die Augen. „Du hast doch erst letztens gesagt, dass du dich nicht für solche reichen Buben erwärmen kannst, die nur ziellos mit dem Schwert herumfuchteln.“

Kaum beendete sie diesen Satz, fuhr auch schon eine schallende Ohrfeige auf sie nieder.

So doll, dass ein Schmerz heftig in ihrer Wange pochte und Tränen in ihre Augen trieb.

Aber Alina wollte nicht weinen. Sie war stark und wusste ihren Vater mit einem einzigen zornigen Blick zu strafen. Der in dieser geladenen Nacht seine Wirkung verfehlte.

„Schweig Tochter!“, knurrte er, den Blick weiter auf seinen Gast gerichtet. „Das ist der ehrenwerte Richter Beldor aus Ylora.“

„Wer?“

Trotz des Schlages blieb sie an der Seite ihres Vaters. Dabei drängte sie ihn sogar mit Mühe ein Stück zur Seite, damit sie sich zu ihm auf die Bank setzen konnte. Und kaum hatte sie sich ihren Platz erkämpft, rief der gut gekleidete Mann sie auch schon zu sich.

Natürlich dachte Alina nicht einmal daran, seiner Aufforderung folge zu leisten. Lieber focht sie ein Wettstarren mit dessen Sohn aus.

„Entschuldigt bitte ihre Unwissenheit, sie ist noch ein dummes Kind ohne Anstand. Ich werde ihr später einbläuen, wie man sich in der Gegenwart eines edlen Herren benimmt.“

Für Alina erschien es zu dieser Zeit ungewohnt, dass sich der Vater vor jemanden duckte. Noch dazu waren seine Worte davor kräftiger und sie spürte deutlich seinen Griff, der das Mädchen beschützend an sich zog.

„Ist das Mädchen Eure Tochter?“, erkundigte er sich. „Unterwegs habe ich von dieser Schule erfahren. Einer meinte sogar, ihr mögt ein guter Ritter sein aber jede Frau würde vor euch davon laufen.“

Alina konnte erkennen, wie ein Auge ihres Vaters in Zorn unkontrollierbar zuckte.

Jetzt war er es, der sich zusammenreißen musste.

Dabei war es die reine Wahrheit. Der alte Ritter mochte streng zu seinen Schülern sein, besaß aber ein weiches Herz und half jedem, wo er nur konnte. Auf Frauen wirkte er dafür eher abschreckend.

Frosch, so bezeichnete sie ihren Vater manches Mal.

Seine großen Augen lagen unter buschigen Brauen, und auch wenn er manches in purer Güte sagte, schaute er meist dennoch eher böse. Deswegen hatte sich Alina früher vor ihm gefürchtet.

Die Wangen quellten darunter hervor, denen früher ein wirrer Bart entspross. Dazu die unzähligen Narben vom Kampf, sodass es vielen schwerfiel, in ihm einen Ritter voller Ehre zu sehen.

„Ich rettete einst das hübsche Töchterchen, eines reichen Edelmanns“, begann er fröhlich eine oft wiederholte Geschichte, als ob er dieses Mal jemanden gefunden hatte, der sie ihm abkaufte.

Alina verdrehte die Augen und ließ ihren Kopf auf den Tisch sinken.

„Zum Dank schenkte sie mir ein paar heimliche Nächte, aus denen dieses wirklich putzige Ding hervor ging. Leider verstarb die Mutter kurz nach ihrer Geburt.“

Seinem furchterregenden Aussehen zum Trotz versuchte Marno den trauernden Witwer zu mimen, was eher selten gelang. Meist nur, wenn Alina daneben ihre Rolle brav übernahm. In dieser Nacht fand sie dazu keine Lust.

„Bla, bla, bla …“ Ein Gähnen ließ diese Worte verklingen.

Eine Kopfnuss sauste auf sie nieder und weckte das Mädchen nun ganz.

„Aua“, beschwerte sie sich darauf lautstark.

„Mein herzallerliebstes Töchterchen müsstest du nicht schon längst schlafend im Bett liegen?“ Dabei kam Marno ihr mit seinem Gesicht ganz nah.

Eine überdeutliche Anordnung, die besagte, sie solle sofort ins Bett verschwinden und erst wieder heraus kommen, wenn der nächste Morgen anbrach und ihre Gäste verschwunden waren.

So einfach gehorchte sie nicht.

„Liebster Vater, leider ist es mir nicht möglich zu schlafen, wenn unsere Gäste solch einen Krach veranstalten“, beschwerte sich das Mädchen in einem lauten Ton.

Beldor zeigte sich nicht schockiert oder belästigt, wie ihr Vater wohl annahm. Eher amüsiert lachte er auf.

„Ein wirklich aufgewecktes Mädchen“, erkannte er an. Dabei schenkte er ihr nun seine volle Aufmerksamkeit. „Wie alt ist das Töchterchen?“

„Sieben!“, rief sie voller Stolz.

„Und wie lautet dein Name?“

„Alina“, antwortete sie jetzt ganz brav, ohne zu verstehen, wieso der Mann am anderen Ende des Tisches sie verwundert ansah.

Und auch Marno verstand es nicht.

„Ist etwas nicht in Ordnung, Herr Richter?“, erkundigte sich Marno bei seinem Gast.

„Doch, doch“, meinte dieser. Er schluckte, ehe er seine Verwunderung erklärte. „Doch verratet mir, ob Ihr oder die Mutter dieses Kindes ein Verbündeter der Amazonen wart.“

Immer noch verstand der andere Mann am Tisch nicht.

Für die Amazonen, deren Geschichte oder ihr Krieg interessierte sich Marno nicht. Alina war es, die näher an ihren Vater rutschte. Sie erinnerte sich noch schwach an Abende am Feuer. Meist schlief sie an der Seite ihrer Mutter aber manchmal konnte sie ihnen lauschen.

Wie sie von allem berichteten, auch die ganzen alten Geschichten. Eine gefiel ihr dabei am besten. Die um eine Verbündete im Namen.

„Alina, so hieß auch die Frau, auf die das berühmte Amazonendorf gründete“, erklärte Beldor mit wenigen Worten.

Eine Diebin mit gutem Herzen, die in der Not ihr Lager den Armen öffnete.

Marno zuckte mit den Schultern.

„Vielleicht gefiel ihr der Name einfach nur“, bekundete er seine Meinung. Ein kurzer Blick wanderte auf seine junge Tochter. „Ich habe diesen Namen nicht ausgewählt. Sollte er zu Problemen führen, könnte ich ihn noch ändern.“ Er drehte seinen Kopf zu dem Kind und warf dabei ein paar Namen ein, auf die sich das Mädchen schüttelte.

Nein, sie war Alina und das würde sie auch bleiben!

„Wir sollten zu meiner letzten Bitte kommen“, schlug der Richter vor.

Die letzten Minuten hielt er sich zurück, doch jetzt wurde der Junge laut.

„Vater, ich will hier nicht zur Schule gehen!“, entrüstete er sich. Dabei weckte er in Alina nur noch mehr den Eindruck eines verzogenen, reichen Bübchens, dass von ihr eine Lektion erwarten würde. „Ich soll zwischen diesem Bauernpack meinen Umgang mit einem Schwert erweitern? Das kannst du mir nicht antun!“ Er sah verächtlich auf Marno. „Es sieht eh nicht so aus, als könnte ich hier meine Technik verbessern.“

„Ja das sollst und wirst du!“, stand für Beldor fest, der die Diskussion mit seinem störrischen Sohn leid war.

„Das wird er nicht“, vertrat Marno seine Meinung. „Ich nehme meine Schüler erst mit 18 Jahren auf.“

Eine von Marnos goldenen Regeln.

Seiner Meinung nach gehörten Kinder nicht an eine Waffe. Egal was jemand sagte oder tat. Seine einzige Ausnahme war Alina. Sein hübsches Findelkind, das er nicht an irgendeinen Gauner verlieren wollte, egal ob dieser es auf ihre schmalen Habseligkeiten abgesehen hatte oder auf anderes.

„Ich wäre bereit eine stattliche Summe da zu lassen, wenn ihr meinen Sohn unterrichtet.“

„Nein!“, blieb Marno stur, was den Richter nicht im Mindesten beeindruckte.

Sturheit und Hartnäckigkeit, der Wille alles zu erreichen, zeichnete den obersten Richter schon immer aus.

Er grinste überlegen. Fast so, als hätte er schon längst gewonnen, statt mitten im Kampf zu stecken.

„Ich verstehe, dass ihnen die Schule sehr viel bedeutet. Wie man erkennt, birgt sie sehr viele Kosten. Die Einnahmen werden kaum den Unterhalt für die Schüler decken oder eure Familie nähren. Wohl eher früher als später würdet ihr die Schule aufgeben müssen, um wenigstens eurem Töchterchen ein angenehmes Leben bieten zu können. Ich biete nun meine Hand an, dieser Schule ein solches Ende ersparen zu können.“

Durch Marnos Gesicht zogen sich tiefe Falten, wie immer, wenn er an die Situation seines kleinen Traumes dachte. Wie eine Seifenblase drohte sie jeden Moment unter allem Druck zu zerplatzen.

Dabei war der alte Ritter gar nicht mal untätig. Sogar König Ylias suchte er auf, in Hoffnung auf eine milde Spende. Ohne Erfolg. Dass jetzt dieser Mann ihm solch ein Angebot unterbreitete, rüttelte an seinen goldenen Regeln. Sogar die kleine Alina verstand, dass sie unbedingt eine Lösung brauchten, um dieses Leben weiter zu führen.

Am Ende gab er sich dem Drängen des Richters geschlagen.

„Ich werde es tun! Ich unterrichte den Jungen, solange es König Ylias erlaubt.“

„Vater, ich bleibe nur hier, wenn mich irgendeiner von diesen Bauern im Schwertkampf besiegt“, knurrte der Junge von gerade mal 10 Jahren. Jeden ihrer Schüler körperlich bei Weitem unterlegen.

Aber wenn er eine Lektion wollte, würde sie ihm diese gerne selbst geben. Bittend sah das Mädchen zu ihrem Vater auf. Alina brannte darauf diesem eingebildeten Jungen zu zeigen, dass ihn selbst ein Mädchen besiegen konnte.

Noch mochte sie gegen die älteren Schüler nicht ankommen, wenn diese im Kampf geübt waren. Aber dieses Bübchen war nur etwas größer als sie, da musste das doch möglich sein.

„Der König wird sicher nichts dagegen haben.“ Beldor wirkte zuversichtlich, auch nachdem er auf seinen störrischen Sohn schaute. „Würde es euch etwas ausmachen ein paar der Schüler zu rufen, um meinen Sohn zu zeigen, dass es darunter talentierte Jungen gibt. Mein kluger Sohn ist da etwas eigen.“

Aus dem Blick des anderen Mannes sprach deutlich, dass er diesem verzogenen Balg eine Tracht Prügel wünschte, nicht aber seine Schüler zu wecken. Laut würde er es nie vor dem Richter zugeben.

Bevor er sich fügte, warf er noch keinen kurzen Blick auf seine junge Tochter, die gerne selbst das Schwert ergriffen hätte.

Ihr Vater bestand immer noch darauf, dass sie mit einem Holzschwert trainierte, obwohl sich ihr Talent selbst jetzt zeigte. Nur manchmal konnte sie sich zu den Schülern schleichen und mit ihnen und einem richtigen Schwert üben.

Selbst dort beeindruckte sie so manchen der Jungs.

Wenn ihr Vater das nur einsehen würde.

Betrübt sank ihr Kopf auf die Tischplatte, von der aus sie den Jungen ganz genau betrachtete, der einfach nur da saß. Stur und grimmig drein schauend. Selbst nachdem sein Vater ihm das Schwert gebracht hatte, rührte er sich noch nicht.

Er wollte nicht hier sein und Alina war es recht, wenn er nach einer Demütigung verschwand.

Sie blies nach oben, wo eine Strähne ihres honigblonden Haares einfach keinen anderen Platz finden wollte. Wartend darauf, dass ihr Vater zurückkam.

 

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Wenig später betrat Marno das Haus wieder, ihm folgend drei Jungen. Der jüngste gerade 20, der älteste 25. Sie alle kannten ihren Lehrer und auch dessen Tochter ganz genau. Dass sie aber nur hergerufen wurden wegen eines verzogenen Buben, hielten sie erst für einen großen Witz.

Keiner von ihnen stand gerade, so wie es der Lehrer von ihnen verlangte. Damit sie sich als seine besten Schüler präsentierten. Von den Jungs sollte einer sogar in die Leibgarde eines Adeligen aufgenommen werden, während die anderen beiden für das Heer ihres Königs vorgesehen waren.

Einer von den Jungs trat einen Schritt heraus.

„Alter, wir kämpfen doch nicht gegen ein Kind!“ Der Junge lachte. Schon zeugte Marno davon, wie grob er in der Erziehung seiner Schüler vorging.

Sogar der Junge am Tisch, machte jetzt große Augen, der von jedem bisher mit Samthandschuhen angepackt wurde. Ein Grund mehr für ihn, schleunigst das Weite zu suchen.

Immerhin war er von adeligem Blut. Er gehörte hier nicht her, zu diesen unzivilisierten Barbaren. Denn nichts anderes waren Bauern für Ero zu diesem Zeitpunkt. Diener, keine Kameraden.

Wie gerne hätte ihm Alina beim Abschied zugesehen.

Egal wie sehr sie das Gold benötigten, sie mochte den Jungen nicht, dem hier kein leichtes Leben einer großen Villa erwarten würde.

„Dann wirst du wohl keine Angst haben, dass du gegen ein Kind verlierst“, knurrte Marno den Jungen an.

„Gegen das junge Bürschchen verliere ich sicher nicht!“, war er überzeugt. Kurz darauf wandte er seinen Blick Alina zu, deren Augen kampfbereit funkelten. „Ich finde nur, du solltest dem kleinen Biest die Freude lassen.“

Oh ja, das sollte er und genau für solche Momente besaß sie immerhin ihr eigenes, recht kleines Schwert. Es ruhte im Nebenraum.

Und kaum das sich Marnos Züge erweichten, eilte sie schon hinaus, um es zu holen.

„Meinetwegen“, gab er sich geschlagen. „Aber Alina, halt dich zurück“

Die Schwerter lagen nicht offen im Raum, sondern wurden in einer Truhe verwahrt. Tief verborgen unter diversen Kleidern, die sie alle herausheben musste, bis sich auf dem Boden ein rotes Tuch offenbarte. Darin eingeschlagen lag ein Schwert mit leichter Klinge. Perfekt für das schwache Kind und seitdem ihr Vater es letztes Jahr erwarb ihr größter Stolz.

Erst nachdem sie die Kleider wieder verstaut hatte, trat sie zurück in den Raum.

Hier erwartete sie ein Junge, der ihr kaum eines Blickes würdigte. Kein Gegner, wie er ihn sich wünschte. Und ein Mann, der das Mädchen interessiert musterte. Beldor war gespannt darauf, wie sich das alles entwickeln würde. Nur dieses junge Mädchen hielt er kaum für eine echte Herausforderung, die sein Sohn gegenüberstehen würde.

Alina sah sich schon dabei, beide in Erstaunen zu versetzen.

„Ich kämpfe doch nicht gegen ein Mädchen!“ Ero verzog nicht einmal seine Miene. Trotzig saß er am Tisch, den Kopf auf seinen aufgestützten Arm ruhend.

„Mein überaus begabter Sohn wird dann doch sicher nicht gegen sie verlieren“, meinte Beldor, mehr in Spott auf Ero. „Jetzt steh auf und zeig dem guten Mann, was du schon alles kannst.“

Es bedurfte mehrere Schnaufer, ehe er sich überhaupt daran machte, seinen verwöhnten Po vom Stuhl zu heben.

„Aber nicht, dass sie dann anfängt zu weinen.“ Er zog eine Grimasse für Alina, die nur ihre Backen aufblähte.

Sie würde schon nicht gegen diesen verzogenen Bengel verlieren. Wenn einer der Schüler als Sieger hervorging, war es eine Sache. Aber sich von diesem verwöhnten Kind besiegen zu lassen, kam nicht infrage.

Ihre Finger verkrampften sich um den Griff des Schwertes.

„Keine Sorge, sie zerbricht schon nicht“, meinte einer ihrer Schüler. Zuerst beruhigend an den besorgten Richter gewandte, als sein Blick auf Alina fiel, wirkte er eher grimmig. „Die ist kein Mädchen, sondern ein Monster, hinterhältiger als so mancher Teufel.“

Dabei waren es viele von ihnen, die zu Anfang ihrer Ausbildung Alina nett behandelten. Ein süßes Kind, das noch mit dem Schwert herumfuchtelte, als sei es ein Stock. Und jetzt waren sie so garstig zu ihr.

Alina schwor sich Rache.

Zuerst zeigte sie sich aber zufrieden, nachdem auf ein Lachen aller Jungs Marno eine Portion Ohrfeigen verteilte.

Gerechtfertigt, wie dessen Tochter fand.

Kaum stand Ero endlich vor ihr, vergeudete er keinen Moment weiterer Diskussion. Er sprang nach vorne, das Schwert in einem gezielten Schwung auf Alina zu, dem das Mädchen gekonnt auswich.

Sie war die Schüler gewohnt. Die älteren Jungs, mit weiter Reichweite, schnelleren und kräftigeren Bewegungen, sodass ihr dieser Kampf schon fast zu einfach erschien.

Ein niedriger Schlag, über den sie sprang, dann ein Stoß nach unten direkt auf das Schwert zu. Sie zog ihre Klinge in einem kräftigen Schwung nach rechts.

Der Junge mochte kräftiger als sie sein, diesen Schlag, der ihm das Schwert schnell entwand, kam für ihn aber unvorhergesehen.

Es schlidderte über den Boden bis hin zum Richter, der überrascht die Augenbrauen hob.

„Sagtet ihr nicht, die Ausbildung am Schwert würde bei euch nicht an Kindern durchgeführt werden?“ Er senkte sich hinab, dabei griff seine beringte Hand nach dem Schwert des eigenen Sohnes. Kurz darauf hob er den Blick wieder, interessiert an dem Mädchen, das jetzt zurück an den Tisch gekehrt war. Darauf und direkt vor sich liegend das Schwert.

„Ich bin nur ein besorgter Vater, der möchte, dass sich sein Kind verteidigen kann, egal ob mit Waffe oder Fäusten.“ Während dieser Worte fuhr seine von Narben gezeichnete Hand durch das lockige Haar des Mädchens.

Auch wenn sie nicht durch Blut verbunden waren, konnte er nicht stolzer auf das Kind sein. Am liebsten hätte er Alina fest in seine Arme geschlossen, sie vor allem Bösen in der Welt beschützt. Aber er wusste, dass ihm das nicht möglich war. Umso wichtiger erschien ihm diese Begabung zu fördern.

Bis sie einen Gemahl fand, dem es wirklich möglich war, sie vor allem zu schützen, was ihr Herz mit Kummer füllen könnte.

Die Schüler verließen mit einem höflichen Wort des Grußes an ihren nächtlichen Gast das Haus.

„Ein wirklich außergewöhnliches Mädchen“, fand Beldor. Schon damals fiel ihr sein interessiertes Lächeln auf. Prüfend um jede noch so verräterische Spur eines einstigen Lebens.

Weder heute noch damals verstand sie, was er in ihr suchte.

„Trainiert meinen Sohn und ich kümmere mich um alles Weitere. Was die Könige betrifft und finanzielle Angelegenheiten.“

 

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Seit diesem Tag vergingen viele Jahre, die Ero an ihrer Seite verbrachte.

Für sie dagegen wurde es zur letzten Nacht, die sie im Haus ihres Vaters verbrachte. Schon am nächsten Morgen jagte er sie heraus, wo sie aus Trotz zuerst im Stall nächtigte, ehe sie ihre Hütte bezog.

Zuvor war sie nie alleine, sondern konnte zu ihrem Vater, wann immer sie in der Nacht Angst hatte oder böse Träume sie quälten. Sie sagte nie etwas, oder wie sie die plötzlich verschlossene Tür verstörte.

Dafür besaß sie noch ihre Stute Belena, die sie manchmal tröstete.

Ero stellte sich wenig später als ein ausgezeichneter Schüler heraus. Talentiert, klug und ehrgeizig.

Zu allem Überfluss entwuchs aus dieser kurzen, ersten Begegnung auch der Wunsch beide Kinder zueinander zu führen. Seinen jüngsten Sohn und das vorlaute Mädchen.

Beldor hatte einen Narren an dem blonden Mädchen gefressen.

Er überschüttete sie mit schönen Kleidern und was ihm gerade gefiel, auch wenn sie nichts damit anzufangen wusste. Seine einzigen Besuche galten ihr, nicht dem Sohn, was die Differenzen zwischen beiden nur noch mehr schürte. Ero kam sich dabei verlassen vor. Immerhin war er für seine Eltern bis dahin ein kleiner Prinz, der Zeit seines Lebens verwöhnt wurde.

Zu Anfang beobachte Marno alles mit Skepsis. Er missbilligte das sogar. Doch sie wurden schnell Freunde.

Nach einiger Zeit unterstütze Marno ihn sogar bei seinen Plänen mit beiden Kindern.

Seit diesem Zeitpunkt hatte sich so wenig verändert. Und Alina mochte es sogar. Nicht das Drängen, sie möge Ero doch noch ihr Herz schenken. Aber alles andere.

Die Freundschaft zwischen Marno und Beldor. Der Richter, der seine Wunschschwiegertochter wie ein eigenes Kind annahm. Ihre Freundschaft zu Ero, mit den kleinen Sticheleien. Nichts davon musste sich für sie ändern.

Und doch bestimmte der Lauf der Zeit seinen eigenen Weg, dem sich so mancher nicht entziehen vermochte.

 

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Kapitel 10




Alina warf während des ganzen Weges den ein oder anderen Blick auf ihren Freund.

Auch wenn sie sich zu Beginn gegen den Jungen aussprach. Genau wie der Vater sah das Kind in dem Jungen einen verzogenen Burschen, der ihnen nur Ärger bereiten würde. So war sie heute froh darüber, ihn an ihrer Seite zu wissen. Nicht als Hilfe aber Gesellschaft.

In hellen Steinen zog sich die Wand hinauf bis zum Holzdach des recht kleinen Hauses vor ihnen, nur etwas größer als ihres. Es umfasste wie ihres zwei Zimmer. Eine Kammer zum Wohnen und eine für die Nacht.

Ihre Hand legte sich auf das spröde Holz der Tür. Vorsichtig näherte sich ihr Kopf.

Von drinnen konnte sie ihren Vater hören. Wie gewöhnlich zeugte seine Lautstärke vom hitzigen Gemüt des Mannes. Sie konnte aber nicht verstehen, was gesprochen wurde. Nicht einmal als sich ihr Ohr an das Holz drückte.

Nur einmal die Aufforderung zu verschwinden. Dann eine Frauenstimme. Leiser aber mit einem gefährlichen Ton.

Poch … Poch … Laut klopften die Fingerknöchel des Jungen gegen das Holz. Und das auch noch direkt neben ihr, sodass Alina verschreckt davon sprang, genau zu ihm, in seine Arme.

„Mach einfach die Tür auf“, meinte Ero. „Wenn der Alte sein Töchterchen wieder als Kopfgeldjägerin losschickt, kannst du dich dem eh nicht verwehren!“

Da hatte er leider recht, sah sie ein.

Alina drückte sich an ihm vorbei, hin zum Türknauf.

Langsam betätigte sie diesen und trat dann ein, begleitet von einem Funken Neugier, wer diese Frau sein mochte, die ihren Vater in solche Rage versetzte. Das war das ganz alleine ihr vorbehalten.

 

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Ihr Lächeln musste auf den Gast in der naiven Unschuld einer Bauerntochter wirken. Fröhlich und dem geliebten Vater dienend. Manchmal gelang es ihr Marno so zu besänftigen aber nicht immer.

„Hallo Vater“, zwitscherte sie in dieser gespielten Fröhlichkeit. „Ihr habt mich rufen lassen.“

Diesmal musste sie ihr ganzes Können an den Tag legen das aufrecht zu halten. Ihr Vater sprang sofort auf. Ein lauter Knall fuhr allen durch die Knochen beim Schlag auf den Tisch.

„Kannst du mir verraten, wie lange du von deinem Quartier hierher brauchst?

Egal wer diese Frau ihm gegenüber war mit dem strohig blonden Haar und einer tiefen Narbe, die sich von Höhe ihres rechten Augen, über die Wange bis hin zum Kinn erstrecke, sie musste den alten Marno ganz schön gereizt haben, damit er seine Tochter so anfuhr.

„Ich habe gebadet“, rief Alina. Dabei verzog sie ihren Mund zu einem Schmollen. „Warst du es nicht, der angewiesen hat, mir ein Bad einzulassen?“

Diese Frau, die zusammen mit ihm am Tisch saß, war Ende 30. Ihre Lippen hielt sie geöffnet. Ihre gebleckten Zähne unter den feinen, roten Linien wirkten bereit, sich in dem jungen Mädchen zu verbeißen. Die Augen, so stahlblau wie eine Klinge, bohrten sich in Alina hinein.

Ihre Rüstung offenbarte ihre Position unter dem König von Saron. Hochrangig führte sie dort ein ganzes Heer. Eine hoch geachtete Position, die diese Frau nur mit Hinterlist errungen hatte.

Alina bekam es oft mit den Kriegern von König Teron zu tun.

Viele davon waren grobe Kerle, denen sich eine Frau nur mit der Waffe erwehren konnte. Sie wüteten unter der Bevölkerung, setzten die Bauern unter Druck und wer ihnen dumm kam, dem wurde schon mal mit dem Schwert gezeigt, wo seine Position war.

Und nun stellte sich Alina in ihrer Rolle des braven Töchterchens genau in die Mitte einer geladenen Wolke ihrer hitzigen Diskussion.

Zudem kannte man diese Frau für ihre ungehaltene Art anderen Gegenüber.

Eigentlich gab es nur eine Frau im Heer von König Teron.

Nerre. Ihr war es zu verdanken, dass der Amazonenkrieg endete. In einem blutigen Finale, bei dem die Amazonen selbst gefangen noch ihre Kampfbereitschaft zeigten.

14 Jahre später wusste niemand mehr, was wirklich passiert war. Die Erinnerungen verschwammen von Mal zu Mal, dass diese Geschichte, in der sie den Platz als Monster einnahm, erzählt wurde. Selbst Alina kannte einen Bericht, nachdem Nerre es war, die ihrer eigenen Schwester einen Dolch in den Rücken rammte.

Ero sprach nicht darüber und Beldor wollte sie nicht fragen.

Der alte Mann zu ihrer rechten, verzog trotz der glimmenden Wut seines Gegenübers die Lippen zu einem Lächeln an seine junge Tochter.

„Wie hat dir der Blumenstrauß gefallen?“, lautete die Frage an sie.

Bis eben ruhte ihr Blick offen unschuldig aber verborgen wach auf dieser Frau, an der sie versuchte jedes noch so verräterische Detail aufzufangen, mit deren Hilfe sie erriet, was sie hier suchte. Jetzt blickte sie zu ihrem Vater.

Die leuchtend blauen Augen des Mädchens weiteten sich überrascht.

Hinter ihn trat der hübsche Junge in ihren Blick, dessen Lächeln jeden verzaubert hätte. Sogar der Kommandantin blieb er nun nicht mehr verborgen.

Die Wut zerbrach in ein Scherbenmeer aus Verwunderung.

„Habe ich dir nicht eben gesagt, der alte Geizhals wird sie dir gepflückt haben“, rief Ero in einem Auflachen. „Der macht meinem Vater doch alles in einer sparsameren Version nach.“

Von wegen! Noch ehe Marno etwas sagte, stand sie vor ihrem Kameraden, die Hände in die Hüften gestützt. Von ihrer naiven Miene für die andere Frau im Zimmer ließ sich nichts mehr erkennen, nur noch ein herausfordernder Blick.

„Von mir sind sie eigentlich nicht“, lautete Marnos Geständnis, auf das Alina siegessicher den rechten Mundwinkel verzog.

„Siehst du!“, rief sie laut. „Mein liebstes Väterchen würde mich nie mit solch einem Geschenk belohnen. Das fällt dem nicht einmal im Traum ein.“

„Ich habe geholfen und ein paar passende Blumen für die Gestecke gesucht“, protestierte Marno, mehr lachend als ernsthaft enttäuscht. „Sie sind von der Bauerntochter, der du letztens geholfen hast.“

Ein Mädchen, das der reisenden Strömung eines Flusses nicht entkommen konnte. Auch Ero eilte ihr zu Hilfe, Alina erreichte sie aber als Erstes.

Es war kein Wettstreit zwischen ihnen, eher mit der Zeit und den steigenden Fluten. Beide schätzten sich froh im richtigen Zeitpunkt dort gewesen zu sein, um Schlimmeres zu verhindern.

„Ero“, mischte sich die erstaunte Kommandantin ein. „Dein Vater berichtete, dass sein Sohn auf einer Schule lernt, die für den Schwertkampf ausgerichtet ist. Aber du hier, in diesem heruntergekommenen Areal? Ein wunder das Ylias und Selon das zulassen.“

Eine Ader unter der Stirn ihres Vaters pochte.

Die Schule war sein ganzer Stolz. Er hatte sie zusammen mit Alina aufgebaut. Dass dieses Weib daher kam, um sein Werk schlecht zu machen, weckte ungeahnte Rage in dem Mann.

„Es freut mich auch dich wieder zu sehen, Nerre.“ Eros Hand legte sich in einer beschwichtigenden Geste auf die Schulter des Mannes, ehe er sich neben ihm niederließ.

Der letzte freie Stuhl auf dieser Seite des Tisches.

„Woher kennst du denn diese Berühmtheit aus Saron?“, erkundigte sich Alina. Ihre kindliche Neugier brauchte sie nicht einmal spielen. Es rutschte ihr einfach heraus.

„Unsere Mütter sind befreundet“, informierte er beide. Ein Leider lag ihm auf der Zunge, ohne dass er es aussprach. In ehrlichem Bedauern sie zu kennen, dafür aber nicht die Mutter. Das war auch dies eine Geschichte für sich. Wie die Eltern ihre älteste Tochter an König Teron verschenkten.

Kurz darauf floh Nette zu den Amazonen.

„Wie lange ist es her?“, wollte sie wissen. Ihre kühle Art verschwand nicht, machte aber einem kurzen Lächeln platz. „Du warst noch sehr Jung, als wir uns das letzte Mal begegneten. Und deine Kleidung hat mehr zu einem Jungen deiner Herkunft gepasst.“

Die Adelige rümpfte ihre zierliche Nase über das Aussehen des Jungen vor sich.

Ero ging nicht auf ein Gespräch unter Adeligen ein. Immerhin wollte er seit ein paar Jahren selbst, dass keiner ein Unterschied zwischen ihm und den Kameraden zog.

„Von meiner Verlobten hast du sicher auch schon gehört.“

Ehe Alina dem jetzt folgenden entfliehen konnte, hatte sie Eros Hand schon zu einem festen Griff gepackt. Mit einem Ruck zog er das Mädchen auf seinen Schoß, die sich dabei nicht einmal im Ansatz erlaubte, ihre wahren Gefühle zu offenbaren. Nämlich, dass sie ihrem angeblichen Verlobten, gerne die Augen ausgekratzt hätte.

„Beldor lässt zu, dass sein jüngster Sohn – sein Nesthäkchen – eine billige Tänzerin heiraten will“, rief sie mit dem überheblichen Ton einer Adeligen und ehrlicher Überraschung. „Dabei setzt er doch immer so viel Wert darauf, seine Söhne in standesgemäße Ehen zu geben.“

„Was willst du hier?“, brachte ihr Ero barsch entgegen.

„Zuallererst sollte ich dich wohl von meiner Mutter grüßen.“

Die Frau lehnte sich auf den Tisch vor, ohne ihren prüfenden Blick von dem angeblichen Paar zu nehmen. Für einen Augenblick spielte ein überhebliches Lächeln über ihre Lippen.

„Selbst in Saron schwirren schon Gerüchte über angebliche Heiratspläne umher und sie würde so gerne die glückliche Braut kennenlernen.“ In einem Grinsen offenbarte die Frau ihre weißen Zähne. „Da wird die Alte mächtig enttäuscht sein. Sie hofft ja so auf eine hübsche Adelige. Miri lenkt andauernd vom Thema ab, wann immer es um deine Verlobte geht.“

Wie in einem Schlag schwang ihre Stimme zu blanker Verachtung.

„Jetzt verstehe ich auch, wieso.“

„Alina ist ein nettes Mädchen“, verteidigte Ero die Freundin. „Du bist sicher nicht hier, um uns zu gratulieren.“

„Tatsächlich suche ich jemanden“, gestand die Frau. Beide konnten hören, wie Marnos Zähne bei dem Thema von zuvor aufeinander rieben. „Es gibt Gerüchte um eine Mörderin, die man über diese Schule erreichen kann.“

Gestern wurde Alina noch Kopfgeldjägerin genannt, heute schon Mörderin. Das und auch der Ton der Adeligen machten sie ihr nicht gerade sympathischer.

Aber ihr Vater tat gut daran, sie zu rufen. Immerhin entschied sie, welchem Auftrag sie wann nachkam. Wenn es denn mal nach ihrem Wunsch ging. Und für diesen fand sich nur eine Antwort.

„Bedaure“, rief Alina streng und brachte der Kommandantin einen ähnlich arroganten Blick entgegen, wie sie ihr. „Unsere Schule verhandelt nicht mit Lakaien König Terons.“ Sie erhob in einer strafenden Geste ihren Zeigefinger. „Ganz strenges Verbot von König Ylias. Auch andere Aufträge für unsere Schüler außerhalb des Landes bedürfen seinem Einverständnis.“

„Wie steht es um Ero?“ Noch wich die Überlegenheit nicht aus der Frau. „Fällt der dann nicht darunter oder seit wann erlaubt König Selon, dass ein Bürger einer der meist geachteten adeligen Familien mehr Zeit im Feindesland verbringt als zuhause?“

Wenn sie sich daraus einen Vorteil in ihren Verhandlungen erhoffte, musste Alina sie enttäuschen. Noch dazu wurde sie zu einem starken Mädchen erzogen, das keiner Erpressung nachgab. Besonders was die Schule betraf.

Alina rollte kurz genervt mit ihren Augen, ehe die hübsche Farbe darin ihr Gegenüber widerspenstig anfunkelte.

Einzig Beldor war zu verdanken, dass Vater und Tochter so auftreten konnten. Nicht eingeschüchtert von der Position, egal wem sie innewohnte. Ob Heerführer von Saron, Miro oder Ura. Es zählte, was die Könige wünschten.

Selon und Ylias standen beide auf ihrer Seite.

König Selon konnte dabei zwar keine Soldaten abberufen, schickte aber ein paar seiner Untergeben hierher, die alleine seinen Schutz übernehmen sollten, oder die seiner Adeligen.

Dafür lud König Ylias Ero oft zu sich ein. Für ihn war der Junge ein perfekter Schachgegner. Intelligent, gewitzt und einfach eine nette Gesellschaft, solange sein Sohn das Studium im Ausland verbrachte.

Genau das hielt Alina ihrem Gegenüber vor.

„Ero kann in Miro ein- und ausgehen, wie es ihm passt“, klärte sie die Kommandantin auf. „Darüber ist er im Schloss unseres Königs ein gern gesehener Gast.“ Ihre Stimme wurde nachdrücklicher. „Sämtliche Verhandlungen, was die Schule betrifft, sind über den König zu führen, solltet ihr oder König Teron ein Anliegen haben.“

Die Soldatin zürnte.

„Bringt mir diesen kaltblütigen Mörder“, verlangte sie. „Mein Heer liegt auf der Lauer und wartet nur auf ein Zeichen von mir. Wenn ihr nicht gehorcht, wird diese Schule im Morgengrauen nur noch in Trümmern liegen!“

Eros Augen weiteten sich unter der Drohung, genau wie bei Marno, nur Alina blieb ruhig.

„Das kannst du nicht!“, stieß der Junge in einem verzweifelten Keuchen aus. „In Miro darfst du nicht einfach jemanden angreifen, ohne dass es Konsequenzen für König Teron hat.“

Die Frau vor ihm lachte.

„Ich handle nicht im Auftrag des Königs, sondern in meinem eigenen Interesse.“

So kühl wie der Stahl, aus dem ihr Blick geschaffen schien. Ohne Mitleid oder ähnlichem verfolgte die Kommandantin ihren Weg. Wer ihr meinte ein Hindernis darauf stellen zu müssen, wurde gnadenlos zertreten. Dieser Person war wirklich zuzutrauen, dass sie ihre eigene Schwester, hinterrücks erstach.

Alina ekelte solche Leute an.

„Marnos Schule genießt Sonderrechte!“, focht Ero alleine den Kampf aus.

In all den Jahren wurde dieser Ort zu seinem Heim, nicht die Villa seines Vaters, sondern die kleine Hütte, die er zusammen mit wechselnden Schülern bewohnte.

„Keiner der Könige darf die Schule angreifen. Diese Vereinbarung musste auch König Teron unterzeichnen.“

„Liebster Ero!“, unterbrach die Kommandantin ihn mit einem einzigen Zucken in ihrer kühlen Miene. „Das Volk erzählt noch immer ehrfürchtig von einem einstigen Dorf, dessen Bewohner den Königen getrotzt haben.“

Sie neigte sich vor, auf ihren Lippen ein listiges Lächeln. Den bloßen Gedanken daran genießend.

„Was für eine dreiste Anführerin sie doch hatten, dass sie die Könige zu einem solchen Pakt zwang. Aber nicht einmal der hat mich gehindert, sie anzugreifen. Den Rest kann dir sicher dein Vater berichten.“

Alina neigte betrübt den Kopf und ahnte, dass sie sich nicht widersetzen würde können. Die Kommandantin besaß keinen Grund zu lügen. Was hätte ihr das auch gebracht?

„Das Einzige, was du damals wirklich geschafft hast, ist deine arme Mutter in tiefe Trauer zu stürzen“, entrüstete sich Ero. Dabei machte er noch nicht einmal einen Hehl daraus, wie sehr er diese Frau mit dem strohblonden Haaren verachtete.

Sogar Alinas Entscheidung fiel ihr dadurch noch leichter. Außerdem, wenn sie jetzt auf den Tisch warf, wer diesen kaum schmeichelhaften Ruf trug, würde die Frau es nicht glauben.

Alina sprang vom Schoß ihres vorgeblichen Verlobten auf. Sie musste sich sogar seinem doch recht festen Griff entwinden, mit dem er hoffte, sie an sich fesseln zu können.

Dabei sinnte sie noch nicht einmal darauf diese Maskerade fallen zu lassen.

„Ero, lassen wir die beiden Erwachsenen reden“, rief sie in einer kindlichen Unschuld. Gesten und Ton, die bei dieser Frau auf einen empfindlichen Nerv trafen.

Sie empfand es, als sträflichste Beleidigung von solch einem dummen Bauerntrampel missachtet zu werden. Und von Alina aus konnte sie es gerne weiter so sehen.

Alina mochte die Frau nicht.

„Du wolltest mir ein neue Kleider kaufen.“ Sie würde noch Erkundungen einholen müssen, in welchem seiner Schlösser ihr König gerade residierte. König Ylias besaß die Eigenschaft sich gerne ein neues Schloss, oder eine kleine Residenz bauen zu lassen. So war er die meiste Zeit des Jahres unterwegs, um sich an der Gegend eines anderen Teils seines weiten Königreichs zu erfreuen.

Ero würde ihr dabei eine große Hilfe sein. Immerhin mochte der König den jungen Adeligen. Alina an dessen Seite nahm er nicht recht als wirkliche Verlobte wahr, eher eine kurze Zerstreuung, so nannte er es. Und doch kündigte er sich gerne bei einer möglichen Hochzeit als Gast an.

Sie mussten in Erfahrung bringen, was für einen Schutz sie vor Nerres Drohungen bekommen konnten.

Außerdem hatte Alina es satt, wenn diese Frau gegen sie oder ihre Schule giftete. Damit konnte sie gerne Marno belästigen, aber nicht sie.

„Alina, habe ich nicht vor ein paar Wochen fünf Kleider für dich gekauft?“, fuhr es mit der strengen Stimme ihres Vaters über sie hinweg.

Ein Ton, bei dem sie schon früher immer zusammenzuckte.

„Was hast du überhaupt für einen Verschleiß, Mädchen?“

„Das ist alles die Schuld meines Publikums“, protestierte sie lautstark auf, ohne dem Vorhaben, sich von irgendwem einschüchtern zu lassen. „Denen gefallen die Kleider an mir einfach nicht so gut und machen sie andauernd kaputt.“

Es stimmte leider. Mancher von diesem Pack wurde grob und versuchte über das Mädchen herzufallen. Nur wenige Aufträge blieben für sie ruhig.

Ihr Blick wanderte auf Ero, der sich heute als ihr Verlobter aufspielte. Sie wünschte sich manchmal, er würde bei den Aufträgen an ihrer Seite stehen und sie vor aufdringlichen Zuschauern beschützen.

Leider war dies wohl unmöglich, so wie er selbst jetzt den Kopf abwandte, ihre Gedanken erahnend.

„Es reicht mir!“ Der Schlag mit ihren Fäusten auf den Tisch erklang noch eher als ihr Schrei. „Was denkt ihr euch?“

Sofort schaute die kleine Gruppe vor ihr zu Nerre, doch da hielt sie schon ihr Schwert in Händen. Genauso überraschend folgte die zweite Handlung.

Alina wollte gerade einen Schritt von ihr weg tun, da schob sich die Klinge unter ihr Kinn.

„Bringt mir sofort diesen berüchtigten Engel!“, befahl sie von ungehaltenem Ton. „Wenn ihr nicht gehorcht, sorge ich dafür, dass euer Töchterchen ein Problem weniger haben wird.“

In einem grimmigen Lächeln offenbarten sich ihre Zähne. Die Augen traten in blanker Wut hervor.

Alina erhob ihren Finger an die Klinge.

Sie wollte sie mit einem kleinen Stups von sich weg schieben, doch beim reinen Versuch schwang sie wieder zurück, diesmal noch näher an ihre Haut.

Es war eine massive Klinge, zweischneidig und von einer Schärfe, die jeden Tag gepflegt wurde. Ein einziger Hieb davon konnte die Frau in tödlicher Präzision schwingen, nicht wie Alina, die nie ein Risiko einging, sondern auf ihre eigene hinterhältige Art kämpfte.

Noch wollte die Frau vor ihr sie nicht verletzen. Aber bald, wenn niemand einschritt. Im harmlosesten Fall würde die Klinge durch ihre Haut fahren und eine hässliche Wunde hinterlassen.

Bei allem, was passieren konnte, für sie eine der schrecklichsten Gedanken.

„Ero, ich bin ein hilfloses Mädchen!“, rief sie, ohne den Blick von der ihr drohenden Klinge zu nehmen. „Du als mein Verlobter, könntest mir doch kurz zu Hilfe eilen.“

Zu ihrem Frust tauschten die beiden Männer untereinander kurz einen beratenden Blick. Ohne Gedankenlesen zu können, wusste sie dessen Inhalt.

Meinst du, ob das wirklich nötig ist?

„Alina, du bist ein Biest aber kein armes, hilfebedürftiges Mädchen“, sprach der angebliche Verlobte.

Sollte sie wirklich irgendwann jemanden zu ihrem Ehemann bestimmen, dann sicher nicht diesen Betrüger. Eben noch spielte er den Geliebten, jetzt ließ er sie hängen. Wie sollte das in einer Ehe aussehen?

„Töchterchen, hör auf mit dem Schwachsinn!“, fiel auch noch ihr Vater ein. Dabei hatte er nur ein Schnauben übrig, statt ehrlicher Besorgnis.

Miese Verräter! Alina presste die Lippen fest aufeinander, um es nicht auszuspucken.

Wenn sie denn immer in jeglicher gefährlicher Situation alleine da stand, sah sie nicht ein, ausgerechnet jetzt zu kneifen.

Ero hob die Scheide seines Schwertes mit einer deutlichen Geste an, ohne sie um seine Hüfte zu lösen. Alles unbeachtet von Nerres Aufmerksamkeit. Jetzt musste sie nur in einem Sprung nach hinten tun, um es aufzunehmen. Noch ehe Nerre sie wieder mit ihrem Schwert bedrohen konnte, war Alina schon bei den beiden Männern.

Eros Schwert war ein hübsches Stück aber so verdammt schwer. Ungewohnt für das Mädchen, das normalerweise mit ihren Dolchen kämpfte. Aber jetzt konnte sie keine Zeit der Beschwerde finden.

Zu ihrem Glück hielt Nerre alles für einen Scherz.

Sie stand da, ihr Schwert erhoben. Dabei drang ein lautes Lachen aus ihrer Kehle. Besonders nachdem sich Alina ihr Gegenüber aufgestellt hatte. Bereit zum Kampf blitzte der Drache gefährlich drohend auf.

Die gleiche Verzierung wie auf ihren Dolchen. Ein Zeichen ihrer Freundschaft.

Bei ihm mochte es eindrucksvoll sein. Alina dagegen wirkte fehlplatziert.

Haltung und Tritt ließen auf ein unsicheres Ding ohne Waffenerfahrung tippen. Und auch wenn sie äußerlich genau diese Unerfahrenheit weiterführt, strahlte in ihr ein wärmendes Gefühl, dass ihr die Oberhand gehörte.

Nerre war eine von vielen, die das Mädchen hoffnungslos unterschätzten. Und genau wie die, könnte dieses Ahnen auf einen schnellen Kampf ihr Ende bedeuten, wenn Alina die Krallen ausfuhr.

„Dass du mich genau wie vorhin im Stich lässt“, entrüstete sie sich. „Das waren 25 bis an die Zähne bewaffnete Räuber und ich armes Mädchen, muss mich gegen die erwehren.“

Nerre vor ihr schwankte beim Erklingen der Worte. Unsicherheit machte sich in ihr breit, was die Gegnerin betraf. Und doch konnte sie sich nicht vorstellen mehr in dem Mädchen zu vermuten, als die kleine Bauerntochter.

„Alina“, rief Ero streng, der nun nichts mehr vom liebenden Verlobten besaß. Genau, wie ihr Vater daneben eher mit den Augen rollte. „Da waren 25 arme Männer, die nicht wussten, was für eine Furie sie sich ins Lager holten. Und jetzt hör auf mit dem Schmierentheater!“

„Und ich dachte, die geliebte Verlobte beschützt man“, schmollte Alina. „Dann spiel dich gefälligst auch nicht als ein solcher auf!“

Das ist ein Fehler, wurde ihr innerlich begreiflich.

Alina umfasste das Schwert fester mit beiden Händen, damit es ihr später nicht beim ersten Schlag herausrutschte. Ihre unbedarfte Haltung war zum Teil gewollt. Sie hatte nicht vor, sich der Frau als gekonnte Kämpferin zu präsentieren, die sie nun mal nicht war.

Schon gar nicht mit einem Schwert, besonders nicht diesem schweren Beidhänder.

Da hatten wohl beide recht. Sie war eingerostet, aufgrund ihres sträflich vernachlässigten Trainings. Einzig für Auftritte übte sie in letzter Zeit, dabei ließ sich beides gut miteinander verknüpfen. Solange es nur nicht an einem solchen Beidhänder war.

„Das ist doch ein Witz!“, stieß Nerre hervor. „Ihr wollt, dass das Mädchen gegen mich antritt.“ Nichts wich ihrem überheblichen Blick, der sich sogar beim Mustern der Gegnerin verhärtete. „Das wird ein sehr kurzer Kampf.“

Sie wartete nicht, bis das Mädchen ihren unbeholfenen Griff um das große Schwert fester gepackt hatte, sondern sprang auf sie zu. Die scharfe Klinge sauste nur knapp an Alinas Nasenspitze vorbei.

Für den Beobachter musste es wie eine reflexartige Bewegung des Mädchens aussehen, die sich einfach nach hinten fallen ließ, um der Klinge auszuweichen. Alina jedoch lächelte. Ihr Vorhaben ging auf. Selbst jetzt hätte sie den Kampf auf einen Schlag beenden können.

Nerre sah in ihr keine Gegnerin und achtete so auch nicht groß auf ihre Deckung.

Alina umfasste das Schwert fester, wagte sich sogar vor, als die Klinge wieder auf sie zu sauste.

Metall traf in einem heftigen Schlag auf Metall.

„Meine Liebe“, rief Alina nun ganz ohne das unbekümmerte Schauspiel. Kein naives Ding sondern ganz die Kopfgeldjägerin, vor der so viele Sprachen. „Der gute Marno hält nichts von Frauen, die dumm mit einem Schwert herumfuchteln.“

Ihre Gegnerin legte all ihr Gewicht ein, um Alina zu bezwingen. Und sie gab ihr sogar Raum. Das zierliche Mädchen sprang zurück, um so etwas Abstand zwischen sie zu bringen. Dabei richtete sie ihr Schwert auf. Bereit zum Angriff, nicht mehr unbeholfen, wie zuvor.

„Er lehnt zwei Sorten von Bewerbern grundsätzlich ab. Kindern und Frauen.“

Die Frau vor ihr spukte aus, ungerührt über ihre Worte.

„Er machte zwei Ausnahmen.“ Ein kurzer Blick deutete auf Ero. „Er lernt seit seinem zehnten Lebensjahr hier. Und mich …“ Alina lächelte. „Mich unterrichtet Marno, seit ich ein Schwert in Händen halten kann. Man nennt mich den blutigen Engel und ich bin Kopfgeldjägerin.“

Eine angedeutete Verneigung folgte. Alles wäre perfekt, wenn nicht ein kleines Detail dazu führen würde, dass ihre selbstsichere Miene in Wut zersprang.

„Und mein so große Reden schwingendes Töchterchen sollte mal wieder mit dem Schwert trainieren“, warf Marno in der strengen Rüge des Lehrmeisters ein.

Bis eben fiel ihr nicht einmal auf, wie genau ihr Vater jede ihrer Bewegungen musterte. Dafür erschienen ihr seine prüfenden Blicke jetzt umso unangenehmer.

„Ich kann nicht erkennen, wie du deinen Ruf errungen hast.“

Die Gegnerin vor ihr blickte erstarrt auf das Mädchen. Ein Scherz, nicht mehr. Für sie konnte dieses Mädchen keine berüchtigte Kopfgeldjägerin sein. Nicht mit der Rolle, die sie ihr zuvor vorspielte.

Und genau diese Starre ließ Alina nicht ungenutzt.

Ehrenhaft zu kämpfen war noch nie ihre Stärke. Sie konnte es sich nicht leisten. Nicht einmal hier im Haus ihres Vaters.

Also sprang sie schnell zu einem Angriff vor, dem Nerre versuchte zu entgehen. Mit einem gewaltigen Schwung sauste die Klinge an der anderen Frau vorbei, wo erst beim Treffen auf das gegnerische Schwert seine volle Wirkung entfachte.

Mit einem lauten Knall entriss sie das Schwert den Händen der Kommandantin. Die beiden Zuschauer flohen von ihren Sitzen, aufgeschreckt von dem Geschoss, das über den Tisch, auf sie zu flog und zu ihren Füßen letztendlich zum Liegen kam.

Ein Haus war wahrlich kein geeigneter Ort für einen Kampf.

Auch wenn Alina diese Frau nicht ausstehen konnte und sie für ihre Taten den Tod mehr als verdiente, so sah sich das Mädchen nicht bereit, den Henker zu spielen. Sie ließ die Klinge von Eros Schwert nur kurz unter die Kehle der Anderen wandern.

Für beide ein deutliches Zeichen, wer diesen Kampf als Sieger verließ. Kurz darauf sank es zu Boden.

„Sagt mir, wer das Ziel sein soll“, forderte sie die Frau auf. „Ich schaue mir die Sache an und entscheide dann, ob sich ein Vorgehen lohnt.“

Kurz drauf warf Alina das Schwert zurück zu dessen eigentlichem Besitzer. Nicht so, wie es einem solch edlen Stück gebührte, sondern fast wie Altmüll landete es vor den Füßen des Jungen.

„Du willst mir doch nicht weiß machen, dass du diese Mörderin bist.“ Die Frau verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Du bist noch so jung.“

„Nerre, sag einem deiner Untergebenen, sie sollen die Gegend im Westen absuchen, nicht einmal einen Tagesritt von hier.“ Ero hockte sich zu Boden, wo er sein Schwert aufnahm. Bevor er es zurück in die Scheide steckte, fuhren seine Finger liebevoll über die Gravierung der Klinge. „Dort werden sie das Lager zweier Räuberbanden finden, vor denen Alina tanzen sollte. Mein Vater leitet den Auftrag weiter. Wir sollten nur die Anführer gefangen nehmen.“

Wir? Alina neigte den Kopf in einem strafenden Blick zurück. Sie war es, die alle Arbeit in ihrer Partnerschaft übernahm, während der Herr sich ein sonniges Fleckchen suchte.

Der Junge ließ sich nicht von ihrem Blick beeindrucken. Mutig trat er sogar an die Seite seine angeblichen Verlobten.

„Dort wirst du nur noch die Leichen ihrer Untergebenen finden. Alina hat sich ihrer angenommen.“

Das Mädchen neben ihm verzog unmerklich die Lippen. Sie war es immerhin nicht alleine aber sollte es ihr Freund ruhig weiter glauben. Außerdem hätte sie auch selbst aus dieser Situation herausgefunden.

„Wer soll nun das Ziel sein?“, wurde Alinas Stimme drängender. Und auch wenn Nerre noch kein Wort der beiden glaubte, so erzählte sie es ihnen.

„Ich will den Kopf eines rothaarigen Biestes, das in deinem Alter sein soll.“

Die Kommandantin ging an ihnen vorbei zu ihrem Schwert. Keiner von ihnen glaubte, dass sie noch einmal solch einen Fehler beging. Wenn doch, konnten sie immer noch ihre Schüler rufen.

Selbst wenn diese nicht gegen eine Armee ankamen, so würden sie Nerre doch eine Lektion erteilen.

„Sie befindet sich gerade in Morlos Nähe. Für den berühmten blutigen Engel sollte es doch kein Problem sein, sich dort hineinzuschleichen.“ Prüfend lag der Blick der Kommandantin auf dem Mädchen, das sich jeglichen Kommentar verbiss. „Bring sie mir, dann winkt ein lohnender Preis für euch. Solltet ihr mich jedoch zum Narren halten, gebe ich meinen Leuten die Anweisung diese Schule mit samt ihrer Schüler niederzubrennen!“

Alina zweifelte keinen Moment am Ernst ihrer Worte. Doch während ihr Vater und Ero sie unglaubend ansahen, blieb ihre Miene eisern, wie es einer solchen Verhandlung gebührte. Ohne Zeichen, was für eine Angst in ihr tobte.

„Wenn ihr es nicht glaubt, sollte Ero seinen Vater um Rat fragen“, spuckte sie aus. „Er weiß, was ich bereit bin zu tun, um die kläglichen Reste des einstigen Amazonenheers zu beseitigen.“

„Du bist verrückt!“, stieß Ero geschockt aus. Seine Augen weiteten sich, nicht nur über die deutliche Drohung gegen alles, was ihnen etwas bedeute. „Es gibt keine Amazonen mehr.“

„Mehr als du denkst, Junge“, rief Nerre kühl. „Dieses Miststück ist mir schon einmal entwischt. Sie ist Alesas Enkelin und plant glatt den Glanz der Amazonen wieder aufblühen zu lassen.“

„In Morlos Unterschlupf eindringen zu wollen ist unmöglich. Es gleicht einer Festung. Schon viele sind daran gescheitert und du denkst ernsthaft darüber nach es zu versuchen? Das ist Wahnsinn! Ich bitte dich Alina, lehn diesen Auftrag ab.“

Ero packte sie grob an den Schultern. Schüttelte sie. Dabei war ihr das alles selbst bewusst.

„Was bleibt mir denn anderes übrig?“ Ihr Blick sah ihn direkt an. Wenn er einen besseren Vorschlag hatte, sollte er ihn ihr offen legen.

In Alina wallte sich ein unbändiges Angstgefühl aus, das sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Nicht seit so vielen Jahren. Selbst nachdem sie schon einige Jahre bei Marno lebte, quälte sie diese lähmende Angst, ihr könnte noch einmal die Familie genommen werden.

Darunter erschien ihr dieses Leben bei ihrem Vater und zwischen den Schülern wie ein viel zu schöner Traum, der nun drohte zu zerspringen.

Ja Nerre war dafür bekannt, ihren Kampf gegen die Amazonen noch weit über einem Jahrzehnt danach mit voller Härte zu führen. Ihr reichte nicht, welchen Verlust ihre Familie dadurch erlitt oder welche Familien sie noch zerstören würde.

Also musste Alina es tun.

Für Marno und die Schüler.

 

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Noch lange, nachdem sich die Kommandantin verabschiedet hatte, herrschte eine gedrückte Stimmung zwischen allen Dreien, die ihren Schülern eine Pause von jeglichem Training und der Arbeit bescherte.

Ero beschäftigte sich damit, auf Alina einzureden. Ein sinnloser Versuch. Irgendwann am Abend kehrte das Mädchen in ihr Quartier zurück.

Alina schlief nicht. Sie zog sich auf ihrem Bett zurück an die Wand. Die Beine angezogen, unaufhörlich von Zittern ergriffen.

Quälend wurde sie von Bildern heimgesucht, die sie so lange verschonten.

Blutige Körper von Schwertern aufgerissen. Die mächtigen Leiber von Kriegsrössern. Bewaffnete Männer und Frauen, ihre Fratzen wirkten auf sie damals als Kind wie gefährliche Monster. Und dazwischen eine Frau, deren Gesichtszügen ihren glichen. Voller Stolz ein Leben im Kampf führend.

Das alles wollte nun dieses Mädchen wieder auferstehen lassen. Den glorreichen Kampf der Amazonen. Die Enkelin der einstigen Amazonenanführerin Alesa.

Erfolg versprach es. Immerhin gründete das einstige Amazonendorf auf einem Räuberlager. Da würde sie – Alina – gerade Recht hineinpassen.

Das Mädchen legte den Kopf in ihren Nacken.

Sie hatte ihre Vorhänge nicht zugezogen, wie es sonst der Fall war. Ein lauer Wind blies durch das geöffnete Fenster. Er hinterließ ein eisiges Gefühl dort, wo sich eine Spur der Tränen über ihr Gesicht zog.

Die Nacht war schön. Kaum eine Wolke verhüllte den funkelnden Sternenhimmel. Der volle Mond tauchte das Gesicht des Mädchens in sein weißes Licht.

Ihre Gedanken waren von Düsternis gezeichnet. Vor ihren Augen hoben sich rote Flammen hinauf ans Firmament. Gedanken, die sich nicht abschütteln ließen.

Obwohl es sie anwiderte, dieser Frau gehorsam zu sein, so musste sie verhindern, dass ihre schreckliche Vorahnung sich bewahrheitete. Sie sah sich in der Pflicht die Schüler zu beschützten und all das, was Marno in all den Jahren aufbaute.

Ihr Leben würde da nur ein kleines Opfer sein. Im Gegensatz dazu, ein zweites Mal alles durch den einstigen Amazonenkrieg zu verlieren.

 

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Kapitel 11

 

 


Sein Griff um Alina zeugte von ungewöhnlicher Stärke, im Willen sie nicht gehen zu lassen.

„Pass auf dich auf, mein Kind“, sagte er mit schwacher Stimme.

War es möglich? Hatte Marno die letzte Nacht geweint, dass sich sein Herz jetzt so schwer fühlte? Er war kein Mann, der sich mit Gefühlen aufhielt. Jedenfalls zeigte er diese nicht einmal seiner Tochter gegenüber. Marno hatte sie als sein Kind angenommen aber so streng erzogen wie jeden seiner Schüler.

Ein Schlag bei Ungehorsam war keine Seltenheit und nur manches Mal setzte er sich zu dem Kind, wann immer es weinte.

Heute vertrieb nicht einmal ihr zuversichtliches Lächeln die düsteren Wolken, von denen sein Herz verdeckt wurde.

„Ich will dich nicht jahrelang trainiert haben, um dich in einer Räuberhöhle zu verlieren“, sagte der alte Mann. Ein Stöhnen verließ seine Kehle. „Wenn es sein muss, helfe ich dir dort unbeschadet hineinzukommen.“

„Marno du wirst alt!“, rief Alina und stieß sich aus seinem kräftigen Griff frei. Sie war ihm für all die Jahre dankbar, in denen er zu ihrer Familie wurde. Alina konnte frei behaupten ihn wie den Vater zu lieben, den sie nie kennenlernen durfte. Und dennoch gestand sie ihm dieses Gefühl nie.

War es jetzt ein Fehler?

Nein, Alina würde wiederkommen, damit sie es ihm sagen konnte, stand für sie fest.

„Wenn du denkst, mit uns zu kommen, um das Schwert noch einmal im Kampf zu schwingen, muss ich dich enttäuschen. Du bist allen ein guter Lehrer, wirst aber kaum noch gegen eine Bande junger Räuber bestehen können.“

„Alina!“, rief er sie mit all seiner Härte zur Ordnung. „Scherz nicht! Wir stecken dieses Mal in wirklichen Schwierigkeiten!“

Ehe sie sich der von Gefühlen beherrschten Stimme ihres Vaters bewusst wurde, schloss dieser sie erneut in seine Arme.

„Du weißt, wie selten ich so etwas sage“, begann er. „Aber du sollst wissen, dass du mir das teuerste im Leben bist. Ich habe nie bereut, dich aufgenommen zu haben.“

Selten traf es genau, wo es das erste Mal war, dass er solche Worte an seine Tochter richtet.

„Riskier nicht unnötig dein Leben. Solltest du in Gefahr sein, bitte zu Morlo vorgelassen zu werden und nenne mich als deinen Vater. Ich kann dir nicht sagen wieso, aber wenn dieser Hund noch etwas Ehre im Leib hat, tut er dir nichts an.“

Marno löste sich von ihr. Nicht um sein Kind einfach gehen zu lassen. Seine Hand tätschelte behutsam ihre Wange.

„Ich hoffe dein hübsches Gesicht noch einmal wieder sehen zu können“, sagte er. „Wenn es auch nur sei, um dich am Traualtar zu überreichen.“

Es blieb unausgesprochen, welchem Jungen er die Ehre gönnte, sie zur Frau zu bekommen, obwohl es schwer über ihnen hing.

Über Alinas Wangen rollten dicke Tränen.

Verdammt sie wollte nicht vor ihm weinen, immerhin war Alina ein großes Mädchen, kein kleines Kind mehr. Sie konnte noch nicht einmal behaupten, dass es Angst war, die an ihr zog.

„Beldor weiß immer Rat“, versuchte sie ihrem Vater Hoffnung zu schenken. „Es wird uns niemand verdenken, diesen Weg zu wählen und vielleicht kann er uns weiterhelfen. Es gibt niemanden, der die Geschichte der Amazonen besser kennt als er, oder einen besseren Kontakt zu den Königen hat.“

„Der Henker von Ylora“, nannte Marno den Ruf seines alten Freundes mit einem Schnauben. „Ich hoffe, Ero kann einmal in seinem Leben den Stolz vergessen. Der Junge verteidigt den Vater, wann immer er es für nötig hält.“ Seine Stimme wurde eindringlich. „Solle jemand erfahren, wer dieser Junge ist, kann euch niemand mehr helfen.“

Mit dem Handrücken wischte sich Alina die Tränen weg. Ihr Vater nahm kein Blatt vor den Mund und räumte ihnen Chancen ein, die schlimmer nicht sein könnten.

„Wir werden es schaffen!“, sagte sie streng zu ihrem Vater und auch sich selbst. Ihr Herz flatterte vor Aufregung der kommenden Herausforderung. Es übertrug sich auf ihren Magen und endete in einem leichten Zittern, was von niemand anderes als ihr würde bemerkt werden. „Es gibt doch noch so viel, was ich dir nie erzählen konnte.“

Noch einmal strichen seine Finger über ihre Wange. Ein Lächeln huschte über den breiten Mund des Mannes.

„Mich würde am ehesten interessieren, wann ich meine süße Tochter am Traualtar sehe.“

Ein altes Lied. Beide Väter drängten darauf, die Kinder mögen sich zu einer Liebe bekennen. Und selbst wenn es der einzige Weg wäre, die Schule zu retten, konnte Alina ihm nicht nachgeben.

Ero mochte ein Kindheitsfreund sein, aber für sie zählten nur ein einziger Grund zu heiraten. Liebe. Wenigstens das hatte sie mit ihrer Mutter gemeinsam. Sie würde eher sterben als einer Heirat aus Vernunft oder Zwang zuzustimmen.

„Sobald ihr zurück seid, sollten wir wirklich reden. Es gibt vieles, dass auch du nicht aus dem Leben deines Vaters kennst.“

„Das ist typisch!“, ertönte die Stimme eines Jungen von den Ställen her. Ero lief mit großen Schritten auf sie zu, in seinen Händen die Zügel beider Pferde.

Seine Falira war ein edles Reitpferd. Mit eleganten Bewegungen und ihrem Herren weit überragenden Kopf folgte sie ihm einen halben Schritt hinterher. Die alte Belena tat sich dagegen schwer, zu folgen.

Ihre besten Jahre waren vorbei und Alina hätte ihr liebend gerne gegönnt auf der Weide zu bleiben, statt vor dem Planwagen gespannt zu stehen. Die Stute legte ihr ganzes Gewicht ins Geschirr, um die Räder in dem von dem Jungen vorgegebenen Tempo vorwärts zu bewegen.

Neben Verpflegung und zwei unwilligen Gefangenen wurde der Wagen mit einem kleinen Sortiment an Waffen beladen, die beide auf ihrer Reise verkaufen konnten.

„Ich muss schuften, während ihr euch in einem Plausch unterhaltet.“ Ein letzter Zug an Belenas Zügeln, worauf die Stute ein Schnauben durch ihre Nüstern blies, dann fand sein Weg ein Ende. „Bedenkt die Dame, wann wir in unser beider Verderben starten wollten.“

Ero konnte es nicht lassen und Alina beachtete ihn nicht. Sie eilte an dem Jungen vorbei zu ihrer Stute. Mit flacher Hand fuhr sie dem treuen Tier über die Stirn, bis zu den Nüstern. Einzig durch die Trense wurde die Liebkosung gestört.

„Lehn den Auftrag einfach ab!“, forderte der junge Adelige seine Freundin auf, ohne sich der Gefahr bewusst zu werden.

Immerhin stammte er aus einer hoch stehenden adeligen Familie. Er mochte sich gerne unter die Bauern gesellen, doch musste er nicht die Folgen tragen, sollte sich jemand dem Befehl eines anderen Adeligen verweigern.

„Was ist, wenn sie ihre Drohung wahr macht, die Schule anzugreifen?“, wollte Alina wissen. „Die Schüler sind gut, gegen ein Heer kommen sie aber nie an.“

„Das kann sie nicht!“, zeigte sich Ero fest überzeugt. „Nerre ist nur eine Kommandantin. Sie kann sich nicht gegen den Befehl eines Königs richten. Besonders wenn es der des Landes Miro ist.“

Gram breitete sich in ihr aus, der nicht einmal von der Anwesenheit ihrer gehorsamen Stute vertrieben werden konnte.

„Nerre wird sicher einen Späher ausschicken, der unsere Bewegungen im Auge behält“, sagte sie. „Sollten wir etwas versuchen, ist der Befehl zum Angriff schneller gegeben, als dass einer der Könige sich für uns einsetzen kann.“ Wieder flossen Tränen über ihre Wangen. „Ich habe in dieser Welt nichts mehr außer dieser Schule und Marno. Ich bringe nichts von beiden in Gefahr.“

„Ist dir dein eigenes Leben denn völlig egal?“ Er war aufgebracht. Wütend sogar. Besonders da er an das Schicksal des eigenen Bruders dachte. „Morlos Bande ist gefährlich. Sie verschonen keine Tänzerin und ich will gar nicht daran denken, was für ein Geschenk ich ihnen wäre.“

„Es wird klappen“, zeigte sich Alina zuversichtlich. „Ich finde einen Weg, uns sicher dort hinein- und hinauszubringen.“

Ero legte ihr die Zügel des Schimmels in Händen, dann stieg er selbst in den Sattel seiner Stute.

„Das will ich sehen!“, forderte er Alina mit schroffer Stimme auf. Ein einziger Befehl, schon sprang das Pferd unter ihm nach vorne dem Ausgang der Schule entgegen.

Er brauchte Abstand von ihr und diesem verrückten Vorhaben.

Alina setzte sich auf den Kutschbock. Mit langsameren Schritten folge ihre Stute ihm zu einem womöglich letzten gemeinsamen Ritt. Eine Reise mit ungewissem Ende.

 

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Kapitel 12

 



Während ihrer ganzen Reise redeten beide kaum ein Wort miteinander. Ero in seiner Wut darüber, dass Alina immer noch nicht davon absah, den Auftrag anzunehmen; ihr missfiel, wie wenig er ihre Sorgen und Ängste teilte.

Der vertraute Weg kam ihnen in dem Schweigen so lang vor, obwohl sie nur die geplante Woche unterwegs waren. In der Ferne konnte man schon die ersten Anzeichen der nahen Stadt wahrnehmen. Wie das Läuten der Kirchturmuhr. Sogar Belena spürte die Aufregung ihrer Herrin.

Ihre Schritte, mit denen sie bisher gemächlich die Last zog, wurden schneller.

Wahrscheinlich freute sie sich nach der langen Zeit auf den warmen Stall, in dem sie von den Stallburschen mit allerlei Leckereien verwöhnt wurde.

Auch Alina musste zugeben, sie genoss jeden Aufenthalt in dem herrschaftlichen Anwesen, etwas außerhalb Yloras.

Sie, in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, konnte sich nicht vorstellen, wie eine Familie alleine darin wohnte. Oben und unten schmiegten sich Zimmer aneinander, die einen Teil ihrer Schüler aufnehmen könnten. Ihr genügte die kleine Hütte.

Beldor erzählte oft davon, dass er gerne Besuch zu sich einlud und dennoch schaffte er es nicht einmal, nach einer Feier alle Schlafzimmer zu belegen.

Sie alleine kannte elf davon, sowie einige Räume, deren Funktion ihr unbekannt waren. Der große Ballsaal, Ankleidezimmer für die Damen und noch viel mehr.

Nahe beim Haus der erste Stall mit Beldors liebsten Pferden, etwas außerhalb die großen Zuchtställe und über das gesamte Gelände verteilt, was immerhin mehre Waldstücke, Äcker und Wiesen umfasste, standen die Hütten der Bediensteten errichtet.

Ero war den ganzen Luxus von frühster Kindheit an gewöhnt. Alina staunte bei jedem Besuch darüber.

„Da wird man verrückt“, rief Ero aus. „Du bist verrückt!“

Sie durchquerten gerade das Stadttor zu Ylora. Bevor sie den Sitz des Richters aufsuchten, mussten sie etwas anderes erledigen. Außerdem erklärte sich Ero bereit, ihr ein paar Kleider auf dem Markt zu kaufen.

„Wir sind tot, sobald wir in die Nähe dieses Gebietes kommen!“

Es waren die ersten Worte, die er seit dem Morgen mir ihr wechselte. Keine schöne Grundlage für eine Diskussion.

„Ero bitte!“, sprach sie ihn ruhig an. „Denkst du, ich nehme gerne an? Marno ist mir so wichtig wie mein eigenes Leben. Würdest du nicht selbst so handeln, beträfe es deinen Vater?“

Kaum merklich glimmte eine Emotion über Eros Züge, die Alina nicht zu deuten wusste. War es womöglich Einsicht für ihre Lage? Sie konnte es nicht sagen.

„Dafür, dass der Alte behauptet sein Töchterchen zu lieben, hat er dich nicht intensiv daran gehindert, zur Schlachtbank zu laufen“, urteilte Ero.

Er hatte nicht recht, stand für Alina fest. Ihrem Vater fiel es sehr schwer sie gehen zu lassen. Dabei übersah sie, dass Eros Worte nicht alleine so schroff ausfielen, weil er um das eigene Leben besorgt war.

Beide fielen in ihrem Weg zum Markt wieder in Schweigen, bis Ero es erneut brach.

„Alina!“, sagte er mit einer Schwere in der Stimme. Der Junge schluckte und musste sich zwingen, die Worte weiter zu sagen. „Egal was passiert, ich bin immer an deiner Seite. Ich bleibe nicht bei meinem Vater. Ich werde dich beschützen!“ Er atmete einmal tief ein und aus, dann kam er zu dem wichtigsten Punkt. „Ich war dir bisher nie eine Hilfe aber diesmal bin ich für dich da. Wenn du kämpfst, werde auch ich kämpfen. Ich werde dich mit mein …“

Seine Worte verloren sich in einer schwach gewordenen Stimme aber Alina wusste, was er sagen wollte.

Er würde sie mit seinem Leben beschützen und die Aussicht darauf besaß nichts Tröstliches. Eher war sie schmerzlich.

„Unternimm bitte keine Alleingänge“, flehte er sie an. Er ließ seine Stute antraben und eilte auf den Weg vor ihnen.

Ylora war die Hauptstadt Uras und somit eine der größten. Hier schienen sämtliche Handelswege zusammen zu laufen, weswegen der Mark überladen war. Viele Wagen quetschten sich durch schmale Gassen, oft führte das zu Streit. Heute war es zu ihrem Glück anders. Die Stadt wirkte verschlafen und sie kamen gut zu ihrem Ziel.

Einen Platz mit vier Linden, eine jeweils an der Ecke eines Podestes. An manchen Tagen drängten die Leute hierhin, um der Grausamkeit teilhaben zu können. Oftmals übernahm Beldor selbst diese Rolle, die dem Richter seinen Ruf einbrachte. Als Henker von Ylora von so vielen gehasst und verabscheut, war er eigentlich ein gutmütiger Mensch.

Sie stoppten die Pferde hinter dem Gerichtsgebäude. Hier in der Gasse fand sich der Zugang zum Kerker, wo auch ihre Begleitung zuerst auf die Verurteilung warten würde, dann die Hinrichtung.

Für viele Verbrechen gab es in ihrem Land die Todesstrafe. Eine traurige Bilanz, der Beldor seit langem stumm folgte.

Ero wies ihr an zu warten. Er stieg von Faliras Rücken und kümmerte sich alleine um die beiden Räuber. Nachdem er wieder kam, reichte er Alina die magere Beute. Obwohl der Betrag vor wenigen Tagen erhöht wurde, würde es der Schule nur für ein paar Wochen reichen.

„Wehe irgendjemand behindert die Kutschfahrt von König Selon“, sagte Alina, während sie den Beutel sicher in einem geheimen Fach verstaute. „Auf den wird sofort ein hohes Kopfgeld ausgesetzt, sollte er den Wachen entkommen. Bei Mördern vieler Familien gibt es ein paar Geldstücke.“

„So schlimm ist der alte König auch nicht“, verteidigte Ero seinen Herren.

„Das sagst du nur, weil du früher auf seinen Schoß gesessen hast.“ Es bedurfte eines kleinen Zeichens, damit Belena loslief.

„Sag bloß, du hörst auf das, was die Leute erzählen.“ Ero lachte auf. „Wo überall von meiner Verlobung berichtet wird.“

Alina fand, dass dies kein Vergleich war.

 

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Ein Stück unterhalb von Gerichtsgebäude und Hinrichtungsplatz, wo sich der Stadtteil von eher gut situierten Leuten befand, aber noch nahe dem Markt und weiteren wichtigen Punkten stand das große Auktionsgebäude.

Dort fand sich einiges zur Versteigerung ein. Kunstwerke großer Maler, Skulpturen, genauso wie Werke neuer Künstler.

Sie erinnerte sich daran, Beldor einmal dorthin begleitet zu haben. Er wollte das Gemälde eines aufstrebenden Künstlers ersteigern. Für Alina erschien dieser Ort wie eine neue Welt.

All der Glanz, die Schmuckstücke getragen von so vielen unterschiedlichen Leuten und Summen, von denen manche Familien ein ganzes Leben satt wurden. Sie fühlte sich damals darin verloren.

Heute sah sie nur die Wipfel des Daches aufragen. Ihr Weg führte sie einige Gassen weit entfernt entlang zum Markt auf dem Lebensmittel und allerlei Handwerkskunst angeboten wurden.

Ihre Nasenflügel wallten sich unter der Kombination von Blumendüften und exotischen Gewürzen.

Alina lenkte ihren Wagen zu einem der Orte, an denen die Wachen häufiger patrouillierten. Die Gänge auf dem Markt waren viel zu nah angeordnet, sodass sie mit dem Wagen nicht vorankämen.

Nachdem sie herunter gestiegen war und die Stute sicher angebunden hatte, richtete sie noch ein letztes Tätscheln zum Abschied. Ihrer Belena würde hier nichts passieren, war sich Alina sicher.

Sie konnten in Ruhe über den Markt streifen, würde aber den Blick einige Male zum Wagen richten.

 

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Schon vom ersten Betreten des Marktes wurde ihr aufgezeigt, dass Ero hier zuhause war. Er war der Sohn einer der bekanntesten Familien von Ylora. Die Leute senkten tuschelnd die Köpfe zueinander.

Einige Bemerkungen schwappten zu ihnen. Manche klangen schon alleine wegen seiner Erscheinung abfällig.

„Dort geht der Sohn des großen Richters. In was für Lumpen er herumläuft. Ob die Hinrichtungen nicht mehr so viel einbringen?“

Ero ging an solchen Bemerkungen vorbei, ohne seinen Kopf danach zu neigen, oder irgendeines Zeichen seines Interesses. Der Ruf seines Vaters verleitete so manchen zu bösen Worten, nicht nur in Ura. Auch viele ihrer Schüler gingen mit Vorurteilen an den Jungen heran, die sich erst langsam legten.

In all dem, gab es auch Leute, die den Jungen gerne mit Freundlichkeit begrüßten.

„Hallo!“, wurden sie von einer Blumenverkäuferin fröhlich begrüßt.

Die schon etwas ältere Frau eilte zu ihnen, eine der Blumen schützend an ihre Brust geschmiegt.

„Wann wird die große Verlobungsfeier hergerichtet, von der schon so viele sprechen?“

In einer kurzen Geste wurde die Blume mit ihren goldenen Blütenblättern Alina gereicht.

Vielleicht hoffte die Frau, ein solches Fest könne auch ihr einen großen Auftrag bescheren.

Genau deswegen genoss der Richter bei den Kaufleuten Yloras seinen Respekt. Er nahm gerne Waren aus der Umgebung an, sei es von einem Bauern oder dem Markt. Dabei ließ er sich oft verleiten mehr zu bezahlen, als gefordert.

„Ich erinnere mich noch an die Hochzeit eurer Brüder Jos und Per.“ Sie schlug die Hände ineinander und seufzte verzückt. „Selbst hier wurde von der Feier berichtet. Und wie hübsch beide Paare anzusehen waren. Ich konnte einen kurzen Blick auf sie während der Fahrt zum Anwesen erhaschen. Hach.“

„Das würde mich ebenfalls interessieren“, drang eine kräftige Stimme zu ihnen. „Eure Mutter bekundet immer ihre Trauer darum, dass ihr Enkel eher heiratet als der jüngste Sohn.“

„Meine Mutter verdrängt dabei, dass der Enkel älter ist, als ich es bin.“ Ero wandte sich zu dem Mädchen um und schloss es freundschaftlich in seine Arme.

An der Seite des Platzes entdeckte Alina die Kutsche und ihre Ladung aus Futter für die Pferde. Viel zu Edel für solch eine Fracht, mit vertrauten Emblem auf der Seite.

Die Kutscherin schaute freundlich zu dem Jungen und dann auf Alina. Ihr braunes Haar fiel unordentlich auf die Schulter, ihre ebenfalls braunen Augen kannten nur gegenüber Schurken böses.

Sie trug meist Jungenkleidung und besaß eine überaus kräftige Gestalt, von der Größe her überragte sie sogar Ero. Obwohl Arela eigentlich jeden Mann um mindestens einen halben Kopf überragte.

Manche ängstigten sich vor der gewaltigen Frau, der Beldor seit ihrer Kindheit Unterstützung und später Arbeit in seinen Ställen anbot. Ihren Dank zeigte sie in guter Arbeit innerhalb der Stallungen.

Ero sagte einmal zu ihr, Arela sei wie ihre Mutter Marli für ihn das beste Beispiel einer Amazone. Groß, stark und von gutem Charakter.

Zum Ende des Amazonenkriegs opferte sich Marli für ihre kleine Amazonenprinzessin. Sie war sich immer bewusst, dass ein Kampf für ihre Kameraden auch bedeutete, ihre Tochter nie aufwachsen zu sehen. Ein weiteres Opfer dieses sinnlosen Kriegs.

Arela gab nie zu, wie sehr sie ihre Mutter vermisste, dafür aber welchen Stolz sie auf diese Frau verspürte. Sie machte nie ein Geheimnis daraus, die Tochter einer Amazone zu sein.

Manchmal beneidete Alina sie genau deswegen, ohne es irgendjemanden zu gestehen.

„Was verschlägt euch hierher?“, erkundigte sich Arela. „Heimweh?“ Wie die Blumenverkäuferin es zuvor tat, schlug sie die Hände ineinander. „Hach. Endlich Hochzeits- oder Verlobungsvorbereitungen?“

Wenn Alina eines an dem Mädchen missfiel, war es deren Freude beide mit den Wünschen der Väter aufzuziehen.

Ero verschränkte die Arme vor sich.

„Die süße Alina hat einen hitzigen Auftritt hinter sich gebracht.“ Er grinste die Freundin schief an, in seiner Fantasie erweckte er das Bild der Vortage wieder zum Leben. „Ich habe mich dazu bereit erklärt, ihr neue Kleider zu kaufen. Du kennst ihren geizigen Vater.“

Statt sich darüber zu ärgern, sprang Alina zu einem der Verkaufsstände. Wenn Ero es ihr anbot, würde sie dafür sorgen, dass der Geldbeutel links an seinem Gürtel bei Verlassen des Marktes leer wäre.

Ylora besaß viele Schneider und Boutiquen aber hier auf den Mark fand sie manches Stück aus fernen Ländern. Schleier, Tücher und zauberhafter Schmuck, das Richtige für ihren Tanz.

Für sie der wahre Begriff eines Schatzes.

Schon bei dem zweiten Stand wurde sie belohnt. Zwischen vielen Kleidern, die eher grau wirkten, fand sich eins im schönsten Blau eines sommerlichen Himmels.

Alina hielt es sich an und wirbelte dann in einem weiten Schwung herum.

„Was meinst du?“, sprach sie ihren Freund an. „Für meine Tänze wäre es vielleicht zu lang.“

Die Schultern lagen nackt. Nur ein dünner Träger gab ihm halt. Den Armen entlang zogen sich goldene Ketten, wie auch der Stoff durch Gold mit Effekten versehen wurde. Bei ihren Bewegungen klirrte es, wann immer die Goldkettchen und Platten aufeinander schlugen.

Ero antwortete ihr nicht sofort, er ging an einen anderen der Stände. Alina beobachtete ihn bei jede seiner Bewegungen, doch blieb ihr verborgen, was er tat.

Mit zwei Schritten stand der Junge wieder bei ihr.

Ein Tuch legte sich über Alina. Durchsichtig und eine Nuance heller als der Stoff des Kleides.

„Es wird wundervoll an dir aussehen“, meinte er. „Versprich mir, es nur bei Auftritten zu tragen, wo dir niemand zu aufdringlich wird oder mich zu deinem Aufpasser zu bestimmen. Wenn du das tust, kaufe ich es dir.“

„Solang du über deinen Schatten springen kannst, werde ich es auch tun.“ Alina neigte sich nach vorne und stellte sich auf die Zehenspitzen, um auf Höhe seiner Wange zu kommen. Ihre Lippen legten sich in einer flüchtigen Berührung darauf, kaum stärker als ein seichter Windhauch.

Für sie ein kleines Zeichen des Dankes. Bei ihrer Arbeit musste sie weit demütigendere Dinge tun. Nicht dass sie angewidert von Ero war, im Gegenteil. Er war ein hübscher Junge. Es bedeutete für sie jedoch nichts; er bedeute ihr nichts oder eher so viel, dass sie ihn gerne um sich hatte. Ein Freund, mehr nicht.

Als sie sich zurückzog, blickte Ero sie aus aufgerissenen Augen an.

Es dauerte eine Weile, bis er seine Stimme wiederfand.

„Gerne“, sagte er stockend. Seine Finger betasteten die Stelle seiner Wange, an der ihn ihre Lippen berührten. „Such dir aus, was du möchtest. Ich kann später auch einen der Diener in die Stadt schicken, um es zu bezahlen.“

Er wandte sich um, damit sie sein Gesicht nicht mehr sah. Für einen Augenblick meinte sie, er würde erröten oder täuschte sich Alina?

War es wirklich schon so lange her, dass sie sich auf dem Hof der Schule gerauft hatten, oder gemeinsam ohne Scheu badeten?

Arela nahm ihr die Kleider ab, damit Alina in Ruhe nach weiteren Stücken suchen konnte. Auch wenn Ero meinte, es fiel ihr nicht auf, merkte sie, wie oft er sie beobachtete.

An diesem Tag spürte sie, dass Ero in ihr längst nicht mehr nur einen Kameraden sah. Er nahm sie als das wahr, was sie war. Eine Frau mit all ihren Reizen.

Sie musste all die Jahre blind gewesen sein, das nicht zu erkennen.

Vielleicht war es ein Fehler, ihn auf diesen gefährlichen Weg mitzunehmen.

 

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Sie suchte sich noch drei weitere Kleider für ihre Auftritte aus. Sowie ein paar einfache für ihre Reise.

Alina wollte nicht daran denken, wie die Reise womöglich endete oder ob sie überhaupt eine Chance bekam sie anzuprobieren. Dass würde alles noch schlimmer machen. Sie stand hier auf dem Markt, nicht schon vor dem Lager der Räuber. Bis dahin dauerte es einige Tage, genug Zeit sich einen Plan auszulegen.

Arela trat hinter sie, gerade als Alina sich eines der Kleider zurechtlegte.

„Richter Beldor sagt nie etwas aber einige der Adeligen sind schon auf ihn zugekommen“, berichtete sie. „Viele baten darum, er möge seinen jüngsten Sohn zu einem Ball mitbringen, um ihm die Tochter vorzustellen. Es bedarf nicht vielem Werben, Ero eine Braut aus gutem Hause zu verschaffen. Mag sein, dass Richter Beldor euch beide gerne vermählt sähe, aber selbst er kann nicht zu lange warten, ihn in eine Ehe zu geben.“

Ihre Finger krallten sich in den Stoff. Nicht wie Arela meinte in einem Aufwallen von Gefühlen für den jungen Adeligen. Sie warf einen Blick auf Ero. Es war nicht richtig, dass sie beide sich in Gefahr brachten. Nur einer würde diese Bürde tragen müssen, daher fällte sie eine Entscheidung.

„Für Ero wäre besser, er heiratet in eine adelige Familie ein“, sagte Alina leise.

War das ein Stich in ihrer Brust? Alina hob die Hand, hielt aber kurze Zeit später in dieser verräterischen Geste inne und führte sie in einem Streichen durch ihr goldenes Haar aus.

Eine Heirat bedeutete auch, sie würde ihre Freundschaft, so wie sie jetzt war, verlieren.

„Er liebt dich“, brachte es Arela auf dem Punkt. Einen Moment schwankte sie darin, ob es ein Geheimnis zwischen beiden war, überzeugte sich dann doch jeden Punkt auf den Tisch zu legen. „Seit Jahren denkt er nur an dich.“

Mit einer Handbewegung wischte Alina die Diskussion vom Tisch. Beide stammten aus unterschiedlichen Welten. Er ein Adeliger, sie die Tochter eines einfachen Mannes. Eine Ehe war absurd.

Alina wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Ero zu.

Er hielt ein einzelnes Goldstück in der Hand. Das letzte, was ihm verblieb.

„Solltest du noch mehr Kleider wollen, erinnere meinen Vater daran, wen er zur Schwiegertochter ausgesucht hat“, sagte Ero. Er hielt es nicht einmal fest, sodass Alina es leicht nehmen konnte. „Und was bleibt mir?“

Sie reichte es einem der Händler und nahm sich im Austausch fünf Äpfel. Zu viel aber das war egal.

Einen der Äpfel warf sie Ero zu.

„Zufrieden?“, erkundigte sie sich Alina lächelnd bei ihm.

Den Zweiten gab sie Arela.

Das Mädchen würde ihn später mit dem Kutschpferd teilen.

Einen behielt sie bei sich. Die restlichen Zwei waren für Belena und Falira vorgesehen.

Ein Lächeln umspielte Eros hübsche Züge.

Er biss kräftig in den Apfel.

 

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Die Villa lag von einem tiefen Wald umschlossen. Nicht nur, um seinen Gästen die Jagd zum Zeitvertreib anzubieten. Zwitschernde Vögel oder das Klopfen eines Spechtes nannte er den Klang des Waldes.

Beldor genoss es, hier einfach ein kleiner Mensch zwischen so viel großem zu sein. Hier im Wald war er nur für ein paar unbedeutende Räuber der berüchtigte Richter. Pflanzen und Tiere interessierten sich nicht für Gerüchte oder den Stand einer Person. Und entgegen seines Rufs, zeigt er sich erfreut wie ein keines Kind über jede Begegnung mit einem Tier des Waldes.

Daher führte nur ein schmaler Weg zum Anwesen.

Mancher Dieb nutzte die Nähe der Bäume für sein Versteck, von dem aus er den Kutschen des Richters oder denen seiner Gäste auflauern konnte.

Beldor selbst unterhielt viele treue Wachen, einige von Marno ausgebildet. Seine Gäste dagegen kamen oft nicht ohne Verlust von Gold an ihrem Ziel an.

Alina und Ero wirkten auf manche wie die Kinder von Bediensteten. Keine lohnende Beute und wer doch angriff bekam schnell die Klingen beider zu spüren.

„Es ist schön, eine Leibgarde zu haben.“ Arela lachte in den sommerlichen Tag hinein. Um sie herum zeugte alles von einer ungewohnten Ruhe.

Die Kutsche rollte voll beladen mit der Futterlieferung vor Alinas Planwagen. In unregelmäißgen Abständen ritt Ero vor ihnen her, oder hinter ihnen, immer den Wald und mögliche Gefahren im Blick.

Der Richter bot Arela seinen Schutz an, den das Mädchen jedes Mal ablehnte. Wen ihre Größe nicht einschüchterte, dem half sie mit einigen Hieben ihres Stabes nach.

Er lag griffbereit hinter dem Kutschbock.

Der Umgang darin wurde dem Mädchen nicht von ihrer Mutter beigebracht, die oft mit Speer oder Stab kämpfte. Arela war beim letzten Besuch ihrer Mutter noch zu klein. Kaum älter als Alina konnte sie sich noch an ein paar schemenhafte Erinnerungen krallen.

Richter Beldor hatte ihr auf Wunsch Unterricht gewährt.

Das Mädchen strich sich eine ihrer großen, braunen Locken aus dem Gesicht, ihre Augen waren von dunklerer Farbe als das Holz der Nadelbäume und schätzten die Länge ihres Weges ab.

Trotz ihrer Größe besaß Arela eine ungewöhnlich schlanke Gestalt.

„Wenn Ero mich nur auch so pflichtbewusst beschützen würde.“ Ein Seufzen stieg bis zu dem anderen Mädchen nach vorne.

Die schwarze Stute fiel auf Höhe Belenas gemächlichem Schritt zurück.

„Alina, du benötigst keine Hilfe“, blies Ero auf ungewohnt arrogante Art. „Deine größte Waffe ist dein Körper. Ein paar aufreizende Bewegungen, der Blick in lockender Versuchung, schon folgt jeder Mann brav deiner Weisung, den Abend mit Bier und Wein zu beginnen. Bereit für alles Folgende. Oder du lenkst sie auf andere Art ab und schenkst ihnen damit den schönsten Gang ins nächste Leben.“ Ero seufzte verträumt auf. „Ich hätte letztens wirklich an deine Seite eilen müssen.“

„Was ist geschehen?“, erkundigte sich Arela bei ihm. Sie war immer neugierig auf neue Erzählungen der Beiden. Darüber blieb ihr unbemerkt, wie sich Wut in Alina aufwallte.

Bloß kein Ton darüber!, wies sie Ero stumm an. Er zuckte mit den Schultern, ehe er zum Letzten ansetze.

„Die holde Schöne hat glatt ihr letztes Kleid verloren. Sie stand nackt vor ihrem Gegner.“

Die Schritte seiner Stute stoppten und Alina griff hinter sich.

„Wirklich schade!“, stahl es sich in einem Seufzen über seine Lippen. Während dieser Worte war er genau neben der Freundin, kurz darauf blieb er zurück.

Alinas Finger ertasteten den Griff einer Pfanne – es war das Erste, was ihre Hand ertasten konnte. Ohne lange zu überlegen schlossen sich ihre Finger fest darum. Dann warf wie diese schon im hohen Bogen über den Planwagen, wo sie daneben nach einem ersten dumpfen Schlag in einem zweiten auf dem Boden aufkam.

Die Stute war eigentlich ein ruhiges Tier, sprang jetzt aber verschreckt nach vorne und warf ihren Herren beinah ab.

Alina hatte nicht gezielt, traf Ero dafür aber erstaunlich gut, wie sie als Erstes dem Schrei entnahm, der sich mit dem des Pferdes mischte. Kurz darauf eilte das Pferd unkontrolliert an ihnen vorbei.

Ero musste all sein Können einsetzen, um die Stute wieder unter Kontrolle zu bringen.

Sie müsste Mitleid mit dem Jungen haben, immerhin lebten beide schon lange in Marnos Schule zusammen. Aber so war es nicht. Alina brach in schallendes Gelächter aus, ebenso Arela.

„Das ist nicht witzig!“, empörte sich Ero. Die Stute unter ihm schnaubte unruhig auf, folgte dann dem Willen ihres Herren, der sie zurückdrängte.

Am meisten tat beiden Mädchen die treue Stute Falira leid, nicht aber ihr Reiter.

„Da dachte ich, du seist mir wegen der Kleider dankbar“, sagte Ero. Er brachte das Pferd neben der Pfanne zum Stehen und stieg hinab. Seine Hand griff danach und hob das Ding in seinem Blick.

Eine große Beule lag darin, die er später ausbeulen würde.

„Oder äußerst du deinen Dank öfters mit fliegenden Pfannen?“

Ero stieg zurück in Faliras Sattel. Mit schnellem Schritt holte er zuerst Alina auf, wo er die Pfanne lieblos in den Planwagen warf.

„Wir sind jetzt quitt“, sagte Alina in ihrem zauberhaften Lachen. Seine Hand tastete nach der zurückgebliebenen Wunde an seinem Hinterkopf. Er konnte sie später im Anwesen versorgen lassen.

Alina wollte nur nicht daran denken, wie Miri darauf reagierte. Der Junge war ihr größter Schatz.

„Hey!“, protestierte Ero. „Ich habe aber keine Badewanne nach dir geworfen. Ich wollte dich wecken. Was kann ich dafür, dass du darin ausrutschst?“

Recht hatte er, dennoch streckte ihm Alina die Zunge heraus.

Arelas Blick wandte sich interessiert ihnen zu. Sie bekam keine Antwort.

„Komm meine Gute“, rief er dem Pferd zu und gab ihr den Befehl voran zu traben. „Die paar Schritte bis zum Anwesen ertragen wir die Zicke noch.“

Er stoppte erst am Ende des Hügels. Wenige Augenblicke später sprang die Stute in Galopp.

Alina war klar, dass er so bald wie möglich seinen Vater aufsuchen würde und doch überraschte sie, dass er beide Mädchen so plötzlich zurückließ.

 

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Nach allem, was in den letzten Tagen passierte, konnte es Ero kaum erwarten, mit seinem Vater zu sprechen. Nicht aus dem Sehnen nach den Eltern. Er war es gewohnt, lange von seiner Familie getrennt zu sein. Manche konnten in seinem Alter schon auf Frau und Kinder hinab blicken oder suchten ihr Glück in der Ferne.

Eher hoffte er, sein Vater könne Alina von ihren Dummheiten abhalten.

Das Mädchen mochte eine gute Tänzerin sein, die sich mit dem Schwert zu verteidigen wusste, gegen eine Horde wilder Barbaren angeführt von einem der größten Räuber, konnte sich selbst Alina nicht verteidigen. Manchmal wünschte er sich sogar, sie möge sich nach den schützenden Armen eines Mannes sehnen, weit weg von irgendwelchem zwielichtigen Gesindel. Unter den Gedanken wurde es ihm sogar egal, ob diese Arme ihm gehörten oder jemand anderes. Solange Alina glücklich war.

Von dieser Anhöhe aus hatte man einen guten Blick über das majestätische Anwesen seiner Familie. Mancher Gast hielt hier staunend inne, genau, wie der Junge einen Moment im Sattel ruhte.

Der Wald erstreckte sich weit um das Anwesen herum. Keine natürlich gewachsene Schneise. Sie wurde einst gerodet um dieser Lichtung Sonne zu geben und Platz für ein Haus. Jetzt umschloss eine grüne Wiese das Anwesen, auf der ihrer Pferde grasten.

Falira unter ihm scharrte unruhig mit dem Huf. Auch das Pferd zeigte seine Sehnsucht nach dem vertrauten Geruch der Stallungen. Hie war ihr beider Heim.

Über das Anwesen legte sich der Schatten einer großen Wolke, die einsam ihre Bahn am Himmel zog.

Neben dem Haus erkannte Ero auch ein Detail, dass seine Freude an der Heimkehr trübte.

Seine Familie hatte Besuch.

Nicht irgendwo her, sondern aus Saron.

Die Stute unter ihm brauchte nur die Andeutung eines Befehls, schon sprang sie in einen schnellen Galopp hinein. Falira wurde so schnell, dass man meinen könnte, der Wind würde dem edlen Rappen Flügel verleihen.

Er erreichte den Hof und schwang sich hier im Schritt des Tieres aus dem Sattel.

Schnell brachte er noch den Rest des Weges hinter sich. Die Diener konnten kaum rechtzeitig reagieren, ihm das schwere Portal zu öffnen. Der Spalt genügte dem Jungen, um Einlass zu finden. Drinnen musste er nur noch die Steintreppe hinauf, wo sich gleich rechts das Arbeitszimmer seines Vaters befand.

Die Tür flog unter seinem kräftigen Stoß auf und schwang hinter ihm ins Schloss zurück.

Sein Vater saß wie erwartet an seinem mächtigen Schreibtisch. Zuhause ging er alle Fälle durch, die er in nächster Zeit bearbeiten musste und Briefe von wichtigen Personen des Landes, sowie die seiner Freunde. Jetzt sah er überrascht zu seinem Sohn hinauf.

„Ero, ich habe dich nicht erwartet“, begrüßte Beldor ihn. Schon mitten in dem Satz senkte er seinen Kopf wieder den Papieren zu. „Was tust du hier? Hast du Alina mitgebracht? Ich hoffte du umwirbst sie in der Schule.“

„Der dient dein Sohn zurzeit als Zielscheibe für Pfannen“, sagte Ero und betastete die schmerzende Stelle an seinem Kopf. An seinen Fingern blieb das noch feuchte Blut haften, das er an den Kuppen betrachtete und dann an der dunklen Hose wegwischte. „Wieso ist Nala bei euch?“

„Ist sie schon da?“ Sein Vater wirkte ernsthaft überrascht.

Ein letzter Strich um seine Unterschrift zu vervollständigen. Beldor legte sein Schreibzeug in ein Etui und schob den Stuhl in einem weiten Stück zurück.

Ero kannte Porträts seines Vaters in jungen Jahren. Ein stattlicher Jüngling, mit ausgezeichneten Schwertkünsten. Heute war er dicklich und ein wenig zu träge geworden.

Statt hoch auf dem Ross zu sitzen, bevorzugte er dem Kutscher die Zügel zu überlassen. Mit seinen 64 Jahren lichtet sich sein Haar. Manche seiner Freunde nutzten Toupets, um das zu verdecken, ihn störten die Zeichen seines Alters nicht. Ganz anders, als es bei der geliebten Frau der Fall war.

Beldors Schritte führten ihn zum großen Fenster des Zimmers. Von hier aus besaß er einen Blick auf den Hof, wo Falira ihren Kopf an der Kutsche juckte. Ein Schmunzeln zog sich über die Lippen des alten Mannes.

„Ich habe nicht mit so vielen Gästen gerechnet“, gestand er. „Du hast für die Gefangenen einen Boten verlangt und weichst jeder meiner Bitten um einen Besuch aus. Deine Mutter ist alleine mit mir einsam, daher bat sie ihre Freundin, ein paar Tage auf dem Anwesen zu verbringen. Aber es ist schön, Alina wieder zu sehen. Miri wird sich darüber sehr freuen, dass ihr uns besucht.“

„Und Alina?“, wollte Ero wissen.

„Ach, teilt mein Sohn plötzlich meine Meinung, sie sei die verschwundene Amazonenprinzessin?“

„Das nicht!“, gestand Ero. Er ließ sich auf einen der Stühle fallen, während sein Vater am Fenster bleib. Zwischen dem Rahmen und einem großen Gemälde lehnte er sich dagegen.

„Ich habe es Nala nie erzählt.“ Kummer spiegelte sich in der Miene des alten Mannes. „Sie hat viele große Verluste erlitten, soll ich ihr da von einer Enkelin berichten?“

Vielleicht bildete er sich die Ähnlichkeit auch ein, dachte Ero. Nerre hatte bei ihrem Besuch nichts Derartiges geäußert und immerhin wuchsen beide Schwestern miteinander auf. Niemand kannte Nette besser.

„Wo wir gerade von dieser Familie reden“, sprach er den Grund seines eigentlichen Kommens an. „Vor einigen Tagen besuchte uns jemand aus Saron.“

„Was wollte sie?“, erkundigte sich sein Vater.

„Ihren Privatfeldzug.“ Mehr brauchte Ero nicht zu sagen. Wissend verzog der Mann vor ihm den Mund und dessen Sohn legte seinen Kopf in den Nacken.

Die nackte Decke wahr geschwärzt von Zeit und Nächten, in denen sein Vater hier im Kerzenschein saß.

„Kann Nerre ohne Einwilligung von König Teron in einem Nachbarland einen Angriff starten? Auf Marnos Schule zum Beispiel.“

Beldor sagte nichts. Er schloss die Augen, wartete einen Moment, um sie dann von Kummer getränkt wieder zu öffnen.

„Ich setze sofort ein Schreiben an die Könige auf“, sagte er. „Nerre darf nicht gegen den Befehl ihres Königs handeln, aber in ihrem privaten Krieg gegen die Amazonen tut sie alles. Die Könige interessiert es nicht, solange es nicht auf sie zurück fällt aber die Schule ist ein ganz anders Thema. Was sollt ihr für sie tun?“

„Sie denkt in Morlos Bande würde sich eine Nachfahrin von Alesa befinden. Dieses Mädchen soll mithilfe der Sage um den Ursprung der Amazonen ein Heer aufstellen wollen. Ich frage mich, welchen Quellen sie ihre Informationen entnimmt.“

Ero lachte auf, wartete aber umsonst auf ähnliche Reaktion durch seinen Vater.

„Wenn ich im Recht bin, schickt Nerre ihnen die beste Waffe.“ Ero sah zu seinem Vater. „Bin ich im Unrecht, ist es auch egal. Alina sieht Nette so verdammt ähnlich. Unter ihrer Führung würden viele das Schwert ergreifen.“ Der Richter schüttelte den Kopf. „Ich sehe ein Unglück heraufsteigen.“

„Das hat wohl mit deinem Sohn zu tun.“ Ero schnaubte auf. Es mochte sein, dass Alina der Amazonenkönigin ähnelte, aber sie hatte nichts damit zu tun, genau wie er. „Mein Vater ist so verhasst, dass ihnen sein Sohn willkommen sein wird, wie einst mein Bruder.“

„Dieser räudige Hund sollte mir dankbar sein, statt darauf zu sinnen mir die Söhne zu nehmen“, knurrte Beldor. „Ich denke kaum, dass ich dich oder Alina davon abhalten kann, dorthin zu gehen.“

Genau das war Ero bewusst. Alina würde lieber sterben, als die Schule ins Verderben zu stürzen, wie sie oft genug auf ihrer Reise gesagt hatte. Und er würde nicht zulassen, dass sie sich alleine auf solch einen gefährlichen Weg begab.

Sie waren Freunde.

„Was Nerre sagt stimmt.“ Ero blinzelte seinen Vater verwirrt an. „Erinnerst du dich wirklich nicht mehr an unsere Reise zur Hinrichtung. Du und Per wart bei uns. Dann war dort diese kleine Gruppe, unter ihnen zwei Kinder.“

„Nala.“ An sie erinnerte sich Ero noch. Ein kleines Mädchen ganz alleine. Verlassen von allem liebsten und Marli, ihre große Beschützerin.

„Das zweite Mädchen war Alesas Enkelin. Die Alte verließ mit ihrer Familie auf Nettes Wunsch das Amazonendorf. Ich schickte sie zu Morlos Versteck. Solltest du mit Alina gehen und dort in Gefahr geraten, frag nach Melasa. Für die Amazonen zählt ihre Ehre mehr als alles andere. Ich hoffe, sie wird dir helfen.“

Und ich hoffe du hast recht, alter Mann, beließ es Ero bei einem Gedanken. Er mochte Alina und oh ja, er liebte sie so sehr, dass er sein Leben für sie geben würde. Aber nicht, wenn es sich verhindern ließ.

Ero stand auf und ging ohne eines weiteren Wortes zur Tür. Ein letzter Blick zurück zu dem Vater, der seinen Kopf gedreht hatte und jetzt einen Raubvogel bei der Jagd beobachtete.

Leise schloss der Junge die Tür hinter sich.

Wenn sein Vater schon keine Hoffnung sah, was konnten sie anderes tun? Ob wenigstens der Brief an die Könige bewirkte Marno Schutz zu bieten?

Im Stillen flehte Ero darum, oder wenigstens, dass ihr Opfer nicht vergebens sein würde.

Seine Schritte führten den Gang entlang. Sein Zimmer lag neben dem der Eltern. Für Alina hatte man eines daneben bereitgestellt. Wusste sie davon?

Er traute sich nicht, sie darauf anzusprechen.

Drinnen öffnete er die Schränke mit all seiner alten Kleidung, sowie neue, an die seine Mutter gedacht hatte.

In all den Jahren bei Marno und Alina gewöhnte er sich an das einfache Leben. Dort trug er schon lange keine maßgeschneiderten Sachen mehr. War es kaputt, ließ er es bei einer befreundeten Bäuerin flicken, oder nahm selbst Nadel und Faden zur Hand.

Raue Hände von der Arbeit waren genauso normal, wie die ein oder andere verblassende Narbe. Ein Leben bei seinen Eltern würde ihn vor all dem beschützen und doch wollte er nicht dorthin zurückkehren.

Seine Hände wanderten über den Stoff seines vergangenen Lebens. Ein Versprechen flammte in seiner Erinnerung auf und er sah diesen womöglich letzten Besuch hier darin, es zu erfüllen. Die Frage bleib, wie Alina darauf regierte.

Das würde er dann wohl früh genug sehen.

 

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Kapitel 13

 



Beide Mädchen kamen auf dem Weg zum Ruhen. Still sahen sie dem Jungen nach, von dem nur noch eine Andeutung in Form von frischen Spuren seines feurigen Tieres auf dem Weg zurückblieb.

Ein sommerlicher Wind rauschte durch Blätter und Nadeln um sie herum. Neben ihnen sprang ein Rotkehlchen durch einen Busch, wo es kleine Beeren abzupfte. Erst als Arela die Stille brach, trugen es seine kleinen Flügel wieder in den schützenden Wald zurück.

„Was ist den in denen gefahren?“

Alina zuckte mit den Schultern.

„Womöglich kann er nicht erwarten seinem Vater davon zu berichten, wie verrückt seine Wunschschwiegertochter geworden ist.“

Arela sah die andere fragend an, ohne dass Alina antwortete. Sie schüttelte lediglich den Kopf, in der Bedeutung nicht weiter nachzufragen.

Die Kutschpferde setzten sich in Bewegung, ihre Last die letzte Anhöhe hinauf zu ziehen. Alina setzte sich auf dem Kutschbock auf, um an Arela vorbei über das ganze Anwesen zu schauen. Ein traumhafter Anblick, dem selbst sie sich nicht entziehen konnte.

Einen Augenblick sah sich Alina in Versuchung, über die Vorteile einer Ehe nachzudenken.

Sie könnte dieses gewaltige Anwesen dann ihr Heim nennen. Beldor und Miri waren darüber froh, wann immer sich Besuch ankündigte. Nicht zu vergessen wundervolle Bälle und Kleider. Das Leben einer Prinzessin gleich.

Wie er kam, so schnell schüttelte Alina den Gedanken wieder ab.

Sollte sie dieses Abenteuer überstehen, würden Marno und die Schule auf sie warten. Dort war ihr Heim, das sie sehr liebte. Auch wenn ein solches Leben eine Versuchung besaß, wünschte sie sich von ganzem Herzen die Schule weiter zu führen. Zu der gehörte immerhin ein einfaches Dasein ganz dem Schwert gewidmet.

Sie durchquerten das Tor. Es stand immer für mögliche Gäste offen. Wer war auch so verrückt, dort einzufallen. Mitten auf dem Hof patrouillierten schwerst bewaffnete Männer, von denen einige ihre Hand zum Gruß für Alina hoben.

Nur noch ein Teil der Gesichter waren ihr bekannt. Immerhin durchquerten einige Jungs die Tore der Akademie. Manche kannte sie noch aus ihrer Kindheit, mit dem Alter verwuschen die Züge der Jungen.

„Ach ich Dummkopf!“, rief Arela und sprang von der Kutsche. „Wir haben heute Besuch bekommen. Das wollte ich Ero sagen.“

Das Mädchen wies an der über den Hof trabenden Falira vorbei.

Mit edlem Schwung geschaffenes Metall bot einen Untergrund für das dunkle Holz einer Kutsche. Das Innere ließ sich nicht einsehen. Ein Vorhang verhinderte an der Tür die Sicht nach drinnen.

Wer der mysteriöse Besuch mit dem hübschen Wappen sein mochte?, fragte sich Alina.

Arela fing Falira ein. Sanft strich die große Frau dem Ross über den Hals.

„Besuch aus Saron“, erklärte das Mädchen. „Eine wirklich nette Frau.“

„Dorther hatte mein Vater vor einigen Tagen ebenfalls Besuch.“ Alina verzog ihre Miene zu einer Grimasse. „Eine blonde Furie.“

„Oh“, kam es tonlos von Arela. „Du meinst sicher Nerre.“ Es bedurfte keiner Antwort, ein Schweigen berichtete mehr als genug. „Und das ausgerechnet, wo Beldor ihre Mutter eingeladen hat. Achte nicht auf das Auftreten ihrer Tochter. Die Dame besitzt einen angenehmen Charakter. Ich denke, du wirst sie mögen.“

Alina biss sich auf ihre Lippe. Sie verspürte nie das Bedürfnis, jemanden aus dieser Familie kennenzulernen. Schon gar nicht diese Frau. Ihr reichten die Geschichten, von denen sie hörte.

„Nett“, urteilte sie mit Verachtung gestärkter Stimme. „Wo doch überall bekannt ist die ältere Tochter sei vor einer Zwangsehe mit König Teron ins Amazonendorf geflohen.“

„Alina, du enttäuschst mich!“, rief Areal sie zur Ordnung. „Gerade du solltest nicht solche Reden schwingen. Immerhin schiebt dich das Gerede des Pöbels schon in Eros Bett. Außerdem dachte ich, du hältst nichts von den Amazonen und ihrer Legende.“

Das Mädchen zuckte mit den Schultern.

Es stimmte und doch wieder nicht. Alina wollte nicht zugeben, dass die Legenden einen gewissen Reiz ausübten. Daher lauschte sie ihnen heimlich, wann immer in der Schenke Geschichten erzählt wurden oder in ihrer Schule am Lagerfeuer. Immer abseits von Soldaten oder Leuten, die ihnen dafür einen Aufenthalt im Kerker verschafft hätten.

Einzig zur Huldigung der Könige durfte die Legende um die Amazonen erzählt werden. Keine Glorifizierung der gefallenen Rebellen.

Auch sie stieg von der Kutsche.

„Geh ins Haus, ich kümmere mich um die Pferde“, wies Arela an. Das Mädchen wandte sich den Tieren zu. „Ihr habt von der langen Reise sicher Durst.“

Bei ihr wusste Alina beide Pferde in fürsorglichen Händen. Es gab niemand in Beldors Stallungen, dem sie mehr vertraute.

Mit zögerlichen Schritten ging Alina der Tür zu.

Wieso? Was … soll das? Schweig still! Alina verstand nicht, wieso ihr Herz vor Aufregung flatterte. Sie schluckte schwer.

Ist der Grund die unbekannte Frau?

Nein, das erlaubte sich Alina nicht. Diese Frau war ein Monster, egal was Arela sagte. Jemand, der seine eigene Tochter entgegen deren Wunsch in die Heirat mit einem Menschen wie König Teron zwang, gehört nur Verachtung entgegen gebracht.

Die Diener öffneten Alina das große Portal.

Ihre Schritte hinein waren fester als wenige Augenblicke zuvor, brachten sie aber einen Moment später zum Stoppen.

Der Salon nahm gewaltige Ausmaße an.

Zwei steinerne Treppen führten in weitem Schwung nach oben. Sie teilten das Haus in eine West- und Ostseite. Die lichtdurchflutete Vorderfront sorgte tagsüber für ausreichendes Licht. In der Früh bei den ersten Lichtstrahlen glitzerten die Skulpturen und Vasen. Man konnte meinen Feen hätten an diesem Platz in Spiel und Tanz lauter Spuren hinterlassen. Damit hatte sich Alina in ihrer Kindheit diesen Effekt erklärt.

In den Abendstunden entzündete man Tausende von Kerzen.

Das Zentrum dieses Raumes bildete ein großes Porträt an der Wand zwischen beiden Treppen. Man kam nicht hindurch, ohne es zu betrachten. Ein letztes Werk, das die Familie zusammen zeigte.

Ero war darauf noch sehr jung. Nur wenig später fand ihr erstes Treffen in dieser verregneten Nacht statt. Die Nachricht um den Tod des ältesten Bruders erfuhr er erst sehr spät.

Dieses Bild hing jetzt anschuldigend über ihr. Sie sollte Ero hier lassen. Er hatte dort nichts zu suchen. Sie wollte nicht der Grund sein, dass die Familie so früh einen weiteren ihrer Söhne verlor. Das hatten Miri und Beldor nicht verdient.

Alina löste sich von dem Kunstwerk. Sie setzte einen Schritt auf die erste Treppenstufe, da ertönte ihr Name von rechts unten.

„Was tust du hier?“ Verwirrung spiegelte sich in ihrer Mimik. „Ist Ero bei dir? Ach ich bin so ein Dummerchen, euch kann nichts trennen. Wie geht es deinem Vater? Läuft die Schule gut? Bleibt ihr lange hier?“

Ein Hagel voller Fragen ging auf Alina nieder. Sie bekam nicht einmal die Chance auszuweichen, da lagen schon die Arme der Frau um ihren Hals.

Miri war das, was Alina unter einer typischen reichen Frau verstand. Ihre Frisur musste immer stimmen. Kein Haar durfte entwischen. Kam Regen auf oder Wind, konnte es für sie zu einem Martyrium werden. Genau wie Gegenstände oder Gerüche außerhalb ihres Standes. Selbst den Stall suchte sie nur auf, wann immer ihr Mann sie dazu zwang.

Sie liebt die Sicherheit und Sauberkeit ihres Heimes. Außerhalb wurde sie kutschiert und setzte sich nie auf den Rücken eines Pferdes. Ihre Sachen sprachen deutlich, wie teuer sie waren und saßen immer perfekt.

Mit 62 Jahren war ihr Haar ergraut, was sie nur engste Freunde und die Familie wissen ließ. Für Gelegenheiten in der Gesellschaft oder zu Besuchen in der Stadt besaß sie eine Auswahl an Perücken.

„Hallo Miri.“ Alina drückte die Frau von sich.

Die ältere Frau fasste mit einem einzigen Blick auf, wie das Mädchen vor ihr stand. Ihre Nase rümpfte sich über das Erscheinen, mit der Hand zupfte sie ein Blatt aus dem goldenen Haar des Mädchens.

Miri besaß den strengen Blick einer Gouvernante. Einen schlaffen Gang ließ sie nicht durchgehen, genauso wie das vernachlässigte Verhalten ihrer Männer. War eine Geste, Ton oder Laut nicht so, wie sie es sich wünschte, fuhr sie sogar streng über ihren Ehemann her.

Beide Schwiegertöchter, geboren in adeligen Familien, ließen das ein oder andere böse Wort über die Frau fallen. Alina jedoch mochte sie.

Für sie war Miri das Erste und Einzige, was sie mütterlich erlebte.

„Wir waren gerade in der Gegend“, log Alina. „Ero hatte Heimweh nach seiner Familie, daher kamen wir hier vorbei.“

„Würde sich Ero nach seiner Familie sehnen, wäre er öfters hier, statt zwischen all den Bauerntölpeln.“

Miri zupfte an Alinas Haar und dem von der langen Reise zerknitterten und staubigen Kleid. Die Hitze zog sich in einer Schweißspur über ihren Körper.

„Kind, wie siehst du wieder aus?“ Erneut rümpfte Miri ihre kleine Nase. „Dein Vater sollte sich besser um dich kümmern. Ist nicht sein Ziel seine Tochter in eine gute Ehe zu geben? Du hast so viel mehr verdient. Nicht in Staub und Dreck zu liegen. Ihr Kinder macht mir solche Sorgen.“

Die ältere Frau wollte damit nicht sagen, Alina solle gefälligst die Finger von Ero lassen und sich einen anderen Mann suchen, wo sie sticken und stricken konnte. Eher zeugte es von dem Wunsch, das Mädchen solle sich gefälligst wie ein Mädchen benehmen.

Hübsche Puppenkleider tragend weit entfernt von Räubern und Schwertern. Ganz so, wie sie sich das Leben ihrer zukünftigen Schwiegertochter wünschte. Egal, ob dies in deren Bild passte.

Miri erhob ihre Hand zum Zeichen in die Luft, auf das ihre Diener näher traten.

„Ich war in der Stadt“, berichtete Miri. „Dort sah ich ein bezauberndes Kleid. Du wirst wunderhübsch darin aussehen! Außerdem möchte ich dich einer Freundin von mir vorstellen.“

Alina bekam nicht einmal die Chance sich zu sträuben. Die Frauen zogen sie mit sich nach oben in eines der Ankleidezimmer.

„Habt Gnade!“, stieß sie mehr lachend als flehend aus. Ein Beobachter hätte es so aufgefasst, dass Alina Spaß daran empfand, von den Frauen vor sich her geschubst zu werden und die spätere Prozedur. Stellte man Alina damit zur Rede, stritt sie es vehement ab. Sie empfand sich nicht als Püppchen, das man hübsch herrichten konnte.

Und doch ließ sie es ohne Gegenwehr geschehen.

 

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Das Prozedere lief immer gleich ab.

Alina wurde von den Damen unter Miris herrschenden Blick entkleidet und ins Badezimmer gestoßen, wo eine Badewanne aus feinstem Porzellan auf sie wartete.

Wie gewöhnlich eine Wohltat nach der langen Reise.

Wann immer sie ins warme Wasser sank, wünschte Alina sich nie wieder daraus aufzutauchen. Aber sie war kein Fisch, der den nötigen Sauerstoff aus dem Wasser holte, so tauchte sie wieder an die Oberfläche, wo ein zaghaftes Klopfen ertönte.

Frisch gebadet stieg sie hinaus. Ihre Finger glitten über das samtene Material. Gold und Silber waren überall eingelassen. Es lud zum Anfassen ein, bis sie das große Tuch berührte, in das sie ihren Körper schmiegte.

Kaum einen Schritt nach draußen getreten ging die Hektik weiter.

Die Frauen schrubbten sie trocken, stießen das Mädchen hin und her, reichten ihr Unterröcke und das lange Kleid.

Dieses Mal in Orange gehalten wurde es mit vielen Rüschen und Schleifen versehen. Über das gesamte Dekolleté zog sich vom Hals an ein durchsichtiger Stoff, mit Perlen versehen. Passend dazu wurde der Schmuck gewählt.

Ihre Haare fielen in Locken auf die Schultern. Nur ein paar Strähnen davon wurden zusammengenommen und ebenfalls mit Perlen versehen.

Alina hatte sich bei den Frauen ein paar Tricks abgeschaut, die sie für ihre Auftritte nutze.

Am Ende riefen sie Miri hinein, um das Gesamtbild zu begutachten.

Wie von Miri gewünscht richtete sie ihre Haltung, die jedes Mal in Normalzustand fiel, wann immer ihr die Frau den Rücken zukehrte.

Wie schaffte es Ero sich gegen den Wunsch der Mutter zu richten, wenn es Alina einfach nicht gelingen wollte?

„Schön!“, rief die Frau und klatschte einmal in ihre Hände, die kurz darauf verwoben in ihren Schoß fielen. „Jetzt haben wir endlich eine junge Dame vor uns, keinen dahergelaufenen Streuner.“

So schlimm empfand Alina ihre Kleidung gar nicht. Sie drehte sich in einem weiten Schwung vor dem Spiegel und blieb mit dem Rücken dazu stehen. Ihre normalen Kleider waren zweckmäßig für Kampf und Arbeit. Ob in Rock oder Hose, keiner der Schüler nahm Anstoß daran.

Einzig zu ihren Auftritten flatterte Alina bunt wie ein Schmetterling.

„So kann ich dich ihr vorstellen.“

Wieder wallte sich ein Gefühl in Alina auf, welches sie gerne unterdrücken würde, ehe es ausbrach.

Eines konnte sie sich erlauben einzugestehen.

Sie wollte dieser Frau nicht begegnen. Auch wenn sie andere Gründe angeführt hätte, als die Wahrheit. Eine Wahrheit, die sie so lange verdrängte, sogar hasste.

Alina verscheuchte die Gedanken. Hier waren nicht Ort und Zeit wegen etwas, das so lange zurücklag, in Panik auszubrechen. Sie überstand dieses Treffen und würde mit gerader Haltung hineingehen, wie es Miri gerne wünschte.

Immerhin wusste sich selbst die Tochter eines einfachen Mannes zu benehmen.

 

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Alina folgte Miri über die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Sie achtete immer darauf ganz kurz hinter der Frau zu bleiben, bis sie den Wintergarten erreichten.

Warme Sonnenstrahlen fielen durch den südlichen Anbau. Zu jeder Seite führten gewaltige Gläser nach oben, wo von einem raffinierten Architekten ein kuppelartiges Dach geschaffen wurde.

Im Sommer öffnete man einfach einige der Fenster, im Winter wurde jedes Licht verstärkt und den Pflanzen dadurch genügend Wärme gegeben.

Für einige davon wichtig, die aus tropischen Ländern stammten. Wie der große Baum, dessen Blüten sich hinab ließen und der kleinen Ecke mit Tisch und Stühlen ein zauberhaftes Dach bot. Eine Rosenhecke umsäumte den Platz, zu dem zwei Bögen Einlass boten.

Durch einen dieser Bögen konnte man eine ältere Frau erkennen.

Wieder ergriff Alina ein starkes Gefühl. Ihre Schritte verlangsamten, drohten zu stoppen.

„Alina!“, rief Miri sie zur Ordnung. Sie stand noch außerhalb des Bogens wartete aber auf Alina, damit diese ihren Füßen befahl weiter zu laufen.

Ein dicker Kloß rutschte ihre Kehle hinab. Dann ein Schritt nach vorne. In zu großer Eile drohte sie über den Saum ihres Kleides zu stürzen, rettete den Moment aber noch rechtzeitig. Nicht ohne den Patzer durch Miri entdeckt zu wissen.

Sie sagte nichts, sondern schritt vor Alina durch den Bogen.

Sollte sie etwas sagen oder tun?, fragte sich Alina, die neben Miri zum Stehen kam und die Unbekannte musterte.

Sie hatte ihre Gäste schon entdeckt und doch drehte sie sich nicht um.

Alina stellte sich die Frau bisher wie ein Monster vor. Graues Haar wie Spinnweben, eine krumme Nase und erkaltete Züge. Ein dummer Gedanke, immerhin hatte sie zwei hübschen Mädchen das Leben geschenkt.

Nette und Nerre konnte man beide nicht als unattraktiv bezeichnen.

Die Zeit war an der Frau nicht vorbei gezogen. Ihr ergrauendes Haar hatte sie hochgesteckt, ihr Kleid hielt sie in gedeckten Farben. Sie erschien eher einfach, nicht so herausgeputzt wie Miri.

Ihre Züge wirkten, als hätte man ihr sämtliche Freud im Leben genommen, erst nach einem kurzen Blick auf Alina nahmen sie einen freudigeren Anflug an, der wenig später versank und sie sich wieder den Rosen zuwandte.

Sie schaute wie eine freundlich Frau aus.

„Wir hatten eben darüber gesprochen“, nahm Miri dem Mädchen die Pflicht ab, ein Wort des Grußes zu erheben. „Und jetzt freut es mich, dir meine zukünftige Schwiegertochter vorzustellen.“

Stolz schwang in Miris Stimme, der sogar mit einem kurzen Blick auf Alina anwuchs.

„Ist sie nicht eine hübsche junge Dame? Das Kleid habe ich ihr für den Tag gekauft, an dem mein Sohn endlich den Mut aufbringt, ihre Vermählung bekannt zu geben.“

Bis eben noch war Alina unfähig etwas zu sagen, jetzt drängten die Worte in einem Anflug echter Entrüstung heraus.

„Liebste Miri“, wandte sie ein. „Diese Verlobung ist ein Wunschgedanke unserer Väter. Ero und ich haben nichts dergleichen vor! Wir sind nur Freunde.“

„Alina!“, fuhr Miris Stimme über sie hinweg. Das Mädchen zuckte eingeschüchtert zusammen.

Miri meinte oft, sie sähe beide gerne vor dem Traualtar, ging aber noch nie so aggressiv vor, wie es ihr Mann meist hielt.

„Lass sie“, waren die ersten Worte der anderen Frau. Sie knipste eine der Rosenblüten ab. „Ein Mädchen, das ihre Meinung vertritt, ist wie diese Rose. Wunderschön aber mit Dornen, die man nicht entfernen sollte. Eine Seltenheit zwischen all den Dahlien, die fügsam ihr Haupt neigen.“

Alina müsste Ausweichen, akzeptierte aber die Annäherung der Frau und wie sie ihr die weiße Rose ins Haar steckte.

„Macht bitte nicht den gleichen Fehler wie ich“, sagte die Frau mit schwacher Stimme. „Lasst die Kinder ihren eigenen Weg gehen, ohne sie in eine Rolle hinein zu zwängen.“

„Wir machen keinen Fehler!“, rollte die kräftige Stimme des Hausherrn durch den Wintergarten. Beldor benötigte wenige Schritte, um zwischen Alina und Miri zu stehen. Dort nahm er die Hände der Frau zu einem Gruß. „Die beiden wissen noch nicht, welche Liebe sie in Wahrheit empfinden. Wir helfen dem nur nach.“

„Ach!“, blies Alina und wirbelte in diesem einen Wort zu dem Mann herum. Ihre Hände stemmte sie in die Hüften. „Ich sollte wissen, was ich für wen empfinde, oder gesteht ihr mir nicht einmal das ein?“

„Alina!“, wieder ein schriller Schrei von Miri zur Rüge.

Das Mädchen und den Mann interessierte das nicht.

Der Richter begann sogar zu lachen.

„Irgendwann steht ihr vor einem Priester!“, zeigte sich Beldor überzeugt.

Verbohrt würde Alina es bezeichnen. Aber in ihr fand er einen ebenso starrsinnigen Gegner.

Niemand konnte sie an Eros Seite in einem Brautkleid stecken. Nicht einmal wenn man ihre Mutter aus dem Grab erweckte!

Wie so oft sah sie ein nicht mit dem Mann zu streiten, da blieb meist nur ein Gewinner zurück.

Sie lief zu dem Tisch und versuchte sich auf einen der vier Stühle zu setzen. Das Kleid zeigte sich von gleicher Störrischkeit wie seine Trägerin. Ein Bausch von Unterröcken und was noch verwendet wurde, ihm Fülle zu verleihen, machte es in seiner Steife unbequem. Es dauerte eine Weile bis Alina die richtige Position zum Sitzen gefunden hatte.

Dabei fand sie sich im wachsamen Blick der beiden Eheleute wieder. Miri fühlte sich in ihrer Meinung zum einfachen Volk bestärkt, während Beldor gutmütig über seine Wahlschwiegertochter schmunzelte.

Der Richter setzte sich neben sie, ihm gegenüber nahm die Ehefrau platz, sodass für die andere Frau nur noch der Stuhl Alina gegenüber blieb.

Am liebsten wäre das Mädchen zur Flucht aufgesprungen. Unter Miris Argusaugen fügte sie sich still in die Rolle der braven Adeligen. Oft wanderte ihr Blick scheu zu der Frau, fing dabei jeden ihrer Züge auf und versucht in ihrem Gesicht gewisse Ähnlichkeiten zu finden.

„Ein wirklich hübsches und aufgewecktes Mädchen“, sagte die alte Dame mit gutmütigem Lächeln. Nichts wollte darin zu dem Dämonen passen, den sie sich in ihrer Kindheit ausmalte und auch heute noch an Gewicht hatte.

Wie Arela sagte, war diese Frau eine gute Person.

„Ihr heißt Alina?“

Sie nickte.

„Ich kenne die Legenden um das Amazonenvolk und eure Eltern haben einen wirklich kraftvollen Namen gewählt. Wie mir scheint, lag dieser unter gutem Stern.“ Sie wandte sich Beldor zu. „Was ist mit Ero? Lebt er noch in dieser schrecklichen Schule, die von diesem furchtbaren Menschen betrieben wird?“

Furchtbar? Alinas Griff um die Tischplatte wurde fester. Ihr Vater mochte kein hübsch anzusehender Ritter sein. Er hatte seine Eigenschaften und trug viele Verletzungen im Kampf davon. Aber er war ein gutmütiger Mensch, der Alina aufnahm und für sie sorgte, ohne je einen Zweifel laut werden zu lassen.

Beldor legte die Hand beruhigend auf ihrem Arm.

„Die Schule dient einem guten Zweck“, verteidigte er Marnos Lebenswerk. „Sie stellt die Bauern in den Vordergrund. Mit ihrer Hilfe sind viele nicht mehr so hilflos gegen Räuber und erlangen auch im Heer ihres Königs große Anerkennung. Ero mag nicht von Anfang an dafür gewesen zu sein aber es tut ihm gut, auch damit konfrontiert zu werden. Er hat gelernt, ein guter Mensch zu werden. Seine Eltern neigen dazu, ihn viel zu sehr zu verwöhnen.“

Ein sehr dezenter Ausdruck. In Wahrheit war der Bursche am Anfang so verzogen, dass Marno ihm oft das hohe Haupt zurechtrücken musste.

Miris Hand griff nah ihrer und zog Alina näher zu sich.

„Bitte erwähne nicht, dass du die Tochter dieses rauen Barbaren bist“, flehte sie leise.

Alina riss sich aus diesem Griff los.

„Mein Vater hatte gestern Besuch von einer interessanten Person. Es kam zum Streit und Ero meinte, mich ihr in aller Form als seine Verlobte vorzustellen.“

„Sie meint Nerre“, sprach Beldor es an.

„Dein Vater wird sie sicher weggeschickt haben“, meinte Miri. Sie machte dabei eine Bewegung mit ihren Händen, mit denen man gewöhnlich eine Fliege fortscheucht.

„Meine Tochter ist schrecklich!“, wandte die andere Frau ein. Sie schüttelte den Kopf, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder ganz dem Mädchen am Tisch zuwandte. „Wo kommt Ihr her?“

„Aus Miro“, zwitscherte Alina fröhlich. Somit fanden sich Bewohner aller Länder friedlich an einem Tisch versammelt, so wie es sich viele als Vorbild für die Könige wünschten.

„Oh!“, sie wirkte begeistert. „Ich war noch nie dort aber mir wurde von schönen Städten berichtet. Euer König soll einige Schlösser besitzen. Beldor erzählt, Ero betritt manches davon als Gast König Ylias’.“

Wie konnte Alina genau erklären, wo ihre Schule lag? Sie versuchte es am Beispiel des Tisches, auf dem sie einige Städte mit imaginären Punkten aufzählt, die näher lagen. Sofort strahlten ihre Wangen die Wärme der Scham aus.

„Armes Ding!“, schloss die Frau vollkommen falsch. „Habt ihr etwa kein Heim?“

„Doch!“, rief Alina und sah zwischen beiden Eheleuten hin und her, dabei besonders auf jeden warnenden Blick von Miri achtend.

„Was Alina versucht zu erklären, ohne den Zorn meiner Frau auf sich zu ziehen, ist, dass sie in der gleichen Schule eine Unterkunft hat, wie unser Sohn. Sie ist die Tochter des edlen Ritters, von dem wir vorhin sprachen. Alina ist eine begabte Tänzerin aber stammt aus einfachen Verhältnissen. Es ändert nichts daran, dass wir sie beide gerne in unserer Familie willkommen heißen würden.“

„Sie ist die Tochter dieser schrecklichen Person?“, rief die Frau schockiert und in Alina wallte sich die Vermutung auf, Ero könne der Grund für ihre schlechte Meinung dazu sein. „Das arme Mädchen! Und was ist mit eurer Mutter hat sie ein gutes Auge auf euch?“

Ihr Blick sank betrübt zur Tischplatte.

Es schien fast absurd, welche Gefühle sich ausgerechnet in dieser Situation aufwallten. Ihr fiel gewöhnlich nicht so schwer, darüber zu reden. Wen hatte sie denn zu betrauern? Eine Närrin!

„Meine Mutter starb vor langer Zeit. Ich kann mich kaum noch an ihr Gesicht erinnern oder ihre Stimme.“

Nein! Nicht!, befahl sie ihren Tränen. Sie weinte nie über den Verlust von Mutter und Vater. Nicht mehr nach so langer Zeit. Sie waren doch selbst schuld. Immerhin hatten sie beide ihr Kind alleine gelassen!

Sie verdienten keine von Alinas Tränen!

 

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Eine Person fehlte in der Runde. Über die Diskussion wurde diese ganz vergessen.

Jetzt betrat er den Wintergarten. Mit gerader Haltung und einem Stolz, der ihm von Geburt an zustand, schritt er selbstsicher voran. Das Haar gekämmt, die Kleidung gerade gelegt.

Die kleine Gruppe am Tisch war ganz in ihr Gespräch vertieft. Da saß Alina in einem Kleid von der Farbe eines beginnenden Morgens, ohne schlechtes Wetter zu verheißen.

Dann seine Eltern und Nala.

Einen Augenblick ließ Nervosität seine Hände zittern, die er schnell wieder unter Kontrolle brachte.

Mit einem einzigen Schritt durchquerte er den Bogen zu der gemütlichen Runde.

 

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Miri war die Erste, die ihren Sohn bemerkte. Ihr Herz tat einen Satz vor Begeisterung, in der sich auch ihr Po vom Stuhl hob.

„Oh Ero!“, jauchzte sie verzückt. „Was habe ich nur für einen stattlichen Sohn?“

Alinas Blick wandte sich ihm zu. Die trüben Gedanken schwanden und einen Moment zweifelte sie daran, ihn vor sich zu haben. Ihren Freund, den sie schon aus Kindertagen kannte.

Seine einfache Kleidung war verschwunden. Statt ihrer umhüllte ihn ein Gewand, das einen jungen Adeligen glänzen ließ. Sein Haar wurde etwas geschnitten, was Alina schade fand. An der Seite trug er einen Rapier zur Zierde.

Sie mochte ihren Ero, wie er war, nicht diesen adeligen Jungen, der hier vor ihr stand.

Zuerst führten ihn seine Schritte zu dem Gast.

„Es erfreut mich Euch wieder zu sehen, Nala. Ich hoffe Ihr hattet eine angenehme Fahrt.“ Als Nächstes schenkte er seinen Eltern einen Gruß, ehe er sich hinter die Freundin stellte.

Alina blinzelte verwirrt und meinte sich verhört zu haben.

Nala. Nur wenige wussten, welchen Namen die Amazonenkönigin ihrer Tochter gegeben hatte. Areal war eine davon. Sie hatte ihn sich gemerkt und ihnen manchmal berichtet.

Wusste die Frau davon, welche Ehre die letzte war, die Nette ihrer Mutter hatte zukommen lassen? Immerhin wusste Beldor darum. Oder bewahrte er das Geheimnis, um die Frau nicht in noch größere Trauer zu stürzen?

Ero senkte seine Lippen an ihr Ohr.

„Ich versprach meiner Mutter in Gesellschaft formelle Kleidung zu tragen“, flüsterte er ihr zu. „Wenn mich meine beste Freundin schon in den Tod mitreisen will, dachte ich mir meiner Mutter noch einmal eine Freude zu bereiten.“

Alina verkniff sich jeglichen bissigen Kommentars und musste sich eingestehen, Ero machte selbst darin eine gute Figur. Er war ein hübscher Jüngling, der eine angemessene Frau verdiente.

Gemeinsam führten sie ein reges Gespräch, aus dem sich nur allmählich eine kleine Gruppe absetzte, um die beiden älteren Frauen alleine zu lassen.

Beldor drängte darauf, noch einmal alles aus Alinas Mund zu hören. Was Nerre sagte und tat. Außerdem wollte er selbst einschätzen, wie ernst die Lage war.

Beide Männer des Hauses sprachen auf sie ein aber nichts konnte Alina abbringen. Nicht wenn jeder Ungehorsam sie teuer zu stehen kommen konnte.

Nein, ihr bleib nur eine Wahl. Sie musste Nerre dieses Mädchen bringen, oder bei dem Versuch fallen. Alina konnte nicht ihren Vater und so viele unbeteiligte Jungs opfern.

„Unterschätze unsere Schüler nicht!“, sagte Ero streng. „Sie sind gut! In einem Kampf können sie gegen eine Armee bestehen. Glaub an die Schüler und kämpfe an ihrer Seite!“

Dennoch würden viele fallen, was Alina verhindern wollte. Es durfte kein unschuldiges Blut vergossen werden. Nicht ausgerechnet für sie!

 

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Wie von Ero gewünscht wurde ihnen ihr Bett für die Nacht bereitet. Alina lag auf der Bettdecke. Ein lauer Wind wurde vom Fenster herein geweht. Die Geräusche im Haus waren schon seit einer Stunde verstummt.

Es wurde Zeit.

Hastig setzte sie zwei Schreiben auf, ehe sie in ihrer Kleidung das Zimmer verließ. Das Kleid ließ sie zurück. Daran befestigt ein kleiner Zettel mit wenigen Worten: Habt Dank für alles.

Alina wusste, wo im Haus die Zimmer lagen. Die Diener tuschelten zu häufig darüber, auch, dass ihr das gleich neben Ero zugeteilt wurde. Sie schob einen der Brief unter seiner Tür hindurch, einen Zweiten unter dem der Eheleute.

Darin bekundete sie ihren Dank für all die Jahre, in denen Alina von beiden wie eine Tochter aufgenommen wurde. Sie fühlte sich hier so wohl, wie in einem zweiten Heim und bereute keinen Moment der vergangenen Zeit.

Mit leisen Schritten schlich sie die Treppe hinunter und durchquerte in Hast den Salon.

Keiner der Diener war noch wach. Draußen auf dem Grundstück erkannte sie Fackeln. Selbst jetzt gönnten sich die Wachen keine Ruhe aber Alina wusste keiner würde sie aufhalten.

Es versuchen ja. Weswegen sie vorsichtig zum Stall ging. Man sollte sie nicht so früh entdecken.

Belena stand in einer Box mit Falira. Die alte Stute schlief ruhig darin nur Eros Ross schaute sie wach an.

Alina eilte zu dem wundervollen Rappen.

Sie kraulte ihre Stirn, ehe sich Alina in die Box wagte. Unter dem wachsamen Blick der schwarzen Stute schlich Alina zu ihrem eigenen Pferd.

Es tat ihr Leid die Stute wecken zu müssen aber es ging nicht ohne sie. Der Schimmel schüttelte sich, um in einem Gähnen die Reste der Müdigkeit zu vertreiben. Folgsam lief sie hinter ihre Herrin her.

Der Wagen würde zu schwerfällig werden. Vielleicht sollte sie mit Sattel reiten.

„Du willst dich also davon stehlen!“ Alina erschrak unter seiner festen Stimme.

Ero stand am Ende des Stalles fertig gekleidet mit seinem Schwert in der Scheide. In seinen Händen hielt er das Schreiben.

Der Junge kannte darauf nur eine Antwort. Er öffnete das windgeschützte Licht und entzündete das Blatt daran. Es brannte langsam, ehe Ero es zum Verlöschen außerhalb des Stalles warf.

„Wir sind Freunde, Partner“, erinnerte er sie. „Wohin du gehst, werde ich dir folgen.“

„Aber …“, wollte Alina widersprechen, was Ero mit einer Geste verhinderte.

„Lass mein Leben schön meine Sorge sein. Ich werde nicht hier sitzen, während meine beste Freundin in einem Diebeslager den Tod sucht. Lieber kämpfe ich ehrenhaft an ihrer Seite!“

„Dummkopf!“, kannte Alina nur ein Wort für ihn. „Ich möchte nicht, dass jemand für mich stirbt.

„Wenn du schon kein Vertrauen in unsere Schüler hast, solltest du wenigstens wissen, dass ich kein einfacher Gegner sein werde.“

Er lächelte selbstsicher, aber wenn Ero meinte, Alina würde sich ihm glücklich in die Arme werfen, irrte er. Sie wandte dem Jungen ihren Rücken zu.

„Dann spannst du Belena vor den Wagen“, ordnete sie streng an. „Ich krümme keinen Finger. Allerdings kann der junge Prinz gerne wieder zurück ins warme Bett von Mutter und Vater krabbeln.“

Sein Lächeln verlor sich nicht. Seine Entscheidung war getroffen, genau wie die von Alina. Nichts ließ daran wanken und so machten sie sich gemeinsam auf die Reise.

 

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Seit einer Stunde lief Miri unruhig im Salon umher, ohne Ruhe zu finden. Ihre Wangen waren feucht, dass Haar zerzaust und sie fand noch nicht einmal Zeit, ihr Nachtgewand abzulegen.

In ihren Hängen hielt sie die Briefe beider Kinder. Ein Abschied. Vielleicht sogar für immer.

Sie las beide jetzt schon ein zehntes Mal, ohne dass sich die Wörter änderten. Beide bedankten sich und wollten nichts in diesem Haus, in dieser Familie missen. Sie bekundeten ihr Bedauern für diese Entscheidung und äußerten die Bitte, niemand solle sich die Schuld daran geben.

Die idealen Worte, wenn beide das Haus verließen, um durchzubrennen, nicht aber ein Abschied bevor sie ihr Leben weg schmissen.

„Tu etwas!“, forderte Miri ihren Mann auf. „Halt sie auf! Schicke deine Männer hinter ihnen her aber hindere sie daran.“

Egal wie gerne Beldor es wollte, er konnte nicht.

Diese Entscheidung lag voll und ganz bei Ero und Alina. Wenn sie diesen Weg wählten, besaß er kein Recht einzugreifen, auch wenn er gerne sein Leben für ihres gab.

„Bitte“, flehte Miri in einem Schluchzer.

Beldor eilte zu seiner Frau, da gaben ihre Beine unter ihr nach. Miri sank weinend unter dem Porträt ihrer Familie zu Boden. Beldor hielt sie tröstend in seinen Armen, wie es zuletzt bei Jos von Nöten war.

Jos ihr geliebter erster Sohn.

Viele Besucher rieten ihnen das Porträt durch ein neueres zu ersetzen und doch war das Einzige, das ihn für sie so lebendig hielt, wie an diesem verdammten Tag.

„Ich will ihn nicht verlieren!“, schluchzte Miri. „Reicht es nicht, dass dieses Monster uns schon einen Sohn genommen hat? Muss er auch unseren Jüngsten bekommen?“

Die Hände des Mannes strichen zärtlich über den Rücken seiner Frau.

„Ero und Alina sind gute Kinder. Ich bin sicher, sie werden diese Aufgabe bestehen. Und wenn wir sie wieder in Armen halten, werden beide in unserer Familie vereint sein.“

Er sagte sich die Worte immer wieder, seitdem sie diese verdammten Briefe fanden.

Ero und Alina würden zu ihnen zurückkommen. Sie waren beide so stark. Nichts konnte ihnen etwas anhaben!

Beldor wollte daran glauben aber sein Herz schrie wie das seiner Frau. Ihm rollte eine einzelne Träne die Wange herunter.

Egal was das Volk sagte. Er war ein Mensch. Nicht einmal jemand wie er konnte einen solchen Verlust unberührt überstehen. Besonders nicht, wo es jetzt ihren jüngsten Sohn betraf, der noch so viel vor sich sah.

Eine Familie, Kinder, all das, was sein Bruder Jos vor seinem Tod erreicht hatte. Wann immer Beldor seinen ältesten Enkel sah, tat sich unweigerlich ein Vergleich mit dessen Vater auf. Auch Ziele und Wünsche übernahm der Sohn vom Vater.

So tragisch der Verlust für die Familie war, bei Ero würde es sie in zweit reißen. Er und Alina waren zu jung, sie durften nicht sterben.

 

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Kapitel 14

 



Durch Belenas langsamem Schritt kamen sie nur schleichend voran.

Die brave Stute tat alles, was sie vermochte. Mit kräftigem Zug legte sie ihr ganzes Gewicht in das Geschirr, wann immer sie zu einer Steigung kamen. Das Leder spannte sich um ihre Brust an und ächzte unter der Last. Genau wie Belena, die tapfer ihren Klagelaut in einem Schnauben unterdrückte.

Ero beklagte sich gewöhnlich über das langsame Tempo der Stute. Nicht sehr liebevoll betitelte er sie als lahmer Ackergaul oder altersschwache Kuh. Auf diesem Ritt blieb der Junge ungewohnt still.

Wenn er meinte, ihr mit bedrückendem Schweigen Schuldgefühle einreden zu können oder Alina zur Umkehr zu bewegen, irrte Ero. Ihre Wahl stand fest. Störte es ihn, hätte er bei seinem Eltern im warmen Nest bleiben können. Auch ohne ihn fiel Alina der Weg schwer genug.

Sie kannte die Gefahr, Morlos Räuberbande gegenüberzustehen.

Wie viele vor ihr waren schon dem Locken von Kopfgeld in den Tod gefolgt?

Händler kamen nie ohne Verlust ihrer Ware davon. Einfache Reisende blieben gewöhnlich von ihnen verschont. Sie beide waren nicht einfach. Ihr lastete der Ruf an, ein Engel hielt mit schützenden Flügeln über sie Wache, bereit seine Klinge niederfahren zu lassen.

Dann Ero. Der jüngste Sohn des Henkers von Ylora.

Sie gaben beide ein schönes Paar ab und eine lohnende Beute. Nichts was man mit Geld aufwog, dafür aber in Blut.

Ero schenkte ihr ein kurzes Zeichen, ehe er etwas sagte.

„Halt an.“ Nur ein Flüstern mit der Geste still zu sein.

Eine trügerische Ruhe hüllte beide ein.

Ihnen ganz nah plätscherte ein Fluss in seinem Bett über Steine. Erfüllt von einem regen Fischbestand, lud es zur Rast ein. Verdrängte sogar den Gedanken, dass sie die sichere Grenze schon vor einer Weile überschritten hatten.

Vor ihnen sprang ein Hase über den Weg, in Sträuchern und Bäumen sangen Vögel.

In diesem einen Moment vergaß Alina alle Sorgen und Ängste. Sogar Nerres Anliegen. Es existierte nur noch dieser Ort, das lockende Kühl und die Sonne auf ihrer erwärmten Haut.

Der Junge vor ihr stieg langsam und vorsichtig aus dem Sattel.

Er fasste alles nicht so unbekümmert auf, wie seine Gefährtin. Für ihn barg jedes Dickicht ein mögliches Versteck von Feinden.

„Warte hier!“, wies Ero ihr im Flüsterton an und reichte der Freundin die Zügel seines Rappen. Kurz darauf schlich er zu einer Erkundung der näheren Umgebung davon.

Das ganze Gebiet umfasste einen weiten Strich, den niemand je kartografieren konnte. Genau wie das Versteck der Räuber. Sie befanden sich am Rand davon.

Es stimmte!

Man musste auf alles vorbereitet sein.

Das Lager könnte sich schon um die nächste Ecke befinden, oder zur Mitte hin. Sie konnten auch gut weiter so vorgehen und nie darauf stoßen.

Wahrscheinlicher war, dass die Räuber sie aufspürten. Doch Ero tat so, als bedeutete jeder Grashalm eine potenzielle Gefahr.

Alina verdrehte die Augen und stieg dann vom Kutschbock.

Ihr Kundschafter konnte tun, was er wollte, sie dachte zuerst an die Tiere. Wer wusste schon, wann sie wieder auf frisches Wasser stießen.

„Warte hier!“, schenkte sie die gleichen Worte ihrer Stute, wie Ero ihr. In einem ebenfalls leisen Ton aber beruhigend.

Hinten aus dem Wagen nahm sie einen alten Eimer. Diesen in der linken Hand, Faliras Zügel in der anderen trat sie vom Weg ab in den Wald ein. Die Bäume lagen weit voneinander entfernt und der Boden zeigte nur Spuren irgendwelcher Tiere. Man konnte weit sehen.

Vor sich nahm sie nach einem kurzen Marsch das glitzernde Wasser wahr.

Wo sollten hier irgendwelche Räuber lauern? Wie damals zur Amazonenzeit in den Bäumen oder unterirdisch? Das war doch albern! Ero konnte seine Sorge ruhig herunterfahren.

Alina ließ die Zügel los, damit die Stute alleine ins Wasser trabte. Falira war ein gutes Mädchen. Sie stillte ihren Durst und kehrte wie gewöhnlich zu Belena zurück. Seit Beldor sie Ero geschenkt hatte, kannten die Stuten sich und knüpften ein festes Band.

Für Alina bestand daher kein Problem damit den Eimer zu füllen und zurück zu kehren. Mehr noch sogar.

Während Belena trank, kraulte ihre Herrin ihr den Mähnenansatz.

„Sei brav!“, sprach sie zu dem ruhigen Tier. „Ich bin gleich wieder da.“

Alina trat durch den Wald zu der Stelle am Ufer, wo der Rappe ein paar Schritte hinab gelaufen war. Jetzt lauschte das Tier und achtete auf jede Bewegung des Mädchens.

Wie sie sich die Schuhe auszog und mit nackten Füßen durch das kühle Wasser wandelte. An einer Stelle war es ganz flach.

Das Wasser floss über ihre Füße, kitzelte die Zehen und da eine Berührung durch einen Fisch, kurz bevor er in einem tieferen Teil verschwand.

Wie in ihrem Tanz breitete Alina die Arme aus. Das Geräusch des Wassers nahm in ihren Ohren den Klang von Musik an, begleitet von den Lauten der Vögel summte sie eine leise Melodie.

Ein weiter Sprung in eine Drehung hinein, die Arme bewegten sich automatisch. Gewöhnlich hielt sie darin ihre Dolche, jetzt lagen sie gut verwahrt in ihrer Kutsche.

In ihrem Tanz bewegte sich Alina vorwärts und vergaß nun ganz, in welcher Gefahr sie sich befanden.

Ach, wer nannte das Gefahr? Bis eben noch sah sie die Kutsche zwischen den Bäumen, oder täuschte sie sich? Alina schwang ihre Hüften zu dem Lied, das sie summte. Sie konnte nicht weit vom Weg entfernt sein, immerhin stand ihre Belena dort ruhig und brav, wahrscheinlich würde Falira ihr bald Gesellschaft leisten. Wieder eine Drehung, ein Sprung auf eine Anhöhe, über die sich das Wasser ergoss.

Ihre Bewegungen kamen zur Ruhe, die Stimme verstummte.

Hinter sich sah sie Falira durch das Wasser waten.

Wo war das Problem, sie hatte sich kaum vom Fleck bewegt? Außerdem konnte das Leben zu dieser Zeit kurz genug werden. Wieso dann vor dem nächsten Hindernis zurückschrecken?

Alina wandte sich um und wollte gerade in eine Fortführung des Tanzes hinein, da erblickte sie nicht weit von sich ein Pärchen an dem Fluss sitzen.

Erschrocken sprang das Mädchen hinter einen der Bäume.

Ach quatsch, das würden keine Räuber sein. Vielleicht ein reisendes Paar.

Neugierig spähte Alina um die Ecke und betrachtete sich beide eingehender.

Das Haar der Frau war von einem hellen Rot und mit lauter kleinen Locken durchzogen. Das warme Licht der Sonne ließ es an einigen Stellen feurig aufleuchten, genau wie ihre Sonnensprossen, von denen ihr sonnenbeschienenes Gesicht geschmückt wurde. Die gutmütigen Augen hielt sie geschlossen.

Wie Alina zuvor genoss auch sie den warmen Tag.

Ihre Züge wirkten mütterlich. Das war sie wohl oder zumindest würden sie es in den nächsten Wochen werde. Zwei mit Ringen nicht zu sehr beladene Hände ruhten auf der dicken Kugel ihres Bauches.

Ohne Zweifel saß der Vater des Kindes neben ihr.

Ein ziemlich großer Mann, vielleicht sogar etwas jünger als seine Partnerin und auf die Mitte 40 zugehend. Mit seiner Hand streifte er eine Strähne ihres schönen Haares zur Seite, ehe er seine Lippen in einem Kuss auf ihre legte.

Alina seufze verzückt auf.

Egal ob dieses Paar zu den Räubern gehörte, würde Alina Ero nichts davon sagen. Es wäre einfach die beiden zu überwältigen. Unter Drohung der Frau und dem Kind etwas zu tun, würde der Mann sicher allem gehorchen, was sie sagten.

Aber nein, auch wenn sie normalerweise nie fair kämpfte, das wäre zu viel! Sie war nicht garstig oder böse. Auch Ero würde das nicht tun aber er durfte nichts von ihrem kleinen Ausflug erfahren.

Daher trat Alina vorsichtig einen Schritt zurück, um keinen von beiden zu stören.

Ein weiterer.

In ihren Rücken spürte sie durch ihr dünnes Kleid den Abdruck eines Körpers.

 

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Beide Pferde wurden von Alina alleine gelassen. Belena angebunden am Karren, Falira lief gemütlich mit ihrem stolz erhobenen Kopf durch das kühle Wasser.

Natürlich blieb ihr dabei das Treiben des Mädchens nicht verborgen. So leise wie nur eben möglich lief sie durch das Wasser. Der Kopf des Tieres senkte sich.

Beide Pferde wussten die Stellen, wo ihre beiden Herren kleine Leckereien auf der Reise versteckten. Obst oder andere Dinge. Oft genügte ein kleiner Stups, damit diese sich erweichen ließen. Wie Falira auch heute wollte.

Dann trat Alina zurück.

Ihr Rücken schmiegte sich an die Stirn der edlen Stute. Das Mädchen wollte sich weiter zurückdrängen, genau, wie der Rappe nach vorne drängte.

Normalerweise fügte sich Falira brav jeden Wunsch. Nur nicht heute. Ihre Nüstern fingen den lockenden Geruch auf, der sich in einer versteckten Tasche befand.

Ein starker Schubs, schon stürzte das Mädchen nach vorne.

 

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Das Wasser mochte in diesem Fluss maximal bis zur Hälfte ihres Schienenbeins ansteigen, meist ging es ihr bis zum Knöchel. Aber es war dort und besaß seine Tücke.

Alina kam nicht einmal dazu ihre Hände auszustrecken, so überraschend kam der Stoß. Dann ein lauter Knall. Ihr Schrei wurde vom spritzenden Wasser erstickt.

Kühles Nass stürzte ihre Kehle hinab, ergoss sich in die Lungen und entlud dort all seine schmerzende Kraft. Eine Wiederholung ihrer Qual von vor ein paar Tagen.

Luft! Sie musste hoch!

Alina stemmte ihre Hände auf den Grund des Flusses. In ihrer Panik fühlte es sich an, als würde das Wasser sie in eine unendliche Tiefe ziehen. Es bedurfte einiger Kraftanstrengung, bis sie ihren Körper wieder an der Oberfläche hatte.

Sie hustete kräftig die störenden Tropfen Wasser aus und war froh ihre Lungen wieder mit Luft füllen zu können.

Bei jedem Atemzug schmerzten ihre Lungen aber es war gut und würde wenig später vergehen.

Sie lachte erleichtert auf, als sie das Maul der Stute ihren Po betasten spürte. Dort, wo sie ein paar Erdbeeren verwahrte. Mit ihrer Hand scheuchte sie das Tier fort, ehe die Stelle matschig und rot wurde. Stattdessen griff sie selbst in die verborgene Tasche.

Beide befanden sich ein Stück von dem Pärchen entfernt. Womöglich blieb ihnen sogar Alinas Schrei und der Knall bei ihrem Bauchklatscher verborgen, wie ihr Lachen. Jetzt aber erhob das ungeduldige Ross seinen Kopf zu einem lauten Wiehern.

„Danke!“, rief Alina vergnügt und ohne Bewusstsein für die Gefahr. Ihre Finger fassten die Beeren. Eine davon reichte sie dem Tier. „Hat dir dein Herr das beigebracht.“ Die zweite Beere schob sie zwischen ihre Lippen.

Es war nicht richtig das Tier für seinen Ungehorsam zu loben, wusste Alina.

Noch ein Streichen ihrer nassen Hand über die Stirn des Pferdes, dann sah sie nach vorne.

Nass hingen ihr die Strähnen ihres blonden Haares im Gesicht. Ein dicker Tropfen Wasser rollte ihre Stirn hinab und fiel an ihrer Augenbraue herab ins Wasser.

Alina würde sich das Wasser von Stirn und Wangen wischen, doch in dem Moment tat sie nichts. Sie hockte regungslos auf Händen und Knien da. Ihr Blick floss ein Schwert hinauf, bis zu der kräftigen Hand, die es unter ihr Kinn führte.

„Wer bist du?“, verlangte der Mann streng vor ihr zu erfahren.

Sie hatte sich in Bezug auf das Pärchen wohl geirrt.

Die Frau schlang von hinten ihre Arme um den Arm des Partners, wirkte aber interessiert an dem Mädchen vor sich. Ganz anders der misstrauische Mann. Er wusste nicht, wie er Alina einschätzten sollte. Eine Gefahr für seine Frau oder nur ein dummes Ding, das sich in diese Gegend verirrt hatte?

Seine Hand wurde von einigen Narben gekennzeichnet, genau wie seine Wange. Der Rest des Körpers war von Stoff bedeckt, würde aber ebenfalls Zeichen gewonnener Kämpfe aufweisen.

Sein schwarzes Haar war halblang, die grauen Augen wirkten auf das Mädchen erschreckend kühl. Ein Mann, der ohne ein Zögern tötete. Da saß sie wirklich in der Falle.

„A-Alina“, antwortete das Mädchen zögerlich und viel zu ehrlich. Sie hätte lügen sollen. „Ich bin Tänzerin und gerade auf dem Weg zu einem Auftritt.“

Die Lippen des Mannes verzogen sich zu einem gefährlichen Lächeln.

„Alina also. Eine Tänzerin und sicher aus Miro.“ Ihr Schlucken fasste er in einer Bestätigung seiner Vermutung auf. „Ihr seid anders, als man sich berichtet.“

Sie setzte ein Lächeln auf.

„Bei meinen Auftritten trete ich gewöhnlich in akkurater Kleidung auf“, sagte sie.

Immer noch hegte sie die Hoffnung, so in ihm den Eindruck eines naiven Dinges zu erwecken. Sie wollte beiden nicht schaden. In einem Notfall würde sie sich aber zum Handeln gezwungen sehen. Er musste nur sein Schwert ablegen.

„Ich hätte mir eine zierliche Adelige vorgestellt, nicht so ein schmutziges Ding. Immerhin wird überall erzählt, Euch stünde die Ehe mit Richter Beldors jüngstem Sohn bevor.“

Dieser verdammte Beldor! Wieso musste er auch diese angebliche Verlobung so weit streuen? Reichte ihm nicht die bessere Gesellschaft aller drei Länder, musste jetzt auch Diebespack von seinem Wunsch erfahren?

Beldor meinte, ihr so keinen Ausweg zu lassen. Es klappte bisher nicht. Alina besaß einen starken Willen, den niemand würde brechen können.

„Das ist nicht richtig“, sagte das Mädchen von ihrer unwürdigen Position aus. Die Klinge nahe ihrer Kehle schob sich unter ihr Kinn, sodass sie der Bewegung folgen musste. „Würdet Ihr das lassen und Euer Schwert senken. Ich bin Tänzerin von einfacher Herkunft. Mein Vater und ich haben nur unsere Schule und Schüler, von denen ein kleiner Teil fähig ist, Gebühren zu zahlen. Der Rest sind einfache Bauern. Meine Aufführungen sichern ihnen Heim und Essen.“

Was auch stimmte. Der Rest, das manchmal lohnende Kopfgeld, verschwieg sie den beiden.

Es half nichts. Die Klinge drängte wieder zurück zur Kehle.

Alina spürte das kühle Metall bei jedem Schlucken gefährlich nahe. Es bedurfte nur eines einzigen gezielten Schnittes.

„Bitte!“ Sie legte ihrer Stimme etwas Flehendes bei. „Mein Vater sagte, ich soll mit dem Dieb Morlo sprechen, sollte mir auf dieser Reise Gefahr drohen.“

Die Frau an seiner Seite wagte sich hervor. Einen Augenblick weiteten sich ihre schönen brauenen Augen. Jeden der Züge im Gesicht des Mädchens fasste sie auf und Alina wusste nicht wieso aber die Frau schien gleicherweise Freude wie Schmerz dabei zu empfinden.

Ihr Mann zeugte von weniger Interesse. Eher von einer gewissen Schadenfreude sie so gedemütigt vor ihm kriechen zu sehen.

„Das Mädchen sieht mir nicht gefährlich aus“, meinte die Frau. Sie schmiegte sich näher an ihren Gefährten.

„Ein wirklich schöner Fund“, sagte der Mann mit einem grimmigen Lächeln. „Die Verlobte von Richter Beldors jüngstem Sohn. Was meinst du, um wie viel wir den Alten dadurch erleichtern könnten?“ Er schnaubte unbeeindruckt auf. „Eine kleine Tanzmaus. Der hat seine Söhne auch schon mal teurer verkauft. Aber wer weiß, zu was für Spielen sich solch ein billiges Ding herablässt.“

Das Schwert sank nieder und Alina sprang im gleichen Moment auf.

„Ich bin nicht Eros Verlobte!“ Alina warf diesem impertinenten Mann ihre wütenden Worte entgegen. Sofort befand sich das Schwert wieder an seinen angestammten Platz unter ihrer Kehle.

Dieses Mal ließ sich Alina nicht davon beeindrucken.

Sie hasste dieses verdammte Gerücht.

„Ero lernt seit Jahren in unserer Schule und unterrichtet auch einige der anderen Schüler aber wir sind nur Freunde. Mehr nicht!“

„Ha!“, spie der Mann aus. Am liebsten hätte er das Mädchen vor sich mit einem kräftigen Schlag gerügt, beherrschte sich aber in Gegenwart der Geliebten. „Soll ich einem Weib glauben schenken, das schon jetzt mit dem Henkersohn das Bett teilen soll?“

Die Augen der beiden funkelten sich gleichermaßen in Zorn an. Alinas Hand zitterte. Das Schwert musste verschwinden, dann hätte sie ihre Trickkiste öffnen können. Nur ein kleines Stück hinunter, um genug Platz zum Ausweichen zu besitzen.

Sie und Ero waren Freunde, dass irgendwann dieses Gerücht so verdreht wurde, war schrecklich.

„Dugol“, rief die Frau an seiner Seite. Ihre Hände griffen nach seinem Gesicht. „Beruhig dich! Es ist nur ein Mädchen, womöglich ist sie wirklich auf Reisen.“

Dieser Name. Dugol. Wie ihm ihrer, so war Alina seiner bekannt.

Morlos einziger Sohn hieß Dugol und wurde schon als dessen Nachfolger gepriesen. Wenn der Sohn so hart auftrat, wie mochte sein Vater sein, der immerhin ein großes Lager der gefährlichsten Männer unter Kontrolle hielt? Und was hatte Alinas Vater mit dieser Bande zu tun?

„Du kennst die Gerüchte!“ Der Mann bleckte die Zähne. „Nerre hat eine Killerin beauftragt.“

Killerin, Mörderin, unter diesen Worten zog sich jeder Muskel in ihrem Körper schmerzlich zusammen. Wann hatte sie darauf je bestanden, so betitelt zu werden? Wer kam auf diese Idee?

„Und du meinst dieses Mädchen könnte eine solche Rolle einnehmen?“ Die Frau lachte schallend auf. „Sei nicht albern.“

„Weißt du auch, was man sich über dieses Mädchen erzählt?“, fragte er seine Frau mit unerbittlicher Härte in der Stimme. „Ihre Auftritte sollen nur wenige überleben. Über ihr liegt der Schutz dieses mörderischen Engels.“

„Leider ist meine Leibwache unfähig“, plusterte sich Alina auf. Sie sah sich trotz der Waffe nicht in der Verfassung vor dieser Person zu kuschen und würde sich auch keinem anderen der Räuber unterwerfen. „Unsere Schule steht mit diesem Kopfgeldjäger in Verbindung und so wird mir geholfen, sollte ein Zuschauer zu aufdringlich werden.“

Sie hätte dem Kerl gerne noch weitere Worte an den Kopf geworfen aber ein Schrei unterbrach sie.

„Alina!“ Eros Stimme hätte sie unter tausenden wiedererkannt. Jetzt hallte sie tosend von den Bäumen wieder.

Ihr machte er Vorwürfe, dass sie unvorsichtig war und selbst legte er eine Lautstärke an den Tag, der jeden im Wald auf ihre Spur geführt hätte.

„Wer ist das?“, verlangte Dugol von ihr zu erfahren.

„Nur meine unfähige Leibwache“, erklärte Alina. Gleichzeitig fragte sie sich, was Ero für ein Problem hatte, das ihre sofortige Anwesenheit bedurfte.

Kurz, nachdem das Schwert sank, ergriff sie die Zügel der Rappstute. Es bedurfte keiner Anweisung Dugols. Sie ging alleine den Weg zurück, getrieben vom fließenden Wasser.

Nach kurzem Weg entdeckten sie einen jungen Mann, der unruhig im Wasser herumwatete.

Er suchte nach irgendetwas, bloß ließ sich das noch nicht erahnen.

Dugol wollte schon zu einem Schrei ansetzen, da entschwand der Junge in einer Biegung des Flusses aus ihrer Sicht.

Mit ihren langsamen Schritten schob sich ein Bild in den Blick.

„Oh!“, machte Alina.

Falira an den Zügeln drängte nach vorne, wo die vertraute Schimmelstute nicht wusste, was sie tun sollte. Das Geschirr ließ ihr keinen Freiraum nach vorne, hinten oder zur Seite. Unruhig trabte sie auf der Stelle. Ein Wiehern stieß zu ihnen, die weißen Beine und ihr Bauch sahen schlammig aus, hinter sich hatte sie den Planwagen, dessen Räder sich nicht mehr bewegen ließen, egal was der Junge versuchte.

Belena war nicht brav auf dem Weg geblieben. Sie wollte ihrer Herrin folgen. Vorbei an den Bäumen und direkt hinein in den Fluss, wo sich die Räder in Erde und Kies eingruben.

Alina blieb stehen. Die Spitze des Schwertes pikste sie in den Rücken, während sie sich zu den Leuten umwandte.

„Ihr könntet nicht sagen, mir blieb keine Zeit mehr die Stute anzubinden“, bat Alina mit einem ihrer schönsten Lächeln und zur Bitte gefalteten Hände.

Die Frau stieß ein Lachen hervor, der Mann blieb unbarmherzig. Mit deutlichem Druck des Schwertes zwang er sie zum Weitergehen. Er interessierte sich nicht für diese Art Kindereien, sprach sein Blick.

„Alina!“, ließ Ero einen erneuten Brüller los. „Schwing deinen Arsch sofort hierher, sonst sind Räuber und Halunken dein geringstes Problem!“

Das erschien ihr dieses Mal ernst. Töteten sie die Räuber nicht, würde es Ero mit Freuden übernehmen.

„Ich bin hier!“, machte sie den Jungen auf sich aufmerksam.

Er achtete nicht zuerst auf die Leute hinter ihr, sondern fuhr sofort in einer Rüge herum.

„Sag mir bitte, wie oft ich dich dumme Gans darum gebeten habe, Belena anzubinden, sobald du fortgehst?!“

Alina trat einen Schritt zur Seite, damit das Schwert offenbart wurde, mit dem sie Dugol bedrohte, erst danach setzte sie zu einer Antwort an.

„Reicht dir nicht, dass ich mit Waffen bedroht werde?“, entrüstete sie sich. „Jetzt versuchst du mir auch noch Gedankenbisse einzureden.“

Ihre Schritte eilten nach vorne. Zuerst wollte Dugol sie aufhalten, doch zu ihrem Glück trat die Frau an seine Seite und legte ihre Hände um die, von der sein Schwert gehalten wurde. Ihre gütigen Augen sprachen von der Bitte, sie zu lassen.

Alina war schnell bei ihrer Stute. Die Zügel von Falira fielen ins Wasser und sie tätschelte das Maul der Stute.

„Was hast du hier nur angerichtet, meine Gute?“ Ein Seufzen rollte über ihre Lippen.

Nicht einmal die Kraft von zwei Kaltblütern genügte den Wagen aus dieser Falle zu befreien aber unter Alinas Berührung beruhigte sich das Pferd schnell.

„Gibt nicht dem armen Pferd die Schuld für dein Versäumnis!“, mahnte Ero. Er warf einen Blick von ihr zurück zu den beiden Leuten. „Und wen bringst du da mit? Räuber? Erst versucht deine Stute den Fluss zu überqueren, jetzt das. Lässt man dich einmal alleine, bringst du uns gleich in Schwierigkeiten.“

„Du nimmst jetzt dein Schwert ab!“, befahl Dugol mit Waffengewalt.

Obwohl er oft seine Aufmerksamkeit seiner Frau widmete, ließ er die Wachsamkeit nie sinken, wie beide jungen Leute begriffen. Daher kam Ero der Aufforderung langsam und vorsichtig nach.

Nur keine falsche Bewegung, die den anderen Mann zum Handeln veranlasst hätten.

Mit samt der Scheide warf er es an die Böschung. Weit genug vom Wasser entfernt, damit kein Tropfen es berühren konnte. Kurz darauf setzte er sich nahe dem Karren auf den Waldboden.

Es war nicht Dugol, der nach dem Schwert griff, sondern die Frau. Interessiert zog sie es auf, bis die Gravierung zu erkennen war.

„Ein schönes Stück“, sie ließ ihren Mann einen Blick drauf werfen. „Woher habt ihr es?“

„Ein Familienerbstück“, log Ero.

„Und das Pferd?“ Dugol fing den Brand des Tieres ebenso auf wie seine Frau.

„Das Gleiche“, antwortete Ero. Er zuckte mit den Schultern. „Mein Großvater verstarb vor Kurzem und meinte mich mit Ross und Schwert abspeisen zu müssen.“

„Und wie lautet dein Name?“, kam Dugol zu einer letzten Frage.

„Ich?“ Demonstrativ zupfte der Junge an seinem abgetragenen Hemd und zerzauste sich das jetzt um eine Fingerdicke gekürzte Haar. „Wie ihr seht, bin ich niemand von Rang. Was interessiert euch mein Name. Meine Aufgabe ist es auf Alina aufzupassen, wann immer sie sich auf Reisen begibt.“

„Wie ich sagte, ist der Junge lediglich meine Leibwache.“

Vielleicht war ihr Auftreten eine Spur zu übertrieben. Das Misstrauen vertrieb es nicht von Dugol. Eher im Gegenteil. Am liebsten hätte er beiden sofort den Hals umgedreht oder die Wahrheit aus einem von ihnen heraus geprügelt.

Wieder bildete die Frau den ruhigen Pol an seiner Seite.

„Ein interessantes Paar.“ Ein warmes Lächeln erstrahlte auf ihren Lippen. „Wenn sie darum bittet, solltest du beide deinem Vater vorstellen. Er hätte sicher seine Freude an ihnen und dir werden sie kaum eine deiner Fragen beantworten.“

Sie ließ das Schwert an ihre Seite sinken, nicht ohne einen zweiten Blick auf das schöne Stück zu werfen.

„Du nimmst an, der Junge könnte der Sohn des verfluchten Henkers sein, schon alleine das wäre für deinen Vater von Interesse. Aber ich denke nicht, dass sich ein solcher Junge hierher traut. Das wäre glatter Selbstmord. Außerdem sehen mir beiden nicht wie gefürchtete Mörder aus. Sie sind erst ihren Kinderschuhen entwachsen. Welche Gefahr könnten sie bedeuten?“

Dugol teilte nicht die Meinung seiner Frau, was er mit einem Schnauben zum Ausdruck brachte. Aber er fügte sich ihrem Wunsch.

„Wie dem sei, soll mein Vater entscheiden, was mit euch geschieht. Kommt mit!

Ero neigte sich zu Alina. Das Mädchen zog gerade wieder ihre Schuhe an. Die beiden Pferde würden sie zurücklassen müssen.

„Hat mein holder Engel schon einen Plan entwickelt?“, wollte er leise von ihr wissen. Alina verzog grimmig die Lippen.

Mehr als abwarten fiel ihr in diesem Moment nicht ein aber sie hatten noch Zeit, immerhin stand ihnen erst das Treffen mit Morlo bevor.

 

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Viele Mythen ranken sich um das Lager der Diebesbande angeführt von Morlo. Manches zu fantastisch und doch fanden sich genau darin wahre Funken, wie Alina und Ero jetzt erfahren durften.

Lange Zeit folgten sie dem Paar still. Geführt von der Frau und unter wachsamer Beobachtung des Mannes. Jede falsche Bewegung wäre von ihm willkommen aufgenommen worden.

Einen Gefallen, den keiner von beiden ihn tun wollte. Daher blieben sie beide ruhig und waren gespannt auf das Lager der Diebe.

Öfters drehte sich die Frau zu ihnen herum. Sie lächelte beide freundlich an, wirkte aber auch von einer gewissen innerlichen Unruhe. Alina wusste den Grund davon nicht zu sagen. Da sie ihrem Hauptinteresse galt, konnte das ein Schlüssel sein.

Dann tat sich vor ihnen eine Anhöhe auf. Ein bewachsenr Erdhügel, sowie Steine dominierten das Bild. Nichts, was auffiel oder falsch an diesem Ort anmutete.

Gewaltige Wurzeln durchzogen die Erde und Alina fragte sich, wo hier ein Räuberversteck sein konnte.

Sie suchte mit ihrem Blick den Horizont nach Bauwerken, vielleicht sogar einer Burg ab, sowie die Wipfel nach Anzeichen von menschlichem Leben. Alles ohne Erfolg.

Sie taten die ersten Schritte hinauf. Der Boden fühlte sich weich und feucht an. Letzte Nacht gab es ein sommerliches Gewitter. Dort wo die Sonnenstrahlen den Boden erhellten, spross zartes Grün. Aber immer noch ließ sich nichts ungewöhnlich entdecken.

Von links und rechts traten zwei bewaffnete Männer zu ihnen. Wachen, wie man deutlich erkannte.

Alina spähte zu den Seiten. Sie konnte keine möglichen Verstecke ausmachen, was sie nicht weiter wunderte.

Über Jahre versteckten sich die Räuber vor Kopfgeldjägern oder den Kriegern des Königs. Selbst der Angriff des Heers würde hier an Fallen und natürlichen Hindernissen scheitern, wie einst zu Zeiten der Amazonen, lebten die Räuber mit dem Wald.

Sie wussten die sicheren Wege, sowie die zur Versorgung.

Einer der Männer musterte Alina interessiert.

„Ooh la la!“, rief er erfreut. „Dugol, was bringst du uns da Hübsches mit?“

Alina wechselte an Ero vorbei die Seite und fand sich dort im Auge des anderen wieder.

Sie war nicht ängstlich aber auch nicht so dumm sich mit diesen Typen anzulegen.

„Ein Gast, also macht das Haupttor auf!“

Die Frau kam zum Stehen und wies den beiden Jüngeren an es ihnen gleich zu tun.

Was Alina jetzt sah, ließ sie ins Staunen geraten.

Die beiden Männer betätigten an einem versteckten Platz innerhalb zweier abgestorbener Bäume eine Maschinerie. Sie standen sich nicht gegenüber, setzten aber zur gleichen Zeit etwas Gewaltiges in Gang.

Ein Klacken, darauffolgend ein Rattern. Zahnräder, die ineinandergriffen und sich in Bewegung setzten. Durch den Boden fuhr ein Zittern und dann erhoben sich vor ihnen die gewaltigen Flügel eines Tores.

„Hab ich nicht gesagt, ich bring uns hinein?“, wollte das Mädchen vorlaut wissen, passte aber den idealen Moment ab, in dem die Apparatur so laut war, dass nur Ero sie verstand.

In einer anderen Situation hätte Alina seinen Blick mit Gold aufgewogen.

Du machst Scherze?!, sprach sein schockierter Ausdruck.

Hinter dem Tor warteten weitere Räuber. Sie traten heraus und zeugten ebenfalls von Interesse an den beiden Gästen, darunter besonders, was das junge Mädchen betraf.

„Ein Geschenk?“, wagte sich einer von ihnen vor. „Das war doch nicht nötig.“

„Nichts da!“, rief Dugol streng. „Das Mädchen hat ihren Karren in den Fluss gefahren.“

„Und jetzt macht unser zukünftiger Anführer auf Gentleman, um die holde Dame zu retten“, wurde er von seinen Kameraden unterbrochen.

Ein Lachen ging durch die Bande. Alina zählte zehn, weitere wartete im Inneren.

„Nein“, sagte Dugol. Er trat einen Schritt nach vorne. Ehe Alina oder Ero etwas tun konnten, fasste der Mann das Mädchen fest am Arm. Sein Körper bildete eine Trennung zwischen ihnen.

Ihr Herz begann zu flattern, noch ehe sich auf seinem Gesicht ein gehässiges Grinsen bildete.

„Wir sind keine Unmenschen und hätten euch sicher geholfen“, sagte er mit seiner kühlen Art, in der jetzt eine unheimliche Freude mitschwang. „Wären nur nicht Herkunft und Name dieses hübschen Mädchens.“

Der Henker von Ylora, immer lief es zum Hass gegenüber dieses eigentlich gutmütigen Mannes hinaus.

Viele wünschten seinen Tod, oder wollten ihn anders vernichten, wie bei Jos, der vor seinem Tod schrecklich hatte leiden müssen.

Dugol stieß das Mädchen von sich, hinein in die Arme eines der Räuber.

„Geht mit ein paar der Anderen los und zieht den Karren heraus. Mal schauen, was beide bei sich haben. Ein Gaul von ihnen bringt vielleicht noch eine warme Mahlzeit auf den Tisch, der andere ist ein edles Pferd. Es wird sich sicher noch Verwendung dafür finden.“

Ero drängte an Dugol vorbei zu Alina, wurde aber von anderen Räubern gepackt und in Zaum gehalten.

Eine Klinge legte sich an die Kehle des Jungen. In ihm sahen alle eine größere Gefahr, nicht aber bei Alina.

Was hatte sie getan, ihn den Räubern so auszuliefern?

Das Mädchen zweifelte in dieser Situation, ob es wirklich so klug war, ihn mit sich kommen zu lassen.

Die Rothaarige sah flehend zu ihrem Geliebten. In ihren Armen hielt sie das Schwert, jetzt presste sie es zitternd an ihre Brust.

Aus irgendeinem Grund wollte sie nicht, dass jemand ihnen etwas antat. War es, weil sie in ihnen wirklich noch Kinder sah, oder hatte es einen anderen Grund.

Dugols Blick nahm in seinem Hass wieder eine Kühle an, mit der er sogar seine Frau strafte.

Dann sagte er etwas, das für Alina nicht gut klang und reine Bosheit beinhaltete.

„Ihr habt vor euch die zukünftige Schwiegertochter des Henkers von Ylora. Zeigt ihr eure Gastfreundschaft aber passt auf, womöglich hat die Prinzessin Krallen.“

In einer Berührung fuhr er über ihre Wange. Alina zog ihr Gesicht weg.

„Seid lieb zu ihr, wir wollen doch alle, dass dem Bräutigam die Braut unberührt zugeführt wird.“

Eine direkte Einladung an seine Kameraden. Sie durften mit ihr tun, was ihnen beliebte.

Ehe seine Frau etwas sagen konnte, hatte Dugol sie gepackt und war mit ihr ins Innere dieses unterirdischen Verstecks verschwunden.

Beide jungen Leute wehrten sich dagegen, ebenfalls ins Innere des Versteckes gebracht zu werden, gegen die Bande kamen sie nicht an.

Hinter ihnen schloss sich das Tor. In der dämmrigen Beleuchtung fing Alina einen von Eros Blicken auf.

Wie steht es um deinen Plan?, wollte er stumm wissen.

Keine Sorge!, bedeute sie ihm mit einem Lächeln. Mir fällt schon etwas ein!

Mit diesem Auftrag brach sie ein Hornissennest auf. Sie hätte es wissen müssen aber beide waren schon längst keine Kinder mehr.

Ein einziger Schritt bewies, dass das Kätzchen mehr besaß als Krallen.

 

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Kapitel 15

 



Zu Anfang sah Morlo es als eine Geste des Mitleids.

In den Unruhen des Krieges kam sein Sohn von einer eigenen Mission zurück, die gut geplant war aber scheiterte. Neben einer Gruppe von Kriegern, teils aus dem königlichen Heer, befand sich auch eine kleine Familie bei ihm.

Eine garstige Alte. Sie mochte ihre Zeit überschritten haben, seine Untergebenen hielt sie aber noch ordentlich auf Trab. Seien es Feste oder das Training, es gab nichts, für das sich die Blinde als zu alt empfand.

Ihre Tochter zeugte vom ganzen Gegenteil. Für sie war der Krieg vergangen, sollte sie je dazu bestimmt gewesen sein. Sie bleib ihren Idealen treu, behandelte jeden mit Güte und fand ein paar Jahre später ihren Platz an der Seite seines Sohnes.

Zuletzt die Enkelin. Ein aufgeweckter Rotschopf, im Kindesalter ein Quell des Lebens und heute wie die Großmutter eine schwere Bürde.

Was dachte er sich dabei, diesen Rest des einst stolzen Amazonenheers aufzunehmen? Sie bescherten ihm nur Unruhe in den eigenen Reihen. Ein Teil drohte sogar sich abzuspalten.

„Bitte Morlo, das wäre die Chance“, bekniete ihn der Rotschopf den fünften Tag in Folge. Wieder würde sie ein Nein von ihm hören und doch gab sie nicht auf.

Sollte er ihre Halsstarrigkeit verfluchen oder bewundern. Manchmal zweifelte er sogar selbst. Und wenn er ehrlich wäre, würde er ihr eine Chance geben, wenn sie denn einen ordentlichen Plan vorlegen könnte, statt mit lauten Schritten in ihren Tod zu stapfen.

„Gib mir ein paar Männer und ich werde dir zeigen, dass mein Plan aufgehen kann. Ich weiß, dass ich es schaffe, mir fehlt nur ein ordentliches Heer.“

„Gedana, hast du eine Vorstellung davon, was mir den Plan bisher eingebracht hat?“, schenkte der Räuber dem Mädchen ein Knurren. „Nerre weiß nun, dass ich euch aufgenommen habe! Sie wird keinen Tag ruhen, bis sie euch – bis sie dich umgebracht hat! Willst du das?“ Unter der Wucht seines Schlages vibrierte sein Stuhl. „Willst du deine Mutter und Großmutter töten? Dein ungeborenes Schwester- oder Brüderchen! Meine Männer! Du forderst mich auf, sie dir zu überlassen. Damit du dumme Göre sie zur Schlachtbank führst.“

Das Mädchen zuckte unter den gewaltigen Worten zusammen.

Genau deswegen konnte er ihr diese Verantwortung nicht anlasten. Sie war eine junge Frau mit außergewöhnlichen Wurzeln, besaß aber noch nicht einmal sicheres Auftreten. Wie wollte sie da ein ganzes Heer befehligen und unter Kontrolle behalten?

„Es gibt so viele, die sich uns anschließen würden“, wagte es Gedana ihre Sturheit an den Tag zu führen, ganz so, wie es ihr die Großmutter riet.

Morlo erkannte Alesas Handschrift, wann immer das Mädchen einen Ton sagte.

„Vor 14 Jahren wurden die Amazonen besiegt.“ Der alte Räuber neigte sich vor, ganz so, wie ein Großvater mit der Enkelin sprach. „Es gibt sicher noch Mitglieder der ehemaligen Armee sowie deren Nachkommen irgendwo dort draußen. Und klar könnten die sich zu einem zweiten Krieg erheben. Aber du bist nicht ihre Königin. Denkst du, ein kleines Mädchen ohne wirkliche Visionen könne sie zu einem Sieg führen? Du bist ein Kind! Gewinne erst einmal eine eigene Schlacht, dann würde ich dir einen Teil meiner Leute mitgeben.“

„Großmutter.“ Unsicher sah das Mädchen zu der blinden Alten.

„Ja Großmutter!“, forderte Beldor Alesa auf. „Sag etwas zu deiner Enkelin! Die einstige Amazonenanführerin könnte ihre Führungsstrategien mit ihrer Enkelin teilen. Vielleicht beschäftigt sie es so lange, bis sie diesen Unsinn vergisst.“

„Ich sehe Erfolg darin“, verkündete die Alte. „Irgendwo dort draußen muss es Nettes Tochter geben. Immerhin wurde nie die Leiche des Mädchens gefunden.“

„Macht, was ihr wollt.“ Morlo warf sich in den Sitz zurück. „Meinetwegen zieht los. Eine Närrin und ihr Anhang. Aber vergesst, dass ich einen meiner Leute für euren idiotischen Plan opfere.“

Morlo war froh wenigstens eine Frau aus dieser Familie zu haben, die nicht dem Wahnsinn verfallen war. Melasa war ruhig und gesittet, ganz wie man es von einer Frau erwartete. Keine Motivation für ihre Tochter oder dem Klammern an einen Funken der Hoffnung.

Egal wie oft Melasa es wiederholte, Nettes Tochter starb. Wie sollte auch ein Kind in dieser Zeit überleben?

Die Tür zum Verhandlungssaal wurde aufgestoßen. Hinein trat eine Frau, die er so nie erlebt hatte.

Die Haut der Frauen war von Natur aus eher blässlich, noch mehr sogar, da ihr unterirdisches Versteck kaum Tageslicht zuließ. Jetzt aber wirkte sie weiß wie eine Kalkwand.

Ihre zitternden Hände umklammerten die mit Silber besetzte Scheide eines Schwertes. Zuerst wusste sie nicht, wohin sie gehen sollte, fand dann aber die Arme ihrer Mutter.

Wenig später folgte ihr Dugol. Zielsicher trat er vor seinen Vater und achtete dabei nicht auf seine Adoptivtochter.

„Vater!“, platzte es ihm heraus. „Uns ist draußen ein Pärchen begegnet, ich weiß nicht, wie ich die beschreiben soll. Verrückt sage ich. Einfach verrückt, sich überhaupt in diese Gegend zu trauen.“

Morlo sah an seinem Sohn vorbei zu Melasa. Verstört flüsterte sie ihrer Mutter ein paar Dinge ins Ohr.

„Was ist mit dir?“, wollte ihr Mann erfahren. „Seitdem wir diesem Mädchen begegnet sind, benimmst du dich komisch.“

„Weil es nicht möglich ist!“, plapperte die Frau drauf los. „Es kann nicht sein! Dieses Mädchen …! Sie sieht wie Nette in diesem Alter aus!“

Sogar Morlo konnte ein gewisses Interesse nicht verleugnen.

„Und der Junge. Stolziert daher mit edlem Schwert und Ross, ist aber in Lumpen gekleidet. Angeblich sind beide Stücke ein Erbe seines Großvaters.“

Dugol eilte zu seiner Frau und nahm ihr mit etwas Widerstand das Schwert ab. Sie folgte ihrem Mann auf dem Weg zum Anführer.

Wie sein Sohn sagte, war das Schwert von einmaliger Schönheit. Ein schwerer Beidhänder von Meisterhand geschmiedet und mit eindrucksvoller Gravierung versehen.

„Vielleicht hat er es gestohlen?“, schloss Morlo.

„Das Schwert womöglich, das Pferd nie. Es besitzt den Brand des Henkers. Wenn das Tier dem Mädchen gehören würde, könnte ich es verstehen. Sie hat sich mit dem Namen Alina vorgestellt.“

Eine junge Tänzerin aus Miro. Sein Sohn brauchte es nicht zu sagen, er ahnte es schon.

Das Kind eines Mannes, der eigentlich keine Tochter haben sollte, schon gar nicht in diesem Alter.

Im gleichen Moment wuchs sein Interesse für dieses Paar. Nicht aus den gleichen Gründen wie sein Sohn.

„Du weißt, was das bedeutet!“, rief Dugol mit leuchtenden Augen. „Die Kleine ist die Verlobte von Beldors jüngsten Sohn. Was meinst du, wie viel der alte Richter zahlen wird, um sie seinem Sohn zurückzubringen.“ Egal in welchem Zustand, blieb von ihm ungesagt, sprach jedoch aus jeder seiner Silben.

Wie beim ältesten Sohn dieses Mannes. Die Hunde fielen über ihn her, noch ehe Morlo Zeit fand, sich um den Gast zu kümmern.

Egal welchen Hass sein Sohn trieb, dieses Mädchen gehörte ganz ihm.

Unruhe machte sich draußen breit, auf die sogar Gedana hinaus eilen wollte.

„Geh auf dein Zimmer!“, wies Morlo ihr streng an, ehe er sich aufrichtete und das Schwert an seinen Stuhl lehnte.

Dann ertönte ein Schrei, von dem beide Männer aufschreckten.

 

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Kapitel 16

 



Dieses Mädchen besaß das unglaubliche Talent sich in ausweglose Situationen hinein zu manövrieren. Zum Beispiel, wenn sie Aufträge annahm, bei denen sie Kleider aus einem Hauch von Nichts trug. Teilweise von durchschimmerndem Stoff, unter dem man nichts verstecken konnte. Oder Alina verzichtete ganz auf Waffen in ihrem Tanz.

Gewöhnlich ließ Ero sie in diesen Situationen alleine. Immerhin wusste Alina sie zu ihrem Vorteil zu wenden. Dieses Mal sah es anders aus.

„Nimm deine dreckigen Pfoten von mir!“, kreischte die Blondine. Einer der Räuber hielt sie von hinten mit seinen Armen umklammert, ein weiterer näherte sich ihr von vorne.

Im richtigen Moment sprang sie hoch. Der Mann hinter ihr packte sie fester, damit das wehrhafte Mädchen nicht entkommen konnte. Mit all ihrer Kraft trat sie nach dem zweiten.

Das Auftreten auf den Oberkörper des Räubers nutzte sie aus, um sich mit Schwung zurückzustoßen.

Der Räuber hinter ihr trat einen Schritt zurück und ihr Körper entglitt seiner Fesslung. Mit ihrem Kopf verpasste das Mädchen ihm einen heftigen Schlag gegen das Kinn.

Ero verzog seine Lippen zu einem Lächeln. Wenn sie meinten, in seiner Partnerin ein verzogenes Püppchen zu haben, irrten sie.

„Das findest du wohl lustig“, rief einer der Räuber. Nicht einmal der folgende Schlag konnte etwas an seiner Freude ändern.

Solang die Typen versuchten sich einzeln an Alina heranzupirschen, würden sie große Schwierigkeiten haben sie im Zaum zu halten. Und jede weitere Minute für ihr Duo konnten sie eine gute Gelegenheit finden, aus dieser Situation zu fliehen.

Ein Schwert wäre nützlich.

Aber zuerst musste er einen Weg finden die beiden Typen abzuschütteln, die ihn festhielten.

„Komm her!“ Ein weiterer Räuber näherte sich dem Mädchen. Sie hatte keine Chance mehr dem Schlag auszuweichen, unter dessen Wucht sie an die Wand geworfen wurde. Alina sah auf aber da hatte der Typ sie schon mit seinem Körper in einen Käfig gefasst.

Seine Lippen näherten sich ihrem Ohr.

„Stell dich nicht so an, Kleine!“, hauchte er leise hinein. „Wir wollen doch nur mit dir spielen. Wehr dich nicht und wir sind ganz sanft.“

Seine Zunge leckte über ihre Wange. Alina erschauderte. Doch egal wie sie sich wehrte, es gelang ihr nicht sich zu befreien, genau wie Ero. Die Typen packten ihn zu kräftig und für jeden Versuch sie abzuschütteln wurde ihm von einem Dritten ein Schlag ins Gesicht oder dem Bauch verpasst.

„Lass mich los!“, schrie Alina. „Rühr mich nicht an!“

Diese Kerle interessierte nur, dass sie als seine Verlobte zählte. Die Wahrheit war an diesem Ort egal.

„Und was tut das hübsche Mädchen, wenn ich noch weiter gehe?“, tastete sich der Mann vor. Seine Lippen legten sich auf ihre. Er zwang ihr einen Kuss auf, dem das Mädchen nicht entkommen konnte. Und sie wollte es auch nicht.

Ihr kam es sogar recht, dass sich seine Zunge in ihren Mund schob.

Ero hätte nie gedacht, wie es ihn treffen würde, die Lippen eines anderen Mannes auf denen von Alina zu sehen. Er schäumte innerlich.

Am liebsten hätte Ero ihn gepackt und mit seinem Schwert zu winzig kleinen Stückchen verarbeitet. Sein ganzer Körper war angespannt, die Muskeln bereit für einen Schlag.

Aber nein, er musste einen klaren Kopf behalten. Genau wie seine Partnerin.

Plötzlich zuckte der Räuber mit einem Schrei von ihr weg. Aus dem Mundwinkel des Mädchens floss ein Rinnsal Blut. Nicht ihres. Sie lächelte zufrieden.

Alina musste ihn in die Zunge gebissen haben.

„Gut!“, sagte Ero und brach in Lachen aus. Alina war seine Partnerin und beide würden nie aufgeben.

Der Räuber bei ihm setzte genau wie der bei Alina zu einem Schlag an. Beide reagierten gleich. Sie zogen ihren Kopf im richtigen Moment aus der Bahn.

Die Fäuste sausten an ihnen vorbei. Bei Alina traf sie auf eine steinerne Wand, Eros Gegner traf einen seiner Kameraden. Einer der beiden Typen, die ihn festhielten.

Seine linker Arm war frei und bereit zu einem Faustschlag ins Gesicht des zweiten Mannes. Ehe einer von ihnen etwas tun konnte, hatte sich der Junge geduckt und das Schwert von einem der Räuber ergriffen.

„Du verdammtes Miststück!“, rief der Räuber nahe dem Mädchen. Seine Sprache war durch die Verletzung beeinträchtigt. Keine der Silben kam klar heraus. Zudem spuckte er sein Blut aus.

Da hatte er eine schöne Erinnerung an dem Mädchen, dass den Faden Blut aus ihrem Mundwinkel wischte, ehe sie ihn kampflustig ansah.

„Mich rührt keiner ungestraft an!“, fauchte Alina ihm und seinen Kameraden entgegen. „Will es noch einer versuchen? Nur zu!“

Sie erhob ihre Fäuste.

In einer Schule rein für Jungs hatte sie nicht nur den Schwertkampf gelernt. Sie meinte, sich oft behaupten zu müssen. Sei es gegen ihre Schüler oder die Jungs von nahen Bauernhöfen.

Eigentlich ging sie nie einer Herausforderung aus dem Weg.

In Kämpfen setzte die kleine Wildkatze schon immer ihren ganzen Körper ein. Boxen, Beißen, Kratzen. Ero trug aus ihren Streits einige Wunden davon. Manchmal blies sein Vater wegen eines blauen Auges oder einer anderen Verletzung das Vorhaben ab, seinen Sohn mal wieder mit nach Hause zu nehmen.

Seine Mutter wäre ausgeflippt, hätte sie ihren Sohn so erblickt.

Jetzt hielt Alina ihre Fäuste hoch erhoben wie Ero das Schwert.

Jeder focht seinen eigenen Kampf aus.

Einer der Räuber sprang mit seinem Schwert auf ihn zu, dem Ero gekonnt auswich. Der Junge verschwendete keine Zeit. Sein Schwert zog durch den Bauch des Mannes. Er ging vor ihm blutend zu boden.

Dann der nächste Räuber, kaum das dieser begriff, was hier geschah.

Alina einige Meter von ihm entfernt sprang nach vorne. Der Räuber rechnete mit vielem, aber keiner Faust, die seine Nase zum Ziel hatte. Knochen brach unter der Wucht. Der Mann wankte zwei Schritte nach hinten, seine Hand legte sich auf die Blutung.

Die restlichen Räuber sahen verwirrt auf das Mädchen. Ehe einer von ihnen reagieren konnte, hatte Alina eine Lücke gefunden. Sie schlüpfte hindurch und erreichte Ero auf halber Länge.

Einige setzten ein Schritt auf Alina zu, doch dort war schon der Junge mit dem Schwert.

„Wagt es nicht ihr zu nahe zu kommen!“, bellte er sie an. „Wer ihr etwas tun will, muss zuerst an mir vorbei!“

„Mein Held!“, rief Alina. Das Mädchen fiel ganz in die Rolle der hilflosen Schönheit zurück. Ihre Arme schlangen sich von hinten in einer stürmischen Geste um seinen Hals.

Nur wenig mehr Druck und sie hätte ihn gewürgt.

„Trotz deiner Prinzipien jedem Kampf aus dem Weg zu gehen, eilst du mir zu Hilfe.”

„Ich habe …“ dir geschworen an deiner Seite zu kämpfen.

Ero führte die Worte nicht zu Ende aus. Eine Falte ihres Kleides schwang in der Bewegung zurück und schlug schwer gegen sein Bein.

Verdammt, es hätte ihm an den unnatürlichen Bewegungen im Stoff auffallen müssen aber dieses Kleid so einfach, wie es gehalten wurde, lenkte die Aufmerksamkeit auf weit andere Teile ihres Körpers.

Ablenkung, Geheimnisse und überraschende Angriffe, typisch für seine Freundin.

Ein beruhigtes Lächeln flackerte über seine Lippen.

„Hat die Dame schon einen Plan?“, presste er an ihrer Umarmung vorbei.

„Zuerst besorgst du mir auch eines von den spitzen Dingern“, rief sie mit süßem Ton in der Stimme.

Ihre Arme zogen sich im richtigen Moment zurück. Einer der Räuber ergriff gerade sein Schwert. Jetzt brauchte er allen Freiraum, den er bekam, keine süße Klette.

„Du kleiner Junge willst dich wirklich mit uns anlegen?“, schnaubte der Mann auf.

Zur Antwort sprang Ero mit einem Schrei nach vorne. Metall schlug auf Metall. Der Mann war gut aber Ero besser. Mit kräftigem Schwung entriss er ihm das Schwert. Es flog im Bogen durch den Raum, bis an die Wand. Auf seinem Weg mussten sogar ein paar der Räuber aus der Bahn springen.

„Wo bleibt der Plan?“, rief er an Alina gewandt.

„Es tut mir ja leid“, antwortete das Mädchen. Alina musterte ihn von oben bis unten, fing dabei jede seiner Bewegungen und die Haltung auf. „Der ist mir jetzt glatt entfallen. Wie lange ist es her, dass wir beide zusammen trainiert haben? Ich weiß nämlich nicht, wo du gelernt hast so zu kämpfen. Darüber grüble ich jetzt schon eine Weile.“

„Du machst mich fertig!“ Ero seufzte auf. Er fasste sein Schwert fest für den nächsten Angriff. Solang er es verhindern konnte, würde niemand mehr eine Chance bekommen, Alina anzufassen.

Er hatte es ihr versprochen und würde jetzt nicht aufgeben. Sein eigenes Leben rutschte in den Hintergrund. Ero kämpfte ganz für Alina.

Dann traten weitere Leute in den Raum.

Aus dem Augenwinkel erkannte Ero Dugol und diese Frau wieder, an ihrer Seite ein älterer Mann, dicklich und mit ungepflegtem Bartansatz. Ero beachtete sie weniger, er war ganz in seinem Kampf versunken.

 

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Was vor ihnen lag, war einem Desaster.

Zwei seiner Männer lagen auf einer Seite der Höhle blutend am Boden. Es war unwahrscheinlich, dass sie überlebten. Einer kam mit weniger schlimmen Verletzungen davon.

Er stand abseits an der Wand gelehnt. Die schlimmste Schnittwunde band er gerade mit einem Tuch ab. Ein anderer giftete trotz gebrochener Nase und undeutlicher Sprache gegen das junge Paar.

Das Mädchen war also Alina. Wahrlich die Schönheit, wie sie beschrieben wurde.

Über ihr goldenes Haar flackerte der düstere Schein ihrer Kerzen, im Sonnenlicht würde es erstrahlen. Wangen und Stirn des Mädchens waren von der Reise staubig und schweißbedeckt, verloren aber nichts von ihrem Reiz. Das Kleid wirkte eher schlicht. Sie war keines der Mädchen, mit denen der Richter seine Söhne sonst verheiratete.

Was ihn trieb, sie ausgerechnet für seinen Jüngsten auszusuchen, blieb ein Geheimnis.

Dann der Junge, gerade erst die 20 im Alter überschritten. Jung und noch unbeholfen. Es fehlte ihm an Erfahrung im Schwertkampf und doch bot er seinen Gegnern schon jetzt einen guten Kampf.

Wären es nicht ausgerechnet seine Männer, gegen die er das Schwert erhob, hätte Morlo dem Kampf gerne weiter zugesehen.

Dugol griff nach seiner Waffe, was dessen Vater sofort unterband. Er besaß andere Pläne mit diesem verrückten Pärchen.

„Hört auf!“, donnerte seine Stimme von den Wänden widerhallend durch die Höhle. „Legt eure Schwerter weg! Ihr auch Kinder! Keiner meiner Leute wird euch was tun, solang ihr meinen Anweisungen folgt.“

„Nein!“, rief der Junge mit fester Stimme.

Erneut sprang er nach vorne. Der Junge zeugte von zwei Dingen. Mut und Dummheit. Dachte er etwa sich mit dem Schwert durch alle Räuber schlagen zu können.

Jetzt ließ sich auch Dugol nicht mehr zügeln. Er wollte dem Jungen nicht nur eine Lektion erteilen, sondern ihn gleich den Kopf vom Rumpf trennen.

„Stutz den beiden meinetwegen die Flügel aber verletzt sie nicht!“, wies sein Vater ihm an.

Morlo wusste um die Schule von Marno, genau wie von dessen Regeln. Er wollte Kindern eine Kindheit erlauben und nahm seine Schüler erst mit 18 Jahren an. Dieser Junge durfte somit gerade 2 Jahre den Umgang mit dem Schwert lernen.

Dummer Junge!, dachte der alte Räuber. Er sollte die Karten nicht so offen auf den Tisch legen.

„Verdammtes Räuberpack!“, keifte der Junge die Männer vor sich an. „Ist das eure Art? Frauen belästigen und ihnen wehtun. Aber nicht mit meiner Freundin!“

Einer der Räuber griff von vorne an. Einem Schlag, dem der Junge gut konterte. Wenig später ging er auf schnelle und vor allem harte Schläge über.

Einen guten Stil besaß er, seine Deckung sah dagegen lausig aus.

Dugol sprang auf ihn zu, den Schwertarm angewinkelt donnerte er ihm seinen Ellenbogen in den Rücken.

„Nein!“, kreischte das Mädchen. Sie wollte auf den Räuber zuspringen, wurde aber von zwei weiteren zurückgehalten.

Der Junge fiel nach vorne auf dem Boden. Ehe er überhaupt dazu kam, sich aufzurichten oder weg zu rollen, trat Dugol auf die Hand, von der das Schwert umklammert wurde.

Ein Schrei hallte von den Wänden. Unter dem Druck des Mannes drohten die Finger des Jungen zu brechen, ganz wie der Gegner es beabsichtigte.

„Halt dich zurück!“, rief der Vater seinem Sohn mit warnender Stimme zu. „Ich möchte beide lebend und unverletzt.“

Zwei Wörter, die seinem Sohn schwerfielen, wann immer es um Richter Beldor ging. Würde sich seine Vermutung bestätigen, konnte es für dieses Pärchen trotz Morlos Schutz sehr schnell heiß in der Höhle werden.

„Auch wenn du mein Sohn bist, gelten für dich die gleichen Regeln.“

Dugol schnaubte auf und wirkte noch ein letztes Mal Druck auf die Hand des Jungen aus. Erst dann zog er sich zurück.

Zwei der Räuber hievten den Jungen hoch, das Schwert entrissen sie ihm.

Zuletzt eine Anweisung an die Räuber, dann wurden beide zu ihm gestoßen.

 

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„Ein wirklich interessanter Fang!“, gestand er seinem Sohn, nachdem dieser wieder an seine Seite trat.

Es gab einen Tag vor einigen Jahren, da besuchte Morlo diese Schule in Miro. Damals war von dem Töchterchen nichts zu sehen. Dafür führte Marno ihn nahe des Trainingsplatz.

Eine Gruppe Jungs wurde von einem jüngeren in einige Übungen eingewiesen. Sie waren nicht nah genug, um ihn richtig sehen können, was der alte Fuchs durchaus bezweckte.

Anschauen ja, ihm etwas tun nein.

Diesen Jungen bezeichnete er nicht umsonst als seinen besten Schüler. Er besaß Talent, ihm fehlte nur die Erfahrung in richtigen Schlachten. Und das, obwohl der Lehrer nie Schüler in diesem Alter aufnahm.

Bis dahin heilt Morlo es für ein Gerücht, nach dem Richter Beldor seinen jüngsten Sohn in diese Schule gab. Und dieser Junge wirkte auf ihn auch nicht wie der adelige Spross dieses Hauses.

Diese Gedanken amüsierten seinen Freund damals und er erzählte vom Wunsch, seine Tochter möge sich irgendwann zu ihm hingezogen fühlen. Eine Vorstellung, die beide Väter teilten und aus dem später ein weiteres Gerücht entwuchs.

Aber weg mit alter Erinnerung und Geschichte!

Morlo trat vor das Mädchen. Ihr Kampfeswille war erstaunlich. Eine schöne, willensstarke Kämpferin. Was mochte ihren Vater veranlasst haben, ihr eine Reise in dieses Gebiet zu erlauben?

„Du bist die Tochter von Marno?“, erkundigte er sich. „Alina? Man hört sehr viel von dir.“

Sie wusste einen Moment nicht, was und wie sie antworten sollte, entschloss sich dann aber einfach zu nicken.

„Erzähl bitte, wie kommt er zu so einer hübschen Tochter. Hat er sich über eine Frau hergemacht, die nach der Geburt in Angst vor einem weiteren Ungetüm wie ihm das Weite suchte?“

Für einen Moment blies das Mädchen trotzig die Wangen auf. Sie mochte ihren Vater und stand voll hinter ihm.

Wenig später erzählte sie ihm mit goldiger Stimme eine Geschichte.

„Mein Vater erzählt immer, er hätte einer Adeligen das Leben gerettet, die so schön war wie der Morgen. Aus Dank hätte sie ihn mit mehreren wunderschönen Nächten belohnt. Ein paar Monate später soll ich zur Welt gekommen sein.“

Morlo grinste.

„Ich habe schon davon gehört, der alte Fuchs gäbe sich als edler Ritter aus. Erstaunlich, dass ihm die Nummer wirklich jemand abnimmt.“

Das Pärchen sah ihn gleichermaßen überrascht an.

„Wie alt bist du, Mädchen?“, lautete seine nächste Frage.

„18“, antwortete ihm Alina brav mit ihrer honigsüßen Stimme. In dieser Rolle könnte man wirklich denken, sie sei ein anständiges Ding.

Ein hübsches Mädchen mit guten Manieren. Eine vielleicht sogar naive Bauerntochter.

Kannte man Marno näher, wusste man, dass dieser Kindern in seiner Obhut keine Welt bot, in der sie von allem verschont blieben.

„Woher kennt mein liebster Vater Räuber?“

Unter ihrem Gebaren zogen sich seine Untergebenen zurück. Sie sahen in dem Mädchen keine Gefahr mehr. Bei dem Jungen war es anders. Er wachte über seiner Partnerin und würde niemanden in ihre Nähe lassen.

„18 also.“ Morlo lachte auf. „Marno kann somit nicht dein leiblicher Vater sein! Davon wüsste ich!“

„Woher?“, lautete die kurze Wiederholung ihrer Frage.

„Wir waren Freunde“, antwortete er ihr. „Marno hat in seiner Jugend in unserer Diebesbande begonnen und stieg zu meinem Stellvertreter auf. Ich wüsste, wenn er ein Kind bekommen hätte.“

„Nein“, rief sie überzeugt. „Mein Vater ist ein guter Mann. Er tut immer alles, um den Bauern zu helfen und unsere Schule hält sich hauptsächlich mit Kopfgeldern über Wasser. Er war nie ein Dieb oder Halunke. Als seine Tochter wüsste ich das.“

Sie hielt inne, wandte sogar den Kopf ab. Selbst zwischen Vater und Tochter ruht irgendwo immer ein Geheimnis, sah das Mädchen ein.

„Wenn ihr ihn kennt, müsste er euch etwas über seine Tochter erzählt haben.“

„Es stimmt, er ist ein guter Mann“, sagte Morlo ruhig. „Vor 16 Jahren verließ er meine Bande. Er hatte sich schon vorher von unseren Diebeszügen zurückgezogen und sich ganz um unseren Unterschlupf gekümmert. Ausbau neuer Bereiche, Versorgung mit Nahrung, Trinkwasser und Luft. Sämtliche Verteidigungsanlagen.“ Morlo breitete seine Arme aus. „Alles was du hier siehst entstammt seiner Idee. Eine Festung für Ausgestoßene. Viele bieten hier ihrer Familie Schutz. Und durch Melasa schenken wir manchem Reisenden ein Heim, der sonst nicht weiß wohin.“

Die Frau trat beschämt einen Schritt zurück. Und doch verlor sich ihr Interesse an dem Mädchen nicht. Am liebsten würde sie ihr selbst einige Fragen stellen, hielt sich aber auf Morlos strenge Anweisung hin zurück.

„Marno hat mich aufgezogen, seit ich denken kann“, sagte das Mädchen. „Ich weiß nicht, wer meine Eltern sind oder waren, es ist mir auch egal. Mein Heim ist die Schule.“

„Dein Vater hat dich im Kampf unterwiesen?“, erkundigte sich Morlo.

Alina schüttelte den Kopf.

„Marno unterrichtet keine Frauen!“

„Und doch berichtet man einiges von deinen Auftritten. Räuber und anderes Gesindel haben die Angewohnheit in deiner Nähe ihren Tod zu finden. Sei es sofort oder nach Urteilsspruch. Oder hilft dir dein Freund?“

Sie wandte ihren Kopf zum Zeichen ab, nicht darüber sprechen zu wollen.

Der Mundwinkel des Räuberanführers zuckte einen kurzen Moment, ehe er die Stimme an seine Männer erhob.

„Bringt sie in unseren Versammlungssaal.“

Was er alles mit ihr zu bereden hatte, war viel mehr und gehört nicht an die Ohren seiner Männer.

Er war gespannt, wann einer dieses Paars einknickte.

Ero und Alina, eine wirklich außergewöhnliche Zusammenführung zweier Schicksale.

 

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Kapitel 17

 

 


Auf dem lang gezogenen Weg zu diesem Saal verloren die Räuber nichts von ihrer Wachsamkeit. Ero wurden die Hände verbunden, hinter ihm lief Dugol. Wann immer der Räuber meinte, ihn Triezen zu müssen, stieß er den Jungen mit seinem Schwertknauf in den Rücken.

Was er tun wird, erfährt er, wer ich in Wirklichkeit war? Oder ahnen sie es?

Alina hatte man Fesseln erspart, trotzdem, was die Räuber mit ihr erlebt hatten.

Ero legte seinen Kopf auf ihre Schulter.

„Wie steht es um deinen Plan?“, wollte er wissen, ohne dass sie ihm eine zufriedenstellende Antwort geben konnte.

„Ich denk mir etwas aus!“, versprach sie ihm.

Zu den Räubern gesellten sich noch weitere Leute tief aus der dunklen Höhle. Männer und Frauen zeigten sich neugierig an den Besuchern. Tuscheln raunte an ihren Ohren vorbei.

Teils legte man die Gänge sehr schmal an. An anderen Orten durchquerten sie Hallen oder Kreuzungen. Dies alles sollte ihr Vater angeregt haben?

Welch eindrucksvoller Bau.

Wände und Decke wurden hauptsächlich mit Netzen und Metallpfeilern abgesichert. An manchen Stellen wurde mit anderen Materialien gearbeitet.

Es bedurfte viel Zeit und Geschick, diesen Ort für ein Leben hier sicher zu machen. Es gab wirklich viel, dass sie mit ihrem Vater zu bereden hatte.

Morlo führte beide in einen Saal, der nicht alleine durch Kerzen erhellt wurde. Weit über ihnen befand sich ein Gitter in der Decke, durch das Sonnenlicht in den Raum floss. Die Wände und Decke wurden mit Tüchern verhangen. Große Eisensäulen stützten die Halle.

Seine Untergebenen protestierten, als Morlo befahl, sie von dem Gespräch fernzuhalten. Einige hofften beide würden hier eine ordentliche Strafe bekommen, andere waren neugierig und ein weiterer kleiner Teil wollte ihren Anführer beschützen.

Ihre Schritte führten an aufgereihten Tischen vorbei, die für Feste genutzt wurden, hin zu einem erhöhten Platz mit einem Stuhl, der fast schon einem Thron glich. Daran gelehnt stand Eros Beidhänder.

Es stand außer Frage, wem der Platz gehörte.

Alinas Blick fiel auf Melasa. Unsicher blickte sie zu den beiden Männern. Sie wollte etwas zu ihnen sagen, brachte es aber nicht über die Lippen.

Der Diebesanführer warf seiner Schwiegertochter einen warnenden Blick zu. Alina verstand nicht, was das sollte.

Morlo war etwas älter als ihr Vater. Sie würde ihn Anfang 60 schätzen und deutlich attraktiver, als Marno es je war. Dazu besaß er eine eigene Familie, was dem ehemaligen Freund bisher verwehrt blieb.

Ab dem Tag, an dem sie in sein Leben trat, würde ihr Vater hier wohl widersprechen.

Der Diebesanführer ließ sich auf seinen Thron sinken, Melasa eilte mit kleinen Schritten neben den Stuhl. Sein Sohn blieb in der Nähe ihrer beiden Gäste, immer das Schwert griffbereit darauf wartend, dass sie einen Fehler taten.

„So!“, rief der alte Räuber. „Ich hoffe, ihr seit jetzt gesprächiger. Liege ich richtig, das Nerre euch geschickt hat, oder wieso sollte Marno seine bezabernde Tochter solch einer Gefahr aussetzen?“

„Ich bin nur eine einfache Tänzerin“, rief Alina auf eine kindliche Art. Ein Lächeln von ihr, schon schwand manche Vorsicht. Viele konnten sich nicht vorstellen, dass ein Mädchen wie sie im nächsten Moment eine Waffe zog, anders der Mann auf diesem Thron.

Von ihm strahlte Misstrauen aus.

Ero neben ihr sank im Schneidersitz zu Boden. Im Moment davor übermittelte er ihr eine stille Botschaft.

Von dir erwartet niemand, Blumen verkauft zu bekommen. Mit anderen Worten, sie solle mit dem Schmierentheater aufhören, wie auch Morlo überzeugt war.

„Als ob der gute Marno seinem Kind nichts beibringen würde. Alina, in unserem Leben haben wir schon viel gesehen und erlebt, darunter den Schmerz beim Verlust eines geliebten Menschen. Egal ob Junge oder Mädchen, er würde ein Kind von sich unterrichten. Damit dieses, sollte sein Leben bedroht sein, mit List oder Waffe entkäme.“

Die letzten 14 Jahre ließ der Mann an ihr nicht verschwendet. Marno liebte sie wie eine wirkliche Tochter und sie war glücklich ihn zu haben.

„Du agierst als diese Mörderin, von der ich schon gehört habe und der Nähe zu eurer Schule unterstellt wird! Dieser tödliche Engel, oder wie du genannt wirst.“

„Ich bin keine Mörderin!“, empörte sie sich. „Ich werde nicht für Mordaufträge bezahlt. Tanzen ja, aber nichts anderes.“

Doch eins, zwei waren schon dabei, die sie mit Freude annahm. Es waren schlechte Menschen aber grundsätzlich ging Alina nur soweit, wann immer sie ihr Leben bedroht sah.

Wie bei dem Auftrag letztens. Sie hätte nie alle Räuber gefangen nehmen können. Nicht einmal mit Eros Hilfe. Es ging nicht anders, um an ihre Anführer zu kommen.

Ach wieso zweifelte sie überhaupt an sich oder ihrer Arbeit? Sie tat damit auch Gutes, in dem sie diese Räuber ihrer Strafe zukommen ließ.

„Beantworte einfach meine Fragen!“, forderte Morlo sie auf. „Sei ein liebes Mädchen und Marno bekommt seine Tochter wohl behalten zurück. Ich bin Räuber, niemand verlangt, dass ich mich mit dir unterhalte. Schon gar kein ehemaliger Untergebener, der seiner Herkunft den Rücken zukehrt.“

Er tat das alles nur dank Marnos einstiger Freundschaft und dem, was er für ihr Lager erreichte.

„Ich bin trotzdem keine Mörderin!“ Alina ließ sich trotzig neben Ero nieder.

Mit einem Räuspern machte der Junge auf sich aufmerksam.

Dugol bereitete sich darauf vor ihm einen Schlag mit dem Knauf seines Schwertes zu geben, da hob der Vater seine Hand in der Geste, Ero dürfe sprechen.

Eine Aufforderung, der Ero sofort nachkam.

„Eure Informationen sind falsch! Meine liebste Freundin geht ihrer Arbeit als Kopfgeldjägerin zu wörtlich nach. Daher nennt man sie in Miro den blutigen Engel.“

„Um meine Schwiegertochter zu beruhigen, sagt mir dein Freund sicher, wer deine leiblichen Eltern sind oder waren.“

Morlo sah fordernd auf Ero.

Dieser zuckte mit den Schultern.

Der Junge wusste genauso viel wie Marno. Sie war ein kleines Mädchen, verloren in Miro. Ohne Eltern oder jemanden, an den sie sich klammern konnte. An diesem Tag hatte Marno sie gerettet und nie Bedenken geäußert sie seitdem aufgenommen zu haben.

„Bist du jetzt zufrieden, Melasa?“, wollte Morlo von der Frau wissen.

Das war sie nicht. Die Frau eilte zu Alina und ließ sich vor dem Mädchen auf die Knie sinken.

„Weißt du denn wirklich nichts über deine Eltern“, wollte sie in einem Flehen wissen. „Wer sie waren. Wo du herkommst. Wurdest du in Miro geboren?“

Ihr Bild von einer liebenden Mutter mochte in ihrer Erinnerung verschwommen sein aber Alina wusste ganz genau, wer sie war. Es machte nicht vergessen, wofür ihre Mutter starb.

Für eine sinnlose Sache!

Immer wieder musste Alina daran denken. Ihre Eltern hatten sie beide alleine gelassen. Sie lebten nur für ihre Pflicht und nicht für die Tochter. Hätten sie das getan, würden sie jetzt an ihrer Seite stehen.

Alina spürte keine Liebe in sich, nur Hass für diese Menschen, die ihr kleines Kind alleine zurückließen.

„Wann hat dieser Marno dich aufgenommen?“, wollte Melasa wissen.

Sie trug einen glimmenden Funken Hoffnung in sich. Nach einem Erlöser, den sie in Alina nicht finden würde. Diese Wahrheit würde die Jägerin zur Beute erklären.

Nein, das war unmöglich! Alina liebte ihr Leben, die Schule und Marno. Sie wollte sich von nichts davon trennen.

„Wie alt warst du, als er dich aufnahm?“ Die Frau griff nach den Händen des Mädchens und um so leichter fiel es Alina zu lügen.

„Ich war drei Jahre alt“, antwortete sie. Gleichzeitig spürte sie eine Gewissheit, für die sie ihren Freund nicht ansehen musste. Er wusste, dass sie log und wahrscheinlich auch wieso. „Es war kurz vor Ende des Amazonenkriegs.“

„Jetzt geh, Melasa!“, befahl Morlo. „Seht es endlich ein, dass es keinen zweiten Amazonenkrieg geben wird. Rede mit deiner Tochter und treib ihr diese Dummheiten aus, bevor sie uns noch mehr Ärger bereitet.“

Also existierte dieses Mädchen wirklich.

Alina stand auf.

Wenn Melasa bis eben noch hoffte, würde Alina jetzt ihren Hass gegen sich schüren.

„Da hätte ich einen Vorschlag!“, unterbrach sie das Gespräch. „Lasst uns beide gehen und überlasst uns das Mädchen. Eure Probleme wären damit aus der Welt geschafft.“

Sie achtete darauf, auch ja kein Gefühl wie Mitleid in ihre Stimme fließen zu lassen. Kühl wie das Eis eines gefrorenen Sees.

Ein Lächeln schmückte ihre Lippen. Überlegen und ohne dem Willen sich zu unterwerfen.

„Nein!“, schrie Melasa auf. „Nicht meine Tochter!“

Der Räuber zu ihrer Linken zeigte kein Mitgefühl mit der Frau.

„Genau das ist es, wieso du auf deine Tochter einreden solltest!“, sagte er im strengen Ton des Anführers. „Wir könnten sie gleich Alina überlassen, das fiele nicht näher ins Gewicht. Schickst du sie in diesen unsinnigen Krieg hinaus, wird Gedana fallen.“

„Das weißt du nicht!“, zweifelte die Frau.

Morlo beachtete sie nicht weiter, er wandte sich Alina zu.

„Was bezahlt euch Nerre für die Erfüllung dieses Auftrags?“, wollte er wissen. „Wie viel ist das Leben des Mädchens wert?“

Alina zuckte mit den Schultern.

„Sie nannte uns keine Zahl.“

Der Räuber verzog die Lippen.

„Schöne Kopfgeldjäger seit ihr. Das Bare scheint euch wenig zu interessieren. Geht ihr nach den Köpfen vor, die ihr den Auftraggebern abliefert?“

Wenn sie Punkte zwischen den Räubern sammeln würde, wären jetzt alle auf null gefallen.

Morlo wandte sich Ero zu.

„Was ist mit deinem Freund? Wie heißt der Junge?“

„Ach ich.“ Ero lachte nervös auf. „Ich bin ein Niemand! Nur der arme Dumme, der sich nicht schnell genug fortgeschlichen hat, als es um die Verteilung der Partnerschaften ging und jetzt hab ich Alina am Hals.“

„Du wirst auch von Marno trainiert?“

Ero nickte brav.

„Du bist 20?“ Wieder ein Nicken des Jungen. „Dann müsstest frühstens vor zwei Jahren mit dem Training begonnen haben.“

„Ach ihr solltet wissen.“ Der Junge drehte seine Hände in den Fesseln. Wären sie frei, würde er versuchen alles mit Gesten zu erklären. „Ich bin nur zur moralischen Unterstützung dabei. Immerhin muss jemand darauf aufpassen, dass Alina unsere Geldquelle am Leben lässt.“

Der Dieb verzog die Lippen zu einem Grinsen.

„Mach ihn los!“, forderte er seinen Sohn auf, der noch nicht begriff. Aber er gehorchte. Mit seinem Schwert zertrennte er die Fesseln.

Ero rieb sich die Handgelenke. Plötzlich nahm Morlo das Schwert zu Händen. Mit einem großen Schwung warf er es Ero zu, dass dieses vor den Füßen des Jungen landete.

„Greif ihn an!“, forderte Morlo seinen Sohn auf.

„Ich weiß nicht, was das bringen soll“, meinte Dugol. „Der Junge ist Anfänger! Ich steh nicht auf kurze Kämpfe.“ Wie bei seinem Vater offenbarte sich ein Lächeln auf den Lippen des Räubers. „Bei ihm mache ich jedoch gerne eine Ausnahme.“

„Was?“, rief Ero irritiert. Er beuge sich kurz zu Alina. „Wie steht es um deinen Plan?“

Eine letzte Frage an die Freundin.

Wie Dugol unter Führung des Schwertes anwies, nahm Ero seinen Beidhänder und stand auf.

Dieser Raum wirkte gespiegelt. Eine Gasse trennte die Tischreihen in der Mitte voneinander, breit genug für Showkämpfe und anderes wie Tanz oder Aufführungen.

Jetzt führte Dugol den Jungen hinein.

„Ich weiß nicht“, warf sie ihm leise entgegen. Was konnte sie tun?

Ihr Herz begann in Angst zu flattern. Was bezweckte Morlo damit? Dann verstand sie.

„Langsam werde ich es leid mit euch ungehorsamen Kindern“, rief Morlo. „Ich habe einige Fragen und ich will endlich Antworten darauf. So oder so werde ich sie bekommen.“

Alina wollte nach vorne springen, hin zu ihrem Freund. Sie musste irgendetwas tun, um den Räuber aufzuhalten.

„Der Junge hat dich vorhin verteidigt.“

Morlo stand so plötzlich hinter ihr, dass sie nicht begriff. Da griff er auch schon nach ihrem Arm, ehe ihm der Vogel entfloh. Sie wusste, dass er ihr nichts tun würde. Noch nicht jetzt. Vielleicht sogar gar nicht, wenn er immer noch Freundschaft für Marno empfand.

„Ich weiß von deinem Vater, dass er bei einem seiner Schüler eine Ausnahme gemacht hat. Zwei, wenn man die Tochter mit einbezieht.“

Dugol lauschte von seinem Platz aus den Worten des Vaters. Auch er begriff, worauf der alte Räuber hinaus wollte.

„Der alte Fuchs war sehr stolz auf seinen besten Schüler.“

Ero parierte den ersten Schlag des Gegners und sah sich einem echten Problem gegenüber. Dugol würde kämpfen, bis einer von beiden tot zu Boden fiel. Wäre das der Räuber, konnte sich Ero von seinem Leben verabschieden, versagte er, würde ihn das gleiche Treffen.

Alina hoffte, er würde die erste Möglichkeit wählen. Mit einer Aufgabe würde er ihr nichts ersparen, lieber war ihr, er kämpfte.

Leider sah es für sie nicht danach aus. Der Junge parierte jeden Schlag des Mannes, ohne nach vorne zu eilen, um selbst etwas zu wagen.

„Bitte lasst ihn“, flehte Alina den Mann an. Ihr Herz donnerte wild in der Brust.

Was hatte sie sich gedachte ihn hier hin mitzunehmen? Ihr war von Anfang an klar, wie das endet.

„Ihr dummen Kinder“, rief Morlo. „Ihr meint in mein Reich einfallen zu können, ohne einen klaren Plan und hofft auf Gnade.“

Wäre die Situation nicht so hoffnungslos, hätte Alina aufgelacht. Ero hatte versucht, auf ihre Art die Anschuldigungen zu zerstreuen. Immer schön den Unterlegenen spielen und immerhin unterrichtete er selbst und wusste, wie sich ihre Schüler im zweiten Jahr bewegten.

Er kannte ihre Fehler und baute sie wann es sich anbot ein.

Anfänglich irritierte es Gegner und auch dessen Vater. Bis Dugol das Zeichen bekam ihn härter ran zu nehmen.

Dugols Angriffe wurden schneller und zielten auf den Körper des Jungen vor sich. Er verlor die Strategie gänzlich. Aus anfänglich unbedarften Versuchen wuchs schnell das wahre Können eines guten Schwertkämpfers.

Ero sprang nach hinten zu einem der Tische. Einer der Schläge ging nah an ihm vorbei nieder und traf mit einem lauten Knall den Tisch. Eine Sekunde, die Ero nutzte, darunter hindurch auf die andere Seite zu rollen.

Schnell warf er die hinderlichen Stühle mit einem Tritt um, dann besaß er schon die Trennung zwischen sich und seinem Gegner.

Der Räuber nahm nun keine Rücksicht mehr, er kämpfte mit all seinem Können. Und egal ob Ero gut war, er würde nicht gegen den erfahrenen Mann bestehen können.

„Ihr wollen mir Fragen stellen, dann tut es!“, forderte ihn Alina auf. Ihre letzte Hoffnung in dieser ausweglosen Situation. „Ich beantworte alles!“

„Wozu?“

Wie von einem Schlag getroffen sank das Mädchen auf den Boden. Der Druck um ihr Handgelenk ließ nach. Morlo nahm an, sie hätte aufgegeben, daher ließ er sie los.

Ero meinte, hinter den Tischen einen guten Schutz zu haben. Wann immer Dugol sich hinüber trauen wollte, war der Junge schon da und drohte ihm mit dem Schwert.

Eine Zeit ging es gut dann warf Dugol sich mit all seiner Kraft gegen einen der Tische.

Eine Tat, die für Ero überraschend kam. Es gelang ihm nicht mehr auszuweichen.

Der Tisch brach aus seinem Platz in der Reihe. Vor ihm Ero, der von der Wucht getroffen an die nahe Wand geschleudert wurde. Er keuchte auf. Dann ein zweiter Stoß mit dem Tisch, der den Jungen nun gegen die Wand drückte, gehalten von Dugol.

Das Schwert legte sich auf die Brust des Jungen, bereit zum letzten Stoß.

Es bedurfte nur eines einzigen Zeichen des Vaters.

„Ero.“ Tränen stiegen in die Augen des Mädchens. Nein, es durfte nicht geschehen! Er war ihr teuerster Freund. Ero hatte noch so viel vor sich und auch seinen Eltern wollte sie das nicht antun.

Die ganze Familie war immer so lieb zu ihr.

„Bitte“, flehte sie den Räuber an. „Bitte verschont ihn.“

Die Hand des Räuberanführers erhob sich zum letzten Zeichen und die des Mädchens wanderte zu dem staubigen Kleid hinunter.

„Seid ihr meinem Vater nicht dankbar?“, keuchte Ero. Die Tischkante wurde unter dem Druck, den Dugol aufbaute, in den Bauch des Jungen gepresst. „Damals während unserer Reise zum Schloss Telja …“

Er brach ab. Eine Schmerzenswoge legte sich über ihn. Das Gesicht des Räubers war seinem so nah. Dugol genoss jedes Leid des Jungen vor sich, ein schneller Tod wäre ihm zu wenig.

Eine Anweisung von Morlo und sein Sohn nahm etwas Gewicht von dem Tisch, damit der Junge weitersprechen konnte.

„Mein Vater wusste um euren Plan.“ Seine linke Hand fasste zum schmerzenden Bauch. „Schon vor Antritt der Reise hätte er seinen Leuten Anweisung geben können alle zu töten. Er hat es nicht getan und ihnen letztendlich die Freiheit geschenkt. Dazu verdankt euer Sohn ihm seine Frau.“

Seine Antwort bekam Ero, indem Dugol seine Kraft in einem Schwung wieder gegen den Tisch wandte. Ero keuchte unter dem Schlag auf.

Alina sah zu Melasa, die einen Moment irritiert war und nicht wusste, ob sie eingreifen sollte oder nicht. Aber es war Dugol egal, was der Junge vorbrachte. Auch seine Frau würde er überhören.

„Im Moment interessiert mich nur, wie ich dich umbringen soll“, sagte der Räuber grimmig. „Schnell oder sollen die anderen auch ihren Spaß mit dir haben, Henkersohn?“

„Wirklich schade, dass euer Vater all sein Können an so einen Burschen verschwendet hat.“

Die Hand des Räuberanführers sank langsam zu Boden und Alina wusste jetzt genau was sie tun würde.

Ihre Hand glitt in die versteckte Tasche an ihrem Kleid. Kaum dass ihre Finger den Griff ertasten, sprang Alina auf und hinter Morlo.

„Aufhören!“, schrie sie mit aller Kraft ihrer Stimme durch den Raum. Das Metall legte sich dicht an die Kehle des Räuberanführers.

Sie musste ein Zittern unterdrücken, um den Mann nicht zu schneiden.

„Dein Sohn soll sein Schwert niederlegen oder er kann neben diesem Grab eines für den eigenen Vater ausheben!“

 

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Kapitel 18

 



Seine Bewegung erstarrte, in der er Eros Tod befehligen wollte. Wenigstens ein kleiner Aufschub sah sich Alina bewusst. Sobald sie ihre Geisel freiließ, gab es kein Erbarmen für beide.

„Wo hat dieses Biest das Messer her?“ Unter dem Schrei seines Vaters drehte sich Dugol um.

Die Antwort kam nicht von ihm, sondern Alina.

„Eure Leute sannen auf andere Dinge, nicht mich nach Waffen zu durchsuchen.“

Der Druck auf Ero sank, nicht aber das Schwert drohend über seiner Brust.

„Was bringt es euch mich zu töten?“, verlangte der Junge zu erfahren.

„Das gute Gefühl dem Henker einen weiteren Sohn zu nehmen“, lautete Dugols kühle Antwort.

Er hasste Beldor! Vielleicht genau wegen dem Geschehen vor 14 Jahren. Der Räuber sah sich seinem Ziel so nah und rechnete mit allem. Nur nicht seine baldige Enttarnung und dessen Entscheidung ihn zu verschonen. Für ihn muss es einer Demütigung gleichgekommen sein.

„Es wird euch auch selbst den Tod bringen“, prophezeite Ero. „König Selon und König Ylias äußern beide den Wunsch, bei meiner Hochzeit anwesend zu sein. Selbst ihr müsst um das Verhältnis meiner Familie zu den Königshäusern wissen. Mein Vater ist ein gern gesehener Gast und Berater.

„Tz.“ Dugol schnaubte unbeeindruckt auf. „Vater, willst du ihm das glauben?“

„Wenn ihr es herausfinden wollt“, rief Ero. Er zeigte keinerlei Angst im Auge der Waffe, ganz anders seine Partnerin.

Alina würde alles tun, um Ero zu beschützen, genau, wie er sogar diese Gefahr für sie einging.

„Lass endlich dein Schwert fallen!“, befahl Alina. „Stirbt Ero, tut es im gleichen Moment dein Vater.“

Melasa blieb bis eben regungslos, jetzt trat sogar sie einen Schritt auf ihren Mann zu. In ihrem Gesicht ließ sich die stumme Bitte ablesen, er möge unnötiges Blutvergießen vermeiden.

Einen Moment dachte Alina nach, ob es vielleicht nicht besser gewesen wäre, die Frau zu bedrohen. Aber nein, neben Ero gab es ein weiteres Ziel.

Morlo lachte schallend auf und zwang Alina damit das Messer wenige Zentimeter von seiner Kehle zu nehmen.

„Ihr beide seid ein verrücktes Paar!“, sagte der Alte. Er wandte sich an seinen Sohn. „Dugol, nimm das Schwert herunter! Ich mag zwar schon älter sein, möchte aber meinen Enkel noch kennenlernen.“

Der Räuber gehorchte dem Willen seines Vaters. Nicht so, wie Alina erhoffte. Sie war hier, um ihren Vater zu beschützen. Dugol zeigte sich kaum besorgt.

„Alter, tritt mit Würde ab!“, rief er mit seiner kühlen Stimme. „Du weißt was passiert, erfahren die Anderen davon.“

Ero sank vor dem Räuber auf den Tisch nieder. Alles Leid wurde von ihm genommen, genau, wie auch von Alina erwartet wurde, doch die blieb stur.

Mit einem Zeichen wies sie Morlo an, ein Stück zur Seite zu gehen, dem von ihr mit dem Messer dirigierten Weg zu folgen.

Der alte Räuber gehorchte.

„Was hast du jetzt vor?“, wollte er von Alina wissen.

„Ich will dieses Mädchen!“, rief sie streng. „Bringt sie mir! Immerhin bereitet sie euch nur Ärger oder denkt ihr, ich bin die Einzige, die Nerre ausschickt?“

„Nein!“, rief die Mutter. Sie wusste nichts zu tun. Wie sollte sie eingreifen, ohne ihr ungeborenes Kind zu gefährden?

„Die hat davon gehört, dass du jeden Auftrag mit der größtmöglichen Anzahl von Toten erledigst.“ Eros Stimme klang erschöpft von dem Kampf. Er sank vor dem Räuber auf dem Tisch nieder. „Meine arme Mutter! Was müsste sie für Ängste ausstehen, wüsste sie um deinen Ruf.“

„Ob dann mit diesen Verlobungsgerüchten endgültig Schluss wäre?“ Das Mädchen verdrehte die Augen.

Nur einen Augenblick schwand ihre Aufmerksamkeit, im nächsten Moment packte der Räuberanführer ihr Hand, in der sie das Messer hielt. Morlo mochte über 60 sein, ließ aber nicht das eigene Training vernachlässigen.

Sein Griff zeugte von außergewöhnlicher Stärke. Er drückte den Arm des Mädchens von sich. Ehe die ein weiteres ihrer Messer nehmen konnte, spürte sie einen heftigen Schlag gegen den Bauch.

Alina keuchte unter der Wucht auf. Alle Luft wurde herausgepresst. Dazu drehte der Räuber ihre Hand so schmerzvoll um, dass ihr nichts anderes blieb, als das Messer fallen zu lassen.

Mit einem Tritt beförderte der Räuber es von ihr weg. Dugol erkannte nun seine Chance, Ero wieder in die gleiche Position zu bringen.

„Nein!“, keuchte Alina.

Ein Schlag traf das Mädchen und warf sie zurück. Sie stolperte gegen die Wand, griff sogar noch Halt suchend nach irgendetwas. Ihre Finger fanden nur ein Tuch, das unter ihrem Gewicht riss.

Blanke Erde enthüllte sich hinter ihr. Das Tuch fiel Wellen schlagend auf sie nieder. Durch gelben Stoff sah sie wie Ero versuchte nach seinem Schwert zu greifen.

„Tut ihr nichts!“, rief der Junge.

Ein Messer!, dachte Alina. Sie musste an ein weiteres ihrer Messer oder einen der Dolche.

Das Gewicht des Mannes legte sich über sie, mit dem er das Mädchen niederdrückte.

„Wenn du Leben willst Junge“, rief er Ero zu, „sag mir, ob sie noch mehr dieser Waffen versteckt!“

Nein! Alina biss sich auf die Lippen. Ihr Freund sollte nicht sterben aber sie wollte auch keine ihrer Waffen ablegen. Nicht hier unter dieser wilden Bande, die ihr so ein Willkommen bereitete.

Ero schrie unter einem Schlag von Dugol auf.

„Verdammter Bastard!“, keifte der Junge. „Es müssten mindestens drei sein.“

Der Druck durch die Tischkante auf seinem Bauch, gegen die sich Dugol stemmte, nahmen ihm die Luft.

„Bei diesem Kleid könnten es … zwei oder … vier mehr sein“, presste er hervor. „Versucht nicht, herauszufinden … wo. Sie sieht nicht so aus, … aber Alina hat ganz schön viel Kraft.“

„Mieser Verräter!“, knurrte das Mädchen unter dem Räuberanführer.

Es bedurfte eines weiteren Zeichens von Morlo, schon nahm Dugol den Tisch zurück. Ero sank kraftlos zu Boden, ohne von dem Räuber bei ihm Schonung zu erwarten. Kaum bot der Tisch genug Platz, war er schon durch die Lücke geschlüpft und zwang Ero auf die Beine.

„Ein Vorschlag an euch Dummköpfe“, rief Morlo mit autoritärer Stimme. „Alina, dein Vater war mir ein guter Freund und loyaler Untertan. Zwing mich nicht dazu, ihm seine Tochter tot zurückzuschicken. Lass diesen Kampf sein und vergiss Gedana, dann schenke ich Ero das Leben.“

Alina zappelte unter dem Mann, kam jedoch kein Stück voran.

„Ist gut!“, ging sie den Handel ein. „Aber denkt nicht, dass ich eine meiner Waffen hergebe. Nicht nach der Begrüßung eurer Männer. Kommt mir einer zu nah, werde ich mich verteidigen.“

„Vater!“, warf Dugol ein. „Denkst du allen erstes daran den Jungen zu verschonen. Er ist der Sohn des Henkers. Eine solche Chance sollten wir uns nicht entgehen lassen. Und dieses Mädchen … Marno hat sie selbst auf diesen Weg geführt, er sollte wissen, was mit Leuten geschieht, die uns in den Rücken fallen.“

„Dugol, vor 14 Jahren hattest du deine Chance den Henker zu töten“, erinnerte ihn sein Vater. „Du hast versagt, und auch wenn ich es ungerne zugebe, schuldet unsere Familie diesem Mann sehr viel.“

„Willst du unseren Männern sagen, welchen Gast sie nicht anrühren dürfen?“ Dugol schnaubte auf. „Oder muss ich das übernehmen?“

„Du sagst ihnen nichts!“, befahl ihm sein Vater. „Bei Alina werden sie es verstehen. Einige kennen Marno von früher. Sie werden akzeptieren, dass ich seine Tochter verschone. Aber der Name dieses Jungen bleibt ein Geheimnis.“

Dugol akzeptierte den Wunsch ohne weiteres Murren. Er war gerade dabei Ero zu dem Thron seines Vaters zu schleifen, genau, wie Alina endlich aus der Situation entlassen wurde, da öffnete sich die Tür.

Wie ihnen befohlen wurden, blieben die Räuber draußen. Bis auf zwei Personen.

Man hätte sie für einen Jungen halten können, wenn sich unter dem Hemd nicht der Busen eines Mädchens abgezeichnet hätte. Wangen und Nase wurden wie bei ihrer Mutter von Sommersprossen bedeckt, genauso das rote Haar, bei ihr von hellerer Farbe.

Die Linie der einstigen Amazonenanführer ging auf einige Rotschöpfe zurück, wie selbst Alina wusste.

Sie wies ein ovales Gesicht auf, mit durchaus attraktiven Zügen. Die kurze Frisur passte aber eher zu einem Jungen, genau wie die Kleidung und das Schwert an ihrer Seite.

In ihren Arm hatte sich eine ältere Frau eingehakt. Ihre Großmutter, wie Alina annahm.

Jeder Schritt der Alten war sicher, trotz der vom Alter getrübten Augen.

„Ich will mit dir sprechen!“, rief das Mädchen. Ihr Blick wanderte auf die beiden Gäste und auch die Zeichen des Kampfes.

„Gedana, euer Gespräch ist beendet“, rief Dugol streng.

Alina fragte sich, ob dieser Mann überhaupt milde kannte.

„Wir schicken unsere Leute nicht in den Tod, nur weil ein unreifes Mädchen meint, mit ihren Ahnen wetteifern zu müssen“, äußerte sich Morlo. Ehe Gedana zu etwas Weiterem ansetzen konnte, sprach er weiter. „Ja, ich würde meine Männer in deine Hände geben.“ Die Augen des Mädchens leuchteten auf, dann folgte der letzte Schlag. „Sollte sich eure tote Königin aus ihrem Grab erheben. Und jetzt gib endlich Ruhe!“

Beide Partner, Alina und Ero, setzten sich nebeneinander auf den Absatz der Erhöhung.

Die Sache wurde nun doch interessant, auch wenn sie sich den Grund ihres Auftrags anders vorgestellt hatten. Nicht ein Mädchen, so alt wie Ero, dass nicht einmal den Mut aufbrachte ihren eigenen Weg zu gehen, sondern auf Unterstützung hoffte.

Melasa eilte zu beiden, um ihrer Tochter die ältere Frau abzunehmen, bekam von dieser jedoch ein Handzeichen, sie zu lassen. Ihre Hände betasteten die des Mädchens. Eine Berührung, die in dieser Sicherheit für ihr Anliegen gaben.

Noch einmal tief durch geatmet, dann brachte es Gedana in einem Zug heraus.

„Ich verlange eine Chance, mich zu beweisen.“

Morlo zeigte sich nicht beeindruckt. Immerhin tat das Mädchen vieles mit der Unterstützung ihrer Großmutter, wie man vielen Gesten zwischen ihnen entnahm.

Der Räuberanführer wollte sogar ablehnen, dann sah er auf seine beiden Gäste.

„Wieso nicht?“, sagte er. „Wenn du eine Chance forderst, wirst du sie erhalten!“

Beide Eheleute sahen den alten Räuber gleichermaßen überrascht an. Während die Mutter sich für ihre Tochter freute, glaubte Dugol eher an einen Scherz. Seine Meinung war, man sollte das Mädchen davon abbringen.

„Wie sieht die aus?“, wollte das Mädchen wissen und gewann an Hoffnung.

„Wir haben zwei Gäste.“ Morlo setzte sich auf seinen Thron und wies von dort auf Alina und Ero. „Wenn du einen der beiden besiegst, werde ich dich mit allem unterstützten, was du dir wünschst.“

Neugierig musterte Gedana beide, wobei ihre Augen hauptsächlich an Ero hängen blieben.

„Die Männer haben berichtet, was für Ärger sie mit ihnen hatten“, sagte Gedana. „Kann das Mädchen auch kämpfen? Dann wähle ich sie.“

Es war Alina von Anfang an klar, auf wen die Wahl fallen würde.

„Ich habe nur ein Problem.“ Sie wies auf ihr Kleid. „In meinem Karren sind ein paar meiner Sachen. Könnte ich davon welche haben? In diesem Kleid kann ich nicht kämpfen.“

Der Räuber auf seinem Thron begann schallend zu lachen.

„Wie habt ihr beiden euch die Sache überhaupt vorgestellt?“, verlangte Morlo von ihnen zu erfahren. „Alina, du und dein Freund, ihr seid mir ein paar gute Kopfgeldjäger.“

Sie strich sich eine Strähne ihres goldenen Haares aus dem Gesicht, über das sich jetzt ein verlegenes Lächeln zog.

Selbst die besten Kopfgeldjäger begingen Fehler.

 

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Kapitel 19

 



Alina wurde durch ein Gewirr aus Gängen geführt. Ähnlich Straßen einer Stadt zog sich der Kaninchenbau unter der Erde entlang. Viel größer, als sie sich ausgemalt hatte.

Einige Bereiche führten zu neueren Arbeiten. Konnten die Leute, zu denen die Türen führten wirklich alles Diebe sein oder was trieb sie in die Dunkelheit dieses Verstecks?

„Vieles sind Gesuchte“, erriet Melasa ihre Gedanken. „Sie haben hier ein Heim und Schutz vor Verfolgung. Ihr Verbrechen war zu gering, als dass wir sie in den Tod schicken können. Manches sind die Familien Verurteilter, die einfach nicht wussten, wie sie ihr weiteres Leben bestreiten sollten.“

„Viele flohen vor der Verurteilung durch euren zukünftigen Schwiegervater“, warf die Tochter ein. „Oder sie verloren ihre lieben Menschen an ihn.“

„Wahrscheinlich hat er auch viele an diesen Ort geschickt“, sagte sie zu leise, als dass es die beiden Frauen hörten. „Von Boten geleitet oder befreit, die darum wussten, wie gefährlich dieses Spiel selbst für einen Mann wie ihn werden konnte.“

Melasa öffnete vor ihr die Tür zu einem kleinen Raum.

Er war spärlich eingerichtet. Als Nachtlager lag ein Fell auf dem Boden. Mehrere Truhen und Schränke boten Platz für die Habseligkeiten des Besitzers.

Aus einem davon nahm die Frau Hemd und Hose. Ihre eigenen Sachen lagen noch im Planwagen, von dem Belena befreit war. Jetzt tüftelten einige Räuber wie sie diesen aus dem Fluss nahe ihres Verstecks bargen.

Ihr blieben für diesen Kampf nur die Sachen eines Fremden. Oder einer. Wie man dem Blick Gedanas anmerkte, gehört ihr dieses schlicht eingerichtete Zimmer.

„Wieso behandelt Morlo dieses Mädchen so?“ Bei dem Wort Mädchen kam Gedana ins Stocken. Eigentlich wollte sie ein Schimpfwort nennen, verkniff es sich aber unter Beisein der Mutter.

Gedana und Melasa kamen ihr die Namen aus den vielen Geschichten um die Amazonen so vertraut vor? Der Name Alesa, den das einstige Amazonenoberhaupt trug, wurde oft genannt. Genau wie der ihrer Nachfolgerin. Der stolzen Amazonenkönigin Nette.

Eine Frau, die jämmerlich in den Straßen Teljas verblutete. Geschlagen wie ein räudiger Köter.

Die Blondine öffnete ihr Kleid und ließ es ihren Körper hinab rutschen. Die Worte der Frauen, mit denen sie versuchte ihre wilde Tochter zu besänftigen, erstarben im selben Moment.

Alinas Körper, verschmutzt von ihrer langen Reise, lag nackt vor ihnen. Um ihre Oberschenkel spannten sich lederne Stricke, mit dem jeweils ein kleiner Dolch befestigt war.

Um ihren linken Arm lagen zwei Wurfmesser befestigt. Sie steckten nahe dem Ärmel, sodass ihre Finger nur hineingreifen brauchten, um sie zu ziehen. Beide waren schmal gefertigt. Bei einer Durchsuchung ihres Körpers übersah man sie oft.

Jetzt landeten sie bei den anderen Messern neben dem Lager. Mit einem der Lederbänder bändigte Alina ihre Locken.

Ein Messer verblieb bei Morlo. Neben dem versteckten sich in ihrem Kleid noch drei weitere Waffen sowie zwei Erdbeeren, die sie sich zwischen die Lippen steckte.

„Weiß Morlo davon?“, wollte Gedana wissen. Beide beobachteten jede von Alinas Bewegungen. Wie sie das Hemd anzog und die Hose. Ein Paar Stiefel stand neben dem Bett bereit. Zuletzt nahm sie einen ihrer Dolche und steckte ihn in den Schaft eines der Stiefel.

Eine kleine Versicherung sollten die Räuber sich zu nah an ihren Gast wagen.

„Er hat es erlaubt“, antwortete die Mutter ihrer Tochter. Sie wandte sich dem Gast zu. „Alina, weißt du, wessen Namen du trägst?“

„Ich trage den Namen einer Diebin.“ Im Spiegel begutachtete die Blondine kurz ihr Abbild.

Für den Kampf waren diese Sachen perfekt. Alina mochte auch im Kleid kämpfen können aber es behinderte sie eher und ließ das Mädchen zu Listen greifen.

Da Gedana nach einer Chance bat, wollte Alina ihr einen ordentlichen Kampf gewähren.

„Wer hat euch diesen Namen gegeben?“, erkundigte sich Melasa.

„Eine Bäuerin“, antwortete Alina ihr. „Sie fand es nicht gut, das mich Marno bis zu diesem Zeitpunkt nur Mädchen oder Zwerg nannte. Scheinbar hat sie euch verehrt.“

Lüge hing über diesen Worten. Auch Melasa blieb das nicht verborgen. Sie erhob ihre Hand, wurde aber vom Schrei ihrer Tochter unterbrochen.

„Mutter, ich kann es nicht glauben!“, empörte sich Gedana. „Du denkst allen Ernstes, dieses Mädchen könnte Nettes Tochter sein? Nala war damals meine Spielgefährtin und wie ihr hoffe ich, sie hat überlebt. Aber dieses Mädchen ist mit einem Sohn des Henkers von Ylora verlobt. Glaubt man den Gerüchten, besteigt sie schon jetzt das Bett mit ihm.“

„Tatsächlich haben wir schon das Bett geteilt“, gab sie mit schwellender Wut zu. „Wir badeten nackt zusammen, haben gerauft; was Kinder, die zusammen aufwachsen, gewöhnlich tun. Alles darüber hinaus sind Gerüchte. Wir sind bloß Freunde. Beldor wünscht sich seit acht Jahren, es würde mehr daraus werden.“ Sie lachte laut auf. „Der alte Mann besitzt sehr viel Ausdauer.“

„Aber irgendetwas muss zwischen euch ja sein“, zeigte sich Gedana überzeugt.

„Ich bin ihm schon einmal begegnet“, sagte Melasa. Ein sanfter Wind, der vermochte dieses unschöne Gesprächsthema fortzuwehen. „Deinem Begleiter und seiner Familie. Es war der Tag, an dem wir unsere kleine Prinzessin das letzte Mal sahen.“

„Begleiter?“ Gedana wirkte überrascht. „Dieser Junge ist der Sohn von Richter Beldor?! Du musst dich irren, Mutter!“

„Er war sieben oder acht“, sprach Melasa weiter, ohne ihre Tochter zu beachten. „Seine Familie wurde zur Hinrichtung geladen. Weiß dein Freund noch etwas von diesem Tag?“

„Da müsst ihr ihn fragen“, antwortete Alina ehrlich. Ihre Schritte führten sie an ihnen vorbei zur Tür.

„Ob sie wirklich kämpfen kann?“, zweifelte Gedana. „Sie hat keine einzige Narbe am Körper. Selbst ich fang mir manche Verletzung beim Training ein.“

Da hatte das Mädchen ganz genau hingeschaut. Ein paar besaß Alina. Vom Raufen oder spielen. Aber es waren nur Kleine, die kaum auffielen.

„Ich bin Tänzerin.“ Alina lächelte das Mädchen an. „Ich kann mir keine Verletzungen leisten. Mein Leitspruch lautet, einen Angriff zu starten, ehe es mein Gegner kann.“

Mit hoch erhobenem Kopf durchquerte sie die Tür. Ein einziger Satz genügte, damit sie ihren Weg aus dem Sinn verlor.

„Tja, das scheint nicht gut zu laufen, wenn man euch einfach gefangen nehmen kann.“

Nein, dieser Auftrag lief nicht wie gedacht ab. Ganz und gar nicht.

Ihre Schritte setzten sich wieder in Bewegung.

„Alina“, rief Melasa sie.

Sie hielt erneut.

„Ich bin nicht Nettes Tochter, egal wie sehr ihr es euch wünscht!“ Sie lief weiter. Ihre Stimme nahm einen arroganten Ton an, der Alina eigentlich nicht ähnlich sah. „Mir werden deine Fragen lästig!“

In Wahrheit verzogen sich ihre Lippen unbemerkt der beiden zu einem traurigen Lächeln.

Nahm es ihr wirklich jemand ab, sie interessierte sich nicht für ihre Herkunft? Egal wie oft sie es sich einredete, gab es da einen kleinen Teil tief in ihr, der sich nach den Berührungen einer Mutter sehnte.

Nach der Berührung ihrer Mutter.

 

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Zuerst betrat Alina den Versammlungssaal, gefolgt von Gedana. Den Schluss bildete deren Mutter Melasa, die ihren Platz an Alesas Seite einnahm.

Morlo hatte sich wieder auf seinen Sitz niedergelassen. Ero saß, wie bei ihrem Verlassen des Raumes, am Rand der Erhöhung. Sein Blick auf das Schwert in den Händen des Feindes gerichtet. Hinter ihm stand Dugol, der noch immer auf den Sinneswandel seines Vaters wartete, in der Hoffnung dem Jungen ganz bald seinen Hals umzudrehen.

„Egal was du trägst, Alina!“, sagte der alte Räuber. „Man könnte nie auf die Idee kommen, du seist Marnos leibliche Tochter!“ Er schaute wieder das Schwert an. „Ein wirklich schönes Stück! Es gehört deinem Freund?“

„Wir dürften einige Waffen im Wagen verstaut haben“, sagte Alina, ohne zu antworten. „Ich weiß von einem Bündel Speere. Die tausche ich gerne ein, solange eure Leute uns die Waffen mit einer Drachengravur lassen, genau wie meine Kleider, den Schmuck und was ich sonst noch für meine Aufführung benötige.“

„Eine Gefangene sollte keine Ansprüche stellen!“, sagte Dugol und wünschte sich im gleichen Moment der Anführer ihres Diebeslagers zu sein. Dann könnte er mit ihren Gästen so umspringen, wie es ihm beliebte.

Sein Vater zeigte sich dagegen interessiert und wollte wissen, was sie im Karren geladen hatten.

„Die beiden reisen mit einer Last, als wollen sie ein privates Heer aufstellen“, antworte Dugol. „Ich bin dafür, es ihnen abzunehmen. Einiges bringt uns sicher eine ordentliche Summe ein.“

„Nur über meine Leiche!“ Ero wandte sich aufgebracht zu dem Räuber um. „Fasst Alinas Sachen nicht an!“

Dugol begann zu grinsen. Er zog sein Schwert ein Stück aus der Scheide.

„Also das lässt sich einrichten.“

„Benimm dich!“, ermahnte Morlo seinen Sohn. „Du rührst beide nicht an!“

„Jawohl, Vater!“ Widerwillig folgte er der Anweisung. Das Schwert sank zurück.

Es fehlte nur noch ein Detail, um diesen Kampf zweier Mädchen zu eröffnen. Ein Schwert.

Gedana hielt ihres an ihrer Hüfte bereit. Wie zuvor Ero, bot Morlo ihr den schweren Beidhänder an. Das schöne Schmuckstück mit der Gravur, die jedes Augenpaar im Raum anzog.

„Sieht sie Nette wirklich ähnlich?“, hörte Alina die Alte an der Seite ihrer Tochter sagen. „Oh wie gerne würde ich den Kampf sehen. Du musst mir alles berichten!“

Ein Schmunzeln zog sich über ihre Lippen. Diese Frau wirkte nicht träge vom Alter, sondern aufgekratzt wie ein junges Mädchen. Am liebsten würde sie selbst das Schwert ergreifen.

Alina nahm den Beidhänder von Morlo.

Einen Schritt setzte sie voran, in dem sie es aus der Scheide zog. Ihre Augen wanderten über die schöne Gravierung, die Ero nach der auf ihren Dolchen anfertigen ließ.

Er fragte sie tatsächlich einmal, ob sie den Wunsch seines Vaters nach einer Heirat erfüllten. Alina antwortete ihm, dass sie einwilligte, sobald es ihm gelang den Sieg damit zu erringen.

Wie lange war es her, dass sie beide miteinander kämpften? Alina sah zu ihrem Freund. Sollte sie es noch einmal wagen oder war er jetzt tatsächlich besser?

Sie zog zügig zur Mitte des Raumes. Die Tische standen wieder zurecht gerückt. Es ließ sich nichts mehr vom vorherigen Kampf erahnen aber Alina wusste, sie bräuchte nicht handeln wie ihr Freund.

„Los, Alina!“, brüllte Ero mit hoch erhobener Faust. „Zeig ihr, wer das größere Biest ist!“

Ein Seufzen entkam ihren Lippen. So war Eros Art sie anzufeuern und da behaupte Beldor, sein Sohn liebte sie.

Gedana wartete nicht auf ein Zeichen. Sie sprang nach vorne, wo Alina ihren ersten Schlag mit dem Beidhänder abwehrte.

Das Schwert der Gegnerin war kürzer und leichter. Ihrer Haltung sah man an, dass sie gewöhnlich einen Schild mit sich führte. Heute blieb der an seinem Platz. Sie nahm eine Tanzmaus wie Alina nicht als wirkliche Gefahr wahr.

Ein Fehler!

Alina sah in ihrem Kampf einige Möglichkeiten die rothaarige Furie zu verletzen, zielte aber eher darauf ihr das Schwert zu entreißen.

Ein hoch angesetzter Schlag, dem Alina nach unten entkam. Gedana ließ es sinken, ein Sprung nach rechts, und kaum dass sie zu einem nächsten Schlag ansetzte, sprang Alina nach vorne.

Alina durchbrach die Verteidigung ihrer Gegnerin. Mit Wucht riss sie deren Schwert aus den Händen. Es wurde unter einen der Tische geschleudert und der große Beidhänder legte sich an die Kehle des Mädchens.

„Chance vertan!“ Sie lächelte die Andere an, für die dieser Kampf alles bedeute. Doch Alina hatte kein Mitleid.

Wer wirklich einen Kampf gewinnen wollte, sollte sich nicht auf die Hilfe anderer verlassen, sondern es einfach tun.

Selbst Alesas Enkelin konnte eigene Anhänger um sich scharren. Sie musste nicht einmal im eigenen Land bleiben, wo Nerre ihren privaten Feldzug führte. Außerhalb gab es genug Leute, die aus ihrer Heimat vom Krieg vertrieben wurden oder aus anderem Grund die Flucht ergriffen. Viele von ihnen warteten auf einen Weckruf wie einst durch die Amazonen.

Der Beidhänder entfernte sich von der Kehle des Mädchens. Am liebsten würde Gedana ihr für diesen Sieg einiges antun, doch sie blieb eine faire Gegnerin.

„Ich lerne den Umgang mit dem Schwert schon seit meinem 14. Geburtstag“, rief sie stolz. „Dugol meint, ich sei eine gute Schülerin.“

Sie ging zu ihrem Schwert, nahm es auf und steckte es zurück an ihre linke Seite.

„Seit ich 14 bin, verdinge ich mich schon als Kopfgeldjägerin“, berichtete Alina zum Staunen der anderen. „In Miro nennt man mich den blutigen Engel.“

„Weil?“, fügte Ero in einer lauten Frage an. Sein Blick wanderte herausfordernd zu Dugol.

Für den Sohn des meist gehassten Mannes war sich der Junge Morlos Schutz zu sicher.

„Ich weiß, es bedarf nur eines Wortes und der Mann hinter dir übernimmt das aber im Moment bin selbst ich nahe daran das Schwert gegen einen Unbewaffneten zu schwingen“, warnte sie ihre Freunde.

Ero erhob abwehrend die Hände.

„Ich bin ja schon ruhig!“, sagte er, ehe auch Dugol zeigte, wie ihn der Junge störte. „Sei mir bitte nicht böse, wenn ich das jetzt sage aber früher warst du bedeutend besser.“

Sie seufzte und musste zugeben, er hatte recht.

Alina verschwendete nicht viel Zeit daran zu denken. Sie ging mit dem Schwert zurück zu dem Thron, wo schon Morlo wartete. Wie von ihr erwartet, überreichte sie es dem Anführer der Räuber.

In einer sanften Berührung ergriff er ihre Hände.

„Du bekommst es wieder“, versprach er ihr. „Genau wie den Rest, den du dir wünschst, aber bitte erzählt mir etwas von dir. Ich besuche Marno manchmal aber er blockt ab, wann immer es um seine Tochter geht.“

„Wieso interessiere ich euch?“ Alina entriss ihre Hände seinem Griff.

„Marno war wie ein kleiner Bruder für mich“, erzählte der Räuber. Seine Stimme konnte man anhören, wie er um den Verlust des einstigen Freundes trauerte.

Der Freund mochte noch am Leben sein. Man sah sich und redete im Geheimen miteinander. Mehr geschah nicht.

Marno hatte sich ganz von dem einstigen Leben als Gesetzloser losgesagt. Er bildete jetzt Schüler aus, die ihrem König dienten und früh auf Missionen geschickt wurden. Darunter Räuber, Diebe und Mörder zu fassen.

Neben den Missionen, die dem Schulleiter gewisse Annehmlichkeiten bereiteten. Aber selbst die besaßen ihren Sinn.

Während der Jagd konnten die Schüler ihr Geschick am Bogen verbessern und das Fährtenlesen schulen. Manche zuerst albern anmutende Aufgabe machte sie in Gesprächen sicherer oder forderte die Jungs auf andere Art.

Ihr gefiel es, genauso Marno, der darin seine Berufung fand. Intensive Gespräche mit Räubern zu führen, passte nicht in dieses Bild.

Diese konnten einem ehrbaren Menschen schnell zum Verhängnis werden. Anders hier, in dieser Umgebung.

Alina ließ sich tatsächlich hinreisen etwas über sich zu offenbaren. Sie brauche auch nicht lügen, Marno war bei diesem Thema immer offen zu ihr.

 

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Marno wollte sich gerade auf den Weg machen, um für seine Schule zu werben. Damals lag das Gelände noch nahe der Grenze zu Saron. Dort fand er Alina.

Ein Kind, von allen Liebsten verlassen; verletzt. Er konnte sie dort nicht liegen lassen. Er war kein schlechter Mensch. Daher vergaß er sein Vorhaben und pflegte seinen kleinen Gast gesund.

Seine Schule sah er nicht als einen Ort an, in dem man ein Kind groß ziehen konnte. Dann noch er! Marno war vieles. Ein Schuft, Schürzenjäger aber niemand, dem ein normal denkender Mensch ein Kind anvertraute. Er sah sich der Aufgabe nicht gewachsen.

Damals hielt er sein Findelkind für eine junge Lady. Eine Adelige, die vermisst werden musste, vielleicht sogar von jemand gekidnappt wurde, daher wollte er sie in ein Heim geben.

Es gab viele, wie es auch viele Kriegswaisen gab. In diesen Häusern herrschten Armut, Hunger und Leid. Nichts, wo er sein Findelkind guten Gewissens lassen konnte. Unter dem Blickwinkel sah er seine Schule ganz anders und auch die Herausforderung einer Vaterschaft.

Wenige Monate später verlegte er die Schule an einen anderen Ort und ihre gemeinsame Vergangenheit als Vater und Tochter begann.

Im Zorn äußerte Alina manch böses Wort auf ihren Vater. Die Wahrheit war, sie konnte sich niemand anderes vorstellen.

Vor ihm lebte sie mit Verlust durch den Tod, vieler lieb gewonnener Menschen, bis sie mit einem Schlag dort heraus geworfen wurde, hinein ein seine Arme.

Sie wollte damals nicht wieder jemanden vertrauen, der ihr genommen wurde. Mit viel Geduld näherte sich Marno ihr und wurde mit ihrer Liebe und Vertrauen beschenkt.

Alina war froh Marno zu haben, daher wollte sie ihn nicht in Gefahr bringen. Was sie tat, sollte sie in dieser Aufgabe scheitern. Eine Lösung musste sich doch finden.

 

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„Warst du zu dem Zeitpunkt wirklich drei?“ Melasa trat zu ihr. Ihre Hände schlossen das Gesicht des Mädchens in einen sanften Griff. In ihren braunen Augen funkelte die Hoffnung. „Du warst so jung! Kannst du dich nicht irren?“

„Nein!“, rief Alina streng. „Es war mitten im Amazonenkrieg. Womöglich wurden meine Eltern von einem Schurken umgebracht und ich hatte Glück davon zu kommen.“

„Du siehst ihr so ähnlich.“ Ihre Stimme war nur ein schwaches Hauchen. „Erinnerst du dich nicht einmal an deine Eltern?“

Alina reichte es. Sie entwand sich der Berührung.

„Wie?“, schrie es das Mädchen heraus. Merkte diese Frau nicht, wann sie einen anderen zu sehr bedrängte. „Beide starben vor so langer Zeit, damals war ich ein Kind. Heute schau ich in den Spiegel und suche darin nach einer Antwort, wie sie womöglich aussahen. Welche Merkmale besitze ich von ihnen und ja, manchmal verwischt es zu einer vermeintlichen Erinnerung aber es ist nicht mehr als eine Täuschung. Kann es nicht eher sein, dass auch euch die Erinnerung trügt? Vielleicht meint ihr nur, ich sähe eurer Amazonenkönigin ähnlich.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Ganz früher soll ich mich nach anderen Frauen umgesehen haben, in Hoffnung ein vertrautes Gesicht aus meinem einstigen Leben zu sehen aber alle sind fort.“

Tränen zwängten sich aus ihren Augen. Wieso mussten sie diese Personen an den schlimmsten Tag ihres Lebens erinnern?

„Was verlangt ihr von Alina?“, brüllte Ero die Frau an. Er stand auf, die größte Gefahr in seinem Rücken vergaß er ganz.

Dugol wollte ihn ergreifen, doch da war sein Vater, der ihm befahl, den Jungen gehen zu lassen.

Ero wollte nur zu seiner Freundin. Für sie da sein, Alina in die Arme schließen und vor allem Bösen beschützen.

Sie waren Partner und gehörten zusammen, auch wenn er Alina oft alleine kämpfen ließ.

„Alesa, Melasa und Gedana, gebt endlich Ruhe!“, sprach der Anführer der Räuber mit starkem Ton. „Solltet ihr diesen Krieg weiterführen wollen, verlasst diesen Ort aber ohne einen meiner Untergebenen mit in den Tod zu reißen. Sucht euch draußen ein paar Dumme, die mit euch ziehen.“

Die Alte zeigte sich unbeeindruckt von der Rüge.

„Ausgerechnet du solltest den Königen ein Ende wünschen“, sagte sie. „Ist es falsch, das anzustreben? Und solange es eine Hoffnung gibt, dass Nettes Tochter am Leben ist, geben wir nicht auf.“

„Nicht mit Alina“, sprach Morlo weiter. „Selbst wenn sie eure Prinzessin wäre, ist sie mit Beldors jüngsten Sohn aufgewachsen. Wie man hört, sind beide Gäste im Schloss von König Ylias und König Selon. Eine solche Person kann man nicht zu diesem Kampf zwingen. Oder würdet etwa ihr eure Ideale aufgeben, nur weil es jemand wünscht?“

Eine weitere Geste und mit ihr der Verweis aus dem Versammlungssaal. Nach einem weiteren Versuch von Melasa Alina zu berühren, was Ero verhinderte, verließ die Gruppe auf Wunsch ihres Anführers den Raum.

Es kehrte eine Ruhe ein, die dem Mädchen gut tat.

„Unter uns“, sprach Morlo das Thema ruhiger an. „Bist du Nettes Tochter, oder nicht?“ Er wandte sich an seinen Sohn. „Du sprichst mit deiner Frau nicht über das Thema.“

„Bewahre!“, sagt Dugol. „Ich liebe sie und unser Kind soll erfahren, welche Ahnen es hat aber mehr nicht.“

Alina drückte ihren Kopf an Eros starker Brust. Sie war es nicht, von der eine Antwort kam.

„Zur Zeit des Amazonenkriegs sah es mein Vater als Zeichen des Schicksals, Nala in seine Familie aufnehmen zu können. Er und sein bester Freund hatten sich den Floh in den Kopf gesetzt, ihr beider Familien in einer Heirat zu einen. Wir beide waren wenige Jahre auseinander, er freut sich, das Kind nach Hause mitnehmen zu können. Leider gelingt es nicht einmal Richter Beldor, jemanden vor Nerres Wahn zu schützen.“

„Der Amazonenkrieg“, spie Alina in all ihrer Verachtung aus. „Was hat der den Menschen Gutes gebracht? Viele Kinder wuchsen ohne Eltern auf, wie Arela und …“

Sie verstummte.

„Krieg ist nie gut!“, sagte Ero. „Nette hätte damals auch nicht sterben brauchen. Nerre hatte nie vor ihre Schwester hinzurichten. Sie sollte ihren Platz an der Seite des Königs einnehmen, wo sie ihrer Meinung nach hingehörte. Eine Königin, die brav dem Willen ihres Königs folgte. Für sie bildete das Kind ihrer Schwester ein Schlüssel zu deren Gehorsam. Sie wollte mit Gefangennahme des Kindes die Mutter in ihre Rolle zwingen.“

„Ich weiß nicht, was daran schlimm wäre“, gestand Alina. „Mutter und Kind wären zusammen.“

Mit seinem festen Griff zwang Ero die Freundin ihn anzusehen.

„Das meinst du nicht ernst?“, forderte er sie auf die Worte von eben zu widerrufen. Alina schwieg. „Nur Nette weiß, wieso sie vor König Teron floh und auch ihr Kind vor einem Leben in diesem Schloss bewahren wollte. Es fiel ihr sicher nicht leicht, diesen Schritt zu wählen. Aber sie gab ihr Leben hin, damit ihre Schwester keinen Grund mehr sah, das Kind zu verfolgen.“

Ein Finger legte sich auf ihre Lippen.

„Genau, wie du dich einer großen Gefahr aussetzt, um die Schule zu beschützen.“

Alina drehte ihren Kopf weg.

Dieser Vergleich hinkte hinten und vorne, fand sie.

„Mein Vater ist seit Jahren davon überzeugt, du seist Nettes Tochter“, spricht er weiter. „Einmal hat er recht gehabt und auch ein zweites Mal. Ein Kind an der Grenze zu Saron in den Kleidern einer Adeligen, zum Ende des Amazonenkriegs. Ich hab mich lange dagegen gesträubt, daran zu glauben.“

Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.

„Weiß Marno es?“, fragte sie. „Er hat nie etwas in der Richtung zu mir geäußert aber selbst ihm müssten die Gerüchte zu Ohren gekommen sein.“

Ihr Freund zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß nicht, ob mein Vater seinen Wunsch begründete oder unsere Väter je darüber sprachen.“

Mit großen Schritten und weit ausgebreiteten Armen trat der alte Räuber zu ihnen.

„Wir haben zwei außergewöhnliche Gäste in unseren Wänden“, sagte er. „Der Sohn eines der berühmtesten Adeligen unseres Landes und die Tochter der legendären Amazonenkönigin.“

Aus Dugols Blick sprach der Wunsch das Erstere ihren Kameraden offenbaren zu können, damit diese ihrem Anführer zeigten, wie wenig sie von dessen Schutz für den Jungen hielten. Er blieb stumm und würde seinem Vater auch nicht in den Rücken fallen.

„Eine Bitte habe ich“, sagte der Mann. „Ich habe gehört, du seist eine begabte Tänzerin. Würdest du heute Abend für uns tanzen?“

Alina trocknete ihre Tränen an dem Ärmel, die sich in ihren Augen verfangen hatte, dann nickte sie in Eros Armen.

„Wenn ihr für Musik sorgt“, lautete ihre Antwort.

Morlo schaffte alles, was er wollte. Seine Räuber zogen ihren Karren aus dem Fluss und in einen der Räume. Begleitet von ein paar der Räuber, wurde sie dorthin geführt. Alina suchte sich unter ihren Kleidern eines in feurigem Rot aus.

Beim nächsten Betreten des Versammlungssaals war dieser festlich geschmückt. Ero saß nahe dem Anführer, damit dieser ein Auge auf ihn werfen konnte. Nicht das sein Sohn doch noch etwas versuchte, Ero zu töten.

Vor ihnen standen weitere Tische und Stühle arrangiert, die zuvor einen anderen Platz besaßen.

Es war ungewohnt ruhig.

Dugol saß auf der Seite seiner Frau und schenkte nur der seine Aufmerksamkeit. Ero saß auf der anderen Seite zwischen ein paar der Räuber. Sie fanden irgendein Thema, das zur regen Diskussion führte.

Dann begann Alinas Tanz. In der Mitte wurden auf ihren Wunsch fackeln aufgestellt. In ihrem Tanz fügte sie dieses Element mit ein. Darunter kleine Tricks, die ihre Zuschauer in Staunen versetzt.

Später bat Morlo sie zu sich. Er machte bei dem Thema weiter wie zuvor. Marno und sie. Doch obwohl der Räuber sie bat selbst etwas zu fragen, winkte Alina ab.

Über Marnos Verhältnis zu den Räubern würde sie mit ihm selbst sprechen, sollte es ihr irgendwann möglich sein.

Für einen Tanz vor Räubern war dieser Abend einer der angenehmsten.

 

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Kapitel 20

 



Abends wurden Alina und Ero in unterschiedliche Zimmer geführt. Ihres kannte das Mädchen schon vom vergangenen Tag. Es gehörte der Wildkatze Gedana und war durch eine Tür mit dem daneben verbunden, damit das Kind jederzeit zu ihrer Mutter konnte. Welches Zimmer man Ero gegeben hatte, konnte sie nicht sagen. Sie wurden an einer Kreuzung getrennt.

Geht es Ero gut? Lag er genau wie sie gerade wach oder ruhte er schon? Sie wusste, dass es dumm war, vertraute Morlo aber. Wenn er ihnen etwas hätte tun wollen, bräuchte er Dugol nicht zurückhalten.

Sie drehte sich auf die Seite.

Morlo hatte seinen Räubern befohlen, beide in Ruhe zu lassen. Um das zu gewähren und damit beide nicht doch noch einen Fehler begingen, wachten zwei seiner Männer vor ihrer Tür. Die zu Melasas Zimmer wurde abgeschlossen.

Das gegenseitige Vertrauen bestand in schützenden Waffen.

Ein Lächeln schmückte ihre Lippen bei dem Gedanken.

Wie es Marno und ihren Schülern ging? Hatte ihr Vater gesagt, sie seien auf einer der gewöhnlichen Missionen? Hatte er ihnen überhaupt von Nerre und ihrer Drohung gegenüber der Schule berichtet?

„Endlich, die Wachablösung“, hörte sie von draußen einen der beiden Männer sagen. „Glaub mir, ich habe Besseres zu tun, als hier zu stehen.“

„Ab zu Frauchen, kuscheln und schmusen“, rief sein Kamerad, der andere lachte auf.

„Ja das und mehr.“

Wenig später hörte sie Schritte. Zwei andere Männer kamen. Ihre bisherigen Bewacher gingen nach Gruß und Handschlag. Dann blieb es lange Zeit ruhig. Alina glaubte sogar langsam Schlaf zu finden.

„Kannst du mir verraten, wieso Morlo die beiden nach allem gastfreundlich behandelt?“, plärrte einer der beiden Wachen. „Sogar eine unserer Zellen wäre zu gut für die.“

„Die Entscheidungen unseres Bosses gelten, außerdem ist es eine süße Tänzerin“, lautete die Meinung des zweiten Mannes. Sein Kamerad hatte dafür nur ein Schnauben übrig.

„Hast du eine Ahnung, wer dieses Mädchen ist? Dugol sagt, sie wäre die zukünftige Schwiegertochter des Henkers von Ylora.“

„Mich interessiert das nicht. Ich mache nur meine Arbeit.“

Die Stimme des ersten Mannes kam ihr bekannt vor. Er war bei ihrer Ankunft anwesend. Für sein Lispeln trug sie die Schuld. Sie biss ihm ein Stück seiner Zunge ab.

Aber was versuchte er auch, ihr die in ihren Hals zu stecken? Er sollte froh sein, dass es nur die Zunge war. In diesem Moment hatte sie zu weit mehr Lust.

„Hey, was hast du vor?“, hörte sie das aufgebrachte Rufen des zweiten Mannes. „Du kennst die Befehle!“

„Sei still und halt einfach die Klappe!“, ordnete der Erste an. „Bin ich mit diesem Flittchen fertig, ist die Schöne ganz brav und hält ihren Mund.“

Wenn dieser Typ dachte, Alina würde alles über sich ergehen lassen, hatte er die Situation am vorigen Tag ganz falsch gedeutet.

Sie legte sich zurück auf den Rücken, ihre rechte Hand näherte sich dem Ende des Fells. Alina tat, als würde sie schlafen.

Knarrend schwang die Zimmertür auf. Der Mann trat ein.

Angst hatte Alina nicht. Nicht vor dem Kerl oder möglicher Strafe. Sie kündigte Morlo an, was in solchen Situationen passierte. Zu ihrem Glück hatte der Räuber seinen Leuten nicht verraten, dass Alina für ihre eigene Sicherheit sorgte.

Unter ihren Fingern spürte sie die Umrisse des festen Gegenstandes.

Ein schwacher Lichtschein fiel durch die geöffnete Tür hinein. Der Mann hockte sich zu ihr und zog dem Mädchen die Decke vom Körper.

Sie trug nicht mehr das Kleid vom Abend. Verführerisch rot von Flammen in ihrem Tanz begleitet. Die ganze Zeit malte er sich diese Situation aus. Sein Grinsen war von der Gefährlichkeit eines Wolfes.

Selbst in Gedanas Kleidung wusste sich das Mädchen fraulich zu geben.

Eine feste Hand legte sich auf ihren Mund, im Versuch mögliche Schreie des Mädchens zu unterdrücken.

Die Tür fiel leise in den Rahmen zurück. Alinas fasste unbemerkt von ihm unter das Fell. Seine andere Hand machte sich daran, ihr Hemd hinauf zu schieben.

Es würde das Letzte sein, was dieser Mann je tat.

 

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Der Körper des Räubers sank schwer auf das Mädchen. Sein Blut floss aus der Wunde am Hals auf sie, benässte das Hemd bis über die Arme.

Er hatte noch versucht den Strom mit seiner Hand zu ersticken. Ein hoffnungsloser Versuch, wie der ihre Waffe gegen das Mädchen zu richten. Sein Leben rann in dem roten Fluss davon. Jetzt drückte Alina mit all ihrer Kraft gegen seinen Körper. Es gelang ihr, sich unter ihn hervor zu schieben.

Zeit zum Ausruhen blieb ihr nicht. Die andere Wache würde sich nach einer Weile fragen, wo sein Kamerad blieb. Sollte er Alarm geben, wäre sie aufgeschmissen.

Daher schlich Alina leise durch den Raum.

An der Tür öffnete sie diese einen Spalt. Alles war ruhig. Von dieser Position aus konnte sie in den Gang hinein spähen.

Die andere Wache stand gemütlich an die Wand gelehnt. Zwei seiner Kameraden kamen vorbei. Er hob seine Hand zum Gruß. Sofort schloss sich der Spalt wieder, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Bei ihrem zweiten Versuch war niemand anderes dort, nur diese eine Wache. Alina verschwendete keinen weiteren Moment mehr. Sie riss die Tür auf und sprang hervor, ihren Dolch hielt sie hoch erhoben.

Es war nicht ihr Ziel den zweiten Mann zu töten wie seinen Kameraden. Ehe dieser sein Schwert ziehen konnte, oder sie abwehrte, lag die Klinge schon unter seinem Hals.

„Sag keinen Ton“, knurrte sie ihn an. Drohend presste sich die Klinge näher an seinen Hals. Der Mann wagte nicht einmal zu atmen.

Eine schöne Wache hatte ihr Morlo da zugeteilt. Der Dolch wanderte ein Stück hinab, bis auf die Brust des Mannes, mit der linken Hand, entledigte sie sich seines Schwertes, sonst hatte er nichts bei sich.

„Atmen“, erinnerte sie ihn lächelnd.

Er war noch sehr jung, kaum älter als Ero. Vielleicht gerade sein erster Auftrag, unter Führung eines der Älteren. Mitleid verspürte sie jedoch nicht mit ihm.

„Was hast du jetzt vor?“, wollte der junge Räuber von ihr wissen. „Nachts werden die Eingänge genauso stark bewacht, wie tagsüber.“

In einem einzigen Zeichen bedeutete Alina ihm still zu sein. Ihr musste schnell etwas einfallen.

Sie konnte zu ihrem Anführer gehen. Morlo hatte sie unter seinen Schutz gestellt und würde ihr womöglich auch hier heraushelfen. Milde würde sie unter seinen Männern umsonst suchen, immerhin hatte sie einen von ihnen umgebracht. Auf Bitte sie unbeschadet zu ihrem Anführer zu bringen, wäre wahrscheinlich, dass sie Selbstschutz anführten und sich dem Mädchen entledigte.

Oder sollte sie zu Ero gehen.

Ja, das wäre wohl das Beste.

„Wo ist mein Freund?“, verlangte sie von dem Jungen zu erfahren. Nach einer deutlicheren Anordnung führt er sie durch die weiten Tunnel. Tagsüber wirkten sie belebt, wie Alina sah. Zu dieser Stunde schliefen die gewöhnlichen Bewohner des unterirdischen Verstecks. Nur einige Räuber waren wach, gingen zur Wachablösung oder zu etwas anderem.

Wie auch eine kleine Gruppe. Sie unterhielten sich, lachten und dachten an nichts Derartiges, wie ein junges Mädchen, das einem ihrer Kameraden einen Dolch an die Kehle presste. Aber sie fassten die Situation sofort auf.

Alina fand keine Möglichkeit in eine Ecke zu springen, raus aus der Sicht, auch die nächste Tür war zu, und als sie wieder nach vorne sah, blitzten dort die Schwerter der Männer im schwachen Licht der Beleuchtung auf. Sie saß in der Falle.

Selbst wenn sie ihre Last los wurde, den jungen Räuber, sah sie sich schon von den Männern umringt.

„Lass die Waffe fallen!“, ordnete ihr einer von ihnen an, ein älterer.

Ihr Blick wanderte unruhig durch den Raum, suchend nach einer Lösung, die sie nicht fand. Alina presste ihren Rücken gegen eine der verschlossenen Türen.

Konnten sie ihr Lager nicht mit einfachen Tüchern, Decken oder Fellen abdecken, mussten es feste Türen aus Holz und Metall sein? Sie sah keine Möglichkeit nach vorne oder hinten.

„Gib auf!“, rief der Mann mit einem Wutgeschrei.

Alina gehorchte ihm, die Waffe sank und ihre Geisel gab den Blick auf ein Mädchen frei, deren blutbefleckte Sachen sich ihnen aufzwangen.

„Was …?“ Einer der Männer keuchte entsetzt auf. Für sie erschien es im ganz falschen Bild. Womöglich hatte sie einen ihrer Kameraden erstochen, der sie beschützen sollte. Eine verruchte Tat und der Junge, bis eben noch in ihrer Gewalt, gab nicht einmal seinen eigenen Fehler zu, in dem er den Wolf zu ihr ließ.

Eines der Schwerter näherte sich ihr zum strafenden Schlag. Alina schloss die Augen.

„Was ist hier los?“, donnerte eine Stimme zu ihnen. Die Waffe hielt in der Bewegung inne.

Der Mann trat zu ihnen. In einer einzigen Bewegung fasste er alles auf. Seine Männer, von denen sich einer einem Mädchen genähert hatte. Alina in ihrer schmutzigen Kleidung. Der Dolch vor ihr und ihre Ankündigung.

„Was tust du nur, Alina?“, fragte er in Worten, die nicht einmal zu seinen Leuten drangen. Wenig später wurde sie mit der Autorität des Anführers erfüllt. „Steckt die Schwerter zurück!“

„Aber …“, wollte der Mann ihr am nächsten seinen Anführer widersprechen.

„Mach schon!“, befahl er ein zweites Mal. „Ihr wisst, sie steht unter meinem Schutz. Niemand rührt dieses Mädchen an!“

Morlo mochte seit Jahren seine Bande führen aber tat er sich damit wirklich einen Gefallen sie zu schützen? Seit sie hier war, starben mehrere seiner Männer, was auch diese Räuber anführten. Ihren Boss interessierte es nicht.

Mit einer Geste wischte er alles vom Tisch.

„Ein Räuberlager kann für zwei Kopfgeldjäger ein gefährliches Pflaster sein“, sagte er zu sein er Bande. „Sie sind meine Gäste. Ich zwinge keinen aus unserer Bande, das zu verstehen, ich will, dass ihr es akzeptiert. Genau, wie ich von den beiden nicht verlange, sich euch auszuliefern.“

In einem Schlag klopfte er seinen Untergebenen auf den Rücken. Einer von ihnen stolperte nach vorne, ein anderer wirbelte zu seinem Anführer herum, nicht willig sich die Rüge gefallen zu lassen.

„Sollten noch mehr draufgehen, ehe ihr sturen Böcke es endlich versteht, soll es mir recht sein. Die beiden sind keine dressierten Affen, die auf euren Wunsch tanzen. Sie wurden von einem Mann ausgebildet, den ich sehr schätze. Sie werden euch nichts tun, solltet ihr euch ihnen mit Respekt nähern. Das Gleiche erwarte ich von anderer Seite.“

Er sah direkt auf das Mädchen, die erschöpft an der Tür niedersank. In einem Nicken bedeutete sie ihr Einverständnis. Ihre Finger griffen nach dem Dolch, um ihn in den Schaft ihres Stiefels zu schieben. Die Männer gehorchten ebenfalls den Worten ihres Anführers.

„Dieses Biest hat uns überrumpelt und Taros aufgeschlitzt“, log der junge Räuber. Mehrere Blicke wanderten wachsam auf das Mädchen. Einige von ihnen schätzten ab, inwieweit sie eine wirkliche Gefahr war.

„Klar!“ Alina seufzte. Ihr Hinterkopf schlug gegen das Holz der Tür, als sie ihn zurücknahm. „Ich habe auch nichts Besseres zu tun, als diesen Brocken in mein Zimmer, auf das Nachtlager zu schleppen.“

Der Anführer lachte schallend auf.

„Marno hat wirklich ein verrücktes Mädchen groß gezogen.“ Er wandte sich an seine Untergebenen. Er tippte ihn in einer sanfteren Geste der Reihe nach auf die Schulter. Erst ihre übrig gebliebene Wache. „Begleite die nächste Patrouille. Die kühle Nachtluft dürfte deine Wut abkühlen. Denk nicht an Rache, sonst landest du genau dort, wo deine Kameraden liegen.“ Vier weitere Tipps auf die Schulter der anderen Räuber. „Könntet ihr dem Mädchen etwas in meinem Zimmer bereitstellen, wo sie sich waschen kann?“

Folgsam stimmten die Männer zu. Nur einer warf ihr seine Wut in einem einzigen Blick zu. Aber auch er gehorchte.

„Entschuldige, dass ich die Wachen nicht sorgsamer gewählt habe“, sagte er an Alina gewandte. „Eigentlich war er für einen anderen Posten zuständig. Die Jungs tauschen manchmal, so muss er auch an die Position gekommen sein.“ Mit einer Geste wies er Alina an ihm zu folgen.

Alina stand auf und eilte den schnellen Schritten des Mannes nach.

 

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Für einen Räuber war Morlo ungewöhnlich. So hatte sie sich den Mann nicht vorgestellt, über den das Bild einer wilden Bestie verbreitet wurde.

Sein Lager hatte er zu etwas Großem aufgebaut, mit dem es keine Vergleiche gab. Selbst wenn seine Untergebenen manchen Protest laut werden ließen, befolgten sie den Wunsch ihres Bosses.

Morlo führte Alina in eine der vorderen großen Kammer.

Schon von weitem nahm man den warmen Geruch nach Stall und Tieren wahr. Durch ein geschicktes Belüftungssystem drang der nicht weiter in die Höhle hinein. Er verblieb in diesem Bereich.

Die flatternden Flügel einer innerlichen Unruhe packten Alina. Sie hatte gestern Abend kurz zu ihrem Planwagen schauen können, der in einem anderen Teil untergebracht war, nicht aber zu ihren Tiere.

Belena und Falira, ihre treuen Pferde. Sie betrat noch vor Morlo den Raum.

Hier saßen fünf der Räuber um einen kleinen runden Tisch. In der Mitte lagen ein paar Münzen, um die im Kartenspiel gewettet wurde. Vier der Männer sahen auf, nur einer behielt seine ganze Aufmerksamkeit im Blatt.

Neben ihren Pferden standen drei Milchkühe, Schweine und eine kleine Herde Schafe in den Stallungen. Eine Schar Hühner suchte zwischen dem Stroh nach Körnern.

Eine raue Bande, um ihre Tiere wussten sie aber sich zu kümmern.

Alina lief zu der Box in denen ihre beiden Stuten standen. Falira eilte auch sofort zu ihr, um das Mädchen zu begrüßen. Belena hatte ihren Kopf in einem Haufen Heu.

„Ich bin der Meinung, jegliches Futter ist an dem einen Tier verschwendet“, rief einer der Räuber. Dugol, wie Alina jetzt erkannte. „Wie man hört, hat ihre Herrin in unserer Bande gewütet. Ich frage mich, wie lange sich die Jungs das gefallen lassen? Vater, tu dir etwas Gutes und gib die Führung an mich ab. Ich bin nicht so weich und wüsste ein besseres Vorgehen.“

Sie wollte nichts darauf äußern. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt der Stute. Ehe sich ihre Hand dem Fell des Tieres näherte, wischte Alina sie am Stoff der Hose ab, um kein Blut zu hinterlassen.

„Wir könnten den Kopf von Ross und Reiter dem Henker schicken“, führte Dugol seine Gedanken in Worten aus. „Man müsste sich nur das Gesicht des alten Mannes vorstellen und wäre für alles entschädigt. Das Mädchen muss nicht einmal sterben. Man könnte sie einem unsere Jungs überlassen. Natürlich sollte sie vorher gezähmt werden aber dafür findet sich schon jemand.“

„Nur über meine Leiche!“ Der bloße Gedanke daran schüttelte das Mädchen.

„Das lässt sich ermöglichen!“ Dugol warf eine seiner Karten ab, um eine neue aufzunehmen.

Er sprühte vor Selbstsicherheit und am liebsten hätte sich Alina ihm im Kampf gestellt. Gegen Gedana mochte sie fair kämpfen aber ihm waren ihre Tricks noch nicht bekannt. Solche großspurigen Räuber besiegte sie allemale.

Seine Kameraden im Spiel legten der Reihe um ihre Karten ab. Ob er bluffte oder wirklich ein gutes Blatt besaß, wusste nur Dugol. Er zeigte sich aber sehr überzeugt.

Hinter einem der Männer hielt Morlo an. Dieser wollte gerade ablegen, was der alte Räuber mit leichtem Druck auf dessen Schulter verhinderte. Das Zeichen, er möge sitzen bleiben, alles sei blendend.

Der Räuber gehorchte und wagte sich sogar so weit vor, seinen Einsatz zu erhöhen. Voller neu gewonnener Selbstsicherheit forderte er die verbliebenen Gegner auf, ihr Blatt zu zeigen.

„Verräter!“, knurrte Dugol seinen Vater an. Er schmiss das Blatt auf den Tisch. Einen von ihnen hätte er mit seinen Karten überboten, nicht aber den Mann, dem das Interesse seines Vaters galt.

„Jetzt habt ihr sicher Zeit euch um unseren ehemaligen Kameraden zu kümmern“, forderte Morlo die Männer auf.

„Schon erledigt!“, rief sein Sohn. Ehe sein Gegner den Gewinn einsammeln konnte, donnerte eine Faust auf die Tischplatte. „Das war unter Zuhilfenahme eines Greises. Das ist gegen die Spielregeln und wir klären es in einem späteren Spiel!“

Der Mann am Tisch nickte, eingeschüchtert von dem Kameraden.

„Sohn, du bist und bleibst ein mieser Verlierer!“ Morlo lachte auf. Nach einem Wink an die Männer verschwanden die vier anderen Räuber, der Anführer ließ sich vor seinem Sohn nieder.

„Spar dir deinen Dank. Mir ist egal, wie du es handhabst.“ Unter diesen Worten mischten sich ungewohnte Gefühle in die Stimme. Er war halt ein Kind, dass seinen Vater oft grob behandelte und sich in einer Funktion als baldige Ablösung neben ihn stellte. Aber er liebte den alten Mann auch, wie in diesem Moment klar wurde. „Lässt du sie hier ein- und ausgehen, bleibt das nicht sehr positiv bei unseren Leuten hängen. Sie wissen jetzt, wo unser Versteck liegt und könnten uns verraten. Dass man in den Wäldern keine Spuren findet, ist der einzige Grund für unser bisheriges Überleben.“

Seine Stimme klang betend, bis zu einem Punkt.

„Du und Marno wart gute Freunde, das verstehe ich. Aber wenn er so dumm ist, uns seine Tochter zu schicken, kann er dir keine Vorwürfe machen, sollte ihr etwas geschehen.“

„Marno wird seine Gründe haben“, meinte sein Vater.

„Nerre“, brach Alina ihr Schweigen. Ihre Finger fuhren durch das weiche Fell des Schimmels, massierten die harten Muskeln. Eine Wohltat für das Tier nach der langen Reise. „Sie droht die Schule anzugreifen, sollten wir ihr nicht das Mädchen bringen.“

„Das kann sie nicht!“

„Diese Frau kann alles. Ihr König lässt vieles durchgehen und die Adeligen stehen hinter ihr. Es sind ja nur Bauern, die in ihrer Wut fallen.“

„Ihr privater Feldzug“, sprach Alina. „Solange sie nicht unter dem Befehl ihres Königs handelt, wird es auch nie diesen treffen. Wie vor 14 Jahren.“

Dugol verzog die Lippen zu einem Lächeln.

„Helfen wir Alina, trifft es auch diese Furie, das könnte den Jungs allerdings gefallen“, fasste er auf. „Schon alleine meiner Frau zuliebe muss ich alles unterstützen, was gegen König Teron ist und im Besonderen gegen Nerre.“

Einer der beiden stand auf und trat hinter sie. Die kräftige Hand des Mannes legte sich auf Faliras Hals.

„Es ist unglaublich, dass jemand wie er etwas so Schönes schaffen kann“, sprach Morlo.

„Ihr kennt ihn nicht“, sagte Alina. Falira genoss es, dass jetzt noch eine Hand dazu kam, um sie zu streicheln. Noch dazu kannte Alina die Lieblingsstellen beider Pferde. „Beldor ist ein Mann, der einst glaubte, es würde wirkliche Gerechtigkeit gesprochen werden. Heute muss er Leute bestrafen, nur weil sie einen Mund zum Reden haben, oder der falschen Person aufgefallen sind. Würde er es nicht tun, gäbe es genug andere für seinen Posten.“

„Mit seinen Verurteilungen bereitet er seiner Familie außerdem ein sehr luxuriöses Zuhause.“

Alina lächelte. Das stimmte wohl.

„Darüber hinaus sind einige bei ihm eingestellt, denen diese Stelle ein ruhiges Leben bietet, solange sie nicht auf Räuber wie euch stoßen.“

Der Räuber stimmt mit ihr in ein Lachen ein, wurde bald aber wieder ernster. Letztendlich führte alle Diskussion über Beldor in seinem Amt auf ein Thema zurück.

„Aber es zwingt ihn niemand dazu, das Richtschwert selbst in die Hände zu nehmen.“

Ihre Hand kam unter dem Kopf des Tieres zum Ruhen.

„Sprecht mit Ero darüber, sollten euch die Beweggründe seines Vaters wirklich interessieren“, sagte sie mit matter Stimme. Sie mochte nicht darüber sprechen. Wann immer sie es tat, fühlte sich ihr Herz schwer an.

Während ihrer Aufträge tat sie vieles aber das waren meist Verbrecher, deren Hände viel Blut vergossen. Natürlich sehnten sie sich wie viele andere nach einer Zeit, die eine Schule wie ihre unnötig machte. Leider würde dies ein Traum bleiben.

Das Leben war nicht perfekt aber man konnte es besser machen.

Die Hand des Räubers legte sich auf ihre Schulter.

„Vielleicht tu ich das“, sagte er.

Mitten in ihrer Unterhaltung trat einer der Räuber in den Stall, die Alina zuvor mit ihrer Geisel aufhielten. Nach dem kurzen Hinweis, dass ihre Arbeit getan sei, ging er zurück an seine eigentliche Aufgabe.

Alina schenkte jedem ihrer Pferde eine letzte zärtliche Berührung, dann ging sie mit Morlo in einen weiteren Teil dieser unterirdischen Stadt.

 

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Zuerst holte sie ihre eigene Kleidung aus dem Planwagen, danach führte Morlo sie in sein Zimmer.

Es war größer, als das von Gedana. Ein Doppelbett zeugte davon, dass es einst zum Kind auch eine Mutter gab. Einer Seite sah man an, dass sie an diesem Tag schon genutzt wurde. Die andere wurde nach der vergangenen Zeit des Verlustes immer noch ordentlich hergerichtet, selbst wenn keiner mehr darin schlief.

Auch an einem kleinen Tisch hielt er die vergangene Gesellschaft am Leben.

Eine Seite wurde für ihn gedeckt, wann immer er hier alleine speiste. Auf der anderen stand das Porträt einer Frau. Sie hatte dunkles Haar und der Maler zeichnete sie lächelnd.

Alina konnte nur einen kurzen Blick darauf werfen, bevor Morlo die Tücher hob, mit denen sich der Zugang zu einem Badezimmer öffnete. Ihm reichte ein Holzzuber, in den dieses Mal für Alina Wasser gefüllt wurde, damit sie sich waschen konnte.

„Ich werde draußen Wache halten. Sollte dir das nicht genügen, findest du auf einem Tisch in der Nähe den Schlüssel.“ Ohne ein weiteres Wort an sie zu richten, zog sich der Räuber nach draußen zurück.

Alina entledigte sich der Kleidung, ehe sie ins Wasser stieg. Vorhin konnte sie sich nur mit einem Eimer waschen, auf ihrer Reise mussten Bäche und Flüsse reichen, sodass sie seufzend in den Zuber hinein rutschte.

Am liebsten würde sie dem verführerischen Ruf folgen, die Augen zu schließen aber das konnte sie nicht. Es gab etwas, dass sie tun musste. Daher stieg sie sofort nach dem Abwaschen des Blutes wieder heraus, trocknete ihren Körper und schlüpfte in ihre Sachen hinein.

Sie hatte sich eine eng anliegende Hose herausgesucht, dazu eines ihrer Hemden, die ihre Weiblichkeit unterstrichen, statt wie ein Sack an ihr zu hängen. Dann ein Paar Stiefel und eine Jacke.

So begleitet trat Alina aus dem Bad. Als sie das Zimmer verlassen wollte, versperrte ihr Morlo den Weg. Auf seine Anweisung hin ging sie zurück und ganz wie er wollte zu dem Tisch.

„Geht das in Ordnung?“, fragte sie, ehe sie sich setzte.

Alina brauchte das Bild nicht antippen, Morlo verstand ohne ein Zeichen. Liebevoll betastete er das Bildnis der Frau, auf dem sich kein einziges Staubkorn finden ließ, dann stellte er es zur Seite.

„Ihr müsst sie sehr geliebt haben“, stellte das Mädchen fest.

„Reden wir nicht über mich!“ Er sah sie direkt an. „Was willst du jetzt machen?“

Seine Stimme klang ehrlich, sogar väterlich für ein Mädchen, dass er eigentlich nicht kannte, höchstens von Berichten um einen guten Freund. Und diese Wärme war es, die ihr Vertrauen schenkte.

„Ich weiß nicht“, gestand sie. „Bringe ich ihr Gedana nicht, kann es sein, sie macht ihre Drohung wahr. Ich will die Schüler und meinen Vater nicht in Gefahr bringen.“ Mit einem Seufzen brachen all ihre Gedanken und Gefühle heraus. „Ich denke, es wäre besser ihr hättet mich nicht verschont. Bei meinem Tod kann ein Fehlschlag nicht auf die Schüler zurückfallen.“

„Nein!“, rief Morlo mit aller Strenge, die ihm seine Position zusicherte. „Denkst du auch an Marno? Was er sich wünscht. Genauso eure Schüler. Denkst du, einer will, dass dir etwas geschieht?“

„Dass weiß ich“, rief sie in einem Schrei. Alina verdrängte die Tränen. Bei dem Ziehen in ihr, wollte dies nicht helfen.

Die Gefühle warfen sie von einer Seite an die andere. Wut. Verzweiflung. Angst. Alles Durcheinander und ohne Hoffnung jemals hinauszugelangen.

„Ich will nicht, dass jemand für mich stirbt.“ Nicht noch einmal. Die Worte blieben stumm, hingen aber schwer über ihr. Nicht nach Marli und wer noch sein Leben gab, damit sie hier sitzen konnte.

„Alina, du bist die Amazonenprinzessin“, sagte er. „Was meinst du, was meine Schwiegertochter und ihre Familie für dich tun würden. Für sie und viele andere bist du ein Heiligtum. Rufst du, sammeln sie sich, wie einst für deine Mutter. Es ist dein Schicksal. Die Amazonen mögen vor 14 Jahren geschlagen worden sein aber ihre Legende lebt weiter, wie ihre Hoffnung in dir existiert.“

„Nein!“ Alina sprang vom Tisch auf. Unruhig lief sie von einer Seite des Raumes zur anderen. Irgendetwas musste sie tun, um aus dieser Falle zu gelangen. „Ich bin Alina, eine Kopfgeldjägerin, nicht Nala. Sie starb vor 14 Jahren zusammen mit den Bewohnern des Amazonendorfs.“

„Egal was du versuchst, du kannst nichts an der Vergangenheit ändern. Ich weiß nicht was passierte, damit du von der Kutsche des Richters nach Miro kamst aber du kannst nicht ändern, dass viele ihr Leben für dich gaben. Du kannst auch nicht ändern, was Nerre tun würde, sollte sie jemals erfahren, wer du bist.“

Ihre Schritte stoppten.

„Du kannst nicht vor deinem Schicksal davon laufen.“

„Schicksal.“ Ein so kleines Wort und doch sagte der Mann es in einem Ton, als trüge es die Bedeutung der Welt in sich. „Das ist mein Leben. Es mag nicht bedeutend sein, immerhin bin ich eine kleine Kopfgeldjägerin. Aber genau so gefällt es mir. Ich mag es mit Ero zu dem nächsten Auftrag aufzubrechen. Unsere vielen kleinen Streitereien und Abenteuer. Ich mag die Schule. Einige unserer Schüler machen sich in ihrer Position sehr gut. Es ist interessant sie später wieder zusehen oder Berichte über sie zu lauschen. Am liebsten …“

„Alles ändert sich!“, sagte der Mann streng. „Dein Ero ist erwachsen. Er wird irgendwann heiraten. Solltest du es nicht sein, wird sich euer Weg trennen. Von euren Schülern werden einige auf dem Schlachtfeld fallen. Selbst Marno würde liebend gerne für dich kämpfen, sollte es nötig sein. Aber wenn du nicht diesen Weg gehen möchtest, will ich dir wenigstens einen Ausweg nennen.“

Morlo wies ihr an, sich wieder zu ihm zu setzen. Alina gehorchte, obwohl sie nicht daran glaubt. Sie ging jede nur denkbare Möglichkeit durch.

„Meine Frau hat mir einmal davon berichtet“, sagte er. „Ich denke du kennst die angrenzenden Länder. Eines von ihnen ist das Land Lerana. Genau das solltest du aufsuchen.“

Es gab viele Legenden und Geschichten darüber. Man sagte, eine mächtige Dynastie von Zauberinnen würde dieses Land regieren. Die Magie brachte ihnen Wohlstand und reiche Ernten. Unsichtbare Mauern hielten jeden Feind ab. Ein Leben in Frieden und Harmonie.

Andere Geschichten sprachen vom Bündnis mit finstren Zauberern. Jeder in dem Land stand unter dem Fluch der Magie.

Alina wusste nicht, was daran war, ihre Könige scheuten sich jedenfalls davor, einen Angriff auf dieses Land zu starten. Genau das legte Alina auf den Tisch.

„In dem Land leben Menschen, wie du und ich, Alina“, sagte er, korrigierte sich dann aber in seinem Grinsen. „Ein schlechter Vergleich. Nicht wie wir unseren Tätigkeiten nachgehen, aber sie sind einfache Leute. Bauern, Händler, auch Adelige gibt es dort. Meine Frau war die Tochter eines Tuchhändlers, der in Ylora seine Waren anbot und zurück wollte, als wir ihn überfielen.“

Seine Augen funkelten vor Glück in der Erinnerung an sie.

„Ihre einzige Waffe war ihre Zunge“, sprach er weiter. „Ich ließ sie an diesem Tag unberührt gehen und auch ihrem Vater wurde von uns nichts genommen. Ich sah sie nach diesem Tag noch einige Male auf ihrem Weg, bis sie sich eines Tages entschloss, hier zu blieben.“

Mit seiner Hand fuhr er sich über die eigenen müden Augen, ehe er weiter berichtete.

„Sie sprach von dem, an die südlich gelegen Küste Leranas grenzen Binnenmeer. Darin soll eine Insel liegen, die über Jahrhunderte Pilgerort ist für jeden ist, der Rat benötigt. Auch Könige sollen sich dorthin begeben haben, wenn ihnen eine große Schlacht bevorsteht oder sich ihr Land in einer Krise befindet. Sie hoffen, in Gebeten ein Zeichen zu bekommen. In den Geschichten meiner Frau wurde ihnen geholfen. Ob es mehr als Erzählungen sind, weiß ich nicht zu sagen aber sie werden eine Amazonenprinzessin sicher nicht abweisen.“

Sie schwieg.

Ihre Schultern fühlten sich schwer von der Last. Alina drohte darunter erdrückt zu werden, ginge es weiter.

Kämpfen riet ihr Ero. Die Schüler ihrer Schule seien stark genug gegen Nerres Einheit anzukämpfen oder wenigstens so lange zu bestehen, bis sie die Antwort ihres Königs bekamen. Dann war da Morlo, der ihr einen weiteren Weg aufzeigte.

Welchen Weg sollte sie gehen?

Kampf oder Flucht?

Tränen schwappten über die unteren Lieder ihrer Augen. Alina wusste nicht es zu entscheiden. Sie sank auf dem Tisch nieder und weinte.

Sie war noch ein Kind, als diese Frau ihr das erste Mal die Eltern nahm oder eher die Mutter. Jetzt besaß sie ein zweites Leben und wieder drohte Nerre ihre Familie zu zerstören.

Dabei lag die Antwort so nah.

Marno würde nie mit dem Gedanken leben können, seine Alina wäre tot. Er hatte sie wie ein eigenes Kind groß gezogen. Es würde ihn zu sehr treffen. Gleichzeitig tobte in ihr die Angst.

So klang die Möglichkeit einer Flucht verführerisch in ihren Ohren.

„Ich kann das Gerücht streuen, ihr beide seit tot“, seine Hand griff nach ihr zu einer tröstenden Geste. „Marno und Beldor werden es beide nicht glauben. Es war keine Tat, um die Familie zu quälen, dass ich Eros Eltern damals ihren toten Sohn habe zukommen lassen. Ich fand nur, die Familie hätte das Recht ihn zu Grabe tragen zu können, auch wenn ich mir gewünscht hätte, er wäre in anderem Zustand zu ihnen zurückgekehrt. Du hast es selbst erlebt. Mein Sohn hat die Angewohnheit Dinge, die den Richter betreffen, zuerst unseren Leuten zu berichten.“

Aus verweinten Augen sah sie, wie der Mann seinen Finger an die Lippen führte.

Noch ein letzter Schwall Tränen wurde in einem Wimpernschlag herausgedrückt, dann versiegte der Fluss.

„Sag es nicht Dugol oder den Jungs. Aber ich fand es schade, zu welchen Tieren meine Leute an diesem Tag wurden. Die Söhne sollen nicht an den Sünden ihres Vaters gemessen werden. Wie ich hörte, soll Jos ein Frieden anstrebender Diplomat gewesen sein. Der zweite Sohn lässt es eher ruhig angehen. Nur der dritte Sohn geht also einem Gewerbe nach, das dem Vater zugutekommt. Kopfgeldjäger, dass erwartet man nicht gerade von einem Sohn der einflussreichsten Familie Uras.“

Durch die Tränen erkämpfte sich ein Lächeln seinen Platz auf ihren Lippen.

„Das ist nicht richtig“, sagte Alina. „Ero mag mich begleiten, aber er greift nie selbst zum Schwert, sondern lässt mich das erledigen. Sein Bruder Per würde gerne dem Vater an den Richtertisch folgen. Bisher scheut er sich, da ihm die Gesetze und ihre Bestrafungen zu barbarisch vorkommen.“

„Der Richter hat seine Söhne zu ungewöhnlichen Jungs erzogen. Wenn man sich Ero anschaut, der kaum mehr wie ein Bauer zu sein scheint.“

Vieles war anders, als man es erwartete. Schon alleine, dass sie hier mit diesem Mann saß. Sie schwieg über die diese Gedanken.

Alina blieb noch eine Weile in diesem Zimmer. Wie am vergangenen Abend versuchte er ihr einige Dinge zu entlocken, diesmal auch mit Erinnerung an ihre wahre Herkunft. Aber auch Ero wurde zu einem Thema.

 

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Sie blieben in dem Zimmer, bis sich Alina beruhigt hatte. Morlo meinte zwar, sie sollten sich beide ausruhen aber Alina wollte keine Zeit verschwenden. Jeder Tag in der Bande könnte Nerres Aufmerksamkeit wecken, da die Räuber nicht dafür bekannt waren, ihre Gefangenen lange zu behalten.

Morlo gab seinem Sohn die Anweisung beide Pferde zu satteln, Alina kehrte zu ihrem Planwagen zurück.

Waffen fand sie dort keine vor. Die Räuber hatten gute Arbeit geleistet, sie in andere Räume zu bringen. Ihre gesamten Kleider und den Schmuck hatte keiner angerührt.

Alina rutschte nach vorne zum Kutschbock, wo versteckt ein kleines Fach lag. Gut verwahrt darin ein Sack mit Goldstücken. Eine letzte Bezahlung für ihre Dienste. Marno würde nicht böse sein, wenn sie dieses an sich nahm.

Dazu verstaute sie in einem Sack ein paar ihrer Kleider. Darunter auch das schöne Blaue. Das letzte Geschenk von Ero. Wann sie jemals die Chance bekam, für ihn darin zu tanzen?

Ob sie überhaupt jemals die Chance bekam es anzuziehen? Alina wusste es nicht.

Mit den fertig gepackten Sachen trat sie in den Stall hinein.

„Ist Ero schon wach?“, trat sie mit einer Frage an Morlo heran.

Der Räuber schüttelte darauf mit dem Kopf.

„Nein, ich dachte seine Verlobte würde das gerne tun. Ich hab einen meiner Jungs gebeten, dich zu ihm zu führen. Es wird euch keiner am Aufbruch hindern, wenn ihr jetzt geht.“

„Eine Bitte.“ Sie sah nicht den Mann an, sondern das fertig gesattelte Pferd. Ihre Hand strich über die Stirn des Tieres. „Versprecht mir ihn unter euren Schutz zu stellen. Auch wenn ich nicht da bin, soll ihm niemand etwas tun. Wir sind lange zusammen geritten aber auf diese Reise möchte ich ihn nicht mitnehmen. Es ist besser so!“

Ihr Kopf schmiegte sich an den des Rappen. Ein letztes Mal wollte sie es genießen das Fell dieses schönen Tieres zu spüren, ihren warmen Körper. Wenn sie schon nicht den Mut fand, Faliras Reiter in die Arme zu schließen.

„Er wird dir folgen wollen“, sagte Morlo.

Auch das war Alina bewusst.

Ihre Lippen schmiegten sich in einen Kuss auf die Nase des Tieres, dass seinen Kopf ihr zugeneigt hatte.

„Falira, du gutes und treues Mädchen, versprich mir deinen Herren nicht all zu schnell mir nach nachfolgen zu lassen. Gib mir wenigstens eine Chance.“

Alina trat einen Schritt zurück und wandte sich dann ihrer eigenen Stute zu. Ihre Finger fassten auf den Hals des alten Tieres. Zärtlich fuhr sie bis zum Sattel.

„Entschuldige Belena, alte Freundin. Ich bürde dir viel auf aber auf diesem Weg wirst du mich sicher noch begleiten.“

Wie in einer Bestätigung stieß die Schimmelstute ein Wiehern aus. Alina stieg in den Sattel.

„Ich habe dir Verpflegung eingepackt“, sprach der Räuber. „Benötigst du noch etwas anderes?“

„Meine Dolche“, sagte Alina. „Und Eros Beidhänder. Sie sind mir das Wichtigste und ich befürchte …“

„Du befürchtest, meine Jungs lassen ihn nicht mit den Waffen gehen.“ Seine Antwort gab der Anführer dieser Bande in einem Lächeln. Wenig später verschwand er und kehrte mit drei Schmuckstücken zurück. Die beiden alten Dolche in ihren ledernen Scheiden wurden in den Satteltaschen verstaut. Zuletzt das große Schwert.

Ehe Alina ihre Reise antritt, hielt Morlo die Stute an den Zügeln zurück.

„Versprich mir etwas Mädchen!“, verlangte der Räuber seinerseits. „Du kehrst zurück und dann trittst du dieser verwöhnten Schlange in ihren adeligen Arsch. Immerhin bist du die Amazonenprinzessin. Es ist dein Recht und deine Pflicht Nerre für all ihre Taten büßen zu lassen.“

Sie antwortete nichts auf die Worte oder sein Grinsen. Auf sein Zeichen wurde das Tor für sie geöffnet. Und ehe sie sich anders entschied, ritt Alina los.

Hinter sich schloss sich das gewaltige Tor wieder. Bei einem Blick sah sie noch Morlo, an dessen Seite der Sohn getreten war. Sie hörte keines ihrer Worte, konnte sich aber denken, dass es Ero betraf.

Ihr Weg würde sie nach Süden führen, in ein für sie unbekanntes Land. Es war das erste Mal, dass sie ein Gebiet außerhalb von Miro oder Ura betrat, doch Angst verspürte sie nicht, eher reizte sie der Gedanke an das Unbekannte.

Wie es wohl sein mochte, dieses Land der Magie?

Belenas Schritte stoppten auf einem Weg. Ihr Blick wanderte zur Seite, wo ein leises Rauschen zu ihr getragen wurde.

Genau hier an diesem Fluss traf sie auf Melasa und Dugol. Im Mond konnte sie die glitzernde Oberfläche des Wassers sehen. Ihr Herz füllte sich mit Trauer, als sie daran dachte, wie unbedacht sie am gestrigen Tag war.

Ero, ihr liebsten Freund zeigte das erste Mal, welcher Aufgabe sie nachgingen. Sich an den Feind anschleichen, Spuren lesen. Dann Falira, durch die sie erst in diese Situation geriet.

Hätte sie Alina nicht ins Wasser geschubst, wäre das Paar womöglich gar nicht auf sie aufmerksam geworden oder die Wachen der Räuber hätten ihnen wenig später ein schlimmeres Willkommen bereitet.

Jetzt ließ sie ausgerechnet diese beiden hier zurück, im Vertrauen Morlo würde sein Versprechen halten.

Was Alina auf dieser Reise erwartete, vermochte nicht einmal der runde Mond am Himmel zu wissen. Welche Entscheidung sie für sich traf oder ob Ero ihr wirklich hinterher eilte.

Nein, sie durfte nicht daran denken. Die Schimmelstute unter ihr setzte sich in Bewegung.

„Lebt wohl Falira … Ero“, hauchte sie in einem Schleier aus Tränen, beim letzten Blick zurück.

 

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Kapitel 21

 



Seit beide Kinder zu dieser gefährlichen Reise aufbrachen waren viele Tage vergangen, in denen Miri draußen auf dem Hof stand. Sie sah zum Tor in der Hoffnung wenigstens einer von ihnen möge nach Hause zurückkommen, oder ein Zeichen senden. Brach die Nacht hinein, weinte sie sich in den Schlaf.

Gewöhnlich achtete Miri darauf jedes ihrer Haare in die richtige Position zu bringen, keines ihrer Kleider warf je eine Falte. Manchmal fragte sich ihr Mann, wie seine Frau das schaffte. Das Mysterium einer Frau, von der er nun nichts mehr sah.

Miri wirkte erschöpft und an einem Tag um zehn Jahre gealtert. Ihre Hände schlossen sich im Schoß ineinander. Tat sie das nicht, würden sie unaufhörlich zittern.

Die sonst nach oben genommenen Haaren lagen offen auf ihren Schultern und fielen über den Rücken. Er sagte es nie, mochte es aber, wenn seine Frau ihr Haar nicht versteckte. Das Kleid war achtlos aus dem Kleiderschrank genommen worden.

Richter Beldor schloss seine Frau in die Arme, ehe er das Haus an diesem Morgen zu seinem gewöhnlichen Rundgang durch die Stallanlagen verließ.

Bei seiner Rückkehr hielt er das schwarze Pferd zuerst für eine Einbildung.

Er hatte jedes Tier seiner Zucht, wann es ihm möglich war, auf die Welt gebracht. So auch dieses.

Seine Schritte wurden schneller. Ja er rannte sogar. So schnell konnten ihm die Diener nicht öffnen, wie er an diesem Morgen bei der Tür war. Er brauchte sie auch nicht fragen, wohin der der Gast ging, Richter Beldor erahnte das Ziel.

Im gleichen Moment donnerte sein Herz in den gewaltigen Schlägen eines galoppierenden Pferdes.

„Was ist los?“, wollte seine Frau wissen, die auf der Treppe stand.

„Wir haben Besuch“, antwortete Mann ohne sich Zeit zu gewähren. Seine Frau sah ihm nach, wie er immer zwei Stufen in einem Schritt nahm. Auch zu einer Antwort hielt er sich nicht auf.

Er musste schnell sein.

Seine Finger berührten den Knauf. Unter einem kräftigen Stoß flog die Tür zum Arbeitszimmer auf, wo er mit erschöpften Schritten eintrat.

„Langsam, alter Mann!“, sagte der Gast mit gelassener Stimme. „Denk an dein altes Herz. Es möchte niemand, dass du zusammenbrichst. Ach was sage ich da? Es gibt genug, die liebend gerne dabei zusehen würden, wie diese Meute, von der deine Hinrichtungen begafft werden.“

Der Gast lachte auf, ehe er zum Grund seines Besuches kam.

„Was weißt du eigentlich über dieses Mädchen?“, verlangte die Frau zu erfahren.

Sie saß auf seinem Stuhl, die Schuhe lagen auf dem Tisch, direkt auf Papieren, die für den König von Miro bestimmt waren. Es interessierte sie nicht, welche Abdrücke sie darauf hinterließ, wie sie vieles nicht interessierte. Ein weiteres Schreiben lag in ihren Händen. Ein Brief an den eigenen König, abgefangen durch einen ihrer Leute.

„Meinst du Alina?“, erkundigte sich Richter Beldor. Er hatte sich wieder beruhigt und war bedacht darauf, seine Stimme sicher klingen zu lassen. Ganz wie in seinen Verhandlungen. „Sie ist ein gutes Mädchen.“

„Ich hab sie mir angeschaut. Dieses Mädchen ist eine billige Tänzerin. Aber ich muss zugeben, dass sie mich interessiert. Sie besitzt einen gewissen Charme.“

Trotz der Worte wurde ihre Stimme von einer gewissen Langeweile beherrscht, mit der sie auch dem Brief ihre Aufmerksamkeit schenkte.

„Das lässt sich kaum vermeiden, immerhin vermittelst du deine Söhne gewöhnlich in sehr vorteilhafte Partien, wie Per und Jos. Und ausgerechnet euer Nesthäkchen will dieses schmutzige Ding heiraten. Ungewöhnlich, dass Miri es zu lässt.“

Der Brief in Nerres Händen sank, ihre blauen Augen sahen den Mann auf eine Weise an, wie man es mit einem schmutzigen Köter tat, ehe man ihn trat. Und genau das tat auch diese Frau vor ihm.

„Richtet man sie hübsch her, könnte sie glänzen wie ein Juwel. Nein, daran liegt es auch nicht. Aber ich erinnere mich an eine ähnliche Situation. Vor 14 Jahren hat der gute Richter doch glatt schon mal Müll von den Straßen Uras aufgesammelt. Wie lautete der Name dieses schmutzigen Dings gleich noch mal?“

Sie führte ihren Finger an die Lippen, als ob sie wirklich darüber nachdachte.

„Nala, genau. Meine Schwester war tatsächlich so dreist ihren Bastard nach unserer Mutter zu benennen. Hast du der alten Frau davon berichtet?“

„Wie könnte ich?“ Wut schwang in seiner Stimme mit. Nerre tat so, als sei sie etwas besonders und könne sich in seinem Haus alles erlauben. Am liebsten würde er das Mädchen raus werfen.

„Meinst du, sie könnte meinem König gefallen?“ Sie zerriss den Brief ganz langsam und provozierend in kleine Fetzen. Auf ihren Lippen erglomm ein böses Lächeln, von dem nur Unheil angekündigt wurde. „Ich meine natürlich Alina. Als Ebenbild meiner Schwester könnte sie deren Schuld ableisten. Natürlich nur, sollte sie überleben.“

Was für eine Schuld?, fragte sich der Richter. Seine Beine konnten nun das Gewicht des Mannes nicht mehr tragen. Er sank in der Gewissheit zu Boden, alles würde ein zweites Mal ruiniert werden.

Nerre wuchs in den Jahren von einem unschuldigen Kind zu einem Monster heran. Statt zu ihrer Schwester zu halten, jagte sie diese, bezwang sie und trieb Nette letztendlich in den Tod.

Nun hatte sie deren Tochter entdeckt, um mit ihr das Gleiche zu tun.

Nur eine Frage verblieb dem Richter. Hatte er mit seinem Beharren beide Kinder in eine Ehe zu führen, womöglich alles verursacht?

Die Tür wurde ein zweites Mal aufgestoßen. Miri stand darin. Sie erbleichte beim Anblick der blonden Frau.

„Hallo!“, grüßte die Kommandantin in einer lockeren Geste. „Ich dachte, ich statte euch einen Besuch ab. Wir haben uns doch so lange nicht mehr gesehen.“

Einen Moment wusste Miri nichts zu sagen, dann explodierte die Frau.

„Raus hier!“, kreischte sie in einem lauten Schrei auf, dem sogar die Diener bis zum Arbeitszimmer folgen. „Verschwinde! Du bist schon lange kein Gast mehr unter diesem Dach, Nerre. Geh oder bring uns unsere Kinder wieder!“

Eigentlich war der Richter immer am stärksten, doch heute übertraf ihn seine Frau in allem.

Nerre gehorchte. Zurück ließ sie einen gebrochenen Mann und die bittere Wahrheit. Er konnte die Könige nicht kontaktieren, um die Schule zu beschützen. Diese Frau würde all das zerstören, was Alina und ihr Vater mit viel Geduld erbaut hatten, sollte sich das Mädchen ihr nicht unterwerfen.

Richter Beldor sah eine schlimme Zeit auf sie zukommen.

 

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Tag der Veröffentlichung: 08.08.2011

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