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Ende Oktober kroch mit langsamen Bewegungen immer näher. Überall in den Läden wurden mit einer Dekorierung aus Orangetönen die Ware zu Halloween angeboten.
Knabbereien, Kostüme, Kürbisse und was sich noch in dieser Zeit gut verkaufen ließ.
Sogar Mara und ihre Clique saßen zusammen in der Schule und hielten Rat.
Die anderen Schüler konnte nichts halten aus den eher tristen Mauern zu verschwinden aber sie genossen die Einsamkeit und Ruhe hier.
Nun ja, ganz einsam waren sie nicht.
Eine ihrer Mitschülerinnen saß noch an ihrem Platz. Die Nase verborgen in einen dicken Stapel Bücher, als ob es nichts Spannenderes als lernen gäbe. Mara und ihre Clique wären da tausend Sachen eingefallen, die sie stattdessen tun konnten. Und trotzdem hielten sie sich hier auf.
„Wie wäre es mit einer Party?“, rief Sofie in ihrer piepsigen und viel zu lauten Stimme.
Ihre kurze Nase und das runde Gesicht waren es nicht, weswegen Mara sie gerne mit einem Spatz verglich. Eher das doch recht klein ausgefallene Gehirn, dass sie gerne mit sich herum trug.
Im Gegensatz dazu griffen die gängigen Blondinenwitze bei ihren beiden anderen Freundinnen nicht. Die naturblonde Julia und Michelle, die diese Farbe seit dem letzten Frühling trug.
Bei der brünetten Sofie, konnte man einige davon gut umwandeln.
Mara wies der Freundin an leiser zu reden. Und als ob es in der Lautstärke eines Presslufthammers nicht verständlich genug war, wiederholte Sofie jetzt ihre Frage im Flüsterton.
Ob sie eine Party organisieren wollten.
„Ach nein“, meinte Michelle. Unaufhörlich spielte sie mit einer Strähne ihres hellen Haares. „Dieses eine Mädchen aus unserer Parallelklasse – verdammt ich komm jetzt nicht auf den Namen. Miss ich bin so cool, dass ich schon im September für Schnee sorgen muss, schmeißt eine. Ihre Eltern sind seit letzter Woche im Urlaub und irgendwie hat sie da wohl die halbe Schule eingeladen.“
„Also bleiben für uns nur noch solche Loser.“ Mara warf einen deutlichen Blick auf das stille Mädchen in der Ecke. „Oder die betrunkenen Idioten, die meinen bei uns mehr zu bekommen, als ein paar Flaschen Bier.“
Das Thema Party hatte sich somit erledigt.
Ein Spukhaus für die Kids anzufertigen, wie ihre Mutter ihr vorschlug. Nein, das wagte sie nicht anzusprechen. Sie waren doch keine Kindernachtstätte oder ein gemeinnütziger Verein, dass sie sich mit diesen Plagen abmühte.
Wie vier verlorene Hühner auf die Party zu gehen, nur um vor der Tusse den Hof zu machen und damit sie zur Königin zu krönen. Nein, da musste was anderes her.
„Mein Bruder meinte, er wolle der Felber ganz im Sinne der Nacht einen gehörigen Schrecken einjagen“, plauderte Julia los. „Eier an die Fenster werfen. Auto in Klopapier einwickeln oder war es eher das Haus? Den Tod vor der Haustür spielen. Er sagt, er braucht noch Leute für seinen Masterplan.“
Wo sie gerade erst das Thema betrunken Idioten abgehakt hatten. Julias Bruder entsprach genau dem.
Vielleicht war genau das auch die Lösung.
Mara wies den anderen an, ihre Köpfe ihrem zu nähern. Dabei unterbreitete sie ihnen im Detail ihren Plan.
Kichern drang von der kleinen Gruppe und manchmal hob sich der Kopf einer von ihnen, spähend auf das andere Mädchen im Raum.
„Aber geht dass denn?“, zweifelte die recht naive und viel zu brave Sofie. „Das wäre zu gemein.“
Sofort warfen die anderen ihre Zweifel weg. Sofie ließ sich leicht bei allem mitreisen. Sie würde schon nicht petzen.

Seit mehreren Tagen ging es jeden Tag so. Die Clique aus vier Mädchen zog sich nach Unterrichtsende und Schulschluss in dieses Klassenzimmer zurück. Sie steckten die Köpfe zusammen, als könne so niemand verstehen, was sie sagten.
Ein Trugschluss. Anita vernahm einiges, was nicht für ihre Ohren bestimmt war.
Welcher Junge bei ihnen zurzeit angesagt war. Mode- und Schminktipps. All das könnte sie heraushören, doch ihr Interesse galt eher den Büchern vor sich.
Anita wartete nicht lange. Sie griff mit rechts in ihre Tasche. Ihr Blick ruhte dabei weiter auf den Büchern, die sie gerade las und holte nach kurzer Suche das Knäuel aus Kabel und dem kleinen Gerät hervor. Nach kurzem Entwirren steckte sie sich die Ohrknöpfe ein und betätigte den Knopf, bis sie nur noch von der Musik berieselt wurde, nicht mehr das Gegacker dieser Suppenhühnchen aufgezwungen bekam.
Das Klassenzimmer gehört zu ihrer Klasse, die sie leider mit Sofie teilen musste.
Einer 14-Jährigen, die vor einem Jahr, das kombinieren von Kleidung und Make-up zu ihrem Talent gemacht hatte. Für mehr fand sich in ihrem Kopf kein Platz.
Die 15-Jährigen Mädchen Mara und Michelle gingen zusammen mit der 16-jährigen Julia in eine Klasse. Was sie von Sofie wollten, blieb Anita bisher verborgen.
Eigentlich interessierte es sie auch gar nicht.
Sie hatte ihre Bücher und bei dem Sehnen nach Ruhe, würde sie sich demnächst wohl einen anderen Flecken suchen müssen. Je nachdem, wie es sich in der Clique entwickelte. Wenn sie meinten, dieses Zimmer zu ihrem Clubraum zu machen, würde sie das Handtuch werfen.
Dabei war es angenehm hier zu sitzen, bis ihre Klassenlehrerin meinte, sie nach Hause schicken zu müssen.
Tief versunken in das Werk vor ihr, wegen der Gesellschaft mit einem ihrer Schulbücher getarnt, entging ihr, wie die Mädchen ihren Kreis verließen. Und noch ehe sie ihnen wieder ihre Aufmerksamkeit schenkte, entglitten die Seiten des Buches nach oben ihrem Blick.
Sofort zog sie die Ohrstöpsel an dem Kabel aus ihren Ohren, wollte aufspringen, doch es war schon ihrer Reichweite entschwunden.
„Oh, was haben wir denn hier?“
Mara mochte jünger als Julia sein, führte die Clique aber wie eine unbarmherzige Königin an. Dabei trampelte sie jeden nieder, der es wagte sich ihr entgegen zu stellen.
„Wie interessant. Hexenkünste für den Alltag. Irgendwie wundert es niemanden, dass du auf solchen Müll stehst.“
Die Nägel ihrer langen Finger waren mit blauem Lack versehen, dem weiße Blumen entwuchsen. Damit blätterte sie jetzt die Seiten um, in einer kurzen Prüfung der Überschriften.
Sofort sprang Anita nach vorne, in der Hoffnung noch alles verhindern zu können.
Leider traf sie auf eine Wand aus den anderen drei Mädchen. Zierlich waren sie aber konnten das wehrhafte Mädchen vor sich gut in Schach halten.
„Oh“, drang es mit dumpfer Stimme von Mara. „Ein Liebestrank. Hast du den gesucht? Wen unsere Anita wohl damit verzaubern möchte?“
„Wahrscheinlich Andrew“, plapperte Sofie fröhlich los und verschlang die Hände ineinander. Mit einem höhnischen Säuseln sagte sie das nächste. Blanker Spott, der Klassenkameradin gegenüber. „Oh Gott, wie sie in bei jeder Stunde anhimmelt und der Arme weiß noch nicht einmal etwas von seinem Glück.“
Na und? Anita wollte nicht versuchen mit Hilfe von einem Kilo Make-up eine gute Figur zu machen. Und auch wenn sie im geheimen für den Jungen schwärmen würde, braucht diese Clique das nicht zu interessieren.
Eine unbändige Wut wallte sich in ihr gegen die Mädchen auf.
Wenn sie nur ein einziges Mal… Ihre rechte Hand ballte sich zur Faust. Aber nein, den Mut sich gegen diese Biester durchzusetzen fand sie einfach nicht, egal wie oft sie danach in sich suchte. Dort war nur eine weite Leere, wo sich deutliche Worte des Zorns verbergen sollten. Eine Angst, die alles fest einschnürte.
Anita zog sich zurück.
Neben dem Liebesspruch, befanden sich einige Sprüche, die sie sich manchmal wünschte an diesen Mädchen auszuprobieren. Wenn sie denn wirklich funktionieren würden.
Sie ließ sich zurück auf den Stuhl plumpsen.
Ein Kampf hatte eh keinen Sinn, sie würde versagen. Nicht einmal die Lehrer könnten ihr eine Hilfe sein.
„Hier!“
Anita sah auf, wo das Buch vor ihr in der Luft schwebte, gehalten von Maras Händen und dem eindrucksvollen Nagellack.
„Wicca, nennt sich der Kult?“, fragte sie nach. Ein recht neutraler Ausdruck lag auf ihren hübschen Zügen, die Anita nicht genau deuten konnte. „Ist cool so was.“
Echt?

Das Mädchen hob eine Augenbraue. Erst nach genauer Prüfung näherte sich ihre Hand vorsichtig in Buch. Fast so, als müsse sie gegen eine elektrische Spannung ankämpfen.
Dann schlossen sich ihre Finger um den Buchdeckel. Ihr Eigentum entglitt den Fingern der Anderen sehr leicht.
„Tut mir Leid, dass wir manchmal so gemein zu dir sind.“
Manchmal? Die Finger ihrer linken Hand umspielten ihr kurzes Haar, das sie vor einer Woche noch in einem festen Strang nach hinten nahm. Jetzt fehlt dieser Zopf. Nur noch kurze Stoppeln verblieben.
Alles wegen einer Attacke auf dem Schulhof durch diese Clique.
„Du weißt doch, was das für ein Kampf ist. Gefressen oder gefressen werden.“ Mara rollte mit den Augen, bevor sie sogar ein Lächeln zustande brachte. „Hey, Halloween hast du doch Geburtstag. Eines der Mädchen schmeißt eine Party. Komm doch mit. Natürlich brauchst du passende Kleidung, beim Schminken können wir dir helfen.“
Ja klar, am Ende werde ich mit echten Kratzern geschmückt

, würde Anita ihnen gerne entgegnen. Ihre Zähne umklammerten fest die Unterlippe. Erst nachdem sie den Kopf ihrer Tasche zusenkte, kam eine Antwort.
„Sorry, aber wie du schon so schön gesagt hast, ist an diesem Tag mein Geburtstag.“
Sie verstaute ihre Bücher in ihrer Tasche.
„Na ist doch super. Die Party, gibt es was Besseres?“ Mara sah die andere direkt an, ohne ein Widerwort gelten zu lassen. Das kurze verziehen der dünnen Lippen blieb dabei unbemerkt. „Ein Kostüm wäre Pflicht.“
In einer kurzen Geste des Nachdenkens, hob Mara ihren Finger an die Lippen.
Sie ließ Anita noch nicht einmal eine Chance sich zu erklären, sondern plapperte sofort drauf los.
„Eine Hexe wäre doch toll. Eine Sexy Hexi, was meinst du?“
Lehn ab! Verdammt noch mal, sei schlauer als die und lehn ab!

Genau das schrie jede Faser ihres seins. Dabei brauchte Anita noch nicht einmal auf die Mädchen hinter der Anführerin zu achten, die sich ein Lachen verkniffen.
Genauso wusste Anita, was sie bei einer Ablehnung erwartete. Die Haare um einige Zentimeter zu verlieren, war da noch eine schmale Konsequenz dagegen.
Also erklärte sie sich einverstanden, auch wenn dies nur schwer über ihre Lippen ging.
In ihrem Inneren versuchte sie sich auszumalen, was diese Mädchen jetzt schon wieder mit ihr anstellen wollten. Ein Friedensangebot, so dumm war sie nicht mehr, das zu glauben.

Mit Begeisterung wurde sie nicht umfangen, als Anita von ihren Geburtstagsplänen berichtete.
„Sofie ist doch die aus deiner Klasse?“, erkundigte sich die Frau bei ihr. „Julia, Mara, Michelle. Wieso kommen mir die Namen so bekannt vor.“
In einer verräterischen Geste zupfte das Mädchen an ihrem kurzen, braunen Haar.
Ihrer Meinung nach, hatte die Friseurin zu viel herausgenommen. War der Schaden wirklich so groß, dass nicht wenigstens ein paar Zentimeter mehr erlaubt waren?
Die Frau vor ihr, genau wie der Mann zu ihrer Seite, der das Mädchen in seine Arme nahm, waren nicht ihre Eltern. Und egal wie lange Anita schon bei ihnen lebte, wurden sie es auch nicht mehr.
Die Hoffnung auf ein eigenes Kind wurde dem Paar früh genommen, auch wenn sie es nicht einsehen wollten. Deswegen sträubten sie sich lange Zeit gegen eine Adoption. Selbst nachdem Anita das erste Mal in ihr Leben trat.
Das süße Kind der besten Freunde.
Niemand von ihnen hätte die tragische Wendung im Schicksal vorher sehen können, geschweige denn wollen. Den Unfall, der ihr die Eltern raubte und nach dem sie von diesen beiden lieben Menschen aufgenommen wurde.
„Sagst du nicht selbst, sie hassen dich?“, wollte Suse mit einem strengen Blick an ihre Adoptivtochter wissen. Auch wenn Anita sie nicht als wirkliche Mutter sah, so benahm sich diese wie eine und hätte das Kind am liebsten in Watte gepackt.
Martin war da ganz anders.
„Sie sind alle noch Kinder, lass sie doch. Ich bin sicher, ihr wird der Tag gefallen. Immerhin ist es ein besonderer Geburtstag.“
„Kinder, sollten aber nicht so mit Feuer spielen, dass sie andere dabei schwer verletzen könnten. Am liebsten würde ich…“ Sie verkniff sich jeden weiteren Fluch gegen die vier Mädchen.
„Es ist meine Entscheidung, Suse“, sagte Anita streng.
„Ihren 15. Geburtstag erlebt sie nur einmal“, stellte sich Martin auf ihre Seite. „Vielleicht haben die Mädchen gelernt, dass man zu anderen nicht so garstig ist und es soll eine Entschuldigung sein. Lass sie einfach ihre Arbeit machen. Ihnen die Augen auskratzen kannst du auch noch, wenn sie wieder etwas anstellen.“
Wie zur Bestätigung schwang Suse einen Pfannenwender in der Hand. Kurz darauf wandte sie sich der Pfanne zu, um die Eierkuchen zu wenden.
Sie diskutierten noch eine Weile. Martin und Anita, die zusammen den Tisch eindeckten, auch was sie zu der Party anziehen wollte.
Suse lauschte dem, ohne dass ihre Sorge gewichen war. Sie hielt sich an die Meinung ihres Mannes. Diesen Tag erlebte das Kind nur ein einziges Mal im Leben, da musste sie ihren eigenen Weg gehen, an den beide sie nicht hindern konnten.
Sonst würde sie womöglich die trotzige Jugendliche rauskehren und den beiden es das nächste Jahr deutlich spüren lassen.
Ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht der besorgten Frau, als sie an die Zeit dachte, in der sie jetzt schon Eltern für das Kind waren.

Der Tag von Halloween kam ungewöhnlich früh für sie. Anita zeigte sich überrascht von Suse an diesem einen Tag mit einem kleinen Kuchen geweckt zu werden.
„Herzlichen Glückwunsch“, wünschte sie ihr und hauchte dem Mädchen einen Kuss auf die Stirn, wie damals mit acht Jahren. Das erste Mal, dass sie ihren Geburtstag ohne ihre Eltern im Haus der neuen Familie feierte.
Die Frau verscheuchte noch nicht einmal ihre Sorgen wegen des abendlichen Treffens aus den Gedanken.
Dabei benahmen sich die vier Mädchen sogar ganz nett ihr Gegenüber. Ungewöhnlich für die Clique. Aber es reichte, um Anitas eigenes Misstrauen so weit zu schwächen, dass sie zu hoffen begann, die Freundinnen mögen es ernst meinen.
Vielleicht ging sie zu naiv daran. Daran dachte Anita, während sie mit ihren Adoptiveltern die Verkleidung durchging.
„Als Hexe also.“
„Ja, Mara hat mein Buch entdeckt und meinte, es sei eine gute Idee.“
„Wenn sie dir etwas antun“, rief Suse im warnenden Ton. „Dann kann Martin darauf wetten, dass ich ihnen nicht nur die Augen auskratze, ich verwandle sie in Kröten und brat sie mir.“
Dabei wedelte sie beschwörerisch mit dem Zauberstab und stieß ein helles Lachen aus. Passend zur Rolle, die von den meisten Hexen eingenommen wurde.
Der Stab war eines der wenigen Details, auf die Anita geachtet hatte. Dunkle Kleidung und ein Spitzhut kamen ihr weniger in den Sinn. Ihr Kostüm wirkte farbenfroh, fast schon zu schrill.
Bei dem Make-up setzte Suse ihre eigenen Zauberkräfte ein, die eher aus Kombination mehrerer Farben bestand. Eine weiße Grundierung mit schillernden Farben um die Augen und einem intensiven Rot auf den Lippen. Die gleiche Farbe, wie sie Suse trug, obwohl diese ein erwachseneres und dunkleres Modell einer Hexe abgab.
Ein extrem kurzer Mini, den sie immer noch gut tragen konnte. Dazu das blasse Gesicht und dunkle Schatten um die Augen, die ihrem Blick etwas kühles, unnahbares verliehen.
Martin an ihrer Seite, dieses dunkle Ebenbild, machte das Paar perfekt.
Wie ihre Adoptivtochter, hielt sie einen Stab in ihren Händen, der die Frau fast überragte. Anita hoffte inständig, sie hatte nicht vor ihn gegen die Mädchen zu schwingen, sobald diese vor der Tür standen.
Dabei gab Suse das wirkliche Bild einer sexy Hexe ab, wie sogar die Mädchen gestehen mussten, als sie vor der Tür standen. Martin an ihrer Seite, hatte sich ein künstliches Vampirgebiss über die Zähne gestülpt um vor ihnen mir aufgezogenem Dialekt den Grafen Dracula zu mimen.
Anita verdrehte die Augen und kaum waren die vier neugierig über die Schwelle getreten, um ihre Halloweendekoration zu betrachten – neben ihrem Geburtstag liebten die beiden den Tag besonders deswegen – da drängte Anita auch schon zum gehen.

Hinter der geschlossenen Tür nahm Martin das Gebiss aus dem Mund.
„Bin ich in den letzten Jahren wirklich so uncool geworden?“, wollte er von seiner hübschen Hexe wissen.
„Ach nein, Schatz!“, sagte Suse und schenkte ihrem Mann einen Kuss auf die Wange. „Es sind die Kids, die falsch liegen.“
„Ich bin Hoffnungslos“, schloss Martin.
Suse trat durch die Wohnung zum Fenster, um noch einen letzten Blick auf Anita zu werfen. Sie lächelte, kurz bevor die Mädchen hinter einem der Häuser verschwanden.
Hinter sich spürte sie Martin, dessen Körper sich nahe an den seiner Frau drückte, sie in eine Umarmung einschloss.
„Du hast Recht, diesen Abend wird Anita nicht mehr vergessen.“

Mara warf so manchen Blick auf das Mädchen neben sich. Dabei oft ein Lächeln auf den Lippen, das Anita dort nicht erwartete. Nicht nach allem, was sie besonders durch sie erleiden musste.
Konnte sie sich wirklich so geändert haben, um Anita in ihrer Gruppe zu dulden? Sie wollte daran glauben, flehte darum, alles möge nicht irgendein Trick sein.
„Wieso bittest du deine Mutter nicht öfters, dir beim schminken zu helfen?“, erkundigte sich Mara. „Das sieht echt klasse aus.“
„Suse ist nicht meine Mutter“, rief Anita verlegen. Egal wie sie sich aufopferte. Es gab nur eine Frau, die Anita je Mutter genannt hatte. Vielleicht auch aus Angst um einen weiteren schmerzhaften Verlust, hatte sie es nicht erlaubt sie als ihre Mutter zu betiteln.
Suse und Martin akzeptierten es beide, oder hofften eher, sie würde irgendwann doch in diesem Haus ein richtiges Heim finden.
„Wie auch immer, es sieht toll aus. Das wird der Hit.“
Anitas Wangen röteten sich. Für einem Moment wurde sie vom einem warmen Gefühl umspült. Wie die Wellen eines karibischen Meeres bei seichter Brandung.
Darüber hinaus bemerkte sie nicht, wie sich das Mädchen an ihrer Seite zurück fallen ließ. Ein kurzes Raunen ging durch die Gruppe, ehe Mara wieder zu Anita aufschloss.

Von außen wurde das Haus festlich geschmückt. Passend zu Halloween mit einigen Kürbissen auf den Sockeln des stählernen Gartentors.
Normalerweise sollte es unbefugte abhalten. Jetzt stand es für alle offen. Nicht nur das, einer der Jungs erleichterte sich gerade am Gitter, was so früh am Abend schon auf sehr viel schießen ließ.
Anita hob ihre linke Hand vor dem Blick zur Seite, um das nicht mit ansehen zu müssen, genau wie Mara. Die anderen drei Mädchen stießen einige beleidigende Worte aus. Eine zückte sogar ihr Handy. Morgen würde dieser Eindruck von der Party in ihrem Blog stehen.
Auch das Haus, besonders die Fenster erstrahlten in einem Halloweencharme, der weniger Grusel versprach. Wie das Tor, stand die Eingangstür in einer lauten Einladung offen.
Von drinnen drangen wummernde Bässe und eine laute Partystimmung, die sicher bald ein Polizeiauto vor die Tür rufen würde.
Sie war heute hier, um sich zu amüsieren, rief Anita sich in Erinnerung. Also Augen zu und rein, in das drängende Treiben, das für die Organisatorin womöglich morgen zu einem großen Problem werden würde.

Wie außen, ging die Dekoration im inneren weiter. Dazu wurde sie hier fast in eine andere Welt gerissen, bei der sich Anitas Augen weiteten.
Die Kostüme waren bunt gemischt. Ein Werwolf stand neben einem Skelett und die Organisatorin der Party ging als Baumelfe. Aufwendig hergestellt, mit zum Teil durchsichtigen Stoff in Grüntönen.
Neben alt bekannten Monstern, fand man hier Wesen der neueren Literatur oder Medien.
Ein Witzbold hatte sich als ein bekanntes Computerlogo verkleidet. Eine Vampirin demonstrierte gerade, dass man das Kostüm nicht einfach weg legte, sondern verspeisen konnte.
Verlegen wandte sich Anita von dem Pärchen ab und verschwendete nur ein paar Gedanken auf die Frage, aus was diese Schöpfung hergestellt wurde. Kurz darauf wanderte ihr Blick weiter neugierig im Zimmer umher.
Und tatsächlich, befand sich, wie die Mädchen sagten, sogar ihr Klassenkamerad Andrew auf der Party.
„Sprich ihn doch an“, meinte zuerst Sofie, die ihren Kopf fast auf Anitas Schulter legte.
Und zwischen all den Leuen befand sich sogar ein Junge, bei dem sich Maras Blick sofort verzückt zeigte.
Sie mochte mit ihrer Clique echt viel Respekt genießen und nicht nur Anitas Beine ins Zittern bringen, sie war eben auch noch ein Mädchen und traute sich nicht näher, als ihn aus der Ferne zu bewundern. Diesen Jungen, der hier echt heraus stach.
Nicht wegen einer eindrucksvollen Kostümierung. Eher Schlichtheit bestimmte es. Sein wild gestyltes Haar, mit dem er früher auf dem Schulhof so manchen Blick auf sich zu ziehen wusste.
Seine Kleidung war dunkel gehalten und glich eher normaler Straßenkleidung als ein Kostüm.
Noch ungewöhnlicher war eben Maras Schmachten. Dass ausgerechnet sie einen Funken von Menschlichkeit zeigte, die sonst eher kühl auf einen herunter blickte.
Hier waren sie wohl alle nur Mädchen.
Als Anita die Aufmerksamkeit wieder dem Jungen zuwandte, führten ihn seine Schritte auf sie zu.
„Oh Gott“, rief Mara, ihren drei Freundinnen zugewandte. „Er ist einfach ein Traum.“
„Nur schade, dass er nicht mehr auf der Schule ist“, sagte Julia. „Mein Bruder meint, er habe den ganz großen Fisch an Land gezogen und eine Ausbildung bei irgend so einer großen Firma gefunden. Aber mehr konnte er nicht sagen.“
Das Mädchen mussten sie ein hysterisches Kreischen unterdrücken. Die Schritte des Jungen, er mochte 17 sein, vielleicht sogar 18, führten ihn ausgerechnet zu ihrer Gruppe, aus fünf Mädchen.
„Hallo die Damen“, rief er mit einer Kühle, passend zur kommenden Novembernacht.
„Hi“, rief Mara übertrieben lang gezogen und drängte sich an Anita vorbei, damit sie direkt vor ihm stehen konnte.
Nicht nur das. Freundschaft war wirklich kein Punkt auf der Karte, die beide verband. Mara stieß sie ja regelrecht fort, aus der Bahn, weg von dem hübschen Jungen.
„Du heißt Jamie? Ich habe dich oft bei Spielen beobachtet. Es heißt, du hättest aufgehört.“
„Ich spiel schon noch“, gab er zu. „Manchmal mit meinem ehemaligen Team aber ich bin nicht mehr beim richtigen Training dabei. Ich finde einfach keine Zeit mehr dafür.“
„Und was soll dein Kostüm darstellen?“, tastete sich Anita vorsichtig an ihn heran. Vielleicht war sie auch zu forsch.
Für einen Moment duckte sie sich unter dem giftigen Blick von Mara, der nun ganz die Freundlichkeit von zuvor verloren hatte. Sogar mit Hass anschwoll, nachdem sich der Junge Anita einen Schritt näherte.
„Ein Hexer, jedenfalls meine Version davon“, rief er mit tiefer Stimme. „Oder denkst du, die laufen mit langem Kleid und weißem Vollbart herum?“
Anita konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, das ihm sichtlich gefiel.
„Hey, da unsere Kostüme so gut zueinander passen, wie wäre es mit einem Tanz?“
„Ich?“
Der Junge ließ ihr noch nicht einmal eine Möglichkeit selbst zu wählen, sondern zog sie einfach von der Gruppe aus vier Mädchen fort. Und das, wo sie die neu gewonnene Freundschaft zu Mara nicht gefährden wollte.
Sie bereute nur kurz.
Jamie mochte älter als sie sein, sein Charakter funkelte aber von einem angenehmen Schein, in dem sie sich wärmte. Im Tanz und späterem Reden vergaß sie alles um sich herum.

Das Mädchen beobachtete die beiden ganz genau. Den hübschen Jungen, im so dunklen Auftreten, umhüllt von einem Hauch Geheimnis, wie es ihr schon auf dem Schulhof auffiel. Dann das junge Mädchen daneben, das in dieser Position eher falsch wirkte.
Dieser Trampel, der nur heute ein wenig Glamour ausstrahlte, sonst aber eher ihren tristen Charme mit farbloser, unscheinbarer Kleidung betonte.
Heute mochte sie einen funkelnden Schein haben, aber den würde sie früh genug zertreten.

In das Bild des Pärchens trat ein groß gewachsener Junge, der seit diesem Jahr nicht mehr zu ihrer Schule gehörte, wie auch Jamie.
In einer Hand hielt er eine Tüte Süßigkeiten. Beute der letzten Nacht. Weniger beim von Haus zu Haus gehen, eher hatte er sie einem der Kids abgenommen. In seiner anderen Hand lag eine Bierflasche.
Die Maske seines Kostüms war in seinen Nacken gerichtet. Der dunkle Mantel und die skelettierten Hände zeugten noch davon, dass Julia mit ihrer Erzählung vom Tod auf der Türschwelle gar nicht mal übertrieben hatte.
„Hey!“, sprach sie den Jungen an. „Wir planen für später etwas, hättest du Interesse.“
Der ältere Junge, den nur knapp ein Jahr von seiner Schwester trennte, stand zwar eher im Sinn eines der jungen Dinger abzufüllen, um sie später irgendwo hin zu locken, wo sie ungestört waren. Als Mara ihm ihren Plan offenbarte zuckte er nur mit den Schultern.
„Wieso nicht?“, meinte er und nippte an der Flasche. Kurz darauf platzierte er diese, sowie seine Last unter einem der Tische. Erst nachdem er den Inhalt seiner Taschen kurz überprüft hatte, folgte er der Anweisung des Mädchens.

Mit Jamie zu reden war einfach wundervoll. Er war ein netter Junge, kein Wunder, dass Mara von ihm schwärmte.
„Du gingst früher auf unsere Schule?“ Sicher in der gleichen Klasse wie Julias Bruder. Daher verwunderte es Anita nicht, dass er dem jüngeren Mädchen auffiel.
Klar begegnete man sich in der Schule. Jamie fiel auf. Ihn zu beachten, gar anzusprechen, kam ihr bisher nie in den Sinn.
Er nickte.
„Ich habe noch während meiner Schulzeit einen gute Ausbildungsplatz gefunden. Es ist angenehm dort, auch wenn ich mich manchmal, wie der persönliche Diener meiner Vorgesetzten fühle. Dabei meinte ich früher, Büroarbeit wäre nicht mein Fall. Ich wollte eher versuchen mit dem Fußballspielen einen guten Platz zu finden.“
Anita konnte nicht anders. Sie lachte laut auf.
Jamie war nun wirklich kein Typ, den man sich gut in einem Büro vorstellen konnte. Zugeknöpft mit Hemd und Krawatte. Da passte ihm diese dunkle, wilde Kleidung viel eher.
„Und deine Chefin? Ist sie sehr streng?“
Der Junge wollte ihr gerade antworten, da platzte Mara mitten ins Gespräch.
Zuerst wanderte ihr Blick auf Jamie, als er zu Anita schwang, konnte man für einen Moment nur das eisige Blau ihrer Augen erkennen. Ein kühler Dolch, der in dem Herz der Anderen steckte.
Doch sofort trug sie wieder ein Lächeln auf ihren Lippen.
„Ich muss kurz mit dir reden“, sagte Mara und zog Anita mit sich.
Noch immer fühlte es sich an, als würde ein Dolch aus Eis in ihrem Herz stecken, der plötzlich zersprang,
„Sehen wir uns später noch einmal?“, rief Jamie über die Kids hinweg, die sie jetzt trennten. „Ich würde dich gerne nach Hause begleiten.“
Maras Griff schloss sich schmerzhaft fest um ihren Arm.
„Hey“, beschwert sich Anita in sanftem, fast schon unschuldigen Ton.
Sie konnte nicht verstehen, was in Mara vorging. Mara schwärmte für Jamie, was mehr als deutlich wurde. Er war sogar frei. Eine Freundin zu finden, daran dachte der Junge jedoch nicht. Im Moment gab es für ihn nur diese Chefin, die ihn manches Wochenende kostete.
„Ich wusste, dass du nicht den Mut aufbekommst Andrew anzusprechen, deswegen habe ich es getan“, sagte Mara in einem vertrauten Ton.
Genau jetzt wäre Anita am liebsten geflohen.
Es stimmte, dass sie von ihrem Platz aus, öfters zu Andrew sah. Und ja, er war recht süß.
Aber verdammt der Typ streckte seinen Kopf immer so hoch, dass sie nicht umher kam, ihn anzustarren, oder eher an ihm vorbei, um etwas auf der Tafel erkennen zu können. Das hatte rein gar nichts damit zu tun, dass sie in ihn verliebt war.
Wie kam Sofie überhaupt auf solch eine Idee?
Da gab es tatsächlich kleine Gesten, die sie verräterisch aufgenommen haben könnte.
Kleine Briefchen, die sie dem Jungen heimlich zusteckte. Kurze flüsternde Worte.
Für alles war sie die Vermittlerin.
Was tat sie nicht alles für andere? Sollte ihr das jetzt zum Verhängnis werden?
„Kann ich nicht einfach zurückgehen?“, wollte Anita wissen.
„Ja klar, zu Jamie“, rutschte es der anderen heraus. Ein Ton, der bei Anita durch jeden Knochen fuhr.
Mara glich einer Bestie, für die ein einziges falsches Wort oder eine einzige Geste fehlte, damit sie auf ihr Opfer sprang. Und das ausgerechnet, wo es in der letzten Zeit so gut zwischen ihnen lief.
Deswegen folgte sie ab jetzt nur stumm.
Zuerst zu der Gruppe aus drei Mädchen, dann hinaus aus dem Haus.


Zur Fortsetzung der Geschichte!


Impressum

Texte: Bild von moonchild-ljilja (deviantart.com)
Tag der Veröffentlichung: 31.10.2010

Alle Rechte vorbehalten

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