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Meine Geschichte beginnt nicht mit einer ruhmreichen Tat. Nein das bin ich ganz sicher nicht. Gesindel, würde man Leute wie mich betiteln. Als ein Dämon werde ich auch oft benannt. Der einen Packt mit dem Teufel geschlossen hat.
Dabei hat die Wahrheit nichts mit Zauberei oder einem düsteren Packt zu tun. Sie ist viel simpler und zeugt von einem Willen, so unbeugsam wie die eisernen Wellen des entfesselten Sturms.
Und der Stein dazu wurde gelegt, als noch nicht einmal mit meiner Existenz zu rechnen war. Mit einem Jungen, ehrgeizig wie jeder in unserer Familie.

Dieser Junge wollte nicht einfach nur leben, er suchte das Abenteuer.
Ganz früher in seiner Kindheit waren es normale Dinge dieser Tage. Einfache Entdeckungsreisen, belächelt von den Eltern, bis sie vergebens auf eine Rückkehr warteten.
Auf einer dieser Wege entdeckte er den Ankerplatz von Seeräubern.
Er dachte sich nichts bei dem Schiff, dessen Segel gerafft waren. Der Wind war verebbt und unten am Strand saßen nur wenige Männer vor einem gefüllten Wasserfass. Sie spielten Karten. Wohl in warten auf ihren Kapitän.
Wieso sie das hier machten und nicht drüben im Hafen?

fragte er sich und schob mit seinen Händen die Blätter eines der Büsche beiseite.
Und erst da erkannte er sie. Die dunkle Flagge oben am Mast. Vom Wind nur schwach bewegt.
Ein ängstlicher Schrei stieß aus seiner Kehle, erstickt von der Hand, die sich zitternd darauf legte. Er wusste, dass er fort musste. Nach Hause oder ins Dorf, die anderen warnen.
Der verräterische Schrei löste sich erst nach einem Schritt zurück. Etwas war hinter ihm; nein jemand. Ein Mann der den Knaben an den Armen packte.
Durch die wogenden Äste seines Versteckes konnte er die Männer am Strand erblicken. Auch ihnen blieb der Schrei nicht verborgen und je näher sie kamen, umso verzweifelter wurden seine Bewegungen, Tritte und Schläge gegen den großen Mann in seinem Rücken.
Diesem war die Last zu lästig. Er stieß ihn von sich fort, hinaus aus dem Dickicht, in das offene Gelände und die Sicht seiner Kameraden.
„Wen hast du denn da?“, wollte einer der Männer wissen, den Blick interessiert auf den Jungen gerichtet.
„Einen neugierigen Gast“, meinte der andere lachend. „Mal schauen, was der Kapitän von ihm hält.“ Er hockte sich zu ihm herunter und entblößte dabei seine schrägen Zähne.
Genau so wie diesen Mann stellte er sich Seeräuber vor. Hässliche Gesellen, ausgestoßen vom ehrbaren Leben. Gesetzlose. Räuber. Mörder!
„Vielleicht sollten wir ihn mitnehmen“, meinte der Mann, dessen Gesicht sich seinem ganz nah schob, dass dem Jungen dessen scharfer Atem entgegen wehte. „Bringen wir ihn an Bord. Unsere Galionsfigur muss doch einsam sein.“ Grinsen offenbarte sich nicht nur auf seinen Lippen, sondern auch die der Kameraden. „Oder hängen wir ihn einfach auf!“
Angst nagte an ihm. Unter den heftigen Schlägen seines Herzens wurde die Brust ganz eng.
Das konnte nicht stimmen! Das musste ein Scherz sein!
Er krabbelte schnell zurück. Nur weg von diesem furchtbaren Gesindel. Nach Hause zu Mutter und Vater. Dort gehörte er hin.
Er richtete sich auf, doch noch ehe er einen Schritt auf den Boden aufsetzte spürte er schon einen scharfen Stoß am Rücken. Ein weiterer traf den Knaben im Gesicht, der warm seine Wange ausfüllte. Vielleicht sprang darunter auch seine Haut auf, er konnte es nicht sagen. Einzig ihre Schläge spürte er, bis ihn die Ohnmacht einholte.

Hängen wir ihn einfach auf!

Das sagte der eine Mann und der Junge meinte, es möge ein Scherz sein. Doch wie ernst der Mann es meinte, erkannte er erst, nachdem die Ohnmacht ihn aus ihren eisigen Klauen frei gab.

Dem Kapitän blieb das Interesse von fünf aus seiner Mannschaft nicht verborgen, die wider seiner Anordnung doch immer mal einen Blick den Bug der Galeone hinab wagten.
Er dachte sich zuerst nichts dabei. Keiner aus seiner Mannschaft fehlte. Also konnte es keine missglückte Wette sein oder irgendeine andere hirnrissige Idee, mit der so mancher sich die Zeit auf See vertrieb.
Aber er wurde doch neugierig und begleitet mit ein paar der Männer, die ebenfalls vom Treiben angelockt wurden, warf er einen Blick hinab.
Die Verursacher von allem, traten unter dem strengen Blick ihres Kapitäns reumütig den Rücktritt an. Ihre Kameraden jedoch verzogen amüsiert von dem Anblick die Lippen.
Über die Reling wurde ein straffes Seil gebunden, dass manchmal, wenn die Finger ihren Halt verloren, hilflos hin und her schwangen. Dabei immer drohend bei jedem zu heftigen Seegang dem Gewicht einen Schwung der harten Wellen zu verpassen.
Der Knabe, vielleicht gerade 14 Jahre alt, grub jetzt wieder seine Nägel Halt suchend ins Holz.
So langsam verließen ihn seine Kräfte.
Zitternd hing er dort, die Füße in einer Schlinge nach oben gezogen, der Kopf nahe dem Wasser.
Er mochte versucht haben, sich zu befreien oder nach oben zu klettern. Zu beidem fehlte ihm jetzt die Kraft. Genau wie ihn seine Finger auch nicht mehr oben hielten.
Sie glitten an dem feuchten Holz hinab, wo er wieder mit dem Kopf nach unten zu hängen kam.
Eine starke Welle rollte an und stürzte den Jungen in einen Schwung des kühlen, salzigen Wassers.
„Macht endlich Schluss!“, befahl der Kapitän streng, der nichts an dem Spiel so amüsant fand, wie diese fünf Männer.
Mit einem einzigen Schlag seines Schwertes durchtrennte er selbst das Seil.
Der Junge fiel hinab ins Wasser und wurde dabei einfach von den Wellen und dem Schiff verschluckt. Erst Backbord wurde er wieder an die Oberfläche getragen.
Es war zu viel für den Knaben. Nur noch kurz konnte er die Arme nach oben strecken, da sank er schon ohnmächtig ins Wasser.
„Holt ihn raus!“, ordnete der Kapitän an. Was auch immer sich die Fünf dabei gedacht hatten, so sollten sie sich jetzt um den Jungen kümmern. Ihm seine Arbeit zeigen und im Schwertkampf leeren.

Zuerst sträubte sich der Junge. Doch schon bald zeigte er sich als talentiert und ehrbar. Er gewann sogar die Zuneigung des Kapitäns und der Mannschaft. Später sollte er sie anführen und zu ruhmreichen Schlachten auf Land und See führen.

Dieser Junge war der erste in einer Linie großer Piratenkapitäne.
Ich gehe aus der fünften Generation hervor. Und auch wenn ich es hasste, meinen Vater so weit weg zu wissen. Sehend aufs Meer zu schauen, im Wunsch, er möge wohlauf zurückkehren, genau wie meine Mutter, so gab es für mich kein erstrebenswerteres Ziel als in seine Fußstapfen zu treten.
Ein eigenes Schiff zu finden, fort zu segeln und irgendwann ein Mann zu sein, den er mit Stolz seinen Sohn nennen konnte. Ein Pirat, wie er, als Kapitän eines großen Schiffes. Oder vielleicht sogar in Führung einer eigenen Flotte, das würde wohl nur die Zeit zeigen.
Ich wuchs versteckt vor allen möglichen Feinden auf. Lernte dort Nautik und den Schwertkampf.
Meine Mutter sah nicht gerne dabei zu. Sie wünschte sich wohl, die Linie zu durchbrechen, ihm keinen Sohn zu schenken, sondern eine Tochter.
Wie schmerzhaft musste es für sie sein, als sich dieser Wunsch dann doch noch zu erfüllen schien.

Schon mit Zwölf war ich ein ausgezeichneter Schwerkämpfer. Egal welches Gelände, ich fand in allem einen sicheren Punkt und sah Vorteile für mich, die sogar meinen Vater beeindruckten.
So wurde er es auch, der an diesem einen Tag mit mir kämpfte.
Neben uns schlug die Brandung an die Klippe. Ein wundervolles Gefühl. Die Seeluft auf der Haut zu spüren, die hier von ganz weit unten hinauf getragen wurde. Meine Kleidung wallte im Sturm, zog und zerrte an mir. Aber nichts konnte mich in dem Kampf mit meinem Vater zügeln.
Nicht einmal die besorgte Stimme meiner Mutter, die uns beide ins Haus rief.
„Nur noch ein paar Minuten“, vertröstete mein Vater sie ein drittes Mal. Und er hätte es auch ein viertes Mal getan.
Meine Augen brannten. Ich schob es auf die Seeluft und missachtete das Zeichen. Lieber führte ich den Trainingskampf mit meinem Vater aus.
„Solltest du jemals einen Kampf betreten, wird dein Gegner kaum eine Chance bekommen“, prophezeite mein Vater voller Stolz. Und doch wollte er mich nicht schon jetzt auf See wissen.
Ich würde wohl von zuhause fort gehen müssen, um den Weg zu wählen.
Den nächsten Schlag meines Vaters wehrte ich ab, um dann nach vorne los zu stechen.
Der Blick vor mir verschwamm einen Augenblick, so dass ich den Angriff abbrach. Ein kleines Zeichen von Schwäche, dass der große Piratenkapitän gerne ausnutzte, um seinen Jungen einen kurzen Schlag auf den Rücken zu verpassen.
Nur eine kleine Rüge. Nichts, das man groß beachtete.
Und auch ich sprang sofort auf meinem Vater los. Ich wollte keine Schwäche zeigen und meine Augen mochten nur überanstrengt sein. Womöglich wurde ein Staubkorn vom Wind hinein geweht.
Ich blinzelte alles weg. Für einen Moment wurde alles klarer. Ich griff wieder an, mit Meinung festen Tritt zu haben.
Mein Vater wich dem aus, zu spät erkannten er, wie nah wir der Klippe gekommen waren und meine Füße fanden auf dem Grün keinen Halt mehr, wie mir meine Augen vorgaukelten.
Ich stürzte. Mein Vater konnte mich auch nicht mehr halten. Das Letzte was ich wahrnahm waren die Fluten, in die ich hart hinein stürzte. Kurz darauf verlor ich das Bewusstsein.

Noch war ich nicht tot. Ich spürte ganz deutlich wie ein schwerer Verband um meinen Körper drückte, fast gänzlich durch den warmen Schmerz verdeckt.
Verdammt, ich fühlte mich, als wäre jeder Knochen in meinem Leib zerbrochen.
Meine rechte Hand tastete nach oben, zu dem verweinten Gesicht meiner Mutter. Sie war glücklich mich lebend wieder zu haben. Dann war da mein Vater, der meine Hand in seine schloss.
Es war wundervoll, beide an meiner Seite zu wissen. Mutter und Vater. Und ich nahm mir vor, ganz schnell wieder gesund zu werden, damit ich meinen Traum erfüllen würde.

Die nächsten Tage grämten meine Eltern.
Mutter hatte gewünscht ihr einziges Kind nicht an das Meer zu verlieren und doch sah sie auch nicht ein, wieso mein Traum so einfach zerstört werden sollte. Vater verzichtete ganz auf die Rückkehr zum Schiff. Dabei drängte ich, er solle nicht alles wegen solch einen dummen Unfalls aufgeben. Es braucht nur wenig Zeit, dann würde alles wieder in Ordnung kommen.
Ich könnte noch immer der Kapitän eines Schiffes werden, wenn nur mehr Zeit verging, damit sich mein Körper erholte.
Es sollte nicht so kommen. Niemals würde ich mich erholen. Niemals könnte ich an Bord gehen und dort unter Piraten dienen, sagen alle. Für sie war ich ab diesem Unfall nur noch der bemitleidenswerte Krüppel. Nichts weiter.
Und wenn sie es nie offen zur Schau stellten, teilten meine Eltern diese Meinung.
Aber mein Wille blieb trotz allem ungebrochen.

Jeden Tag ging ich raus, schwang mein Schwert und übte, wie früher. Noch härter sogar. Ohne unterlass, egal wie oft ich stürzte oder mich verletzte. Ich wollte – musste – weitermachen wie bisher.
Auch mit der Beeinträchtigung arbeitete ich weiter an meinem Traum.
Meine Eltern sahen dem gegrämt zu, sagten sogar, ich solle es sein lassen. Doch jeder kleine Fortschritt gab mir Hoffnung. Und es gelang mir sogar ein einziges Mal meinen Vater im Zweikampf zu schlagen.
Ich wusste, er lächelte an dem Tag und er war froh, einen so starken und mutigen Sohn zu haben. Auch wenn sich meine Dummheit ebenso nicht verbergen ließ.
Es kam für ihn nicht einmal überraschend mein Bett am nächsten Morgen verlassen vorzufinden.
Meine Reise begann und ich wollte nicht eher zurückkommen, als dass ich meinen Traum erfüllt wusste.

Mein erster Halt war der Hafen. Dort heuerte ich auf einem der Schiffe an. Zu diesem Zeitpunkt war ich 15.
Meine Behinderung verheimlichte ich unter einem Tuch aus Schweigen. Es funktionierte sogar. Jedenfalls eine Zeit lang. Meine Patzer wurden als Ungeschicktheit abgetan. Sie hofften, es würde nach einer Weile schon besser werden. Sie behielten Recht.
Auf dem Schiff lief alles glatt, nur an Land zeugte ich von einer recht ungeschickten Art. Es störte weiter niemanden. Und für mich hätte das auch so weiterlaufen können.
Doch ich war jung. Bei jedem Landgang, folgte ich den Männern in die Schänke. Ließ mich vom Alkohol berauschen und von so mancher Dame bezirzen.
Es war ein Fehler, mich genau denen so zu offenbaren. Ihnen meinen Fehler erkunden zu lassen. Viele von ihnen schwiegen, nur eine reichte aus, dass mich am nächsten Morgen im Hafen die wissenden Gesichter der Matrosen erwarteten.
Trotz des Verrates ließen sie mich mit an Bord kommen und schwiegen vor dem Kapitän. Die plötzlich eisige Stimmung mir gegenüber, ließ aber keinen unberührt.

Die Arbeit auf dem Schiff wurde seit jenem Tag härter. Aber ich ließ mich nicht unterkriegen. Nicht durch Schlägereien oder kleine Hindernisse, die sie mir bei jedem Schritt in den Weg legten.
Der Kapitän sah sich das nicht lange mit an.
„Klär das!“, forderte er mich auf. „Oder verlass das Schiff!“
Letzteres wäre den Kameraden sicher angenehmer, dachte ich und wusste auch, mein verdammter Stolz würde das nie zulassen. So blieb ich, raufte mich zusammen und sagte nie einen Ton der Beschwerde. Behielt die kleinen Sticheleien für mich. Hob mich ebenfalls auch nicht hervor.
Alles lief gut. Sogar meinen Traum, der mich auf See geführt hatte, verlor ich aus dem Blick, bis ein lauter Ruf durch jede Planke des Schiffs fuhr.
„Piraten!“
Ein Piratenschiff lag vor uns, hoffend auf lohnende Beute.
„Du bleibst hier!“, weißt mir einer der Matrosen schroff an. „Wir brauchen Männer dort oben, keine Krüppel.“
Also blieb ich zurück. Stahl mich ihnen nach, aber rührte mein Schwert nicht an, obwohl sie dort alle Leute brauchten, die zur Stelle waren. Und alles nur für eine Ware, die kein Menschenleben wert war.
Die Piraten erfuhren ganz schnell, dass sich hier keine Beute machen ließ. Der Eigentümer dieses Schiffes hatte sich mehr Profit erhofft, als es letztendlich abwerfen würde. So ließen die Piraten nach kurzem begutachten unserer mageren Waren, die nur aus ein paar Tüchern bestand, eine geschlagene Mannschaft zurück.
Unbemerkt der Leute an Bord schlich ich langsam die Reling entlang, bis zu einem der Taue, mit der sich die Piraten eine Brücke zwischen den Schiffen errichtet hatten.
Ich wusste, ein falscher Tritt, schon würde ich im Meer wohl niemanden haben, der mich heraus fischte.
Schon gar nicht von der Mannschaft des Handelsschiffes. Die Piraten? Vielleicht, aber darauf wollte ich zu dem Punkt nicht hoffen.
Und wenn mich jemand bemerkte, würde ich wohl wieder auf das Handelsschiff gezerrt werden.
Zu meinem Glück fochten die beiden gegnerischen Kapitäne kein Gefecht mit den Schwertern aus, sondern nutzten laute Worte. Eine Beleidigung folgte der nächsten. Für alle Männer ein amüsierendes Schauspiel, von dem sie nichts verpassen wollten.
So tastete ich mich vorsichtig, bedacht darauf keinen Laut durch einen falschen Tritt von mir zu geben, zu den Seilen vor, die hier in einem Strang hingen.
Ich hievte meinen Körper auf die Reling.
Ein Seil wurde zum Tritt befestigt, das andere für die Hand.
Meine Hand tastete genau nach dem, erst danach setzte ich vorsichtig einen Fuß auf.
Beide Schiffe zogen aneinander. Sie näherten sich, nur um wieder von einander abgestoßen zu werden, so wie die Wellen befahlen. Und jede dieser Bewegungen ging durch das gespannte Seil.
Ganz anders, als bei meinen Balanceübungen zuhause.
Aber ich musste vorwärts. Vorsichtig, um nur ja nicht nach unten zu stürzen, wo sich die Wellen wild an den Rümpfen brachen. Würde ich dort hinunter stürzen, gäbe es vielleicht keinen Weg mehr aus den Fluten. Oder ich würde zwischen den Körpern der großen Schiffe zerquetscht werden.
Ein Windstoß fuhr zwischen beiden Schiffen hindurch und riss mich, kaum dass ich die Mitte erreichte, mit sich.
Instinktiv klammerten sich meine Finger schmerzlich fest an das Seil. Sie zitterten, wollten sich nicht zum lösen bewegen.
Das erste Mal in meinem Leben zweifelte ich an meiner Wahl.
Ich hatte es nicht kurz nach dem Unfall, als alle mir einreden wollten, mein Traum sei zu Ende. Aber hier an dieser Stelle, wollte ich fast glauben, die Mannschaft des Handelsschiffes hätte Recht. Mein Platz sei an Land. Irgendwo, wo ich keinen Ärger bekommen oder machen könnte.
An diesem Punkt könnte ich sogar umdrehen.
Nicht in den Fußstapfen meines Vaters, sondern ein elender Krüppel. Ohne dieses Hindernis könnte ich vielleicht meinen Traum erfüllen. Das hier – ich in den Seilen, mit dem Wunsch ein Piratenschiff zu betreten –, das war ein Witz.
Diese Gedanken pickten an mir, wie ein Rabe an für ihn schmackhaftes Aas.
Genau wie ein solcher, verscheute ich diese Gedanken.
Ich bin genau an diesen Punkt gekommen, nun sollte ich weiter gehen. Einfach einen Schritt nach dem anderen. Erst auf die Reling des anderen Schiffes, dann auf die Planken davon.
Also riss ich meine Hand um das Seil los und setzte meinen Weg fort.
Wenn ich es nicht einmal versuchte dort Anerkennung und einen Platz zu finden, ja dann sollte ich es lassen. Aber ich hatte den ersten Schritt schon getan, also konnte ich auch weiter gehen.
Ohne zurück. Ohne Bedauern. Ohne Zweifel.
Ich wurde für das Leben auf See geboren und erzogen. Und wie so mancher meiner männlichen Vorfahren wünschte ich es mir, seit frühster Kindheit. Nicht wegen meines Vaters, sondern alleine für mich!

Nur noch ein Schritt trennte mich von dem Beginn der Erfüllung all meiner Wünsche. Nur noch einer auf die Planken des Decks. Doch kaum dass ich ihn tat, lag auch schon ein altes, rostiges Schwert an meiner Kehle.
„Bursche, was denkst du dir eigentlich?“, rief mir der grimmige Pirat mit Händen, stark wie ein Hammer, zu.
„Ich will auf diesem Schiff anheuern“, preschte es in all meinem Selbstvertrauen hervor. Von den eben noch nagenden Zweifeln, ließ ich mir jetzt nichts mehr anmerken.
Von den Piraten, ich zählte fünf, die auf dem Schiff zurück blieben, kam nur ein trockenes Lachen.
Auf dem Handelsschiff genoss ich nicht gerade das Vertrauen der Männer, so wie hier, das war mir klar. Genau wie ich wusste, dass mich hier eine Prüfung erwartete.
„Beweis es!“, forderte mich einer der Männer auf und warf mir auch schon ein Schwert zu.
Kaum das ich es aufgefangen hatte und der Mann vor mir, das Schwert senkte, schoss es auch schon auf mich zu.
Nur knapp gelang es mir mit einem Sprung nach Rechts auszuweichen.
Es war lange her, dass ich ein Schwert in einem richtigen Kampf in Händen hielt. Manchmal alleine, nachts auf Deck des Handelsschiffes aber nie in einem solchen Zweikampf. Es war ganz anders.
Das spürte ich auch, als die scharfe Klinge durch mein Fleisch schlug. Links meinen Arm entlang.
Ich verbiss mir den heißen Schmerz, der durch die Stelle fuhr. Ließ mir nichts anmerken, nicht einmal in den Zügen. Wartete nur auf den Angriff, dem ich zuerst nach hinten auswich.
Seine Schritte donnerten schwer über die knarrenden Planken. Er mochte kräftig sein, aber nicht so flink wie ich.
Hinter mir spürte ich das Holz des Mastes im Rücken.
Ein Schritt, lauschte ich. Noch ein Schritt. Erst dann duckte ich mich und setzte zu einem Sprung zur Seite an, um einen weiteren Hieb zu entkommen. Sofort schoss ich hoch.
Mit einem lauten Knall trafen beide Schwerter aufeinander.
Ich hätte ihm eine Wunde zufügen können, wie er mir. Aber was würde das für einen ersten Eindruck machen? Dafür begnügte ich mich lieber über den Klang, als das Schwert neben uns auf dem Boden aufkam.
Somit hatte der Gast an Bord gesiegt.
Eine Weile war Ruhe. Nur ein missmutiges Keuchen in dem er meinen Sieg verfluchte kam von meinem Gegner. Dann ein plötzliches aber langsames Klatschen.
„Bravo!“, rief ein Mann, der sich zuvor noch mit dem Kapitän des Handelsschiffes stritt. Jetzt lösten sie die Taue, nachdem der letzte Mann an Bord gekommen war.
Noch ehe ich das Schwert niederlegte, wurde auch schon wieder fahrt aufgenommen.
„Ein wirklich toller Kampf. Wenn du dich uns anschließen willst, nehmen wir dich gerne auf. Junge.“
Dieses Versprechen war für mich so schön, wie die wärmende Sonne auf See nach einem finsteren Sturm. Und wie diese, so schenkte es mir hier Hoffnung.

Gerade dem Handelsschiff abtrünnig geworden, begrüßten mich hier Misstrauen und kühle Gemüter. Hier war ich der Neuling und würde mich beweisen müssen. Eine Aufgabe, vor der ich mich nicht scheute. Nicht einen Augenblick.
Erstaunt zeigte ich mich vom Kapitän.
Trotz meiner Verschwiegenheit, erkannte er mein Problem fast sofort. In einer Nacht nahm er mich zur Seite, um darüber zu sprechen. Er warf mich nicht wie befürchtet von Bord, sondern teilte es erst danach der Mannschaft mit.
Ab diesem Zeitpunkt war es wie auf dem anderen Schiff.
Mir teilte man nur die leichtesten Arbeiten zu, von den Kämpfen wurde ich ganz ausgeschlossen, oder Landgängen. Dennoch wollte ich nicht aufgeben.
Wie auf dem Handelsschiff trainierte ich nur während ich alleine war. Oder fast. Der versteckte Beobachter blieb mir nicht verborgen, genau wie seine kleine Probe für mich.
Ein Pulverfass rollte auf mich zu. Jede Bewegung verfolgte ich mit meinem Gehör. Schätzte die Zeit ab, bis es meinem Rücken nah genug für einen Sprung kam.
Wie vorgesehen verkündete ein Poltern von treffen an die Wand des Schiffes. Kurz darauf berührten meine Füße wieder das Deck. Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Besucher zu, der mit seinem Schwert auf mich zu eilte.
Jeden Schlag traf ich mit einer Eleganz, wie sie mir in vielen Stunden meines Trainings unterrichtet wurde.
„Du bist gut“, meinte der Kapitän. „Aber meinst du, dass du uns in Kämpfen wirklich eine Hilfe wärst.“
„Finde es heraus“, lautete meine herausfordernde Antwort.
Mein Selbstvertrauen beeindruckte den Pirat und so bekam ich endlich meine Chance.

Gemeinsam mit ihnen focht ich meinen ersten und auch nicht den letzten Kampf aus.
Es gab schon den ein oder anderen Kameraden, der meine Schwäche versuchte auszunutzen. In jungen Jahren gelang es ihnen sogar. Jetzt dagegen bin ich ihnen meist einen Schritt voraus.
Als vollwertiges Mitglied der Piratencrew. Auf Grund meines Wissens um die Nautik und Gefechtsstrategien diene ich dem Kapitän als seine rechte Hand.
Ich trete an den Bug. Meine Hände umfassen eines der Taue, das zum vordersten Segel führt. Der kühle Fahrtwind bläst mir ins Gesicht, die Wellen brechen sich an der Seite des Schiffes.
In meiner Nase kitzelt die salzige Meeresluft. Und auch wenn ich noch kein eigenes Schiff führe, gibt es nichts anderes, was für mich Freiheit bedeuten könnte als hier zu stehen.
Hinter mir herrscht geschäftiges Treiben und doch erlauben es sich drei zu meiner Linken mit einem vollen Krug anzustoßen. Sie fordern mich sogar auf mitzumachen.
Mein Schwert habe ich vor ein paar Jahren abgelegt. Jetzt dient mir ein Stock für den Kampf, in dessen Nähe keiner gerne kommt.
Nur eines fehlt mir zu meinem Glück.
Auch wenn ich gen Westen blicke, kann ich dort nicht sehen, wie die Sonne im feurigen Rot untergeht. Etwas, dass ich verpasse, wie einer der Kameraden schelmisch meinte. Genau wie den Anblick seiner Frau im letzten Hafen.
Mein Augenlicht verlor ich nicht aufgrund eines Unfalls während meiner Zeit hier oder damals in Kindertagen. Es war wohl mein Schicksal, dass es mich so früh verließ.
Nur ein schwacher Funken, der mein Glück mindert.
Dennoch freue ich mich auf jeden Kampf, in dem es mir fast in Perfektion gelingt, trotz der Blindheit meine Kameraden von jedem Gegner zu unterscheiden.
Der Packt mit dem Teufel, wie es auf andere wirkt. Sie sehen nicht das jahrelange Training und kleine Tricks, mit denen ich auch von den Kameraden unterstützt werde. Aber genau das macht es aus. Mein Leben, meinen Traum, meine Legende.

Impressum

Texte: Im Cover verwendetes Bild von flordelys-stock (deviantart.com)
Tag der Veröffentlichung: 20.09.2010

Alle Rechte vorbehalten

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