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Die klare Nacht spannte sich wie dunkle Seide über sie. Keine Wolke war darin auszumachen. Nur die klare dunkle Farbe mit den funkelnden Sternen und einem vollen Mond.
Unter dieser Schönheit erstreckte sich auch ein riesiges Kornfeld. Große Ähren, die schwer ihre Köpfe neigten. Nicht mehr lange und der Bauer hätte sich auf seine Ernte freuen können. Jedoch wurde dieses Feld oft gesät, doch nie hatte es abgeerntet werden können.
Volle, in dunkles Rot getauchte Lippen verzogen sich zu einem finsteren Grinsen. Ihr schlanker Körper zwängte sich durch die Halme, die fast bis zu ihrer Hüfte reichten. Der Wolf neben ihr, verschwand ganz in diesem trockenen Meer.
Wie kleine Wellen, so neigten sich die Ähren zu ihnen, als der Wind hindurch sauste.
Sie hielt ihre Arme während des ganzen Weges zur Mitte hin weit ausgestreckt. In einer liebkosenden Berührung, glitten ihre Finger über die Oberfläche des hellen Meeres.
In der Ferne wurde ein Jaulen zu ihnen getragen. Ein zweiter Wolf. Ihm war die ganze Aufmerksamkeit der Jäger gewiss, die in der Nähe lauerten.
Ein Köder, wesentlich interessanter als ihre eigentliche Beute. Die junge Frau, die auch in dieser Nacht das Feld aufsuchte. Etwas später würde sie ihm beistehen.
Am Ende ihres Weges, glitt ihr Umhang in einer einzigen Bewegung von ihrem Körper, hinunter auf die Ähren, wo es dem Wolf, die Sicht versperrte. Sofort ergriff das Tier den Nachtschwarzen Stoff und zog ihn sich auf den Rücken. Nicht nur, um ihn besser tragen zu können, vorwiegend um Blick auf den jetzt nackten Körper der jungen Frau zu haben, deren Haut so blass und so samten wirkte. Sie erschien ihm wie eine Göttin.
Auf ihrer Brust lag ein grün leuchtender Stein, von silbernen Gliedern getragen.
„Verschwinde hier!“, weißt ihm die Frau an. Ihre Lippen wurden dabei von einem Lächeln umspielt.
Der Wolf an ihrer Seite war kein gewöhnliches Tier, wie sie auch keine gewöhnliche Frau war. Er war ein Werwolf, der sich später sehr angetan von dieser Nacht zeigen würde und ihrem Anblick, von dem er sich kaum abwenden wollte.
„Die Frage ist doch, was dir lieber ist. Mich hier weiter zu beobachten oder doch nicht eher dein Pelz?“
Jetzt endlich löste sich der Wolf aus seinem starren Blick, mit dem er jede freie Stelle ihres Körpers gemustert hatte, die sie ihm offenbaren wollte. Dabei hatte er vorher versucht an ihrem Rücken vorbei noch mehr davon zu erhaschen, das nur in solchen Nächten so offen vor ihm präsentiert wurde und sonst immer züchtig hinter Kleidern versteckt lag.
Den Umhang auf dem Rücken und zusätzlich noch eine Ecke in seinem Maul eingeschlossen, floh er aus dem Kornfeld.
Jetzt war es für die junge Hexe Zeit mit ihrem Zauber zu beginnen.
Ihre Augen, so grün wie das Juwel um ihren Hals, schlossen sich. Die roten Locken ihres Haares folgten dem Wind und umspielten ihr hübsches Gesicht. Jemand anderes hätte es trotz der angenehmen Nacht vielleicht gefröstelt. Ihr machten diese Temperaturen nichts aus.
Eine angenehme Wärme breitete sich allmählich unter ihrer Haut aus, je mehr sie sich konzentrierte.
Am Anfang ihrer Ausbildung war es ihr schwer gefallen, dies zu beherrschen, doch jetzt reichte eine einzelne Berührung der Ähren, dass sich diese Hitze auch auf sie ausbreitete. Ein kleines Feuer entsprang ihnen, dass noch bevor sie ihren Weg zurück zum Ende des Feldes fand und freudig von dem Wolf erwartet wurde, sich zu einem wütenden Meer aus Flammen vergrößert hatte.
Ihr Körper wurde nicht von den Flammen verzehrt. Er war eins mit ihnen. Die Ähren würden in diesem Meer vergehen, wie sie es wollte.
Ihren Blick wandte sie zurück und vor ihren Augen hob sich schemenhaft ein Bild ab.
Eine grüne Weide, auf der früher einmal eine Schafherde friedlich graste. Nicht viele aber es reichte, um die Bewohner am angrenzenden Haus zu ernähren. Dabei musste der Schäfer die Tiere nie weit weg führen. Der Boden war schon immer fruchtbar und bot nicht nur den Schafen ihr reichliches Futter, so dass sie selbst für den Winter genug trocknen konnten. Es war auch noch Platz für ein paar kleine Beete.
Bis vor sieben Jahren, war dies noch so. Doch nachdem der Inquisitor, den Bewohner dieser Hütte losgeworden war, dauerte es nicht lange, bis die Bauern Haus und Scheune niederrissen. Schon im Frühjahr wurde das Weideland bis fast hin zum Wald gepflügt und die erste Ernte gesät.
Seitdem kam sie jedes Jahr zur Erntezeit hierher. Ihr Kampf mit den Bauern dieses Ortes und dem Lehnsherren dieses Feldes. Nie in ihrem Leben, sollte je die Ernte von diesen Feldern eingeholt werden. Nicht nach der Sünde, die für dieses Land begangen wurde.
Die junge Frau stieg aus dem Feld, ohne ein Zeichen für das Feuer, welches noch immer ihren Körper liebkoste. So zärtlich wie der verliebte Blick des Wolfes, dem nun endlich offenbart wurde, was ihm zuvor verborgen blieb.
Eine einzige Bewegung und die Flammen um ihren Körper verebbten, nicht aber auf dem Feld, das nun nur durch ihren Willen am Überspringen auf die Bäume gehindert wurde. Erst als sie sicher gehen konnte, dass jede Ähre geschwärzt war, rief sie es zurück.
„War nicht abgemacht, dass du Georg beistehst?“, rief sie dem Wolf zu, der vorwitzig unter ihrem Umhang hervorspähte.
Ihre zarte Hand griff nach dem dunklen Stoff. In einem Ruck ließ sie den Umhang über seinen Kopf gleiten, verhüllte damit seinen Blick. Und als er dann wieder zu ihr sehen konnte, war ihr nackter Körper schon wieder komplett verhüllt.
Ein missmutiges Schnauben, drang von dem Tier, noch ehe es sich zum Waldrand drehte. Enttäuscht, dass sie ihm den Anblick wieder verwehrte. Jetzt aber konnte er sich ganz auf seinen Kameraden konzentrierte.
Mit großen Sprüngen, eilte er dem Wald entgegen, wo auch die Jäger warteten.
Genau wie die Hexe, die ihrem Begleiter dorthin folgte. Die Jäger wollten sie als Beute. Aber so einfach, wie sie dachten, würde es ganz sicher nicht werden!

Der Jäger presste seinen Körper nah an den Boden, versteckt gehalten vom Dickicht der Büsche, die ihn nicht offenbaren würden. Er jedoch hatte einen guten Blick auf die Lichtung.
Er durfte sich nicht rühren, sondern musste geduldig warten.
In seiner Hand ruhte die gespannte Armbrust, bereit für ihren Einsatz. Neben ihm, sofort griffbereit, lag ein Köcher mit Bolzen.
Der junge Jäger war kein geübter Schütze. Es gab viel bessere. Aber in dieser Nacht sollte er auf der Lauer liegen, während die anderen Jäger ihre Beute zu ihm trieben.
Die Bauern des Dorfes berichteten von einer Hexe, der ihr eigentliches Ziel galt. Der junge Jäger dagegen, hoffte mehr das Tier zu erspähen, hinter dem sie im Moment her hetzten. Einer der Wölfe.
Große, intelligente Tiere, die bisher jeder Falle entgingen und in den letzten Jahren viele Bauern gerissen hatten. Nicht nur hier, auch in anderen Dörfern dieser Gegend.
Bei ihnen standen sie im Ruf, Werwölfe zu sein. Menschen, die nur in Vollmondnächten zum Wolf wurden. Dieser Aberglaube wurde damit genährt, dass sie nur zu Vollmondnächten die Gegenden unsicher machten.
Der junge Jäger wusste, dass es albern war. Diese Wölfe mussten irgendwo herkommen. Egal ob es ein Wolfsversteck war, oder sie von jemanden die restliche Zeit über eingesperrt wurden.
Genau das wollte der Jäger den Bauern und seinen Kameraden klar machen. Und vielleicht gelang es ihn auch heute schon, ihnen den Beweis zu erbringen.
Unter dem Schritt kräftiger Pranken, knarrten Äste im Unterholz, ganz in seiner Nähe.
Dass war das erste, was der Jäger vernahm, bevor der massige Leib des gewaltigen Wolfes, die Lichtung betrat.
Sein Fell wirkte räudig und war von einer schmutzig grauen Farbe. Nichts im Vergleich zu den schönen Silberwölfen, die er schon auf seiner Reise studiert hatte, um mehr über solche Tiere zu erfahren.
Die dunkle Nase tastete über den Boden, seine dunklen Augen prüften die Umgebung, um eine mögliche Falle zu entdecken.
Der Jäger rühre sich nicht. Er wollte sein Versteck nicht jetzt schon vor dem Tier offenbaren. Der Wind blies über den Boden, zu dem Jäger hin. So schnell würde ihn die Bestie nicht entdecken, die langsam über die Lichtung lief, immer wieder den Kopf prüfend über die Schulter werfend. Er wollte sich eine Pause von der Jagd gönnen.
Für den jungen Jäger war es perfekt.
Vorsichtig richtete er die Armbrust auf das Tier aus.
„Hab ich dich!“ Er lächelte, vorfreudig über das große Ziel.
Sein Finger krümmte sich um den Abzug. Sofort sauste der Bolzen aus dem Unterholz heraus, dem Wolf entgegen.
Ein Klagelaut stieß aus der Kehle der Bestie. Das Geschoss hatte ihn zum Bedauern des Jägers nicht dort getroffen, wohin er zielte. Der Bolzen steckte im Stamm einer Kiefer, hatte das Tier aber am linken Vorderlauf getroffen.
Schnell zog der Jäger einen weiteren Bolzen aus dem Köcher. Der Wolf hatte ihn nun entdeckt. In einem wütenden Knurren riss er seinen Kopf herum. Es wurde eng für den jungen Jäger.
Die Armbrust spannte sich und noch ehe der Wolf ansetzt, in sein Versteck zu hechten, schoss ein weiterer Bolzen auf das Tier zu. Mit Leichtigkeit wich die Bestie aus. Wäre er allein, würde das wohl sein Ende sein.
Die Bestie stemmte ihre Pranken in den Boden, der Körper spannte sich zum Sprung auf den Gegner an.
Ein weiterer Jäger trat zu ihm. Eine hoch gewachsene Gestalt, mit sehr hellem, weißblondem Haar und dem wachen Blick eines Adlers, mit dem es ihm gelang, selbst weit entfernte Ziele zu treffen.
Eigentlich hätte er hier liegen müssen, statt des jüngeren Jägers.
„Viktor, hat unser großer Held, etwa Probleme mit einem einfachen Wolf?“, höhnte der Mann. Es war weniger der Spott über dessen Künste, als viel mehr dass er glaubte, anders als seine Kameraden, es würde sich bei den Bestien um große Wölfe handeln. Keine Kreaturen aus Schauergeschichten, wie sie meinten.
Der junge Jäger trat aus seinem Versteck, auf die Lichtung zu, die Hand ruhend auf dem Schwertknauf.
Die kräftigen Läufe des Tieres, stießen sich vom Boden ab, weit zurück, fort von den Männern und einem Schuss, der von Falk abgegeben wurde. Er war nicht gezielt, dass dieses Tier jemals in Gefahr geraten wäre.
An eine Flucht dachte die Bestie auch nicht. Sie schien keinen der beiden Männer als wirklichen Feind anzusehen.
Viktor war geübter mit dem Schwert. Schon seit seiner Kindheit wurde er darin unterrichtet. Später auf seiner Reise, nützte ihm dies sehr oft. Jetzt wurde er von Falk im Umgang mit einer Armbrust unterrichtet.
Diese Aufgabe war mehr eine Probe seines Könnens.
Der Wolf lief in prüfenden Abstand um sie herum, abwartend auf die beste Gelegenheit, während Falk seine Armbrust erneut mit dem silbernen Bolzen lud.
Die Chance des Wolfes war vertan, als weitere Jäger, zusammen mit den Bauern des Dorfes auf die Lichtung traten. Dies würde wohl das Ende des Wolfes sein.
Sie hatten sich um die Lichtung Positioniert, während die Treiber das Tier durch den Wald hetzten. Für den Fall, das Viktors Schuss verfehlte, standen sie bereit, mit Waffen und Fangnetzen.
Doch einfach machte es ihnen die Bestie nicht.
In Hoffnung auf Ausbruch aus diesem Käfig, der sich um ihn erbaut hatte, stürzte es sich auf einen der Bauern.
Ein Netz wurde auf das Tier gestürzt, das der Wolf geschickt mit seinem mächtigen Leib abblockte, um sofort seinen Fang darin zu vergraben. Ein heftiger Ruck und zwei der Männer, die dieses hielten, stürzten zu Boden.
Das Tier spie ihnen seinen heißen Atem in wildem Bellen entgegen, als sich die anderen Männer näherten.
Plötzlich sauste ein Schatten aus den Wald auf sie zu.
Der zweite der Wölfe, ebenso mächtig wie das andere Tier, mit wildem, dunklen Fell. Es warf auch sofort einen der Jäger nieder.
Die Männer hoben ihre Waffen, um auf die Tiere einzuschlagen, da trat eine weiter Person zu ihnen aus dem Wald.
Ganz mit einer dunklen Kutte verhüllt. Sie war viel kleiner und zierlicher als die Männer. Unter der Kapuze ließ sich ein schmales Gesicht erahnen, dessen volle, blutrote Lippen zu einem Lächeln verzogen wurden.
Die Männer ließen verwirrt ihre Aufmerksamkeit sinken und starrten hypnotisiert auf das dunkle Wesen.
Eine Situation, die von den Wölfen sofort genutzt wurde, um hinter die Gestalt zu springen, als würde diese ihnen Schutz versprechen.
Viktor konnte sich das nicht recht vorstellen. Wie sollte ein Mädchen sich gegen einen Haufen Männer verteidigen können. Auch wenn ihm die zarte Gestalt jetzt schon Leid tat.
„Hexe!“, klagte sie einer der Männer an. Das Lächeln der Gestalt wirkte amüsiert über dieses Wort.
„Wagt euch ja nicht, die Wölfe anzugreifen“, warnte sie die Bauern. „Sie stehen unter meinem Schutz. Und ich werde jeden töten, der es wagt, sich gegen sie zu stellen.“
Neugierig trat Viktor einen Schritt auf die verhüllte Gestalt zu, neugierig darauf, wer sich darunter verstecken mochte. An dem Ernst ihrer Worte zweifelte er. Sie schien nicht gefährlich und ihre Stimme war bezaubernd hell. Nichts Böses ließ sich daraus vernehmen, trotz der deutlichen Drohung.
Die Wölfe hinter ihr, warfen ihre Köpfe nach vorne und spieen ihm ein drohendes Bellen entgegen. Er sollte Abstand von dem Mädchen halten, als wollten sie dieses beschützen.
Gehörten die Bestien ihr? Hing es in einer unausgesprochenen Frage über der Meute.
Viktor war es ein Rätsel, wie sie diese Bestien in Schutz nehmen konnten, wo sie doch so viele unschuldige Menschen getötet hatten. In ihm wuchs aber auch der Wunsch, mehr über die geheimnisvolle Gestalt zu erfahren, dessen Gesicht er nur erahnen konnte.
„Verstehe ich es richtig, dass ihr uns droht?“ Falk lachte amüsiert auf. Seine Armbrust spannte sich wieder um einen weiteren Bolzen. Er trat vor sie, die gespannte Waffe richtete er dabei auf das Herz der Gestalt. „Verschwinde Mädchen!“, befahl er ihr schroff. „Euer Platz ist eher das warme Bett eines Mannes, oder habt ihr womöglich eure Seele an diese Bestien verkauft?“
„Hast du keine Angst, Bauer?“ Das letzte Wort spie sie ihm angewidert vor die Füße.
„Wieso sollte ich die haben?“ Der Jäger lachte auf.
Viktor blieb hinter ihm, betrachtete sich das Treiben aber weiter voller Interesse.
„Ich bin eine Hexe“, formten die wundervollen Lippen der Gestalt. Dabei streckte sie ihren rechten Arm unter dem Umhang hervor. Mit dem anderen, hielt sie den Stoff zusammen, der bei einem einzigen Luftstoß einen Teil ihrer schlanken, nackten Beine entblößte.
„Sei nicht albern, Mädchen!“, rief Falk. „Tritt beiseite, damit wir den Bestien ihre gerechte Strafe geben können. Alles weitere können wir bei einem lodernden Feuer bereden.“ Er beleckte sich die Lippen, während er versuchte zu erahnen, was sie wohl unter ihrem leichten Umhang vor ihnen verbarg.
Falk war ein guter Mann, aber bei einer lockenden Frau ganz gerne zur Stelle.
Ihre Worte leiteten jemand anderes aus der Masse. Ein Mann, den das Alter in den letzten Jahren deutlich eingeholt hatte.
Früher war er ein stolzer Mann, der sich nicht scheute, selbst zur Waffe zu greifen. Jetzt aber wirkte er fast schon knöchern und brüchig. Dazu verdammt, alles aus der Ferne mit anzusehen. Kein Wunder, dass er so darauf gedrängt hatte, seinen Sohn zu einem gnadenlosen Hexenjäger auszubilden.
„Ignatius, welche Freude!“, rief das Mädchen verzückt auf. Ihre Stimme war engelsgleich, nicht wie ein Monster, so wie der Mann vor ihr es vielleicht sah. „Aber ich muss euch enttäuschen, ehrenwerte Inquisitor. Ich bin keine der armen Frauen, die ihr sonst auf den Scheiterhaufen bringt. Ich bin eine echte Hexe.“
Viktor wandte sich ab. Er wollte nicht mit ansehen, was hier passierte. Wenn Ignatius seinem Wahn verfiel und die hässlichen Falten in seinem Gesicht nur noch mehr Tiefe erhielten.
Ein überraschter Laut stieg von den Männern um ihn auf, deren Blicke unschlüssig auf der zarten, verhüllten Gestalt lagen.
Ihr selbstsicheres Lachen erklang, während in den Gesichtern vieler Angst geschrieben stand. Einer von ihnen eilte sofort davon. Nur Ignatius war angetan von allem und fühlte sich in seinem unerschütterlichen Glauben bestärkt.
„Tötet diese teuflische Hexe!“, spie der Inquisitor den Männern befehlerisch zu. Diese jedoch eilten ängstlich von der dem Schauplatz fort, so dass Viktor mit Falk und dem wahnsinnigen Inquisitor alleine vor dem Mädchen stand.
Erst jetzt widmete er seine Aufmerksamkeit wieder ihr zu.
In ihrer Hand war ein Funken aufgeglommen, der sich zu einem mächtigen Flammenvogel aufgerichtet hatte und seinen heißen Kopf, dem Inquisitor entgegen reckte.
„Wenn ihr nicht verschwindet, verbrenne ich euch“, knurrte sie den verbliebenen Männern entgegen.
Falk trat vorsichtig einen Schritt zurück, der Inquisitor blieb standhaft, nur Viktor näherte sich ihr.
Fasziniert betrachtete er sich das glimmende Wesen, das ihn auf ihrer Hand ebenso neugierig musterte.
Es war real.
Viktor spürte die Hitze auf seiner Haut, als er sich dem Feuer näherte. Aber das Mädchen schien sich nicht daran zu verbrennen.
„Es scheint, als wären die großen Hexenjäger doch nichts weiter als feige Hühner“, höhnte das Mädchen, den verhüllten Blick, verächtlich auf Ignatius gerichtet.
Viktor hätte ihr am liebsten laut Recht gegeben. Falk und sein Vater sahen beide verwirrt aus. Solch ein Mädchen schien beiden noch nie begegnet zu sein, während er sich immer noch nicht von der Kreatur abwenden konnte, die jetzt ihre kleinen Flügel ausbreitete.
Ihr Grinsen verzog sich in Unsicherheit und im gleichen Moment zog sich auch der Feuervogel zurück, nur um ihm sich dann neugierig auf ihrer Handfläche wieder zu nähern. Fast wie in einem Spiel.
Scheinbar wurde die Kreatur von ihren Gefühlen geleitet, die zwar irritiert waren aber auch ebenso neugierig wie er.
„Verschwindet!“, knurrte die Frau und der Vogel reckte sich gefährlich fauchend, dem Inquisitor entgegen.
„Fangt die Hexe!“, kreischte dieser an die beiden Burschen gewandt. „Sie soll brennen!“
Einen Moment sah Viktor den Vogel mit einer stummen Frage an. Wenn ihr diese Spielerei schon nichts tat, wurde sie dann vielleicht auch vor dem Feuer des Scheiterhaufens beschützt.
Trotz seiner Frage und ihrer außergewöhnlichen Gabe, wünschte er dem Mädchen nicht solch ein Schicksal. Also wandte er sich um, packte den Inquisitor fest am Arm und zog ihn mit sich.
„Komm, alter Mann!“, rief er streng unter dem rügenden Blick des älteren Jägers, der ihnen aber dennoch folgte.
„Was fällt dir ein, Bursche?“, empörte sich der Inquisitor. „Wendet euch der Hexe zu. Fangt sie! Tötet sie!“
Wusste er es? fragte sich Viktor stumm. Wenn ja, verbarg der alte Mann es gut unter seinen wüsten Beschimpfungen dem jungen Mann von gerade mal 22 Jahren gegenüber.
Bevor sie die Lichtung verließen, warf er der jungen Frau noch einen kurzen Blick zu. Die beiden Wölfe hatten sich ins Dickicht verzogen. Für sie war der Kampf vorüber. Der Vogel in ihrer Hand, schmiegte sich zahm an sie, erlosch aber schon bald.
Für ihn war dieses Mädchen eine interessante Gestalt. Aber eine Hexe, er wusste nicht so recht was oder wer sie war. Oder was er von ihr halten sollte.
Viktor war kein wirklicher Hexen- oder Werwolfjäger. Er hatte sich der Truppe um Falk nur angeschlossen, um von denen zu lernen. Genauso wie er nach all den Jahren hierher zurückkam, um sein Können zu beweisen. Um die Wölfe zu fassen, die ihr Unwesen trieben. Bis er seine zweite Chance bekam, würde er wohl den nächsten Monat abwarten müssen.
Ob er dann vielleicht auch dieses Mädchen wieder sah?
Es gab noch ein weiteres Ziel in seinem Leben. Einem, bei dem ihm kein Dorfbewohner helfen konnte.
Er wollte ein Mädchen wieder finden, dass in seiner Erinnerung immer noch genauso aussah, wie vor so langer Zeit. Mit dem schönen samtenen Haar, der weichen Haut und einen wundervollen Lächeln.
All die vielen Jahre schon, hofft er sie eines Tages wieder zu finden. Um sich bei ihr für all das entschuldigen zu können, was sein Vater ihr antat und was er tun musste, in der Hoffnung sie damit zu schützen.

Erneut ließ Flora den Umhang ihren nackten Körper entlang gleiten. Diesmal in ihrem Zimmer, fern ab interessierter Blicke, wie sie ihr der Wolf zugeworfen hatte.
Auf ihrem Bett lag ausgebreitet, ein reinweißes Kleid, dass der Diener ihr auf Augusts Wunsch heraus legte.
Zuerst nahm sie ein Bad zur Entspannung.
August hatte sie nicht ohne Bedingung bei sich aufgenommen. Sie musste ihm ihre Treue schwören, auch wenn sie seinem Wunsch nicht nachkommen konnte.
Er wollte sie so haben, wie seine anderen Diener.
Georg und Konrad neigten demütig ihr Haupt vor ihrem Herren und taten alles, um ihm zu gefallen. Wann immer er ihnen einen Auftrag gab, folgten sie blind. Mordenden sogar, wobei ihnen das Spaß machte.
Flora war anders.
Selbst als sie vor Ignatius stand, brachte sie es nicht über sich, ihr Feuer gegen ihn zu schleudern. Sie war kein Monster, wie dieser dumme Mann sie seit ihrer Kindheit sah.
Betrübt zog das Mädchen ihre Füße an den Körper.
Dann war da noch dieser junge Jäger.
Er war mutig.
Während seine Kameraden Georg in eine Falle trieben, hatte er schon auf ihn gelauert und war auch, nachdem Flora ihre Macht demonstrierte nicht fortgelaufen, wie die anderen.
Gesicht und Kleidung waren schmutzig vom feuchten Waldboten. Das Haar ebenso braun, wie die interessierten Augen.
Ihr Herz tat einen Sprung, während sie so an ihm dachte, wie er neugierig die feurige Erscheinung auf ihrer Hand betrachtet, sich sogar näherte.
Flora versuchte dieses unbekannte Gefühl abzuschütteln, das ihr beim Gedanken an diesen Jäger kam. Ihr Herz, das so wild schlug, die Wangen, so heiß wie sie es waren, nachdem sie das Feld angesteckt hatte. Der Wunsch, dass ihm vielleicht gelang, an was die anderen scheiterten. Diese Bestien doch zu erlegen.
Flora war August für alles Dankbar, was er für sie getan hatte und auch die beiden Werwölfe mochte sie. Aber nicht, dass diese aus Spaß töteten, wer ihnen gerade in den Sinn kam. Sie hoffte im geheimen, jemand würde sie aufhalten.
Der junge Jäger war schon weit gekommen.
Flora rutschte tiefer in das Wasser der Wanne.
Es gab noch etwas, das sie beschäftigte.
Auf ihrer Brust, kurz über dem Busen, lag ein hübscher, grüner Stein, den ihr einst jemand schenkte.
Die Augen des Jägers, dessen interessierte Blick, erinnerte Flora an Viktor.
Wie er oft neugierig mit ihm im Wald unterwegs war und dabei alles genau beobachten musste. Genau wie der Jäger auch mit der feurigen Erscheinung gespielt hatte.
Es konnte nicht Viktor sein.
Flora wusste, dass der Junge fort gegangen war. Ob dies freiwillig geschah oder ihn sein eigener Vater verstoßen hatte, konnte das Mädchen nicht sagen. Ihre letzte Begegnung war in diesem Wintertag.
Sie hatte sich gewünscht, ihm irgendwann wieder Gegenübertreten zu können. Jetzt jedoch, wünschte sie, er würde für immer verschwunden blieben. Der Schmerz ihrer letzten Unterhaltung tobte noch immer in ihr, ohne Chance verebben zu können.
Flora wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, wenn er ihr wirklich noch einmal begegnete.
Unbewusst griff ihre Hand an den Stein, den sie fest an sich drückte.
Als sie begriff, was sie da tat, ließ sie ihn sofort los. Fast so, als hätte sie sich daran verbrannt.
Wieso tat sie das nur immer wieder?

fragte sich Flora. Immer wenn sie an früher dachte, ihre Zeit mit Viktor. Oder in anderen Situationen. Dabei hatte er damals gelacht, als er ihr erzählte, es sei nur eine billige Kette. Es war Flora, als würde ihr diese Kette Kraft verleihen. Sie fühlte sich, als wäre jemand an ihrer Seite, der ihr Mut zusprach.
Ein unsichtbarer Schatten.
Flora lachte auf und verscheuchte die dummen Gedanken.
Es war wie Viktor damals gesagt hatte, nur eine billige Kette. Seine Freundschaft war die ganze Zeit eine Lüge, nichts weiter!
August hatte sich auch nach der Herkunft der Kette erkundigt. Ihn anzulügen hätte keinen Sinn gehabt, so erzählte sie ihm, die Kette würde Flora ewig an den Verrat des Jungen erinnern.
Flora verscheuchte die Gedanken an diese vergangene Zeit, auch was heute im Wald passiert war. Sie stieg aus der Wanne, trocknete sich ab und zog dann das Kleid an.
Der Abend war lang gewesen, so dass sie nach unten in die Küche ging, wo noch ein Topf auf dem Herd stand.
„Man hört, es sollen neue Jäger aufgetaucht sein“, erkundigte sich ein alter Mann bei ihr, der schon lange in Augusts Diensten stand.
Flora nickte ihm zu.
„Georg kann sich glücklich schätzen. Wäre einer der Jäger ein besserer Schütze gewesen, müsste sich unser Herr um Ersatz bemühen.“
Das ganze Haus lag ruhig.
Die beiden Wölfe waren draußen bei den Hunden. August mochte es nicht, wenn sie das Haus in ihrer Wolfsform betraten. Dass der Hausherr aber nicht zu ihr kam, war ungewöhnlich. Sonst verlangte August sofort einen Bericht von ihr.
„Ist unser Herr unterwegs?“, erkundigte sie sich vorsichtig bei ihm.
Er mochte sie noch weniger als die beiden Wölfe. Wahrscheinlich wünschte er sich, ihr oder den Wölfen Gift unter das Essen zu mischen, wenn ihn August nur lassen würde. Die Wölfe waren für ihn nur Tiere, während er in Flora trotz der feinen Kleider und dem Schmuck, mit dem August versuchte sie an sich zu binden, immer noch das Bauernkind sah, dass die Wölfe einst anschleppten.
„Der Herr hat kurz nach euch das Haus verlassen“, antwortete der Diener mit seiner einschmeichelnden aber falschen Stimme.
Wohin August gegangen war, braucht Flora nicht zu fragen.
Er war ein Vampir, den es nach dem Blut der Lebenden dürstete. Manchmal befahl er den Werwölfen ein Opfer für ihn zu holen, doch ihm war noch nicht die Freude an der Jagd vergangen.
Flora griff nach einem der Teller und nahm sich aus dem Topf etwas von der warmen Suppe. Sie hätte den alten Diener dazu erniedrigen können. August hatte ihm angewiesen, Flora jeden Wunsch zu erfüllen. Aber sie tat es lieber selbst.
Es war eine Freude aus ihrer Kindheit, die sie noch nicht verloren hatte. Ein leckeres Mal zuzubereiten.
Danach ging sie auf ihr Zimmer ins Bett.

Viktor saß noch bis spät in die Nacht mit den Jägern zusammen am Lagerfeuer. Sie beraten, was an dieser Jagd falsch gelaufen war, und was sich verbessern ließ.
Als Hauptkritikpunkt nannten sie einstimmig ihn, der noch zu unerfahren mit einer Armbrust umging. Er sollte lieber mit ihnen die Wölfe treiben, oder Falk an seiner Seite haben, der zusammen mit ihm auf der Lauer lag nicht nur beobachte.
Auch dieses Mädchen war ein Thema. Diese junge Hexe und ihre furchtbare Macht, von der Viktor in seinen Bann gezogen wurde. Diese Meinung äußerten jedenfalls seine Kameraden.
Einer davon war Falk, der weißblonde Mann. Ein weiterer Balduin. Er war noch etwas größer als der Schütze, dafür aber nicht von solch schlanker gestalt. Nicht dick, aber mit kräftigen Muskeln. Wenn er eingriff, gelang es ihm so manche Schlägerei zu beenden oder der zu gewinnen.
Viktor hatte selbst mal einen Schlag von ihm abbekommen und ganz sicher nicht vor es jemals zu wiederholen.
Die beiden Jäger streiften meist alleine durch die Welt. Sie lebten für die Jagd. Egal ob es einfach Wölfe waren, oder finstere Kreaturen, wie manche Leute dachten.
Zu dieser Jagd hatten sich ihnen ein paar andere Männer gesellt, die jetzt mit ihnen im Kreis saßen. Es war eine gemütliche Runde für ihn, die nur mit erscheinen seines Vaters beendet wurde.
Nicht für die anderen Männer. Viktors Laune jedoch, nahm schlagartig ab.
Der Inquisitor erzählte stolz von seinen Heldentaten im Kampf für den Glauben.
Viele davon hatte der Junge selbst mit angesehen.
Ein mattes Lächeln zog sich über seine Lippen, als der Mann anfing, von seiner eigenen Tragödie zu erzählen. Über seinen Sieg gegen einen furchtbaren Hexer und dessen Teufelsbrut. Viktor betitelte er darin nicht mehr als seinen Sohn, eher einen talentierten Jungen, der von schwarzer Magie verleitet wurde.
Wieder fragte er sich, ob sein Vater überhaupt wusste, wem er hier am Feuer gegenüber saß.
Viktor griff zu seinem fast vollen Glas Bier und leerte es in einem einzigen Zug.
Er konnte sich das nicht mehr antun. Also nahm er seine Sachen, um der fröhlichen Gesellschaft den Rücken zu kehren.
Sollte sein Vater doch in seinem Wahn erzählen was er wollte. Für Viktor zählte nur die Wahrheit, in der ihm sein Vater zwei der wichtigsten Leute genommen hatte.
Und das nur für ein Stück Land, welches seitdem verflucht zu sein schien.
Mit Blick zu den Sternen dachte er an Flora. Sie war keine Hexe, genauso wenig wie ihr sanfter Vater.
Viktor hatte auch versucht etwas über den Mann herauszufinden, der sie aufnahm. Doch dieser glich einem Phantom. Niemand wusste etwas über den dunklen Edelmann, der Bernhards Hinrichtung beiwohnte.
Diese Gedanken beschäftigten den Jungen, bis der Schlaf ihn letztendlich übermannte, noch ehe die fröhliche Feier der Anderen zu Ende war.

August hielt den erschlafften Körper einer jungen Bäuerin in den Armen. Noch lebte sie. Doch je mehr der Vampir von ihr trank, umso schwächer wurde das Mädchen.
Er konnte nicht alles von ihrem Blut trinken. Im Gegensatz zu seinen Werwölfen, von denen die Dörfer in Angst versetzt wurden, wollte er nicht als Vampir auffallen und womöglich Jäger vor sein Tor locken.
Dieses Mal war es jedoch anders als sonst.
Er legte das Mädchen nicht einfach ab, damit sie erwachen konnte, sondern behielt sie eine ganze Weile in seinen Armen.
August musste etwas wegen Flora unternehmen.
Sie war zu einer wundervollen Frau herangereift. Während Georg zu Anfang eher desinteressiert an ihr wirkte, versuchte er genauso wie Konrad, sie jetzt für sich zu gewinnen. Aber nicht nur den Beiden verdrehte sie den Kopf.
August musste an die Zukunft denken. Ihre Blutlinie musste ihm als Wächter erhalten bleiben. Wenn er überstürzt handelte und sie nach seinem Wunsch zu seinesgleichen machte, würde auch das Feuer erlöschen.
Das Problem war nur ihr Charakter. Er war ganz anders, als der ihrer Mutter.
Die Mutter machte sich nichts aus Menschen. Für sie waren diese Abschaum. Das Kind jedoch wuchs unter Menschen auf. Hatte von ihnen gelernt das Leben zu achten und zu lieben. Sie würde nie einen Menschen töten, wenn er sie dazu aufforderte.
Hier kam die junge Bäuerin ins Spiel.
August streichele ihr über das Haar, während er ihr langsam ein Bild eingab. Von einem recht langweilig aussehendem Mädchen, dass in einem wilden Ritual um die verängstigte Frau am Boden tanzte.
Dabei achtete er darauf, dass sie sich das Gesicht der Hexe gut einprägte.
Nicht ihr wahres Ich, nur die Illusion durch den Ring.
Flora ging oft genug ins Dorf, um Lebensmittel zu kaufen, mit denen sie sich und die Wölfe beköstigen konnte. Beide begegneten sich dort noch früh genug. Die Bäuerin würde kaum zögern das Mädchen anzuklagen.
August hatte keine Angst, dass die Männer sie anders hinrichten könnten, als auf dem Scheiterhaufen. Dafür liebte ihn Ignatius viel zu sehr. Er hoffte eher, dass sein hübscher Schützling davor gefoltert wurde.
Vielleicht weckte das sogar ein paar Erinnerungen in ihr. So viele, dass sie das Dorf von jeder Karte nahm. Wer sollte sie in solchem Zorn denn aufhalten? Und selbst wenn es jemanden gelang, würde er diesen vernichten.
Er warf seinen Kopf in den Nacken und lachte laut los.
August freute sich schon auf seine neue Flora.

Die Lebensmittel gingen ihnen langsam aus. Der alte Diener hatte zwar gemeint, er würde später mit der Kutsche in die Stadt fahren, aber darauf verzichtete Flora gerne. Er hatte die Angewohnheit keines der Sachen mitzubringen, die sie so dringend benötigte.
„Egal wie du dich kleidest“, rief er ihr noch zum Abschied zu, ehe sie das Haus verließ. „Du bleibst die elende Brut eines Bauern, Flora.“
Mit hoch erhobenem Kopf, ihr feuriges Haar in die Luft werfend, nachdem sie sich den schmuddelig wirkenden Umhang über die Schultern gelegt hatte, trat sie provozierend an ihm vorbei.
Als ob dieser Mann besser als sie wäre. Er war nur neidisch, da Flora von August bevorzugt wurde.
Sie streifte den Rubinring über ihren schlanken Finger. So tief im Wald würde niemand ihre Verwandlung sehen. Von der hübschen Frau, zu einem unscheinbaren Ding.
Flora band sich ein Tuch über das erschlaffte Haar.
Über ihren linken Arm trug sie einen leeren Korb.
Neben dem Einkauf von Lebensmitteln, wollte sie auch ein paar Kräuter suchen. Heilkräuter für Georgs verletzten Arm und zu einem anderen Zweck. Beide Wege verband sie gerne. Es war der einzige Ort, an dem sie alleine war. Jedenfalls dachte sie dass, bis Stimmengewirr zu ihr drang.
Neugierig näherte sich Flora der Stelle im Wald.
Drei Männer konnte sie dort erkennen. Es waren Jäger. Alle hatten sich gestern bei der Wolfsjagd beteiligt.
Dieser schlaksige Blondschopf hatte sie mit einem solch lüsternen Blick begafft, dass es Flora selbst jetzt noch schauderte. Dann ein großer, sehr kräftiger Mann, der als erstes vor ihrem Kunststück geflohen war.
Am interessantesten, eigentlich der Grund weswegen Flora ihren Körper gegen den Baum lehnte, um sie zu beobachten, war der jüngste in dieser Gruppe. Sie umschloss ihren Korb mit beiden Händen und presste ihn dabei so stark gegen ihre Brust, dass sich das Material hörbar anspannte.
Flora wollte ihr Herz beruhigen, welches solch kräftige Schläge tat, dass es womöglich die stumme Beobachterin verriet.
Der Jüngste dieser Gruppe stand da, in seiner Hand eine gespannte Armbrust. Dieser weißblonde Mann schenkte ihm noch ein paar Tipps, dann sauste der Bolzen auch schon durch den Wald, wo er weit von ihnen entfernt, im Waldboden aufkam.
Alle drei sahen diesem einen Moment verwirrt nach.
„Mein liebster Freund.“ Der Weißblonde legte ihm den Arm um die Schulter und zog ihn nah an sich. „Sollten wir euch ein noch größeres Ziel besorgen?“ Dabei deutete der Mann auf den Stamm einer stattlichen Kiefer.
Flora konnte sich ein fröhliches Kichern nicht verkneifen.
Gestern im Wald, war der Junge besser. Er hatte Georg nur knapp verfehlt. Vielleicht hatte er auch einfach nur Glück.
Der Weißblonde griff zu einer zweiten Armbrust, die mit einem Pfeil bestückt war. Damit zielte er erst auf die Kiefer, die sie ihrem Kameraden als Ziel ausgesucht hatten, dann aber schwenkte er daneben vorbei.
Sein Finger wollte sich gerade um den Abzug krümmen, da wandte er sich plötzlich zu ihrer stummen Beobachterin um. Der Pfeil sauste auf sie zu. Floras Herz machte einen kräftigen Schlag. Und noch einen, dann sah sie an sich herunter, wo der Pfeil zu ihren Füßen stecken geblieben war.
Erschrocken ließ das Mädchen ihren Korb fallen, dann umfassten ihre Finger den Stein unter dem Stoff ihres Kleides, schmerzhaft fest.
„Was habt ihr damit bezweckt?“, verlangte sie von dem Schürzten zu erfahren. „Wolltet ihr mich treffen?“
Sie wandte ihrem Blick wieder dem Pfeil zu, während dessen Schütze auf sie zukam.
Als Flora wieder aufsah, war es der Jüngere, der den Kopf schüttelte. „Falk trifft immer sein Ziel.“
Der Weißblonde Jäger blieb direkt vor ihr stehen und auch seine Kameraden kamen zu ihnen. Die Hand des Jägers wanderte an den Pfeil zu Floras Füßen.
Sofort sprang sie zurück. An der Spitze des Pfeils hing der tote Leib einer Giftschlange
„Entschuldigt bitte, wenn ich euch erschreckt habe“, rief der Jäger.
Flora nickte ihm stumm zu. Ihr Herz beruhigte sich wieder, aber ihre Stimme schien versiegt.
Sie mochte gegen Feuer unempfindlich sein, ein Schlangenbiss könnte für sie aber lebensgefährlich werden.
„Habt Dank“, drang es erst sehr spät über ihre Lippen.
„Sie scheint eine Hexe zu sein“, bemerkte der kräftige der drei Jäger. Seine Aufmerksamkeit galt dem Inhalt ihres Korbes, den er in seinen Händen hielt. Vielleicht auch mit dem anfänglichen Wunsch, ihn ihr wieder zu geben.
Sofort riss sie dem Mann ängstlich ihren Korb aus den ungeschickten Händen. Sie wollte widersprechen, dass dem nicht so war, da zeigte sich auch der jünger interessiert an dessen Inhalt.
„Es sind Heilkräuter“, stellte er zu Floras Überraschung fest. „Viele fördern die Wundheilung. Ein paar davon kann man auch zum kochen nutzen.“
Wieder erinnerte er Flora an Viktor. Sie saß früher oft mit ihrem Freund zusammen und hatte ihm viel über die Kräuter berichtet, die hier in diesem Wald wuchsen.
Ein alberner Gedanke.
„Und woher weiß unserer Kamerad solche Dinge?“, erkundigte sich Falk.
Der Jüngere zuckte mit den Schultern. „Man muss doch wissen, für was Hexen solche Dinge gebrauchen“, sagte er darauf mit kräftiger, gefährlich ernst klingender Stimme, die Flora wieder einen Schritt verschreckt zurück weichen ließ. „Es kann ja sein, man wird verhext und muss ein Mittel finden, den Zauber aufzuheben.“
Beide Kameraden sahen ihn ratlos an, als würde ausgerechnet dies, ganz und gar nicht zu dem Freund passen. Da lachte er auch schon lauthals los.
Erst nachdem der junge Mann sich beruhigt hatte, sprach er: „Vor ein paar Jahren, war ich bei einer Heilerin zu Gast. Sie hat mich viel über die Verwendung von Heilkräutern geleert.“
Sein Blick spähte auf den Boden, wo er sich nach einer kurzen Weile hinab kniete und ein kleines Kraut pflückte.
„Dieses könne für dich nützlich sein, Balduin.“ Er hielt es seinem kräftigen Kameraden vor die Nase, an der ein kleiner Knick von einem früheren Bruch zeugte. „Es kann den Ausschlag lindern, über den du seit gestern klagst.“
Der angesprochene Mann vergeudete keinen Moment, da hatte er es dem Freund schon aus der Hand gerissen und herunter geschluckt. Sofort begann Flora zu Kichern, in dass der junge Jäger mit einem lauten Lachen mit einstimmte.
„Wenigstens war es nicht giftig“, flüsterte er ihr hinter vorgehaltener Hand zu. Dann klopfte er dem Freund auf die Schulter. „Ich bereite dir später eine Salbe zu.“
Falk, drückte ihm sofort die Armbrust in die Hand und meinte, das könne er tun, nachdem seine Übung zu Ende war.
Bevor er wieder mit seinen Kameraden davon ging, verneigte sich der Jüngste höflich vor ihr. „Es war mir eine Freude, euch kennen zu lernen.“
Genauso vornehm, verabschiedete sie sich von den Jägern, um dann ihren Weg vergnügter als zuvor fortzusetzen.
Solang nur August nichts davon erfuhr, dass sie so frei mit den Männern sprach. Noch mehr sogar. Nicht aus Angst, diese könnten auf ihre Spur kommen. Eher weil er von ihr erwartete, sie mochte die Menschen hassen.
Falk und Balduin, so hießen zwei der Jäger also. Nur der Name des jüngeren war ihr noch ein Geheimnis. Aber vielleicht konnte sie den noch vor dem nächsten Vollmond herausfinden.

Flora betrat das Dorf nicht gerne, aber es lag am nächsten.
Immer, wenn sie durch die Gassen streifte, am Gericht vorbei, wurde alles von einer tiefen Dunkelheit verhüllt. Fackeln flammten auf und eine Masse an Leuten, drängte sich dicht beieinander, um noch mehr vom Schauspiel zu sehen. Wo ein gefesselter und geschundener Mann am Pfahl gebunden stand, während die Flammen von seinem Fleisch zehrten.
Es war Flora, als würde noch der Gestank von verbranntem Fleisch schwer über dem Dorf hängen, selbst wenn die letzte Hinrichtung vor zwei Jahren stattfand.
Seit der Zeit, als ihr Vater hingerichtet wurde, hatte sich viel verändert.
Ignatius, der in seinen Leben viele auf den Scheiterhaufen gebracht hatte, konnte keinen weiteren Dorfbewohner mehr für seinen Wahn opfern. Von den Frauen, waren nur noch wenige am Leben, nicht viel anders sah es bei den Männern aus. Aber er kümmerte sich gerne um die umliegenden Dörfern.
Eine ältere Frau führte eisern ihren kleinen Lebensmittelladen. Selbst ihrer fröhlichen Art, mit der sie Flora schon als Kind begrüßte, konnte nichts etwas anhaben. Sie war eine der wenigen, die um Bernhard trauerte. Dass hatte sie ihr einmal in einem unverfänglichem Gespräch erzählt. Aber Flora hütete sich davor, ihr alles zu berichten. Sogar, wen sie in Wahrheit vor sich hatte.
Wie auch an jeden anderen Tag, begrüßte sie die Inhaberin mit einem fröhlichen Gruß.
Doch diesmal schien sich die Zeit zu wiederholen.
Eine Frau stand hinter Flora, die sie die ganze Zeit schon ansah, als hätte sie den Teufel höchst persönlich erblickt.
„Hexe!“, stieg schriller Schrei auf. Ihre Füße stolperten ungeschickt zurück. „Hexe!“ Noch einmal, eindringlicher als zuvor. „Fasst sie! Verbrennt sie!“
Flora wusste nicht, was hier geschah, wie damals als Kind hatte sie einfach nur den Wunsch fort zu rennen, weit weg. An diesem Tag vor sieben Jahren, stieß sie mit Georg und Konrad zusammen, heute war es der Inquisitor persönlich, von dem ihr Weg ins Freie abgeschnitten wurde.
Für ihn bestätigte sich die Behauptung der hysterischen Frau, alleine durch den Inhalt ihres Korbes. Aber auch dem Bericht der Bürgerin schenkte er sehr gerne gehör. Von ihr wurde die abstruse Geschichte präsentiert, Flora hätte in der letzten Vollmondnacht nackt um sie herum getanzt und dem Teufel ein Lamm geopfert.
Ignatius zeigte sich erfreut, wo ihn doch in der letzten Nacht ein junger Bursche daran gehindert hatte, eine echte Hexe ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Floras Gefangennahme schien ihm da ein angenehmer Ausgleich.
Er würde sich noch wundern

, dachte Flora in sich hinein. Wenn sie oben auf dem Scheiterhaufen stand, würde sie ihm die wahre Macht einer Hexe demonstrieren!



Der Inquisitor vergeudete kaum Zeit. Gleich nachdem Flora verhaftet wurde, wollte er sie schon in die Folterkammer führen lassen.
Erneut konnte Flora in seinem verrückten Blick ein Feuer erkennen, an dem sich der Wahnsinnige schon jetzt ergötzte. Ein Bild, das sie ihm nicht vorenthalten wollte.
Also erzählte sie Dinge, die nicht nur die Aussage der Frau bestätigte, sie schmückte diese sogar noch aus. Mit Abscheulichkeiten, so grausam, dass es nichts gab, womit er die übertreffen konnte. Anders als ihr geliebter Vater, der selbst unter Folter noch tapfer alles abgestritten haben musste, was Ignatius ihn vorwarf.
Bis zur eigentlichen Verhandlung und der späteren Hinrichtung, wurde sie in ein Gefängnis gesperrt, hoch über dem verlassen wirkenden Dorf.
Musste auch ihr Vater hier ausharren, in Sorge um seine junge Tochter? Gequält und erniedrigt. Bis sie ihn holen kamen, für die letzte und grausamste Tat?
Es wurde versucht ihr Ring und Kette abzunehmen. Dagegen hatte Flora sich gewehrt. Sie wolle keines von beiden verlieren. Weder Viktors Kette, noch den Ring ihrer Mutter. Besonders da beide Dinge dem Inquisitor ihre wahre Identität verraten könnten. Dieses Vergnügen wollte sie ihm noch nicht bereiten.
Jetzt saß sie hier, auf dem steinernen Boden und musste warten. Eine quälend endlose Zeit, in der sie nur ihre Erinnerungen hatte, die ihr in diesem Moment Trost spendeten.
Sobald es Zeit wurde, würde sie sich rächen. Für all das, was die Dorfbewohner ihr antaten.
Schritte näherten sich. Neugierig lauschte Flora, wer wohl zu ihr kam. Einer der Wachen oder ein Jäger.
Das einzige, was sie erkannte, waren sanfte braune Augen, die genauso mitfühlend schienen, wie seine Stimme.
„Das wir uns hier wieder sehen“, sagte er traurig. Selbst auf die Frage, wieso er hier war, bekam sie schnell eine Antwort. „Ich wollte sehen, welche arme Seele Ignatius diesmal auf den Scheiterhaufen bringen will.“
Flora rutschte auf dem steinernen Boden, näher zu der Tür. Prüfend auf jede Veränderung in seinem Blick, als sie sagte: „Tut es einem Jäger je leid, eine Hexe der Gerechtigkeit zuzuführen?“
Die sanften Augen schlossen sich und er schüttelte den Kopf.
„Ich bin kein Hexenjäger“, sagte er. Für einen Moment schien er zu wanken, fand seinen Halt aber an der Tür. „Wie könne ich das? Wenn ich selbst jemanden darauf verloren habe, der mir sehr viel bedeutet hat.“
„Und mit diesen Jägern trefft ihr euch nur ab und zu, um mit denen über ihre Arbeit zu plaudern?“ Flora überging seine Worte einfach. Er war bei der Jagd nach den Werwölfen dabei. Wie wollte er ihr erzählen, er würde nicht ganz dazu gehören? Nicht bei ihren Untaten gegen unschuldige Menschen mitmachen?
Sie glaubte ihm nicht.
„Ich schloss mich ihnen an, um von ihnen zu lernen“, erklärte er sich. „Falk und Balduin haben sich auf die Jagd nach Untieren spezialisiert. Ich habe gehofft, sie könnten mir beibringen, wie ich die Wölfe vernichte, die hier ihr Unwesen treiben. Diese Bestien sind so schlau.“
„Ihr glaubst nicht, dass es Werwölfe sind?“, schloss sie.
„Nein!“, sagte er mit fester Stimme. „Es sind Bestien für mich, keine Werwölfe. Genauso wenig glaube ich daran, dass es echte Hexen gibt.“ Seine Stimme wurde schwacher, in Erinnerung an die letzte Vollmondnacht, als Flora ihm echte Magie vorführte. „Ich meine ihr seid keine Hexe“, korrigierte er sich. „Kein solch liebenswerter Mensch hat diese Strafe verdient.“
Flora stand auf und ging ganz nah an die Tür. Ihre Hände legten sich darauf, selbst ihr Körper schmiegte sich an das Metall, dass sie ihm durch den Spalt in die Augen sehen konnte.
„Komm bitte in der Nacht zur Hinrichtung“, sprach sie von einer Herausforderung begleitet. „Sei dort und vielleicht kann ich euch eines besseren belehren.“
Wieder schüttelte er den Kopf, ungläubig ihrer Worte und bedauernd über ihre Situation.
„Es tut mir Leid für euch“, rief er mit ernster Stimme.
Flora wandte sich um, dass ihr Körper an der Tür lehnte. So stehend lauschte sie auf seine Schritte, bis diese verklungen.
Er würde da sein, wie alle anderen auch. Und sie fragte sich, wie er wohl reagieren würde, wenn der Schleier viel.

Der Diener sank vor ihm nieder.
„Herr, ihr müsst etwas unternehmen“, flehte er ihn in seiner Angst an. „Ihr könnt Flora nicht an diese Menschen verfüttern. Was ist, wenn ihr etwas zustößt.“
August brach in lautes Lachen aus.
„Das Ignatius ihre Mutter ertränkt hat, ist bedauerlich gewesen“, meinte der Vampir. „Auf unsere kleine Hexe wartet der Scheiterhaufen. Das wird kein Problem für sie.“
„Seid ihr es nicht, der dauernd sagt, wir dürfen nicht auffallen?“, warf Konrad ein. „Der einzige Weg für Flora, von dort zu fliehen wäre, wenn sie…“ Er hielt in seinen Worten inne und verstand langsam. „Ihr wollt es“, stellte der Werwolf schockiert fest. „Ihr wollt, dass sie jemanden tötet.“
August nickte seinem Diener zu, der jetzt seine ehrfürchtige Haltung ganz aufgab. Nicht nur das. Er hätte sein Gegenüber gerne geschlagen, für das was dieser dem Mädchen antun wollte.
Das würde sich der Werwolf jedoch nie trauen.
„Genau das will ich.“ Augusts Schritte führten zum verdunkelten Fenster. Wie er es hasste hier gefangen zu sein, solange der Tag noch andauerte. Seinen Dienern hätte er dies nie anvertraut. „In Flora wohnen unvorstellbare Kräfte inne. Einzig eine Schwäche stört dabei. Ihr gütiger Charakter. Egal wie oft sie sagt, sie würde Ignatius für seine Taten gerne strafen, sie würde es nie tun. Um mir wirklich dienen zu können, muss sie ihre Hände endlich in Blut tränken. Diese Konfrontation mit ihrer Vergangenheit, hilft mir vielleicht.“
„Oder es zerstört sie.“
Der Werwolf liebte die Hexe wegen ihrer unschuldigen Art. Sein Meister hatte jetzt vor dieses Mädchen in ein Monster zu verwandeln. Am liebsten würde er eingreifen.
Man konnte deutlich sehen, wie sich die Muskeln unter seinen Sachen anspannen.
„Geh zu ihr!“, wies er dem Wolf an und konnte ein zufriedenes Lächeln nicht verhindern. „Ich denke, es wird sicher ein schönes Schauspiel.“
Der Wolf verzog sein Gesicht zu einer kampflustigen Fratze, als er sich diesmal verbeugte, blieb aber ruhig und würde auch später noch jeden Befehl seines Herren folgsam ausführen.
Es waren sehr berechenbare Kreaturen.
Er selbst wollte nicht zum Dorf fahren. Flora würde brav seinen Plan ausführen. Und die einzige Person, die sie vielleicht aufhalten könnte, war schon seit Jahren nicht mehr im Dorf.

In seiner eigenen Kindheit scharrten sich die Leute zahlreich auf diesem Platz, um der Hinrichtung beizuwohnen. Diese Zeiten schienen vergangen.
Nicht was die Euphorie betraf, mit denen die Leute den Gang der Verurteilten begrüßten. Ihre Zahl hatte in den letzten Jahren rapide abgenommen. Wie dumm sie doch waren, die Falschheit daran nicht zu erkennen.
Das junge Mädchen ließ sich von keinem der Männer an ihrer Seite führen.
Sie stolzierte erhaben vor ihnen her, den Kopf hoch erhoben, so dass die Leute einen Moment in ihren Rufen innehielten, bis sie sich oben an den Pfahl hatte anbinden lassen.
Wie sie gebeten hatte, war er hier, auch wenn er sich etwas Besseres vorstellen konnte, als dieses widerliche Schauspiel. Angewidert wandte er den Blick ab, als Ignatius zu ihnen trat.
Er stand diesmal nicht auf seinem Platz, dem Balkon seines Hause, sondern war zu ihnen herunter gekommen, direkt vor dem aufgetürmten Holz. Obwohl eigentlich ließ er nach den jungen Jägern schicken, um allem an seiner Seite beizuwohnen. Doch selbst Falk und Balduin lehnten ab. Sie waren Viktor hierher gefolgt und sind nicht aus eigenen Stücken oder Wunsch gekommen, sich diese Gräueltat zu betrachten.
„Wir haben im Wald mit ihr gesprochen“, erzähle Falk dem Inquisitor. „Sie kam mir wie ein nettes Mädchen vor.“
„Die meisten Hexen verbergen ihre wahre Natur hinter einer Maske aus Unschuld“, klärte ihn Ignatius auf. „Ein frommer Mann kann lernen, hinter diese zu blicken.“
So wie Bernhard, den du aus Missgunst hast hinrichten lassen

, hätte er seinem Vater am liebsten ins Gesicht gespuckt, doch zügelte seine Wut. Seine unschuldige Frau, die du ihn nahmst um den Mann zu quälen. Oder Flora…


Viktor senkte den Blick. Schatten von tiefem Kummer zogen sich über sein Gesicht, wann immer er an die Freundin dachte. Sie war nicht hier gestorben, wie viele andere unschuldige Menschen aber er wusste auch nicht, ob er in dieser verschneiten Nacht einen Fehler begangen hatte oder sie vielleicht noch am Leben war.
Wenn war sie im selben Alter wie das Mädchen, welches heute hier hingerichtet werden sollte.
Für ihn war nicht sie das Ungetüm, sondern der Mann, dessen Fratze boshaft aufblitzte, nachdem die Flammen aufstoben und sich am Holz zu dem Mädchen hin fraßen.
„Sie ist nur eine unschuldige Seele mehr, die in eurem Wahn ihr Leben verliert“, konnte sich Viktor nun nicht mehr zügeln.
Er war kein kleines Kind mehr, dass der Vater mit einem Schlag zum schweigen bringen konnte. Auch wenn Ignatius nach genau diesem Wunsch aussah. Ihn für seine Frechheit zu züchtigen.
Er war ein Narr, diesen Mann jemals so zu glorifizieren. Ihm hatte ein süßes Mädchen gezeigt, dass es an allem eine andere Seite gab, nicht nur die, die ihm sein Vater zeigte.
„Als ob es wirklich so etwas wie Hexen gäbe.“ Den Blick nahm er nicht von dem Mädchen, das oben stand, die Füße waren dem Feuer schon so nah, ohne den erhabenen Blick zu verlieren, mit dem sie dort über allen thronte.
„Darf ich meinen lieben Freund an die letzte Vollmondnacht erinnern?“, kam es von Falk. „Wie erklärst du dir das?“
Sein Mundwinkel verzog sich schwach.
Wäre es nicht solch eine traurige Situation, würde er wahrscheinlich grinsen. Er hatte wirklich keine andere Erklärung für dieses interessante Phänomen.
Das Feuer umzüngelte die kleinen Füße des Mädchens, auf dessen Gesicht sich jetzt Emotionen abzeichneten. Keine Angst, kein Hass, kein Schmerz. Nur Vergnügen. Ein überlegenes Grinsen, während die Flammen sie ganz umringten.
Er hatte schon einmal jemanden gesehen, der seine Lippen auf solche Art dem Inquisitor gegenüber verzog. Eben jene Person im Wald.
Aber das Mädchen in dieser Vollmondnacht, von dem man nur zwei rote Lippen erblickte, war ganz anders. Lockend offenbarte sie nur ihre vollen Lippen, die selbst im Mond des blassen Mondes rot glühten. Die Lippen des Mädchens hier waren nur blasse Striche, zwei ganz unterschiedliche Personen.
„Ignatius“, sprach sie von oben zu dem Inquisitor hinab.
Wie das Mädchen im Wald, so sprach auch sie seinen Namen aus, als könne er ihr nichts anhaben.
Oder nein, konnte das sein? War es sogar die gleiche süße Stimme wie im Wald?
Die Flammen tasteten sich nur ganz langsam, ihre Füße hinauf, zu den Knöcheln.
„Du dummer alter Mann“, schleuderte sie ihm jetzt voller Abscheu entgegen, aber dennoch waren ihre Worte von einem Lächeln begleitet. „Du hättest mich so töten sollen, wie du es bei meinen Eltern getan hast. Als du meinen Vater erschlugst und meine Mutter ertränkt hast. Hast du es eigentlich selbst getan? Sie unter Wasser gedrückt, bis kein Lebenszeichen mehr von ihr kam oder wie immer, deine Untergeben dazu angewiesen.“
Der Mann neben ihnen sah irritiert zu dem Mädchen auf. In seinem alten Kopf, ging er noch einmal jeder seiner Taten nach, suchend nach etwas, dass zu dieser Person auf dem Scheiterhaufen passen könnte.
Die Flammen schlugen höher um sie. Ihre Beine hinauf und ergriffen dabei ihr Kleid, an dem sie hungrig zogen, wie ein ausgehungertes Tier. Doch kein Schrei drang über ihre Lippen. Nur ein genüssliches Jauchzen.
„Erinnerst du dich etwa nicht mehr an sie?“
Die Flammen wanderten hungrig an ihrem Körper hoch. Oder nähren sie sich gar nicht davon, sondern nur von dem Stoff um ihren Körper. Ihre Fesseln waren schon so brüchig, dass sie nur etwas Kraft brauchte, um sich los z reißen.
„Hexe!“, schrieen die Bewohner des Dorfes, deren Blicke von Angst erstellt, auf dem nun befreiten Mädchen lagen.
„Ignatius.“ Sie lachte höhnisch auf, während das Feuer um sie herum wild tobte. „Ich werde dir zeigen, wie es sich für deine Opfer anfühlte, als sie von den Flammen verschlungen wurden.“ Der Blick des Mädchens, das vorhin noch so unschuldig gewirkt hatte, jetzt aber wie die Schauergestalt aussah, vor die sie sich alle fürchteten, wandte sich der Menge zu. „Ihr alle werdet dafür büßen, was in Eurem Willen geschah.“
Sie warf ihren Kopf in den Nacken und stieß dabei ein furchtbares Lachen aus, das kaum zu der unschuldigen Gestalt bei ihrem ersten Treffen im Wald passen wollte.
Das Kleid fiel in dunklen Stücken ihren Körper hinab, der darunter jung und unberührt wirkte. Ganz anders als die verzehrten Leiber, die er sonst dort oben schon gesehen hatte.
„Und du sagst, es gäbe keine Hexen“, rief Falk ihm zu. Seine Armbrust rutschte von der Schulter in seine schlanken Finger. Er zielte genau auf die Frau, um deren Körper das Feuer eine gewaltige Form annahm. Ein Schlange, die sich um seine Herrin wandte, sogar den Kopf an deren entblößten Körper schmiegte.
Erst jetzt fiel ihm ein Detail an der Frau auf, der vorher vom Stoff ihrer Kleidung verborgen wurde.
Der einzige Teil ihres Körpers, den das Feuer nicht anrührte, war ihr Hals, um den sich ein feines Geschmeide legte. Eine Silberne Kette, in die ein Smaragd gefasst war.
„Nein!“, stieß Viktor in einem einzigen Atemzug aus. Dieses Mädchen war ganz anders und dennoch trug sie die Kette, die er einst Flora schenkte.
Falk betätigte den Abzug und gerade noch rechtzeitig stieß Viktor gegen den Freund, so dass der Pfeil ins Leere ging.
Er verstand nicht, was das zu bedeuten hatte aber Viktor konnte nicht zulassen, dass ihr irgendjemand etwas antat. Nicht bevor er ganz verstand, was das zu bedeuten hatte. Ob Flora jemanden die Kette gab, nachdem er ihr solche Schmerzen zugefügt hatte. Oder ob doch wirkliche Zauberei dahinter steckte.
„Ich lass nicht zu, dass ihr jemand etwas tut!“, rief er streng an den Freund gewandt.
Jetzt galt ihre Aufmerksamkeit ganz den Jägern.
Sie setzte einen Fuß nach dem anderen vom Scheiterhaufen hinab.
Die Bürger, bis eben noch erstarrt vor Grauen, flohen kreischend vom Platz weg. Nur die jungen Jäger und Ignatius blieben zurück, zu dem seine Untergebenen eilten.
Hinter dem Mädchen lauerte die feurige Schlange wachsam, auf ein Zeichen ihrer Herrin.
„Hab ich euch nicht gesagt, dass ich euch eines besseren belehren werde?“, rief sie ihm mit ihrer süßen Stimme zu. „Geht. Ihr habt mir nichts getan. Euch zählt nicht mein Zorn.“
Worte, denen Balduin gerne gefolgt wäre, der mit zitternden Knien hinter Falk stand. Doch die Kameraden blieben da, wo sie waren.
Viktor entriss dem Freund die Armbrust, ohne das dieser viel tun konnte. Mit einem Kräftigen Schwung warf er sie der Schlange zum Fraß vor. In deren vernichtendes Feuer. Dann trat er einen Schritt auf das Mädchen zu, die irritiert zurück wich.
„Tötet die Hexe“, kreischte Ignatius auf. Dessen Männer mit gezogenen Waffen bei ihm standen. „Vernichtet dieses Monster.“
Die feurige Schlange war schnell von dem Scheiterhaufen bei ihr und bildete jetzt einen Wall um seine Herrin, der die Männer zurückweichen ließ. Den Kopf reckte ihnen das Tier gefährlich entgegen. Sogar Ignatius erhob seinen Arm, in Furcht, es könne nach ihm greifen.
Ein amüsiertes Lächeln umspielte die Lippen des Mädchens.
Viktor war ihr jetzt so nah, dass er nur noch seine Hand nach ihr ausstrecken musste, um sie berühren zu können und den zarten Stein, auf ihrer Brust.
„Ignatius!“, rief sie gebieterisch. „Es stört dich doch nicht, wenn ich dir einen Trick offenbare. Vielleicht wird dir dann begreiflich, wer dir gegenübersteht.“
Ein weiterer Teil ihres Körpers, der vom Feuer verschont blieb, war ihr Ringfinger, an dem ein Rubin aufblitzte und von ihr abgezogen wurde.
Was jetzt passierte, konnte Viktor noch weniger fassen.
Das eben noch erschlaffte braune Haar, glimmte flammend auf und legte sich sanft auf ihre Schultern. Ihre Augen leuchten in dem gleichen Grün auf, dass er schon als Kind immer so bewundert hatte. Die Lippen gewannen an Fülle. So wie bei der Gestalt im Wald, die ihn mit ihrem Kunststück verzaubert hatte.
Der zarte Busen, schwoll an. Ihr Gesicht, der Körper erstrahlten in einer Schönheit, die nichts mehr von dem kindlichen an sich hatte, das in seiner Erinnerung geblieben war.
Das unscheinbare Mädchen, erblühte zu einer wundervollen, feurigen Blume, die sein Herz in Aufregung versetzte. Mehr aus Glück, sie endlich wieder gefunden zu haben. Und dennoch war es vor Gram verzerrt, dass aus ihrem unschuldigen Lächeln eine Grimasse des Hasses geworden war.
„Geht!“, wies sie ihn an. „Noch haben du und deine Jägerfreunde eine Chance, das alles lebend zu überstehen. Also nutzt sie.“
„Ich wusste es!“, schrie Ignatius dem Wahnsinn nahe aus. „Ich wusste all die Jahre, dass du eine Hexe bist, süße Flora. Ich hab es an dem Tag gewusst, als deine Mutter dich in ihren zitternden Armen hielt und auch an jedem weiteren Tag, den wir uns begegneten.“
Ignatius selbst war ein jämmerlicher Anblick. Er trat einige Schritte zurück, mit der deutlichen Anweisung an seinen Männern, sie sollen durch den feurigen Körper des riesigen Tieres durchdringen, um da Mädchen zu vernichten.
Eine einzige Handbewegung von Flora, schon schlang sich der gewaltige Leib der Bestie um die Männer und kesselte sie, zusammen mit dem Inquisitor in einem Würgegriff ein, der sich langsam zuzog, ganz wie es ihre Herrin sich wünschte.
Was war nur passiert, dass sich seine unschuldige Freundin, in solch ein Monster verwandelt hatte. Dass sich solches Vergnügen im Schein des feurigen Leibs abzeichnete, während sie auf die Männer in ihrem Käfig sah, oder zu ihnen sprach.
„Mit Anbeginn des neuen Tages, wird dieses Dorf nur noch in Asche liegen, also geht endlich“, wies sie ihnen an. „Nutz diese Chance.“
Balduin war der Einzige von ihnen, der ihren Worten folgen wollte. Er zog an Falks Arm, dessen Hand griffbereit auf dem Knauf seines Schwertes Lag. Viktor wollte ebenfalls bleiben, aus ganz anderen Motiven als der Freund.
„Nein!“, rief er ernst. Für einen Moment wirkte das Mädchen verwirrt, verstand nicht recht, was ihn hier hielt. Und wäre der Smaragd nicht, würde auch ihm schwer fallen sie zu erkennen. „Ich lasse nicht zu, dass du dies hier tust, Flora.“
Er war so glücklich, sie endlich wieder zu haben. Am liebsten hätte er sie in seine Arme geschlossen. Sie schien seine Weigerung ganz falsch zu verstehen.
„Dann tut es mir Leid“, hauchten ihre Lippen, während die Schlange Anstalten machte, auch sie in ihren festen Würgegriff einzuschließen. „Ihr schient vernünftig, nicht so verrückt wie dieser Mann.“
Viktor tat etwas, mit dem das Mädchen nicht gerechnet hatte. Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu, erfasste ihre erwärmte Hand, um ihr Einhalt zu gebieten. Nicht grob, sondern zärtlich.
„Flora, hör auf damit“, bat er sie erneut.
Unsicher stolperte das Mädchen einen Schritt zurück, entwandt sich sogar seines Griffes und umfasste mit dieser Hand den grünen Stein, so wie sie es schon einmal getan hatte. Im Wald, nach dem der Pfeil vor ihren Füßen im Boden stecken blieb.
Sie konnte mit dieser Situation nicht umgehen. Mit seiner Nähe, den ruhigen Worten in Angesicht des Feindes.
Dann zerriss Falks Ruf diese zeitlose Situation.
„Wir müssen diese Hexe töten, Viktor. Noch ehe sie ihre Drohung wahr macht.“
„Viktor“, drang es tonlos aus ihrem Mund. Alleine dieses Erkennen, ließ Tränen in seine Augen treten. So viele Jahre hatte er mit der Frage verbracht, wie es ihr gehen mochte. Und jetzt wünschte er sich nichts mehr, als ihr so nah zu sein, wie früher in ihrer Kindheit.
„Flora, hör auf damit“, flehte er erneut. „Ich kenne dich, du könntest nie jemanden etwas tun.“
„Du kennst mich?“ Sie schlug seine Hand fort, als diese sich ihr wieder nähert. Dabei schwang in ihrer Stimme so viel Hass mit, wie er es von ihr nicht gewohnt war. „Einst habe ich auch geglaubt dich zu kennen.“ Mit ihrer Hand ergriff sie die Kette fester als zuvor. „Denkst du, deine Lügen würden mich davon abhalten, dich und deinen verdammten Vater zu verbrennen?“ Die feinen Silberglieder der Kette rissen und wurden vor seine Füße geworfen.
„Es tut mir Leid, Flora“, rief er, den Blick auf die Kette gerichtet, zu der er sich hinunterbeugte. Seine Finger schlossen sich zärtlich um den Anhänger aus Smaragd und Silber.
Er wusste noch, wie schwer es ihm fiel, sie ihr zu schenken und auch wenn ihr Zorn über ihn kam, hatte er keine Angst davor.
„Wenn du meinst, dich an mir rächen zu müssen, tu es“, rief er, zum erstaunen, aller Anwesenden. Sogar in der Miene seines Vaters ließ sich Angst erkennen. Dabei hatte Viktor ihm gesagt, er solle ihn nie wieder als Sohn behandeln. „Meine Großmutter hat sie mir einst gegeben. Wenn ich jemals einer ganz besonderen Frau begegnete, solle ich ihr diese schenken. So sah ich dich damals.“ Viktor stand auf. Er wollte ihr in die Augen sehen, wenn er das nächste sagte. „Wir waren beide noch so jung. Ich wusste nicht, wie ich dich beschützen soll. Aber ich würde dich nicht noch einmal so enttäuschen.“
„Nein!“, rief sie mehr zu sich, als ihm. Die Feuerschlange offenbarte angriffslustig ihr Maul, während ihrer Herrin Tränen vor Schmerz über die Wangen liefen.
Es tat ihm unendlich Leid, was er ihr damals antat und jetzt erkannte er auch, was für ein Fehler das damals war. Er hätte nie auf diesen Unbekannten hören dürfen. Viktor hätte sie mit sich nehmen müssen.
„Ich glaub dir nicht“, stieß sie hervor. Unter der Schwere ihrer Tränen, stieß das feurige Schlangenmaul auf ihn zu.
„Viktor!“, rief Falk. Die Hand des Freundes, griff zu den Jungen, der diese aber in einer leichten Bewegung von sich stieße.
Seine Hand legte sich in einer warnenden Geste an die beiden Jäger auf den Knauf seines Schwertes.
„Geht“, wies er sie an.
Viktor spürte die Hitze der feurigen Gestalt auf seinem Körper, die ganz knapp über ihm zum stehen kam.
„Lasst sie in Ruhe!“ Dann wandte er sich seinem Vater und dessen Jägern zu. „Jeder, der ihr etwas tun will, muss zuerst an mir vorbei! Ich lass nicht zu, das ihr noch einmal jemand etwas antut.“
„Hat diese Hexe ihn verhext?“, lautete Balduins Frage.
„Bitte zwingt mich nicht dazu, mein Schwert gegen meine Freunde zu erheben“, knurrte Viktor den Jägern entgegen. „Ihr wisst, dass ich euch überlegen bin.“
Widerwillig traten beide zur Seite. Erst dann reichte Viktor Flora seine Hand, in der Hoffnung, sie würde wenigstens diese kleine Geste annehmen. Egal was passierte, sein einziger Wunsch war es, Flora so glücklich zu sehen wie früher und das sie lebte.

Er hasst es, wenn einer seiner Diener, in sein Schlafzimmer gestürzt kam. Das zeugte von einer Respektlosigkeit ihm gegenüber, die er annahm, ihnen ausgetrieben zu haben.
„Mein Herr!“, rief Konrad und verneigte sich tief vor ihm, ebenso Georg.
„Ihr wagt es, mich zu stören!“, entfuhr es August ohne seine Diener anzusehen. Sein Blick haftete sich an den fernen Horizont, der von einem Tiefblau erfüllt war, wie er es liebte. Nicht mehr lange und die ersten Sonnenstrahlen würde dort empor klettern und ihn in diesem Haus einsperren.
„Es geht um Flora“, rief Georg hastig und genoss jetzt Augusts Aufmerksamkeit, über dessen Lippen sich ein Lächeln zog.
„Ich erwarte gute Neuigkeiten“, sagte der Vampir verzückt. „Hat sie es getan? Hat sie das Dorf und seine Bewohner in ein flammendes Inferno gestürzt?“ Seine Stimme war so euphorisch, dass sie sich am Ende seiner Worte sogar überschlug.
Seine Hand griff zu dem Weinglas auf dem Tisch. Nicht so süß, wie das Mädchen, dass sich auf seinem Bett räkelte und ihren Hals präsentierte. Eine kleine Dirne. Schon früh am Abend hatte er seinem ältesten Diener – er würde sich bald nach einem jüngeren umsehen – in die Stadt geschickt, um sie abzuholen.
Georg musste sich zwingen, nicht aufzuschauen, auf diese Schönheit.
Es war ungewöhnlich, das beide so lange brauchten, bis sie ihm antworten. August ließ sich neben seine kleine Gespielin auf das rustikale Bett fallen, das sich aufdringlich ins Zimmer vor drängte, so dass es dem Besucher vorkam, als würde sich nichts weiter darin befinden. Seine Hand fuhr über ihren verführerischen Hals.
„Wir müssen euch enttäuschen“, sagte einer der Werwölfe. August war vollkommen von diesem lockenden Anblick angezogen, dass er nicht sagen konnte, welcher von ihnen.
„Wie meint ihr das?“, verlangte er zu erfahren.
„Flora hat die Dorfbewohner verschont“, antwortete Georg. Das Glas in Augusts linker Hand erzitterte. „Ein junger Jäger hat sie davon abgehalten.“
Er wolle es nicht glauben, aber als er zu beiden schaute, zeigte sich nur für einen ganz kurzen Augenblick ein Lächeln auf Konrads Gesicht. Der Werwolf freute sich darüber, dass Flora nicht zu dem Monster geworden war, das August sich wünschte.
Mit einem Wutentbrannten Schrei, warf der Hausherr sein Glas zu Boden, wo es in lauter größere und kleinere Scherben zerbrach. Der Rest seines Weins ergoss sich über den teuren Teppich.
Selbst dem Mädchen wurde seine Aggressivität unheimlich. Sie wich etwas von ihm zurück, ohne dass sie weit kam. August umschlang schon ihren schlanken Körper und zog sie ganz fest an sich.
Man hatte ihr wohl von seiner Unberechenbarkeit berichtet. Zärtlich streichelte der Vampir, das in seinen Armen ängstlich zitternde Mädchen ohne dabei die Andeutung des Raubtieres zu verlieren, das er für sie war.
„Bringt mir die beiden“, rief August gefährlich leise zu seinen Dienern. „Ich will sie hier vor mir stehen haben.“
„Jawohl Herr!“, riefen beide im Chor und senkten ihre Häupter.
Ihm war schon klar, wer dieser Junge sein konnte. Es gab immerhin nur einen, dem seine feurige kleine Freundin solches Vertrauen schenken würde. Dumme kleine Flora! Noch dümmerer Viktor! Oder vielleicht war es auch sein Versäumnis, den Jungen nicht schon damals getötet zu haben. So bekam er die Chance seinen Fehler persönlich zu korrigieren.
Flora würde für ihre Entscheidung noch sehr teuer büßen müssen.
Ein vorfreudiges Lachen drang über seine Lippen, nachdem die beiden Werwölfe sein Zimmer verlassen hatten.
Das Mädchen in seinen Armen versuchte wieder ihm zu gefallen und in sein Lachen mit einzustimmen, selbst wenn sie es nicht verstand. Ihr Körper jedoch, zitterte noch mehr, als seine Hand auf ihrem Kopf ruhen blieb.
August verzog kurz die Lippen, dann riss er den Kopf des Mädchens in einer leichten Bewegung herum. Ihr Körper erschlaffte in seinen Armen.
„Auf ein Freudiges Wiedersehen“, hauchten seine Lippen, zu einem grimmigen Lächeln verzogen.

Um Floras nackten Körper lag eine alte verdreckte Decke. Viktor fand sie hier im Stall, dessen Heuboten er auch als Schlafstätte für beide auserkoren hatte.
Schlaf fand sie keinen.
Nicht nur wegen des Heus, dass sie piekste, egal welche Seite sie zum Schlafen nutzte. Sie hatte auch Angst davor, was passieren würde, wenn August davon erfuhr. Er sah Flora als seinen Besitz an und würde sie kaum mit jemanden fliehen lassen. Wie er auch ihre Mutter verfolgt hatte.
Sie wandte sich um, wo das Mondlicht durch eines der Löcher im Dach auf den schlafenden Jungen viel.
Viktor. Ihr Viktor, den sie all die Jahre nicht vergessen konnte, lag hier bei ihr. Sie hätte ihn hassen sollen! Sie wollte ihn bestrafen und dennoch, als er vor ihr stand, bittend darum, konnte sie es nicht tun.
Jetzt lag sie hier und studierte seine Züge, in denen sie kaum noch etwas von dem Jungen erkennen konnte, den sie früher gemeint hatte zu kennen. Wie sie, hatte er sich in den letzten sieben Jahren sehr verändert.
Sein Haar war etwas länger und wirkte ungepflegter aber auch weich. Die Züge waren grober und würden sich in weiteren Jahren noch mehr herausbilden. Von seinem Vater konnte Flora aber bisher noch nichts erkennen. Sein Körper war früher eher mager, jetzt dagegen wirkte er noch immer schlank aber schon im Wald waren ihr die Muskeln aufgefallen, die sich unter seinen Sachen abzeichneten und davon zeugten, wie hart er mit sich im Schwerttraining umging.
Nur seine Augen waren noch immer so sanft wie zu der Zeit, in der beide sehr enge Freunde waren.
Und noch immer, sie wollte es nicht zulassen, verspürte Flora in seiner Nähe etwas Vertrautes. Am liebsten hätte sie sich an ihn geschmiegt, geweint und die Angst vor der Zukunft vergessen.
Doch sie konnte nichts davon zulassen.
Erst musste sie sich ein Bild davon machen, ob seine Worte der Wahrheit entsprachen oder ob es nur ein Trick war.
Viktor erzählte ihr eine Geschichte. Dass er damals im Wald nur so gemein zu ihr war, um die Freundin zu schützen. Er hatte es auf Anweisung eines Herrn getan, der sie bei sich aufnehmen wollte.
August. Es würde zu dem Vampir passen, dass er alles so drehte.
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, während sie an die Nacht im Wald dachte. Wie fasziniert er von ihrem kleinen Schauspiel war. Und auch was er an der Tür ihrer Zelle gesagt hatte.
Er glaube nicht an Hexen und sie sei keine. Was er jetzt wohl nach all dem sagen würde?
Auch hatte sie seinen Wunsch erfüllt und das Feuer auf dem Dorfplatz erlöschen lassen. Wie schnell wohl Ignatius seine Häscher los schickte, um sie zu suchen? Ob es mit beiden Verfolgern wirklich gut war zu ruhen?
Flora musste aber zugeben, dass auch sie nach all dem müde war. Und so legte sie sich wieder hin, ohne den Blick von ihm abzuwenden.
Jetzt blieb ihnen wohl wirklich nur noch zu fliehen. Flora wusste nicht, ob August sie nach allem wieder aufnahm. Ob Viktor dann an ihrer Seite kämpfen würde.
Ein ganz kleiner Teil in ihr, sehnte sich nach dem Vertrauen zurück, dass sie ihm als Kind schenkte. Ob dieser Teil wirklich stark genug war solch ein Wagnis einzugehen?
Sie wollte schauen, was die nächsten Tage brachten.



Fortgesetzt wird die Geschichte im 3. Teil.






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Impressum

Texte: Titelbild: Eisrose von Blumenia (pixelio.de)
Tag der Veröffentlichung: 09.05.2010

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