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Kapitel 9

Erst als ich in meinem Zimmer war, fiel mir auf, dass ich nichts weiter dabei hatte, als die Sachen, die ich jetzt gerade trug. Also warf ich einen kurzen Blick in den Kleiderschrank um dann frustriert feststellen zu müssen, dass dieser komplett leer war. Mir blieb also nichts anderes übrig, als zu Maja zu gehen und sie nach Kleidung zu fragen.
Glücklicherweise befand sich ihr Zimmer genau neben meinen, sodass ich nicht noch ziellos durch irgendwelche Gänge irren musste.
Zaghaft klopfte ich und als die Tür geöffnet wurde, schlug mir der Geruch von Frühlingsblumen ins Gesicht.
Maja hatte sich umgezogen. Sie trug nun ein blaues Kleid, welches kurz unter ihren Knien endete.
„Komm rein, June“, sagte sie lächelnd.
Ihr Zimmer wirkte gemütlich und bewohnt. Überall hingen Fotos und aus einer Anlage erklang sanfte Musik.
Vorsicht setzte ich mich auf ihr großes Bett. „Was gibt’s, June?“
„Ich wollte dich fragen, ob du mir vielleicht Kleidung leihen kannst? Ich wusste nicht, dass wir zwei Tage bleiben…“, murmelte ich und wurde rot; es mir unangenehm.
Heftig nickte sie. „Ja, natürlich!“ Sie tänzelte zu ihrem Kleiderschrank und öffnete ihn mit Schwung.
Ich versuchte einen Blick auf sein Innenleben zu erhaschen, doch alles war ich sah, waren Kleider.
Ich hoffte inständig, dass sie auch Hosen besitzen würde. Als Kind hatte ich ständig Kleider tragen müssen, also war ich dementsprechend traumatisiert.
Als sie sich wieder mir zu wand hielt sie ein hellrosa Babydollkleid in den Händen. Ich schluckte. Das konnte nicht ihr Ernst sein.
„Zieh es an, es wird dir wunderbar stehen!“, wies sie mich an und deutete auf eine Tür.
Mit Widerwillen und weil ich nicht unhöflich sein wollte, nahm ich es an mich und betrat ihr Badezimmer. Es war ziemlich klein, dennoch strahlte es die gleiche Gemütlichkeit aus, wie ihr Zimmer.
Ich streifte meine Sachen ab und zog das Kleid über. Es war wirklich angenehm, doch ein wenig zu kurz. Es endete kurz über meinen Knien. Vielleicht hatte sie ja auch noch ein anderes.
Damit ich mich nicht ganz so nackt fühlte, öffnete ich meinen Zopf und ließ meine Haare locker über die Schultern fallen.
Ich sammelte meine Kleidung zusammen und betrat wieder Majas Zimmer.
Sie riss ihre Augen auf, als sie mich sah.
Ich verzog das Gesicht. „Ist das Kleid nicht ein bisschen…kurz?“
Sie schüttelte nur stumm den Kopf. „Nein, es ist genau richtig.“
Sie starrte mich weiterhin an, langsam wurde dieser Blick unheimlich. „Was ist?“, fragte ich schließlich, als es unangenehm wurde.
„Du siehst aus wie sie“, murmelte sie verstört.
Behutsam setzte ich mich auf ihr Bett. „Wie wer?“, flüsterte ich. Plötzlich herrschte eine seltsame Spannung.
Dann setzte Maja sich in Bewegung und sprang auf. Sie hockte sich vor ihr Bett, kniete sich nieder und zog nach kurzer Zeit ein dickes Buch hervor.
Es musste einiges wiegen, denn sie stöhnte kurz auf, als sie es auf ihre Oberschenkel hievte.
„Wo…wo ist es bloß…ah ja! Hier: sieh dir dieses Bild an.“
Es war eine schwarzweiß Fotografie die mindestens schon über 50 Jahre alt sein musste. Ein junges, hübsches Mädchen, lächelte mich an. Sie musste nicht älter sein, als ich. Ihre langen dunklen Haare hingen ihr locker über die Schultern. Ihr lächeln wirkte sehr glücklich und ihre Augen strahlten so viel Reinheit aus, als könnte sie es schaffen, allein durch ihren Blick den Weltfrieden wieder herzustellen. Sie trug ein hübsches Kleid mit dünnen Trägern. Auf den ersten Blick wirkte sie wie ein ganz normales Mädchen, sie hätte mir also nicht unheimlich erscheinen dürfen. Doch tat sie. Sie jagte mir furchtbare Angst ein. Denn sie war mir wie aus dem Gesicht geschnitten.
„Wer ist das?“, fragte ich entsetzt und starrte immer noch ungläubig das Bild an.
„Das ist Isabell Mary Danton. Ihre Geschichte ist wohl so berühmt wie die des Weihnachtsmanns.“
Ich schluckte. „Erzähl sie mir“, verlangte ich.
Sie blätterte eine Seite weiter und zeigte auf ein weiteres Bild. Mein Herz rutschte in die Hose, als ich in Alex’ Gesicht starrte. Das konnte unmöglich sein. Der einzige Unterschied war die Art wie er seine Haare trug. Die Haare des Jungen auf dem Foto waren altmodisch nach hinten gestrichen, doch auch wenn dies nur in schwarzweiß war, konnte man die blonden Haare erahnen.
„Das“, sagte Maja und tippte mit ihrem Zeigefinger auf das Bild, „das ist Jonathan Paddock.“
„Das kann unmöglich wahr sein…“, murmelte ich völlig verstört.
Maja schüttelte nur traurig den Kopf, dann holte sie tief Luft und begann zu erzählen: „Alles begann damit, dass Isabell an eine neue Schule kam.
Sie wusste schon vorher was sie war und vor allem, welche Rolle sie spielen würde. Sie war ebenfalls eine Auserwählte und wurde schon von klein an darauf vorbereitet, ihr wurde eingeflößt, dass sie die Nephilim und Dämonen zu verachten hatte. Sie fügte sich dem Rat und tat alles so wie ihr geheißen. Im Roses Castle wurde sie herzlich aufgenommen und die dort lebenden Jäger lehrten ihr noch etwas von ihren Gebräuchen. Sie trainierte oft mit Jonathan. Und je öfter sie trainierten, desto näher kamen sie sich. Sie fanden zueinander und hatten noch nicht einmal die Chance gehabt, es sich anders zu überlegen.
Sie wusste nicht, dass ihrer Liebe ein Hindernis bevorstand, welches schier unüberwindbar war.
Eine Zeit lang war alles so, wie sie es sich wünschten. Doch dann begann Jonathan sich zu verändern, er wurde kalt und abweisend. Sein Wesen wurde dunkel.
Isabell versuchte es zu verdrängen, versuchte sich einzureden, dass dies nur vorübergehend war.
Als Jonathan 18 wurde geschah dies, wovor Isabell sich am meisten fürchtete. Jonathan wurde zum Nephilim erweckt.
Die beiden Liebenden versuchten es zu verheimlichen, doch die Unmengen an Dämonen die Jonathan aufsuchten, um ihm zu folgen, waren kaum zu übersehen. Isabell wusste, wenn sie erweckt werden würde, mussten sie sich trennen, damit beide überleben konnten. Doch keiner von ihnen ertrug es ohne den anderen zu sein.. Obwohl Jonathan das Böse in sich trug, war seine Liebe zu Isabell nicht erloschen. Sie schien das Monster in ihn zu unterdrücken.
Der Tag an dem Isabell von Erzengel Camael erweckt wurde, schien ihr letzter zu sein.
Jemand aus den eigenen Reihen hatte den Fürsten gesteckt, dass Jonathan ein Nephilim sei und Isabell ‚verführt’ habe. Sie konnten nicht zu lassen, dass er sie, ihre Auserwählte, in die Sünde trieb. Sie schickten Jäger aus allen Nationen ins Roses Castle um Jonathan zu töten.
Und zum Ende des Tages spitzte sich alles zu. Isabell und Jonathan waren dabei, sich zu vereinen. Sie wollten die unüberwindbare Grenze überwinden, Gut und Böse mit einander vermischen. Doch sie wussten nicht, dass Isabell durch eine Vereinigung den Verstand verlieren würde. Das dass Böse in sie hineinfließen und sie vergiften würde. Die Jäger und auch die Fürsten trafen einen Augenblick zu spät ein. Die Vereinigung hatte begonnen.
Dennoch vollzogen sie ihren Plan. Ein Jäger erschoss Jonathan mit einem speziellen Pfeil, der für Nephilim tödlich war. Und mit Jonathans Tod verlor Isabell die Kontrolle. Die Wut und der Hass auf die Menschen, die ihren Liebsten ermordet hatten, wuchsen ins unermessliche und bestärkten das Böse, welches ihre Seele beschmutzte. Sie geriet in einen Blutrausch. Die Hälfte der Jäger verloren ihr Leben. Doch in einem Moment der Unaufmerksamkeit erdolchte ein Fürst Isabell und erlöste sie von ihrem Leiden.
Und das ist das traurige Ende einer Liebe, die versuchte sich über die Grenzen hinaus zu lieben.“
Nachdem Maja geendet hatte, herrschte eisige Ruhe. Diese grausame Geschichte, hatte mir das vor Augen geführt, was ich am meisten fürchtete. Was, wenn Alex und mir das gleiche Schicksal blühte? War er deshalb ständig so abweisend? Hatte er gewusst, was passieren würde? Wenn ja, warum hatte er es mir nie erzählt? Glaubte er, es wäre mir egal? So wie es Isabell egal gewesen war? Doch was wäre daran so schlimm gewesen? Von mir hing nicht das gesamte Überleben der Menschheit ab.
„June, ist alles in Ordnung? Du siehst blass aus.“ Besorgt musterte Maja mich. Ich schüttelte den Kopf. Nichts war in Ordnung.
Anstatt ihr zu antworten, fragte ich: „Warum sehe ich so aus, wie Isabell? Was hat das zu bedeuten?“
Maja zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es einfach Zufall. Ich denke nicht, das dass irgendeine Bedeutung hat. Immerhin bist du nicht in einen Nephilim verliebt, dir wird nichts passieren. Niemand aus dem Rat wir dir ein Haar krümmen, June.“
Sie hatte Recht. Niemand aus dem Rat würde mich töten, doch Alex glaubte, dass er es tun würde. Ich jedoch nicht. Alex war nicht böse, er war nicht verdorben. Er war kein Monster.
„Ich…gehe in mein Zimmer. Danke für das Kleid. Gute Nacht.“
Ohne auf eine Antwort zu warten, stürmte ich aus dem Raum und eilte in mein Zimmer, wo ich hektisch Skyes Nummer wählte.
Schon nach dem zweiten Klingeln nahm sie ab.
„Ja, ich“, rief sie atemlos ins Telefon und ich brach in schallendes Gelächter aus.
„Was ist das denn für eine Begrüßung?“, sagte ich, nachdem ich mich beruhigt hatte.
Sie kicherte. „Kam vorhin im Fernsehen. Ich fand es lustig.“
Ich schüttelte den Kopf. „Wie geht es dir? Irgendwelche neuen Visionen?“
„Nein, aber dieses unheimliche Gefühl ist trotzdem präsent. Wie ist es im Ratsgebäude?“
„Protzig. Überall Gold und königliche Farben. Ich habe Maja kennen gelernt. Du würdest sie mögen.“
Ich hörte Skye wieder kichern. „Das freut mich. Paul vermisst dich schon schrecklich. Ihm ist so langweilig, dass er uns auf die Nerven geht. Und mit uns, meine ich Dorian und mich. Aber Dorian erträgt ihn mit stiller Ruhe. Ist dir das schon aufgefallen, dass Jäger immer furchtbar still werden, wenn sie etwas aufregt? Bei Alex hab ich das oft bemerkt. Apropos Alex: Er hat mich gestern angerufen und mich darum gebeten in zwei Tagen zu ihm zu kommen. Allein. Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, doch dann war ich so wütend auf ihn, dass ich dieses Gefühl mit dir teilen wollte. Und Dorian kann ich es nicht erzählen.“
Mein Magen zog sich zu einem Klumpen zusammen und drückte gegen meine Magenwand. Dieser Feigling.
„June? Bist du noch dran?“
„Ja“, antwortete ich kurz. Plötzlich tauchte die Tür zur Halle der dunklen Prophezeiungen vor meinem inneren Auge auf und ich fühlte mich von ihr angezogen. Als würde sie mich rufen. Ich musste in diesen Raum. Ich musste wissen, was dort geschrieben stand.
„Skye, ich muss los. Ich ruf dich an, sobald wir wieder abfahren“, murmelte ich und legte auf.
Ohne mir irgendwelche Gedanken zu machen, wie ich zu dem Raum gelangen sollte, da mich meine Orientierung schon wieder verlassen hatte, verließ ich mein Zimmer.
Ich lief einfach nach Gefühl und nahm meine Umgebung kaum wahr. Das einzige was mir bewusst wurde, war diese erschreckende Kälte die an meinen Gliedern empor kroch. Ich hatte keine Ahnung wie spät es war, doch die Flure waren dunkel und durch die bodentiefen Fenster schien das kühle Licht des Mondes.
Nach wenigen Minuten stand ich vor der großen Tür, die zur Halle der Propheten führte. Mein Unterbewusstsein war besser als ich dachte.
Vorsichtig öffnete ich die Tür und hatte plötzlich Angst, entdeckt zu werden.
In einem tranceähnlichen Zustand durchschritt ich die Halle, die in Dunkelheit gehüllt war und fand ohne zögern die Tür zur Halle der dunklen Prophezeiungen.
Ich hatte den Türknauf noch nicht einmal berührt, da schwang sie von allein auf. Ich Schauer glitt über meinen Rücken. Und ich bereute es, nur ein Kleid zu tragen.
Die Fackeln in den Wandhalterungen erwachten zum Leben. Die Tür blieb offen.
Diese Halle war deutlich kleiner als die der Propheten. Sie war schlicht und es standen keine Statuen an den Wänden.
Vorsichtig nahm ich mir eine Fackel aus der Halterung. Sie war schwerer als ich gedacht hätte und ihr Gewicht zog an meinem Arm.
Ich schritt auf die erste Steinplatte drauf zu. In ihr waren seltsame Symbole eingeritzt. Es war eine fremde Sprache und mir unmöglich sie zu entziffern. Ich begab mich zur nächsten Platte und wurde enttäuscht. Auch diese war mit der fremden Sprache verziert.
Ich schrie auf, als die Tür mit einem lauten Knall zu fiel und die Fackeln im gesamten Raum erloschen. Und als auch noch die Fackel in meine Hand entglitt, raste mein Herz und ich stand in vollkommener Dunkelheit. Starrte ins Nichts.
Behutsam trat ich einen Schritt nach hinten und berührte etwas. Ich schrie auf und wirbelte herum. Mein Schrei hatte noch nicht einmal meine Kehle verlassen, da wurde mir eine Hand auf den Mund gelegt und mein Körper gegen die Wand gepresst.
Mein Atem rasselte in meiner Brust und ich wusste nicht mit was ich rechnen sollte. Einem Wächter, einem Fürsten. Doch für einen Fürsten fühlte sich die Hand viel zu junge und stark an.
Ich zappelte und versuchte mich aus dem Griff zu befreien.
Mein unbekanntes Gegenüber drückte seinen Körper gegen meinen um mich bewegungslos zu machen.
„Sei leise, ich bin es. Alex.“
Sofort entspannte ich mich. Alex gab meinen Mund frei.
Das übliche Gefühl von Frieden durchfuhr meinen Körper.
Doch dann kam mir ein Gedanke und ich spannte mich an.
„Was machst du hier? Du dürftest doch gar nicht durch die Schutzschilde kommen!“
„Die Schutzschilde sind schon lange nicht mehr das, was sie einst waren“, meinte Alex mit einer trockenen Ernsthaftigkeit in der Stimme und ich spürte seinen Atem auf dem Gesicht. Mir wurde die Nähe bewusst; dass jeder Zentimeter seines Körpers meinen berührte. Dass noch nicht einmal ein Blatt Papier zwischen uns passte. Ich versuchte die aufflammenden Gefühle zu unterdrücken.
„Merken die Fürsten nicht, dass du ein…Nephilim bist?“, flüsterte ich, da ich plötzlich Angst hatte, sie könnten uns hören.
„Nein. Sie vermuten zwar, dass es einen Nephilim in meiner Familie gibt, doch so lange ich mich hier aufhalte, würden sie nie in Erwägung ziehen, dass ich es bin.“
Ich war über seine Klugheit überrascht und bewunderte ihn dafür.
Mit einem Mal war es viel zu warm in dem Raum und die Spannung viel zu stark, als das man sie hätte ignorieren können. Ich wusste nicht, ob es die Dunkelheit oder die Ausstrahlung des Raumes war, warum ich meine Gefühle nicht mehr im Zaum hatte. Ich atmete Alex’ unwiderstehlichen Geruch nach purer Männlichkeit, Seife und…rauch ein. Rauchte er etwa?
Unbewusst drückte ich mich näher an ihn. Seine Hände wanderten an meinen nackten Armen hinunter und meine Hände verfingen sich in seinen Haaren.
„Auch meine Selbstbeherrschung hat ihre Grenzen, June“, presste er irgendwann hervor.
„Warum geben wir uns nicht einfach hin?“, murmelte ich und zog sein Gesicht zu mir. Unsere Nasenspitzen berührten sich.
„Es geht nicht. Es ist…Das Risiko ist zu hoch.“
Ich schüttelte leicht den Kopf und unsere Lippen berührten sich.
„Welches Risiko?“, hauchte ich.
Doch ehe etwas passierte, drückte sich Alex in einer erstaunlichen Geschwindigkeit von mir. Ich spürte nur den Luftzug und war allein.
Plötzlich konnte ich wieder klar denken. Mein Gesicht brannte vor Scham. Ich musste hier raus.
„Alex…es tut mir leid. Ich hätte nicht…es tut mir leid“, murmelte ich und suchte panisch nach der Tür.
Ich blieb einen Moment stehen, um mir den Raum noch mal in Gedanken vorzustellen, damit ich wusste, wo ich mich befand. Doch es funktionierte nicht. Ich hörte Alex’ schnelle Atemzüge.
„June, wo bist du?“, durchbrach der die Stille.
„Hier“, antworte ich und schallte mich gleichzeitig für meine Dummheit. Woher sollte er wissen wo ‚Hier’ war? Es war stockdunkel.
Doch anscheinend nicht für Alex. Er ergriff meine Hand und zog mich mit sich.
Er fand sicher die Tür. Mit dem Klacken des Schlosses, beschloss ich das soeben Geschehene in diesem Raum zulassen.
Während wir liefen ließ Alex meine Hand nicht los und ein Teil in mir wünschte, er würde sie nie wieder los lassen, doch ein anderer schrie mich an, ich sollte ihm die Hand entreißen. Vor ihm fliehen und mich in mein Zimmer einschließen, damit ich ihn nie wieder sehen musste. Doch ich tat nichts. Sondern lief schweigend neben ihm her.
„Warum hast du mir nie erzählt, was mit Isabell und Jonathan passiert ist?“
Alex blieb kurz stehen und sah mich erschrocken an. „Woher weißt du davon?“
„Maja hat es mir erzählt, aber das ist nicht von belang. Also Alex: warum?“ Auf einmal wurde ich wieder wütend auf ihn. Ich hatte das Gefühl, als habe er mir somit etwas sehr wichtiges verschwiegen.
„Ich hatte Angst, du könntest dich von mir abwenden, wenn du wüsstest…wenn du wüsstest, was geschehen ist.“
Ich ließ seine Hand los und starrte ihn wütend an. Er wirkte in diesem Moment so verloren, wie er da stand, mit hängenden Schultern und den Blick auf den Boden geheftet.
„Du bist doch abgehauen! Du hast dich doch von mir abgewandt und möchtest noch nicht einmal das ich Skye zu deiner Familie begleite.“
Alex richtete seinen durchdringenden Blick auf mich, schien mich förmlich zu durchbohren. „Weil ich deine Nähe nicht ertrage“, sagte er mit eisiger Ruhe.
Meine Augen brannten, weil seine Worte mich so sehr verletzten. Schließlich rang ich mich doch zu einer Frage durch. „Warum?“
Ich versuchte mit aller Macht die Tränen zu unterdrücken und als auch noch Kopfschmerzen einsetzten, wurde es schier unmöglich.
„Warum, Alex?“, fragte ich noch einmal mit Nachdruck.
„Weil ich dich mit jeder Berührung mehr in Gefahr bringe. Du dich mit jedem Wort mehr zu mir hingezogen fühlst, obwohl alles nur darauf hinaus läuft, dass ich dich töten werde, wenn ich mich nicht mehr kontrollieren kann. Ich ertrage es nicht, dich leiden zu sehen, weil das zwischen uns nicht nur unser Leben kosten wird, sondern das vieler Menschen die uns beiden wichtig sind. Und weil ich es einfach nicht ertrage, dass ich dich so sehr will, auch wenn der dunkle Teil in mir deinen Tod herbeisehnt!“
Plötzlich bekam Alex’ Fassade einen Riss und blanker Schmerz stand in seinen Augen geschrieben.
Der Schmerz in meinem Kopf versteckte sich. Wurde so schlimm, dass meine Sicht verschwamm. Ich konnte mich nicht mehr auf meinen Beinen halten.
Alex sagte irgendetwas, doch ich verstand es nicht. Der Druck auf meinen Kopf wurde so stark, das er gleich zu explodieren schien.
Meine Beine knickten ein und ein Wimmern entfuhr mir. Zwei starke Arme fingen mich auf und hoben mich hoch.
Ich krallte mich in Alex’ T-Shirt und versuchte mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Doch der Schmerz war nicht zu verscheuchen.
„Es tut mir so leid“, murmelte Alex. Ich wollte ihn sagen, dass er nicht daran Schuld war. Dass ich nicht wusste, woran es lag. Doch das einzige Geräusch, wozu ich im Stande war, war ein klägliches Wimmern.
Ich merkte nur nebenbei wie Alex eine Tür öffnete und mich auf etwas Weichem ablegte. Ich krümmte mich zusammen und versuchte diese furchtbaren Schmerzen zu vertreiben.
„Ich bin ja da, June. Keine Angst“, murmelte er. Hatte ich nach ihm gerufen?
Er setzte sich auf das Bett und zog mich vorsichtig auf seinen Schoß. Strich mir sanft über meine Haare.
Ich versteckte mein Gesicht an seine Brust.
„Bitte, mach dass es weg geht. Es soll aufhören“, winselte ich.
Alex hielt mich fester und redete immer wieder beruhigend auf mich ein.
Nach gefühlten zwei Stunden wurde es besser. Nach zweieinhalb Stunden, klang der Schmerz aus. Ich hob meinen Kopf und sah Alex an, der mir ein müdes Lächeln schenkte. Mit diesem Bild vor Augen schlief ich schließlich ein.

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Tag der Veröffentlichung: 31.12.2011

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