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Kapitel 1




"Mia Jansen bitte sofort ins Direktorat kommen." Ich seuftzte auf, schon wieder soll ich ins Direktorat. Und das liegt nicht an meinen Noten oder an meinem Verhalten, das liegt ganz einfach daran, dass ich hier sozusagen das Mädchen für alles, was Lehrer oder Hausmeister nicht tun können war. Das ist halt das Pech daran, wenn man mit dem Direktor verwandt ist und dieser einen für sehr verantwortungsvoll hält. Ich stand auf und sagte zu meiner besten Freundin, dass sie mich doch bitte bei unserem Relilehrer entschuldigen soll wenn er zurückkommt, mal wieder. Im Direktorat klopfte ich an und mein Onkel rief mich herein. Dort saßen außer meinem Onkel noch zwei weitere Erwachsene und ein Junge, ungefähr in meinem Alter. Er sah echt nicht schlecht aus, dunkle Haare, breite Schultern, so weit ich sehen konnte, relativ groß. Schon wieder ein großer Kerl, ich kenn doch davon schon genug, es ist nämlich irgendwie echt deprimierend, wenn man so klein ist wie ich. Als er sich umdrehte, bemerkte ich seine außergewöhnliche Augenfarbe. Er hatte dunkelblaue Augen, aber nur weil das Licht in seine Augen fiel, bemerkte ich überhaupt, dass diese blau waren und nicht schwarz waren. Mein Onkel fing natürlich sofort an, mich vorzustellen.
"Also das ist meine Nichte Mia und sie wird ihrem Sohn die Schule zeigen und ihn mit in den Unterricht nehmen. Die beiden haben den gleichen Stundenplan, bis auf Sport und die Wahlfächer. Mia, das ist Christoph, ihr beide seid vom restlichen Religionsunterricht und von Deutsch danach befreit, dass du ihm die Schule zeigen kannst und ihm unsere Abläufe erklären kannst."
Ja, dass heißt es das Mädchen für alles zu sein, neue Schüler herumführen, ich muss auch immer die neuen 5-Klässler mit empfangen und einmal eine Schulführung mit ihnen machen. Wahrscheinlich weiß ich mehr über meine Schule als mein Onkel, und der ist immerhin der Direktor. Ich weiß, dass ich komisch bin, ich mein ich kenn meine Schule auswendig, von den restlichen Schülern stört es allerdings keine, ich bin sogar, ach wie toll, Schulsprecherin. Das hat natürlich dazu geführt, dass ich noch mehr machen muss/soll.
"Mia kennt unsere Schule bestens, sie macht inzwischen auch immer die Einführung der 5-Klässler, sie zeigt ihnen die Schule. Sie ist außerdem auch noch Schulsprecherin."
"Onkel Ingo, wir gehen dann mal. Tschüs!"
Christoph stand auf und ging mit mir aus dem Raum. Ich hatte Recht gehabt mit meiner Vermutung, dass er groß ist, dank seiner echt langen Beinen. Draußen fragte er mich ungläubig: "Das ist dein Onkel und du bist trotzdem zur Schulsprecherin gewählt worden? Das wäre an meiner alten Schule ja niemals passiert!"
"Ich wollte gar nicht Schulsprecherin werden und hab mich eine Zeit lang geweigert, die Wahl anzunehmen. Am Schluss haben mich dann meine Freunde überzeugen können, dass ich nicht gewählt wurde weil ich die Nichte des Direktors bin, sondern weil die Leute mich mögen. Soll ich dich Christoph oder Chris oder irgendwie anders nennen?"
"Nenn mich einfach Chris."
"Okay Chris. Ich zeig dir jetzt erstmal die ganzen Außenanlagen. Ich könnte dir jetzt auf dem Weg nach draußen die ganze Geschichte der Schule erzählen, aber das tu ich normalerweise nur den 5-Klässlern an, die interessiert es zum Teil, und außerdem sind da die Eltern zum großen Teil mit dabei."
"Also ich kann ja ganz gut auf die ganze Schulgeschichte verzichten."
"Versteh ich vollkommen. Warum wechselst du eigentlich mitten im Schuljahr die Schule?"
"Naja, meine Eltern haben hier einen echt guten Job bekommen, sie leiten jetzt das Restaurant hier, das war der Traum meiner Eltern. Deswegen mussten wir natürlich umziehen."
Wir kamen an die Tür, er hielt sie mir ganz gentlemanlike auf.
"Danke. Deine Eltern konnten die zwei Wochen, bis die Sommerferien anfangen auch nicht mehr abwarten."
"Ich hätte, wenn wir immer noch in Nordrhein-Westfalen leben würden seit zwei Wochen Ferien. Ich hab das Schuljahr eigentlich schon beendet. Ich soll jetzt hier trotzdem noch bis zu den Ferien in die Schule, dass ich die Schüler kennen lerne."
"Ich stell dich in der Pause auf jeden Fall ein paar von meinen Freunden mal vor. Wir sind im Übrigen jetzt bei unseren Sportplätzen und einem Teil vom Pausenhof. Die Hütte darüben wird von Schülern saubergehalten und jeder kann sich dort Bälle und anderes ausleihen. Wenn du von dort was willst, musst du deinen Schülerausweiß abgeben oder irgendeinen anderen Ausweiß, dass du das Zeug wieder zurückbringst. Irgendwann hätten wir sonst keine Sachen mehr drin. Ich zeig dir jetzt mal noch schnell den Pausenverkauf bevor die Pause anfängt, weil dann kommt man eigentlich gar nicht mehr hin. Ich bring dich dann noch ins Kozi, da kann ich dich dann den anderen mal vorstellen."
"Oh Gott, ihr seid tatsächlich in euerem Kozi, in dem von meiner alten Schule waren zwar ein paar Sofas, aber es war für die zwei Jahrgangsstufen viel zu klein und es wollte auch keiner rein, weil die Sofas schon am vergammeln waren."
"Unser Kozi ist eigentlich ziemlich groß, wir haben zwei Etagen und die Sofas sind so, dass man sich noch draufsetzen kann, also nicht so extrem eklig."
Wir gingen wieder in die Schule zurück und am Pausenverkauf erklärte ich ihm das Prinzip, dass bei uns doch ein wenig anders war als an anderen Schulen.
"Hier drüben stellen sich die ganzen Mittel- und Unterstufenschüler an, der Teil hier ist nur für Oberstufenschüler. Wenn sich hier ein Unterstufenschüler anstellt, kannst du ihn einfach aus der Schlange rauswerfen. Zehntklässler lassen wir meistens drin, außer sie versuchen sich vorzudrängeln. Wenn du drängeln willst um an dein Essen zu kommen, stell dich bei den Mittel- und Unterstufenschülern an. Das ist natürlich kein offizielles System, aber irgendwann haben die Oberstufenschüler es geschafft das durchzusetzen, es gibt ja nichts Schlimmeres als kleine, nervige Unterstufenschüler, die sich vordrängeln wollen. Willst du dir was zu Essen kaufen? Wenn ja, dann kauf es jetzt gleich, ansonsten musst du nachher eventuell ewig warten."
"Nein danke, ich hab was mitgenommen."
"Gut, dann zeig ich dir jetzt gleich noch das Kozi."
Er bestaunte unser Kozi, weil es wirklich zu den besseren gehört. Die Sofas sahen so aus, als ob man sich tatsächlich daraufsetzen konnte und Platz war auf genügend vorhanden. Als dann die Schulglocke ertönte, führte ich ihn zu einer Sitzgruppe und forderte ihn auf, es sich bequem zu machen.
Und dann kamen die restlichen Leute meiner Jahrgangsstufe ins Kozi. Der Lärmpegel stieg schlagartig. Auch meine Freunde kamen. Sie bemerkten Chris und begrüßten ihn, stellten sich vor. Chris wirkte leicht überfordert. Meine beste Freundin kam und brachte mir meine Schulsachen, die ich in Reli stehen gelassen hatte.
"Wir sollen diesen ganzen Zettelkram lesen, nächste Woche Montag schreiben wir noch eine Ex."
"Oh super, war ja klar, dass da noch was kommt. Ehm Chris, was und wen hast du in Sport?"
"Basketball bei Herr Schmitz."
"Okay, dann musst du nicht rüber an die Hauptschule, sondern bleibst hier."
"Warum rüber an die Hauptschule?"
"Unsere Sporthalle ist zu klein für fünf Sportkurse, also muss ein Teil rüber an die Hauptschule."
Als die Pause aus war, zeigte ich ihm unsere Bibliothek und das Lehrerzimmer und alle anderen "interessanten" Orte, wie zum Beispiel das Büro unserer Oberstufenkoordinatorin. Die Stunde war noch nicht vorbei, deswegen gingen wir zurück ins Kozi um uns noch zu unterhalten.
"Wieso bist du eigentlich hier an der Schule, wenn dein Onkel hier Direktor ist? Ich hätte ja da geguckt, dass ich an eine andere Schule komm, aber nicht an die, die ja quasi in "Familienhand" ist." fragte Chris mich.
"Naja, als ich an die Schule gekommen bin, war er noch an einer anderen Schule und hat sich, als ich in der 7 oder 8 war, sich um eine Direktorstelle beworben, und da unser Direktor in dem Jahr ging, ist mein Onkel hier her gekommen. Da war ich halt schon an der Schule und wollte auch nicht mehr wechseln, ich hab ja hier schon meine Freunde gehabt. Außerdem komm ich mit meinem Onkel echt gut klar und wie stolz er auf mich ist, hast du ja gemerkt.“ Erklärte ich ihm und fügte leise an: „Sehr viel stolzer als meine Eltern."
"Ja okay, wenn das Ganze so ist. Aber warum ist dein Onkel stolzer auf dich als deine Eltern?"
"Naja, ich hab halt komplett andere Berufswünsche als meine Eltern. Sie wollen, dass ich genauso wie sie beide, Juristin werd und haben sich in ihrem Berufswunsch für mich so festgefahren, dass sie nicht akzeptieren können, dass ich Grundschullehrerin werden will. Nein, ich muss Juristin werden, sonst kann ich überhaupt alle Unterstützung von meinen Eltern vergessen. Außerdem wollten sie eigentlich einen Jungen und das bin ich ja offensichtlich nicht. Intelligenterweise machen sie mich auch noch dafür verantwortlich."
"Echt? Dann ist dein Onkel so ein bisschen dein Halt? Unterstützt wenigstens er dich?!"
"Ja, er ist im Prinzip so was wie ein Ersatzvater für mich. Er unterstützt mich auch voll bei meinem Berufswunsch. Eigentlich ist er mein einziger familiärer Rückhalt."
Wir redeten noch viel bis zum Ende der Stunde, hauptsächlich aber über Lehrer und was ihn so in den diversen Fächern erwarten wird. Als dann auch diese Stunde vorbei war, brachte ich ihn in die Sporthalle und zog mich dann auch um.
In der Sportumkleide traf ich auf meine beste Freundin Nina. Sie meinte: "Also manchmal hast du's ja echt gut, du triffst die ganzen Neuen immer als erstes und kennst sie dann. Das ist vor allem dann echt fies, wenn die Neuen so gut ausschauen wie Chris. Warum ist der eigentlich jetzt noch hier hergekommen, ich mein eigentlich wechselt doch keiner mehr in der 11 die Schule."
"Genau das hab ich ihn auch gefragt, seine Eltern haben hier das Restaurant übernommen und dann musste er halt mit. Das war anscheinend schon länger ein Traum von seinen Eltern."
"Ja dann kann man's ja noch verstehen, ist auf jeden Fall eine Bereicherung für unsere Schule."
Aus der Sporthalle hörte man: "Kommt ihr alle jetzt mal bitte endlich runter?!"
Wir gingen runter in die Sporthalle, wo unsere Tanzlehrerin schon ziemlich genervt stand. Tanzunterricht statt "richtigem" Sportunterricht gab es bei uns erst seit ein paar Jahren, mein Onkel hatte diesen eingeführt, da er der Meinung ist, dass Mädchen nicht zu Leichtathletik gezwungen werden sollten und jedes Mädchen auf jeden Fall einmal das Tanzen ausprobiert haben sollte, allerdings mussten wir auch einmal Leichtathletik ausprobieren. Natürlich konnten auch Jungs mitmachen, dass war aber eher selten, da auch klassischer Tanz, also Ballett, unterrichtet wurde. Ich fand es auf jeden Fall toll, da ich so öfter zum trainieren kam. Ich tanzte auch außerhalb der Schule in einer Ballettschule, bei der gleichen Tanzlehrerin, da diese eigentlich ein Tanzstudio leitete. Wir begannen mit unserem üblichen Aufwärmen, zuerst zwei kleine Schrittfolgen, die wir ein paar Mal wiederholten, bis wir warm waren, dann Muskeltraining und zum Schluss noch Dehnübungen. Anschließend übten wir unseren Tanz für die Schlussaufführung, am Ende des Schuljahres mussten alle Tanzklassen des Gymnasiums einen Tanz aufführen. Dann gingen wir noch zu den Ballettstangen und übten dort. Als diese Doppelstunde vorbei war, forderte mich meine Tanzlehrerin auf noch kurz zu bleibe.
"Also erst mal hab ich da wieder einen Wettbewerb bei dem du teilnehmen kannst und dann ..."
Tja, diese Wettbewerbe waren für mich quasi Pflicht, ich soll meinen Eltern doch keine Schande machen, in dem ich nicht zeige, was ich kann. Blöd nur, dass ich eigentlich gar keine Lust auf diese Wettbewerbe hatte und dort nur mitmachte, weil ich doch noch die Hoffnung hatte, dass meine Eltern vielleicht irgendwann mal etwas von mir halten würden. Auch wenn gleichzeitig Ballett natürlich nicht zu dem Jungen, den sie sich gewünscht hatten passt, aber mir machte es nun mal Spaß und ich war nicht allzu schlecht beim Tanzen.
"... und da kannst du ja den Tanz nehmen, den du im Moment für mögliche Wettbewerbe übst."
"Bei was, tschuldigung, ich war grade in Gedanken."
"Kein Problem, es gehen doch so viele Lehrer in Rente und da dachte ich mir, dass es vielleicht schön wäre, wenn du vortanzt. Aber natürlich nur wenn du willst."
"Ich überlegs mir. Eine Frage noch, bist du in der 9 Stunde noch da? Ich würd noch gern ein wenig Spitze und natürlich auch den Tanz üben."
"Nein, ich bin leider nicht mehr da, aber ich sag Bescheid, dass du hier noch rein darfst und üben darfst."
"Danke. Du, ich muss los, ich hab ja jetzt noch Unterricht, du kennst ja die bescheuerten Stundenpläne von der Oberstufe."
"Kein Problem. Bis Morgen."
"Bis Morgen!"
Ich duzte meine Tanzlehrerin, weil ich schon bei ihr tanzte, als ich klein war, meine Eltern waren der Meinung, wenn ich schon ein Mädchen bin, muss ich auch in ein rosa Tutu gesteckt werden. Dieser Wunsch von ihnen ist bis heute nicht in Erfüllung gegangen. Ich hetzte in den nächsten Unterricht, Mathe, nachdem ich mich umgezogen hatte. Auf einmal hörte ich von hinten: "Hey warte doch mal. Ich hab doch keine Ahnung wo ich hin muss, die Jungs haben gemeint, dass du mich hinbringst."
"Sorry, ich hab grade gar nicht mehr an dich gedacht."
"Kein Problem, ich hab dich ja noch erwischt. Wir haben jetzt Mathe, nicht?"
"Genau, komm, wir müssen uns ein bisschen beeilen."
Wir liefen schnell zu Mathe und und ich entschuldigte uns bei Herrn Kramer und stellte ihm Chris vor. Wir setzten uns und hörten dem Unterricht mehr oder weniger interessiert zu. Chris fragte mich: "Warum habt ihr eigentlich Tanzunterricht hier?"
"Mein Onkel ist der Meinung, dass jedes Mädchen mal Tanzunterricht gehabt haben sollte und deswegen hat er sich dafür eingesetzt, dass hier Tanz unterrichtet wird."
"Soweit ich gesehen habe, bist du echt gut."
"Naja, geht schon, es gibt bessere."
"Glaub ich kaum. Hast du nach der Schule noch Zeit, mir ein bisschen die Stadt zu zeigen, viel hab ich bisher noch nicht gesehen."
"Ich kann leider nicht, ich kann nachher noch in die Turnhalle und noch ein bisschen trainieren."
"Noch mehr trainieren?"
"Ja, ich brauch die Übung."
"Darf ich zuschauen?"
"Wenn du meinst."
Es klingelte und wir gingen wieder in die Sporthalle. Chris ging schon nach unten und ich zog mich wieder um. Ich nahm meine Schläppchen und meine Spitzenschuhe mit nach unten.
"Also Chris, für dich wird das Ganze jetzt wahrscheinlich sehr uninteressant."
Ich setzte mich auf den Boden und begann mit meinem Muskeltraining, also Sit-ups, Liegestützen und so weiter. Dann machte ich mit Übungen an der Ballettstange weiter und dann mit dem Spitzentraining. Am Schluss übte ich noch meine Tänze, die ich auf Wettbewerben vorführte und dann kam mir eine Idee zu einem neuen Tanz. Ich lief nach oben und holte Block und Stift und schrieb die Tanzschritte auf.
"Mein Gott, wie lange willst du denn noch trainieren, ich mein du trainierst schon seit zwei ein halb Stunden."
"Und das ist im Prinzip nichts. Ich trainier manchmal bis zu 5 Stunden am Stück, dann komm ich später nach Hause."
"Ja okay, das versteh ich, aber heute kannst du mir ja noch die Stadt zeigen, dann kommst du auch später nach Hause."
"Okay, dann musst du trotzdem noch kurz warten, ich muss mich wieder umziehen."
"Kein Problem, das Bisschen macht auch nichts mehr aus."
Ich lief schon wieder nach oben, diesmal um mich umzuziehen. Wir nahmen unser ganzes Schulsach und gingen in die Stadt.

Kapitel 2


„Ich weiß nicht wie viel du schon von der Stadt gesehen hast, du bist ja schon ne Woche hier, auch wenn du in der Zeit doch hauptsächlich mit dem Umzug beschäftigt warst, stimmts?“ fragte mich Mia.
„Du hast es vollkommen erfasst!“ meinte ich und wieder einmal fiel mir der aufrechte Gang von Mia auf.

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Bildmaterialien: http://www.freeimageslive.com/
Tag der Veröffentlichung: 14.07.2012

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