Der Bungastamm
Ich kauerte mich leise in unserer Holzhütte zusammen und lauschte dem Dröhnen der Monster, die meine Heimat zerstörten.
Wie jedes Mal wenn die Weißgesichter kamen, mussten wir um unsere Heimat und unser Leben fürchten. Denn die Weißgesichter kannten kein Erbarmen mit uns. Sie nahmen uns jede Überlebensmöglichkeit. Viele Nachbarstämme waren schon vertrieben oder verhungert.
Ich wollte nicht vertrieben werden und verhungern schon gar nicht!
Voller Angst drückte ich meine kleine, weinende Schwester an mich. Immer wieder sagte ich mir, dass ich jetzt stark sein müsste. Für Shina…Sie war gerade mal 4 Jahre alt und musste schon sehen wie ihre Spielgefährtin von Shoonenstamm verhungert am Boden lag.
Es war ein grausiger Anblick gewesen. Ihre Knochen stachen durch die dunkelbraune Haut fast hindurch. Ich hatte schon nächtelang Albträume gehabt und ich war bereits 10. Wie sollte es nur Shina gehen?
»Sesha? «, fragte mich Shina.
»Ja, Kleine? «
»Ich hab Angst, Sesha! «
Oh die hatte ich auch Shina…hätte ich ihr am liebsten gesagt, aber das würde sie nur noch mehr beunruhigen. Also hob ich sie hoch und setzte sie in meinen Schoß. Sofort knuddelte sich Shina an mich und zog an meinem Gewand.
»Die brauchst du aber nicht haben, Shina. Ich verspreche dir, dass alles gut wird okay? Wenn du jetzt ganz stark bist, werden wir nachher auch Kokoswerfen spielen, in Ordnung? «
Ein Strahlen erfasste Shinas Gesicht und sie schien sehr aufgeregt.
»Wirklich? Versprichst du’s mir? «
Kokoswerfen war Shinas absolutes Lieblingsspiel, doch seit ihre Freundin verhungert war, spielte kaum mehr jemand mit ihr.
»Denkst du ich sag das nur so? Natürlich das wird ein riesen Spaß! «
Shina jubbelte und sprang von meinem Schoß um in der Hütte rumzulaufen.
Die Hütte war ziemlich heruntergekommen genau wie Shina und ich.
Unsere Klamotten hatten ich und meine Mutter aus besonders reißfesten Blättern gemacht, doch mittlerweile war die Kleidung zu klein, zerschlissen und dreckig.
Früher hatten wir immer die schönsten Gewänder an, weil wir uns fast jeden Tag neue Kleidung geschneidert hatten. Doch das ging nicht mehr, weil wir um die speziellen Blätter zu kriegen immer sehr weit in den Wald laufen mussten. Das jedoch war uns nicht mehr möglich seit die Weißgesichter ihre riesigen Plantagen gebaut hatten. Denn wenn einer von uns dieser Plantage zu nahe kam, benutzten die Weißen alle Mittel um uns zu vertreiben.
»Shina möchtest du was essen? «
Shina strahlte wieder über das ganze Gesicht.
»Haben wir denn noch genug? Ich hab doch heute Morgen schon was gegessen! «
Das tat weh. Es tat weh wissen zu müssen das zwei Mahlzeiten am Tag für sie kaum glaubhaft waren. Damals haben wir jeden Tag dreimal gegessen und zwischen durch durften wir uns immer noch Bananen oder so holen. Aber jetzt war alles anders. Es trieb mir die Tränen in die Augen.
»Was hast du denn Sesha? «
» Ich? Ach nichts ich hab Staub in die Augen bekommen. «
Shina nickte nur und tollte dann weiter im Haus herum.
Seufzend stand ich ebenfalls auf und versuchte das Dröhnen einfach zu überhören…bald ist es schließlich vorbei, sagte ich mir immer und immer wieder.
Müde begab ich mich zum Kochtopf und schaute ob noch etwas drin war. Ja ein Rest der Kokosmilch von heute morgen war noch drin. Mit einem selbstgeschnitzten Löffel kratzte ich die pampigen Reste raus und füllt sie in zwei Holzschalen, die wir aus dem Holz der umgestürzten Bäume gemacht hatten, denn manchmal ließen die Weißgesichter etwas Holz achtlos liegen.
Das wurde dann gleichmäßig an die Stämme verteilt die es wiederum an die Bürger verteilten.
Die Schale, die mehr Kokosmilchpampe enthielt, reichte ich Shina. Begeistert stürzte sie sich auf das Essen, doch als sie am Ende die Schale von sich schob, war noch ein Rest drin.
»Hier Sesha! Ich hatte mehr als du. Ich möchte nicht mehr, ich will, dass du das noch ist. «
Sie war wie ein kleiner Engel. Ein Engel, der sich in mitten des Urwalds verirrt hatte und jetzt aus Versehen hier rumhockte. Wieder traten mir fast Tränen in die Augen, doch ich schluckte sie runter.
»Nein Shina, ich möchte, dass du das isst okay? «
Shinas Augen wurden groß.
»Aber warum denn? «
»Weil du noch groß und stark werden musst! Außerdem bin ich satt. «
Shina zuckte mit den Schultern.
»Okay… «
Schweigend nahm sie wieder ihre Schale und kratzte den Rest auch noch heraus. Lächelnd sah ich ihr dabei zu. Ihre nächste Frage traf mich wie ein Schock.
»Meinst du Mammi und Pappi kommen heute wieder? «
Meine Mutter und mein Vater mussten wie alle andern Erwachsenen heute Jagen gehen. Wir konnten natürlich nicht ahnen, dass die Weißen heute wieder anfangen würden ihre Monster einzuschalten, aber so eine Situation hatten wir schon öfter gehabt und es waren immer alle wieder zurückgekommen. Also wieso sollte es heute anders sein?
» Natürlich kommen sie wieder, warum sollten sie nicht? «
»Na weil sie schon so lange weg sind! Normalerweise kommen sie doch immer ganz früh schon wieder wenn die Monster alles kaputt machen. «
Shina hatte Recht.
Kurz danach erstarb plötzlich das Heulen der Monster und ich hörte wie Geschrei und Gejubbel aus den Häusern meiner Nachbarn kam. Schnell nahm ich Shina auf den Arm um mit ihr einmal das Ausmaß der Zerstörung zu betrachten und andererseits mit den andern zu feiern, dass wir noch lebten.
Doch als ich rauskam, erwartete mich der Schock meines Lebens. Die Erwachsenen, die auf der Jagd gewesen waren, trugen mit einer Trage aus Farn zwei in einer Art Laken gehüllte Gestalten, was nur eines bedeuten konnte:
Ein oder besser zwei Stammesmitglieder waren tot.
Aufgeregt suchten Shina und ich Mutter und Vater um sie zu fragen, wer das ist. Doch wir fanden sie nirgendwo. Nach ausgiebiger Suche gingen wir zu dem Stammesältesten.
Vorsichtig zupfte ich ihn am Ärmel.
»Hommes? «
Hommes drehte sich mit Tränen in den Augen um. Als er uns sag schien er plötzlich noch trauriger zu werden. Ich verstand das alles nicht.
»Ja, Kleines? «
Ich deutete auf die zwei Laken.
»Wer…wer ist das? «
Hommes liefen Tränen über die Wangen und er nahm uns in den Arm.
»Sesha, Shina meine Kleinen…das…das sind eure Eltern. «
Und in diesem Moment brach eine Welt in mir zusammen.
Beruhigend strich ich Shina über den Kopf.
»Scht…scht…es wird ja alles gut, alles gut… «
Doch Shina wollte sich nicht beruhigen. Ehrlich gesagt hätte ich mich in ihrer Situation auch nicht beruhigt. Jetzt hatte sie nur noch mich. Was für eine lausige Geselltschaft, dachte ich bitter. Aber ich zeigte keinem mehr meinen Schmerz und mein Leid.
Ab heute bin ich stark. Für Shina. Für mich. Für uns. Für alle.
Die andern Dorfbewohner fühlten sich jetzt schuldig. Sie dachten sie hätten mehr um meine Eltern kämpfen müssen. Doch ich weiß, dass das Quatsch ist. Sie haben alles gegeben, man sah es ihnen an. Ihre Erschöpfung spiegelte sich in ihren Augen wieder, die glasig wirkten.
Für unsern Stamm war es immer hart, wenn ein Mitglied starb, denn wir waren eine große Familie und sorgten uns umeinander und füreinander.
Zum Beispiel boten die Hurans uns Unterkunft an, doch ich lehnte ab. Shina gefiel es nie von zu Hause wegzugehen, wie konnte ich ihr dann einen Umzug beibringen. Zumindest bestanden die Hurans dann darauf uns in Not unter die Arme greifen zu dürfen, so wie es meine Mutter und mein Vater immer gemacht hatten, selbst wenn es uns nicht besser ging.
Doch damit es gar nicht erst soweit kam, hatte ich beschlossen mit den andern Jagen zu gehen. Shina konnte ich dazu überreden in der Zeit dann zu unseren Nachbarn zu gehen.
Langsam versiegten Shinas Tränen. Sie sah mich wehleidig an.
»Sesha? «
»Ja? «
»Könntest du mich irgendwie ablenken? «
»Was schwebt dir denn so vor? «
»Na ja du hast mir doch versprochen Kokoswerfen zu spielen nicht? «
Ich nickte.
»Ja das hab ich! Wollen wir eben eine holen uns spielen? «
Shina lächelte.
»Ja! «
Ein Strahlen erfasste ihr Gesicht und wir rannten raus in Richtung dichterer Regenwald hinter dem die Plantagen angebaut waren. Doch kurz bevor wir das Dickicht erreichten rief uns eine Stimme zurück.
»Sesha, Shina wo wollt ihr hin? «, rief uns Hommes zurück.
»Ich wollte mit Shina Kokosschalen holen zum Werfen. Von den Plantagen! «
Hommes schüttelte den Kopf.
»Es ist zu gefährlich! Niemand verlässt mehr das Dorf außer beim Jagen! Habt ihr das alle verstanden? «
Aufgebrachtes Gemurmel ertönte und schon sammelten sich die Kinder aus unserem Stamm um aufgeregt durcheinander zu rufen.
»…total unfair! «
»…und unnötig! «
»…dann kommen wir hier ja gar nicht mehr raus! «
Ich gesellte mich zu ihnen und sofort zog ich alle Blicke auf mich. Sie wurden mitleidig und auch traurig.
»Sesha! Hab ich dich lange nicht mehr gesehen. «
»Das tut mir ja alles so leid! «
»Wie verkraftest du das nur? «
»Ich würde das nicht so gelassen nehmen können, wenn meine Eltern sterben würden… «
Eine wütende Stimme mischte sich unter die andern.
»Jetzt lasst Sesha doch mal in Ruhe! Für sie ist es sicherlich nicht leicht! «
Die Kinder sahen verlegen zu Boden und zustimmendes Gemurmel ertönte.
Ich sah das Mädchen an, das mir geholfen hatte.
Es war Lusha. Wir kannten uns schon vom Kindesalter an, aber das tat jeder hier. Wir waren ein Stamm, eine Familie, wurde mir klar. Wir waren füreinander da und halfen dem anderen. Das wurde mit jetzt klar. Es bedeutet ich war doch nicht so allein und verlassen, wie ich mich fühlte. Und Shina würde es auch nicht sein. Diese Gedanken brachten mir das erste Mal seit Stunden ein echtes Lächeln auf die Lippen. Wir waren eine Gemeinschaft.
Nun würde ich bereit sein. Bereit für alles was kam.
Stundenlang ging ich noch mit Lusha und den anderen herum und unterhielt mich mit ihnen.
Plötzlich fiel mir siedendheiß ein, dass ich vergessen hatte Shina was zu essen zu machen. Schnell rannte ich nach Hause. Doch ich fand nur unsere verlassene Wohnung wieder genauso wie ich sie verlassen hatte. Das ganze Dorf suchte ich nach Shina ab. Doch sie war wie vom Erdboden verschluckt.
Die Erwachsenen stellten Suchtrupps zusammen und rannten ins Dickicht. Mir wurde es untersagt ebenfalls nach Shina zu suchen. Doch ich konnte meine kleine Schwester nicht einfach suchen lassen und hier rumsitzen! Ich würde auch suchen.
Entschlossen rannte ich allein in den Wald.
Immer weiter und weiter rannte ich um Shina zu finden. Meine Arme waren voller Kratzer und Blut von den Ästen der Bäume. Doch der Schmerz trieb mich nur an immer weiter u rennen. Nach einer Weile bemerkte ich, dass ich zu den Kokosplantagen rannte. Nur noch wenige Schritte dann wäre ich da. Vielleicht hatte Shina ja einfach allein eine Kokosnuss holen wollen? Plötzlich stolperte ich über etwas auf dem Boden und schlug hart auf dem Boden auf.
Rechtzeitig fing ich mich noch mit den Händen auf.
Als ich meine Beine ran zog waren sie von einer roten Flüssigkeit überzogen. Doch es war nicht mein Blut. Alles begann sich zu drehen, als nachschaute über WAS ich gestolpert war.
Über einen Kleiderbündel voller Blut? In dem Bündel steckte ein Messer drin. Vorsichtig drehte ich es um und-
Shina starrte mich mit leeren Augen an. War sie…war sie tot?
Ich versuchte ihren Puls zu fühlen, doch vergeblich. Ihr zarter Körper lag in meinen Armen. Reglos.
Tränen rannen mir über die Wange und es begann zu regnen.
Allein. Das war ich nun. Allein.
Tag der Veröffentlichung: 14.09.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses Buch widme ich den vielen armen Kindern, die in ständiger Angst im Regenwald leben.