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Kapitel 1.



Die Nacht war unheilvoll, kalt und unbehaglich. Der Wind war stürmisch, fuhr durch Gassen, Scheunen und Ebenen, ohne Rücksicht, ohne Erbarmen. Äste bäumten sich unter seiner Kraft auf, brachen teilweise wie Streichhölzer. Der Himmel öffnete seine Pforten. Regen fiel herab, der sich prasselnd auf die Dächer Lamitas ergoss. In den Straßen und Gassen bildeten sich kleine Bäche, die Geröll, Lehm und Kleingetier mit sich trugen. Das Vieh auf den Weiden suchte Schutz unter Bäumen und drückte sich fest aneinander um Wärme zu finden. Fensterläden klapperten im Wind und schlugen knacksend gegen die Fensterrahmen.
Aufgeregt wälzte sich Lilianas Körper in ihrem Bett hin und her. Sie sprach im Schlaf und schrie einige Male auf. Öffnete mal aufgeregt die Augen einen Spalt weit, jedoch nur um sie im nächstem Moment sofort wieder zu schließen. Sie schien von Alpträumen geplagt. Bilder waren in ihrem Kopf, die sie nicht mehr loslassen wollten. Nicht einmal das laute Geräusch des gegen die nur spärlich eingebauten Fenster prasselnden Regens schien diese Grausamkeiten beenden zu können.
„Lilly. Schatz. Wach auf. Wir müssen von hier verschwinden“, rief eine sehr angenehm melodische Stimme neben ihr. Das kleine Mädchen zuckte mit den Augenlidern. Fern klang die Stimme ihrer Mutter, doch nah genug um sie deutlich ausmachen zu können. Ein verzweifelter Unterton klang mit ihr. Dies war kein Scherz! Niemals sonst hatte ihre Mutter sie so unsanft aus dem Schlaf gerissen. Im nächsten Moment fuhr Lilly im Bett hoch. Ihre Glieder zitterten wie Espenlaub. Ihr Körper rang nach Luft. Irgendetwas schien ihr den Atem nehmen zu wollen. Kalter Schweiß rang ihr von der Stirn und tropfte langsam von ihrer Nasenspitze. Nervös drehte sie den Kopf hin und her und sah sich um, ihre kleinen Augen weit aufgerissen. Ein Ausdruck des Entsetzens spiegelte sich darin wider.
Etwas oder jemand kam, das sagte ihr ein Gefühl tief in ihr.
Neben sich erblickte sie das liebevolle Gesicht ihrer Mutter. Hilfe suchend klammerte sie sich an sie. Liebevoll schloss Fiona ihre Tochter in die Arme, und strich ihr langsam, beinahe zärtlich durch das dunkelbraune, beinahe schwarze Haar.
Hinter ihr, zwischen Stühlen, Tisch und Regalen durchsuchte ein Junge das Haus nach etwas Brauchbarem. Seine Gestalt war ansehnlich, schlank und vom vielen Training mit dem Vater wohl geformt. Sein Haar schwarz und lang. Sein Gesicht war sehr markant. Angefangen mit ausgeprägten Wangenknochen, bis hin zu der kleinen, halbrunden Narbe auf seiner linken Wange. Seine Kleindung war einfach, bestand aus nicht viel mehr als einem braunem Hemd und einer dunklen Hose. Nichts Außergewöhnliches, doch es reichte für den täglichen Gebrauch. Teure Hemden und Stoffe konnte seine Familie sich nicht leisten. Seine Mutter war eine einfache Weißnäherin und verdiente gerade genug, um sich und ihre beiden Kinder über die Runden zu bringen. Eilig kramte er in den Regalen. Packte Essen, einige fest verschlossene Amphoren mit Wasser und einige Decken zu einem Bündel.
Schwere Schritte drangen an Fionas Ohr. Trotz des Sturmes und des laut prasselnden Regens schallten sie durch den frühen Morgen, wie die Rufe einer Fledermaus durch die dunkle Nacht. Bedrohlich stampften sie über den Asphalt der Straße.
„Ryuichi. Beeile dich!“, rief Fiona ihrem Sohn zu und wankte mit ihren Blicken immer wieder aufgeregt zwischen der immer noch an sie geklammerten Liliana und ihrem Sohn hin und her. „Nur noch einen Augenblick“, versicherte der Junge aufgebracht, während er die letzten kleinen Handgriffe tätigte. Fiona nickte, ging jedoch nicht weiter auf seine Worte ein. Zu sehr war sie damit beschäftigt Lilly anzuziehen. Zog ihr zunächst ein weißes Unterkleidchen aus weißem Leinen über, gefolgt von einem tief blauen Kleidchen. Lilly schluchzte. Tränen liefen an ihren geröteten Wangen herab.„Mama“, flüsterte sie. Die junge Mutter schüttelte mit dem Kopf. Sie durfte jetzt ihre eigene Angst nicht zeigen, nicht hier… nicht jetzt vor den Kindern.
Sicher.... Ryuichi war bereits 12 Jahre alt und für sein Alter kräftig, clever und bedacht. Doch Liliana... sie war erst 5, noch so jung.
Plötzlich wurde es gleißend hell. Ein bedrohlich nahe wirkendes Donnern hallte durch die Nacht, als es im nächsten Augenblick auch schon krachte. Der Blitz hatte in eine leer stehende Scheune einer ihrer Nachbarn eingeschlagen. Lilly zuckte erschrocken zusammen., schrie mit einem schrillen Ton auf, ehe sie sich wieder an ihre Mutter klammerte. Liebevoll blickte die junge Mutter ihre Tochter an und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Das kleine Mädchen seufzte auf ehe sie ihr verweintes Gesicht wieder im Kleid ihrer Mutter vergrub.
Plötzlich fuhr Ryuichi herum. Seine Augen durchsuchten aufmerksam den Raum, seine Ohren waren gespitzt. Das Stampfen der sich nähernden Männer hatte, nachdem es für einen Augenblick stillgeschwiegen hatte, nun wieder eingesetzt.
Näher und näher kamen die Schritte und man konnte hören wie einige der Männer vor Wut zu knurren schienen. Ein lautes, höhnisches Lachen folgte. Keine Zweifel… sie suchten etwas oder jemanden. Und sie würden ihn mit Gewissheit auch finden. Schließlich verstummte der Lärm.
Panisch hob Fiona ihre Tochter vom Bett, stellte sie auf die Beine und gab ihr einen Schubs, so dass sie sicher in den Armen ihres großen Bruders landete. Die kleine erschrak zu Tode, wagte aber instinktiv nicht aufzuschreien. Krallte sich stattdessen in Ryu's Gewand. Er nahm das Bündel und drängte sich mit seiner kleinen Schwester Richtung Hintertür. Ihm war klar geworden, dass sie beide hier verschwinden mussten.
Fiona betrachtete ihren Sohn. Wie erwachsen er doch wirkte. So verlässlich wie sein Vater es immer gewesen war. Eindringlich sah sie ihn an, ihr Blick flehend, verängstigt. Ryuichi schüttelte entschieden den Kopf. „Mutter. Nein! Komm mit uns. Noch ist Zeit zu fliehen“, bat der Junge seine Mutter inständig. Fiona schüttelte den Kopf. Ihr langes braunes Haar fiel dabei hin und her. „Nein mein Schatz. Ihr werdet ohne mich gehen. Du bist stark genug um zu recht zu kommen. Ich bitte dich nur noch um eines mein Sohn“, sagte sie plötzlich mit einer solchen Ernsthaftigkeit, dass es einem eine Gänsehaut über den Rücken hätte fahren lassen. Erwartungsvoll sah Ryuichi Fiona an. Er schauderte unter der Entschlossenheit die sich in diesem Augenblick in ihren Augen widerspiegelte. „Gib gut auf deine kleine Schwester Acht hörst du. Schwöre es!!!“, sagte sie unnachgiebig. Der Junge nickte. Seine Mutter sagte dies nicht zum Spaß. Sie würde also nicht mit ihnen gehen. Sie würde hier bleiben und versuchen diese Männer von ihnen fern zu halten. Zum ersten Mal seit langer Zeit stieg in ihm erneut der tiefe Wunsch auf, sein Vater wäre hier. Würde seiner Mutter bei stehen. „Ich werde Liliana mit meinem Leben verteidigen Mutter. Ich schwöre es. Man wird ihr kein Haar krümmen“, versicherte er tapfer, war er doch selbst den Tränen nah. Doch er durfte jetzt vor Lilly nicht anfangen zu weinen. Sie hatte in diesem Augenblick Angst genug. Vorsichtig hob er die Kleine in seine Arme und drängte sich mit ihr weiter in Richtung der Hintertür. Leise öffnete er sie und warf einen letzten lächelnden Blick zu Fiona zurück. Schließlich verschwand er lautlos mit seiner kleinen Schwester in die stürmische Nacht.

 

Kapitel 2.



Fiona lächelte erleichtert. Die Kinder waren nun hoffentlich außer Gefahr. Sicherlich würde die erste Zeit ohne die Eltern für sie schwierig werden. Doch konnte sie sich sicher sein. Ryuichi hatte einen starken Willen und einen sehr ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Er würde auf seinem Weg die richtigen Entscheidungen für seine und die Zukunft Liliana's treffen.
Ein lautes Geräusch riss die junge Mutter geradewegs aus ihren Gedanken. Die Milchkanne, die vor der Tür gestanden hatte war durch den Sturm gegen die Hauswand geschleudert wurden und fiel nun krachend zu Boden.
Das Herz der jungen Mutter begann plötzlich laut in ihrer Brust zu schlagen und schickte einen schmerzhaften Impuls nach dem anderen durch ihren Körper. Ihr Puls raste, ihr Atem stocke für den Bruchteil einer Sekunde. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und rangen langsam von ihr herab. Sie kamen näher.... Instinktiv wich sie einige Schritte zurück und drückte sich gegen den Tisch. Nur wenige Augenblicke später hörte sie eine tiefe, männliche Stimme.
Mit einem lauten Krachen flog die Tür auf, die unter der Wucht beinahe aus den Angeln flog. Flink wie ein Wiesel, in Bruchteil von Sekunden huschten mehrere Schwarze Gestalten durch die Tür und umzingelten Fiona. Erschrocken sah diese sich um, eilte nach einer Möglichkeit des Entkommens suchend hin und her. Doch die in schwarze kuttenartige Gewänder gehüllten Gestalten rührten sich nicht. Standen teilnahmslos da, ohne Regung, ohne jedwedes Zeichen des Bekümmerns. Die Kapuzen tief über ihre ausdruckslosen Gesichter gezogen. Panisch wich die junge Frau so weit sie konnte zurück. Diese Gestalten strahlten eine merkwürdige Aura aus. Fiona spürte sie bis in jede Faser ihres Körpers. Sie schauderte. Es schien als verkörperten diese Männer das pure Böse. Plötzlich fuhr sie herum und blickte erneut in Richtung der Tür.
Eine letzte, stattliche Gestalt tauchte darin auf. Mit langsamen, doch entschiedenen Schritten kam er auf sie zu und hielt schließlich nur ein paar Meter von ihr entfernt Inne.
„Nicht sie ihr Taugenichtse“, brummte die Bestallt.
„Durchsucht das Haus. Nehmt mit was ihr kriegen könnt“, befahl er streng.
Fiona zuckte unter dem rauen, unerbittlichen Ton seiner Stimme zusammen.
Eilig, wie kleine, leblose Schatten huschten die Gestalten an der jungen Frau vorbei und verteilten sich im Haus. Gierig durchsuchten jeden Winkel. Regale...Tische...Stühle...Truhen und Betten. Nichts war vor den gierigen Händen dieser Männer sicher.
Angstvoll klammerten Fiona's Hände sich an die Kannte des Tisches. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Mit jedem Schritt dem sich diese finstere Gestalt sich ihr näherte wurde sie unruhiger. Nun hatte sie Gewissheit. Die Männer waren auf der Suche nach Ryuichi und Liliana. Die Frage war nur noch warum?
Der Regen schlug gegen die Fenster und übertönte die auf den Dielen des Bodens knacksenden Schritte, des sich nähernden Mannes. Schließlich folgte ein letzter Schritt.
Lärm drang aus den hinteren Bereichen des Hauses. Ein dumpfes Knacksen einer sich schwer öffnenden Truhe deren Halterungen wohl so wie die meisten der Möbelstücke schon bessere Tage gesehen hatten drang durch den Raum. Eine nur all zu gierige Hand griff nach dem kleinen Ledersäckchen das sich in der hölzernen Truhe befand. Mit einem kalten Lächeln auf den Lippen öffnete er es. Ein Klirren. Selbstzufrieden betrachtete er die Münzen in seiner Hand und drehte sich zu seinem Herren herum.
„Mein Herr Lucien. Seht Euch das an. Diese herrlichen Münzen wollte das Weib vor uns verstecken“, erklärte er in seiner Naivität.
Fiona erschrak. Lucien... dieser Name war ihr nicht unbekannt. Ihr Mann hatte kurz vor seinem Verschwinden von ihm gesprochen. Lucien verzog keine Miene. Mit so etwas belanglosem wie Geld würde er sich nicht abgeben. Ihm trachtete es nach mehr.
„Loko... Lino... habt ihr die beiden Kinder gefunden“, fragte er ungeduldig.
Ein ängstliches Raunen drang aus dem Nebenraum.
„Keine Spur von den Gören mein Herr“, kam die schwache Antwort.
Luciens Gesichtszüge entgleisten, wurden finster. Die so schon beinahe schwarzen Augen blitzten unheimlich auf. Wütend schlug er seine zur Faust geballte Hand direkt neben Fiona auf den Tisch und atmete schließlich einige Male tief durch, um seine Fassung wieder zu gewinnen.
Aus den Augenwinkeln heraus betrachtete die junge Mutter sein erbostes Gesicht, lächelte zufrieden in sich hinein. Doch sogleich kamen neue Zweifel in ihr auf. Waren die Kinder bereits weit genug vom Haus entfernt? Waren sie in Sicherheit...? Um keinen Preis würde sie es wagen jetzt die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Für einen kurzen Augenblick schloss sie die Augen. Sah die beiden vor sich. Ihre Gesichter... ihr Gelächter. Es war als seien sie genau jetzt bei ihr, würden sie leiten, ihr Mut geben. Schließlich öffnete sie die Augen wieder, biss sich vor Angst einmal auf die Lippe, ehe sie ihren Blick diesen merkwürdigen Fremden zu wandte. „Gebt Euch keine Mühe. Sie sind fort“, sagte sie fest. Die Ader die deutlich sichtbar an Luciens Hals entlang verlief begann zu pulsieren. Er kochte innerlich vor Wut. Seine Hand bebte vor Zorn. Fuhr schließlich in einem kurzen, unnahbar wirkenden Augenblick herum. Traf schließlich die Wange Fiona's. Erschrocken und eingeschüchtert zugleich wich die junge Frau zurück. Lucien drehte sich herum. Blickte verärgert in die dunklen Augen der jungen Mutter.
„Schweig Weib. Ich wüsste nicht, dass ich Euch um Eure Meinung gebeten hätte“, sagte er mit belehrender Miene während er mit langsamen aber bestimmten Schritten zu ihr hinüber ging.
Fiona lachte abermals. Wischte sich das Blut was von ihrer Wange rang aus dem Gesicht. Erstaunt betrachtete der in schwarz gekleidete Mann sie. Fiona's blickte ihn beständig an. Ihr Blick war fest und unnachgiebig. Lucien brodelte vor Wut über dieses Weib. Mit jeder einzelnen Sekunde wuchs sein Ärger. Wie konnte sie es wagen so mit ihm zu sprechen? Schließlich verstand er und lächelte verschmitzt.
Mit ein paar schnellen Bewegungen war er hinter ihr. Sein Arm umklammerte ihren Brustkorb. Erschrocken wand sich die junge Frau hin und her. Versuchte zu entkommen. Doch vergebens... Sein Griff war fest und unlöslich. Seine Kräfte waren den Ihrigen bei Weitem überlegen und schenkten ihr nicht die Möglichkeit zur Flucht.
Lucien lächelte höhnisch. Konnte die Angst der jungen Frau spüren. Sie regelrecht greifen. Langsam tastete seine Hand nach etwas unter seinem Gewand. Seine Finger legten sich wohlwollend um den Griff eines Dolches. Zogen ihn langsam heraus. Die Klinge war mit einem glänzenden Silber geschmiedet worden funkelte unter dem Licht des herein scheinenden Mondes auf. Aus den Augenwinkeln sah Fiona die silberne Klinge aufblitzen. Jeder einzelne Muskel ihres Körpers zuckte vor Erregung. Das Blut in ihren Adern begann zu pulsieren. Kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Ein merkwürdiges Gefühl durchzog sie. Panisch wandte sie sich erneut hin und her. Versucht krampfhaft seinen Griff zu lösen. Verdammt noch mal. Es muss doch einen Ausweg geben.

Wohlig lächelte Lucien in sich hinein. Spürte er doch wie das Herz der jungen Frau aufgeregt schlug. Ihr Gefühl der Angst verschaffte ihm ein solches Vergnügen wie er es schon lange nicht mehr erlebt hatte. Er wäre ohne größere Schwierigkeiten in der Lage gewesen zu dem Rhythmus ihres Herzschlages zu tanzen. Sein tiefes Lachen erhalte. Erfüllte den Raum, ehe er ihr langsam mit der Klinge über die Haut ihrer Kehle fuhr. Einige Male strich er genüsslich damit ihren Hals entlang, auf und ab. In einer grausam langsamen Monotonie. Es schien ihm eine wahre Freude zu sein sie zu quälen. Ihre Todesangst zu verlängern. Sie bis auf den kleinsten Tropfen auskosten zu können. Fiona erschrak aufs Mark. Doch wagte sie es nicht sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Jede unnötige Bewegung. Ja. Gar jedes unnötige Zucken ihrer Muskeln könnte für sie den sicheren Tod bedeuten. Sein Griff war immer noch fest. Keine Möglichkeit ihm zu entkommen. Sie schloss die Augen und atmete einige Male tief durch. Einige kleine Schweißperlen rangen an ihrer herab. Tropften geradewegs auf die silberne Klinge des Dolches der sich immer enger an ihre Kehle drückte. Wie lange würde dieser Mensch oder wer oder was auch immer er war sie wohl noch quälen. Wann würde er all dem ein Ende bereiten?
Schließlich verschwand das Lächeln aus Luciens Gesicht. Seine Miene wurde wieder finster. Bedeutungslos... ohne jede Regung. Ein Ruck durchzog seinen Arm. Noch enger lag der Dolch nun an dem Hals der jungen Frau.
„Also. Ich denke wir hatten jetzt genug Spaß miteinander“, sagte er zunächst in einem zuckersüßem Ton.
Ein grausiger, sarkastischer Unterton klang seiner Worte nach. Unsanft packte er sie an den Haaren. Drückte ihren Kopf näher an sich heran. Fiona schrie vor Schmerz auf.
„Hör zu Weib. Sag mir wo du die Kinder versteckt hast und ich werde dein bedeutungsloses Leben verschonen“, sagte er nun tonlos.
Fiona zuckte zusammen. Bedeutungslos?? Das konnte wohl kaum sein Ernst sein. Doch was spielte dies nun noch für eine Rolle? Erneut zogen Bilder vor ihren Augen vorüber. Sie sah die beiden. Wie Ryuichi mit seinem Vater an seinem Lieblingsplatz am Fluss gespielt hatte. Wie ihre kleine Tochter sie das allererste Mal aus ihren tiefen braunen Augen heraus angelächelt hatte... ihr erstes Wort...ihre ersten kleinen Schritte. Wie Ryuichi eines Abends mit einer blutigen Wange und von Schmerzen geplagt vom Training mit dem Vater nach Hause gekommen war. Sich in ihren Armen ausgeweint hatte. Nein!!! Ihr Leben war gewiss nicht nutzlos gewesen. Genau so wenig wie es ihr Tod sein würde. Sie lächelte zufrieden in sich hinein. Die Kinder waren in der Zwischenzeit gewiss schon sehr weit weg. Und wie sie ihren Sohn kannte, hatte er mit Gewissheit ein gutes Versteck gefunden.
Langsam beugte Lucien seinen Kopf über ihr Gesicht. Sah ihr sichtlich verärgert in die Augen. Wie konnte dieses Weib es nur wagen in so lächerlich zu machen.
„Lucien. Selbst wenn ihr mich beseitigt werdet ihr sie nicht finden. Sie sind cleverer als ihr“, sprach Fiona mit all dem Mut den sie noch in der Lage war aufzubringen.
Abfällig rümpfte er die Nase und stieß ihren Kopf unsanft nach vorn.
„Du bist genau so stur wie dein Mann es war als wir ihn befragten“, murmelte er ihr verheißungsvoll ins Ohr.
Die junge Frau schauderte unter seinem kalten Atem. Doch gleichzeitig stieg Wut in ihr auf. >>Du verdammtes Scheusal<<
Sie bebte vor Zorn. Alles Liebenswerte verschwand aus ihrem Gesicht. Falten bildeten sich. Ihre Augen funkelten den Fremden böse von der Seite an. Bebend ballten sich ihre Hände zu Fäusten. Tränen bildeten sich in ihren Augen. Sie waren heiß. Schienen beinahe zu kochen. Es war eine dumme Angewohnheit von ihr. Doch musste sie immer weinen wenn sie äußerst wütend war.
„Warum? Was hat es euch gebracht ihm das Leben zu nehmen?“, fragte sie halb im Zorn, halb verzweifelt.
Erstaunt betrachtete Lucien Fiona. Wie mutig sie doch war.
„Die Gilde der Schatten hat keine Verwendung für Verräter“, antwortete er mit einem gleichgültigen Schulterzucken.
Die junge Frau erschrak. Wie konnte er nur so gewissenlos sein? Erneut lief eine Träne Fiona's Wange hinab. Fiel dabei direkt auf die Klinge des Dolches der sich noch immer eng an ihren Hals legte. Schließlich verstummte ihr Schluchzen.
Für einen Augenblick trat eine grausame Stille in den Raum.
Überrascht betrachtete Lucien das Gesicht der jungen Frau. Sie...sie lächelte. Sichtlich irritiert betrachtete er es erneut. Tatsächlich...sie lächelte. Auch spürte er wie ihr Herz begann langsamer zu schlagen. Sich zu beruhigen. All ihre Angst...ihre Furcht war verschwunden. Stattdessen schien sie nun völlig ruhig. So als erwarte sie was nun unweigerlich folgen würde. Musternd sah er an ihr herab. Sie war in der Tat nicht hässlich. Wenn er ehrlich sein sollte sogar sehr hübsch. Langes, dunkles, lockiges Haar. Zarte, rosige Lippen. Und wie er feststellen konnte eine sehr angenehm weiche Haut. Was war es doch für eine Verschwendung so ein hübsches Weib wie sie erledigen zu müssen. Doch Befehl war Befehl...oder doch nicht? Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er einen Widerwillen bei seinem Tun. Zum ersten Mal zweifelte er an sich. Doch er hatte keine Wahl...
„Es ist schon wirklich eine Schande um ein Weib wie Euch. Doch lasst ihr mir keine Wahl“, sagte er leise.
Im nächsten Augenblick ging alles sehr schnell. Ein Ruck. Ein kurzer Hieb des Dolches. Eine letztes mal zuckten Fiona's Glieder auf. Schienen einen kurzen, endgültigen Kampf fechten zu wollen ehe sie reglos in seinen Armen zusammen sackte.
Sichtlich nachdenklich hielt Lucien sie in seinem Arm. Führte seinen Dolch an dessen silberner Klinge nun das Blut seines unschuldigen Opfers haftete zurück in sein Gewand. Noch einmal betrachtete er das Gesicht der jungen Frau. Immer noch Lag keinerlei Sorge oder Angst darin. Nur völlige Zufriedenheit... Fast schien es als schliefe sie nur. Als hätte nicht jedes Leben ihren Körper verlassen. Er blickte auf. Sah zu dem Fenster. Noch immer peitschte der Regen gegen die Scheibe. Doch längst nicht mehr so stark wie zuvor. Beinahe schien es als ob Gott selbst um dieses Weib trauerte. Ein merkwürdiges Gefühl durchzog Luciens Brust. Er schüttelte kurz den Kopf. Strich sich eine Strähne seines langen strähnigen Haares aus dem Gesicht. Warum überkamen ihn jetzt all diese Zweifel? Weshalb gerade jetzt? Was auch immer es war. Diese Nacht würde noch Jahre in seinem Gedächtnis bleiben. Langsam ließ er den Körper der jungen Frau auf die Erde sinken und kniete schließlich neben ihr. Langsam fuhr seine Hand über ihre Wange. Hielt schließlich an ihrer Hand Inne. Sorgfältig legte er ihren linken Arm über ihre rechte Brust. Ihren rechten Arm über die Linke. Sah sie noch einmal bedauernd an. „Es tut mir leid“, säuselte er leise ehe er sich erhob.
Eilig suchte er Loko auf, der gerade dabei war die Schlafstube zu durchsuchen. „Loko...Lino. Geht und findet die Kinder. Und lasst euch eines gesagt sein“, sagte er streng während er auf den Soldaten zuging.
„Die Aufgabe ist von aller größten Wichtigkeit. Wagt es also nicht ohne sie wieder aufzutauchen. Habt ihr verstanden“, erklärte er mit rauer, unerbittlicher Stimme während seine Hand den Soldaten unsanft am Kragen fasste und ihn schließlich vor die aufgestoßene Hintertür des Hauses stieß.
„Sehr wohl Sir“, kam die Antwort ehe die Gestalten in die Nacht hinaus verschwanden.

Kapitel 3.



Unaufhörlich fiel der Regen vom Himmel, prasselte auf Dächer, Scheunen und Mauern. Kleine Blasen bildeten sich auf den Pfützen der Straßen und Blitze zogen über den Horizont.
Immer weiter in Richtung der Stadtmauern rannten Ryuichi und Lilly. Mit einem kurzen Blick vergewisserte er sich ob Lilly an das hohe Tempo mithalten konnte. Keuchend und sich die Tränen und die Regentropfen aus dem Gesicht wischend lief sie neben ihm. Kleine, im Regen kaum ersichtliche Tränchen rangen an ihren vor Erschöpfung erröteten Wangen herab. Doch sie war tapfer. Drückte immer wieder vertrauensvoll die Hand ihres großen Bruders. Schier endlos liefen sie nebeneinander her. Das Gespür für die Zeit hatten sie längst verloren. Am Himmel zuckte ein Blitz durch die rabenschwarze Nacht. Blanke Panik machte sich in Lilly breit. Ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen und ihr Blick starr und gehetzt. Ihr Blick ruhte hilfesuchend auf ihrem Bruder.

Achtlos hetzten sie, soweit ihre Füße sie trugen über den über den harten Asphalt. Dann geschah es, sie übersah einen Stein und noch ehe sie reagieren konnte verlor sie ihr Gleichgewicht und schlug hart auf den Boden, doch instinktiv fing sie sich ab. Einige Sekunden kauerte sie auf dem nassen Boden. Hautfetzen standen von ihren kleinen Knien ab, die sie sich durch den Sturz abgeschürft hatte. Die Angst verschwand aus ihrem Gesicht. Ihre Züge wurden hart, Beinahe zornig. Erneut blitzen ihre dunklen Augen auf. Ihre Wut war förmlich greifbar, sie durchzog die nächtliche Luft wie ein Schleier der nur darauf wartete alles unter sich zu verschlingen was sich ihm in den Weg stellte.
Noch ein grausamer Augenblick der Stille folgte ehe sie sich wieder regte.
Wütend kniff sie die Augen zusammen und biss sich auf die Lippe ehe sie ihre Hände ballte und verzweifelt auf den Boden einschlug, um so ihre angestaute Wut Herr zu werden. Schließlich betrachtete sie ihre Knie von denen das Blut herab tropfte und an der Innenseite ihres Kleides klebte. Sie lies sich einfach nach hinten fallen, stützte ihre Arme ab und wirkte völlig abwesend. Ihr Blick war gen Himmel gerichtet. Unaufhörlich fiel der Regen. Fordernd hob Lilly ihr Gesicht und neigte es den Tropfen entgegen. Sie fühlte die angenehme Kühle auf ihren erhitzten Wangen. Ryuichi schüttelte den Kopf und kauerte sich neben ihr auf den Boden. Verständnisvoll betrachtet er das Gesicht seiner kleinen Schwester von der Seite her.
Plötzlich drehte Liliana ihm ihr Gesicht zu. Fordernd und fragend zugleich blickten ihn ihre dunklen Augen an.
„Ryu ich will zu Mama zurück. Sie ist doch ganz allein zu Haus“, sagte sie leise und klammerte sich an seinem Arm.
Ihre kleinen Finger tasteten nach seiner Hand. Traurig schüttelte Ryuichi den Kopf und strich ihr behutsam mit seiner Hand über ihre Wange. Wuselte ihr liebevoll durch ihr langes schwarzes Haar.
„Du weißt, dass dies unmöglich ist. Mama wollte allein seien weißt du noch“, erinnerte er sie, wohlweislich das es die größte Lüge war die er jemals erzählt hatte.
Doch wie sollte er ihr erklären, dass ihre Mutter nicht mehr am Leben war? Konnte er doch selbst nur schwer die Tränen der Wut und der Verzweiflung zu unterdrücken die an ihm nagten. Entgeistert, gerade zu verständnislos schüttelte sie den Kopf.
„Sie haben Mama weh getan hab ich nicht Recht Ryu“, fragte sie während sich ihre Fingernägel versehentlich in den Arm ihres Bruders bohrten.
Ryuichi zuckte vor Schmerz und Überraschung zusammen. Er hätte nicht gedacht dass sie die kurzen spitzen Schreie noch gehört hatte. Eindringlich sah er sie an, schien kurz nach den richtigen Worten zu suchen.
„Ja das haben sie Liliana. Und ich schwöre Dir, dass sie dafür eines Tages bezahlen werden. Doch jetzt müssen wir erst einmal hier weg“, erklärte er ernst ehe er sich erhob und ihr die Hand reichte um ihr auf zu helfen.
Zufrieden blickte Lilly ihren großen Bruder an. Griff schließlich entschlossen nach seiner Hand. Vertrauensvoll und voller Zuversicht betrachtet sie ihren Bruder, durch ihre kleinen dunklen Augen hindurch an. Ein Lächeln lag nun auf ihrem Gesicht. Sie schloss die Augen. Drückte sich erschöpft an die Brust ihres Bruders.
Ryuichi sah zu ihr hinab, und lächelte sie an. Langsam legte er seinen Arm um ihre Schultern und drückte ihren Kopf noch ein wenig näher an sich bis er schließlich spürte wie sie ihr Gesicht in seinem Hemd vergrub und Ihre heißen Tränen über seine Brust rannen. Gequält schloss er die Augen und legte auch seinen zweiten Arm um sie. Immer wieder tauchte das Tränen verzerrte Gesicht seiner Mutter vor seinem geistigen Auge auf. Schmerzlich wurde ihm bewusst, dass er sie nie wieder sehen würde! Sie war für immer von Ihnen gegangen, in eine andere, unerreichbare Welt. Frei von Armut, Gewalt und Sorge. Doch es gab etwas was nichts und niemand zerstören würde. In seinen Gedanken und Erinnerungen würde sie für immer weiter leben, ihn führen und helfen die schwierigen Aufgaben zu bewältigen die nun auf sie warteten. Ja! In diesem Augenblick konnte er ihre Nähe, ihre Wärme förmlich spüren. Es schien als stände sie direkt neben ihm. Sie gab ihm Mut und Kraft. Und die würde er so war ihm Gott helfe brauchen. „Wir werden dich wieder sehen Mutter. Dein Tod soll nicht umsonst gewesen sein“, flüsterte er leise ehe er die Augen wieder öffnete.
Erschrocken hob Liliana den Kopf, Panik sprach aus ihren Augen „Ryu SIE kommen näher. Ich kann Sie spüren“. Verärgert verzog Ryuichi den Mund und biss sich schmerzhaft auf die Lippe. Seine Blicke fuhren herum. Versuchten jedes noch so kleine Detail auf zu nehmen. Bis sein Blick schließlich auf der kleinen Gasse ruhte aus der sie selbst nur kurze Zeit vorher gekommen waren. Eine merkwürdig dunkle Aura schien diese Männer in ihren dunklen kuttenartigen Gewändern zu begleiten. Sie war so dunkel und durchdringend, als stände der Tod in Person bevor. Sein Gesicht wurde immer härter. Diese Kerle hatten sie eingeholt. Seine Hand fuhr unter sein Gewand unter dem sein Schwert sicher in seiner Scheide ruhte. Doch mit beiden konnte er es unmöglich aufnehmen.
„Nein!!“, grummelte er, packte seine kleine Schwester an der Hand und begann aufs Neue mit ihr durch die Straßen zu laufen.
Die kleine keuchte und hielt sich schmerzhaft die Seite. Ihre kleinen Füße konnten nur mit allen größten Mühen dem hohen Tempo standhalten, dass ihr Bruder an den Tag legte. „Ryu. Was ist eigentlich los?“, fragte sie nach Luft ringend.
„Sie verfolgen uns. Sie haben sicherlich nichts Gutes mit uns im Sinn“, antwortete der Junge knapp.
Entgeistert blickte Lilly ihn von der Seite her an. Doch verstand sie, dass nun nicht der Rechte Zeitpunkt für weitere Fragen war. Sie versuchte die Müdigkeit die sie nach und nach zu übermannen drohte so gut es ging zu unterdrücken und rannte so schnell ihre kleinen Füße sie trugen. Erneut verzog Ryu verärgert seine Miene. >>Verdammt. Sie kommen immer näher<< Er überblickte die Straße, und hielt Ausschau nach einem geeigneten Versteck.

Schließlich erreichten sie einen kleinen Stand an dem ein junges Mädchen, scheinbar kaum älter als er selbst, die letzten Vorbereitungen traf. Ihr langes, lockiges, schwarzes Haar fiel ihr sanft über die Schulter. Die dunklen Augen blitzten schelmisch im Mondlicht das durch die Wolken brach. Rasch sah sich der Junge um, und hielt schließlich vor dem etwas zu groß geratenen Wagen Inne. Hastig fing er den Blick des jungen Mädchens ein. Sah ihr für einen kurzen Augenblick in die Augen. Sie glänzten gütig und sanft. Ein kurzes Nicken folgte ehe Ryu seine kleine Schwester mit einem sicheren Schwung vor sich drehte.
„Was ...Was ist hier los“, rief das junge Mädchen skeptisch.
„Es tut mir leid wenn wir dich so überfallen“, antwortete Ryuichi kurz.
„Wir brauchen Hilfe. Mein Name ist Ryuichi und dies ist meine kleine Schwester Liliana“, sagte er aufgeregt.
„Amalia Mimon“, erwiderte das junge Mädchen alles andere als begeistert.
Ryuichi nickte flüchtig.
„Amalia. Bitte nimm meine kleine Schwester und verstecke dich mit ihr. Wir haben nicht viel Zeit“, erklärte er knapp ehe er erneut in einem Anflug von Panik herum fuhr.
Mit einem gekonnten, kräftigen Stoß landete Liliana in den Armen Amalias, die Ryuichi verärgert ansah
„Was...Was soll ich“, sagte sie halb fluchend, halb besorgt.
Ryuichi drehte seinen Kopf für einen Augenblick und sah sie noch einmal über seine Schulter an. Seine Hand tastete langsam nach etwas unter seinem Gewand. Amalias Augen funkelten vor Faszination auf, als ihr Blick auf die silberfarbene Klinge fiel, Sie Sah in Ryuichis ernstes Gesicht. Nur widerwillig senkte sie schließlich ihren sonst so standhaften Blick. Ihre Hand tastete nach der des kleinen Mädchens das sie noch immer im Arm hielt. Ryu drehte seinen Kopf erneut und senkte ihn schließlich zu einem Nicken.

Kapitel 4.



Unbarmherzig prasselte der Regen auf den Asphalt nieder und viel auf das Gesicht des Jungen. Durch die halsbrecherische Flucht und den Regen, der sein übriges getan hatte, hatte sich das Band welches sein Haar gehalten hatte gelöst. Sein dunkles Haar kräuselte sich ein wenig unter der Feuchtigkeit und fiel ihm lang über den Rücken. Die Regentropfen fielen auf seine Stirn, rangen an seiner Wange hinab bis sie schließlich auf den Boden tropften. Seine Hand legte sich fester um sein Schwert ehe er seinen Arm hob. Eine abweisende Geste folgte.
„Komm Kleine wir gehen. Dein Bruder kommt später nach“, erklärte Amalia während sie Lilly bei der Hand nahm und ein Stück mit sich führte.
Doch die Lilly war stur und drängte den Weg zurück. Immer weiter auf ihren Bruder zu. „Ich will bei meinem Bruder bleiben“, fauchte sie entrüstet. Mit einem verständnisvollen Lächeln beugte sich Amalia zu Liliana herunter und kauerte sich neben sie. Ihre Hand fuhr sanft über ihre Wange. Behutsam drehte sie den Kopf zu sich herum. Nur gerade weit genug um den Blick des Mädchens einzufangen.
„Hör mal. Dein Bruder will uns beide beschützen. Und nun müssen wir ihm dabei helfen. Verstehst du? Er kann uns nicht beschützen wenn er um dich Angst hat“, erklärte sie.
Einige Sekunden verstrichen.
Zunächst fassungslos blickte Lilly das Mädchen neben sich an. Doch sie hatte verstanden. Sie musste ihrem Bruder nun helfen. Und das bedeutete im Augenblick diesem fremden Mädchen zu vertrauen und mit ihr zu gehen. Endlich nickte sie.
„Also gut. Helfen wir Ryu“, stellte sie fest und fasste wie automatisch die Hand Amalias.
Noch einmal sah das junge Mädchen zu Ryuichi hinüber. Ihr Blick voll Sorge. Doch spiegelten ihre Augen auch im selben Augenblick Hoffnung wieder. Denn auch sie konnte nun deutlich die dunkle Kraft spüren die sich unaufhaltsam ihren Weg bahnte.
„Bitte sei vorsichtig. Tot nützt du deiner Familie nichts“, ermahnte sie ihn streng.
Ryuichis Mund verzog sich zu einem gequälten Lächeln.
„Das werde ich.Und jetzt geht um Himmels Willen“, drängte er schließlich.
„Ryu du kommst doch gleich nach wenn die Fremden weg sind, nicht war“, erkundigte sich Lilly angstvoll während Amalia sie bereits an der Hand zu den großen Karren führte und sie in den Laderaum hob, von wo aus sie vor neugierigen Blicken geschützt war.

Ein letztes Mal sah sich Ryuichi nach den Mädchen um.
Sie sind außer Gefahr. Und das ist gut so.
Ein Lächeln zierte sein Gesicht. Er nickte kurz und entschlossen. Seine Hände umfassten die Halterung seines Schwertes. Jede einzelne Ader in seinem Körper, schien zu pulsieren vor Anspannung. Die Narbe auf seiner Haut brannte wie Feuer. Sein Herz begann zu rasen und überschlug sich förmlich in seiner Brust. Seine Augen waren weit geöffnet. Sein Blick geschärft und aufmerksam. Wachsam durchstreiften sie das Dunkel der Nacht. Plötzlich zuckte er zusammen, ja ohne Zweifel, Schritte!!! Und sie kamen schnell und bedrohlich näher.

Voller Neugier und Sorge blickten die beiden Mädchen durch einen Schlitz in der Abdeckung des Wagens den Amalia mit ihrer kleinen Schere, die sie bei sich trug geritzt hatte. Was wird das nur? Das zuversichtliche Lächelnd verflog binnen Sekunden. Wechselte mit einem Ausdruck der Angst und der Verzweiflung. Sie zitterte am gesamten Körper. Ihr Atem ging schnell. Ihr Kopf schmerzte. Ihr Herz pochte fest in ihrer Brust.
Ängstlich kniff Lilly die Augen zusammen. Die Spannung war einfach unerträglich. Es schien als ob die Zeit still stehen würde. Alles geschah so grausam langsam. Wie in einem Spiel dessen Regeln sie nicht verstand. Immer wieder wandte sie gequält ihren Blick ab. Doch ein Gefühl in ihr, zwang sie dazu immer wieder hinzusehen. Sie sah wie nervös der Atem ihres großen Bruders ging. Wie die Narbe auf seiner Wange pulsierte. Liliana spürte die Dunkle Energie die sich Schritt für Schritt auf sie zu bewegte.
Hilfe suchend blickte sie zu dem dunkelhaarigen Mädchen hinüber. Sie blickte in ihre Augen. Konnte in ihnen dieselbe Angst die auch in ihr wütete.
„Sie werden Ryu doch nicht wehtun oder Amalia?“, fragte sie aufgeregt.
Das junge Mädchen sah die Kleine getroffen an. Durch ihren Kopf zogen Ängste und Bilder die sie unmöglich in Worte fassen konnte. Wie sollte sie sagen wie diese Begegnung ausgehen würde? Ob sie mit dem Leben davon kommen würden? Ihr Gesicht verzog sich zu einem gequälten Lächeln.
„Nein , Hab keine Angst. Dein Bruder ist stark. Er wird es schaffen. Du wist sehen“, erwiderte sie zuversichtlich.
Lilly nickte Amalia zu. Etwas an ihr war ihr so vertraut. Als würde sie dieses Mädchen schon seid Ewigkeiten kennen. Ihre Augen waren so aufrichtig. So vertraut. Sie strahlten Wärme und Behagen aus. „Genau. Er wird siegen“, sagte sie entschieden und hob demonstrativ den Arm.
Erschrocken fuhr Amalia herum. Die dumpfen Schritte waren nun nur noch eine Spur von ihnen entfernt. Hastig legte sie der kleinen die Hand über den Mund und drückte sie mit sich hinunter.
„Still jetzt Lilly. Sie sind hier“, sagte sie aufgeregt.
Gespannt blickten sie zu Ryuichi herum der hinter einer hervorstehenden Mauer gedrückt in Deckung gegangen war.

Immer schön ruhig bleiben!!
Ryuichi atmete einige Male tief ein und aus um die Nervosität aus seinem Körper zu vertreiben.
Du darfst jetzt nicht scheitern. Du musst am Leben bleiben. Allein um ihrer Willen....
Seine Hand legte sich erneut fest um seine Klinge. Der Griff war ihm so vertraut. Lag in seiner Hand, als ob er noch niemals etwas anderes getan hätte. Eine Haarsträhne fiel über seine Wange. Ihre Spitze berührte sein Kinn. Eilig strich er sie aus dem Gesicht ehe er die Schritte der in schwarz gekleideten Gestalten deutlich wahrnehmen konnte. Sie waren nun nur noch wenige Schritte von ihm entfernt.
Nun galt es. Es würde in dieser Situation nur einen Weg geben. Einen Kampf um das bloße Überleben. Nicht nur sein eigenes Leben hing nun von der Stärke seiner Nerven ab. Auch das Leben der beiden Mädchen hing an einem silbernen Faden.

Ungehalten packte Loko seinen Kameraden am Arm.
„Spürst du das auch? Die Kinder sind hier. Nur wenige Meter von uns entfernt“, raunte er seinem Kameraden zu, wobei sein Zeigefinger leicht in Richtung der Mauer deutete.
Ein breites, unheimliches Grinsen trat in Linos Gesicht. Seine strähnigen Haare wehten um seine Wange. Lässig zuckte er mit den Schultern.
„Lass es uns hinter uns bringen. Der Boss wird sauer wenn wir zu lange trödeln“, sprach er entschieden und trat einige Schritte nach vorn.
Loko, der die Ungeduld seines Partners nur zu gut kannte schüttelte den Kopf, folgte ihm schließlich aber doch, in einiger Entfernung.
Leise drangen die Worte der in schwarz gekleideten Männern an Ryuichis Ohr. Er hörte wie ihre Schritte langsam immer näher und näher kamen. Er atmete schwer, sein Herz schlug ihm bis zum Hals und kleine Schweißtropfen perlten von bildeten sich auf seiner Stirn. Erschrocken beobachtete er wie sich die beiden Gestalten immer weiter dem Karren näherten in dem sich die beiden Mädchen versteckten. Die Angst die an ihm zehrte war groß.
Doch nun hatte er keine Wahl mehr....
Es gab keinen Ausweg aus dieser Lage.Niemals würde er zulassen, dass sie seiner kleinen Schwester oder Amalia Leid antaten.Er atmete tief durch, seine Hand hielt mit eiserner Kraft das Schwert seines Vaters umklammert. Jenes Schwert das er von seinem Vater geschenkt bekommen hatte. Dabei schossen Ihm eine Menge Gedanken durch den Kopf.
Wäre er je in diese ausweglose Situation geraten, wenn er seine Familie nicht verlassen hätte? Oder ist er genau aus diesem Grunde, losgezogen?Wollte er sie gar vor so einem Schicksal bewahren? Doch all das spielte nun keine Rolle mehr.
Langsam und möglichst leise schlich er auf die Gestalten zu, deren Namen er nur wage verstanden hatte. Kurz fuhr er sich durchs Haar und strich dabei eine Strähne aus dem Gesicht, die lästig an seiner Wange haftete.
„Hey Ihr. Sucht ihr vielleicht mich“, rief er so laut er konnte.
Augenblicklich fuhr Loko mit dem Kopf herum.
Flüchtig musterte er den Jungen und legte dabei lässig seinen Kopf zur Seite. Er schien keine Gefahr zu sein, ein Knabe eben. In diesem Augenblick waren ihm die Gedanken seines Meisters vollkommen suspekt. Weshalb war dieses Kind nur so Wichtig für die Gilde? Sein Kopf erreichte wieder seine normale Position. Seine Füße setzten sich in Bewegung und er hielt schließlich in einigen Metern Entfernung Inne. Abschätzend betrachtete Loko den Jungen der sich vor ihm aufgebaut hatte.Einige Augenblicke später änderte sich sein Gesichtsausdruck. Ein grausames Lächeln trat in sein Gesicht. Ein zynisches Lachen folgte.
Böse funkelte Ryuichi ihn an und versuchte aus dem Blick dieser Gestalt zu erahnen was er vorhatte, dabei immer auf seine Deckung achtend. Mit diesen Männern, so wusste er, war nicht zu scherzen. Nicht die Spur von Reue oder eines Gewissens spiegelte sich in ihren Augen wieder. Nur Gleichgültigkeit.
„Was wollt ihr von uns“, erhob der Junge seine Stimme.
Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Fremden. Erneut ließ er den Kopf kreisen.
„Junge hör zu. Ich werde es dir leicht machen. Gib uns dieses Mädchen und ergebt euch. Und niemanden passiert etwas“, sagte er zuckersüß.
Angewidert drehte Ryu den Kopf zur Seite. Dieser Abschaum! Wie er diese Menschen oder was auch immer diese Kreaturen waren verabscheute. Mit einer gekonnten, schwungvollen Bewegung kreuzte er seine Klinge vor seiner Brust.
„Nur über meine Leiche“, erwiderte er fest.
Loko lächelte auf. Sein Lachen wurde lauter. Halte weit durch die dunkle Nacht ehe er schließlich sein Schwert zückte und sich auf den Jungen zubewegte. Der Boss will die Kinder lebend. Schande aber auch. So unverschämt wie dieser Bengel ist
„Wünsch dir den Tod nicht zu früh Junge. Ihr sollt noch von Nutzen für uns sein“, sagte er bei nahe scherzhaft.

Er begann zu rennen. Schneller und schneller bewegte er sich auf Ryu zu. Attackierte ihn immer und immer wieder mit mächtigen Hieben seines Schwertes. Doch Ryuichi hielt ihnen stand. Ein ums andere Mal wich er den Stichen aus, blockte sie gekonnt. Konterte die Angriffe geschickt mit gezielten Hieben. Schneller und schneller. Flüssiger und flüssiger wurden seine Bewegungen. Gekonnt ließ er seine Klinge von einer Hand in die andere gleiten. Seine Finger führten das Schwert wie in einer Art Trance. Als ob es nie etwas anderes für ihn gegeben hatte.
Ein grausamer Tanz der Klingen begann. Klirrend trafen sie aufeinander. Reflektierten in kurzen, intensiven Interwallen das Licht des Mondes, der unaufhaltsam gegen die Übermacht der Wolken ankämpfte. Lösten sich mit einem nicht minder lautem Geräusch wieder von einander.
Erneut parierte Ryuichi einen Angriff seines Gegners. Duckte sich geschickt. Loko sah in verächtlich an, Wich dabei einige Schritte zurück. Blitzschnell erhob sich Ryu. Ging nun seinerseits in einen präzisen Angriff über. Ohne darüber nachzudenken führte er seine Klinge. Sie klang herrlich. Als sang sie. Ryuichis genoss den Klang des Schwertes der sich in Seinen Ohren wie Musik anhörte. Er erinnerte sich daran was sein Vater ihn einst lehrte. Sei eine Einheit mit deiner Waffe. Führe sie als wäre sie ein Teil von dir und sie wird dich führen. Dieser Augenblick schien nun gekommen. Lauter und lauter drang der Gesang des Schwertes in seinen Gedanken vor und gab ihm Mut und das so dringend ersehnte Quäntchen Selbstvertrauen, das er bitter benötigte.

Verärgert und mit immer größer werdenden Schwierigkeiten wich Loko Ryuichis Attacken aus. Er traute seinen Augen nicht. Wie konnte dieser Bengel nur so schnell und geschickt sein. Er war noch NUR ein Kind!! Er fluchte leise etwas vor sich her. Du miese kleine Kröte. Sein Gesicht lag in Falten. Wut spiegelte sich in seinen Augen wieder. Nichts lief an diesem Abend so wie es sollte. Wer hätte schon erwartet, dass ihnen ein Kind, solche Probleme bereiten würde?
Lilly ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten. Fasziniert und wiederwillig zugleich beobachtete sie den Kampf durch den kleinen Schlitz der Abdeckung. Er erschien ihr wie ein gut eingeübter Tanz. So schnell und präzise waren die Bewegungen ihres Bruders und dieses Fremden. Die Spannung war für sie unerträglich. Zerriss ihr beinahe ihr kleines Herz, das aufgeregt in ihrer Brust hämmerte. Mit kurzen intensiven Bewegungen ihrer Arme verfolgte sie das Geschehen. „Richtig so Ryu. Du schaffst es. Ja. Rechts, Links, wieder Rechts“, rief sie leise, jedoch aufgeregt aus. Schmunzelnd betrachtete Amalia sie aus den Augenwinkeln heraus. Sie selbst konnte ihren Blick ebenfalls nicht abwenden. Zu sehr zog sie der Tanz der Klingen in Ihren Bann. Noch nie hatte sie einen Jungen gesehen der so gekonnt mit dem Schwert umgehen konnte. Woher er wohl kam? Und warum ihn diese Männer verfolgten?
„Bist du wohl still. Du bringst uns alle noch in Schwierigkeiten“, erklärte sie mahnend.
Lilly fuhr zusammen. Sah Amalia entrüstet aus ihren kleinen dunklen Augen an. Pustete sich demonstrativ eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Musste Amalia so ärgerlich reagieren? Aber sie hatte Recht. Schmollend senkte Lilly den Kopf. Erneut folgten ihre Blicke dem Kampf.
Ein Sturm kam auf. Ließ die Wolken wie einen undurchdringlichen Nebel aus Finsternis über den Himmel ziehen. Wieder und wieder fielen die Silbernen Strahlen des Mondlichts auf die Erde, erhellten sie wie kleine Hoffnungsschimmer. Weiter und weiter ging der Kampf. Doch nun hatte Ryuichi die Oberhand gewonnen. War seinem Gegner, der Stück für Stück an Kraft und Schnelligkeit verlor, überlegen.
„Du bist gut Junge“, grummelte Loko angewidert.
Hielt er es doch nicht für Möglich, dass ihm ein einfacher Junge so die Stirn bieten konnte. Stück für Stück ließ er sich zurück drängen. Immer auf die Wuchte von Ryuichis Angriffen achtend. Plötzlich, wie aus heiterem Himmel stoppte er seine Bewegungen. Stand einfach nur da und atmete ein wenig nervös. Seine Lippen verzogen sich zu einem abgrundtief bösen, zynischen Lächeln. Seine Beine waren durchgestreckt. Wohlig breitet er seine Arme seitlich aus. Die Adern die kurz unter seiner bleichen Haut verliefen pulsierten drohend. Langsam ließ er seinen Kopf kreisen.
Instinktiv wich Ryu einige Schritte zurück. Jetzt hieß es Nerven bewahren und auf Distanz bleiben. Irgendetwas hatte dieser Loko vor. Was auch immer es war. Er würde dem standhalten.
Aufgeregt richtete sich Amalia auf. Stieß Lilly ungewollt zur Seite um durch den Schlitz sehen zu können. Vorwurfsvoll sah die Kleine sie an. Mit einem kleinen gezielten Stoß rempelte sie Amalia an, die allerdings davon keineswegs Kenntnis nahm. Grummelnd drückte sich Liliana an sie. Versuchte ebenfalls einen Blick zu erhaschen. Weshalb war Amalia plötzlich so aufgebracht? Wo sie doch bis her noch völlig ruhig zu seien schien. Unruhig schüttelte das Mädchen den Kopf.
„Etwas stimmt ganz und gar nicht. Diese Aura wird immer stärker. Verdammt. Ryu. Sei bloß vorsichtig“, raunte sie besorgt.
Lilly blickte sie erschrocken an. Hoffte inständig sich verhört zu haben. Die Kraft dieses Mannes nahm zu? Ängstlich zuckte sie zusammen und kauerte sich auf den Boden des Wagens. Ihre kleinen Beine angewinkelt. Sie zitterte am gesamten Körper. Ihre Hände tasteten über ihre Oberschenkel. Umschlossen schließlich ihre Knie. Kleine Tränen kullerten über ihr Gesicht, dass sie in ihren Armen vergrub. Rangen über ihre Fingerspitzen und fielen mit leisen Blirrs und Bings auf den Boden der Wagens. Lilly leises Schluchzen drang an Amalias Ohr. Sie atmete tief durch. Wandte ihren Kopf zu ihr herum. Langsam ließ sie ihren Kopf zur Seite sinken. Fing Lillis Blick wieder ein. Wie traurig sie da saß. Ihre kleinen Augen hatten jeden Glanz, jede Spur von Aufmüpfigkeit verloren. Waren von den vielen Tränen gerötet. Erinnerungen an ihre eigene Kindheit stiegen in Amalia auf. Wie oft hatte sie selbst weinend unter dem Tisch in der Küche gesessen. Und wie viele Male hatte sich ihre Mutter zu ihr gesetzt. Sie in den Arm genommen. Wenn sie Angst gehabt hatte. Oder enttäuscht über etwas gewesen war...
Langsam ging sie in die Hocke. Kauerte sich neben dem kleinen Mädchen auf den Boden. Strich ihr behutsam über den Arm. Hielt an ihrer Hand Inne und hielt sie fest. Sie wusste nicht wieso doch ... Auf eine merkwürdige Art und Weise war ihr dieses Kind so vertraut. Ihre Augen, ihr Lachen. Das Schluchzen wurde leiser. Verstummte schließlich ganz.
Traurig sah Lilly Amalia durch ihre verweinten Augen an. Noch immer kullerten kleine Tränen über ihre Wange. Vertrauensvoll klammerte sie sich an das dunkelhaarige Mädchen. Sie war so herrlich warm. Strahlte eine ihr so angenehm vertraute Aura aus. Amalia lächelte. Drückte sie an sich. Einige Augenblicke saßen sie einfach aneinandergeschmiegt da. Schließlich blickte Lilly auf. Hob ihre Hand und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Schniefte noch einmal kurz um ihre Nase frei zu bekommen.
„Geht es dir gut“, fragte Amalia ruhig.
Lilian nickte kurz. Rieb sich mit dem Zeigefinger noch einmal über die Nase.
„Amalia. Denkst du Ryu schafft es?“, fragte sie mit einer todernsten Miene im Gesicht.
Erstaunt ging Amalia wieder in die Hocke und blickte noch einmal durch den Schlitz. Ein kurzes Lächeln zog über ihre Lippen ehe sie die Kleine wieder ansah. Sie zögerte. Schwieg einen Moment. Ihre Gedanken begannen zu rasen. Diese Antwort wollte gut überlegt sein. Sie wollte jetzt nicht etwas sagen, das sie später bereuen würde.
„Bitte sag es“, drängte Lilly ängstlich und fordernd zugleich. „Ich...Ich denke er wird es schaffen“, raunte Amalia schließlich leise, obwohl ihre Stimme in diesem Augenblick alles andere als überzeugend klang.
Lilian nickte beruhigt. Krabbelte leise zum Ausgang des Karrens. Irgendetwas musste sie doch für ihren Bruder tun können. Erschrocken fuhr Amalia herum. Dieses freche kleine Ding. Sie war doch unberechenbar. Hastig streckte Amalia ihren Arm aus und bekam Lilly gerade noch an dem Fußgelenk zu fassen.
Hey hey hey. Was glaubst du tust du da?“, fragte sie verärgert.
“Ich helfe meinem Bruder“, antwortete die Kleine kurz und knapp.
Etwas in ihr sagte ihr dass es richtig war was sie tat. Lilly nickte und lächelte Amalia an.
„Bitte vertrau mir. Wir müssen hier raus“, erklärte sie und löste ihren Fuß sanft aus der Hand des jungen Mädchens. Erstaunt blickte Amalia der kleinen nach und schüttelte kurz mit dem Kopf, ehe sie es ihr gleichtat und aus dem Wagen kroch. Beide gingen schließlich dicht hinter dem Karren in Deckung.

Kapitel 5.



Der Wind frischte auf. Ryuichis langes dunkles Haar wehte im um die Schultern. Gespannt blickte er Loko an. Selbst er konnte nun die wachsende Energie spüren die von diesem Mann ausging.
Lokos Mundwinkel verzogen sich zu einem breiten, zynischen Lächeln. „Ich denke wir haben jetzt genug gespielt. Meinst du nicht auch“, stellte er fest.
Ryuichi funkelte ihn verachtend an. Seine Hände führten seine Klinge,hatten sie sicher im Griff. Wut stieg in ihm auf. Das Blut schoss ihm wie heißes Magma durch die Adern. Bereit alles auszulöschen was sich ihm in den Weg stellte. Er war bereit.
Das Lächeln verschwand aus Lokos Gesicht. Wurde wieder ernst und grausam. Seine Augen kalt und ohne eine Spur von Mitgefühl. Blitzschnell begann er zu sprinten und raste auf Ryuichi zu. Seine Arme ließen seine Klinge wie ein Schutzschild vor sich her wirbeln. Jede noch so kleine Berührung würde für seinen Gegner den sicheren Tod bedeuten. Abwartend schloss Ryu die Augen und begann sich zu konzentrieren. Diese Nacht kam ihm vor, wie ein Alptraum aus dem es kein Entkommen gab. Schließlich hatte er seine Gedanken von allem was ihn störte befreit. Achtete nur noch auf Lokos Schritte, die rasant näher kamen. Er konnte seine Energie deutlich spüren. Sein Herz begann so ruhig zu schlagen wie schon seid Tagen nicht mehr. Und doch schien jede Faser seines Körpers angespannt. Schließlich war Loko nur noch wenige Schritte von ihm entfernt. Hielt seine Klinge nun leicht ausgestreckt vor sich. Als wolle er sie dem Jungen gerade Wegs durch das Herz stoßen. Ryu blieb stehen. Jedes Gefühl von Aufregung oder Angst war verflogen. Er atmete leise. Bewegte sich keinen Schritt zur Seite. Endlich. Im allerletzten Augenblick, wich er wie automatisch aus.
Erschrocken starrte Loko in die Dunkelheit. Der Wagen kam bedrohlich nahe. Quälend versuchte er, seiner eigenen Geschwindigkeit Herr zu werden. Vergeblich. Mit voller Wucht prallte er gegen den Karren, dessen Haube von der immensen Kraft krachend in sich zusammen fiel.
Erschrocken stieß Lilly einen Spitzen Schrei aus und klammerte sich hilfesuchend an Amalia die sich im letzten Augenblick mit ihr hinunter drückte. Die in schwarz gekleidete Gestallt stand genau auf der anderen Seite des Karrens. Hätte sie jederzeit aufspüren können. Behutsam legte sie Lilly ihre Hand über den Mund. Sie durfte Ihre Angst nicht zeigen und musste der kleinen ein Vorbild sein.
„Sei still und tu was ich dir sage in Ordnung“, forderte sie Lilly auf. Die kleine nickte ängstlich. Langsam ließ Amalia ihren Arm wieder sinken und deutete auf das Ende vom Karren.
„Kriech bis ans Ende. Ich komme nach“, sagte sie leise.
Ohne ein weiteres Wort gehorchte die Kleine und krabbelte auf allen vieren zum Ende des Karren. Verweilte dort bis sie kurz darauf Amalias Arm auf ihrer Schulter spürte. Unweigerlich spähten sie um die Ecke. Die dunkle Gestalt hatte ihren Blick bereits vom Wagen abgewandt. Betrachtet nun wieder Ryuichi mit todbringendem Blick. Lilly hatte gerade ihre Lippen geöffnet. Wollte ein Wort sagen, doch Amalia hielt ihr abermals ihre Hand über den Mund. „Wenn du jetzt nicht ruhig bist wirst du uns noch verraten“, maßregelte sie. Sie spürte Ryuichis Blicke auf sich ruhen, der unweigerlich gesehen hatte wie die Mädchen hinter dem Karren gekrochen waren.
Wütend schlug Loko seinen Arm zur Seite und führte mit ihm eine drohende Geste aus.
„Du miese kleine Ratte. Warte nur“, brüllte er außer sich. Resignierend zuckte Ryu mit den Schultern. Nun war er es, der im rasanten Tempo in Richtung einer Mauer zurückwich. Es war gewiss, dass diese Gestallt einen weiteren Angriff starten würde. Und er sah nur einen Weg dem ganzen ein Ende zu bereiten... Schließlich stoppte Ryu. Streckte entschlossen seinen Arm aus. Seine Finger winkten Loko einladen zu.
„Na komm schon“, provozierte er deutlich und ließ seine Klinge bereitwillig und demonstrativ über den Asphalt fahren.
Hinter ihm klapperten die Fensterläden eines Hauses im Wind. Loko kochte vor Wut. Was fiel diesem Bengel ein? Wütend packte er seine Waffe. Deutete mit ihr direkt auf die Brust des Jungen.
„Du kleiner Zwerg. Ich werde dich jetzt töten“, schrie er aufgebracht.
Wie sei der Teufel selbst hinter ihm her raste Loko los. Seine Beine überschlugen sich beinahe. Sein Herz hatte große Mühe sein Blut in dieser Geschwindigkeit durch seinen Körper zu pumpen. Erneut schloss Ryuichi die Augen. Ließ sich nun von nichts und niemanden mehr beeindrucken. Konzentriert und völlig ruhig stand er da. Lauschte Lokos Schritten, der sich diesmal durch sein extremes Getrampel mit dem er sich über die Straße bewegte, selbst verriet. Ryu lächelt wissend, sein Gegner war unvorsichtig geworden. Das war seine Chance!!!Er öffnete ruckartig die Augen und duckte sich geschickt zur Seite. Mit aller Kraft die er aufzubringen vermochte packte er Lokos Arm und schleuderte ihm mit einem kraftvollen Stoß gegen die Mauer des Hauses.
Krachend schlug Loko auf und fand sich wenige Sekunden später auf allen Vieren auf dem Asphalt wieder. Sein Kopf brummte, die Schmerzen waren ihm unerträglich. Behutsam tastete er nach seiner Stirn. Er konnte fühlen, wie das warme Blut an ihr herab ran und geradewegs auf seine Finger tropfte. Langsam schritt Ryuichi auf ihn zu. Drückte ihm schließlich seine silberne Klinge an die Kehle. Sein Herz schlug aufgeregt. Sein Atem überschlug sich beinahe. Es war praktisch ein Kinderspiel. Eine einzige Bewegung seiner Hand würde genügen. Und dieser Schuft hatte es verdient. Ja! Er verdiente den Tod. Hatte er doch selbst keine Gnade gezeigt. Die Augen geschlossen und an die Wand gedrückt kniete Loko vor ihm. Das schlimmste erwartend. Doch wieder einmal kamen Ryuichi die Worte seines Vaters in den Sinn. Wütend zu sein ist leicht. Doch sie in den richtigen Moment einzusetzen ist eine Kunst. Sollte er in dieser Nacht wirklich zum Mörder werden? Zu dem werden was er so abgrundtief verabscheute? Langsam ließ er sein Schwert sinken, wandte seinen Blick ab und tat einige Schritte.
Überglücklich hielten sich Liliana und Amalia in den Armen. Ryu hatte es geschafft. Er hatte den Test bestanden. Übermütig krabbelte Amalia hinter dem Karren vor und rannte Ryuichi strahlend entgegen, der sie lächelnd in die Arme schloss. Sie schluchzte vor Erleichterung. Ihr Herz schlug heftig in ihrer Brust. Sie schauderte und vergrub ihr Gesicht in Ryu's Gewandt. Sie konnte es sich nicht einmal selbst erklären aber... er war so herrlich warm. Es fühlte sich so unglaublich gut an, in seinen Armen zu sein, so geborgen. Sanft wehte sein Haar um ihr Gesicht, schmeichelte ihm förmlich. Fürsorglich strich Ryuichi ihr über die Wange. Fing eine der Tränen auf die an ihr herab rangen. Noch nie hatte er ein anderes Mädchen als seine Schwester in seinen Armen gehalten. Sie war ihm so fremd und doch... fühlte es sich so vertraut an. Was war das für ein Gefühl was sich in ihm ausbreitete? Seine Gedanken begannen abzuschweifen. Er spürte den Schlag seines Herzens bis in die kleinsten Fasern seines Körpers. In jeder seiner Muskeln begann es zu kribbeln. Es war unglaublich. Etwas Ähnliches hatte er noch nie empfunden. Behutsam führte er seine Hand an ihr Kinn. Hob ihren Kopf an. Sah in ihre dunklen Augen, die wie der Mond selbst zu strahlen begonnen hatten.
„Geht es dir gut. Bist du verletzt“, fragte er besorgt.
Amalia schüttelte den Kopf. Blickte ihm tief in die Augen. Sie waren so dunkel und weit wie der Sternenhimmel unter dem sie selbst so gerne saß. Langsam stellte sie sich auf die Zehenspitzen und drückte ihre Stirn an seine. Sie war ihm nahe wie noch nie. So nahe, dass sie seinen Atem auf ihrer Wange spürte. Vorsichtig streifte sie seine Wange, wobei ihr jede kleine Berührung einen erneuten Schauer über den Rücken laufen ließen.
„Nein. Mir geht es gut“, flüsterte sie ihm ins Ohr ehe sie ihm wieder tief in die Augen sah.
Ryuichi lächelte. Ahnte was nun kommen würde. Und es fühlte sich richtig an. Genießerisch schloss er die Augen und dachte an nichts mehr als an ihre dunklen Augen. Langsam näherte er sich ihrem Gesicht. Drückte behutsam seine Lippen auf die ihren. Liebkoste sie sanft. Sein Magen zog sich zusammen und begann wie eine Armee von Schmetterlingen, die auf seiner Haut saßen zu kribbeln.
Was für ein unglaubliches Gefühl.
Auch Amalia schloss die Augen. Zog ihn behutsam näher an sich heran. Diese Wärme die sich von ihren Lippen in ihrem gesamten Körper ausbreitete war kaum zu ertragen. Schien sie beinahe zu verbrennen. Doch war es gleichzeitig das größte was sie je gefühlt hatte. Wie von selbst legte sie ihre Arme um seine Schultern. Erwiderte die sanften Liebkosungen seiner Lippen. Der Mond stieß durch die Wolken. Ließ sein Licht erneut über die Erde erstrahlen. Nur wiederwillig löste Ryu seine Lippen von ihren. Diese Nähe tat ihm gut. Beruhigte ihn nach dieser Nacht. Hinter ihnen kam Lilly endlich aus ihrem Versteck gekrochen. Blieb jedoch vor dem Wagen stehen.

Kapitel 6.


Wütend und verständnislos funkelte Loko Ryuichi an. Wieso nur hatte er sein Leben verschont. War er doch an dem Tod seiner Eltern beteiligt gewesen. Sein Ende wäre mehr als eine gerechte Strafe für seine Tat. Ganz ohne Zweifel. Und doch war er noch am Leben. Kauerte hier auf dem nassen Asphalt der Straße. Ungläubig faste er sich an die Stirn. Sein Kopf bereitete ihm fürchterliche Schmerzen. Das durfte doch nicht wahr sein. Von einem Kind besiegt... Was für eine Schande. Suchend sah er sich um. Erblickte seine Klinge, die neben ihm auf dem Boden lag. Sie schimmerte herrlich unheilvoll. Fast so als schrie sie nach Ryuichis Blut.
Möglichst unauffällig ließ er seine Hand über den Boden tasten und umfasste schließlich sein Schwert. Langsam erhob er sich. Tat bedächtig einige Schritte nach vorn, sein Arm durchgestreckt. Seine Augen visierten ihr Ziel an. Keine Fehler mehr. Keine Spielchen. Er hatte diesen Jungen einmal unterschätzt. Dieser Fehler würde ihm kein zweites Mal passieren. Zielgerichtet beugte er seinen Arm an. Seine Klinge zum Wurf bereit.
Panisch riss Liliana ihre Augen auf. Das durfte doch nicht war sein! Ihr Herz bebte vor Angst. Wollte sich einfach nicht beruhigen. „Ryu. Hinter dir“, schrie sie laut heraus. Geistesgegenwärtig nahm der Junge die Worte seiner kleinen Schwester war. Mit einer einzigen gekonnten Bewegung drehte er sich herum. Drückte Amalia hinter sich. Ihr würde kein Leid geschehen. Dafür würde er schon sorgen. Blitzschnell fasste seine Hand seine Klinge und schleuderte sie Loko entgegen. Wie ein Blitz der seine Spannung entlud, schien das Schwert die Luft zu zerschneiden. Nichts konnte es stoppen. Kein Widerstand. Kein Hindernis. Wie ein Pfeil sauste es weiter ehe es schließlich sein Ziel fand. Genau in Lokos Brust. Er schrie vor Schmerzen auf. Begann am gesamten Körper zu zittern. Quälend tat er noch einen Schritt. Dann verließen ihn die Kräfte und er sackte auf dem nassen Asphalt zusammen. Nun hatte er Gewissheit. Dies war das Ende. Er spürte wie das Blut aus seiner Brust ran und sich langsam unter ihm in einer Lache sammelte. Er hatte Mühe seine Augen offen zu halten. Er fühlte sich so schwach...so müde. Er wollte einfach nur noch schlafen. Loko schauderte, spürte wie die Kälte langsam in ihm empor kroch.
Eilig ging Ryuichi zu ihm hinüber. Betrachtete seine dunklen Augen, die immer blasser wurden. Seine Hand tastete nach seiner Klinge, die noch immer in Lokos Brust steckte. Ein kurzer Ruck. Ein schriller Schrei und es war getan. Zitternd hielt Ryuichi seine Klinge in der Hand. Sie glänzte rot. Das Blut lief an ihr entlang. Tropft an ihrer Spitze auf die Erde.

Erschrocken kniff der Junge die Augen zusammen. Er konnte es kaum glauben. Er ...er hatte gerade gemordet. Sicherlich aus Notwehr. Doch was spielte dies für eine Rolle. Er hatte einen Menschen oder was auch immer diese Gestallt war auf dem Gewissen. Dies so wusste er, würde ihn Zeit seines Lebens verfolgen.
„Es tut mir leid. Bitte vergib mir“, raunte er mit zu tiefst getroffener Stimme zu.
Angewidert über den Anblick der sich ihm bot und über sich selbst wandte er den Blick ab und tat einen zögerlichen Schritt vorwärts. „Ryu...Pass...gut...auf...Lilly...auf...sie...ist“, stotterte Loko mit schwacher Stimme. Dann wurde alles schwarz.
Ungläubig und entsetzt zugleich schüttelte Ryuichi den Kopf. Wagte es jedoch nicht sich umzudrehen. Weiter ging er vorwärts und stand schon bald neben Amalia die tröstend mit ihrer Hand über seinen Arm fuhr. Eifersüchtig sah Lilly ihren Bruder an. Es gefiel ihr gar nicht ihn in den Armen eines anderen Mädchens zu sehen. Schmollend verzog sie den Mund. Kauerte sich langsam vor den Karren. Liliana schauderte. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Etwas oder jemand näherte sich. Sie konnte es ganz deutlich fühlen. Jedes noch so kleine Haar auf ihrer Haut hatte sich aufgerichtet. Suchend blickte sie sich um. Schloss schließlich die Augen und konzentrierte sich. Diese Energie... Sie war so rein und hell. Schien regelrecht zu strahlen. Strotzte nur so vor Kraft und Reinheit. Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in ihr aus. Ihr wurde kalt. Bald warm.
Näher und näher kam die Kraft bis sie schließlich hinter dem Karren Schritte hören konnte. Lilly öffnete die Augen. Krabbelte eilig zum anderen Ende des Karrens. Eine großgewachsene Gestalt in einem blauen Umhang näherte sich. Blieb schließlich neben dem Karren stehen.

Kapitel 7.


Lino kochte vor Wut. Betrachtete die Leiche seines toten Kammeradens. Noch immer glaubte er nicht was geschehen war. Loko...der sonst so starke und überlegene...von einem Kind besiegt. Seine Augen blitzten verschwörerisch auf. Er würde den Tod seines Kammeradens rächen. Ryuichis Blut sollte das seine sein. Er würde nicht zulassen, dass er frei über diese Erde wandeln würde, ohne für seine Schuld zu bezahlen.
In Windeseile rannte er los. Stand schon bald neben den Kinder. Erschrocken sahen Amalia und Ryu ihn an. Diese Geschwindigkeit war unglaublich. Mit einem kraftvollen, gezielten Hieb stieß er das dunkelhaarige Mädchen zur Seite, die unsanft auf ihrem Steißbein landete. Ärgerlich verzog Ryuichi das Gesicht und funkelte Lino böse an. Dieser lachte verächtlich auf. Mit einigen blitz schnellen Bewegungen tauchte er vor dem Jungen auf. Packte ihn an der Gurgel und hob ihn in die Höhe.
Krampfhaft umschlang Ryu Linos Arm und versuchte ihn nach unten zu drücken. Doch es war aussichtslos. Gegen die Kraft dieses Mannes vermochte er nichts auszurichten. Sein Körper rang nach Atem. Er röchelte.
„Na wie fühlt es sich an dem Tod ins Auge zu sehen“, spottete Lino, lachte höhnisch auf.
Schockiert folgte Amalia den Geschehen. Wut stieg in ihr auf. Wut über ihre eigene Tatenlosigkeit. Sie würde nicht länger zu sehen. Sie musste Ryu helfen. Entschieden rappelte sich auf und tat einige Schritte auf Lino zu.
„Lass ihn in Ruhe du Ungetüm“, protestierte sie laut.
Genervt drehte Lino den Kopf. Sah dem Mädchen direkt in die dunklen Augen.
„Halt den Mund du Göre. Oder ist es dir lieber wenn ich ihn jetzt und hier und vor deinen Augen töte“, erklärte er.
Erschrocken wich Amalia zurück. Sie wollte ihn nicht noch weiter provozieren.
Lino ging nicht weiter auf das Mädchen ein und ließ seinen Blick wieder zu Ryuichi schweifen. Für einen Moment sah er ihm eindringlich in die Augen.
„Ich werde dich jetzt töten Junge“, erklärte er mit einer grausamen Gewissheit in seiner Stimme.
Sein Arm holte aus und er stieß Ryuichi mit aller Kraft wieder auf die Erde.
Sich röchelnd an die Kehle fassend kroch Ryu Rückwerts. Sein Körper fühlte sich so taub an. Betont langsam ging Lino auf den Jungen zu. Seine Hand klammerte sich um seine Klinge, die er langsam nach vorne schwenkte. Kurz darauf hatte er den Jungen erreicht. Seine Brust lag ihm zu Füßen.
Amalia ging völlig am Boden zerstört in die Knie. Sie konnte es nicht fassen. Dieser Mensch würde Ryu töten. Hier, jetzt! Vor ihren Augen. Verzweifelt senkte sie den Blick. Starrte auf den Boden. Hitze und Wut stiegen in ihr auf. Sie begann zu schluchzten. Heiße Tränen liefen an ihrer Wange herab. Mit einem plötzlichen Ruck, ballte sie zu Fäusten. Immer heißer schoss das Blut durch ihre Venen. Erstaunt und mit offen stehendem Mund betrachtete Lilly Amalia. Sie...sie leuchtete in einem klarem blauem Licht, dass heller war als der Polarstern am Himmel. Sie konnte ihre Kraft förmlich greifen. So nah war sie. Das Schluchzten verstummte. Langsam hob Amalia den Kopf. Wie gebannt sah sie Ryuichi an der mit geschlossenen Augen unter Linos Füßen lag, der gerade zum Stoß ansetzte.
„Ryu!!!!“, schrie sie aus Leibes Kräften.
Einige ihrer Tränen verwehten im Wind.
Ryu wandte den Kopf zur Seite. Auf alles gefasst. Doch nichts geschah... Wärme erfüllte seinen Körper. So wunderbar hell. So herrlich warm. Er blinzelte. Öffnete schließlich ganz seine Augen. Er lag inmitten einer Kugel aus blauem Licht. Es schien Lino davon abzuhalten ihn zu töten. Schien ihn zu schützen. Eine merkwürdige Energie durchzog die Muskeln des Jungen. Sie fühlte sich so vertraut an. Beflügelte seine Gedanken. Gab ihm Mut. Erstaunt begriff er was vor sich ging. Nein er durfte jetzt nicht sterben. Er musste überleben. Für Lilian...für Amalia...und auch für sich selbst.
Sichtlich verärgert stierte Lino auf das Licht vor ihn. Versuchte mit all der Kraft die in ihm ruhte sie zu durchdringen. Doch die Barriere war zu stark. Es gab kein Durchdringen.
Einige Augenblicke vergingen.
Suchend sah Ryu sich um als er spürte wie das Licht langsam zu schwinden begann. Die Klinge noch immer auf seine Brust gerichtet. Er würde dieser nicht entrinnen können. Aber vielleicht... Mit großer Mühe richtete Ryuichi sich auf. Umfasste mit aller Kraft Linos Arm. Der Wiederstand war groß. Millimeter um Millimeter bewegte sich Linos Arm. Mit all seinem Mut und seiner Kraft die er in sich trug zog er ein letztes Mal. Richtete die Klinge seitlich aus, sodass sie nun auf seine Schulter zeigte. Erschöpft sank er wieder zu Boden. Er atmete schwer. Der Kampf hatte ihn all seine Energie gekostet. Noch immer spürte er die Wärme des Lichtes. Sie wurde schwächer...war aber noch immer vorhanden. Zufrieden Lächelte er. Genoss die letzten Momente der Wärme ehe das Lichte schließlich verschwand.
Lino lächelte selbstgefällig.
„Jetzt stirbst du“, rief er aus ehe er die Klinge nach unten sausen ließ.
Das Schwert war messerscharf. Durchdrang Haut, Fleisch und Knochen. Fuhr wie Butter durch Ryuichis Schulter. Der Junge bäumte sich schreiend auf vor Schmerz. Es brannte. Es brannte wie das Feuer der Hölle sich anfühlen musste. Stöhnend fiel er auf den Boden zurück. Spürte wie etwas Kaltes seine Adern durchströmte. Was auch immer es war... es bereitete ihm die größten Schmerzen die er je gespürt hatte. Sein blick ging zur Seite. Blieb auf Amalia ruhen die sich ihm langsam näherte.
Wütend richtete Lilly sich auf, die bisher aufmerksam, wenn auch widerwillig alles beobachtet hatte. Doch nun konnte sie nicht länger tatenlos zusehen. Ihr Bruder würde sterben wenn sie nicht unternahm. Er hatte sie immer beschützt. War immer für sie das gewesen. Nun war es an ihr das gleiche für ihn zu tun. Sie stand. Ihr Blick starr geradeaus gerichtet. Ihre Arme lehnten nach vorn. Jeder einzelne Muskel ihres Körpers und jede Zelle ihres Geistes waren konzentriert. Sie spürte plötzlich diese Macht in sich. Und sie fühlte sich gut an. So warm. So prickelnd. So vertraut. Selbstsicher rannte sie auf Lino zu. Ohne zu bemerken welch enorme Geschwindigkeit sie aufbaute oder wie ihre Hände in einem dunklen, rotem Licht zu schimmern begannen. Mit aller Wucht und Kraft ihres kleinen Körpers rammte sie die finstere Gestalt die unter dem Aufprall einige Meter zurück wich.
„Lass meinen Bruder in frieden du Ungeheuer“, schrie sie außer sich. Völlig perplex sah Lino die Kleine an. Rappelte sich auf und ging mit betont langsamen Schritten auf sie zu. Mit einem kurzen, schnellen Schlag traf er ihre Wange.
„Was fällt dir eigentlich ein. Hat dir dein Vater nie beigebracht das kleine Kinder still sein sollen, wenn Erwachsene sich unterhalten“, sagte er verärgert während er seinen Arm nach ihr ausstreckte.
Doch seine Konzentration wurde abermals gestört.

Kapitel 8.


Mit ruhigen, entschiedenen Schritten näherte sich eine Gestalt dem Geschehen. Ryuichi drehte seinen Kopf. Erkannte einen recht groß gewachsenen, muskulös gebauten jungen Mann unter dem diamantblauen Umhang. Er konnte die Energie fühlten. Sie war unglaublich intensiv. Wie nichts vergleichbares was er je erlebt, gesehen oder gespürt hatte. Gezielt schritt der junge Mann an Ryu vorbei. Ließ einen kurzen, musternden Blick auf ihn ruhen. Lino traute seinen Augen nicht. Diese Energie. Sie war ihm nur allzu vertraut. Schon oft hatte er mit diesem Widersacher zu tun gehabt. Sichtlich genervt blickte er ihn an. Ein gequältes Lächeln zog über sein Gesicht.
„Meister Aaron. Was verschafft mir die Ehre“, sprach er zuckersüß.
Aufgeregt kroch Amalia zu Ryuichi und hielt seine Hand. Er war warm. Gar heiß. Sie widmete ihm einen tröstenden Blick ehe ihre Konzentration wieder ganz Aaron galt.
Gelassen streift Aaron die Kapuze von seinem Kopf. Sein blondes Haar war lang und reichte ihm weit über die Schultern. Waren hinter seine spitze Ohren gestrichen. Seine blasse Haut schimmerte silbern im Licht des Mondes. Seine gesamte Erscheinung war eindrucksvoll. Ohne jeden Zweifel erhaben. Seine Kleidung war aus hellem, jedoch sehr robust aussehendem Material geschmiedet worden. Unaufhörlich schritt er voran. Sein Schwert baumelte bereitwillig an seiner Hüfte. Mit einem langen tadelnden Blick sah Aaron die dunkle Gestalt an. Mit einer schnellen, kaum folgbaren Bewegung tauchte er neben Lino auf und drückte ihm seine Klinge an den Hals.
„Wenn ich Ihr wäre würde ich meinen Mund halten“, zischte Aaron verachtend.
Lino lächelte. Doch innerlich brodelte er. Dieser Mistkerl.
„Was sucht die Gilde des Lichts hier. Dies ist unser Gebiet“, erklärte er selbstsicher.
Aarons Gesichtszüge wurden hart. Geprägt von Wut und Grauen. Seine blauen Augen blickten Auf Lino. Schienen ihn bis auf seine schwarze Seele durchdringen zu wollen.
„Euer Gebiet. Ich glaube Ihr irrt euch Meister Lino“, erwiderte Aaron gefasst.
„Und zum anderen“, sprach er weiter ehe er eine demonstrative Pause in seinen Worten einlegte.
„Gehören diese Kinder zu mir. Lasst Eure Finger von Ihnen und richtet eurem Meister die besten Grüße aus“, sagte er provozierend lächelnd.
Wohlwissen das Lino nicht die geringsten Anstalten unternehmen würde sich gegen ihn zu stellen.
Verärgert schritt Lino zu Ryuichi hinüber, zog seine Klinge aus seinem Körper und schritt an Aaron vorbei. Immer auf die Reaktion von ihm achtend. Er durfte jetzt nicht unvorsichtig werden wenn er am Leben bleiben wollte. Mit einem letzten finsteren Blick zog er von dannen.

Kapitel 9.


Erleichtert seufzte Aaron auf und strich sich eine Strähne seines blonden Haares aus dem Gesicht ehe er eilig zu dem Jungen hinüber. „Wie fühlst du dich Ryu“, fragte er während sein Gesicht den Körper des Kindes nach eventuellen Brüchen absuchte.
Doch war bis auf einige blaue Flecke nichts zu sehen. Ryu röchelte unbeholfen. Er hatte immer größere Atemschwierigkeiten. Sein Kopf glühte und schmerzte fürchterlich, so als wollte er jeden Augenblick zerspringen. Langsam versuchte er sich aufzurichten. Wollte diesen Fremden in die Augen sehen. Stützend legte Amalia ihre Arme um ihn. Hielt ihn sicher und warm.
„Es geht schon“, log Ryuichi als er sah wie sich seine kleine Schwester näherte.
Kopfschüttelnd sah Amalia ihn an. Blickte dann in Aarons Gesicht.
„Er lügt Herr. Er leidet an Fieber und am Rand der Wunde haftet eine merkwürdige Substanz“, erklärte sie kurz.
Seufzend sank Ryu in ihre Arme zurück und schloss die Augen. Vor seinen Augen begann sich alles zu drehen. Noch einige Augenblicke kämpfte er gegen die Übelkeit, an die nach ihm griff. Dann war Dunkelheit.

Verzweifelt beugte sich Lilly über ihren Bruder. Schüttelte ihn. Fuhr mit ihrer kleinen Hand über seine Wange.
„Ryu bitte wach auf“, schrie sie.
Behutsam legte Amalia ihren Arm um sie. Zog sie zu sich. Angstvoll und den Tränen nah, klammerte sich die kleine an sie. Vergrub schließlich schluchzend ihr Gesicht ihn Amalias Kleid. Musternd beugte sich Aaron über Ryuichis Schulter. Roch an der Wunde. Ein merkwürdig bitterer Geruch stieg ihn in die Nase. Erschrocken fuhr er hoch. Lino dieses Ekel.
„Was ist mit ihm Meister Aaron“, erkundigte sich Amalia forsch.
Für einen Moment wandte der Elf seinen Blick ab. Sah ihr schließlich in die Augen.
„Sie haben die Klinge mit Gift getränkt. Es ist bereits in seinem Körper. Wenn er nicht schnell Hilfe bekommt stirbt er“, erklärte er ohne Umschweife.
Erschrocken sah Amalia ihn an. Das konnte nicht sein.
„Können Sie ihm nicht helfen? Sie...Sie sind doch“, stotterte sie verzweifelte ehe ihre Worte abbrachen.
Mit einem unglücklichen Ausdruck im Gesicht schüttelte Aaron den Kopf.
„Ein Elf richtig“, vollendete der Elf den Satz.
„Dies jedoch übersteigt meine Fähigkeiten. Wir müssen ihn zu Meister Raphael bringen“, erklärte er deutlich.
Amalia lauschte seinen Worten. Obgleich sie ein wenig wirr in ihren Ohren klangen. Doch wenn dieser Raphael Ryu helfen konnte mussten sie es tun. Sie sah sich um. Blickte umsichtig auf Ryu. Auf die kleine Lilly in ihrem Arm und nickte Aaron schließlich entgegen. Behutsam übergab sie Ryuichi in Aarons Arme der sich mit ihm erhob. Langsam und mit äußerster Vorsicht erhob sie sich schließlich mit Lilian im Arm selbst.
Mit einer kurzen, jedoch eindeutigen Bewegung seines Kopfes wies Aaron ihr den Weg. Amalia richtete ihren Blick ein letztes Mal gen Osten. Die ersten hellen Strahlen der Hoffnung gingen am Horizont auf. Der Morgen graute. Sie schluchzte kurz ehe sie dem Elf in Richtung Westen folgte.

Kapitel 10.


Weiter und weiter lief die kleine Gruppe um den Elf. Müde und abgekämpft schleppte sich Amalia vorwärts. Ihre Füße schmerzten und brannten wie Feuer von dem langen Marsch durch die Stadt. Einen Augenblick hielt sie inne. Gerade lang genug um nach Atem zu ringen. Das junge Mädchen warf einen prüfenden Blick auf Ryuichi, der noch immer reglos in Aarons Armen lag. Weder Finger noch Zeh rührten sich. Doch er atmete, wenn auch nur flach. Ihr Blick wanderte weiter, blieb schließlich auf der kleinen Lilly stehen, die über all die Aufregung in ihren Armen eingeschlafen war.
Lächelnd sah der Elf sie an. Anerkennung und Bewunderung, lagen gleichermaßen in seinem Blick. Wenn er ehrlich seien sollte, hatte dieses junge Mädchen in dieser Nacht unglaubliches geleistet.
„Wir werden bald ankommen“, sagte er erfreut während er mit seiner Hand über den vor ihm liegenden Hügel deutete.
Die Mundwinkel des jungen Mädchens verzogen sich zu einem erleichterten Lächeln. Neugierig lief sie weiter, erklomm den Hügel. Ihr stockte der Atem, angesichts des sich ihr darbietenden Anblicks und sie musste einen Moment innehalten und nach Luft schnappen, so überwältigend war er.
So weit das Auge blicken konnte sah sie grüne Felder und Wiesen. Der Wind frischte auf und blies vergnügt durch die Wipfel der Bäume. Die Äste wiegten sich sanft in seinem Rhythmus. Ließen ihre eigene wunderbare Weise erklingen. Rehe suchten Schutz im Nahen Waldrand, eine der Hirschkühe umsorgte fürsorgliche ihre Jungen. Dieser Anblick war so friedvoll, so angenehm ruhig.
Für einen Augenblick schloss Amalia die Augen. Genoss die kühle Briese des Morgens der um sie wehte. Tief atmete sie ein. Nahm einige kräftige Züge, der sich ihr darbietenden frischen Luft auf, um die Müdigkeit zu vertreiben, die sie zu überkommen drohte. Wie von selbst rieb sie die Füße aneinander, und streifte sich die dürftigen Schuhe ab, die sie bis jetzt getragen hatte. Mit einer vorsichtigen Bewegung hob sie sie auf. Ging einige Meter nach vorn und fühlte das frische, vom Tau des Morgens noch feuchte Gras unter ihren bloßen Zehen, das sie sanft zu um spielen schien.
Aaron lächelte auf. Jedes Wesen, das die heilige Ebene von Kunea betrat, war beeindruckt und erstaunt zugleich gewesen. Entschlossen stand er auf und gemeinsam durchschritten sie die Ebene. Vorbei an lichten Wäldern mit reinen Quellen an denen sich Käfer und andere Insekten ein Zuhause geschaffen hatten. Eine kleine, jedoch stabile Brücke führte über den Fluss der das Land durchzog.

Endlich erreichten sie den Sitz der Gilde des Lichtes, das sich auf einer kleinen, aber durchaus sinnvoll angelegten Anhöhe befand, von der sich das gesamte Tal überblicken ließ.
Von einem unheimlichen Gefühl der Ehrfurcht ergriffen blickte Amalia an der Fassade des Gebäudes empor. Ein sehr altes, jedoch ohne Zweifel gut erhaltenes Gebäude erstrahlte vor ihren Augen. Die Mauern waren aus stabilem, weiß glänzendem Sandstein gebaut. Aus Ebenholz gefertigte Balken durchzogen die Mauern, an dessen Fassade sich unaufhörlich und Wein gen Himmel schlängelte, fast so als wäre er nur zu diesem Zweck gewachsen. Geschützt wurden die Bauten von einer imposanten Maueranlage, die den Sitz wie ein Wall gegen jeden Feind abschirmte.
Staunend stand Amalia unter dem Torbogen und wagte kaum einen Atemzug. Unglaublich. Was für ein Gebäude. Aarons Mundwinkel verzogen sich zu einem zufriedenen Lächeln.
„Ich sehe Euch gefällt unser kleiner Unterschlupf Miss Amalia“, erklärte er lächelnd während er das Wort klein besonders hervorhob.
Das junge Mädchen nickte mechanisch und wandte eilig ihren Kopf. Ihre Augen geradewegs auf das im Licht der aufgehenden Sonne schimmernde Gebäude gerichtet. Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen. Doch nichts in ihrem Wortschatz hätte dieses Gefühl auch nur annähernd gebührend beschreiben können.
Langsam näherte sich Aaron. Drückte behutsam seine Hand gegen ihren Rücken und gab ihr einen kleinen Stoß, so das Amalia einige unbeholfene Schritte nach vorn tat.
Gekonnt fing sich Amalia ab. Langsam und mit gebührendem Respekt durchschritt sie den kunstvoll gewölbten Torbogen. Näherte sich dem Haupttor der Gilde, gefolgt von dem jungen Elf. Energisch nahm er den Türklopfer in die Hand. Pochte in einem schwungvollen, jedoch systematischen Rhythmus gegen die Eingangspforte. Interessiert blickte Amalia zu Aaron hinüber. Es schien eine Art Zeichen zu sein. Daran bestand kein Zweifel mehr.
Liliana, die bis vor kurzen noch selig in ihren Armen geschlafen hatte, blinzelte verlegen ehe sie langsam die Augen öffnete. Das Licht der aufgehenden Sonne blendete sie. Schützend kniff die Kleine die Augen wieder zusammen und schmiegte sich genüsslich an Amalia. Genoss die Wärme und Geborgenheit die sie ausstrahlte. Sie atmete tief ein und aus. Gähnte einmal leise und rieb sich die Augen.
„Wo sind wir Amalia“, raunte sie mehr als das sie fragte.
Sie fühlte sich noch wie benommen. Als sei sie gerade aus einem ihrer Träume erwacht. Aus einem ihrer Alpträume.
Lächelnd sah Amalia sie an. Strich ihr behutsam über das Haar. Wie merkwürdig vertraut ihr dieses Mädchen vorkam. Jedes mal wenn sie Lilly ansah durchzog sie ein Gefühl, dass sie nicht in Worte fassen konnte.
„Wir sind im Hauptquartier der „Gilde des Lichts“, erklärte sie kurz während sie aus den Augenwinkeln heraus beobachtete wie Aaron mit den Fingern ungeduldig gegen die Tür trommelte.

Schnelle Schritte näherten sich. Nervös, unbeholfen. Langsam öffnete sich ein Schlitz in der Pforte. Zwei dunkelgrüne Augen blickten Aaron prüfend an. Der Elf lächelte. Er kannte diese grünen Augen nur zu gut. Sie gehörten einem jungen Mann der seid einiger Zeit bei ihnen lebte.
„Guten Morgen Tristan. Wie geht es Euch“, grüßte er ihn freundlich.
Aaron konnte förmlich sehen wie sein Gegenüber zu lächeln begann. „Meister Aaron. Schön das Ihr wohlbehalten zurück seid“, grüßte der junge Mann zurück.
Quietschend öffnete er die schwerfällige Tür. Lächelnd ging er auf den Elf zu ehe seine Schritte je stoppten. Sein Blick haftete auf den Jungen der reglos in den Armen des Elfen lag, entsetzen trat in Tristans Gesicht. Die Lippen des Jungen hatten sich bereits begonnen zu verfärben und schimmerten in einem matten Blau.
Nervös schüttelte er seinen Kopf, versuchte die schlimmen Bilder zu vertreiben, die erbarmungslos wie kleine Zeitraffer durch seine Gedanken zogen. Doch ein Irrtum war ausgeschlossen. Lange Zeit hatte er die alten Bücher gelesen und sich ein recht ansehnliches Wissen über Gifte und entsprechende Mixturen zusammengetragen. Und dieser Junge war vergiftet worden. Mit welchem Gift war ihm noch nicht bewusst. Doch dies spielte auch keine Rolle.
„Kommt mit. Und beeilt Euch“, warf er der Gruppe zu und kehrte ihnen den Rücken.

An der Seite der großen Empfangshalle schlängelte sich ein kunstvoll gewundener Absatz hinauf an dessen Seite starke, jedoch wundervoll verzierte Säulen aus weißem Marmor ihren Platz gefunden hatten.
Zielstrebig und mit äußerster Sicherheit führte Tristan sie durch die unzähligen Gänge des Quartieres. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf der Stirn des jungen Mannes. War ihm doch bewusst um was es hier ging. Das Leben dieses Jungen lag in seinen Händen. Und in den fähigen Händen Meister Raphaels. Er beschleunigte seine Schritte abermals. Schickte dabei immer wieder kurze Stoßgebete gen Himmel. Dieser Junge war noch ein Kind. Viel zu jung zum Sterben. Nur schwer, konnten Amalia und Aaron das hohe Tempo mithalten was der junge Mann vorgab. In einen nächsten, unerwarteten Augenblick hielt Tristan inne. Er war abrupt stehen geblieben, vor einer massiven Eichentür an deren Seite eine Lampe hing.

Amalia hielt inne, uns setzte Lilly, die heftig mit ihren Beinen strampelte, ab.
„Ich bin kein Baby mehr“, protestierte sie schmollend und wandte ihren Blick Aaron zu.
Wie gebannt starrte sie auf ihren Bruder. Konnte ihren Blick nicht mehr davon lösen. Seine Atmung war noch immer sehr schwach. Kaum merklich. Langsam näherte sie sich ihm. Zögerlich waren ihre Schritte. Mit jedem weiteren füllten sich ihre kleinen dunklen Augen mit Tränen. Sie schluchzte. Zunächst nur leise. Wollte sie doch stark sein. Tapfer wie ihre Mutter immer sagte. Doch war dies wirklich ein Moment um tapfer zu sein? Noch einige Augenblicke kämpfte sie gegen die Übermacht der Gefühle an, die in ihr wie ein brodelnder Vulkan tobten. Einmal mehr überkamen sie all die Grausamen Bilder dieser Nacht. Sie zogen durch ihren Gedanken wie tausende von grausamen Schatten die sie quälten und ihrer Seele unvorstellbare Schmerzen zufügten. Energisch schüttelte sie ihren Kopf und gab nun all den Gefühlen die in ihr wüteten freien Lauf. Lauter und lauter wurde ihr Schluchzen. Heiße Tränen rangen ihre Wangen hinab. Fielen wie kleine Tropfen zur Erde. Langsam hob sie ihre Hand. Fuhr ihrem Bruder behutsam über sein Gewand, über den Arm ehe sie ihre kleine Hand in seine legte. Nur einmal wollte sie nun für ihn da sein. Ihn beschützen. All das ungeschehen machen was passiert war. Wie automatisch presste sie ihre Stirn gegen seinen Arm.

Leise trat Amalia näher. Umfasste sanft Lillis Hüfte und zog sie zu sich heran. Wie automatisch vergrub Liliana ihr Gesicht in Amalias Kleid. Für einen Augenblick stand sie einfach nur so da. Schluchzend. Von all den Eindrücken und Gefühlen überwältigt. Schließlich hob die kleine den Kopf. Sah Amalia eindringlich an. Wut und Verzweiflung kochten in ihr. Ihre dunklen Augen blitzten entschieden auf.
„Einmal werden sie dafür bezahlen, was sie Ryu angetan haben, nicht war?!“, vergewisserte sie sich.
Erstaunt aber verständnisvoll zugleich sah Amalia die Kleine an. So weit hatte sie selbst noch nicht gedacht. Doch Lilly hatte Recht. Eines schönen Tages würden sie ihre Schuld begleichen müssen. Sie nickte zustimmend. Strich Liliana behutsam durchs Haar.
„Das werden sie. Doch jetzt muss dein Bruder erst einmal wieder gesund werden. Verstehst du?“, versuchte sie zu erklären. Zufrieden nickte Lilli ihr entgegen. Wischte sich die Tränen aus ihrem von der Aufregung geröteten Gesicht.
„Zu diesem Zweck ist es von größter Wichtigkeit, dass er so bald wie möglich behandelt wird. Sonst kommt jede Hilfe zu spät“, mischte sich Tristan in das doch sehr emotionale Geschehen ein.

In einem nächsten Augenblick bat er die Mädchen inne zu halten und drückte entschlossen die Klinke der Tür hinunter. Unter lautem Knarcksen sprang sie auf, und gab einen ersten Blick auf die Ausstattung der Kammer preis. Neugierig schaute Lilly um die Ecke. Stöhnte schließlich enttäuscht auf. Sie wusste selbst nicht recht wieso. Doch aus irgendeinem Grund, hatte sie es sich prunkvoller vorgestellt. Amalia musste unweigerlich auflachen. Liliana's Gesicht war aber auch zu köstlich anzusehen. Sie wuselte ihr liebevoll durch ihr schwarzes Haar ehe sie es Tristan und Aaron gleichtat und mit entschiedenen Schritten das Zimmer betrat. Der Raum war komfortabel eingerichtet. Ein breites, mit weichen Kissen ausgelegtes Bett säumte die Westseite des Zimmers. Direkt neben einem kunstvoll gestalteten Fenster. Eine Rose zierte das grün unterlegte Grundmuster des Glases. Liebevoll waren die einzelnen Blütenblätter herausgearbeitet und hervorgehoben worden. Ein großzügiger Teppich aus weicher, rotbrauner Wolle rundete die warme, einladende Atmosphäre ab. Als letzte tapste auch Lilly den anderen nach. Hielt schließlich neben Amalia und dem Elf Inne. Drückte sich wohlwollend an die Hüfte des jungen Mädchens.
Hastig schlug Tristan die Decke des Bettes zurück, die dabei beinahe zu Boden fiel. Bestimmend suchte er den Blick des jungen Elf.
„Meister Aaron wenn ihr dann so gütig wärt und den Jungen hineinlegen würdet. Ich werde derweil zu Meister Raphael gehen und ihm Bericht erstatten“, erklärte der junge Mann in einem sehr besorgten Ton.
Aaron nickte mechanisch. In seinen Gedanken war er bereits bei dem Gespräch mit dem Meister. Raphael würde es nicht gut heißen, dass er Fremde mit in das Quartier gebracht hatte. Da war er sich sicher. Schließlich könnten sie ja auch Spitzel sein. Doch in diesem Fall waren die Argumente die er vorzuweisen hatte mehr als überzeugend. Hätte er die Kinder allein lassen sollen? Unmöglich. Fragen über Fragen zogen durch seine Gedanken während er Ryuichi vorsichtig in das Bett legte. Leise, kaum hörbar seufzte er auf. Nun war er sich endgültig sicher, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Langsam ging Liliana um das Bett herum. Ihre kleinen Hände fassten die zurückgeschlagene Decke. Sorgfältig zog sie sie zurück. Über die Füße bis zu den Schultern ihres Bruders. Liebevoll drückte sie die Decke möglichst eng um seinen Körper. Er hatte bereits sehr viel Wärme verloren. Stillschweigend betrachtete sie ihn. Er atmete noch immer schwer. Zuckte hin und wieder verkrampft auf. Immer weiter und weiter begannen sich Lillis Augen mit Tränen zu füllen. Doch tapfer kämpfte sie gegen diese Übermacht an. Sie musste jetzt stark sein. Zeigen das sie kein Kleinkind mehr war. Sie schluchzte kurz. Fuhr prüfend mit ihrer Hand über Ryuichis Stirn. Erschrocken wich sie einen Schritt zurück. Suchte hilfesuchend Amalias Blick.
„Amalia. Ryu glüht. Seine Stirn ist so heiß“, stammelte sie ehe sie nun endgültig zu weinen begann.
Eilig ging das junge Mädchen um das Bett herum. Tastete prüfend über Ryu's Stirn. Unfassbares Entsetztes trat in ihr Gesicht. Das war doch nicht möglich. Was hatte dieser Lino ihm nur angetan. Zitternd zog sie ihre Hand zurück. Die zunächst lasch an ihrer Seite hing. Wut und Verzweiflung brodelten in ihr. Sie zitterte am ganzen Leib. Ihre Hände zu Fäusten geballt.
„Mein Gott. Helft ihm. Er schafft es nicht“, begann sie innerlich zu schreien.
Sie öffnete den Mund um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Doch nicht ein einziger Laut verließ ihre Kehle.
„Ich werde sofort Meister Raphael über alles in Kenntnis setzten Miss“, erklärte Tristan betroffen und eilte hastig in Richtung der Tür.
Aaron fuhr herum und eilte dem jungen Mann nach.
„Tristan wartet bitte. Ich werde Euch begleiten“, warf er ihm zu.

Ohne ein weiteres Wort verlangsamte Tristan seine Schritte und seufzte leise. Wenn er ehrlich sein sollte war ihm die Gesellschaft des Elfen sehr unangenehm. Seine Gegenwart hatte etwas über alle Maßen erhabenes, gar mystisches. Immer öfter hatte Tristan das Gefühl Aarons Eis blaue Augen würden durch ihn hindurch sehen. Bis in die entlegensten und dunkelsten Winkel seiner Seele. Viele Mitglieder der Gilde, so wusste er, bewunderten ihn. Einige fürchteten ihn. Er war keiner von ihnen. In ihren Augen ein Wesen aus einem fremdem Land. Doch alle, ohne Ausnahme würden seinen Anweisungen folgen wenn es die Situation erforderte. Doch dies alles war nun nicht von Bedeutung. Schließlich holte Aaron den jungen Mann ein, der eilig seine Schritte aus dem Raum und ziel gerichtet durch die Gänge des Gebäudes lenkte.

Skeptisch sah Lilly Tristan nach. Ihr Magen krampfte. Zog sich einige Male schmerzhaft zusammen. Einige Male biss sie sich auf die Unterlippe und den Schmerz zu ertragen. Augenblicke vergingen ehe sich der Schmerz beruhigte. Langsam drehte sie ihren Kopf. Wandte ihren Blick von ihrem Bruder ab und sah Amalia mit ihren kleinen nass glänzenden Augen an. „Ich traue diesem Tristan nicht. Hast du bemerkt wie er uns angesehen hat?“, fragte sie neugierig und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Nachdenklich und überrascht zugleich sah Amalia Lilly an. Merkwürdig wie dieses kleine Mädchen doch alles was um sie herum geschah war zu nehmen schien. Kurz schüttelte das junge Mädchen ihren Kopf um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Für einen Augenblick stand sie einfach da. Ihre dunklen Augen geschlossen. Sich konzentrierend. Erneut sah sie den jungen Mann in ihren Gedanken. Sie schauderte. Lilly hatte Recht! Sein Blick war fordernd und abwertend gewesen. Etwas stimmte nicht. Langsam öffnete sie ihre Augen wieder. Noch immer konnte sie diese Kälte fühlen. Den Schauer förmlich greifen der sich wie ein kalter Film aus Eis über ihre Haut gelegt hatte. Schließlich sah sie die Kleine eindringlich an.
„Du hast Recht Lilly. Dieser Tristan hat eine sehr merkwürdig kühle Art an sich. Irgendetwas hat er zu verbergen“, stimmte Amalia Liliana zu während sie emsig ihre Hände über ihre Arme rieb.
Erleichtert atmete Liliana aus. Sie war also mit diesem Gefühl nicht allein. Amalia spürte offensichtlich dasselbe wie sie selbst. In einem einzigen, kurzen Augenblick schlug sie ihre Arme auseinander und hopste vom Bett. Lehnte sich behutsam an Amalias Hüfte. Aber was sollen wir tun? Was haben Aaron und dieser Meister Raphael wohl zu bereden? Fragen über Fragen zogen durch ihre Gedanken. Doch niemand konnte ihr Antworten darauf geben. Es war wirklich zum verzweifeln. Am liebsten hätte sie auf der Stelle all ihre Wut und Traurigkeit heraus geschrien, doch... .

Behutsam schloss Amalia sie in ihre Arme. Hielt sie geborgen und warm. Mehr und mehr erinnerte sie Liliana an das kleine Mädchen das sie selbst vor noch gar nicht all zu langer Zeit gewesen war. Letztlich ging sie ein wenig in die Knie um Lilly direkt in die Augen zu sehen und strich ihr sanft mit der Hand über ihre erhitzte Wange.
„Hör mir gut zu. Ich werde jetzt gehen und sehen was sich Aaron und dieser Raphael zu sagen haben. Du bleibst hier und passt gut auf Ryu auf. Hast du mich verstanden“, erklärte sie mit ernster Stimme.
Schmollend ließ Lilly sie los, trat einige Schritte und drehte ihr den Rücken zu. Diesen Blick in Amalias Augen konnte sie einfach nicht ertragen. Wie kam sie nur darauf sie jetzt allein zu lassen. Doch war ihr bewusst, dass sie ihre Meinung nicht ändern würde. Einen Augenblick erfüllte Stille den Raum. Vorsichtig näherte sich Amalia ihr. Legte ihr sacht ihre Hand auf die Schulter.
„Liliana. Du bist die einzige Familie die er noch hat“, sprach sie leise während ihre Hand auf Ryu deutete.
„Er braucht dich jetzt. Bleibe bei ihm“, erklärte sie ruhig.

Mit einer einzigen, schwungvollen Bewegung drehte sich Liliana herum und blickte Amalia verärgert in die Augen. Langsam hoben sie ihre Hände die sich langsam zu Fäusten ballten. Sie ließ sie jedoch kurz darauf wieder sinken. Energisch schüttelte sie den Kopf.
„Er braucht uns beide“, entgegnete sie widerwillig.
Viel es ihr doch schwer diese Tatsache zu akzeptieren.
„Ich habe gesehen wie er dich im Arm gehalten hat. Genau so hat mein Papa Mama immer umarmt. Ich glaube... er hat dich wirklich sehr gern“, erklärte sie leise.
Überrascht und ein wenig erschrocken sah Amalia die Kleine an. Sie hatte Recht! Dieses Gefühl das sie gespürt hatte als er sie im Arm hielt... es war das wundervollste was sie jemals in ihrem Leben fühlte. Lächelnd nickte Amalia Lilly entgegen.
„Ich werde jetzt gehen. Ich will doch hoffen, dass ich etwas herausbekomme“, zwinkerte sie ihr zu und drehte ihr den Rücken zu. Möglichst ohne einen Laut zu verursachen, wandte sie ihre Schritte Richtung Tür. Liliana atmete tief durch und hüpfte mit einem leichten Schwung auf das Fußende von Ryuichis Bett.
„Amalia. Sei vorsichtig...hörst du“, raunte sie leise während ihre kleine Hand sanft über das Bein ihres Bruders strich.
Das junge Mädchen lächelte und winkte ihr, ehe sie den Raum verließ.

Gewand schlich das junge Mädchen durch das Quartier. Vorbei an einigen Gestalten in hellen Kutten die ziel gerichtet ihre Wege gingen. Durch matt erleuchtete Korridore und Gänge. Deutlich konnte sie die Präsenz des Elfen spüren. So hell und warm die Aura die ihm umgab. Ihr Gespür zeigte ihr den Weg. Lenkte ihre Schritte bis sie schließlich vor einer groß gebauten, massiven Holztür stand. Von drinnen drangen Stimmen an ihr Ohr. Eine davon da war sie überzeugt, gehörte Aaron. Eine andere tiefe, melodische Stimme erklang. Sie schien auf eine Frage zu antworten. Neugierig presste sich Amalia gegen die Tür. Lehnte ihren Kopf gegen das Holz um der Unterhaltung so gut es ging folgen zu können.

Kapitel 11.


Ehrfürchtig tat Tristan einige Schritte nach vorn ehe er huldvoll seinen Kopf neigte.
„Meister Raphael. Aaron ist mit einer kleinen Gruppe von Kindern zurückgekehrt“, sprach er bedächtig.
Raphaels dunkelblaue Augen blitzten vor Freude auf. Doch der Augenblick des Glücks verflog schnell. Noch niemals zuvor hatten Fremde dieses Haus betreten. Der junge Elf musste schwerwiegende Gründe für sein Handeln haben. Kannte er doch die Konsequenz die ein Verstoß gegen dies Regel zufolge hatte.
„Führe ihn zu mir“, entgegnete er verheißungsvoll während er sich von seinem Stuhl erhob und vor den Tisch trat der vor ihm stand. „Sehr wohl Herr“, antwortete Tristan, drehte sich und ging in Richtung der Tür an der Der Elf wartete.
Mit einer knappen Geste seines Armes deutete der junge Mann in die Richtung aus der er gekommen war ehe er die Klinke der Tür betätigte. Knarksend öffnete sie sich.
Erschrocken wich Amalia zurück und presste ihren Körper so eng sie konnte gegen die Mauer um hinter der Tür unentdeckt zu bleiben. Die Steine waren spitz. Jede kleine Bewegung verursacht neue Kratzer auf ihrer Haut. War dies jedoch nur ein geringer Preis um umgesehen zu bleiben. Niemand hier würde es begrüßen belauscht zu werden.
Doch in diesem Fall war es unabdingbar....
Sie atmete aufgeregt uns hielt schließlich für einen Moment die Luft an um auch nicht das leiseste Geräusch zu verursachen. Erschrocken nahm sie Tristans eilige Schritte direkt neben sich war, konnte den verärgerten Ausdruck sehen der in auf seinen Gesicht lag. In ihren Gedanken bete sie, dass er nicht nach rechts blickte.
Fluchend schritt der junge Mann neben ihr vorbei, gab der Tür einen kräftigen Stoß und lenkte seine Schritte zu einer nahe gelegen Kammer in die er verschwand. Erleichtert atmete Amalia aus. Ihr Herz überschlug sich beinahe in ihrer Brust. Nach Luft ringend ging sie in die Hocke. Stütze sich mit den Händen auf dem Boden ab. Einige kalte Schweißperlen rangen ihre Stirn hinab. Nervös wischte sie sich mit den Fingern über ihre Wange ehe sie sich wieder erhob und aufs Neue eng gegen die Tür lehnte.

Raphaels Mundwinkel verzogen sich zu einem gequälten Lächeln. Doch die Besorgnis war deutlich spürbar. Seine Augen blickten den jungen Elf musternd an und hielten schließlich in seinem Gesicht inne. Aaron wich den Blicken aus. War ihm doch bewusst wie riskant sein Handeln war. Wie weit die Folgen reichen könnten. Nicht weniger als die Sicherheit der Gilde und alle ihrer Mitglieder stand auf dem Spiel. Aaron atmete tief durch ehe er seinem Gegenüber wieder in die Augen sah.
„Mein Herr. Bitte verzeiht mein plötzliches Erscheinen. Doch diese Kinder...“, erhob der Elf das Wort ehe Raphael im mit einer strengen Geste unterbrach.

Stille kehrte in den Raum. Nur das Rauschen der im Wind wehenden Blätter drang durch das Fenster.
„Mein lieber Aaron. Ihr versteht es wirklich für Aufruhr zu sorgen“, drang seine warme melodische Stimme durch den Raum.
Einige kleine Schritte um den Tisch folgten.
„Ich nehme an, dass es triftige Gründe für Euer Handeln gibt“, fragte er eindringlich nach.
„In der Tat. Den gibt es“, setzte Aaron erneut an.
Interessiert lauschte Raphael seinen Worten.
„Die Gilde der Schatten tötete ihre Familie. Sowohl Vater als auch Mutter starben durch ihre Hand. Nur die Kinder überlebten diese Nacht“, erklärte er betont ruhig, doch die Anspannung wuchs unaufhörlich in ihm.
„Was für ein Interesse sollten die Schatten an zwei einfachen Kindern haben“, antwortete der alte mit einem zynischen Unterton in der Stimme.
Die Augen des jungen Elf blitzten schelmisch auf. Diese Frage war zu erwarten gewesen.
„Mein Herr. Jedes dieser Kinder besitzt ein überaus seltenes und außergewöhnliches Talent. Beide Mädchen tragen das seltene Gut der Magie in sich...“, sprach Aaron weiter.
Erneut ließ ihn eine Geste seines Meisters verstummen. Raphaels Gesicht wurde bleich. Beinahe so durchsichtig wie die Membran eines Insektenflügels. Sein Atem stockte. Er begann zu röcheln. Hustend lehnte er sich gegen den Tisch. Auf seine Hände gestützt. Einige Augenblicke vergingen ehe er die Fassung wieder gewann.
„Die Prophezeiung...“, raunte er schließlich nachdenklich.
„Die Mädchen gehören ebenfalls dem Geschlecht der Elfen an. Ist es nicht so?“, hackte er nach.
Aaron nickte ihm zustimmend entgegen während seine Füße einige Schritte nach vorn taten.
„Beide Mädchen sind vom Geschlecht der Dunkelelfen. Die ältere der beiden ist sich ihrer Herkunft bewusst. Weiß ihre Fähigkeiten bereits zum Teil einzusetzen“, sprach der Elf weiter.
Erstaunt blickte Raphael auf. Noch nie hatte ein Geschöpf dieses Schlages die Gilde des Lichts betreten. Doch diese Kinder schienen reinen Herzens zu sein. Des Weiteren hatte der junge Elf ein sicheres Gespür für Gefahr und aussichtslos erscheinende Situationen entwickelt, dem man beruhigt trauen konnte. Mit einer sanften Geste seiner Hand winkte er ihn zu sich heran.
„Und der Junge. Ist er wohlauf?“, vergewisserte er sich.
Traurig senkte Aaron den Kopf. Sein Blick fiel auf den prunkvollen Teppich der auf dem Boden lag. Er wagte es nicht den Meister in die Augen zu sehen.
„Lino durchbohrte seine Schulter. Die Klinge war mit Gift getränkt. Er leidet unter starkem Fieber“, erklärte er zögernd.
Erschrocken und besorgt zu gleich sah Raphael in an ehe er mit eiligen Schritten den Raum durchquerte. Erst vor einem großen, gutsortierten Bücherregal welches offensichtlich zu seiner kleinen Bibliothek gehörte hielt er inne.
Seine Augen flogen über die Rückseiten der Bücher.Reihe um Reihe durchstreiften er sie, bis sie schließlich in der obersten stoppten. Energisch griff seine Hand nach einem Buch mit schwarzem Einband. Hastig schritt er zurück zum Tisch und Legte es vorsichtig auf die Platte. Es war staubig. Mehrere Jahre nicht benutzt. Behutsam öffnete Raphael es und durchblätterte zielgenau die ersten Seiten bis er an einem Punkt kam an dem die Mitten der Seiten fehlten und eine Öffnung herausstach. Mitten in dieser Öffnung lag ein kleines, mit einer grünen Flüssigkeit gefülltes Fläschen.
„Wir können es uns nicht leisten das Leben einer der Auserwählten zu riskieren“, erklärte er hastig und hielt die Flasche gegen das Licht.
Sie schimmerte matt. Interessiert betrachtete der Elf den Schimmer. Er hatte in seinem Leben schon viel gesehen. Doch etwas so merkwürdig und zugleich so mysteriöses noch nie.
„Hoffen wir, dass diese Mixtur unserem jungen Freund hilft. Sonst wäre das Opfer seiner Eltern umsonst gewesen“, sprach er zuversichtlich ehe er Aaron lächelnd das Fläschen reichte.
Ein erleichtertes Lächeln zierte die Lippen des Elf.
„Mein Herr. Ich Danke Euch von ganzem Herzen“, sprach er freudig.
Raphael nickte gutmütig.
„Sehr gern. Und nun geh und bringe unserem jungen Freund seine Medizin“, forderte er nun streng auf, während seine Hand eine wischende Bewegung vollführte.
Zustimmend nickte Aaron. Verbeugte sich huldvoll und drehte ihm dem Rücken zu. Mit dem Fläschen in der Hand schritt er in Richtung der Tür vor der er wie gebannt stehen blieb. Deutlich nahm er die Anwesenheit einer Person war. Die Aura die von ihr ausging kam ihm nur allzu vertraut vor. Ein erneutes Lächeln durchzog sein Gesicht. „Aaron. Eines noch bevor Ihr geht“, unterbrach ihn Raphael mit ruhiger Stimme.
Überrascht drehte sich der Elf herum. Sah seinen Meister fragend an.
„Von nun an bist du für die Kinder verantwortlich. Achte gut auf sie. Ihr Weg wird von sehr vielen Qualen geprägt sein. Sie werden deine Hilfe brauchen“, fuhr er fort.
Der Elf nickte verständnisvoll ehe er sich wand und den Raum verließ.

Kapitel 12.


Erschrocken wich Amalia zurück. Sie konnte Aarons blondes Haar, das vom matt herein scheinenden Licht erhellt wurde, neben sich schimmern sehen.
>>Verdammt! Warum nur müssen diese Elfen so lautlos sein<<, ging es ihr durch den Kopf. Nervös kniff sie die Augen zusammen und hoffte insgeheim einfach zu verschwinden.
>>Bitte lass ihn dich nicht sehen<<, begannen ihre Gedanken zu rasen, wusste sie doch nur zu gut wie verärgert er seien würde.
Betont langsam schloss der Elf die Tür hinter sich und steckte das kleine Fläschen in die Tasche seines Gewandes.
„Du kannst deine Augen wieder öffnen Amalia“, sagte er betont ruhig um ein lautes Lachen zu vermeiden.
Ungläubig und immer noch hoffend dies alles wäre nur ein Traum öffnete das junge Mädchen ihre Augen und sah direkt in das erwartende Gesicht des Elfen.
Amalia atmete tief durch, um so gut es ging ihre Fassung wieder zu gewinnen.
„Aaron. Ich... Ich kann das erklären“, versuchte sie zu erklären.
Doch mehr als ein kaum verständliches Gestammel brachte sie einfach nicht heraus. Unterbrechend schüttelte Aaron den Kopf und Legte seinen Finger über seine Lippen.
„Nicht hier. Komm“, forderte er sie auf.
Zögernd holte Amalia ihn ein.
Einige Zeit liefen sie schweigend nebeneinander durch die Gänge des Quartieres. Noch immer kroch die Angst durch den Körper des jungen Mädchens. Keiner der beiden wagte es seinen Mund zu öffnen und die Stille zu durchbrechen.
„Wie lange hast du eigentlich schon dort gelauscht“, fragte Aaron schließlich in einem betont beiläufigen Ton in der Stimme.
Überrascht und ein wenig erleichtert zu gleich betrachtete die junge Dunkelelfe sein Gesicht. Es war ruhig. Keine Spur von Wut oder Verärgerung.
„Lang genug um euer Gespräch mit anzuhören“, entgegnete sie ehrlich wobei sie ihn erneut aus den Augenwinkeln heraus an sah.
In diesem Moment wusste sie nicht was sie mehr beunruhigte. War es die scheinbare Gelassenheit des Elfen? Oder eher der Ärger der sie jeden Augenblick treffen könnte? Sie begann nachzudenken und ihre Stirn legte sich in Falten.
>>Sag doch etwas bitte. Irgendetwas<<, dachte sie bei sich.

Einige Augenblicke verstrichen in denen sie erneut schweigend nebeneinander her gingen ehe sie schließlich vor Ryuichis Tür ankamen.Verheißungsvoll drehte Aaron ihr den Kopf zu und sah sie eindringlich an.
„Du weißt nun also um was es geht. Bitte sag Liliana nichts. Sie würde es noch nicht verstehen“, bat Aaron leise, doch klangen seine Worte noch lange in ihrem Gedanken nach. Tausend Fragen zogen wie Bilder durch ihren Kopf, die nur darauf warteten beantwortet zu werde, und sie würde sie stellen... wenn der richtige Augenblick gekommen war.
„Und Ryuichi. Ich kann ihn nicht belügen“, raunte sie leise.
Aaron lächelte. Er konnte verstehen was in dem jungen Mädchen vorgehen musste.
„Das wird nicht nötig sein“, erklärte er lächelnd.
„Wenn die Zeit gekommen ist wird er verstehen“, setzte er fort.
Zustimmend nickte Amalia ihm zu ehe sie ihre Hand auf die Klinke legte. Ein letztes Mal atmete sie tief ein und aus während sie den Eisernen Griff hinunter drückte und endlich Ryuichis Zimmer betrat.

Neugierig schaute Liliana zur Tür. Ihre kleinen Augen blitzten auf als sie Amalias Gesicht erkannte. Freudig glitt sie von Ryuichis Bett auf dem sie bis jetzt in Selenruhe gewartet hatte und hüpfte auf das junge Mädchen zu.
„Da bist du ja wieder. Und konntest du etwas herausfinden?“, fragte sie neugierig während sie Amalia umarmte. Amalia schüttelte entschuldigend den Kopf. Noch im selben Augenblick verfluchte sie die Worte die sie jetzt sagen würde.
„Nein. Leider konnte ich nichts hören“, antwortete sie.
Lächelnd zuckte Lilly mit den Schultern
„Das ist nicht wichtig. Hauptsache du bist wieder da“, raunte sie glücklich und schmiegte sich an die junge Dunkelelfe.
Erstaunt betrachtete Amalia das Gesicht der Kleinen die sich vertrauensvoll an sie drückte. Wie leicht sie ihre Worte glaubte.Um so mehr schmerzte es ihr die Wahrheit verschweigen zu müsse. Im Augenblick jedoch war es das Beste für sie... zumindest glaubte sie fest daran.
Hastig schritt Aaron an den Mädchen vorbei. Seine Hand tastete nach dem Fläschen im Inneren seines Gewandes. Schließlich zog er es heraus und öffnete es. Besorgt sah er Ryuichi an. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Er wand sich hin und her vor Schmerz. Prüfend fuhr der Elf mit seiner Hand über die Stirn des Jungen. Sie war heiß. Ryuichi schien förmlich zu glühen. Behutsam legte Aaron ihn über seinen Arm und beugte seinen Kopf ein wenig zurück, gerade genug, dass der Mund des Jungen sich ein Stück weit öffnete. Mit äußerster Vorsichtig führte Aaron das Fläschen an Ryu's Lippen. Die Flüssigkeit rang aus der Flasche und floss direkt in seinen Mund.
Wie automatisch begann Ryu zu schlucken, wobei er die angenehme Kühle spürte, die sich in seinem Körper ausbreitete. Erleichtert atmete Aaron auf. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem gequälten Lächeln ehe er Ryu sanft in die Kissen zurück gleiten ließ.
Eine Weile beobachtete er ihn während sich nun auch die Mädchen zu ihm ans Bett setzten. Seine Atmung war nun ruhiger, kontrollierter. Sein Gesicht wirkte entspannt. Er schien nun fest zu schlafen.Sanft strich Amalia mit den Fingerspitzen über Ryuichis Wange, über seinen Arm und Ließ ihre Hand schließlich in seiner ruhen.
Aaron spürte die Besorgnis die in der jungen Dunkelelfe wühlte und Legte ihr lächelnd seine Hand auf die Schulter.
„Er wird es schaffen. Da bin ich mir absolut sicher“, machte er ihr Mut.
Das junge Mädchen lächelte gequält auf ehe sie erneut einen Blick auf Ryuichi warf, der völlig ruhig vor ihr lag. Jeder einzelne Muskel in ihr schien vor Anspannung zerreißen zu wollen. Dieses Gefühl war so stark und beängstigend zugleich wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Langsam begannen sich ihre Augen mit Tränen zu füllen. All die Anspannung, die Angst stiegen in ihr auf und bahnten sich nun ihren Weg. Tapfer versuchte sie gegen die Tränen anzukämpfen die ihr bereits heiß über die Wange rangen, bis sie ihnen schließlich nachgab. Wie sehr hoffte sie Aaron würde Recht behalten.
„Das hoffe ich“, wimmerte sie leise.

Ungläubig blickte Lilly Amalia an. Sie traute ihren Augen nicht.
Sie weinte... war sie doch sonst immer so stark. Liebevoll schlang sie ihre Arme um ihre Hüfte und Lehnte sich behutsam gegen ihren Rücken. Lilly spürte, wie Amalias Herz aufgeregt in ihrer Brust hämmerte. Langsam legte sie ihre Hand über die Amalias.
„Hör zu. Wenn Aaron sagt das Ryu wieder gesund wird, dann wird mein Bruder auch wieder gesund. Verstanden?“, erklärte sie feierlich.
Amalia lächelte auf. Lilly hatte Recht. Sie musste daran glauben, dass die Medizin Ryu half.
„Du hast Recht Lilly“, bestätigte das junge Mädchen entschieden während sie weiter Ryuichis Hand hielt.
Zufrieden sah Aaron in die Runde ehe er sich langsam vom Bett erhob. Lautlos schritt er an dem Mädchen vorbei ehe er für einen letzten Augenblick im Rahmen der Tür inne hielt.
Fragend sah Lilly dem Elf nach und sah ihm dabei fest in seine blauen Augen. Aaron lächelte ihr zu während er schließlich den Raum verließ.

Kapitel 13.


Die Stunden verflogen grausam langsam, wie in einem schier endlosen Kreislauf der Grausamkeit. Die Sonne war längst mit all ihrer Pracht am Horizont untergegangen. Die ersten Sterne leuchteten durch die sich mit Macht nähernden Nacht. Ihr silbernes Licht schimmerte durch das Fenster und Ließ Schatten an den Wänden hin und her tanzen.
Noch immer saßen die Mädchen wachsam an Ryus Bett und Betrachteten hin und wieder die Schatten an der Wand. Keine der beiden wagte es ihn allein zu lassen. Doch schließlich überkam sie die Müdigkeit und sie sanken in Schlaf.
Weitere Stunden verstrichen, als Lilly, die sich genüsslich an Amalias Arm gekuschelt hatte, verschlafen die Augen öffnete.
Es war dunkel, bereits Stock finstere Nacht.Ungläubig schüttelte sie den Kopf. War dieses Geräusch einer quietschenden Tür nur Einbildung gewesen? Doch ein Irrtum war ausgeschlossen. Zu laut und nah war das Geräusch gewesen. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür als sie einen Schatten an der Wand des Korridors bemerkte. Aufmerksam beobachtete sie, in welche Richtung er sich bewegte ehe sie ihm in einigem Abstand folgte. Ihr Herz hämmerte vor Aufregung. Wer würde um diese Uhrzeit noch durch die Gänge schleichen? Endlich stoppte der Schatten und hielt vor der massiven Eingangstür inne. Leise näherte Liliana sich Meter um Meter, bis sie schließlich ein Gesicht erkennen konnte.
Nur wenige Meter vor ihr Stand Tristan mit einem Brief in der Hand. Erschrocken presste Lilly ihren kleinen Körper gegen die Säule hinter der sie sich versteckt hatte. Vorsichtig drehte sie ihren Kopf. Grade weit genug, dass sie Tristan deutlich sehen konnte. Nervös blickte sich der junge Mann um sich zu vergewissernd ob ihm auch ja niemand gefolgt war. Erleichtert atmete er auf. Niemand war hier. Nur einige Schatten die die Öllampen an die Wand warfen. Zögerlich öffnete er die massive Tür. Ein Pferd schnaubte in einigen Metern Entfernung. Eine in einem braunen Umhang gekleidete Person erschien vor dem Tor. Tristan erschrak zutiefst ehe er das Gesicht erkannte.
„Guten Abend. Welch Freude Euch wieder zu sehen“, raunte die Gestalt zynisch.
Sie wechselten einige Worte.
Neugierig spitzte Liliana ihre Ohren um dem Gespräch folgen zu können.
„Überbringt diese Nachricht Lucien. Sie dürfte von großem Interesse für ihn sein“, erklärte Tristan kurz und knapp. Ein grausames Lächeln kroch über das Gesicht der Gestalt während sie den Brief an sich nahm, kurz mit ihrem Kopf nickte und dem jungen Mann den Rücken kehrte. Ruhig stieg er auf sein Pferd und warf Tristan einen letzten Blick zu ehe er in die Dunkelheit entschwand.

Hastig schloss der junge Mann die Tür und durchsuchte erneut mit aufgeregten Blicken den Korridor. Irgendetwas machte ihn nervös. War ihm doch jemand gefolgt? Nein! Sicher bildete er sich das nur ein. Einige Male atmete er tief durch um seine Fassung wieder zu gewinnen ehe er den Korridor durchschritt.
Aufs triefst erschrocken drehte sich Lilly um die Säule als sie Tristans Schritte nur wenig neben sich hörte. Sie durfte nicht gesehen werde. Ihr Atem überschlug sich. Jede einzelne Faser ihres Körpers war in Aufregung. Notfalls würde sie einfach davonlaufen. Musste sie doch um jeden Preis Amalia und Aaron von diesem Gespräch erzählen. Was immer es bedeutete. Etwas Gutes konnte es nicht sein. Erleichtert stellte sie fest, dass der junge Mann sie nicht bemerkt zu haben schien. Eine Weile blieb sie wie erstarrt stehen um ihm einige Meter Vorsprung zu geben, ehe sie Tristan in sicherem Abstand durch den in der Dunkelheit unheimlich wirkenden Korridor zurück folgte und endlich erleichtert die Tür zu Ryu's Zimmer hinter sich schloss.

Kapitel 14.


Schweren Schrittes stapfte Lino durch die Dunkelheit. Sein Umhang wehte langsam im kalten Nachtwind, der ihn umgab.
Eilig beschleunigte er seine Schritte. Immer weiter und weiter Richtung Norden bis schließlich die einladenden Lichter Syrith’s vor seinen Augen auftauchten.
Ein breites Lächeln zierte sein Gesicht als er die Pforte der Stadt erreichte. Das Tor war aus massiven, dunklen Stein errichtet und von zwei bedrohlich wirkenden Wachtürmen umgeben an denen sich wilder Efeu empor rankte. Das matte Licht der Fackeln verstärkte die unheimliche Atmosphäre. Doch er störte sich nicht daran. War er doch die stetige Gefahr gewohnt von der er umgeben war.
kräftig pochte er gegen das dicke Eichentor. Ein Schlitz öffnete sich und zwei unfreundliche, stechende grüne Augen erschienen dahinter.
„Wer seid ihr“, knurrte eine tiefe Männerstimme.
Einen Augenblick lang betrachtete Lino die Augen, die aufgeregt von einer Seite auf die andere huschten und ihn kleinlichste musterten ehe er seinen Mund öffnete. Mein Name ist Lino. Ich gehöre zu Luciens Leuten“, antwortete er knapp.
Erschrocken taumelte der Mann hinter der Tür einige Schritte zurück bevor er die Tür mit einem lauten Ruck öffnete.
„Bitte verzeiht Mein Herr. Ich habe euch in der Dunkelheit nicht erkannt“, stotterte er.
Lino nickte ihm knapp entgegen während er die Eingangspforte durchschritt. Weiter führte ihn sein Weg durch die schmalen und verschlungenen Gassen der Stadt. Neugierig sah er sich um. Diebe, gesuchte Mörder, die vor der Gerechtigkeit der Außenstehenden Welt geflohen waren, säumten seine Schritte. Hier und dort saßen einige nicht minder zwielichtige Gestalten als er selbst auf den Schwellen der Häuser und schärften genüsslich ihre Dolche. Zwei scheinbar wohlhabende Männer stritten sich um eine Dirne, die bereitwillig ihre Dienste darbot und sorgfältig ihr Kleid zu Recht rückte.
Ein kurzes Lächeln huschte über Linos Gesicht. In dieser Stadt fühlte er sich wohl, unbeobachtet. Niemand der in mit musternden oder abwertenden Blicken streifte. Hier konnte er sein wer er war. Frei und ungebunden. Genüsslich streckte er sich ehe er seinen Weg fortsetzte. Aufmerksam beobachtete er das Geschehen in den Seitenstraßen in denen man von Zeit zu Zeit nützliche Informationen bekommen konnte wenn man nur die Augen offen hielt. Zielgerichtet durchquerte Lino einige der großzügig ausgebauten Hauptstraßen Syrith’s die ihn schließlich entlang des nördlich gelegenen Stadttores führte. Für einen Augenblick blieb sein Blick auf dem sich hinter der Stadt ausbreitendem Kliff haften und zwang ihn zur Ruhe.
Dunkle Wolken durchzogen den nächtlichen Himmel über der Ebene. Schienen alles Leben auf der Welt in ihrer unendlichen Dunkelheit versenken zu wollen. Grausam, Kalt und Unerbittlich. Doch das silberne Licht des Vollmondes lugte beständig, unbeugsam und mit all seiner Herrlichkeit durch die Wolkenlücken. Als wollte es die sich ausbreitende Dunkelheit vertreiben. Immer kleiner und kleiner worden die Wolkengebilde, bis sie schließlich dem Licht des Mondes wichen. Hoch über der Stadt, nahe dem Abgrund thronte der Unterschlupf der Gilde der Schatten. Abgestorbene Pflanzen rankten an den bereits teilweise zerfallenen Mauern empor. Hier und dort ragte ein Stein heraus auf denen sich kreischend die Krähen niederließen. Durch einige der dreckigen Fenster schimmerte fahles Licht durch die Nacht. Hin und wieder huschten Schatten durch die Korridore. Ein Strahl silbernen Lichtes überzog das Kliff und ließ den Unterschlupf in einem schaurigen, aber zugleich mystischen Licht erstrahlen. Der Fluss bahnte sich tiefschwarz seinen Weg durch die Schlucht. Für einen Augenblick lag eine beunruhigende Stille über der Stadt. Nur das dumpfe Rauschen des Wassers hallte durch die Nacht.
Wie gebannt sah Lino zu dem Quartier der Gilde der Schatten empor. So sehr er es auch versuchte, er konnte doch seinen Blick nicht abwenden. Ein eiskalter Schauer durchfuhr ihn. Sein Herz begann schneller zu schlagen. Wieder hatte er die Bilder dieses Kindes vor Augen und Erinnerungen stiegen in ihm auf, die er so zwanghaft versucht hatte zu verdrängen stieg in ihm auf. Zum erstem Mal seid langer Zeit verspürte er wieder die Angst, die sich seiner bemächtigte. So fremd wie sich dieses Gefühl auch war, ließ es ihn doch bewusst werde, was ihn erwartete. Nervös kniff er die Augen zusammen, öffnete sie jedoch noch im selben Augenblick wieder. Wie sollte er Lucien nur mit seinem schändlichen Versagen unter die Augen getreten? War er doch nicht einmal in der Lage gewesen ein lausiges Kind zu beseitigen. Sicher… der Elf war dazwischen gekommen, aber was würde das ändern? Letztendlich würde es niemanden interessieren wieso er Versagt hatte. Lino fröstelte. Wusste er nur zu gut welche Strafe ihn im schlimmsten Falle erwarten würde. Doch Loko war tot und niemand außer ihm selbst würde von dem Ereignis berichten können. Dies war nicht der Augenblick Lucien unter die Augen zu treten. Ein tiefer Seufzer entfuhr seiner Kehle, als er seine Schritte in die entgegen gesetzte Richtung lenkte.
Lärm durchzog die belebten Straßen von Syrith. Menschen aller Herkunftsschichten und Altersklassen gingen ihrem Tagewerk nach. Kleine, ärmlich gekleidete Kinder boten ihr recht verkümmertes Obst feil, an dem man sehen konnte wie schlecht es ihnen ging. Auf der Suche nach etwas Essbarem, zogen sie von Tür zu Tür, immer in der Hoffnung etwas Geld, dass sie zum Überleben brauchten verdienen zu können. Einige Priester wanden sich nervös durch die Mengen. Nichts schien sie an diesen wenig einladenden Ort zu halten. Leise murmelten sie etwas vor sich hin. Immer beobachtet von willigen Banditen und anderen zwielichtigen Gestalten.

Völlig in Gedanken versunken streifte Lino durch die Stadt. Ließ Ecke um Ecke hinter sich. Vorbei an teils schiefem, teils halb eingestürztem Gebäuden bis er schließlich vor einem gut ausgebautem Gebäude Inne hielt. Seine Augen betrachteten die Fassade. Ein Lächeln flog über sein Gesicht als er das Schild las.
„ Gasthaus zur Tänzerin“
Erleichtert drückte er den Türknopf hinunter und betrat die Schenke. Stickige Luft, erfüllt mit dem Geruch frisch gestopfter Zigarren blies ihm entgegen. Er hielt kurz inne und gönnte sich einige tiefe Atemzüge. Wie er die Atmosphäre dieser Schenke liebte. Hier hatte er so manch Abende verbracht. Sorgen und Kummer hinter sich gelassen und sich mit anderen im Kartenspiel gemessen. Leise schloss er die Tür hinter sich. Neugierig blickte er durch den Raum. Musik schallte durch die Luft. Einige Musiker saßen auf dem kleinen Holzabsatz in der Mitte der Schenke und ließen ihre Melodien erklingen und zupften konzentriert an ihren Instrumenten oder ließen den feinen Klang ihrer Flöte erklingen. Eine hübsche, junge Frau mit dunkelblauen Augen bewegte sich anmutig im Takt der Musik. Langsam schlängelte sich Lino um die Tische. Einige der Gäste winkten ihm entgegen oder boten ihm an sich zu ihnen zu setzten. Kurz angebunden nickte er ihnen zu. Er war nicht in der Stimmung für endlose und stumpfsinnige Gespräche.
Endlich erreichte er die Theke hinter der ihm die Wirtin mit einem breiten Lächeln wie gewohnt herzlich empfing. Wie automatisch streifte Lino seinen noch immer durchnässten Umhang von seinen Schultern und hängte ihn an einen Hacken der sich neben ihm in einem Balken befand, ehe er sich auf seinen üblichen Platz nieder ließ.
„Guten Abend Meister Lino. Was beschert uns denn diese Ehre „, entgegnete die Wirtin leicht überschwänglich.
Lino wandte ihr den Kopf zu und betrachtete dabei für einen Moment ihr Gesicht. Sie hatte warme, gütige Augen. Mit einem kurzen Nicken grüßte er sie ehe er mit einem lauten Seufzer abwinkte. Stirn runzelnd schüttelte die Wirtin den Kopf. Ein verschmitztes Lächeln legte sich über ihr Gesicht als sie Linos in Falten liegende Stirn erblickte. Nur zu gut kannte sie seine Launen, die nicht minder wechselhaft waren wie das Wetter.
„Ich verstehe schon“, zwinkerte sie ihm zu, während sie begann nach einem sauberen Becher zu tasten.
Desinteressiert wandte Lino seinen Blick ab. So sehr er es auch versuchte. Das Gesicht dieses Jungen verschwand nicht aus seinen Gedanken. Er sah seine Augen. Konnte den Atem des Jungen förmlich spüren. Doch schlimmer noch als dieser unsagbar hartnäckige Gedanke war die Angst die mehr und mehr in ihm aufstieg.
Endlich hatte die Wirtin einen ansprechenden Becher gefunden den sie sorgfältig mit dem bestem Wein füllte den ihr bescheidenes Haus hergab. Gemächlich ging sie auf Lino zu und platzierte das Gefäß vor seinem Arm.
“ Hier Trinkt. Es wird Euch gut tun“, sagte sie eindringlich.
Zunächst verspürte Lino keinen Durst. Zu sehr hing er seinen Gedanken nach. Erst einige Augenblicke später bemerkte er, wie rau und trocken sich seine Kehle anfühlte und sie nach dem köstlich riechenden Wein verlangte der vor ihm stand. Zögerlich griff er nach dem Becher. Der Wein benetzte seine Lippen. Lino nahm einen tiefen Atemzug. Wie harmonisch und vollmundig sich das Aroma dieses Weines in seinem Gaumen und Nase entfaltete. Ein wahres Fest für die Sinne. „Nun sagt. Was ist geschehen. Ihr seht aus als hättet ihr einen Geist gesehen“, fragte sie betont beiläufig.
Sichtlich verwundert über diese Frage wandte Lino seinen Blick.
„ Habt ihr Geld beim Karten spielen verloren? Oder hat euch eine Maid abgewiesen“, hakte die Wirtin halb scherzhaft, halb ernst nach während sie aufmerksam im Gesicht ihres Gegen übers forschte.
Es wäre nicht das erste Mal Gewesen das der Herr wegen einer solchen Geschichte zu ihr kam.

Regungslos blickte Lino sie an. Kam es ihm nur so vor oder war diese Frau am heutigen Abend noch direkter und hartnäckiger als sonst. Ihm stand nicht der Sinn nach einem Gespräch. Und gewiss nicht nach einer längeren Erklärung. „Nein offensichtlich nicht“, stellte sie leise fest während sie begann nach dem kleinen Wassereimer zu suchen und dessen Inhalt schließlich in das Becken zu gießen.
„ Es gibt Ärger in der Gilde. Habe ich Recht“, sagte sie während sie ihn erneut eindringlich betrachtete.
Erschrocken und perplex zu gleich sah Lino sie an. Für sie schienen seine Gedanken wie ein Buch ohne Siegel zu sein. Wütend blitzten seine Augen auf.
„Misch dich nicht in Sachen ein die dich nichts angehen Weib“, gab Lino grob zurück ehe er ihr den Rücken zu drehte.
Ein verschmitztes Lächeln huschte über die Lippen der Wirtin.
„Ich hatte also Recht. Was ist geschehen? „, fragte sie nach.
Jetzt hatte sie die Neugier gepackt. Es musste etwas wichtig in der Gilde vor sich gehen, dass sagte ihr, ihr weiblicher Instinkt.
„Ich habe bei einem Auftrag versagt“, knurrte Lino ihr über die Schulter hinweg entgegen ehe er sich von seinem Platz erhob und eilig die Schenke verließ. Stirn runzelnd sah die Wirtin ihm nach.

Kapitel 15.


Wütend ging Lino die Straßen Syrith’s entlang. Wie automatisch ließ er Haus um Haus hinter sich. Bis er schließlich vor dem erhabenen Tor der Gilde Inne hielt.Mit einem kräftigen Ruck betätigte er die Nasenringe der Statuen, die als Türklopfer dienten. Ungeduldig wartete er bis er endlich leise Schritte auf der anderen Seite vernahm.

Ein kleiner Riegel wurde zurück geschoben und zwei grüne Augen betrachteten ihn interessiert. Eilig wurde der Riegel wieder in seine ursprüngliche Position geschoben und endlich öffnete sich unter lautem Knacksen die Tür.
„Guten Abend Meister Lino“, ertönte eine angenehme Weibliche Stimme.
Mit einem flüchtigen Blick betrachtete Lino die junge Frau die in dieser Nacht Wache zu haben schien während er die Pforte passierte.
„Guten Abend“, murmelte er kaum hörbar ehe er sich auf direktem Wege zu seinem Zimmer begab.

Hastig durchschritt er die Korridore. Einem nach dem anderen. Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden wohin ihn seine Schritte führten. Seine Beine kannten den Weg. Fanden wie von selbst zu dem stillen, recht gemütlich eingerichtetem Raum, der ihm zugeteilt war.
Nervös öffnete er die Tür und ließ sie erleichtert hinter sich im Schloss einrasten. Endlich ein ruhiger Ort an dem er in Ruhe darüber nachdenken konnte wie er Lucien die Nachricht seines Versagens überbringen sollte. Gedanken versunken ließ er sich auf sein Bett sinken und streifte sich seinen Umhang von den Schultern, der leise zu Boden sank. Angespannt rieb er seine Finger aneinander. Gerade so, als müsste er sich jeden Augenblick für eine Auseinandersetzung rüsten. Noch immer wusste er nicht wie er Lucien die Nachricht seines Versagens berichten sollte…

Schritte waren durch den Korridor zu hören. Ein junger Mann schritt eilig den schlecht beleuchteten Gang entlang, bis er schließlich Linos Tür erreichte. Er atmete tief ein und aus ehe er zaghaft anklopfte.
„Ja“, knurrte Lino ihm entgegen und wandte den Kopf zur Seite.
Leise öffnete sich die Tür und der junge Mann betrat den Raum. „Entschuldigt bitte Meister Lino“, sprach er leise und musterte flüchtig das Gesicht seines Gegenüber.
„Was gibt es“, erkundigte sich Lino in dem freundlichsten Ton den er in diesem Augenblick aufbringen konnte.
Der Junge Mann zuckte unter dem zynischen Tonfall zusammen und kniff nervös die Augen zusammen. Doch nur um sie im nächsten Moment wieder aufzureißen.
>>Nimm dich zusammen. Es ist nicht deine Schuld, dass er so schlechte Laune hat<<, schoss es ihm durch den Kopf.
„Unser Herr Lucien wünscht Euch zu sprechen“, erklärte er so gelassen wie es ihm erlaubt war.
Erstaunt und irritiert zu gleich drehte Lino ihm den Kopf zu und Betrachtete seine einfache jedoch ordentliche Kleidung.
Einige Flicken saßen auf den Ärmeln seines Hemdes und hier und da zierte die Hose ein Loch.
„Ich danke Euch. Nun geht. Ich werde nachkommen“, entgegnete er kurz angebunden, jedoch nur noch halb so nervös wie er es bis zu diesem Moment gewesen war.
Ein kurzes Lächeln umspielte die Lippen des jungen Mannes. Erleichtert verbeugte er sich kurz und verließ eilig den Raum.

Sichtlich erleichtert tastete Lino nach dem kleinen Krug mit Wasser der auf seinem Nachttisch stand und schenkte sich ein Glas ein.
Kühl und erfrischend lief es seinen Rachen hinab und löschte das Feuer, das in ihm zu wütend schien.
Was bei diesem Gespräch auch geschehen würde...
Nichts war schlimmer als diese Unruhe die ihn gefangen hielt.
Hastig und in einem Zug leerte er das Glas ehe er sich von seinem Bett erhob. Ein letztes Mal strich er sich prüfend über seine Kleider ehe er eilig das Zimmer verließ.

„Wo bleibt dieser Lino. Ich hatte meinen Diener schon vor Ewigkeiten geschickt“, sagte Lucien verärgert.
Die Zeile des Pergamentes das er beschrieb verschmierte.
Wütend knüllte er es zu einem Ball zusammen und warf es achtlos durch den Raum. Scheppernd schlug es gegen eine Lampe die durch den Aufprall zu wanken begann.

Wütend wandte Isabella zunächst den Kopf zu ihrem Vater und blickte schließlich in die Richtung in der die Lampe noch immer wankte.
Entgeistert sah sie ihm in die Augen bevor sie an ihm vorbei ging um das Papier aufzuheben.
„Vater beherrscht Euch. Oder ihr werdet noch das gesamte Arbeitszimmer in Flammen aufgehen lassen“, erklärte sie betont ruhig jedoch mit einem unüberhörbar schnippischen Ton in der Stimme.
Verheißungsvoll sah Lucien seine Tochter an. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Gerade wollte er etwas sagen als Isabellas eindringlicher Blick ihn verstummen ließ. Sie hatte diesen gewissen Blick von ihrer Mutter, dem er noch nie etwas entgegen zu setzen gehabt hatte. Räuspernd ließ er sich in seinen samt rotem Sessel zurück sinken. Lächelnd schüttelte Bella den Kopf ehe sie sich wieder ihrer Aufgabe widmete.

Ungeduldig erhob sich Lucien kurze Zeit später. Musternd ging er zum Bücherregal hinüber und tastete suchend mit seiner Hand über die Einbände…
als ihm das Klopfen an der Tür aus seinen Gedanken riss und ihn herum fahren ließ.
„Her rein“.
Langsam drückte sich die Klinke der Tür nach unten und ein junger Mann betrat den Raum. Mit einem würdevollen Nicken grüßte er Lucien.
„Was gibt es“, erkundigte er sich ungeduldig.
„Mein Herr. Lino ist soeben eingetroffen“
„Lasst ihn eintreten. Ich habe mit ihm zu reden“, antwortete Lucien knapp, während er dem jungem Mann mit einer Handbewegung die Tür wies.

Kaum das der Diener das Zimmer verlassen hatte, nahm Lino seinen gesamten Mut zusammen und betrat den Raum. Prüfend sah er sich um. Alles schien seine Ordnung zu haben. Ein Feuer brannte im Kamin auf der Stirnseite des Zimmers. Einige Papiere lagen achtlos auf dem Boden und worden von der leichten Brise, die durch das Fenster herein wehte aufgewirbelt.
>>Nichts worum du dich sorgen müsstest <<, versuchte er sich selbst ein wenig zu beruhigen ehe er mit festem Schritt auf Lucien zu ging.
„Lino. Es ist gut Euch zu sehen. Wir haben vieles zu besprechen“, entgegnete Lucien in dem freundlichsten Ton den seine Laune in diesem Moment erlaubte.
Ungläubig betrachtete Isabella das Gesicht ihres Vaters aus den Augenwinkeln heraus. Der zynische Unterton der in seiner Stimme mitspielte ließ sie er schaudern. Wie sie es verabscheute, wenn er in diesem Ton sprach…
Wie automatisch fuhr sie mit ihrer Arbeit fort, während sie dem Gespräch so aufmerksam und unauffällig wie möglich zu folgen versuchte.
„Ihr seid spät Lino. Ich habe Euch bereits früher zurück erwartet“, erhob Lucien das Wort ehe er Lino den Rücken zu wandte und einen Becher des Weines einschenkte, den seine Tochter ihm gebracht hatte. Mit erwartungsvollem Blick reichte er ihn seinem Gegenüber.
„Es tut mir leid mein Herr. Wir worden aufgehalten“, erwiderte Lino so unbefangen wie möglich ehe er mit dankender Miene den Becher entgegen nahm.
Ein verschmitztes Lächeln huschte über Luciens Gesicht während er sich registrierend gegen seinen Tisch lehnt.
„Sagt. Wo ist Loko? Ich hatte Euch beide ausgesandt. Er scheint noch nicht zurückgekehrt“, hakte er nach.
Linos Gesichtszüge entgleisten. Seine Miene wechselte zu einem Ausdruck puren Entsetzens. Angst spiegelte sich in seinen Augen wieder.
>>Verdammt. Nun ist alles vorbei. << Doch er musste ihm die Nachricht von Lokos Tod überbringen.
„Loko ist gefallen mein Herr. Er starb im Kampf gegen den Jungen. Die Klinge durchbohrte seine Brust. Ich konnte ihm nicht mehr helfen“, antwortete er schuldbewusst, wo bei er immer wieder nervös die Augen zusammen kniff.

Sichtlich verärgert knallte Lucien seinen Becher auf den Tisch den er noch eben in der Hand gehalten hatte.
>>Das darf doch alles nicht wahr sein. Ich bin wirklich nur von Idioten umgeben<<, dachte er ohne es sich anmerken zu lassen.
„Ich hoffe das ist nicht Euer Ernst. Wollt Ihr mir wirklich weiß machen, ein Kind hätten einen meiner best ausgebildeten und erfahrensten Männer getötet“, entgegnete Lucien in einem Ton Fall den einem das Blut in den Adern hätte er schaudern lassen können, wobei er sich zwingen musste nicht zu schreien.
Lino brachte nichts anderes hervor als ein kurzes Nicken. Er wagte es nicht den Mund zu öffnen. Hatte Angst seine Zunge würde ihm nicht mehr gehorchen und Dinge kämen an den Tag die besser unausgesprochen blieben.
„Antworte gefälligst“, fuhr Lucien in an. Binnen Bruchteil eines Augenblickes fuhr er herum und packte ihn am Kragen. Einen Moment lang starrte er Lino direkt in die Augen ehe er in angewidert und wütend über dessen Verhalten los ließ.
Lino röchelte. Wie in einem Reflex umfasste seine Hand prüfend seinen Hals. Taumelnd wich er einige Schritte zurück. Die Nervosität in ihm wuchs von Sekunde zu Sekunde. Er konnte den Schlag seines Herzens bis in den kleinsten Muskel, ja selbst bis in die kleinste Vene spüren. Alles in ihm schien sich gegen eine Antwort auf diese Frage zu sträuben wenn er am Leben bleiben wollte.
Erneut bewegte sich Lucien auf ihn zu und sah ihm noch einmal musternd an.
„Wo sind die Kinder“, fragte er kühl.
Linos Gedanken begannen zu rasen. Wie sollte er erklären, dass er zwei kleine Kinder hatte entkommen lassen? Doch hatte er eine Wahl…
Zögernd öffnete er seinen Mund als es an der Tür pochte.
„Ja“, rief Lucien sichtlich ungeduldig.
Mit einem Ruck flog die Tür auf und eine Dienerin stand darin. „Meister Lucien. Meister Lucien. Dieser Brief ist gerade für Euch angekommen. Ich glaube er ist von Tristan“, stammelte sie ehe sie sich, nach Luft ringend auf ihn zu bewegte.

Eine Windböe wehte durch das Zimmer und riss ihr den Brief beinahe aus der Hand. Krachend fiel die Tür hinter ihr zu und hakte ins Schloss ein. Die Dienerin ging weiter und übergab schließlich den Brief.
„Danke. Du darfst jetzt gehen“, antwortete Lucien knapp.
Mit einer kurzen Verbeugung registrierte die Dienerin den Befehl und verließ mit hastigen Schritten das Zimmer. Voller Ungeduld öffnete Lucien den Brief und las die ersten Zeilen. Seine Miene verdunkelte sich je weiter er las. Das durfte nicht sein, was sein Spion ihm berichtete. Die Auserwählten in den Händen des Lichts.
Wut stieg in ihm auf. De Adern auf seiner Stirn begannen zu pulsieren. Sein sonst bleiches Gesicht nahm einen sehr unnatürlich wirkenden Rot Ton an. Voller Hass knüllte er den Brief zu einem Ball zusammen, den er schließlich achtlos in die Flammen warf.

Besorgt sah Bella zu ihrem Vater hinüber. Es war nicht schwer zu erkennen was in ihm vor ging. Die gut sichtbare Ader an seinem Gesicht pulsierte unter dem erregten Schlag seines Herzens. Nur selten hatte sie ihn so außer Fassung gesehen. Der Anblick ließ ihr einen kalten Schauer den Rücken hinunter laufen. Eilig ging sie auf ihn zu. Hielt schließlich neben ihm Inne. Erst zögerlich, dann entschlossen umfasste ihre Hand die seine.
Doch ohne sie auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen wand Lucien sich aus ihrem Griff.
Erneut wehte ein Windhauch durch den Raum und löschte die Kerze, die auf dem Schreibtisch stand.
Mit betont langsamen Schritten bewegte sich Lucien durch den Raum. Seine Augen fixierten sein Ziel und schienen es nicht mehr entkommen lassen zu wollen, wie ein Wolf der hungrig seine Beute umkreist…

Seine Hand tastete nach seinem Dolch den er zu seiner eigenen Sicherheit immer bei sich trug.
Bald schon stand er vor Lino, der wie ein hilfloses Kind Zentimeter um Zentimeter zurück getaumelt war. Mit einem langen, kühlen Blick sah Lucien ihn an ehe er ihn langsam zu umkreisen begann. Zu sehen wie sein Gegenüber von Sekunde zu Sekunde mehr von der Angst befallen wurde gab ihm Genugtuung und ließ ihn in dem Glauben, dass all dies seine Richtigkeit habe.
„Sie sind dir also entkommen“, sprach er nach einer langen Pause in einem sehr durchdringenden Klang in der Stimme.
„Mein Herr bitte lasst mich erklären...“, brachte Lino nur stammelnd hervor während er auf eine Reaktion seines Gegen übers wartete.
Doch noch immer hüllte sich Lucien in erwartungsvolles Schweigen.
„Es gab Schwierigkeiten … dieser Elf tauchte plötzlich aus dem Nichts auf. Aaron ist sein Name. Und…Und dann war da noch dieses Mädchen“, berichtete er kleinlaut.

Einige Augenblicke herrschte grauenhafte Stille im Raum. Niemand wagte ein Wort zu sagen oder auch nur den Mund zu öffnen.

„Du Narr“, fuhr Lucien plötzlich dicht an Linos Ohr, der unter dem Schreck zusammen zuckte.
„ Seid wann weicht den einer meiner besten Männer vor einem Elf und einem kleinen Kind zurück“, schrie er außer sich während er sich betont langsam vor Lino aufbaute.
„Dir allein ist es zu verdanken das sie nun der Fein in Händen hat. In diesem Brief wird berichtet, dass dieser Aaron sie gerade Wegs zu seinem Orden geführt hat“, flüsterte er nun verheißungsvoll.
„Mein Herr. Es tut mir leid. Ich bitte Euch…“, bat Lino.

Ein breites, jedoch unheilvolles Lächeln huschte über Luciens Gesicht. Höhnisches Gelächter hallte durch den Raum. Nur einen Augenblick später herrschte wieder Stille.
Ungläubig und schockiert zu gleich beugte sich Isabella nach vorn. Sie konnte kaum glauben was sich gerade jetzt und hier vor ihren Augen abspielte. So hatte sie ihren Vater noch nie gesehen… Sicher… er hatte sich schon oft kühl und distanziert verhalten, doch das überstieg dies bei weitem. Mitgefühl ergriff sie. Kein Mensch oder Kreatur verdiente es so behandelt zu werden. Sie musste diesem Wahnsinn Einhalt gebieten. Entschlossen ging sie einige Schritte auf ihren Vater zu bis sie ihn schließlich fast erreicht hatte.
Luciens Körper bebte vor Zorn. Blinde Wut kochte in ihm auf. Mit einem einzigen, kraftvollen Schlag traf er Lino, der durch die Wucht einige Meter durch den Raum flog und schließlich gegen die Wand prallte.
Mit einem schmerzerfüllten Schrei landete er auf dem Holzboden.
Binnen Sekunden hatte Lucien ihn erreicht. Seine Hand schnellte unter sein Gewand und zückte den Dolch der matt im Licht der brennenden Öllampen an der Wand leuchtete. Schwung holend schnellte seine Hand mit der Klinge zurück.
Voller Angst schloss Lino die Augen.
„Ihr werdet für euer Versagen bezahlen müssen mein Lieber“, sprach Lino mit Honig süßer Stimme ehe er seine Hand nach vorne schnellen ließ.
„Vater. NEEEIN“, stieß Isabella voller Entsetzen aus.
In letzter Sekunde bekam sie die Hand ihres Vater zu fassen und hielt sie mit all ihrer Kraft zurück.
„Vater ich bitte Euch. Verschont sein Leben“, sprach sie so respektvoll sie nur konnte, während sie ihn eindringlich mit ihren tief blauen Augen ansah.
Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Abwartend sah Lucien seiner Tochter in die Augen. Ungeduldig wartete er darauf einen Funken Unentschlossenheit darin ausmachen zu können…
Doch da war nichts. Keine Zweifel. Keine Unsicherheit. Nur pure Sicherheit, die ihre Augen in diesem Augenblick mehr als erhaben erschienen ließen.

Widerwillig senkte Lucien schließlich seinen Blick. Etwas tief in ihm sträubte sich nun gegen die Tat. Seine Muskeln entspannten.
Sanft schmiegte sich Isabella an ihren Vater während sie ihm behutsam den Dolch aus der Hand nahm.
„Was mischt du dich ein Kind“, fuhr er halbherzig herum.
Noch nie hatte er dem Charme seiner Tochter widerstehen können. Verständnisvoll sah in Bella an. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Seht. Wer sollte und könnte Eure Aufgaben besser erfüllen als dieser Mann“, erklärte sie betont ruhig während ihre Hand auf Linos Körper deutete.
„Wenn ihr ihn tötet wird sich niemand mehr als würdig erweisen Eure Pläne in die Tat umsetzten zu können“, sprach sie weiter.
Nachdenklich stütze Lucien sein Kinn auf.
>>Sie hat Recht. Was würde sein Tot bedeuten. Wer sollte mir dann noch von Nutzen sein<< Einige Augenblicke vergingen ehe er sich schließlich erhob und seine Tochter betrachtete.
Wie ähnlich sie ihrer Mutter war. Das gleiche liebenswerte Gesicht. Dasselbe lange, gelockte Haar…
Die Erinnerung schmerzte sehr. Doch durfte er sich nicht von Gefühlen leiten lassen.
„Was habe ich doch für ein kluges Kind“, stellte er lächelnd fest ehe er ihr kurz über die Wange strich.
Schließlich wandte er seinen Blick von ihr ab und sah auf Lino, der noch immer zu seinen Füßen lag.
„Sie hat Recht mein Lieber. Wer könnte mir besser zu Diensten sein wenn nicht Ihr. Ich hoffte ihr verzeiht mir meine schroffe Art“, sagte Lucien während er ihm die Hand reichte.
Skeptisch blickte Lino auf.
>>Soll das jetzt ein schlechter Scherz sein. Etwas schroffe Art ist wohl untertrieben. Tobsuchtsanfall würde es besser treffen<< Doch entschied er sich nicht länger darüber nachzudenken und ergriff Luciens ausgestreckte Hand. Was hatte er auch für eine Wahl? „Die Kinder sind also bei Raphael“, erklärte er betont gelassen.
Zustimmend nickte Lino im entgegen.
„Wenn die Kinder in der Gilde des Lichtes sind, werden wir eben in die Gilde des Lichtes gehen“, schlussfolgerte Lino, während sie bedächtig durch den Raum gingen.
Der Schalk glänzte aus Luciens Augen, die erwartungsvoll aufblitzten. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Und das werden Wir“, sprach Lucien vergnügt ehe er ihm kräftig auf den Rücken klapste, so das Lino für einen Augenblick ins Straucheln geriet.
„Kommt. Wir haben noch vieles zu besprechen“, forderte Lucien ihn auf während seine Hand auf die Nebentür des Zimmers deutete. Mit eiligen Schritten verließen die Männer den Raum.
Stutzend sah Bella ihnen nach ehe sie sich aufraffte und ebenfalls den Raum verließ.

Kapitel 16.


Die Nacht verflog. Schon bald erhellte die Morgensonne in ihrer vollen Pracht den Horizont. Tauchte das Land in ein angenehm rotes Licht. Der Tau auf den Blättern der Bäume glitzerte wie tausende kleine Diamanten in den ersten Sonnenstrahlen. Eine dünne Reifschicht überzog die feuchten Wiesen.

Geblendet vom Licht der aufgehenden Sonne blinzelte Ryuichi mit den Augenlidern, öffnete schließlich seine Augen ganz. Neugierig dreht er den Kopf zur Seite. Blickte sich forschend um.
Wo bin ich hier nur?
Leicht verwirrt setzte er sich im Bett auf.
Wo war er nur? Und wie war er hier her gelangt?
Fragen über Fragen überschlugen sich in seinen Gedanken. Fragen die nach einer Antwort verlangten. Um ihn herum begann sich alles zu drehen. Alles war so verschwommen. Unbeholfen kniff er die Augen einige Male zusammen und streckte sich verschlafen aus, als er ein Gewicht spürte, dass über seinen Füßen lag.
Langsam beugte er sich nach vorn. Ein breites Lächeln durchzog sein Gesicht als er die Gestalt erkannte.
Amalia…
wie hübsch sie ist. Behutsam strich er über ihr Haar, das sich sanft über ihren Rücken schloss. Sie musste schon lange hier sitzen… Ihr Kleid war zerfetzt und von Flecken übersät. Doch Ryu störte sich nicht daran. Wie friedlich sie da lag … Ihre Atmung langsam und in langen Zügen. Vorsichtig nahm er die Decke in die Hand und legte sie ihr um die Schultern ehe er sich sorgfältig umsah.

Auf einem gut gepolsterten Sessel hatte sich Liliana unter einem alten Umhang zusammengerollt. Ryuichi atmete tief ein und aus um ein lautes Lachen zu vermeiden. Ein lauter Seufzer durchdrang den Raum.
Erschrocken fuhr Ryu's Blick herum. Amalia war aufgewacht und hob sacht ihren Arm. Ihre Hand tastete über die Decke und hielt schließlich Inne. Vorsichtig streifte sie an Ryuichis Gewand empor. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem zufriedenen Lächeln. Wie herrlich warm es war.
Wie wohlig es sich anfühlte… Wie geborgen…
Langsam ließ sie ihre Hand sinken und strich dabei sanft mit den Fingerspitzen über Ryu's offen liegende Brust. Ein merkwürdiges Gefühl durchzog ihren Körper. Sie spürte wie ihr Herz begann schneller und schneller in ihrer Brust zu schlagen begann. Bis sie schließlich dachte es würde sich jeden Augenblick überschlagen.
Schmunzelnd betrachtete Ryu Amalias Gesicht. Ihre Mundwinkel zuckten leicht. Deutlich konnte er sehen wie sich ihr Brustkorb aufgeregt hob und senkte. Irritiert und wohlwollend zu gleich schloss er die Augen. Auch sein Herz pochte heftig. Jeder einzelne Muskel in seinem Körper schien zu pulsieren. Vorsichtig tastete seine Hand nach der ihren und hielt sie an sich gedrückt. Genoss die Wärme die von ihr Ausging und die Energie die durch seinen Körper strömte. Er konnte sich nicht erinnern so etwas schon einmal erlebt zu haben. Und doch war dieses Gefühl so vertraut. Etwas Schöneres konnte er sich in diesem Augenblick nicht vorstellen. Sanft strich Ryuichi über ihren Handrücken ehe er seine Augen wieder öffnete.

Träumerisch legte Amalia den Kopf zur Seite.
>>Wenn das ein Traum ist möchte ich niemals aufwachen<<
Noch einen kurzen Moment schmiegte sie sich in die Decke, ehe sie ihre Augen öffnete. Erschrocken zuckte sie zusammen als sie in Ryuichis Gesicht blickte.
„Ryu“, flüsterte sie während sie sich langsam aufrichtete.
Erst jetzt bemerkte sie, dass ihre Hand noch immer in die seine geschmiegt war.
„Guten Morgen“, sagte Ryu leise ehe er kaum merklich ihre Hand los ließ.
Schmunzelnd sah ihm die junge Elfe in die Augen und strich sich eine Strähne ihres schwarzen Haares hinters Ohr. Behutsam legte sie ihre Hand an seine Brust. Fuhr vorsichtig mit der Spitze ihres Finger neben der Wunde entlang, während sich ihre Augen immer mehr mit Tränen füllten.
„Ryu“, schluchzte sie überglücklich ehe sie ihre Arme um seine Schultern legte und sich an ihn schmiegte.
Erst zögerlich… dann mit tiefer Zufriedenheit schloss Ryuichi sie in die Arme. Genoss die Wärme die sie ausstrahlte. Für einen Moment hielt er sie einfach nur in seinen Armen… Spürte den Schlag ihres Herzens neben dem seinen. Die Wunde in seiner Schulter brante. Doch war es nur ein geringer Preis um bei ihr sein zu dürfen. Zögerlich hob Amalia ihren Kopf und sah ihn an.
„Ich bin so froh, dass es dir gut geht“, flüsterte sie zaghaft. Lächelnd drückte er sie wieder an sich. Gerade wollte er den Mund öffnen um etwas zu sagen als ihn ein leiser Seufzer verstummen ließ.

Verschlafen regte sich Liliana unter ihrer Decke, denn etwas hatte sie wach werden lassen. Benommen richtete sie sich auf und streckte genüsslich ihre Arme aus, ehe sie sich den Sand aus den Augen rieb. Für einen Augenblick saß sie grübelnd da und sah sie sich neugierig um.
Die Sonne brach sich in dem kunstvoll verzierten Fenster und warf lustige bunte Bilder auf den Boden.
Ihr Blick fiel auf das Bett ihres Bruders. Übermütig hopste Lilly aus ihrem Sessel, als sie erkannte wer sie geweckt hatte. Auf Zehenspitzen tänzelte sie über die bunten Schatten bis sie schließlich neben dem Bett stand wobei ein breites Lächeln über ihr Gesicht huschte.Ihre kleinen dunklen Augen blitzten vor Aufregung auf und füllten sich mehr und mehr mit Freudentränen. Erleichtert betrachtete Ryu das Gesicht seiner kleinen Schwester. Ihr schien es gut zu gehen. Offensichtlich hatte Lino nicht gewagt ihr etwas anzutun.
„Guten Morgen Lilly, hast du gut geschlafen“, fragte er lachend. Hilflos lächelnd schüttelte Lilly den Kopf ehe sie sich in seine Arme warf und zu schluchzen begann.
„Schon gut Kleine, es ist alles gut“, versuchte Ryuichi sie zu beruhigen. Behutsam strich er ihr durch ihre dunklen Locken und gab ihr sanft einen Kuss auf die Stirn.
Verlegen hob Liliana ihren Kopf und sah ihren Bruder aus ihren kleinen schwarzen Augen heraus an, ehe sie fassungslos mit den Fäusten auf seine Brust zu trommeln begann.
„Ryu… du…du… Ich hatte solche Angst“, schrie sie aus vollen Leibeskräften, ehe sie ihr Gesicht wieder in seinem Hemd vergrub.
Liebevoll legte Ryuichi seine Arme um sie. Nur zu gut konnte er verstehen was sie fühlte... welche Ängste sie und Amalia ausgestanden haben mussten. Auch wenn er sich selbst nur schwach daran erinnern konnte was geschehen war. Noch immer fragte er sich wie er hier her gekommen war und wo sie sich befanden. Doch das spielte im Augenblick keine Rolle.
„Lilly alles ist gut, uns geht es allen gut“, sprach er beruhigend auf sie ein ehe er sich vorsichtig aus ihrer Umarmung löste. Kaum merklich nickend, stimmte die Kleine zu während sie sich die letzten Tränen aus dem Gesicht wischte.
„Was hältst du davon wenn du Aaron suchen gehst. Er wird sicher auch wissen wollen, dass es deinem Bruder gut geht“, ermutigte Amalia sie.
Wütend und irritiert sah Lilly sie an. Warum sollte sie ausgerechnet jetzt den Elf holen… Gab es etwas das Amalia ihr verheimlichte? Registrierend zuckte sie mit den Schultern, ehe sie sich langsam vom Bett erhob und bedächtig in Richtung der Tür schlenderte, wo sie für einen kurzen Augenblick inne hielt. „Amalia … Ich habe gestern Nacht etwas komisches beobachtet… Tristan hat jemanden einem Brief gegeben. Ich konnte aber nicht sehen wer es war. Aber er hat sich reichlich komisch verhalten“, berichtete Liliana aufgeregt ehe sie das Zimmer verließ.

Ein paar Schritte schlenderte sie durch den länglichen Korridor, als sie hörte wie leise Schritte sich eiligst entfernten. Von der inneren Neugier getrieben schlich Lilly den Schritten nach. Immer darauf bedacht keinen unnötigen Laut zu machen.
Plötzlich… von einem Augenblick auf den anderen verstummten die Laute. Erschrocken presste sie sich an eine Marmorsäule, die sie kurz zuvor passierte. Erst jetzt erkannte sie wo sie sich befand.
Die Gestalt stoppte abrupt vor Tristans Zimmer ab und hielt kurz inne…
Bildete er sich das nur ein oder war da ein Geräusch? Eine Lampe flackerte an der Wand und ihr mattes Licht gewährte einen kurzen Blick auf die Gestalt. Ängstlich zuckte Lilly zusammen. Der Schatten ließ sie all die Bilder der letzten Nacht Revue passieren. Es war Tristan, der dort vor seinem Zimmer stand! Daran gab es keine Zweifel.
>>Diese Ratte hat uns belauscht. Und nun weiß er, dass ich ihn gesehen habe<<, schoss es ihr durch den Kopf
>>Aaron muss es wissen, es ist wichtig<<, dachte sie fest entschlossen .
Sie atmete einmal kurz aus, ehe sie ihren Weg durch die Gänge fortsetzte. Tief in Gedanken versunken ließ sie einen Gang nach dem anderen hinter sich. Unmerklich beschleunigte sie ihre Schritte, ohne dass ihr auffiel, dass sie bereits rannte. So passierte sie Gang um Gang und bog schließlich um eine Ecke des Korridors, wobei sie mit voller Wucht mit jemanden zusammen stieß.

Überrascht rieb sie sich den Kopf und mit einem freudigen Lächeln erkannte sie die Person.
„Aaron“, rief sie erleichtert aus während sie ihn umarmte.
„Liliana was ist passiert. Du bist ja völlig außer Atem“, sprach Aaron in einem beruhigenden Ton.
Aufgeregt und nach Luft ringend sah im die kleine Elfe ins Gesicht. „Wir haben doch keine Zeit. Mein Bruder ist aufgewacht und Tristan… er … er…“, stammelte sie nervös während sie ihm an der Hand nahm und ihn zu ziehen begann.
Fragend betrachtete der Elf sie, während er ihrer Schritte folgte.

Zügig gingen sie durch das Gebäude, bis sie schließlich Ryuichis Zimmer erreichten. Überschwänglich vor Glück schloss Lilly ihrem Bruder in die Arme, um sich nur Sekunden später wieder von ihm zu lösen und mit einem gekonnten Schwung auf dem Fußende des Bettes zu landen.
„Du bist also wach“, stellte Aaron fest das während er Ryu aufmerksam betrachtete.
„Das freut mich, wir haben uns alle große Sorgen um dich gemacht“, erklärte der Elf lächelnd ehe er auf ihn zuging.
„Ich Danke Euch. Aber bitte sagt mir. Wo sind wir hier“, antwortete Ryuichi ruhig.
Endlich konnte er die Fragen stellen die ihn schon den ganzen Morgen auf der Seele brannten.
Skeptisch sah Aaron ihn an.
„Du befindest dich im Hauptquartier der Gilde des Lichts. Wir brachten dich hierher, nachdem du das Bewusstsein verloren hattest“, erklärte der junge Elf bestimmt.
Gelassen lehnte er sich gegen das Bett und betrachtete das Gesicht des Jungen. Erschrocken und verwirrt zugleich, sah Ryu in den Raum. Noch immer waren da nur verschwommen Bilder in seinem Kopf. Weder ein klarer Gedanke, noch Erinnerungen an das, was geschah.
>>Was ist bloß passiert?<< Nachdenklich ließ er sich in die Kissen zurück sinken.
„An was erinnerst du dich“, fragte Aaron betont beiläufig.
„An kaum etwas… das letzte woran ich mich erinnere ist dieses klare blaue Licht und dieser stechende Schmerz in meiner Schulter“, erklärte Ryu noch immer sichtlich verwirrt.
Bestätigend lächelte Aaron ihm zu.
„Danach haben die Mädchen und ich dich hierher gebracht. Du wurdest durch die Klinge die dich traf schwer vergiftet. Doch Meister Rafaels Medizin scheint gewirkt zu haben“, stellte der Elf fest.
Registrierend nickte der Junge.
„Mir geht es bestens“, gab er provokativ zurück während er sich aus dem Bett lehnte. Bestimmt schüttelte Amalia ihrem Kopf und drückte Ryu sanft zurück in die Kissen.
„Nur Geduld mein Lieber. Du wirst noch früh genug deine Kraft unter Beweis stellen können. Ruht euch heute noch einmal gut aus. Morgen wird ein langer Tag“, ermahnte Aaron alle umstehenden.
Mit fragenden Gesichtern blickten die Drei dem Elfen nach, der im Begriff war zu Gehen
„Ich werde später noch einmal nach Euch sehen. Zunächst sind da noch einige Dinge die ich mit Meister Rafael zu besprechen habe“, erklärte Aaron letztlich ehe er den Raum verließ.
Zurück blieben drei fragende Gesichter.

Kapitel 17.


Die Zeit verstrich… Tage des harten und erbarmungslosen Trainierens, waren geprägt vom Ehrgeiz und dem festen Willen es sich selbst und seinen Lieben beweisen zu wollen. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang unterrichtete Aaron Ryuichi in der Kunst des Schwertkampfes und zeigte ihm, wie er seine Fähigkeiten geschickt einsetzen und verbessern könnte.
Währenddessen saßen Liliana und Amalia in der Nähe und beobachteten alles mit einem Lächeln. Sie selbst waren mit dem erlernen des Lesen oder der Vertiefung der magischen Fähigkeiten beschäftigt. Abend für Abend sanken sie erschöpft, aber glücklich in die Betten.
Immer und immer wieder beobachtete Liliana Tristan so gut sie konnte. Sie traute ihm nicht… nicht auf 10 Schritte. Er schien ihr suspekt und hinterhältig. Doch hatte sie es aufgegeben den anderen davon erzählen zu wollen. In den meisten Fällen taten sie es mit einem sanften Lächeln ab.
Ein klarer Tag neigte sich seinem Ende. Sanft senkte sich die Sonne am Horizont und ließ das Land noch einmal in all ihrer Herrlichkeit und Wärme erstrahlen. Ein lauer Wind wehte und die Blätter der uralten ehrwürdigen Bäume sangen in seinem Rhythmus ihre eigene, wundervolle Weise. Auf einer Lichtung nahe der Gilde wurde noch immer eifrig geübt „Lilly jetzt komm schon. Streng dich ein bisschen an. Und vor allem konzentrier dich“, ermahnte Amalia die kleine während sie langsam einige Schritte auf sie zu ging. „Ich habe aber keine Lust mehr zu üben Amalia“, stammelte Liliana trotzig und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
Ein verschmitztes Lächeln huschte über Amalias Lippen. Betont gelassen drehte sie sich zur Seite, beobachtete jedoch aus den Augenwinkeln heraus wie Lilly ihren Kopf zur Seite beugte und sie erwartungsvoll ansah.
„Fein…Wenn du keine Lust mehr zum Üben hast… Dann können wir dich ja in den Zuber stecken“, neckte die Dunkelelfe während sie langsam ihren Arm ausstreckte.
„Ich möchte aber heute nicht baden“, protestierte Liliana, als sie im nächsten Augenblick auch schon einen Schunk kalten Wassers in ihrem Gesicht spürte. Beleidigt sah sie an sich herab, ihr gesamtes Kleid war durchnässt, und klebte an ihrem kleinen Körper. Böse funkelte sie Amalia aus ihren dunklen Augen heraus an ehe sie ihr beleidigt den Rücken zuwandte. Noch immer halb Lachend ging Amalia auf sie zu ehe sie ihren Umhang von den Schultern streifte und ihm Lilly reichte. Zunächst rührte Liliana sich nicht. Versuchte die junge Dunkelelfe so gut sie konnte zu ignorieren. Ihre kleinen Wangen glühten vor Wut auf.
>>Warum hat sie das gemacht<< Sie ballte ihr Hände zu Fäusten, die sie gegen ihren Oberschenkel presste. Plötzlich machte sie einen Schritt nach vorn und kam nur Millimeter vor Amalia zum Stehen, die erschrocken zurück wich. So hatte sie Liliana noch nie gesehen. Diese Kraft die sie verströmte… sie war enorm… Bis in die letzte ihres Körpers zu spüren.
„Amalia du bist so gemein. Warum hast du das gemacht“, schrie Lilly aus Leibes Kräften während ihre Arme mysteriöse Bewegungen vollzogen.

Zu Tode erschrocken wich die junge Dunkelelfe ein Stück zurück ehe sie bemerkte wie der Boden unter ihren Füßen zu beben begann. Kleine Erdhaufen türmten sich auf und noch ehe ihr bewusst wurde was geschah sprossen kleine Pflanzen aus dem Erdreich, die sich schnell und kräftig wie Seile um ihren Körper schlangen. Nervös wand sich Amalia hin und her. Versuchte sich von dem Grün, welches sie mehr und mehr einwickelte zu befreien. Doch es war zwecklos. Machtlos spürte sie wie die Ranken ihre Arme und Beine immer enger umschlungen, bis sie sich schließlich nicht mehr rühren konnte.
Siegesgewiss ging Liliana auf Amalia zu. Der Wind frischte auf und ließ ihr langes Haar wild über ihre Schultern wehen. Dabei hob sie die Arme weiter gen Himmel. Beunruhigt sah Amalia wie die Pflanzen zu wachsen begannen und mit einem kurzen aber kräftigen Ruck in die Höhe schossen. Respektvoll sah sie der Kleinen in die Augen. „Wirklich gut gemacht Liliana. Ich bin beeindruckt“, sprach sie sanft lächelnd ehe sie sich zu entspannen begann und ihre Augen schloss.
Wie in Trance formten ihre Lippen einige unverständliche Worte. Sekunden später öffnete sie ihre Augen wieder. Sie waren dunkel, kalt und ausdruckslos. Flammen schlängelten sich die Pflanzen hinab und wurden vom Wind immer weiter entfacht. In atemberaubender Geschwindigkeit bildete sich ein Flammeninferno.
Voller Angst wich Liliana zurück und griff vertrauensvoll nach der Hand ihres Bruders, der mittlerweile hinter ihr stand.
„Ryu. Amalia wird sich verbrennen…ich weiß es… das habe ich nicht gewollt“, schluchzte sie leise.
Tröstend fuhr Ryuichi ihr durch ihr Haar und drückte sie an seine Seite.
„Keine Angst. Sie ist stark. Ihr wird nichts geschehen“, sprach er beruhigend auf ein. Ungläubig und doch fasziniert starrte Lilly in die Flammen die rasch abflauten und schließlich ganz erloschen. Zurück blieb nur eine bis zur Unkenntlichkeit verbrannte, schwarze Ranke, die in sich zusammen fiel.
Dadurch bedingt lösten sich Amalias Fesseln und sie sauste ungebremst zu Boden. Kurz vor dem Aufprall fing sie sich geschickt ab, so dass sie wohlbehalten auf ihren Füßen landete. Wie gebannt betrachten Ryuichi, Lilly und Aaron die noch immer am Boden kauernde Amalia. Ihre Atmung ging langsam. Sie schien… völlig ruhig. Keine Anzeichen von Angst oder Nervosität.
Mit Bedachten erhob sie sich und ging auf die anderen zu. Dabei ließ sie Aaron hinter sich, der ein wenig Abseits stand, ehe sie vor Liliana und Ryuichi inne hielt. Zufrieden sah sie die Kleine an, lächelte und schloss Lilly behutsam in die Arme, deren Augen von den Tränen immer noch gerötet waren.
„Das hast du wirklich gut gemacht“, flüsterte die junge Dunkelelfe ihr ins Ohr. Ungläubig klammerte sich Liliana an sie und begann erneut zu weinen, diesmal jedoch vor Freude. Lachend trat Ryu an Amalia heran und legte sanft seine Arme um sie. Ihr Herz schlug spürbar schneller und erfreut nahm er war, wie Amalia sich an ihn schmiegte.

Kapitel 18.


Ungehalten blickte Aaron auf, seine Ohren waren gespitzt und zuckten aufgeregt auf und ab. Aufgebracht rannte er auf die anderen zu, die gerade noch zur Seite springen konnten. Ungeachtet davon lief er auf die Spitze des Hügels und blickte aufmerksam in die Ferne… schloss für einen Augenblick seine Augen. Der Wind trug die nahende Gefahr an ihn heran. In dieser Nacht würde etwas geschehen...
Aufmerksam suchte Aaron den Horizont ab. Die Sonne war beinahe untergegangen. Für ein menschliches Auge kaum wahrnehmbar näherte sich der Feind. Es waren viele… sehr viele! Wie kleine Fliegen wirkten sie in der weitläufigen Landschaft.
Nervös betrachtete Ryuichis das Gesicht des Elfen. Seine Gesichtszüge waren erstarrt… Sorge und Elend lagen in seinem Blick.
„Aaron was sieht du“, drängte er.
Perplex fuhr Aaron herum und starrte ihm direkt in die Augen.
„Sie kommen!“, erklärte er kurz angebunden und war bereits auf dem Weg zu den anderen.
Ungehalten packte Ryuichi den Arm des Elfen und sah ihm eindringlich in die blauen Augen und versuchte sich ein Bild zu machen, wie ernst die Lage war. In den Augen des Elfen konnte er all die Angst und das Leid erkennen was ihnen drohte. Ryuichis Herz begann zu rasen. Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen.
>>Das darf doch alles nicht wahr sein… Bitte lass es ein Traum sein<< Er atmete tief durch, um seine Fassung wieder zu gewinnen. „Was wird geschehen“, bohrte er mit einer schaurigen Ernsthaftigkeit nach.
„Ihr werdet hier bleiben. Haltet die Stellung. Die Verteidigung muss standhalten oder wir sind alle Verloren“, sprach Aaron eindringlich während er sich aus Ryu’s Griff löste und ihn stehen ließ.
Fassungslos starten sie ihn an.
„Aaron wartet… ihr könnt uns nicht im Stich lassen… nicht jetzt“, schüttelte Amalia verzweifelt den Kopf. Aufmunternd nickte der Elf ihnen zu.
„Ihr werdet uns nicht enttäuschen. Ihr seid stark“, versicherte Aaron ihnen, ehe er sich ohne einen weiteren Blick umdrehte und in Richtung der Gilde des Lichts aufbrach.

„Der lässt uns einfach hier stehen“, meckerte Lilly.
„Kommt schon. Ihr habt gehört was wir zu tun haben“, forderte Amalia die anderen auf.
„Und wie sollen wir das deiner Meinung nach bewerkstelligen. Wir sind nur Drei und… und das könnten Dutzende sein“, erkundigte sich Ryuichi zynisch.
„Wir haben etwas was die nicht haben“, zwinkerte Amalia ihnen zu. Verwirrt sahen Lilly und Ryu sie an.
>>Und was in Gottes nahmen sollte das sein<<
„Wir haben Mut in unseren Herzen und unsere Köpfe haben sie uns auch noch nicht abgeschlagen. Ich denke wir sollten auf Aaron vertrauen und das einsetzen was wir gelernt haben“ erklärte die junge Dunkelelfe.
Entschlossen nickte Ryu. Ihm war klar geworden was sie zu tun hatten…

Hastig nahm er die beiden Mädchen an den Händen und zog sie mit sich, bis sie schließlich vor 3 ausgewachsenen Bäumen zum Stehen kamen.
„Wir machen es folgendermaßen“, begann Ryuichi zu erklären. Gespannt lauschten Amalia und Lilly.
„Jeder von uns versteckt sich hinter einem dieser Bäume. Wenn sie nahe genug sind setzt du Lilly deine Kräfte ein und hältst sie so in Schach“, Ermutigend sah seine kleine Schwester an.
„Ich weiß, dass du es kannst“, sprach er ihr Mut zu.
„Wir wollen ihnen einen gebührenden Empfang bereiten“, verkündete er und seine Augen blitzen dabei verheißungsvoll auf.

„Wir werden angegriffen. Zu den Waffen“, brüllte Aaron aus Leibes Kräften und zog somit jedwede Aufmerksamkeit auf sich.
Fassungslos und ungläubig zugleich blickten sie ihn an. Augenblicklich erkannten sie den Ernst der Lage…
Noch nie hatte er sie, auch wenn er keiner von ihnen war, im Stich gelassen. Denn auf ihn war stets Verlass. In heller Aufregung stoben sie auseinander, griffen zu den Waffen und rüsteten für den bevorstehenden Kampf.

Aaron eilte in die Gemächer seines Meisters, dem Mann, der ihn vor Jahren mit offenen Armen aufgenommen hatte, als er eine verlorene Seele gewesen war. Mit einem einzigen Tritt zerbrach er die Tür und der Elf stürmte unangemeldet ins Zimmer.
„Meister Rafael. Die Gilde… sie … wir … werden angegriffen“, keuchte er mehr als er sprach.
Erschrocken sah ihn Rafael an. Die Angst in den Augen des Elfen sprach Bände. Für einen Moment hielt Rafael inne, schloss seine Augen und ließ die Nachricht auf sich wirken. Im selbem Moment öffnete er seine Augen wieder die nun Selbstvertrauen und Entschlossenheit ausstrahlten.
„Wir haben sie einmal zurück geschlagen. Wir werden es ein wieder schaffen“, brüllte er während er seine Faust auf den Tisch schmettern ließ. Ein Becher fiel dabei zu Boden, dessen Inhalt sich über den Holzboden ergoss.
„Aaron setzt eure Pläne in die Tat um“, forderte Rafael Aaron auf, der ihn daraufhin fassungslos ansah.
>> Ich soll das schier unmögliche wagen. Und ich soll es allein schaffen<<, zweifelte der Elf insgeheim.
„Die Kinder werden Euch genau wie ich zur Seite stehen. Sie sind stark und tapfer. Gemeinsam werden wir es schaffen“, erklärte Rafael mit fester Stimme. Gestärkt und mit neuem Selbstbewusstsein verneigte sich Aaron und verließ den Raum.

Unüberhörbar näherte sich der Feind. Angespannt ging Ryu hinter einem Baum in Deckung. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Angst und Zweifel überkamen ihn. Wie ein Dejavue überkam ihn die Erinnerung. All dies erinnerte stark an die Nacht in der er seine Mutter ermordet wurde. Damals musste er tatenlos mit ansehen wie sie sich für seine Schwester und ihn opferte. Noch einmal würde dies nicht geschehen. Er würde Liliana und Amalia beschützen. Auch wenn der Preis dafür sein Leben sein sollte. Entschlossen trat er hinter seinem Versteck hervor und erklomm die Spitze des Hügels. Wachsam überblickte Ryu die Ebene die sich vor ihm ausbreitete. Es waren viele… Wie viele konnte oder besser wollte er in diesem Augenblick nicht feststellen.
Eilig wandte er seinen Blick ab und ging auf die Mädchen zu und versuchte krampfhaft zu lächeln.
„Wie viele sind es“, erkundigte sich Amalia. Betrübt sah Ryu sie an. „Sie sind uns zahl mäßig weit überlegen“
„Das heißt noch lange nicht, dass sie gewinnen“, stellte die junge Dunkelelfe süffisant fest.
Ryu lächelte verschmitzt.
„Aber schaden wird es ihnen sicher auch nicht“, antwortete er ehe er sich wieder dem Geschehen zuwandte.

Lautstark näherten sich die Angreifer. Durchzogen die Eben wie ein Rudel wilder Tiere, dessen einzige Aufgabe es war zu töten. Nein… in dieser Nacht würde es keine Gefangene geben!
Angeführt von Lucien selbst kamen sie immer näher. Zu seiner Linken marschierte Lino, der seinen Blick konzentriert nach Vorn richtete. Zu Luciens Rechten lief … zu jedermanns Überraschung Isabella. Jeder in der Gilde hatte Gerüchte darüber gehört, dass Lucien seine Tochter in der Kunst des Kampfes und der Magie unterrichtete. Doch niemand hatte ernstlich damit gerechnet, dass die Prinzessin, wie sie von vielen genannt wurde selbst an dieser Schlacht teilnehmen würde. Was mochten wohl ihre Beweggründe für diesen Entschluss gewesen sein?
Enger drückten sich Ryuichi und die anderen in Deckung. Die Erde begann unter dem Gewicht von Dutzenden von Füßen zu beben. Kleine Gesteinsbrocken rollten über den Erdboden. Besorgt sah er in Amalias Gesicht und das seiner kleinen Schwester. Sie waren sichtlich nervös. Ihre Atmung überschlug sich gerade zu.
„Macht Euch bereit. Es sind nur noch wenige Augenblicke“, ermahnte Ryuichi selbstbewusst.
Zuversichtlich nickten die Mädchen ihm zu und nahmen erwartende Haltung an.

Langsam schloss Liliana ihre Augen und ließ sich von all der Kraft die sie umgab durchströmen. Und da war sie wieder… diese Kraft… sie fühlte sich gut an… so unheimlich gut. Das letzte Mal, als sie diese Kraft gespürt hatte, waren sie in einer ähnlich aussichtslosen Lage. Doch dies war kein Spiel. Es ging um Leben und Tod, dass hatte sie begriffen.
Näher und näher rückte der Feind.
Vorsichtig lugte Ryu hinter seinem Versteck hervor. Die Gegner waren nahe. Beinahe in Schlagdistanz. Ihnen blieben nur noch Sekunden. Ein letztes Mal sammelte er seine Gedanken und versuchte alles was ihn ablenkte aus seinem Kopf zu verbannen. Er atmete tief durch um auch die letzten Zweifel zu vertreiben und Kraft zu tanken. Sein Herz raste. Jeder einzelne Muskel in seinem Körper schien unter der Anspannung zu pulsieren. Vertrauensvoll tastete seine Hand nach seinem Schwert, das griffbereit an seiner Seite baumelte. Er zog es aus der Scheide und gab Amalia ein Zeichen auf dessen hin die junge Dunkelelfe einen Dolch zückte, den ihr Aaron gegeben hatte. Ihre Saphir blaue Rüstung schimmerte silbern im Licht des Vollmondes, der die Nacht erhellte.
Die letzten Momente verstrichen. Die ersten Angreifer waren nun direkt hinter ihnen.
„Lilly jetzt!!!!“, rief Ryuichi seiner Schwester zu.
Mit einem kalten, selbstbewussten Lächeln öffnete Lilly die Augen. Sie waren vollkommen verdunkelt und ausdruckslos. Waren wie ein tiefer Abgrund aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Wie in Trance bewegte sie der Mund der Kleinen. Ihre Lippen formten Worte, deren Klang sie nicht einmal kannte.
Plötzlich… in Bruchteilen von Sekunden hob sie den Kopf. Beide Arme bildeten zunächst eine Einheit, ehe sie sie mit einer einzelnen Bewegung zur Seite stieß.

Ausgelöst dadurch erschütterte nur Augenblicke später ein erneutes Beben die Ebene. Löcher rissen vor den Bäumen auf. So groß, das sie bequem einen ganzen Mann hätten verschlingen können. Ranken… über und über mit spitzen, erbarmungslos lechzenden Dornen übersät, schossen aus dem Boden. Quollen erst nach Links… dann nach Rechts. Schon bald hatten sie den unteren Teil der Bäume verschlungen, bereit jeden in ihren Fängen zu halten der es wagte sie zu berühren.
Überrascht gab Lucien das Signal zum Halten und sah sich prüfend um. >>So hatte ich das aber nicht in Erinnerung<< Er blickte zurück. Dutzende von Männern sahen ihn erwartungsvoll an. Bereit für ihn zu töten.
„Und vorwärts“, befahl Lucien während sein Arm mit aller Kraft nach vorn schnellte.

Auch Lino zückte sein Schwert und machte sich zum Angriff bereit. Doch Lucien packte ihn am Arm und hielt ihn zurück. “Merkt euch eines mein Lieber. Lasst immer zuerst den gemeinen Bauern gehen“, sprach er mit kühler, ausdrucksloser Stimme. Erschrocken sah Lino ihn an. Wie Grausam Lucien war…
Die Massen bahnten sich ihren Weg nach vorn. Die wenigsten von ihnen bemerkten was sich direkt vor ihren Augen abspielte. Noch ehe sie es sich versahen, verfingen sich die Ersten schon in den Klauen der Dornen. Grausame Schmerzensschreie hallten durch die Nacht. Die wenigen die es durch die Barriere geschafft hatten standen vor einer scheinbar leeren Ebene.
„Und los“, schrieen Amalia und Ryu im Chor die sich klug auf einen Ast über ihnen geschwungen hatten um unentdeckt zu bleiben.
Mit einem kraftvollen Satz sprangen sie aus ihrem Versteck und rissen ihre ahnungslosen Opfer mit sich zu Boden. Schwerter und Stäbe fielen krachend auf die Erde. Blitzschnell überblickten die Kinder die Lage. Mit einem gekonnten Stoß seines Fußes schob Ryuichi Amalia einen stabil wirkenden Stab zu den die junge Dunkelelfe automatisch an sich nahm. Enger drängten die Kinder zusammen, Liliana in der Mitte. Keiner von ihnen würde es zulassen, dass der Kleinen etwas geschah.

Nach und nach durchdrangen die Angreifer die Verteidigung. Schnitten die Dornen mit ihren Schwertern in kleine Stücke, die sich bald auf der Gesamten Ebene verteilten. Ziel gerichtet strömten sie nach vorn.
„So hat es also begonnen“, stellte Ryuichi fest als er sah wie die ersten Männer auf sie zugeströmt kamen.
>>Hoffentlich schafft Aaron es rechtzeitig. Lange werden wir den Feind nicht aufhalten können wenn wir am Leben bleiben wollen<< Seine Hand umschloss fest seine Klinge. Bereit sich jeden Augenblick verteidigen zu müssen. Völlig gelassen ging er ihnen entgegen. Schickte dabei ein Stoßgebet an die Große Göttin. Sein Gegner lachte. Sollte etwa ein Kind sein Gegner sein? Nur ein kurzer Moment … nur eine kurze Unaufmerksamkeit später und er bemerkte schmerzlich wie ein einzelner kraftvoller schlag dieses „Kindes“ ihn zu Boden schleuderte. Voller Mitgefühl blickte Ryuichi in die Augen des Mannes der sich zu seinen Füßen wandte. Er war nur eine Marionette in einem Spiel dessen Regeln niemand wirklich verstand. Doch dies geschah in einer gerechten Sache. Er musste es tun! Um Aarons Willen… um der Mädchen Willen… um das Leben aller zu schützen… und nicht zuletzt um seiner selbst Willen.
„Bitte verzeiht mir“, sprach er angewidert, ehe er seine Klinge nach unten stieß. Ein letztes Zucken durchzog den Körper des Mannes. Dann schlossen sich seine Augen… für immer.
„Möget ihr Frieden finden“, flüsterte Ryu bedächtig während er sein über und über mit Blut verschmiertes Schwert aus dem Körper zog.

„Du kleine Göre. Das wird dein Ende sein“, schrie einer der Männer der sich unweit Amalias aufbaute. Provozierend lächelte Amalia ihn an, während ihre Hand ihn heran winkte. Wut entbrannt stürmte die Gestalt auf die junge Dunkelelfe zu, seine Klinge schützend vor sich haltend. Voller Konzentration hielt Amalia den Stab vor ihrer Brust. Ein blaues Licht umgab ihn. Ein Licht das so rein und strahlend war, wie der Polarstern selbst. Einige Sekunden stand sie abwartend da ehe sie mit einer einzelnen blitzschnellen Bewegung den Stab herumwirbelte und nach vorn stieß. Eine Fontaine klaren Wassers schoss heraus und Erfasste ihren Gegenüber. Mit einem entsetzlichen Schrei flog er einige Meter durch die Luft bis er schließ gegen einen der Bäume schlug und seine Schreie schlagartig verstummten.
Lächelnd sah Ryuichi sie an, der unterdessen näher gekommen war. Dieses Mädchen überraschte ihn immer wieder aufs Neue. Er wollte gerade seinen Mund öffnen um etwas zu sagen… als sie von je her unterbrochen wurden.
Lautstark strömten weitere Massen heran. Erneut machten sich Ryuichi und die anderen erneut bereit. Schon bald waren sie umzingelt. Schwerter blitzten im Mondlicht auf und prallten in der allgemeinen Aufregung aufeinander. Funken stoben auf. Das Klirren der Klingen und die überschwänglichen Kriegsgesänge des sich nähernden Feindes hallten weit über die Ebene. „Verdammt Aaron sollte sich wirklich beeilen“, stöhnte Ryu auf, der sich gerade gegen zwei Gegner verteidigte. Gekonnt führte er seine Klinge. Ein gezielter, kraftvoller Tritt und einer von ihnen wurde durch die Wucht ein Stück zurück gedrängt. Kurz verschnaufte Ryuichi und hielt sein Schwert nah an seiner Brust. Es funkelte herrlich silbern. Er vernahm den Gesang seines Schwertes …Und er war schön. Genießerisch sah Ryu auf. Sein Körper bebte und er konnte spüren wie das Adrenalin durch seine Venen schoss.
Aufs Neue strömten zwei Gestalten auf ihn zu. Ihre Schadensfreude hatte sie leichtsinnig werden lassen. Mit schnellen, gezielten Bewegungen parierte der Junge ihre Angriffe. Sein Schwert flog durch seine Hände. So selbstsicher und vertraut wie er es noch nie gespürt hatte. Er versetzte seinen Gegnern einen Hieb nach den anderen. Er warf einen flüchtigen Blick nach hinten und sah wie tapfer sich Amalia und seine kleine Schwester ihren Gegnern stellten. Doch was war das an ihrem Bein… sie … sie war verletzt. Blut floss über ihre Wade auf die Erde färbte den Boden unter ihr in einem dunkelrot. „Ihr Bastarde“, schrie Ryuichi aus.
Mit schnellen, kaum sichtbaren Bewegungen umkreiste er seine Gegner, die Mühe hatte, ihm mit ihren bloßen Augen zu folgen. Mit einem markarberen Lächeln auf den Lippen blieb er schließlich stehen und drehte seinen Gegnern den Rücken zu. Er tat einen tiefen Atemzug, während er hörte wie sie sich näherten. Gefasst und abwartend umschlang er sein Schwert. Gerade waren die Gestalten hinter ihm aufgetaucht als er sich geschickt umdrehte. Seine Klinge fuhr herum und durchtrennte die Hälse der Männer.

Angewidert dreht Ryu seinen Kopf zur Seite. Mit einem entsetzlichen Mit einem entsetzlich verzehrten Gesichtsausdruck lösten sich die Köpfe der Männer von ihren Schultern. Blut schoss aus der Aorta und verteilte sich in rasch über den Erdboden. Nur wenige Sekunden standen die Körper reglos vor dem Jungen ehe auch sie zur Erde fielen.

Kapitel 19.


Ungeduldig umspielten Luciens Finger den Griff seines Schwertes. Was hielt die Männer auf? Von einer feindlichen Armee war weit und Breit keine Spur, nur spitze, schmerzerfüllte Schreie drangen an sein Ohr. Mit jeder Sekunde die verstrich, wurde er ungehaltener.
Bekümmert sah Isabella ihren Vater aus den Augenwinkeln heraus an. Jede noch so winzige Ader schien vor Zorn zu pulsieren. Der Anblick ließ das junge Mädchen erschaudern. War doch die grenzenlose Wut die in ihrem Vater wütete beinahe greifbar. Seine Vergeltung würde grauenvoll sein. Sie musste herausfinden was dort vor sich ging. Der Wind frischte auf und wehte durch ihr blondes Haar. Gerade so als wollte er ihr die Richtung weisen.
„Vater. Ich werde gehen und nachsehen was unseren Männer so zu schaffen macht. Bitte bleibt mit Euren Männern hier und wartet auf mich“, forderte sie mit bebender jedoch zu gleich entschlossener Stimme.
Besorgt blickte Lucien in das Gesicht seiner Tochter. Für den Bruchteil einer Sekunde verzogen sich seine Mundwinkel zu einem angsterfüllten Ausdruck. Doch an Isabellas Entscheidung gab es nicht zu deuten. Ihr Blick verriet, dass sie sich nicht umstimmen lassen würde...
egal welche Worte er auch wählte. Schließlich nickte er zustimmend.
„So sei es. Geh! Finde heraus wer oder was uns solche Schwierigkeiten bereitet. Und töte es“, entgegnete er mit einem nun verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Schon oft hatte Isabella bewiesen, dass sie eine ernst zu nehmende Gegnerin sein konnte. Doch ihr Sanftmut und ihr Sinn für Gerechtigkeit ließen sie hin und wieder milde wirken. Ohne ein weiteres Wort wandte sich das junge Mädchen um und machte sich auf den Weg, direkt auf die vermeintlichen Feinde zu. Angewidert und voller Abscheu betrachtete sie die leblosen Körper die in den Dornen ihr Ende gefunden hatten.
>>Mögest ihr Frieden finden und die Göttin sich Eurer Seelen annehmen<<, dachte sie leise während ihre Lippen ein kurzes Gebet formten.

Erschrocken sahen Ryuichi und Amalia auf. Deutlich waren die Schritte auf dem Erdboden zu hören die sich langsam aber beständig näherten. Wer oder was sich ihnen auch immer näherte verschwendete keinen Gedanken daran Lärm zu vermeiden. Mit einem Winken seiner Hand wies Ryu die Mädchen an wieder in ihrem Versteck in Deckung zu gehen. Erst jetzt bemerkten sie die Energie die von dem Wesen ausging. Sie war klar und rein. Zugleich jedoch kraftvoll und voller Ausdruckskraft.
Einige Augenblicke verstrichen während sich Isabella immer weiter den Kindern näherte, und schließlich direkt neben ihrem Versteck inne hielt und sich umsah.
Der Wind strich über die Ebene und ließ die Baumkronen bedrohlich rauschen. Der kahle Boden war übersät mit leblosen Körpern, von denen so manche wohl die ein oder andere Gliedmaße vermisste. Wer im Namen Gottes mochte das getan haben?Bei dem Gedanken vielleicht mitten in einen Hinterhalt geraten zu sein schauderte sie. Doch bis jetzt schien alles ruhig. Nur ihr Herz schlug aufgeregt in ihrer Brust. Schließlich tat sie noch ein paar vorsichtige Schritte.
Abschätzend betrachtete Ryu das junge Mädchen das nun scheinbar direkt neben ihm stand. Nur noch ein vielleicht zwei Meter trennten sie jetzt noch von einander. Sollte das ihre Gegnerin sein? Etwas in ihm sträubte sich gegen diesen Gedanken. Doch konnte er sich heute Nacht nicht nur auf seine Intuition verlassen. Schon die unscheinbarsten Menschen waren zu Mördern oder Dieben geworden... Er würde sie nicht töten wenn es sich vermeiden ließ!
Noch einmal atmete er durch und konzentrierte sich ehe er mit einem kraftvollen Sprung aus seinem Versteck sprang und sich vor Isabella aufbaute. Seinen Arm mit der Klinge demonstrativ zur Seite ausgestreckt. Deutlich konnte er nun die Energie spüren die von dem Mädchen ausgingen. Sie war auf der einen Seite sehr vertraut, wie die eines Menschen den er gut kannte, auf der anderen Seite etwas völlig Neues.
„Bleibt wo Ihr seid. Zwingt mich nicht etwas zu tun das ich nicht will“, erklärte er mit betont kühler, fordernder Stimme während er sie flüchtig musterte. Ein breites Lächeln breitete sich auf Isabellas Gesicht aus.
„Was ihr nicht sagt“, erwiderte sie kühl und setzte ihren Weg um einige Schritte fort, bis sie schließlich direkt neben Ryuichi stand und ihn nun ihrerseits musternd ansah.
„Ihr lasst mir keine Wahl“, fluchte Ryu mit einem deutlich bedauernden Unterton in der Stimme. Mit einem gekonnten Schwung zog seine Hand das Schwert und er holte zum Schlag aus.
Abwartend stand das junge Mädchen da ehe sie in Bruchteilen von Sekunden ihren Stab, den sie mit sich führte packte und ihn schützend vor sich hielt. Ryu's Klinge fuhr auf sie nieder und prallte laut stark auf ihren Stab. Funken sprühten und ehe es sich der Junge versah wurde er von der Wucht des Aufpralls, nur unweit des Mädchens zu Boden geschleudert.
Mit einer blitzschnellen Bewegung tauchte Isabella über Ryu auf und sah ihm für einen Augenblick direkt in die Augen. Doch nichts unrechtes schien sich in der Seele des Jungen wieder zu spiegeln. Kein Hass... keine Abscheu... noch nicht einmal Verachtung.
„Ich würde sagen du bist es der sich nun nicht mehr rühren sollte“, entgegnete sie leicht zynisch.
Ein süffisantes Lächeln zog durch Ryuichis Gesicht. Etwas ließ dieses Mädchen zögern... was auch immer es war... er hoffte das es anhalten würde. Mit einem bedauernden Blick im Gesicht erhob Isabella die Hand in dem sie den Stab trug und holte zum Stoß aus. „Es tut mir leid“, säuselte Isabella leise ehe sie ihre Hand hinunter fahren ließ und diese plötzlich und mit einer unvorstellbaren Kraft gestoppt wurde.
Erstaunt und ehrfürchtig zugleich betrachtet sie die Kugel aus klarem, blauem Licht die sich um den Jungen herum gebildet hatte. Noch einmal versuchte sie zu zu schlagen. Vergebens... Durch diese Barriere gab es kein Durchkommen. Sollte dies die Energie sein von der dieser Widerling Lino berichtet hatte? Erschrocken wich sie einen Meter zurück.
„Weg von ihm“, forderte Amalia Isabella mit beherrschter Stimme auf, die mit ausgestrecktem Arm hinter ihr stand. Jetzt war nicht die Zeit sich zu fürchten.

Ungläubig starrte Bella Amalia an während sie noch einen Meter zurück trat. Wer war dieses Mädchen das sie ihr Befehle gab? Doch sich nun zu widersetzen könnte ernste Folgen haben.
„Du bist das also. Diese Kraft von der alle sprechen“, sagte Isabella ruhig.
Die junge Dunkelelfe antwortete zunächst nicht, sondern sah sie nur mit finsterem, eindringlichem Blick an.
„Ich bin keine Kraft. Mein Name ist Amalia. Und dies ist Ryuichi“, entgegnete sie kurz und knapp. Ihr stand nicht der Sinn nach einer längeren Unterhaltung.
„Schön das diese Kraft auch einen Namen hat“, sprach Isabella amüsiert während sie sich von Ryu abwandte und einige Schritte um Amalia herum ging und sie dabei aufs Genaueste musterte. Auf den ersten Blick schien nichts an diesem Mädchen ungewöhnlich. Doch diese Energie... sie war ungewöhnlich stark und konzentriert bedachte man wie jung sie war. Amalia beobachtete Isabella skeptisch. Ihre Hand umfasste den Stab den Ryu ihr gegeben hatte. Sie wollte keines Falls wehrlos erscheinen. Dies könnte noch im selben Augenblick ihren und den Tod ihrer Freunde bedeuten.
„Wer seid ihr“, fragte Amalia trocken während sie beobachtete wie Ryu sich aufrappelte und zu ihr hinüber trat. Isabella lächelte verschmitzt.
„Ehe ich diese Frage beantworte möchte ich sehen was du kannst. Du bist noch sehr jung... doch deine Fähigkeiten sind beachtlich“, erklärte das junge Mädchen selbstbewusst.
Nachdenklich legte Amalia den Kopf zur Seite. Ein Test? Ausgerechnet jetzt? Was versprach sich dieses Mädchen davon?
Doch es machte keinen Sinn sich jetzt mit unnötigen Fragen zu belasten und so schob Amalia diese Gedanken so gut sie konnte bei Seite und ging in Position. Was auch immer jetzt geschehen würde, sie würde ihre Freunde beschützen.
„Ich fange an“, rief Isabella warnend ehe ihre Arme im nächstem Augenblick auch schon nach vorn schnellten.
Ein gewaltiger Strahl grellen Lichtes durchzog nun in rasender Geschwindigkeit das Schlachtfeld. Für einen Augenblick schloss Amalia die Augen und konzentrierte sich. In einem nächsten unverhofften Moment öffnete sie die Augen wieder und ließ ihre Arme nun ebenfalls nach vorn schnellen. Ein Strom klarem blauen Lichtes schoss aus ihnen heraus der dem ihrer Gegnerin entgegen zischte. Unter einem höllischem Lärm trafen die Energien auf einander. Für einige wenige Augenblicke rangen sie miteinander ehe sie sich schließlich in einer gewaltigen Explosion entluden und ein Strahl roten Lichtes in den Nachthimmel aufstieg.
„Runter“, schrie Ryuichi wütend ehe er Amalia umarmte und sich mit ihr auf den Boden Fallen ließ.
Schützend beugte er sich über sie.

Die wenigen Bäume der kahlen Ebene ächzten unter der Wucht der Energie. Äste knackten und brachen wie dünne Ärmchen, die es nicht mehr an ihren Körpern hielt. Zurück blieb nichts als verbranntes Ödland.
„Alles in Ordnung? Bist du verletzt“, fragte Ryu Amalia besorgt während er sich erhob und ihr auf die Beine half.
Prüfend sah die junge Dunkelelfe an sich hinunter. Bis auf ein paar blaue Flecken an den Beinen und einigen zusätzlichen Rissen in ihrer Kleidung schien sie unverletzt.
„Nein alles in Ordnung“, antwortete sie lächelnd.
Erleichtert atmete Ryu durch ehe er sich um wandte und Isabella finster aus seinen dunklen Augen heraus an funkelte.
„Ryu. Amalia“, schrie Liliana besorgt die nun ebenfalls aus ihrem Versteck gekrochen war und auf sie zu rannte.
Liebevoll drückte Ryuichi sie an sich

Lächelnd betrachtet Isabella die mittlerweile ebenfalls wieder auf den Beinen war die kleine Gruppe. Sollten es wirklich allein diese Kinder gewesen sein, die all ihre Männer aufgehalten hatten? Das schien ihr sehr abwegig. Und doch … war es wohl die Wahrheit. „Das ist interessant. Zwei Dunkelelfen und ein Mensch. Eine sehr ungewöhnliche Kombination“, erklärte sie staunend. Schockiert sah Amalia Isabella an. „Woher wisst Ihr was wir sind“, fragte sie fordernd während sie Ryu's fragenden Blick auf sich ruhen spürte. „Deine Energie verrät dich“, erklärte Isabella grinsend. „Ihr seid die Auserwählten hab ich Recht“, stellte sie lächelnd fest.
Als Antwort bekam sie nur erstaunte Gesichter.
Fragend sahen sich die Kinder an. Wie war das möglich? Woher konnte sie das wissen?
„Keine Sorge. Euer Geheimnis ist bei mir sicher“, versicherte Bella mit nun ruhiger melodischer Stimme.
„Dafür sollen wir jetzt hoffentlich nicht auch noch dankbar sein. Ihr hättet Euch und uns beinahe in die Luft gesprengt“, giftete Amalia zurück.
Mit jeder Sekunde die verging hasste sie diese junge Frau mehr. Was für eine Gedankenlosigkeit.
„Ihr lebt doch noch nicht war“, versicherte sich Isabella mit gespielter Ernsthaftigkeit.
Ryuichi und Amalia sahen sie finster an. Nur mit großer Mühe gelang es ihnen ihre Wut in Zaum zu halten. Was dachte sich diese Frau? Doch war dies nicht der Moment für überstürzte Handlungen. Sie würden die restliche Energie brauchen die ihnen verblieb. Ohne ein weiteres Wort wandte sich Isabella um und tat einige Schritte ehe sie plötzlich inne hielt.
„Im übrigen. Mein Name ist Isabella“, beantwortete sie die Frage der jungen Dunkelelfe ehe sie die Kinder endgültig stehen ließ.
Mit fragenden Gesichtern sahen Ryuichi und die anderen ihr nach.

Kapitel 20.


Langsam schritt Isabella voran während ihre Gedanken zu schweifen begannen. So sehr sie sich auch bemühte, immer wider kam ihr das Gesicht des Jungen in den Sinn.
Wieso nur kam er ihr so merkwürdig vertraut vor?
Angestrengt dachte sie nach …
Hatte sie ihn schon einmal gesehen?
Nein! Unmöglich!
Es hätte keine Rolle gespielt wie flüchtig diese Begegnung gewesen wäre, an ihn hätte sie sich erinnert.
Warum aber glich die Aura die ihn umgab so sehr der ihren?
Irgendetwas hatte sie davon abgehalten ihn zu töten, hatte sie zögern lassen, und sie musste wissen was es war.
Mit dieser quälenden Ungewissheit konnte und wollte sie nicht leben.
So ein merkwürdiges Gefühl hatte sie noch niemals zu vor in ihrem Leben verspürt...
Heftigst schüttelte Bella den Kopf um diese Gedanken beiseite zu schieben. Es gab wichtigere Dinge die nach einer Lösung verlangten.Wie sollte sie ihrem Vater diese Nachricht überbringen?
Für einen Augenblick wog Isabella die Möglichkeiten ab, die ihr geblieben waren, während sie langsam weiter einen Fuß vor den anderen setzte. Was sollte sie ihm sagen? Vor lauter Anstrengung bildeten sich kleine Falten auf ihrer Stirn. Es würde nicht leicht sein eine plausible Erklärung für ihr Verhalten zu finden.
>> Vielleicht ist es am besten wenn ich ihm einfach die Wahrheit sage<<, schoss es ihr durch den Kopf.
Für den Bruchteil einer Sekunde hielt Isabella an diesem Gedanken fest ehe sie spürte wie sich ihr Magen einige Male schmerzhaft zusammenzog. So schnell wie dieser Gedanke gekommen war, verwarf sie ihn auch wider.
Verzweifelt schüttelte Bella den Kopf. Sie konnte es ihm nicht sagen …
Zu groß war die Angst vor dem Jähzorn des Vaters. Oft genug hatte sie selbst erlebt wie grausam er war, wenn er wütend war und wie ihn sein eigener Hass blendete. Nichts würde ihr Fehlverhalten entschuldigen. Er würde keine Illoyalität dulden … auch nicht von seinem eigenen Fleisch und Blut. Eines war ihr in diesem Augenblick klar geworden …
Sollte Lucien jemals herausfinden, dass die Kinder am Leben waren, würde seine Grausamkeit keine Grenzen kennen. Er würde vor nichts und niemanden zurückschrecken um sie in die Finger zu bekommen … Erst recht nicht vor der eigenen Familie …
Der Gedanke daran ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen und sie begann wie Espenlaub zu zittern. Mit Schrecken und grausiger Gewissheit realisierte sie in welch aussichtslosen Lage sie sich befand.
Es war nicht länger nur ihr eigenes Leben, das sie im Begriff war zu riskieren, sondern das der Kinder gleichermaßen. Doch sie hatte keine Wahl …
Noch einmal atmete sie tief durch ehe sie weiterging. Schon bald erkannte sie die ersten vertrauten Gesichter. Nur wenige Meter von ihr entfernt standen ihr Vater und die ersten seiner treuesten Männer. Isabella lächelte süffisant … Was auch immer nun geschehen würde … zum umkehren war es nun zu spät.
„Du bist zurück“, stellte Lucien mit kühler Stimme fest, ohne seine Tochter auch nur eines Blickes zu würdigen.
Erschrocken fuhr Isabella zusammen. Nur einmal hätte sie sich gewünscht einen Anflug von Besorgnis oder Freude in seinem Gesicht zu erkennen. Doch wieder wurde sie enttäuscht. Bella nickte mechanisch. Wohl wissend, dass ihr Vater es aus den Augenwinkeln heraus sehen würde. „Und die Kinder? Warst du erfolgreich?“, erkundigte sich Lucien ohne Umschweife.
Es schien ihn nicht zu interessieren, das seine Tochter in größter Gefahr gewesen und nur knapp dem Tod entgangen war.
Pures Entsetzten trat in Isabellas Gesicht. Woher wusste er das es die Kinder gewesen waren, die seine Männer aufgehalten hatten. Immerhin hätten es auch normale Krieger oder Magier seien können …
Sie schluckte schwer und bemühte sie krampfhaft die Wut die mehr und mehr in ihr aufstieg zu unterdrücken. Sie musste Ruhe bewahren.
Die Kälte in den Worten ihres Vaters bestätigend Isabella nur noch weiter in dem Entschluss dem sie kurz zuvor gefasst hatte.
„Es gibt nichts mehr, das Euch sorgen müsste Vater“, erklärte sie fest entschlossen.
Wohl wissend, dass dies die größte Lüge war, die sie je erzählt hatte.
„Habt Ihr die Explosion nicht gesehen“ erklärte Bella weiter um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.
Ein verschmitztes Lächeln zog durch Luciens Gesicht. Die Gewissheit, dass seine Tochter erfolgreich gewesen zu sein schien verschaffte ihm ein Hochgefühl wie er es nur selten verspürt hatte. Nichts und niemand würde ihm nun noch in die Quere kommen.
Musternd betrachtete Lino Isabellas Gesicht, dass jeden Anmut und Liebreiz verloren zu haben schien. Ihre braunen Augen, die sonst Sanftmut, Wärme und Verständnis ausstrahlten, starrten ausdruckslos in die Ferne. Angst, Verzweiflung und Ungewissheit sprachen aus ihnen. Irgendetwas musste passiert sein. Doch was es war ließ sich nur erahnen. Entschlossen packte Lucien sein Schwert und ließ seinen Arm nach vorn schnellen.
„Unsere Feinde sind uns schutzlos ausgeliefert. Lasst sie uns treffen wo sie am meisten verwundbar sind“, rief er energisch.
Ein lautes Grölen ging durch die Menge, die nur auf diesen Befehl gewartet hatte und sich nun angeführt von Lucien in Bewegung setzte.

>>Hoffentlich sind die Kinder in Sicherheit<<, dachte Isabella die Gedanken versunken neben ihrem Vater lief.

Kapitel 21.


Der Wind weht frisch über die Ebene. Es gab nichts als Stille. Kein Tier wagte sich hervor. Kein Vogel erfüllte die Luft mit seinem lieblichen Gesang. Allein das Rauschen der Blätter durchschnitt diese unheilvolle Atmosphäre.
„Amalia komm schon steh auf. Wir müssen verschwinden“, rief Liliana der jungen Dunkelelfe verzweifelt zu die noch immer wie gelähmt am Boden kauerte und ins Nichts starrte. Seid Minuten schon saß oder viel mehr saß sie in dieser Position und rührte sich nicht... nur ihre Hand umklammerte krampfhaft ihren Stab. Verzweifelt schüttelte Lilly sie an der Schulter und hoffte zu durch dringen zu können. Doch vergebens. Längst schon hatten ihre Ohren die drohende Gefahr ausgemacht die sich von den nun nähernden Marsch Geräuschen ausging. „Ryu. Wenn wir nicht bald hier weg kommen ist alles vorbei“, rief Liliana ihrem Bruder zu der nur wenige Schritte von ihr entfernt stand. Registrierend nickte der Junge ehe er zu Amalia hinüber ging. Sie zitterte. Ob vor Angst oder vor Kälte … das war nicht wichtig.Rasch löste Ryu seinen Umhang von den Schultern und hing ihn ihr um. Erleichtert stellte er fest , das Amalia mit ihrer Hand nach dem Umhang tastete und kurz darauf den Kopf zu ihm wandte. „Komm. Steh auf. Gemeinsam können wir es schaffen. Doch wir brauchen dich. Was wären wir denn ohne deine genialen Ideen“, ermutigte Ryuichi sie lächelnd während er ihr seine Hand reichte.Einige kleine Tränen rannen über die Wangen der jungen Dunkelelfe ehe sie schließlich zustimmend nickte.„Nichts“, scherzte Amalia während sie Ryu's Hand ergriff. „Genau“, stimmte Lilly fröhlich mit ein. Für einen Augenblick sahen sie sich um …
Noch immer wehte der Wind frisch. Der Gestank verkohltem menschlichem Fleisches verpestete die Luft und machte das Atmeten beinahe unerträglich. Die Explosion hatte ihre Spuren hinterlassen. Ein riesiger Krater der aus nichts bestand als verbrannter Erde und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelter lebloser Körper hatte sich in das Erdreich gefressen. Näher und näher rückte der Feind während die Kinder immer weiter auf der Suche nach einem geeigneten Versteck zurück wichen. Doch nichts war geblieben. Alles was als Deckung hätte dienen können war vom Feuer verschluckt worden.
Keuchend blieb Lilly schließlich stehen. Ihre kleinen Füße schmerzten und das Atmen fiel ihr bereits sehr schwer. >>Wir müssen uns dringend etwas einfallen lassen oder das ist das Ende. Weiter aufhalten können wir sie nicht<< dachte Ryu bei sich während er besorgt seine kleine Schwester betrachtete. Lange würden sie nicht mehr durch halten.
„Wir könnten jetzt eine deiner Guten Ideen gebrauchen Amalia“, sagte er halb flehend, halb süffisant.
Amalia wollte gerade den Mund öffnen um etwas zu sagen als sie ein irritierendes Geräusch aufschreckte und sie plötzlich wie gebannt inne hielt. Ihre Augen waren geschlossen und ihre Ohren zuckten leicht. Sie hatte etwas gehört. Weiter in der ferne hallte ein dumpfes, schweres Geräusch durch die Nacht. Es klang nach schwerem Holz
„Ryu. Das Tor der Gilde … es öffnet sich“, raunte sie leise ehe sie ihre Augen wieder öffnete und ihn erleichtert anlächelte.
„Aaron“, stieß Lilly heraus.
Ryu nickte zustimmend. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Es gab neue Hoffnung.
„Worauf warten wir dann noch. Weg hier“, rief er ehe er die Mädchen an den Armen packte und sich mit ihnen zurück zog.

Einige Minuten die ihnen wie eine kleine Ewigkeit vorkamen liefen sie über die Ebene bis sie schließlich die schützende Mauer der Gilde am Horizont sehen konnten. Die ersten Männer hatten sich bereits in einer Linie formiert und warteten auf weitere Befehle. Weitere passierten gerade das Tor. Endlich kam die benötigte Verstärkung. Noch einmal ließen die Kinder ihre Blicke über die Ebene streifen, als sie hörten wie sich etwas hinter ihnen rührte. Aaron hatte sich mit einigen anderen Gefährten auf der Mauer postiert. Seine Rüstung schimmerte silbern im Licht des Mondes. Seine Hand umfasste wie automatisch seine Klinge. Bereit sie jeden Moment einzusetzen.
„Schön das ihr da seid“, grüßte er die Kinder mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Ungläubig starrten Amalia und Ryu den elf im ersten Augenblick an. War das ein Scherz? Wenn ja war er nicht gut gelungen. Doch auch sie konnten sich schließlich ein Lachen nicht mehr verkneifen.
„Und keinen Moment zu früh wie ich sehe“, antwortete Ryu
Langsam neigte Aaron den Kopf zur Seite und sah den Jungen an wobei seine Augen verheißungsvoll aufblitzten.
„Gutes braucht eben seine Zeit“, entgegnete er schließlich Schultern zuckend. Plötzlich änderte sich seine Miene. Das Lächeln verschwand so rasch wie es gekommen war und ließ nur einen Blick purer Angst und Elend zurück. „Wir kriegen Gesellschaft“, sagte er während er mit seiner Klinge in die Weite deutete. Erschrocken drehte Ryu sich um.

Am Horizont nähert sich, unaufhaltsam wie ein Strom Lava der einen Abhang hinunter floss und alles unter sich begrub was ihm in die Quere, kam der Feind. Mehr und mehr Männer strömten aus der Gilde des Lichts. Ungeduldig rief ihnen Aaron zu Aufstellung zu nehmen und sich zu formieren. Wenige Minuten später hatte sich ein ansehnliches Herr vor den Mauern postiert. Einige mit Schwertern bewaffnet. Einige von ihnen hielten kleine, speziell für den Kampf gefertigte Äxte in der Hand. Und nicht zu Letzt die Bogenschützen die sich neben dem Elf auf der Mauer nieder gelassen hatten. Ihre Bögen waren gespannt und bereit zum Einsatz. Doch würde all dies Ausreichen? Würde es ihnen gelingen das zahl mäßig noch immer weit überlegende Heer des Feindes zurück zu schlagen?
Ryuichi schluckte schwer angesichts dieses unvermeidlichen Gemetzels. Noch einmal atmete er tief durch um die letzten Zweifel die an ihm nagten zu vertreiben. Er konnte es sich nicht leisten auch nur EINEN einzigen Fehler zu machen... Niemand konnte das...Dies würde keine Normale Schlacht werden. Keine der beiden Seiten würde sich einfach geschlagen geben. Jeder einzelne war bereit bis zum Tode zu kämpfen. Hilfesuchend sah er Aaron an, der ihn ermutigend entgegen nickte.
„Hast du Angst Ryu“, fragte Amalia lächelnd während sie sanft Ryuichis Hand nahm.
Ein kurzes Lächeln zog durch das Gesicht des Jungen. Die wärme die Sie ausstrahlte tat ihm gut. Die Gewissheit das sie und seine Schwester und nicht zu Letzt auch Aaron mit ihm Seite an Seite kämpfen würden verschaffte ihm ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Nun wusste er wofür er kämpfte.
„Ja“, antwortete er leise. Verständnisvoll nickte die junge Dunkelelfe.
„Ohne Angst kann es keinen Mut geben. Und du hast bereits bewiesen, dass du ein tapferes Herz hast“, ermutigte sie ihn.
Nickend stimmte Ryu ihr zu. Auch wenn er es gewollt hätte... er wäre nicht in der Lage gewesen zu antworten.
„Sie hat Recht Junge. Und jetzt macht Euch bereit. Es wird ernst“, forderte Aaron sie auf.

Nun hatte das Feindliche Heer sie fast erreicht.

Kapitel 22.


Endlich hatten Lucien und seine Männer ihre Feinde erreicht. Mit einem kurzen aber deutlichen Befehl gebot er ihnen Einheit. Er wollte diesen Moment voll auskosten. Er wollte es genießen, wie seine Feinde vor ihm erzitterten, wollte die Angst in ihren Augen sehen. Es waren so lächerlich wenige. Der Sieg würde der Seine sein.
Abschätzend blickte Ryuichi sich um. Zahl mäßig waren sie Luciens Männern bei weitem unterlegen. Es würde schon eines kleinen Wunders bedürfen wenn sie diese Nacht lebend überstehen wollten... oder einer guten Idee. Angestrengt dachte er nach und betrachtete schließlich die Bogenschützen die hinter ihm auf der Mauer standen und auf ihren Einsatz warteten.
>>Wenn wir sie nun zu erst angreifen würden und so aus der Reserve locken würden<<, dachte Ryu während sein Blick auf dem feindlichen Heer ruhte.

Noch einmal sah er sich nach Aaron um, der seinen Idee zu erraten haben schien und zustimmend nickte. Bestätigend lächelte der Junge ehe er einige Schritte nach vorn tat.
„Ryu wir können sie nicht lange aufhalten. Es sind zu viele“, sprach Amalia eindringlich, die seinem Arm fest umklammerte um ihn zurück zu halten.
„Das müssen wir auch nicht. Nur lange genug, dass sie uns folgen. Wenn sie blind bleiben für alles was direkt vor ihnen passiert“, erklärte Ryu kurz mit einem süffisantem Lächeln im Gesicht.
Ihm war bewusst wie riskant diese Idee war.
Welche Folgen es haben würde sollte sie fehl schlagen. Doch ihnen blieb keine Wahl.
„Das ist entweder Wahnsinn oder brillant“, entgegnete die junge Dunkelelfe erstaunt die zu begreifen begann.
„Es ist immer wieder erstaunlich wie nahe diese Beiden Eigenschaften beieinander liegen nicht war“, antwortete Ryu ehe er sich von ihr Abwandte um wider dem Geschehen zu folgen. Amalia lächelte verschmitzt ehe auch sie sich wider auf das wesentliche konzentrierte.
>>Und du hast an deinem Mut gezweifelt<<, dachte sie letztlich während sie Ryu aus den Augenwinkeln heraus betrachtete.

Amüsiert lächelte Lucien auf. Er hatte nicht erwartet, dass sich seine Gegner so einfach stellen würden. Waren sie sonst doch so sehr darauf bedacht eine direkte Konfrontation zu vermeiden.
„Eines muss man ihnen lassen. Mutig sind sie, sich nicht zu verstecken“, gestand er ihnen zu.
Ein allgemeines Gelächter brach unter den Männern aus ehe es wider verstummte.
„Lasst sie uns wie ein Insekt zerquetschen! Vorwärts“, gab er schließlich den Befehl zum Angriff.
Erschrocken fuhr Isabella zusammen. Sie konnte die Anwesenheit der Kinder deutlich Spüren. Angewidert und in einigem Abstand folgte sie ihrem Vater.

Ein leiser Seufzer entfuhr Ryuichis Kehl, der das Geschehen genau beobachtet hatte. Ein letztes Mal sah er sich um. Die Männer standen mit unerschütterlichen entschlossenen Gesichtern neben ihm.
Mut sprach aus ihren Augen...
Sie würden ihm folgen. Wenn es sein musste bis in den Tod.
„Sie kommen. Die ersten Reihen folgen mir. Ihr anderen bleibt hier und haltet Euch bereit“, wies der Junge sie an.
„Vorwärts“, rief er schließlich aus, ehe sich die Menge in Bewegung setzte.

Die Zeit verstrich in einem grausam langsamen Tempo während sich die beiden Heere unaufhörlich näherten.
Sieges sicher lächelte Lucien als er seine Gegner erblickte. Das sollte alles sein? Mehr hatten sie nicht zu bieten? Es war gerade zu lächerlich.
„Holt sie Euch“, gab er den Befehl zum Angriff.
Grölend folgten seine Männer dem Befehl und stürmten auf den Feind zu, der sich nicht mehr zu bewegen schien. Mit einer einzigen Bewegung seiner Hand gab Ryu das Zeichen zum Halten. Wenn sie ihren Gegnern offen in die Arme liefen war ihre einzige Chance vertan. Das durfte nicht geschehen... zu viel stand dafür auf dem Spiel.
„Lasst sie kommen. Sollen sie denken sie hätten uns bereits geschlagen. Wir werden sie ordentlich in Empfang nehmen“, sagte er selbstbewusst woraufhin ein zustimmendes Raunen durch die Menge ging.

Einige letzte grausame Augenblicke verstrichen. Der Feind war nun fast in Reichweite.
„Jetzt“, schrien die Kinder im Chor.
Unter Ohren betäubendem Lärm prallten die beiden Heere aufeinander. Ein grauenhaftes Spiel begann. Äxte funkelten im nun nur noch mattem licht des Mondes auf, der mehr und mehr sein Gesicht verhüllte. Gerade so als wollte er seine eigene Traurigkeit demonstrieren. Mit Leichtigkeit zermalmten die Äxte alles was sich ihnen in den Weg stellte. Fuhren durch Haut, Knochen und Gebeine. Die Luft war erfüllt von grausig schrillen Schmerzensschreien die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnten. Schwerter krachten klirrend aufeinander. Flogen durch die Hände wie ein gut eingeübter Tanz, dessen einziger Zweck es war Verderben und Leid über die Menschen zu bringen. Gekonnt verteidigten sich die Männer des Lichts gegen den scheinbar überlegenen Feind. Doch der Überraschungsmoment war auf ihrer Seite.

Voller Entschlossenheit packte Ryu sein Schwert als einige Feinde auf ihn zugeströmt kamen und die Kinder schon bald umzingelten. Klirrend schlugen die Schwerter zusammen. Ein um das andere Mal parierte der Junge die Angriffe des Gegners. Plötzlich ging alles ganz schnell. Einige gekonnte, flinke Bewegungen, ein gezielter hieb und der Gegner ging mit einem Schaurigem Ausdruck des Schmerzes zu Boden.
Ryu atmete aufgeregt. Angewidert betrachtete er den blutüberströmten Körper der in zwei Hälften geteilt vor ihm Lag, als seine Augen in den nächsten Augenblick etwas Interessantes ausmachten. Neben ihm glänzte etwas. Neugierig legte der Junge den Arm beiseite der es umgab. Ein wundervolles Schwert lag vor ihm. Sein Griff war reich verziert und die Klinge war aus feinstem Material gefertigt worden. In gewisser Weise glich sie der Seinen. Ohne zu zögern nahm Ryuichi die Klinge an sich die noch frei von Blut und Dreck war. Erschrocken sah er auf, als seine Ohren das Geräusch von sich nähernden Schritten war nahmen. Ein neuer Strom Feinde näherte sich. Mit einem gekonnten Wurf schleuderte Ryu die gefundene Klinge auf ihn zu und konnte sehen wie sein Gegner reglos zu Boden fiel. Das Schwert hatte seine Brust durchbohrt.
„Guter Wurf“, rief Amalia ihm zu die sich gerade gegen einen Feind verteidigte.
Schließlich fand auch er seinen Frieden.

Langsam durchschritt Lucien das Schlachtfeld. Das durfte doch alles nicht war sein. Wie konnten seine Männer nur gegen eine so niedrige Anzahl Menschen verlieren? Irgendetwas stimmte hier nicht.
„Ryu. Dieses Mädchen ist ganz in der Nähe“, stellte die junge Dunkelelfe fest die neben dem jungen stand.
Längst schon hatte sie diese merkwürdige Energie war genommen. Zustimmend nickte Ryu. Auch ihm war die Aura nicht verborgen geblieben. Doch da war noch etwas anders das ihr voraus ging. Etwas Mächtigeres. Prüfend sah er sich um. Viele der Männer der Gilde waren verletzt. Einige von ihnen hatten im Gefecht einen Finger eingebüßt und hatten nun klaffende Wunden an den Händen. Lange würden sie nicht mehr standhalten. Nervös begann Ryu's Hand zu zittern. Hatte er versagt? Hatte er sie alle in den Tod geschickt?
„Das war ein guter Plan. Bis jetzt zumindest“, sagte Amalia tapfer die ihm sanft den Arm um die Schultern legte.
>>Sie kommen viel zu nahe. Das halten wir nicht aus. Dafür sind wir nicht genug Mann<<, schoss es dem Jungen mit Schrecken durch den Kopf.
„Zieht Euch zurück. Rückzug“, brüllte er schließlich aus allen Leibes Kräften.
„Zurück zur Gilde“, wiederholte die junge Dunkelelfe den Befehl ehe sie Ryu am Arm packte und mit ihm zurück drängte.
Die Männer folgten ihrem Beispiel und traten so schnell sie konnten den Rückzug an. Wie ein Strom kleiner Ameisen rannten sie über die Ebene. Wütend blickte Lucien ihnen nach. Er würde sie nicht entkommen lassen.
„Die ziehen sich zurück. Holt sie Euch. Lasst niemanden am Leben“, stachelte er seine Männer an die ohne Umschweife die Verfolgung aufnahmen.

Kapitel 23.


Aufgeregt wippte Lilly auf ihren Zehenspitzen auf und ab. Sie ärgerte sich, dass sie kaum groß genug war um den Geschehen folgen zu können. Vorsorglich, aus Angst ihr könne etwas zu stoßen hatte ihr Bruder sie zu Aaron zurück geschickt. Sie solle die anderen unterstützen, ihnen helfen, hatte er zu ihr gesagt. Doch hier würde sie mit ihrer Magie nicht bewirken können. Was sollte sie tun? Liliana atmete kurz durch um sich zu beruhigen. Das letzte was sie in diesem Augenblick gebrauchen konnten, waren überstürzte, unüberlegte Handlungen.
Einige Momente verstrichen, als sich ihre kleinen Ohren plötzlich spitzen und sie kleinlichst auf jedes Geräusch achtete. Wie gebannt richtete sich ihr Blick in die Ferne. Der Lärm kam unaufhörlich näher. Schließlich umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Die Männer kehrten zurück, dicht gefolgt von den feindlichen Heerscharen, die ihre Beute erbarmungslos zu jagen schienen. Die Idee ihrer Bruders schien zu funktionieren...
„Aaron sie kommen“, rief Lilly dem Elfen zu, der sich neben sie gestellt hatte.
Ein verschmitztes Lächeln durchzog Aaron Gesicht. So jung dieses kleine Mädchen war, so ausgeprägt und scharf waren ihre Sinne. „Sehr gut beobachtet“, lobte er die Kleine.
„Bleibe bei mir und halte deine Augen und Ohren offen“, erklärte der Elf ihr lächelnd.
Voller Stolz lächelte Liliana ihn an. Noch nie zu vor hatte jemand ihr eine so wichtige Aufgabe übertragen. Sie würde ihr Bestes geben.

Zufriedenen nickte Aaron ihr zu ehe er sich wider dem Geschehen zu wandte. Der Mut der Kinder und nicht zuletzt der Männer durften nicht umsonst gewesen sein. Sie alle hatten ihr möglichstes getan... nun war es an ihnen, ihnen bei zu stehen und Seite an Seite zu kämpfen und auch zu sterben, sollte dies nötig sein. Es gab nun nur noch Eines was sie ausspielen konnten...
„Bogenschützen, anlegen“, rief der die Männer zur Bereitschaft auf. Auf sein Kommando spannten die Männer einer nach dem anderen die Bögen und bestückten sie mit Pfeilen.
„Wartet auf mein Kommando“, sagte er entschlossen, während er demonstrativ seinen Arm hob.

Erschrocken verzog Isabella das Gesicht, als sie sah wie sie sich der Gilde des Lichts immer weiter näherten.
>>Wir laufen direkt in einen Hinterhalt. Das alles war nur ein Ablenkungsmanöver<<, schoss es ihr durch den Kopf, doch wagte sie es nicht ihren Mund zu öffnen und etwas zu sagen.
Es gab keinen Weg zurück mehr. Was geschehen sollte, würde nun geschehen.

Weiter liefen die Kinder, gefolgt von den Männern der Gilde des Lichts über das Feld, bis sie endlich das Tor erreichten. Erleichtert stieß Lilly einen Freudenschrei aus. Ihr Bruder und Amalia waren unversehrt zurück gekehrt. Alle Angst und Sorgen die sie so gequält hatten fielen in diesem Augenblick von ihr ab. Nichts blieb zurück als Erleichterung und Freude.
„Ihr habt es geschafft“, rief Aaron dem Jungen zu.
Ryu lächelte auf während sein Körper nach Atem rang.
„Wir haben getan was wir konnten. Jetzt seid ihr dran“, antwortete er mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen.
„Dann wollen wir sie mal willkommen heißen“, antwortete Aaron mit einem zynischen Unterton in der Stimme, ehe er sich wider auf das Wesentliche konzentrierte.
„Formation einnehmen. Macht Euch bereit“, wies Ryuichi die Männer an, die vor dem Tor warteten.
Ohne zu zögern kamen sie dem Befehl nach. Er mochte noch sehr jung an Jahren sein, doch bis jetzt hatten sie sich gut gegen ihre Gegner behauptet und sie beten das die Göttin auch weiterhin ihre Hand schützend über sie halten möge.
„Bereit“, rief Ryu Aaron entschlossen zu, der darauf hin registrierend nickte.
Prüfend betrachtete Lilly das Gesicht des Elfen. Er schien sie gar nicht zu bemerken. So schnell und leise sie konnte stahl sie sich davon und bahnte sich ihren Weg durch die Menge. In diesem Moment gab es für sie nur ein Ziel. Sie musste zu ihrem Bruder. Er brauchte sie jetzt und sie würde ihn nicht im Stich lassen. Immer wieder stieß sie versehentlich gegen einige der Männer, die sie verärgert ansahen, bis sie ihren Bruder schließlich erreichte.
„Ryu“, rief die Kleine Freude strahlend aus ehe sie ihn umarmte. Überrascht sah der Junge sie an. Er hatte sie gar nicht bemerkt oder auch nur im Geringsten kommen hören.
„Liliana, was tust du hier? Du solltest doch bei Aaron bleiben“, antwortete Ryu tadelnd und besorgt zu gleich während er sie ebenfalls für einen Augenblick in die Arme schloss.
Bald jedoch löste er sich aus ihrer Umarmung. Schmollend verzog Lilly das Gesicht.
„Ich wollte bei dir sein“, erklärte sie kleinlaut.
Ryu lächelte sie verständnisvoll an und sah zu wie auch sie wider zu lachen begann. Nur zu gut konnte er verstehen wie sie sich fühlen musste. Wie grauenhaft die eigene Hilflosigkeit für sie war.
„Dann bleib hinter mir“, ermahnte Ryu seiner Schwester ernst während er sie behutsam hinter sich drückte. Um sie weg zu schicken blieb ihnen ohnehin keine Zeit mehr.

Aufmerksam warteten die Männer ab während sich das feindliche Heer Meter um Meter näherte. Endlich waren sie in Reichweite. >>Jetzt<<, dachte Aaron bei sich, der den Gegner nun ebenfalls in Reichweite schätzte.
„Pfeile los“, rief er lautstark ehe sein Arm nach vorn schnellte.
Auf Befehl ließ ein Schütze nach dem anderen die gespannte Sehne seines Bogens los. Wie eine Woge herabfallender Kometen, die zur Erde herab fielen, durchriss die Salve aus Pfeilen zischend die kühle Nachtluft. Es war ein Anblick der einen das fürchten lehrte. Die ersten Reihen des Feindes gingen unter grausigen, schmerzerfüllten Schreien zu Boden. Einem nach dem anderen strecken die Pfeile ihre Ziele nieder, wie die Bauern das Korn. Der Boden vor der Gilde war überseht mit leblosen Körpern, deren Gesichter schrecklich verzerrt und deren Augen vor Entsetzen weit aufgerissen waren und getränkt von dem Blut was aus den Körpern rann. Viele von ihnen waren noch so jung... kaum in der Lage ein Schwert zu führen und doch hatten sie sich von viel versprechenden Worten und Lügen überzeugen lassen.
So viele Menschen fanden in dieser Nacht den Tod...
Niemals würde man sie vergessen. Der Geruch des Todes würde noch Jahre über diesem Gebiet liegen.

Kapitel 24.


Ungeachtet der vielen Opfer, die bereits ihr Leben gelassen hatten marschierte Lucien weiter. Er wusste das Ziel zum greifen nahe. Nichts würde ihn nun noch aufhalten. Die Kinder würden ihm gehören und somit die Kraft die in ihnen ruhte.
Angewidert von soviel Elend und Tod schritt Isabella weiter. Ein von Pfeilen getroffener Körper nach dem anderen säumte ihren Weg. Die Salve hatte viele der Männer unerwartet getroffen. Wer hätte erwartet, dass die Männer der Gilde des Lichts so tapfer kämpfen würden?
>>Wir rücken zu nahe an die Bogenschützen<<, dachte sie erschrocken als sie bemerkte das ihr Vater kein Anzeichen des Rückzuges erkennen ließ.
Wie blind hatte ihn sein Hass werden lassen? War er tatsächlich bereit, all diese Menschen für das Leben von ein paar wenigen zu opfern? Augenblicklich schüttelte sie den Kopf um diesen Gedanken zu vertreiben. Es durfte noch nicht zu spät sein!

Wie eine Welle aus dunklen, unaufhaltsamen Schatten kam der Feind immer näher, bis sie nur noch wenige Meter von den Männern der Gilde des Lichts entfernt waren. Aufmerksam beobachtete Ryuichi das Geschehen. Die Salve hatte ihr Ziel nicht verfehlt, doch es waren noch immer zu viele. Der Zusammenprall stand unmittelbar bevor. Ihm musste etwas einfallen. Suchend sah er sich um. Sein Blick blieb schließlich auf den Männer neben und hinter ihm haften. Viele von ihnen trugen stabil wirkende Schilde um sich zu schützen. Ryu's Gedanken begannen zu rasen. Vielleicht würden sie ihnen noch helfen können.
„Ryu. Sie sind in Reichweite“, sagte Amalia entschlossen während sie zögerlich seine Hand ergriff.
Der Junge nickte kurz. Nun gab es kein Zurück mehr.
„Schilde hoch! Bildet einen Schutzwall damit“, wies er die Männer an.
Ohne zu zögern erhoben die Männer die Schilde. Die ersten Reihen richteten sie nach vorn, um sich abzuschirmen während die hinteren Reihen sie nach oben hielten um eventuellen gegnerischen Geschossen zu entgehen.
„Vorwärts. Lassen wir sie wissen aus welchem Holz wir sind. Sollen sie gegen die Schilde prallen wie Wasser gegen Fels spült. Bereiten wir ihnen einen herzlichen Empfang“. Rief Ryuichi laut.
Ein kurzes aber lautes Jubeln ging durch die Menge. Jeder einzelne der Männer war hoch motiviert und von Mut erfüllt. Und das war somit eine der letzten Waffen die sie noch ausspielen konnten. Im Gleichschritt setzten sie sich schließlich in Bewegung.

Aaron lächelte verschmitzt. Dieser Junge überraschte ihn immer wieder aufs Neue.
„Bogenschützen noch einmal anlegen“, befahl er entschlossen.
„Wir werden sie nicht im Stich lassen“, rief der Elf eindringlich.
In Blitzes Schnelle bestückten die Schützen die Sehnen mit Pfeilen und warteten auf das Signal.
„Los. Schickt ihnen einen Pfeil Hagel“, gab Aaron schließlich die Anweisung, wohl wissend das den Männern am Boden nichts geschehen konnte.
Ein erneuter Schauer aus Pfeilen durchschnitt den Nachthimmel. Bereit alles auszulöschen was ihn in die Quere kommen sollte. Ryu lächelte gequält auf als er das Zischen der Pfeile vernahm die hoch über ihren Köpfen flogen.
„Aaron gibt uns Deckung

Kapitel 25.


Gefasst umklammerte Ryuichis Hand sein Schwert, während er Lucien immer weiter auf sich zukommen sah. Einige Augenblicke verstrichen ehe er ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Musternd betrachtete Lucien den Jungen und hoffte einen Funken Angst oder Verzweiflung in seinen Augen erkennen zu können. Seine Gesichtszüge entgleisten als er feststellte, dass jedwede Angst oder Sorge verflogen zu sein schien. Woher nahmen diese Winzlinge nur diesen Mut?
„Ryu jetzt komm schon. Weg hier“, rief Amalia verzweifelt die hinter ihm gestanden hatte und ihn nun unsanft am Arm packte. Unfreiwillig zog sie die Aufmerksamkeit auf sich. Ein zynisches Lächeln durchzog Luciens Gesicht während er diese rührende Szene beobachtete.
„Wie rührend. Ich könnte direkt weinen“, erklärte er amüsiert während er die junge Dunkelelfe interessiert betrachtete.
Wie waren diese Kinder nur in der Lage gewesen ihm so lange die Stirn zu bieten? Eines musste man ihnen zu gestehen. Einfallsreich waren sie. Erschrocken beobachtete Aaron die Beiden. Es erstaunte ihn, dass Lucien bis jetzt so ruhig da stand. Er musste handeln bevor es zu spät war.

Sanft strich Ryuichi über Amalias Handrücken ehe er sich löste und sie hinter sich drückte.
„Lass deine Finger von ihr Lucien. Nicht sie tötete deine Männer. Ich bin es den ihr wollt. Sie hat nichts damit zu tun“, entgegnete er mutig während er sein Gegenüber böse aus seinen dunklen Augen heraus an funkelte.
Ein zynisches Lachen zog durch Luciens Gesicht.
„Fein. Ganz wie du möchtest. Dein Wunsch ist mir Befehl“, erklärte er ehe er mit ein paar blitzschnellen Bewegungen direkt vor Ryu auftauchte und seine Schwert niederschmettern ließ.
Verdutzt hielt er inne als er bemerkte, dass seine Klinge mit aller Kraft zurück gehalten wurde.
„Was zum Teufel ist das“, murmelte er während er ein Stück zurück wich und das merkwürdige blaue Lichte betrachtete, das den Jungen umgab.
Mit einigen Schritten trat Amalia neben Ryu und sah Lucien finster an. Sie zitterte vor Wut und ihre Augen sprühten vor Hass und Abscheu. Noch niemals zuvor hatte sie solch einen gewissenlosen und grausamen Menschen gesehen. Ihr Atem überschlug sich beinahe und sie hoffte inständig sie würde überhaupt in der Lage sein einen Ton heraus zu bringen.
„Ich werde nicht zulassen, dass du ihn tötest“, sprach sie so selbstbewusst wie ihre Stimme es in diesem Moment erlaubte. Registrierend zuckte Lucien mit den Schultern.
„Dann werde ich Euch jetzt beide töten“, sprach er voller Zorn ehe er seine Klinge fasste und sich den Kindern näherte.
„Nicht wenn ich das verhindern kann“, entgegnete Aaron kühn der sich mit einem gekonnten Sprung von der Mauer abgesetzt hatte und sich nun schützend vor den Kindern aufbaute.
Er würde sie beschützen, koste es was es wolle. Mit erhobener Klinge starrte er Lucien an. Sichtlich genervt wich Lucien einige Schritte zurück und ließ sein Schwert sinken.
„Vater bitte hört auf. So viel Blut ist heute schon vergossen wurden“, flehte Isabella die ihren Vater eingeholt hatte und nun neben ihm stand.
„Nichtsnutziges Elfen Pack“, raunte er leise jedoch mit einem unüberhörbar angewiderten Unterton in der Stimme.
Für einen Augenblick flogen die Blicke des Elfen zwischen Lucien und dem unbekanntem Mädchen hin und her ehe sie schließlich auf Isabellas Gesicht inne hielten. Musternd betrachtete Aaron sie. Zweifellos war sie sehr hübsch für ein Menschen Mädchen. Doch etwas an ihr hielt seine ganze Aufmerksamkeit gefangen. Was war das für eine seltsam vertraute Energie die sie umgab? Prüfend sah er Ryuichi aus den Augenwinkeln heraus an. Die Energien der beiden glichen sich und waren doch wieder so unterschiedlich. Es musste etwas geben das sie verbannt. Doch was es war vermochte er in diesem Moment nicht festzustellen.

Um sie herum ging das Kampfgeschehen weiter. Niemand schien diese Begegnung wahrgenommen zu haben. Viel zu sehr waren die Männer damit beschäftigt um ihr eigenes Überleben zu kämpfen. Plötzlich jedoch, von einem Augenblick auf den nächsten verstummte jedweder Lärm. Eine gespenstische Ruhe legte sich über das Feld als sich das Tor der Gilde unter lautem Quietschen öffnete. Erschrocken und fassungslos zu gleich sahen die Vier sich an. Jeder von ihnen konnte die helle, kraftvolle Energie spüren die sich ihnen näherte.
>>Meister Rafael<<, schoss es Aaron durch den Kopf.
Energisch schüttelte der Elf den Kopf um einen Irrtum auszuschließen. Diese Aura jedoch hätte er überall wiedererkannt. Ohne weiter darüber nachzudenken und in Bruchteilen von Sekunden packte Aaron die Kinder an den Armen und verschwand mit ihnen in die wie gebannt dastehende Menge. In dieser Vielzahl von Geschöpfen wären sie, so hoffte er, vor erst in Sicherheit. Verärgert versuchte Lucien ihnen mit den Augen zu folgen. Sie in dieser Menge ausmachen zu wollen glich jedoch einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Doch es gab etwas anders das nun seine ungeteilte Aufmerksamkeit erforderte.

Mitten in der Menge versuchte Lilli verzweifelt einen Blick auf das Geschehen zu ergattern. Schmollend stellte sie fest, dass es sinnlos war. Sie war einfach zu klein. Für einen Augenblick stand sie völlig ruhig da und dachte nach ehe sie prüfend ihren Blick um sich herum schweifen ließ. Niemand schien auf sie zu achten und auch ihr Bruder und die junge Dunkelelfe standen wie gebannt hinter ihr. Vorsichtig begann sich die Kleine durch die Menge zu bewegen und schlängelte sich geschickt und mit geschmeidigen Bewegungen unter Armen und Beinen der Männer hindurch bis sie schließlich einen ihr geeigneten Platz erreichte. Wohin sie auch sah blickten sie nur Ausdrücke von Fassungslosigkeit und Entsetzen entgegen. Sie folgte den Blicken mit ihren kleinen Augen und machte bald die Quelle des Tumultes aus. Eine eindrucksvolle Gestalt schritt langsam durch die erstaunt schauende Menge, die ihm ohne zu zögern Platz machte. Von einem Augenblick auf den anderen verschwand das höhnische Lächeln aus Luciens Gesicht und hinterließ nichts als pures Erstaunen. Er hatte nicht damit gerechnet in dieser Nacht noch einen würdigen Gegner zu Gesicht zu bekommen. Keines Falls jedoch mit dem Meister der Gilde des Lichts persönlich...
Mit fragenden Augen sah Lilly der erhabene Gestalt nach, die eben ihren Weg passiert hatte und ihr ein gutmütiges Lächeln geschenkte als sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Erschrocken fuhr sie herum und konnte es gerade noch vermeiden laut aufzuschreien. Erleichtert seufzte sie als sie ihren Bruder erkannte. „Liliana du solltest doch bei uns bleiben“, raunte er tadelnd um keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Lilly überhörte die Worte und wies mit ihrer kleinen Hand in die Richtung in der Rafael gerade verschwunden war.
„Ryu. Ein komischer Mann ist hier gerade vorbei gekommen“, berichtete sie aufgeregt.
Erstaunt sah Ryuichi sie an und strich ihr liebevoll über die Wange ehe er ebenfalls einen Blick riskierte. Zu seinem großen Ärger konnte er nur noch die Umrisse Rafaels erkennen. Leise schlich er sich schließlich mit den Mädchen durch die Menge um das weitere Geschehen mit an sehen zu können.

Erwartungsvoll lächelte Lucien als er Rafael auf sich zukommen sah. Einige kurze Augenblicke verstrichen ehe sich die Beiden gegenüberstanden und abschätzend betrachteten. Keiner von beiden zeigte einen Anflug von Nervosität oder gar Angst. Im nächsten Moment verstummte das Raunen der gespannten Menge und es herrschte eine grausame Stille. Alle Blicke und jedwede Aufmerksamkeit ruhten nun auf den Beiden. „Eine Gute Nacht für die Geier“, verspottete Lucien sein Gegenüber der die eindringenden Rufe der Vögel wahrgenommen hatte. Ein gequältes Lächeln umspielte Rafaels Lippen.
„Zieht Euch zurück. Es ist genug Blut vergossen wurden“, erklärte er eindringlich.
„Wir werden uns zurückziehen. Wenn wir gefunden haben weswegen wir gekommen sind“, erklärte Lucien mit einem erneuten spöttischen Ton in der Stimme der erneut Ryu's Gesicht in der Menge ausgemacht hatte.
Ohne weiter darauf einzugehen betrachtete Rafael das Gesicht seines Gegenübers. Längst schon hatte er die Aura des Jungen bemerkt.
„Übergebt uns die Kinder... und wir verschwinden. Keiner deiner Männer muss mehr den Tod erleiden“, erklärte Lucien mit dem schmeichelnsten Ton den er aufbringen konnte, wohlwissend, dass es eine einzige Lüge war.
Entschlossen schüttelte Rafael den Kopf. Zu groß waren die Anstrengungen gewesen die Kinder zu beschützen, zu groß und schrecklich die Folgen würden sie in falsche Hände geraten als das sie nun aufgeben würden.
„Die Kinder gehören Euch nicht. Begreifst du nicht welche Folgen dein Plan haben würde“, versuchte Rafael zu erklären.
Luciens höhnisches Lachen hallte durch die Luft und viele seiner Männer stimmten in das Gelächter ein. Verärgert ballte Aaron der sich mit den Kindern herangeschlichen hatte die Hände zu Fäusten. Wie konnten sie es nur wagen in einem solchen Ton mit dem Meister zu sprechen? Einige Augenblicke später verstummte das Gelächter und Lucien wischte sich eine Träne, die er vor Lachen vergossen hatte aus dem Auge.
„Wie Ihr wollt. Männer bereitet ihnen ein Ende. Doch der alte Mann gehört mir“, gab er schließlich den Befehl zum Angriff.

Mit einem lauten Grölen erwiderten Luciens Männer den Befehl ihres Herren. Auch die Männer der Gilde des Lichtes machten sich mit Mut in ihren Herzen und ungetrübter Entschlossenheit zum Kampf bereit. Ohren betäubender Lärm erfüllte die klare, kühle Nachtluft und die Geier die ihre Bahnen am Himmel zogen ahnten, dass ihre Stunde bald kommen würde. Körper und Schilde stießen gegeneinander, Waffen von denen noch frisches Blut tropfte blitzten auf und das grausame Gemetzel entfachte aufs Neue. Mehr und mehr fächerte das Getümmel auseinander und viele waren auf sich allein gestellt oder waren umzingelt.
Mit langsamen, jedoch entschlossenen Schritten ging Lucien auf Rafael zu. Sein Schwert baumelte lockend an seiner Seite, die Schneide über und über mit frischem Blut befleckt. Ein schauriges Klirren umgab sie. Fast schien es, als riefe die Klinge nach ihrem nächsten Opfer. Kopfschüttelnd und mit einem bemitleidenden Ausdruck im Gesicht verfolgte Rafael Luciens Schritte. Eine Konfrontation würde sich nun nicht mehr vermeiden lassen. Noch einmal sah der Führer der Gilde des Lichtes sich um. Die Kinder kämpften tapfer Seite an Seite mit seinem Schützling. Seine Lippen formten über diesen Gedanken ein kurzes Lächeln. Aaron hatte seine Aufgabe mit Bravur gemeistert und gemeinsam mit den Auserwählten selbst dieser dunklen Stunde einen Schimmer der Hoffnung gegeben. Ihm und dem Einfallsreichtum der Kinder war es zu verdanken das bis her so viel überflüssiges Leid und Tod vermieden werden konnte. Er selbst durfte nun den einzigen Funken Hoffnung der blieb nicht verlieren.
Mit diesem Gedanken im Sinn schloss Rafael die Augen. Langsam führte er seine Hände nach vorn wo sie zunächst in betender Geste inne hielten. Wie von selbst begannen seine Lippen die Worte zu formen die beinahe so alt waren wie er selbst. Doch auch nach all den Jahren hatten sie nichts von der Vertrautheit und Stärke die aus ihnen hervor klang verloren. Ein klares weißes Licht bildete sich vor seinem Gesicht. Zu erst ganz klein und schwach, doch schnell wuchs es heran, wie eine Flamme die unter den sanften Berührungen des Windes entflammte. Bald schon bildete das Licht eine längliche Form ehe es sich zu materialisieren begann. Ein wunderschön verzierter Griff aus mehrfach gefaltetem Stahl dessen Seiten mit außergewöhnlichen, gar mystischen Symbolen dekoriert waren ruhte nun in Rafaels Hand.
Beinahe noch im selbem Augenblick verstummte die Menge um sie herum. Keiner der Männer hatte das Schauspiel das sich ihnen bot übersehen können. Wie gebannt taten sie einige Schritte auf sie zu ohne auch nur für einen Augenblick ihre Aufmerksamkeit von ihnen zu nehmen. Ohne es zu bemerken bildeten sie einen Kreis um die Beiden Anführer. Niemand wagte es auch nur, laut zu atmen. Die Spannung die in der Luft lag begann förmlich vor ihren Augen zu glühen.
Ein Moment der völligen Stille legte sich über die Ebene.
Sorgfältig, beinahe liebevoll fuhr Rafael die feinen Gravierungen mit seinem Finger nach während sich die Klinge immer weiter materialisierte. Erstaunt hielt Lucien in seinem Schritt inne. Das Licht der Klinge blendete ihn und er hielt seine Hand schützend vors Gesicht um überhaupt noch etwas klar erkennen zu können. Einige Augenblicke strichen dahin ehe das Licht schwächer wurde und schließlich ganz erlosch. Ein boshaftes Grinsen zog durch Luciens Gesicht. Endlich stand der Gegner auf den er so sehr gewartet hatte vor ihm, bereit und ebenbürtig.
„Endlich“, raunte er Rafael zu.
Demonstrativ und zu allem entschlossen zog Rafael die Klinge vor sich her ehe er seinen Gegner mit einem finsteren Blick strafte. „Wenn dies der Wille der großen Göttin ist dann möge es so sein“, antwortete er selbstbewusst.
Lucien hatte brachte nicht weiter heraus als ein spöttisches Lachen.
„Eure Göttin wird euch jetzt auch nicht mehr retten“, bemerkte er abweisend und warf dabei einen Blick über die Schulter.
Aus den Augenwinkeln heraus erkannte er seine Tochter die ihn fassungslos hinter her sah.

Wütend ballte Aaron seine Hände zu Fäusten, der sich mit den Kindern einen Weg durch die Menge gebahnt hatte und mit erschrockenen Gesichtern dem Geschehen folgte. Langsam tastete seine Hand nach seinem Schwert das in seiner Seite an seiner Hüfte baumelte und wollte gerade einen Schritt auf seinen Meister zu tun als ihn etwas zurück hielt. Aaron wandte den Kopf und erblickte Ryu der ihm behutsam die Hand auf die Schulter gelegt hatte.
„Wir dürfen uns jetzt nicht einmischen“, sprach er zuversichtlicher als er sich fühlte.
Hoffentlich bemerkte der Elf nicht wie verzweifelt er in diesem Augenblick war. Aaron Gesicht verzog sich zu einem gequälten Lächeln. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch nicht ein einziges Wort verließ seine Lippen. Stattdessen senkte er den Kopf und wandte sich wieder dem Geschehen zu. Sanft nahm Lilly die Hand des Elfen und auch Amalia legte ihm liebevoll die Hand auf die Schulter. Erleichtert atmete Aaron tief durch. Es war erstaunlich wie viel Kraft die Liebe, Zuversicht und Freundschaft der Kinder ihm gaben und neue Hoffnung machte sich in ihm breit. Nun war er sicher... Meister Rafael würde es schaffen.

Demonstrativ schwang Lucien die dunkle Klinge die in seiner Hand lag und ging mit langsamen aber festen Schritten auf Rafael zu. Ein Grölen ging durch die Reihen seiner Menge die sich um sie versammelt hatten. Im nächstem Augenblick blieb ging alles sehr schnell. Mit ebenso flinken wie geschmeidigen Bewegungen rannte Lucien auf Rafael zu und setzte zu einem Hieb an. Klirrend stießen die Schwerter aufeinander. Kleine Lichtblitze zuckten durch die Dunkelheit. Mit nur einer einzigen kraftvollen Bewegung seines Schwertes blockierte der Führer der Gilde des Lichts den Angriff. Doch die Kraft die von dem Hieb ausgegangen war durchzog seinen Arm wie Tausende von kleinen Nadeln die gleichzeitig in ein Ziel einstachen. Mit schmerzerfülltem Gesicht ließ Rafael das Schwert sinken.
„Nicht schlecht alter Mann“, spottete Lucien in der Hoffnung seinen Gegner in der Konzentration stören zu können.
Der Führer der Gilde des Lichtes lächelte matt ehe er schließlich eine günstige Position einnahm. Sein rechtes Bein lehnte leicht nach hinten und er konzentrierte all seine Kraft für einen schnellen, wirkungsvollen Angriff. Mit einem provozierenden Blick winkte er seinen Gegner heran. Wütend und ohne nachzudenken raste Lucien auf seinen Gegner zu und das Gefecht entflammte von neuem. Wie Raubtiere die Ihre Beute umzingelt hatten umkreisten sich Lucien und Rafael, immer darauf bedacht den anderen nicht aus den Augen zu verlieren. Die Schwerter der beiden tanzten so gekonnte und schnell durch die Hände der beiden Gegner das es den Herumstehenden schwer viel dem Kampfgeschehen mit ihrem bloßem Auge zu folgen. Hieb folgte auf Hieb. Parade auf Parade. Jeder wusste um was es ging und das auch nur die kleinste Sekunde der Unaufmerksamkeit oder auch nur der allerkleinste Fehler den sicheren Tod bedeuten würde. Da, plötzlich und unerwartet hielt Rafael inne. Für einen Moment betrachtete er prüfend seine Schwerthand aus der er einen stechenden Schmerz spürte. Eine tiefe, längliche Wunde klaffte an seinem Arm. Das Blut lief heiß an ihm herab und tropfte von seinen Fingerspitzen. Rafael blickte Lucien mit finsterer Miene an wobei er versuchte den Schmerz so gut es ging zu ignorieren. Er konnte dankbar sein das er noch am Leben war. Voller Angst schlug Amalia die Hände vor ihr Gesicht. Sie konnte und wollte diesem ungleichen Kampf nicht länger mit ansehen. Hilfe suchend lehnte sie ihren Kopf an Ryuichis Schulter und vergrub ihr Gesicht in seinem Umhang den er noch immer trug. Sanft strich der Junge ihr über die Wange und redete beruhigend auf sie ein ehe er spürte wie ihre Hand seinen Arm umklammerte.

Höhnisch lächelte Lucien seinen Fein an.
„Soll das alles gewesen sein. Ich hatte mehr von Euch erwartet Rafael“, beschwerte er sich.
Rafael antwortete nicht. Aus den Augenwinkeln heraus sah er die besorgten und von Angst erfüllten Gesichter der Kinder. Er durfte sich jetzt nicht aus der Ruhe bringen lassen. Er musste konzentriert bleiben. Um ihrer Willen.
„Lass es uns zu Ende bringen“, antwortete er schließlich entschlossen.
Lucien lächelte herausfordernd. Das würde er sich nicht zweimal sagen lassen. Erneut begannen sie sich mit schnellen Bewegungen zu umkreisen. Unter hellem Funken trafen die Waffen aufeinander. Ein Kräfte ringen begann. Keiner der beiden war auch nur im Ansatz dazu bereit jetzt nachzugeben. Zu viel hing von diesem Duell ab. Doch schließlich besann sich Rafael eines besseren und tat einen Satz rückwärts. Er keuchte und sein ganzer Körper rang nach Luft. Die Erschöpfung und der Schmerz standen ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Rufe des Entsetzens klangen aus den Reihen seiner Männer. Ohne zu zögern lief Lucien auf seinen Gegner zu. Gekonnt raffte sich Rafael auf und parierte den Angriff mit der Klinge, die er quer vor seinem Brustkorb hielt. Doch die Erschöpfung forderte nun letzt endlich ihren Tribut. Mit einem gekonnten Stoß stieß Lucien Rafael von sich weg, der dadurch ins Wanken geriet. Ehe irgendjemand glauben konnte was sich gerade vor den Augen hunderter von Männern abspielte geschah es. Ein schneller Hieb, ein Stich und ein Geräusch eines zu Boden fallenden Körpers durchzog die kühle Nachtluft.

Röchelnd lag Rafael vor Luciens Füßen. Blut strömte aus seiner durchschnittenen Kehle. Sein Körper bebte unter den Schmerzen des Todeskampfes. Seine Finger zuckten und seine Augenlieder flackerten unruhig auf und ab. Mit traurigem, fast schon mitfühlendem Blick trat Lucien zu ihm heran. Langsam hob er die Hand in der sein Schwert ruhte. Für einen Augenblick schien es als ob die Erde aufgehört hätte sich zu drehen und jedes Geschöpf den Atem anhielt. Mit einer schnellen Bewegung ließ Lucien die Klinge niederfahren, direkt in Rafaels Brustkorb. Ein letztes Mal bäumte sich sein Körper unter einem schrecklichen Schrei auf ehe er matt zu Boden glitt und seine Augen sich nun für immer schlossen. Mit einer ebenso schnellen Bewegung zog Lucien seine Klinge aus dem leblosen Körper und hielt sie triumphierend nach oben.
„Der große Rafael, der Führer der Gilde des Lichtes ist tot“, sagte er freudig und seine Augen funkelten genugtuend auf.

Kapitel 26.


Freudiges Grölen und Pfiffe dröhnten aus Luciens Heerscharen. Kochend vor Wut fletschte Aaron die Zähne. Der Ärger der sich in ihm anstaute kannte nun kein Halten mehr. Leises Schluchzen drang an sein Ohr. Doch nahm er es nur sehr unwirklich wahr, so als sei all Dies nur ein schlechter Traum aus dem er bald erwachen würde. Erschrocken spürte Ryu, wie die Energien seines Freundes von Sekunde zu Sekunde zu nahmen. Lange würde er ihn nicht mehr zurückhalten können… . Energisch legte er dem Elf die Hand auf die Schulter, doch unter seinem Griff begann Aaron sich hin und her zu winden.
„Ryuichi. Lass mich los“, rief er energisch und funkelte den Jungen dabei mit einer Mischung aus tiefer Traurigkeit und purer Verzweiflung an.
Bevor Ryu auch nur den Mund öffnete, hatte Aaron seine Hand von der Schulter gestreift und tat einen Schritt vorwärts, ehe er noch einmal einen kurzen Blick zurück warf. Alles was er sah, war Traurigkeit. Zumindest ließen die Gesichter der Mädchen diesen Schluss zu. Nur in Ryu’s Gesicht erkannte er noch etwas anderes. Hinter einer Fassade des grauenhaften Entsetzens verbarg sich ... er konnte es nicht ganz sicher erkennen... oder doch? Hinter dieser Fassade glaubte er einen Funken Verständnis zu sehen. Doch wie sollte er ihm unter die Augen treten oder erklären was tief in ihm vor sich ging? Entschlossen drehte er den Kopf herum und seufze leise.
„Es tut mir leid“, warf er Ryuichi über die Schulter hinweg zu, ehe er in der Menge verschwand.

„Aaron“, rief Ryu ihm besorgt nach und wollte ihm folgen, doch Amalia packte ihm am Arm und zog ihn an sich.
„Es bringt nichts, wenn du jetzt dein Leben verlierst. Tot nützt du niemanden etwas“, flüsterte sie während sie ihn in die Arme schloss.
Angenehm überrascht erwiderte Ryu ihre Umarmung und umschloss behutsam mit seinen Armen ihre Hüfte. Er atmete einige Male tief durch um seine Fassung wieder zu gewinnen, ehe er Amalia direkt in die Augen sah.
„Ich werde jetzt gehen. Ich kann nicht tatenlos zusehen wie Lucien Aaron tötet“, erklärte Ryuichi entschlossen.
Erschrocken löste sich die junge Dunkelelfe aus seinen Armen und baute sich vor ihm. Sie wollte ihm so viel sagen... doch wie sie ihm nun in die Augen sah war das einzige was sie heraus brachte ein verzweifeltes Kopfschütteln.
„Und du denkst du hättest eine Chance“, versuchte sie ihn zur Vernunft zu bringen.
Ryuichi wandte ihr langsam den Rücken zu. Sie sollte nicht sehen wie verzweifelt er war. Wenn er sie jetzt ansah, so wusste er, würden ihre Augen ihm alle Entschlossenheit nehmen. Doch war der Drang sie anzusehen stärker als seine Vernunft. In einer kurzen Bewegung fuhr er herum und rang sich ein gequältes Lächeln ab.
Den Tränen nahe betrachtete sein Gesicht ehe sie ihre zittrige Hand an seine Wange schmiegte. Erst zögerlich, dann mit großer Entschlossenheit legte Ryuichi seine Hand über die Ihre. Er fühlte ihren Herzschlag, konnte den Schmerz in ihr beinahe greifen. Noch ehe er einen klaren Gedanken fassen konnte, zog er sie vorsichtig an sich. Langsam näherte er sich ihrem errötetem Gesicht und ihre Lippen trafen sich. Ein Gefühl, so stark wie nichts, dass er kannte oder in Worte hätte fassen können durchzog ihn, so herrlich warm, so voller Kraft und Hoffnung. Kleine Tränen rangen Amalias Wange hinunter und als sie seine zärtliche Liebkosung erwiderte. Unter Tränen löste sie sich schließlich von ihm und stieß ihn von sich.
„Jetzt geh“, wies sie ihn in an.
Ohne weiter zu zögern wandte Ryu sich und tat einige Schritte.
„Und Ryu. Das du ja wieder kommst hörst du“, schrie sie ihm nach.
Demonstrativ hob Ryuichi seinen linken Arm und ballte seine Hand zur Faust, ehe er schließlich in der Menge verschwand.

Währendessen hatte Aaron sich bereits den Weg gebahnt und stieß den letzten Mann neben sich zur Seite. Geschockt hielt er inne als er den leblosen Körper seines Meisters erblickte.
Seine Augen waren blau unterlaufen und seine Finger krampften sich um die Klinge, die er noch immer in der Hand hielt. Erneut stieg Wut in ihm auf. Niemand durfte den Meister so entstellen.
Entschlossen zog Aaron sein Schwert und stürmte auf Lucien zu.
„Du Bastard“, schrie er während er zum Hieb ausholte.
Mit einem amüsierten Blick parierte Lucien den Angriff und packte den Elf blitzschnell am Schlafittchen. Lachend hob er ihn und einige seiner Männer stimmten in den Hohn ein.
„Dein Mut ehrt dich. Aber dies ist entschieden“, sprach er schließlich kalt und stieß ihn direkt auf Rafaels leblosen Körper.
Röchelnd fasste Aaron sich an die Kehle ehe er ihn düster anfunkelte. Luciens Augen verengten sich wütend zu kleinen Schlitzen.
„Vielleicht sollte ich dich direkt zu ihm schicken“, sagte er während er sein Schwert packte und in die Höhe hielt.
Doch Plötzlich... völlig irritiert, ließ er die Waffe sinken und ein breites, boshaftes Grinsen zog durch sein Gesicht. Eine ihm vertraute Stimme dröhnte aus der Menge hinter ihm.
„Lucien, haltet ein in dem Wahnsinn“.
Zunächst konnten Luciens Augen nichts erkennen, doch letzt endlich wich die erstaunte Menge zurück und vergrößerte so den Kreis. Mit Entzücken betrachtete er die Gestalt.
Es war der älteste der Auserwählten.
„Warum wohl sollte es mich interessieren deine Bitte nachzukommen, wenn ich eines meiner größten Probleme aus dem Weg räumen könnte“, fragte Lucien provokant wobei er sich über das Kinn strich.
„Weil es nicht der Elf ist den Ihr wollt“, sprach Ryu und versuchte dabei so überzeugend wie möglich zu klingen.
Unter Raunen und Getuschel der Umstehenden Männer tat er einen Schritt auf Lucien zu. Der Wind frischte auf und ließ seinen Umhang flattern.
In diesem Moment hatte Ryuichi eine Entscheidung getroffen. Er wusste nicht wieso dieser Mann hinter ihm her war doch wenn es seine Familie und Freunde rettete...blieb ihm keine Wahl.

Fassungslos sah Aaron den Jungen an. Er konnte einfach nicht glauben, was sich vor seinen Augen abspielte. Woher nahm dieser Junge nur den Mut?
„Du hast Mut Knabe. Das muss man dir lassen. Doch weißt du auch worauf du dich da einlässt“, fragte Lucien honigsüß und begann den Jungen zu umkreisen, doch Ryu ließ sich nicht verunsichern.
„Also was willst du“, entgegnete Lucien endlich, der plötzlich dicht neben Ryu inne hielt.
„Alles was ich will ist das Leben dieser Männer und meiner Freunde“, forderte Ryu so selbstbewusst er konnte.
Für einen Moment schien sich etwas in Luciens Gesicht zu regen und es sah so aus als sei er überrascht von dem Mut des Jungen, ehe er wieder eine undurchsichtige Miene aufsetzte.
„Dann schlage ich vor, dass du mit uns kommst. Denn du hast Recht. Es ist weder der Tod dieses Gesindels“, begann Lucien abwertend während sein Blick Aarons Gesicht streifte.
„Noch der Tod deiner Familie den ich wünsche“, setzte er fort und sein Blick fiel auf die junge Dunkelelfe, die gerade am Rande der Menge auftauchte.
Ryuichis Augen folgten Luciens Ausführungen ehe sie auf Isabellas Gesicht die nur ein paar Meter von ihm entfernt stand ruhten. Für den Bruchteil einer Sekunde kam es ihm vor, als gäbe es nur sie und ihn. Ein merkwürdig vertrautes Gefühl durchfloss seinen Körper und er wurde ruhiger.
Isabella lächelte und nickte ihm zuversichtlich zu, fasst so als wüsste sie was er vorhatte. In diesem Augenblick wusste Ryu was er zu tun hatte.
„Also gut Lucien. Mach mit mir was du willst aber verschone das Leben der anderen“, sagte Ryu schließlich, wobei er langsam den Kopf senkte.
„Kluges Bürschen“, akzeptierte Lucien letztlich die Abmachung.
Amalia starrte wie gebannt zwischen Ryuichis und Isabellas Gesicht hin und her. Wütend ballte sie die Hände zu Fäusten und hätte am liebsten aus vollen Kräften geschrien, doch sie wusste, dass sie sich ruhig verhalten musste wenn sie leben wollte. Zumindest vorläufig.

Lachend baute sich Lucien vor dem Jungen auf.
„Lino, nehmt unseren Ehrengast in Empfang“, befahl er.
Kurz darauf griffen zwei starke Arme nach Ryu und packten ihn mit festem Griff. Für einen Augenblick zog er in Erwägung, sich zu währen, entschied sich endlich doch dafür die Ruhe zu bewahren.
„Komm mit Junge“, sagte Lino tonlos während er Ryuichi vorbei an Amalia durch die Menge zog, die bereitwillig Platz machte.
Ohne ein weiteres folgte Lucien den Beiden, gefolgt von Isabella die sich große Mühe gab Ryu einzuholen.
„Männer wir haben was wir wollten. Wir ziehen und zurück“, wies Lucien seine Männer an, der ausnahmsweise einmal zu seinem Wort stand. Unter großem Lärm folgte die Menge seinen Anweisungen.
Auch Aaron, der sich inzwischen wieder aufgerappelt hatte gab seinen Männern das Kommando zum Rückzug. Alle trotteten mit gesenkten Köpfen an ihm vorbei.
Alle außer Zwei.

Noch immer stand Amalia mit Lilly, die sich an sie gedrückt hatte wie gelähmt da. Heiße Tränen liefen ihre Wangen herab. Für eine Weile stand sie einfach nur da. Ihr Blick leer und jeder Teil ihres Körpers zitterte. Noch ein Augenblick verstrich, ehe sie Liliana los ließ und schluchzend in die Knie ging. Ihre Tränen liefen über ihre Nasenspitze und färbten den Boden unter ihr dunkel.
„Nein!! Das darf nicht sein!“, schrie sie heraus und rammte ihre Fäuste mit aller Kraft in den Erboden. Sie spürte den Schmerz nicht. In ihr war nichts als ein schwarzes Loch der Trostlosigkeit das sie verschlingen wollte.
Behutsam legte Aaron ihre eine Hand auf die Schulter. Zunächst geschah nichts. Amalia kniete noch immer in einer kleinen Lache aus Blut das von ihren Händen rann. Endlich legte sie ihre Hand über die von Aaron und wandte ihm den Kopf zu.
„Bitte mach dir keine Sorgen um Ryu. Sie werden ihm nichts tun. Lebend ist er vorläufig mehr Wert“, redete er beruhigend auf sie ein.
Langsam zog sich Amalia an Aaron Arm nach oben und ihr Schluchzen verflog im Wind.
„Wir werden ihm Helfen. Hab ich Recht“, versicherte sie sich.
„Das werden wir. Das werden wir“, sprach Aaron sanft während seine Stirn sich in Falten legte.
Wie im Namen der großen Göttin sollten sie das anfangen?

Kapitel 27.


Zügig schritten Luciens Männer voran. Mitten in der Menge wand sich Ryu in Linos Händen hin und her und versuchte krampfhaft sich zu befreien.
„Nimm deine dreckigen Finger von mir“, rief er aufgebracht.
Lino lachte amüsiert und zog mit dem kleinen Dolch den er immer bei sich trug eine kleine Schramme über den Arm des Jungen, gerade tief genug das kleine Bluttropfen hervortraten und Ryu zusammen zuckte.
„Du bist nicht an der Reihe Forderungen zu stellen Kleiner“, berichtigte er nur all zu vergnügt.
Ryuichi atmete tief durch. Er musste ruhig bleiben wenn er hier wieder lebend heraus kommen wollte. Um nicht noch weiter darüber nachzudenken beobachtete er die Männer die siegestrunken an ihm vorbei liefen. Einige von ihnen warfen Lino einen mitleidigen Blick zu und raunten ein „Viel Vergnügen“,.

Mit ein paar schnellen Schritten holte Isabella Lino und den Jungen ein. Sie konnte beobachten wie dieses kleine Scheusal Ryu immer wieder kleine Kratzer zufügte. Dieser Anblick ließ sie schlucken und sie konnte nur mit Mühe das schlechte Gefühl das sich in ihrem Magen breit machte unterdrücken. Doch endlich tauchte sie direkt neben Lino her.
„Lino. Mein Vater sagt ich soll dich ablösen“, sagte sie so kalt und arrogant sie nur konnte. Sie konnte es sich nicht leisten unglaubwürdig zu klingen.
Skeptisch betrachtete Lino Isabellas Gesicht. Es war ernst und keine Spur einer Lüge war darin zu erkennen. Nur wiederwillig ließ er schließlich von dem Jungen ab und steckte seinen Dolch wieder in sein Gewand.
„Passt mir gut auf ihn auf“, forderte er sie auf.
„Macht Euch keine Sorgen. Ich werde schon meinen Spaß mit ihm haben“, erklärte das junge Mädchen zynisch, woraufhin sich Lino zurück fallen ließ.

Einige Male schaute sich Isabella sich um, um sicher zu gehen das sie niemand beobachtete. Das Glück schien es gut mit ihr zu meinen, niemand achtete auf sie.
Langsam näherte sie sich den Jungen und packte ihn demonstrativ am Arm.
Ryu zuckte zusammen als sich ihre Hand über seine frischen Wunden legte. Aber bald schon merkte er, dass ihre Nähe nicht so unangenehm war wie er gedacht hatte, im Gegenteil, sie fühlte sich richtig an. Letztlich wandte er den Kopf und sah ihr ins Gesicht. „Was machst du hier“, fragte er erstaunt.
Isabella lächelte ihn an.
„Dir helfen“, antwortete sie kurz angebunden, woraufhin der Junge nur den Kopf schüttelte.
„Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe“, brachte er nur flüsternd heraus, wobei es ihm im nächsten Augenblick schon wieder leid tat sie so zu behandeln.
Isabella jedoch ignorierte diese Bemerkung und sah ihn fest an. „Würde ich das tun wärest du und deine Freunde längst tot“, stellte sie fest.
Ryu öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch darauf viel ihm beim besten Willen kein Gegenargument ein.
„Und jetzt halt still“, sagte sie ehe sie einen kleinen Dolch zückte den sie auf dem Schlachtfeld gefunden hatte und die Handfesseln durchtrennte.
Überrasch sah Ryu Isabella an. Im war nicht klar warum sie es tat, aber er war ihr äußerst Dankbar.
„Danke“, sagte er aufrichtig, woraufhin das Mädchen lächelte. „Wenn du am Leben bleiben möchtest, schlage ich vor du verhältst dich so ruhig wie möglich. Je weniger man auf dich achtet desto besser. Und jetzt versuche dich zu entspannen“, flüsterte sie ihm zu.
Verdutzt runzelte Ryu die Stirn. Das war leichter gesagt als getan wenn man umringt von Menschen ist die einem am liebsten Tod sehen würden. Aber dennoch gelang es ihm die Augen zu schließen und an nichts anderes mehr zu denken als an Amalia und seine Schwester. In seinen Gedanken waren sie immer bei ihm und diese Gewissheit schenkte ihm ein Gefühl tiefer Zufriedenheit.

Erleichtert begann Isabella sich zu konzentrieren. Voller Selbstsicherheit schloss sie die Augen und legte ihre Hand auf Ryus verletzten Arm. Wie schon einige Male an diesem Tag sagte ihr etwas tief in ihr, das dies geschehen sollte, dass es richtig war was sie tat...
Noch einmal atmete sie tief durch und ließ sich schließlich ganz in das so angenehme Gefühl der Ruhe fallen, dass der Junge ausstrahlte. Sie wusste nicht wieso ... doch sie mochte diese Energie die ihr so vertraut schien. Wie von selbst begannen ihre Lippen Worte zu Formen. Sie hatten einen schönen zu gleich jedoch mystischen klang. Noch einen Augenblick lang ließ Isabella ihre Augen geschlossen nur um sie im nächsten Moment langsam zu öffnen. Ein klares weißes Licht strömte um ihre Hände. Sie konnte die Macht in sich fühlen. Noch nie zu vor hatte sie diese Fähigkeit bei jemanden verwendet, doch nun wusste sie, dass ihre Studien nicht umsonst gewesen waren. Zufrieden beobachtete sie wie sich die die Wunden auf dem Arm des Jungen unter ihren Fingern schlossen.
Überrascht riss Ryu die Augen auf und sah Isabella schließlich fragend an.
„Wie um alles in der Welt hast du das gemacht“, brachte er heraus während er sich prüfend mit dem Finger über den Arm strich.
Nichts erinnerte mehr an die vielen kleinen Verletzungen die ihm Lino zugefügt hatte. , außer einigen wenigen Rötungen.

Das junge Mädchen lächelte ihn an. Im nächsten Moment jedoch alles Liebenswerte und anmutige aus ihrem Gesicht und sie verringerte ihr Tempo. Erneut schloss sie für einen Augenblick die Augen und spitzte ihre Ohren. Irgendwo in einigen Metern Entfernung vernahm sie Linos und die kalte , gefühlslose Stimme ihres Vaters. Nur wage verstand sie die Worte die sie miteinander wechselten. Sie musste sich besser konzentrieren, wenn sie begreifen wollte um was es ging. Doch in diesem Lärm war dies eine denkbar schwieriges Unterfangen.

Nervös betrachtete Ryu Bella. Er wusste nicht wieso aber der Ausdruck der nun auf ihrem Gesicht lag beunruhigte ihn.
„Was hörst du“, fragte er leise.
„Still“, zischte Isabella mahnend ehe sie ihn unbeholfen am Arm packte und sich mit ihm ein wenig zurück fallen ließ.
Gerade genug um ihren Vater deutlich hören zu können.

Neugierig sah Lino Lucien an mit dem er eben über eine neue Taktik diskutierte. Sein Blick fiel auf Isabella die in einiger Entfernung vor ihnen lief.
„Mein Herr, was soll nun aus dem Jungen werden“, fragte er betont beiläufig.
Ein breites, bösartiges Lächeln trat in Luciens Gesicht.
„Seid unbesorgt mein Lieber. Den Jungen erwartet bei unserer Ankunft eine nette kleine Überraschung. Er wird keine Gelegenheit mehr haben unsere Pläne zu stören“, erklärte er erfreut wobei er das Wort klein besonders hervorhob.
Lino erwiderte nichts, seine Blicke jedoch sprachen in diesem Moment Bände. Der Junge würde gewiss nicht mit dem Leben davon kommen …
Er schluckte leise um sich das Entsetzten nicht anmerken zu lassen das in ihm aufstieg und zum ersten Mal kamen ihn ernsthafte Zweifel an seinem Herrn. Er spielte zu leichtsinnig mit Menschenleben. Der Junge war lebend tausend Mal Wert als tot. Aber natürlich würde er nicht wagen so etwas zu sagen…
Eine Weile liefen sie schweigend neben einander her ehe Lucien die Stille durchbrach.
„Und meine Tochter wird ihre Strafe erhalten müssen fürchte ich“, erklärte er mit einem Hauch von Mitgefühl in der Stimme.

Völlig entsetzt von dem Gehörten, verlangsamte Isabella ihren Schritt. Jeder einzelne Muskel ihres Körpers krampfte und schien ihr plötzlich den Dienst zu verweigern. Panisch versuchte sie einen Fuß vor dem anderen zu setzten, doch es war sinnlos. Ihre Füße gehorchten ihr nicht und sie spürte wie die Kraft aus ihrem Körper zu schwinden begann.
Besorgt sah Ryu zu Bella hinüber als er spürte wie sie sich immer stärker auf ihn stützte bis er ihr gesamtes Gewicht auf seinem Arm fühlte. Voller Angst fasste Isabella sich an den Hals. Ihr schlanker Körper rang nach Luft und sie röchelte unbeholfen. Etwas schnürte ihr die Kehle zu… Sie kam dieses beklemmende Gefühl der Angst nicht an, was immer stärker von ihr Besitz ergriff.
„Was hast du“, fragte Ryuichi besorgt.
Widerwillig wandte Bella den Kopf. Wie nur sollte sie ihm erklären was sie gehört hatte? Wie nur konnte sie ihm sagen das er sterben würde…
„Was hast du gehört“, fragte Ryu erneut und seine Stimme klang dabei sehr fordernd.
Ohne ihn anzusehen öffnete Bella ihren Mund, ihren Blick in die Ferne gerichtet. Sie konnte und wollte ihn jetzt nicht ansehen.
„Es ist mein Vater“, raunte sie mehr als sie sprach, worauf Ryu registrierend nickte.
„Er plant etwas. Mein Vater will die Gefahr die von dir ausgeht ein für alle Mal aus dem Weg schaffen“, brachte sie stammelnd hervor.
Völlig perplex schaute Ryuichi das junge Mädchen an und hoffte inständig sich verhört zu haben. Das das nur ein böser Traum sei und er bald aufwachen würde. Noch einmal sah Ryu sie an und er begriff. Dies war alles andere als ein Traum.
„Mit anderen Worten er will mich töten“, vollendete er Isabellas Worte woraufhin sie nur zustimmend nickte.
Panisch riss Ryuichi die Augen auf und starrte ihr direkt ins Gesicht. Doch schon bald beruhigte er sich und ein merkwürdig kühles Gefühl erfasste ihn. Er bereute seine Entscheidung nicht. Eine Stimme tief in ihm sagte ihm, dass dies alles geschehen musste. Nur so hatte er seine Freunde und Familie retten können. Und wenn der Preis für ihre Sicherheit sein Leben war … so würde er ihn bedingungslos zahlen.

Mitfühlend sah Isabella ihn aus den Augenwinkeln heraus an und drückte schließlich zuversichtlich seine Hand.
„Wir werden eine Lösung finden. Das verspreche ich dir. Aber jetzt sei still und tu was ich sage“, flüsterte sie ihm zuversichtlicher zu als sie sich fühlte und hoffte insgeheim das er ihr glaubte. Zustimmend nickte Ryu ehe er spürte wie sie ihn wieder stärker am Arm packte und das Schritttempo deutlich beschleunigte.

Weiter marschierten Luciens Männer durch die Dunkelheit. Niemand wagte mehr ein Wort zu sprechen. Zu groß war die Erschöpfung dieser Nacht. Bei einigen zu tief der Schmerz des Verlustes. Nicht wenige hatten an einem Abend ihre gesamte Familie verloren und wandelten nun Mutterselen allein über die Erde. Der Weg war sehr lang und beschwerlich. Die Landschaft zog an ihnen vorbei, wild und unberechenbar. Sie durchquerten kleinere Flüsse, passierten dichte Wälder und einige wenige kleine Ansammlungen von notdürftig gebauten Hütten die auf dem Weg lagen.

Endlich, in den frühen Morgenstunden des neuen Tages erreichten sie die festen und Sicherheit spendenden Mauern Syrith’s. Hier trennten sich die Wege. Viele der Männer kehrten in ihre Häuser zurück wo, wenn sie Glück hatten ein Weib und eine warme Mahlzeit auf sie wartete. Nur eine recht klein wirkende Gruppe schlängelte sich erhobenen Hauptes durch die Straßen und Gassen der Stadt, hinauf zur nördlichen Mauer. Mit beeindruckter Miene betrachtete Ryuichi den Anblick der sich ihm bot. Das Gebäude war nicht minder beeindruckend als der Sitz der Gilde des Lichtes. Allerdings machte es einen sehr heruntergekommenen Eindruck.
Die Gruppe hielt vor dem noch geschlossenen Tor inne. Erschrocken wandte Ryu den Kopf als er bemerkte, wie jemand Isabella mit aller Kraft von ihm zerrte.
„Packt ihn“, rief Lucien mit einem widerwertigen Unterton ihn der Stimme, der zwei seiner Männer mit einer kurzen Bewegung seines Armes den Befehl erteilte.
Instinktiv wich der Junge zurück. Doch noch im selben Augenblick wurde er von zwei starken Armen gepackt. Verzweifelt wandte er sich hin und her doch je mehr er sich bewegte desto größer wurden die Schmerzen die durch seine Arme jagten.
„Lasst mich los ihr feigen Hunde“, rief er wütend aus.
Mit einem breiten, boshaften Lächeln ging Lucien auf den Jungen zu. „Bringt unseren Gast hinunter in den Kerker und sorgt dafür, dass er es auch bequem hat. Ich möchte schließlich das sich unser Ehrengast wohlfühlt“, wies er seine Männer zynisch an und Ryu demonstrativ über sein hübsches Gesicht strich.
Angewidert wandte Ryu den Kopf. Lachend drehte er Ryuichi den Rücken zu und wandte sich an Lino der mit Isabella hinter ihm stand.
„Lino, Ihr werdet meine Tochter in mein Arbeitszimmer bringen. Ich habe mit ihr zu reden“, erklärte er ohne Isabella auch nur eines Blickes zu würdigen.
Nur widerwillig packte Lino das junge Mädchen am Arm und bedachte seinen Herren mit einem registrierenden Blick.
Auf Befehl öffnete sich das Tor und die Gruppe setzte sich in Bewegung. Mit eiligem Schritt bahnten sich die beiden Männer mit Ryuichi im Schlepptau den Weg durch die Menge und waren schon bald außer Sichtweite.
Einige Minuten liefen Lino und Isabella schweigend durch die Korridore wo sie hin und wieder mit fragenden Blicken bedacht wurden.
„Warum lasst ihr mich nicht einfach los. Es würde niemand bemerken“, flüsterte das Mädchen leise, die Linos halbherzigen Griff an ihrem Arm spürte.
Mit einem gequälten Lächeln sah er sie an.
„Das würde ich nur zu gern tun my Lady. Euer Vater wird euch nichts tun. Doch wenn ich Euch jetzt gehen lasse wird er uns beide töten und ihr hättet keine Gelegenheit mehr dem Jungen zu helfen“, erklärte er. Erstaunt und zugleich verständnisvoll sah Bella ihn an. Sie konnte sich nicht erklären woher er ihre Absichten kannte, doch das war im Moment das weitaus kleinere Problem. Gern hätte sie etwas erwidert, doch brachte sie in diesem Augenblick kein einziges Wort über die Lippen. Kaum merklich hatten sie die Tür zu Luciens Arbeitszimmer erreicht und Lino öffnete sie mit bedacht. Sie traten ein und er ließ ihren Arm los.
„Wartet hier. Euer Vater wird sicherlich gleich da sein“, sagte er als seine Ohren auch schon schwere Schritte hinter sich wahrnahmen.

Rasch passierte Lucien die offen stehende Tür und warf Lino einen flüchtigen Blick zu.
„Lasst uns allein“, knurrte er, woraufhin Lino eiligst das Zimmer verließ.
Mit einem lauten Knall und außer sich vor Wut schmiss Lucien die Tür hinter ihm zu, wobei eines der Gemälde das bisher unschuldig an der Wand gehangen hatte zu Boden viel und klirrend in tausend kleine Stücke zerbrach. Nun waren nur noch er und seine Tochter übrig. Erschrocken zuckte Isabella zusammen während ihr Vater demonstrativ an ihr vorbei schritt und sich erhaben vor ihr aufbaute. Das schlimmste erwartend kniff sie die Augen zusammen und wagte es nur einmal kurz zu blinzeln. Grausame Stille erfüllte den Raum. Nichts regte sich. Nur der Schatten des Astes vor dem Fenster tanzte über die Wand. Langsam öffnete Bella ihre Augen und sah ihren Vater mit einem forschenden Blick an. Doch er rührte sich nicht. Er stand nur da, die Hände zu Fäusten geballt. Die Ader an seiner Stirn pulsierte, sein Körper bebte bei jedem Atemzug von ihm. Er kochte vor Wut. Noch ehe Isabella einen weiteren klaren Gedanken fassen konnte durchfuhr ein stechender Schmerz ihren Körper, der sie in die Knie gehen ließ. „Du ungehorsames Balg“, begann Lucien außer sich während er seine Tochter vorwurfvoll ansah. „Vater bitte verzeiht mir. Er war nur ein Kind“, versuchte Isabella verzweifelt zu erklären doch ihr Vater gebot ihr mit einer einzigen Bewegung zu schweigen.
„Kein Wort mehr. Du hast versagt. Versagt dabei ein kleines Kind zu beseitigen“, schrie er laut.
Bella öffnete ihren Mund um etwas zu erwidern doch Lucien packte sie am Kragen und zwang sie so aufzustehen.
„Du bist genau so ein nutzloses Weib wie deine Mutter es war“, stellte er fest während er seine Tochter voller Abscheu in die Augen sah und sie schließlich los ließ.

Für einen Augenblick stand Isabella reglos da. Sie begann zu schluchzen und kleine Tränen rannen über ihre Wange. Es war nicht der Schmerz der ihre Augen mit Tränen füllte. Es war die bloße Wut auf den Mann der sich ihr Vater nannte. Wie konnte er so über seine eigene Frau reden?
„Meine Mutter war eine hübsche und weise Frau“, erwiderte sie mutig und klammerte sich dabei an das einzige was ihr Vater je über sie erzählt hatte.
Lucien lachte laut auf ehe er dicht an ihrem Gesicht auftauchte und ihr durch das blonde Haar strich.
„Ich will dir sagen was sie war meine Liebe. Sie war meine kleine Hure. Ein einziges Spielzeug meiner Lust. Und du bist ihr kleiner Bastard. Ihr genaues Ebenbild“, sagte er höhnisch.

Voller Zorn funkelte Isabella ihn aus ihren dunklen Augen heraus an und zwang sich zu Selbstbeherrschung. Ein unbeschreiblicher Schmerz durchfuhr sie… als würde ein Teil von ihr sterben. Alles woran sie geglaubt hatte lag in diesem Moment wie kleine Scherben vor ihr, zerbrochen und irreparabel. Wie ein Teppich aus Trauer und Verzweiflung der einfach kein Ende nehmen wollte. Tausende von Gedanken und Empfindungen rasten wie kleine grausame Filme durch ihren Kopf. Erneut sah sie das Gesicht des Jungen vor ihren Augen und konnte die Aura die ihn umgab förmlich spüren. Der feste Entschluss der sich schon bei der ersten Begegnung eingestellt hatte wurde wieder in ihr wach, wurde stärker und stärker bis er schließlich zu einer festen Erkenntnis wurde.
Sie würde diesen Jungen beschützen. Koste es was es wolle. Doch etwas anderes riss sie je aus diesem Gedanken. Hatte ihr Vater sie nicht gerade als Bastard beschimpft? Plötzlich lag die Antwort auf all ihre Fragen vor ihr… diese Augen … diese Energie…
Was wenn der Junge nun …
„Und der Junge? Was wollt ihr mit ihm Vater“, fragte sie betont hinterhältig und mit aller Abscheu die sie aufbringen konnte.
„Er ist ein Bastard deiner Mutter. Ich werde nie verstehen warum die Göttin ihn auserwählt hat und nicht dich“, sagte er verständnislos.

Isabella traute ihren Ohren nicht. Ihr kleines Herz schlug wild in ihrer Brust. Sie rang nach Atem. Ryu war ihr Bruder… sie hatte sich nicht geirrt. Ihre Intuition hatte sie nicht getäuscht.
Voller Verachtung sah sie ihren Vater an, wagte aber nichts zu sagen. Zu groß war der Schmerz in ihr. Nie wieder würde sie diesem Mann trauen. Sie würde den letzten Teil ihrer Familie, der ihr geblieben war mit allem was ihr heilig war schützen.
„Und jetzt geh mir aus den Augen. Ich habe zu tun“, knurrte Lucien sie an während er ihr mit der Hand die Tür wies.
Ohne ein weiteres Wort verließ Isabella das Zimmer.

Kapitel 28.


Schweißgebadet erwachte Liliana an diesem Morgen aus einem fürchterlichen Alptraum. Kleine Schweißperlen rannen von ihrer Stirn und tropften von ihrer Nasenspitze. Hoffend das all die Ereignisse nur das Produkt ihrer Fantasie gewesen seinen sah sie sich im Zimmer um. Sie erblickte Amalia die noch immer unruhig in ihrem Bett lag und schlief. Das Laken und die Decke waren verknotet und verknittert, sie musste genau so einen unruhigen Schlaf haben wie sie selbst.
Traurig sah sie aus dem Fenster. Es regnete und dicke Regentropfen klopften gegen das an diesem Morgen ebenfalls traurig wirkende Fenster. Die Figuren die sonst so ehrfürchtig wirkten schienen so traurig und verzweifelt, wie sie selbst.
Aus einem inneren Drang heraus stieg die junge Dunkelelfe aus dem Bett und schlich auf Zehenspitzen zur Tür, die sie leise öffnete und das Zimmer verließ.

Wie von selbst fanden ihre Füße den Weg durch das Gebäude, dass nur von den Öllampen an der Wand erhellt wurde. Schließlich fand sie sich vor dem Zimmer ihres Bruders wieder und betrat es lautlos. Alles lag noch genauso da, wie er es kurz zuvor verlassen hatte. Ein Glas und ein mit Wasser gefüllter Krug standen auf dem Tisch. Das Bett war fein säuberlich gemacht und wartete geduldig auf die Rückkehr des Jungen.
Langsam durchstreifte sie das Zimmer und ließ sich am Fußende des leeren Bettes nieder. Noch immer hoffte sie die Decke würde sich jeden Augenblick heben und ihr großer Bruder würde sie liebevoll in die Arme schließen und sie trösten so wie er es immer getan hatte wenn sie schlecht geträumt hatte.
Doch nichts von allem geschah …
Tapfer versuchte sie gegen die Tränen anzukämpfen die in ihr aufstiegen, doch es gelang ihr nicht. Traurig griff sie nach dem Kissen und vergrub ihr Gesicht darin. Einige Augenblicke später erfüllten lautstarke Schluchzer das Zimmer.

Eine halbe Stunde war verstrichen als die Kleine plötzlich aufschrak. Die Tür hatte sich knacksend geöffnet und jemand war herein gekommen. Nervös versuchten ihre von den Tränen geröteten Augen die Gestalt zu erkennen die sich ihr langsam näherte. Schließlich erkannte sie Amalia und atmetet erleichtert durch. Für einen Moment sah Liliana die junge Dunkelelfe an ehe sie ihr Gesicht wieder in dem Kissen vergrub.

Leise näherte sich Amalia dem Bett.
„Liliana was tust du hier“, fragte sie verschlafen während sie sich streckte und sich neben der Kleinen nieder ließ.
Mit einem gequälten Lächeln im Gesicht blickte Lilly ihr schließlich entgegen.
„Ich vermisse meinen großen Bruder Amalia. Er ist nicht mehr da“, sagte sie traurig und abermals lief eine Träne ihre Wange hinunter.
Liebevoll legte das junge Mädchen den Arm um sie und strich ihr sanft über sie Wange.
„Ich weiß Sternchen“, begann sie während sie sie sanft an sich drückte.
„Das tue ich auch. Glaub mir alles wird gut werden“, sprach sie beruhigend auf sie ein und gab ihr einen Kuss auf sie Stirn.
Doch tief in ihrem Inneren kämpfte sie selbst mit den Tränen die sich übermächtig in ihr auszubreiten drohten. Vertrauensvoll schmiegte sich Lilly an die Dunkelelfe und schloss die Augen bis sie schließlich noch einmal eindöste und ihr Kopf auf den Schoß sank.

Eine Weile saßen sie einfach an einander gekuschelt da ehe sie Schritte vom Korridor vernahmen. Mit einem erleichterten Lächeln registrierte Amalia die Energie die sich näherte. Sanft hob sie Lilly von ihrem Schoß und legte sie unter die Decke, wo sie sich genüsslich einrollte. Nur ein Augenblick verstrich, ehe sich die Tür öffnete.
„Ich hätte es wissen müssen, dass ich Euch hier finde“, sprach der Elf mitfühlend. Die junge Dunkelelfe erwiderte nichts sondern nickte ihm nur zustimmend entgegen.
„Seid doch leise, sie ist gerade eingeschlafen“, entgegnete Amalia während sie mit der Hand sanft über die Wange der Kleinen strich. Langsam näherte sich Aaron und legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter.
„Du vermisst ihn sehr nicht wahr“, stellte er fest.

Betroffen erhob sich die junge Dunkelelfe vom Bett und verließ gefolgt von Aaron das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.
„Ihr könnt Euch nicht vorstellen wie sehr“, erklärte sie gequält.
„Es tut mir sehr leid. Wenn ich nur besser auf ihn Acht gegeben hätte“, stellte Aaron selbstzweifelnd fest und wagte es nicht dem Mädchen in die Augen zu sehen.
Protestierend schüttelte Amalia den Kopf.
„Dank Euch sind wir und so viele andere noch am Leben. Und Ryu wusste was er tat. Er hat es getan um uns alle zu schützen“, erklärte sie. Noch ehe der Elf etwas entgegnen konnte wurden sie je in ihrem Gespräch unterbrochen.

Ein junger Mann kam gerade Wegs auf sie zu und beschleunigte seine Schritte als er Aaron erkannte.
„Hier seid ihr Herr“, begann er leicht außer Atem.
„Was gibt es denn“, erkundigte sich der Elf.
„Herr, die Männer haben den Leichnam von Meister Rafael in der Zitadelle von Ellys aufgebaut.“, berichtete der junge Mann aufgebracht.
Erstaunt blickten Amalia und Aaron sich an.
„In Ellys? Wann soll die Beerdigung stattfinden“, hackte der Elf nach, der nicht erwartet hatte, dass dies alles so schnell gehen würde.
Aber vielleicht war es gut so …
„Schon morgen Abend mein Herr. Die Leute wollen Abschied von ihm nehmen. Sie erwarten, dass Ihr die Prozession leiten werdet“, sprach der Junge ohne zu zögern.
„Aber ich … glaube nicht dass ich das kann“, stammelte Aaron völlig perplex.
„Sicher könnt ihr das. Meister Rafael vertraute Euch bis zur letzten Sekunde seines Lebens. Alle setzten nun ihr Hoffnung und Vertrauen in Euch“, protestierte der Junge energisch.
„Gut. Danke sehr. Du darfst gehen“, verabschiedete der Elf den jungen Mann, der daraufhin seiner Wege ging.
Zurück blieben nur erstaunte Gesichter.

Die Zeit verflog und die Sonne sandte bereits die letzten warmen, farbenprächtigen Strahlen über die Welt und ließ den Himmel in all ihrer Herrlichkeit erstrahlen. In der Zitadelle zu Ellys wurden bereits die letzten Vorbereitungen für die Prozession getroffen. Weihrauch für die Gebete wurde bereitgestellt, Fackeln die um den reich kunstvoll verzierten Altar herum aufgebaut wurden waren entzündet und der Körper Rafael auf eine Barre aus Stroh an deren Enden die beiden stabilen Balken, die als Tragegriffe dienten hervorragten gelegt.
Gemeinsam mit der Kleinen Lilly durchschritten Amalia und Aaron im weinroten Licht der untergehenden Sonne den Vorhof der Zitadelle. Vorbei an einem aus feinstem Marmor gefertigten Brunnen der von vier aus Sandsteinen geschlagenen Löwen getragen wurde. Die Wege waren mit feinsten Mosaiken gepflastert und verliefen jeweils in die Vier Himmelsrichtungen zu je einem Nebenraum des Gebäudes. Der gesamte Komplex war so konstruiert, dass die Sonne am Morgen durch das Fenster im östlich gelegenen Raum strahlte und zu Guter Letzt den Altar Raum zur Mittagsstunde mit all ihrer Wärme und Hoffnung erstrahlen ließ. Nur der nach Norden verlaufende Weg führte in das Herz der Anlage. Gestützt von zwei kunstvoll verzierten Säulen wölbte sich das Eingangstor eindrucksvoll empor.

Mit traurigen Gesichtern betraten Liliana, Amalia und Aaron den Tempelraum der Zitadelle. An jeden Ende der zahlreichen Sitzreihen waren von dem örtlichem Priester rote Kerzen aufgestellt wurden, deren Licht nun Trost spendend in der Dämmerung flackerten. Während sie weitergingen wurde das leise Schluchzen, dass den Raum erfüllte zu Sehens lauter. Viele Menschen waren erschienen um sich von dem Führer der Gilde des Lichtes zu verabschieden, der sie über so lange Zeit so selbstlos beschützt hatte und ihm die letzte Ehre zu erweisen. Einige Augenblicke später nahmen die Drei ihre Plätze in der vordersten Reihe ein. Von vielen nahestehenden Menschen erhielten sie mitfühlende Blicke , da sie wussten wie nahe sie Rafael gestanden hatten und wie tief der Schmerz des plötzlichen Verlustes sitzen musste.

In einem plötzlichen Moment der Stille betrat der Priester gefolgt von zwei in weiß gekleideten jungen Mädchen den Raum und schritt betont langsam durch den Saal. An seiner Seite baumelte ein Gefäß hin und her, aus dem bei jedem Schwung einen angenehm würziger Duft strömte.
Nach einigen Momenten erreichte er seinen Platz hinter dem Altar und gebot allen die sich noch eingefunden hatten Platz zu nehmen. Forschend sah er sich im Raum um. Alle Augen waren auf ihn gerichtet und erwarteten die nun kommende Zeremonie.
Ohne weiter zu zögern ergriff er ein Streichholz, das er bereits auf dem Altar gelegt hatte und entzündete die große weinrote Kerze die vor ihm stand. Der Docht fing Feuer und sie entflammte in einem herrlich bläulich roten Ton. Er hob sie in die Höhe und die beiden in weiß gekleideten Mädchen näherten sich ihm. Jede von ihnen hielt eine strahlend weiße Kerze in der Hand, deren Flamme sie nun an der des Priesters entzündeten. Nacheinander schritten sie in gleichmäßigen, jedoch entgegengesetzten Kreisen den Sarg Rafaels, wobei ihnen bei jedem Schritt der Duft der brennenden Kerzen und des Weihrauches folgten.
Sie folgten so einer langen Tradition. Dieses Ritual sollte böse Geister abschrecken und der Seele zum ewigen Frieden verhelfen, damit sie mit reinem Gewissen vor die große Göttin treten konnte.

Endlich begann der Priester selbstbewusst und mit fester Stimme das rituelle Gebet und wie im Chor stimmten alle Anwesenden voller Ehrfurcht in seine Worte mit ein. Letztlich stoppten derb Priester und die Mädchen in ihrem Schritt. Jeder von ihnen stand an einer bestimmten Position. Betrachtete man sie gemeinsam, bildeten sie ein Dreieck um den Sarg herum.
Mit zaghafter Stimme begann das links stehende der beiden Mädchen die letzten Verse des Gebetes zu sprechen während sie ihre Kerze dabei zunächst in die Höhe hielt und sie dann neben dem Sarg stellte. Das Rechte der beiden Mädchen folgte diesem Beispiel und kurz darauf brannten bereits 2 Kerzen wohlig neben dem Sarg. Nach einem kurzen Augenblick des Schweigens erklang die Stimme des Priesters.
„Große Göttin wir bitten dich in aller Demut und Ehrfurcht. Nimm dich der Seele Rafaels an. Beschütze ihn und geleite in sicher in dein Reich, auf das er in deinen Händen den ewigen Schlaf finde“, sprach er ausdrucksstark ehe er seine Kerze betont langsam direkt vor den Sarg platzierte. Ein Raunen und Tuscheln ging durch die Anwesenden und viele schenkten dem jungen Priester anerkennende Blicke.
Noch einen kurzen Augenblick ließ der junge Mann die Situation wirken ehe er ihnen mit einer Geste Stille gebot.
„Und nun möchte ich unsere Drei Ehrengäste bitten nach vorne zu treten“,
Ohne ein Wort zu sagen kamen Liliana, Amalia und Aaron der Aufforderung nach.
Mit aufsteigender Unruhe spürten die beiden Mädchen die musterten Blicke der Menge auf sich ruhen. Nun galt es die Ruhe zu bewahren.
„Liliana und Amalia, darf ich Euch nun bitten die weißen Kerzen an Euch zu nehmen“, forderte der Priester die beiden jungen Dunkelelfinnen auf. Nickend taten die beiden einige Schritte auf die Kerzen links und rechts des Sarges zu und nahmen sie behutsam an sich.
„Und Euch Aaron möchte ich bitten die vorderste der drei Kerzen an Euch zu nehmen und die Prozession hinunter zum Meer zu geleiten“, sprach der junge Priester mit einem deutlich respektvollen Ton. Aaron entgegnete ihm einen lächelnden Blick und nahm die große, weinrote Kerze an sich die einen besonderen Duft zu verströmen schien.

Vier kräftig wirkende junge Männer erhoben sich und traten vor. Einer nach dem anderen fassten sie eines der Enden der Balken und hoben die Barre auf dem der Sarg stand empor.
Nachdem der letzte ehrende Satz gesprochen war erhoben sich alle Anwesenden und Aaron durchschritt gefolgt von Lilly und Amalia den Saal. Viele Trauernde schlossen sich lautlos dem Marsch an.

Wenige Minuten später erreichte die Prozession die Hauptstraße. An jedem Gebäude das sie passierten leuchtete ihnen eine Kerze den Weg. Viele Menschen standen in den Türen und verneigten sich huldvoll vor den Dreien. Die gesamte Stadt wirkte mit all ihren Kerzen und Lampen wie ein einziges Meer aus Lichtern, die nun den Weg in die Ewigkeit wiesen. Weiter schritten Aaron, Lilly und Amalia die Straße entlang, immer in Richtung Süden. Keiner von ihnen wagte es auch nur ein einziges Wort zu sagen. Zu groß war der Verlust und zu tief saß der Schmerz den sie in diesem Moment verspürten und der ihnen buchstäblich die Sprache verschlug.

Unter vielen Tränen und Schluchzen erreichten sie schließlich das südliche Stadttor und ließen die Stadt hinter sich. Gemeinsam folgten sie einen gut ausgebauten Pfad der sie über eine satte grüne Wiese führte.
Der Wind wehte lau durch die Wipfel der Bäume und die Blätter rauschten in ihrer eigenen traurig klingenden Weise.

Eine Weile lief die Prozession den Pfad entlang ehe Aaron plötzlich aufhorchte. Seine Ohren hatten bereits das Rauschen der Wellen vernommen die sich am Strand brachen und seine Nase nahm bereits den salzigen Duft der Seeluft war. Sie mussten das Meer fast erreicht haben. Nur wenige Minuten später hielten sie in ihrem Schritt inne und die jungen Männer setzten die Barre behutsam ab. An drei Enden waren mit Öl enthaltende Schalen aufgebaut wurden, dass unruhig von der Bewegung hin und her schwappte.

Nacheinander nahmen Liliana, Amalia und Aaron ihre Positionen an den Schälchen ein ehe ihnen von den Gästen drei Fackeln gereicht wurden die munter in die Nacht hinein loderten. Ein Moment der Stille folgte. Es war so still, dass man die Stille selbst hätte hören können.
Dann, unter einem leisen, traurigen Gemurmel erhob Liliana als erste ihre Fackel und hielt sie in die Höhe. Amalia folgte ihrem Beispiel und hob ihre Fackel ebenfalls ehrfürchtig in die Höhe. Sollte die Göttin selbst das Licht sehen können.
Als letzter schließlich trat Aaron ein letztes Mal an den Leichnam seines Meisters. Er betrachtete ihn kurz. Rafael wirkte noch immer als schliefe er bloß, als würde er jeden Moment seine Augen aufschlagen und putz munter vor ihnen stehen. Mit traurigem Gesicht legte der Elf ihm zwei Münzen auf die Geschlossen Augen.
„Möge die Göttin Euch schützen Meister. Findet Frieden“, sagte Aaron ehe auch er seine Kerze mit aller Kraft in die Höhe hob.

Mit Tränen im Gesicht ließ Liliana schließlich ihre Fackel sinken und entzündete das erste der Drei Schälchen, das in einer hohen, bläulichen Flamme entflammte. Die junge Dunkelelfe tat es ihr gleich. Auch sie ließ ihre Fackel sinken und ließ so ihr Schälchen das vor ihr stand die Nacht erhellen. Als Letzter ließ Aaron seine Fackel außer sich vor Trauer und Schmerz in die Schale fallen, die daraufhin in einer gewaltigen Stichflamme entbrannte.

Die vier jungen Männer die den Sarg zuvor getragen hatten, traten hervor und hoben in abermals in die Höhe. Behutsam lenkten sie ihre Schritte dem Meer zu bis sie bis zu den Knien im Wasser standen. Für einen Moment ließen sie die Kühle ihre Waden umspielen ehe sie die Barre zu Wasser ließen und zu den anderen zurück kehrten.
Stück für Stück trugen die Wellen die Barre mit sich und hinaus auf das offene Meer.
Behutsam legte Aaron Amalia einen Arm auf die Schulter und schenkte ihr einen aufmunternden Blick. Auch Lilly fasste Amalias linke Hand und strich mit ihrem kleinen Fingern darüber.
„Entzünde sie“, bat Aaron die junge Dunkelelfe leise.
Nickend registrierte das Mädchen die Aufforderung und streckte langsam ihren rechten Arm nach vorn. Kurze aber energische Bewegungen folgten und kleine Flammen rissen sich aus den Schalen los und sprangen auf sie aus Stroh bestehende Barre über.

Zunächst glimmte es nur, doch schon bald schlugen lodernde Flammen empor und fraßen sich durch das trockene Stroh. Mit Macht und voller Gier verschlangen sie alles was sich auf der Barre befand und verwandelten diese so in eine finale , atemberaubende Flamme die noch Meilen weit durch die Nacht strahlte und selbst von der Stadt aus noch zu sehen war.

Staunend blickten die Drei und viele der Menschen die sich der Prozession angeschlossen hatten in die Flammen die am Horizont immer kleiner und kleiner wurden ehe das Meer sich schließlich dem Körper Rafaels annahm und ihm dem Weg in die Ewigkeit wies.

Kapitel 29.


Nachdenklich saß Isabella an ihrem Schreibtisch. Nur eine einzelne Kerze in der Mitte glimmte durch die Morgendliche Dämmerung. Seit sie vor wenigen Stunden die Wahrheit über ihre Familie erfahren hatte sann sie nach einem Weg ihren Bruder helfen zu können…
Ein Buch nach dem anderen hatte sie durchblättert und dabei einige Seiten in Mitleidenschaft gezogen… nur mit dürftigem Erfolg. Das einzige was sie fand war ein kleines, unscheinbares Bild ihrer Mutter gewesen. Es war die einzige Erinnerung die sie an sie besaß.
Als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, hatte sie es einmal bei ihrem Vater entdeckt und seitdem wie einen Schatz gehütet und versteckt.
Traurig sah das junge Mädchen auf das Bild ihrer Mutter und tief im Herzen wünschte sie, sie würde jeden Moment durch die Tür herein kommen und sie in die Arme schließen…
Doch nichts geschah …
Verzweifelt und voller Schmerz begann sie zu schluchzen. Verärgert über ihre eigene Hilflosigkeit stieß sie die Kerze um, die scheppernd auf dem Boden landete. Noch einen Augenblick starrte sie auf die noch glimmende Glut des Dochtes, ehe auch diese erlosch.

Der Wind blies frisch an diesem Morgen und pfiff unaufhörlich durch das zum Teil löchrige Mauerwerk der Burg. Die kleinen Blätter des Efeus raschelten beruhigend im Takt des Windes.

Mit einem lauten Seufzer erhob sich Bella von ihrem Stuhl und trat zum Fenster hinüber an deren Enden eine rote Gardine mit wunderschönen Stickereien wehte. Sehnsüchtig sah sie in die Weite die sich vor ihr ausbreitete und versank völlig in Gedanken.

Eine Weile stand sie einfach dort und dachte nach, ehe sie einige hastige Schritte auf dem Korridor vernahm die sich ihrem Zimmer näherten.
Neugierig trat sie zur Tür und öffnete sie einen Spalt breit. Vorsichtig spähte sie in den Korridor hinaus bis sie eine Gestalt erblickte die eilig an ihrem Zimmer vorbei lief.
Erschrocken wich Isabella zurück. Diese Schritte hätte sie überall erkannt. Selbst in völliger Dunkelheit. Es war eindeutig Lino gewesen der wahrscheinlich auf dem Weg zu ihrem Vater war.
Dieses Verhalten ließ nur eine logische Schlussfolgerung zu…
Ihr Vater plante etwas…
Mit Schrecken dachte sie an das drohende Versprechen ihres Vaters zurück und im nächsten Moment bemerkte sie, wie sie bereits dabei war Lino zu folgen.

Lautlos und auf Zehenspitzen tapste Isabella durch den dunklen Korridor. Jeden ihrer Schritte bedachte sie mit größter Vorsicht. Der Boden war nur mit Dielen bedeckt, die bereits existierten seid sie denken konnte. Viele von ihnen waren lose oder brüchig, so dass jeder unvorsichtige Schritt sie verraten konnte. Doch sie kannte diese Stellen sehr gut und wich ihnen wie von selbst aus. In diesem Augenblick hatte die Neugier in ihr die Oberhand gewonnen und sie fühlte sich beflügelt möglichst unauffällig herauszufinden was ihr Vater vorhatte.

Endlich hörte Bella wie sich die schwere Holztür zum Zimmer ihres Vaters öffnete und die Gestalt den Raum betrat. Ein paar gezwungen freundliche Worte folgten während sie die letzten Schritte bis zur Tür tat.
Behutsam lehnte sie sich gegen die Holztür und spitzte die Ohren um den Gespräch zumindest im Groben folgen zu können.

Angewidert lauschte sie den übertrieben bösartigen Ausführungen Luciens ehe sich das Gespräch einer völlig neuen Wendung zuwandte.
„Ihr wisst nun was zu tun ist Lino“, begann Lucien auf der anderen Seite der Tür zu erklären.
„Bereitet alles für das Ritual vor. Wollen wir doch mal sehen was unsere lieben Freunde ohne ihren Helden anfangen werden“ setzte er zynisch fort, wobei er das Wort Freunde mit besonderer Verachtung betonte.
„Aber Herr. Der Junge wird dabei wahrscheinlich sterben, und er ist doch noch ein Kind“, stotterte Lino voller Angst.
„Er ist unser Feind. Wir werden keinen Feind in den eigenen Reihen am Leben lassen“, erklärte Lucien unbarmherzig.

Blass und mit Tränen in den Augen wich Isabella zurück. Sie konnte es einfach nicht glauben das ihr Vater so grausam war… ihr Eigener Vater … er würde sein eigen Fleiß und Blut töten.
Es musste etwas geschehen!
Aber was?
So leise und schnell sie konnte lief Bella den Weg zurück durch den Korridor bis sie endlich schluchzend die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich ins Schloss fallen ließ.

Einige Augenblicke ging sie aufgeregt auf und ab.
Plötzlich kam ihr ein Gedanke…
Eilig ging sie zu ihrem großen, gut bestückten Bücherregal hinüber und begann zu kramen. Ihre Finger huschten über die zum Teil staubigen Einbände der Bücher bis sie schließlich stoppten.
Erleichtert atmete sie durch als sie das gesuchte Buch in die Hand nahm. Wie verzaubert strich sie mit ihrer Hand über die verblassten Buchstaben des Titels.
Es war das alte Tagebuch ihrer Mutter das sie liebkoste.
Als sie klein gewesen war hatte sie es aus der Bibliothek ihres Vaters stibitzt. Einmal hatte sie ihn sagen hören dass ihre Mutter einmal eine Priesterin der großen Göttin gewesen war und in diesem Buch all ihre Geheimnisse aufgeschrieben hatte…
Und in diesem Moment bete Isabella um genau so ein Wunder!
Mit äußerster Vorsicht legte sie es auf ihren Tisch und begann die ersten Seiten zu durch blättern. Lange fand sie nur traurige und rührende Ereignisse, die ihre Mutter sehr beschäftigt haben mussten während sie sich immer weiter dem Ende näherte.

Als sie die Hoffnung schon beinahe aufgegeben hatte, entdeckte sie auf der letzten Seite einige zunächst merkwürdig aussehende Schriften. Langsam fuhr sie mit dem Finger die einzelnen Verschnörkelungen der Buchstaben nach. Dies alles schien ihr so vertraut, dabei hatte sie es noch nie zuvor gesehen. Doch ihr Herz schien die Bedeutung der Buchstaben zu kennen und schon bald begannen ihre Lippen die einzelnen Worte zu formen. Je weiter sie las desto deutlicher kam ihr eine längst vergessen geglaubt Erinnerung in den Sinn.

An einem Sonntag war sie mit ihrer Amme in die Kirche der Stadt gegangen um der Großen Göttin zu huldigen. Der Priester hatte etwas in einer für sie komischen Sprache gesäuselt. Später hatte er ihr erklärt dass es ein Schutzzauber gewesen war und ihr die Bedeutung der Buchstaben und Worte gelehrt.
Erschrocken schrak Isabella aus ihren Gedanken auf. Vor ihr lag ein mächtiger Schutzzauber, den ihre Mutter selbst verfasst hatte. Noch einmal betrachte sie die Seite genau. In der Mitte war ein Medaillon mit feinen Linien abgebildet.
Unwillkürlich flog ihr Blick durch den Raum und sie erhob sich vom Stuhl.
Eilig ging sie zu ihrem Nachtschränkchen hinüber und begann nach etwas zu suchen das sich sehr weit hinten verbarg.
Vor Jahren hatte Lucien ihr zum Geburtstag ein Schmuckstück geschenkt und sie ermahnt es niemals zu tragen, das es Unglück bringen würde und er es nicht wollte.
Voller Freude hatte Isabella es damals an sich genommen und es immer in Ehren gehalten. Auch wenn sie nicht verstanden hatte weshalb hatte sie ihrem Vater gehorcht und das Medaillon nie getragen.
Endlich hatte sie die Schatulle gefunden in der sie es all die Zeit aufbewahrt hatte und nahm es vorsichtig heraus. Mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen betrachtete sie es.
Wie dumm sie doch gewesen war.
Die feinen, eingravierten Linien strahlten matt im Licht der aufgehenden Sonne.
Voller Stolz hielt Bella das Medaillon vor sich… und in diesem Moment wusste sie, was sie zu tun hatte.

Kapitel 30.


Prüfend sah sich Isabella um. Nichts Ungewöhnliches schien sich zu ereignen, zumindest nicht ungewöhnlicher als die letzten Tage.
Noch einmal lauschte sie aufmerksam ob ihr jemand gefolgt war, doch nichts tat sich …
Erleichtert atmete sie durch und trat zu ihrem Fenster hinüber. Mit einem gekonnten Schwung zog sie die Vorhänge zu und wandte sich ihrem Tisch zu. Behände hob sie die Kerze auf, die noch immer auf dem Boden gelegen hatte und entzündete sie.
Die Flamme stach empor und ließ einige bedrohlich wirkende Schatten über die Wände des Zimmers tanzen.

Atemlos und voller Aufregung betrachtete Bella noch einmal die Worte wärend sie das Schmuckstück vorsichtig auf den Tisch legte. Selbst wenn sie hätte etwas sagen wollen, ihre Kehle war wie zugeschnürt.

Wie als ob es das normalste der Welt wäre stellte sie die Kerze in gerader Linie vor sich und schloss ihre Augen. Sie leerte ihre Gedanken bis alles Negative aus ihrem Kopf verschwunden war und nichts weiter blieb als das Bild ihrer lächelnden Mutter …
Wärme machte sich in ihr breit und sie konnte die Worte förmlich vor ihrem Geistigen Auge sehen. Zu nächst flogen sie umher wie kleine, sture Vögel die nicht in ihren Käfig zurück wollten. Nach und nach jedoch begannen sie sich zu ordnen und die einzelnen Worte ergaben einen Sinn.
Langsam streckte sie ihre Arme nach vorn und legte ihre Handflächen übereinander und wenig später erfüllte das wohlig warme Gefühl ihren gesamten Körper. Sie begann vor Erregung zu zittern und fühlte sich zunächst unfähig auch nur ihren Mund zu bewegen.
Endlich verflog die Aufregung und sie begann die Worte zu sprechen die in dem Buch notiert waren.
Sie endete den ersten Satz und verharrte für einen Moment reglos, ihr Augen noch immer geschlossen. Der Wind blies frisch durch das Fenster und umwehte kühl ihr Gesicht.
Sie verstand die genaue Bedeutung der Worte nicht, doch instinktiv spürte sie dass der Zauber den sie im Bilde war auszusprechen die gesamten Kräfte der vier Elemente, der Elemente beinhaltete.
Ehrfürchtig sprach sie weiter. Ihre Lippen formten den zweiten der 4 Sätze.
Für einen Moment war alles ruhig, als sie am Schein der Kerze war nahm wie sie kräftig entflammte und sie schließlich ein Gefühl von innerer Hitze durchströmte.
Erschrocken hielt sie inne, doch es war ihr bewusst dass sie es nun zu Ende bringen musste.
Erfüllt mit Sicherheit und Angst gleichermaßen sprach sie den nächsten Satz. Ihre Ohren vernahmen wie das Rauschen des tosenden Flusses unten in der Schlucht immer lauter und wilder wurde und ihr im Moment ein eiskalter Schauer über den Rücken lief.
Blieb nur noch der letzte Satz…

Mit großer Genauigkeit formte ihr Mund die letzten Worte…
Diesmal jedoch passierte nichts… da waren nur Wärme und Geborgenheit die sich in ihr breit machten und sie zu umarmen schienen.
Sie sah Bilder in ihren Gedanken. Bilder von Gegenden die sie noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte. Sie erkannte ihren Vater der lächelnd die Hand von Jemanden hielt. Bella zwang sie zu noch größerer Konzentration um genauer hinsehen zu können. Bei genauerem Betrachten erkannte sie das freundliche Gesicht ihrer Mutter die ihre Hand vertrauensvoll in die Hand ihres Vaters legte. Die beiden liefen über eine grüne, mit Blumen übersäte Wiese, sie konnte den Geruch von frischem Gras und fruchtbarer Erde förmlich in sich aufsaugen. Isabellas Augen füllten sich mit Tränen bei dem Gedanken wie glücklich sie einst gewesen waren… und sie endete mit dem letzten der Sätze.

Vorsichtig blinzelte sie mit den Augenliedern. Der Schein der Kerze blendete sie zunächst. Schließlich öffnete sie ihre Augen. Es fühlte sich an, als sei sie eben aus einem Traum erwacht, aus einem sehr realen Traum.
Erleichtert ließ sie sich gegen die Lehne des Stuhles fallen und starrte auf das Medaillon.
Erst jetzt fiel ihr auf, was für eine Hitze und Energie es ausstrahlte. Gerade so als wäre alles Gute dieser Welt in ihm.
Ein erschöpftes Lächeln huschte über ihre Lippen als sie sah wie es von innen heraus strahlte.
Noch einmal dachte sie an das Gesicht ihrer Mutter und sie wusste, sie würde Ryuichi retten. Wenn es sein müsste mit ihrem Leben.

Kapitel 31.


Einige Momente saß sie reglos da. Nur der Wind spielte mit den spärlichen Blättern der Bäume. Es herrschte Stille, Totenstille. So ruhig, dass Isabella ihren eigenen, nervösen Herzschlag in der Brust hören konnte.
Hatte sie das richtige getan?
War der Weg den sie gewählt hatte der Richtige?
Quälende Fragen die nach einer Antwort verlangten, und es gab nur einen Menschen auf der Welt der sie beantworten konnte…
Und eben dieser Mensch saß in diesem Moment im tiefsten Verließ…
Bei dem Gedanken daran riss Bella die Augen weit auf. Sie musste zu ihm gelangen…
Aber wie nur sollte sie das bewerkstelligen?

Nachdenklich erhob sie sich von ihrem Stuhl und begann im Zimmer auf und ab zu laufen, überlegte hin, überlegte her, bis ihr schließlich ein glänzender Gedanke kam.
Die wenigsten hatten den Streit zwischen ihrem Vater und ihr mitbekommen. Noch immer genoss sie großes Ansehen in diesen Mauern, gerade zu Verehrung. Diese Tatsache würde sie sich nun zu nutzen machen. Die Wachen an den Toren würden sie ohne zu fragen hindurch lassen, wenn sie nur selbstgefällig genug auftrat. Allein die Vorstellung daran missfiel ihr zutiefst. Sie hasste es selbstgefällig oder arrogant auftreten zu müssen, doch heute Nacht blieb ihr keine Wahl!

Die Stunden verflogen schnell. Leute gingen ihrem täglichen Tagewerk nach und schließlich legte sich, friedlich und mystisch zu gleich, die Nacht über die Stadt.
Dunkle Wolken zogen über den nächtlichen Himmel. Wie ein Ohmen von etwas unvorstellbarem.

Das junge Mädchen runzelte die Stirn über die letzten Zeilen des Buches in dem sie gelesen hatte und legte es kopfschüttelnd zur Seite. Erschrocken saß sie auf als sie bemerkte, dass es längst Nacht geworden war. Alles war Still, nichts rührte sich.
Leise erhob sie sich und zog die Vorhänge ihres Zimmers zu. Vielleicht konnte sie so den Eindruck erwecken das sie friedlich im Bett lag und schlief. Denn einer Sache war sie sich gewiss. Ihr Vater würde sie ab dem heutigen Tage keinen Moment mehr unbeaufsichtigt umherwandern lassen. Er war ihr gegenüber äußerst misstrauisch geworden und sie konnte froh sein, das er ihr Leben verschont hatte.
Wenn er jedoch herausfinden würde, was sie in dieser Nacht vorhatte, war sie dem Tode geweiht.
Doch dieses Risiko musste sie eingehen.
Ihr Bruder hatte große Tapferkeit bewiesen und ihr vertraut, einer in seinen Augen Bildfremden.
Nun war es an ihr Mut zu zeigen.

Entschlossen atmete Bella ein letztes Mal tief durch ehe sie die Tür ihres Zimmers öffnete.
Im Korridor war alles still. Nur die Lampen an den Wänden flackerten und tauchten die Gänge in mattes herrliches Zwielicht.
Die Gelegenheit war günstig.
Lautlos ließ sie das Türschloss hinter sich einrasten und späte aufmerksam zur Seite.

Mit klopfendem Herzen raffte Isabella ihr Kleid umso unnötigen Lärm zu vermeiden.
Auf Zehenspitzen wandelte sie durch die verschlungen Gänge des Gebäudes, umging dabei gekonnt lose Dielen und Bretter. Ihre Sinne waren Geschärft. Nicht das kleinste Geräusch entging ihrer Aufmerksamkeit.
Einige Minuten lief sie durch die Korridore, bog hier nach rechts, dort nach links, ohne dass irgendjemand sie bemerkte. Sie mied das Licht und blieb so gut es ging in den Schatten der Mauern, schwarz und unerkannt wie die Nacht.

Endlich kam sie einen Bereich des Gebäudes der von dicken, aus Granit bestehenden Säulen getragen wurde.
Forschend sah sie sich um. Es war die dritte Fackel an der Wand der nun ihre Aufmerksam galt. Als sie noch klein gewesen war, hatte sie gesehen wie ihr Vater einen Geheimgang in Auftrag gegeben hatte, der direkt zu den Verließen hinunter führte.
Hinter der Halterung der Fackel wölbte sich ein wunderschöner, rot gestickter Teppich die Wand hinunter. Auf ihm waren wundervolle Symbole und Muster eingewebt. Noch einmal sah Isabella sich um ehe sie den Teppich vorsichtig bei Seite schob und den Stein drückte der ein wenig, kaum merklich, aus der dahinter liegenden Wand hervorstand.
Der Mechanismus war aktiviert und die Tür öffnete sich. Ohne weiter zu zögern nahm Bella eine Kerze die auf einem kleinen Tisch hinter ihr stand und verschwand hinter dem Teppich.

Nur vom matten Licht der Kerze begleitet stieg sie die Stufen hinunter. Es waren eigentlich nur wenige Treppen die sich hinunter schlängelten, doch in diesem Moment erschienen sie ihr wie eine kleine Unendlichkeit.
Einige Zeit später nahm Isabella erleichtert die letzte Stufe. Vorsichtig drückte sie ihr Ohr an die Wand und lauschte.
Einige Schritte waren zu hören und die Stimmen der Wachen hallten durch den Raum.
Erst als sie sicher war, dass niemand bemerken würde, dass sie durch den Geheimgang gekommen war, drückte Bella kräftig gegen die Wand und die Tür öffnete sich. Glücklicher Weise stand sie allein im Eingang des Verlieses.
Die Wand schloss sich wieder hinter ihr und ließ den Eindruck zurück als hätte sie schon immer dort gestanden.
Erleichtert atmete das junge Mädchen durch. Von an musste sie absolut selbstbewusst wirken. Unglaubwürdigkeiten oder auch nur den kleinsten Fehler konnte sie sich nicht erlauben.

Wie selbstverständlich schritt sie auf die Wache zu. Zu ihrer Erleichterung erkannte sie das Gesicht.
„Gieselle“, flüsterte Bella freudig
Überrascht sah die junge Frau zu ihr hinüber. Ihre Augen waren von dem wenigen Schlaf der letzten Zeit gerötet und tiefe dunkle Ringe schlängelten sich darunter entlang.
„Aber Fräulein Isabella, was tut ihr hier?“, gab Gieselle überrascht zurück während sie sich respektvoll verneigte.
Für einen Moment dachte Bella nach. Was sollte sie sagen?
„Ich komme mit einer Nachricht vom Kommandanten“, sprach sie schließlich.
„Du sollst die Wache am Eingang ablösen. Das Abendessen ist dem armen Kerl nicht bekommen und er ist schon ganz grün im Gesicht“, log sie eiskalt.
Stirnrunzelnd betrachte die junge Frau sie. Offensichtlich zweifelte sie an Isabellas Worten.
„Aber Fräulein. Ich kann unmöglich meinen Posten verlassen. Es wurde mir befohlen unseren jungen Gast nicht aus den Augen zu lassen“, wiedersprach Gieselle pflichtbewusst.
Isabella lachte voller Hohn.
„Deshalb bin ich ja hier“, gab sie frohlockend zurück
„Macht Euch keine Sorgen. Ich werde mich sehr gut um den Gefangen kümmern“, setzte sie fort, wobei sie ein klein wenig Energie um ihre Hand spielen ließ.
Die Entschlossenheit in Isabellas Augen sprach Bände und Gieselle nickte schließlich einverstanden.
„Zu Befehl“, bestätigte sie schließlich und lief den Korridor Richtung Haupteingang entlang.

Kopfschüttelnd sah Bella ihr nach bis ihr Schatten verschwunden war. Wie leicht die Menschen doch hinters Licht zu führen waren.
Nun bat sich die Gelegenheit mit ihrem Bruder zu sprechen. Sie musste ihm einfach erklären was hier gespielt wurde. Auch wenn er sie für die Wahrheit wahrscheinlich hassen würde.

Leise schritt sie an den Zellen vorbei ehe sie ein Rascheln aus einer der letzten hörte. Bella beschleunigte ihren Schritt und stand schon bald vor der verschlossenen Zell Tür.
Der Anblick der sich ihr bot ließ ihr die Tränen in die Augen steigen und sie musste sich mühen nicht zu schluchzen.
Nur unweit von ihr saß ihr Bruder. Er saß nur da, auf einem dürftigen Häufchen Heu, die Kleidung dreckig und zerfetzt. Auf seinem Arm klaffte eine frische Wunde. Bella konnte den Geruch des Blutes bis zu sich riechen.

Das Licht des Mondes schien in die Zelle und ließ sein dunkles Haar gefährlich glänzen.
Noch immer hatte er sie nicht bemerkt. Er starte nur auf den Boden. Eine kleine Maus piepste traurig vor ihm und huschte über die Kette seiner Fußfessel davon. Ryu folgte ihr mit seinem Blick bis zum Ende der Zelle. Sein Gesicht hellte auf als er die zierlichen Füße hinter den Gitterstäben sah. Forschend ließ er seinen Blick höher schweifen bis er Isabella schließlich erkannte.
„Du!“, sprach er vorwurfvoll, doch vermied er es bewusst zu schreien. Vorwurfsvoll sah er sie an. Verärgert darüber, dass sie nach allem was geschehen war die Nerven besaß hier zu sein.
„Ryu“, wisperte Isabella traurig.
Doch sie konnte die Reaktion ihres Bruders durchaus verstehen. Er hatte ihr vertraut und nun fühlte er sich von ihr im Stich gelassen.
„Was wollt ihr hier?“, fragte er zynisch und erhob sich von seinem Häufchen Stroh.
„Mit dir reden, und jetzt sei still“, mahnte sie ihn.
Mit einigen kurzen Finger Kniffen löste sie eine Nadel aus ihrem Haar und begann damit im Schloss zu stochern.

Überrascht beobachtete Ryuichi die geschickten Bewegungen von Isabellas Fingern.
War sie vielleicht tatsächlich gekommen um ihn zu helfen?
Er erinnerte sich daran wie dieses Mädchen über ihm gekniet hatte, mit einem Stab in der Hand und breit ihn zu töten. Etwas jedoch, musste sie abgehalten haben.
Warum nur war sie ihm so vertraut?
Endlich konnte er ihr diese Frage stellen und vielleicht würde sie ihm endlich Antwort geben können.
Endlich hörte er das Schloss knacken und die Tür sprang auf.

Vorsichtig trat Isabella näher. Sie spürte wie Ryu sie noch immer mit einer Mischung aus Skepsis, Ärger, Verwunderung und Wut ansah. Man konnte es ihm nicht verdenken…
„Ich frage dich nochmal. Was willst du?“, sprach Ryu ernst und musterte sie genauer.
Gern hätte Isabella ihm geantwortet, doch die Traurigkeit in Ryu’s Augen ließ sie zögern.

Einen Augenblick standen sie einfach nur da ehe Ryu resignierend mit den Achseln zuckte und ihr den Rücken zuwandte.
„Ich bin gekommen um dich zu warnen Ryuichi“, sprach Isabella mit Bedacht, wohlwissend, dass er ihr zuhören würde.
„Was du nicht sagst“, entgegnete er zynischer als er eigentlich wollte.
„Lucien hat vor an dir ein Exempel zu statuieren. Es soll Aaron und den anderen zeigen was geschieht wenn man sich ihm in den Weg stellt“, begann sie zu erklären.
Langsam näherte Isabella sich weiter und legte ihm die Hand auf die Schulter. Sie spürte wie er unter ihrer Berührung zu beben begann und die Hände zu Fäusten ballte und glaubte er würde sich jeden Augenblick unter ihrer Hand hindurch winden.
Stattdessen jedoch drehte er sich zu ihr um und sah ihr unerschrocken in die Augen, ihre Hand noch immer auf der Schulter liegend.
Ein kleines Lächeln umspielte Isabellas Lippen. Der Ärger schien verflogen zu sein.

Aufmerksam hörte Ryu ihr zu ehe er ihre Hand sanft von seiner Schulter nahm.
Plötzlich schoss ihm eine Frage durch den Kopf, schmerzhaft und stechend wie ein Blitz.
„Warum hast du uns auf dem Schlachtfeld geholfen? Du warst es die als erste auf uns zukam. Du musst gewusst haben, dass wir dort waren. Du hättest uns ohne zu zögern töten können“, sprach er den Kopf hin und hergerissen schüttelnd.
„Warum…“, fragte Ryuichi gequält.
Getroffen senkte Bella den Blick.
Wie nur sollte sie ihm erklären wer sie war?
„Ryu bitte hör mir jetzt gut zu. Du wirst mir wahrscheinlich weder glauben, noch mich verstehen können“, begann sie zögerlich
Geduldig lehnte der Junge sich gegen die Fensterwand.
„Als ich auf dem Schlachtfeld über dir kniete, hast du da nicht auch diese Energie gespürt, und wie merkwürdig vertraut sie war“, fragte sie ihn herausfordernd.

Völlig überrascht und mit weit aufgerissenen Augen sah Ryu sie an. Also hatte er sich das alles doch nicht eingebildet.
Zustimmend nickte er.
„Vielleicht erklärt dieses Medaillon warum es sich so verhält“, raunte sie leise und taste nach dem Anhänger in ihrer Tasche.
Nach einigen Sekunden hatte sie ihn gefunden und hielt ihn Ryu entgegen.


Ungläubig, jedoch von innerer Neugier gepackt nahm der Junge es vorsichtig an sich. Eine starke, warme Energie durchfloss ihn und schien sogleich alle traurigen, schwarzen Gedanken die bis jetzt in seinem Kopf herum gespukt waren zu vertreiben. Wie sehr in diese Energie doch an zu Haus erinnerte, so geborgen, so behaglich.
Vorsicht strich er mit den Finger die feinen Gravuren nach ehe er es aufklappte.
Das Erstaunen in seinem Gesicht hätte nicht größer sein können. Er begann zu lächeln und eine kleine Träne lief seine Wange hinunter
„Das ist meine Mutter“, raunte er glücklich als er das Bild betrachtete.
Isabella lächelte zustimmend.
„Unsere Mutter“, korrigierte sie sanft.
„Unsere… bitte was“ sagte Ryu völlig perplex und schlug das Medaillon zu.
„Willst du damit sagen wir sind…“, stotterte er.
„Ja. Wir sind vom gleichen Blut Ryuichi“, erklärte Bella

Völlig neben sich stehend lief sich der Junge auf das Stroh sinken.
Wir sind vom selben Blut. Diese Worte brannten sich in seinen Kopf wie ein Brandzeichen auf die Haut einer Kuh.
Immer noch zweifelnd blickte er seine Schwester an.
„Habe ich eine Schwester“, flüsterte er kaum hörbar
„Ich habe eine Schwester“, sprach er lauter und tat einen Schritt auf Isabella zu. Doch sie zu berühren wagte er nicht.
„Mein Vater nahm deine Mutter vor deiner Geburt. Mir erzählte er immer sie wäre bei meiner Geburt gestorben. Das einzigste was ich von ihr hatte war dieses Medaillon mit ihrem Bild“, erklärte Bella vorsichtig.
Verständnisvoll nickte Ryu. Er war froh nun endlich die Wahrheit zu kennen. Doch da war noch etwas anderes das an ihm nagte.
„Was genau meint Lucien mit einen Exempel statuieren“, fragte er besorgt.
Erneut sah Bella betroffen zu Boden.
„Er wird ein altes, mächtigen Ritual an dir vollführen“, erklärte sie.
„Und deshalb kamst du zu mir“, sprach Ryuichi mit einer Mischung aus Skepsis und Hochachtung. Es war sicher nicht leicht gewesen zu ihm zu kommen.
„Ich kam um dir das Medaillon zu übergeben. Das Ritual ist zu mächtig. Es würde dich töten“, entgegnete sie leise.
Geschockt atmete der Junge durch. Das waren ja feine Aussichten.
„Offensichtlich denkst du jedoch anders darüber“, ergriff er das Wort.
Bella nickte, erleichtert darüber dass er die Initiative ergriff.
„Ich habe das Medaillon mit einem Schutzzauber versehen. Es wird dich beschützen und dafür sorgen, dass du am Leben bleibst“, sagte sie hoffnungsvoll.
„Trage es! Aber lass niemanden sehen, dass du es besitzt“, forderte sie ihn auf ehe sie ihm den Anhänger umlegte und ihn unter seinem Hemd verbarg.
„Das werde ich. Danke“, flüsterte Ryu während er mit der Hand über die Stelle strich an der der Anhänger baumelte.
„Wunderbar“, bestätigte das junge Mädchen.
Ich muss jetzt gehen“, erklärte sie weiter.

Ohne ein weiteres Wort drehte sie ihm den Rücken zu und passierte die Zellentür, die sie leise hinter sich zu fallen ließ.
Ryu sah ihr fragend nach, doch sie lächelte ihn nur an ehe sie aus seiner Sichtweite verschwand.
Benebelt ließ sich Ryuichi zurück auf das Stroh fallen ehe er Schritte im Korridor vernahm und nur wenige Sekunden später die vertraute Stimme der Wache in seinen Ohren wieder hallte.

Aufmerksam und mit geschärften Sinnen schlich Isabella durch den Korridor. Immer wieder sah sich dabei forschend um, flackernde Lichter, tanzende Schatten an den Wänden oder verräterisches Knacksen der Dielen, nichts wäre ihr entgangen. Gekonnt umschlich sie die losen Bretter. Um nichts auf der Welt würde sie riskieren jetzt entdeckt zu werden.
Die Folgen wären fatal!
Würde sie bemerkt werden, wären ihr Bruder und auch sie selbst des sicheren Todes, denn noch einmal Ungehorsam würde ihr Vater niemals dulden.
Das Treffen mit Ryu jedoch, hatte ihre neue Zuversicht geschenkt und sie war entschlossener denn je ihm zu helfen.
Auf Zehenspitzen lief sie weiter bis sie endlich in den Abschnitt des Korridors gelangte, in dem sich der Geheimgang befand.

Kapitel 32.


Drei Tage waren seit der großen Schlacht vergangen und noch immer durchdrang der Geruch nach Tod und Blut die Ebene. Fliegen hatte sich längst an den toten Körpern gelabt und sie in ein Meer aus kleinen und großen Brutstätten verwandelt. Wollte man einem der Opfer die letzte Ehre erweisen musste man zunächst einmal den eigenen Ekel überwinden.
Die Sonne, die den Menschen an diesen trostlosen Tagen ein wenig Hoffnung geschenkte, hatte längst ihr Haupt gesenkt und den Horizont mit ihren letzten Kräften in ein wunderschönes rotes Farbenmeer verwandelt. Ihre feinen Strahlen erstreckten sich wie ein breiter Fächer weit noch in die nahende Dunkelheit hinein. Die Welt kam zur Ruhe. Das Zwitschern der Vögel war verstummt. Nur ein paar wenige Nachzügler hüpften noch in dem Laubwerk der Bäume umher. Nichts regte sich mehr und eine selige Stille legte sich über die Weite. Es war so ruhig, dass man das Geräusch eines fallenden Blattes hätte hören können. Nur noch der Wind trieb sein schelmisches Spiel in den Wipfeln der Bäume und die Blätter tanzten und sangen zu seiner eigenwilligen Weise.

Doch kurz vor den Toren der Gilde des Lichts herrschte noch immer geschäftiges Treiben. Seit den frühen Morgengrauen schon waren die Mädchen hier draußen und hatten trainiert. Eine Weile hatten sie gemeinsam ihre magischen Fähigkeiten erprobt bis Liliana sich erschöpft unter einem Baum niederließ. Dies war bereits Stunden her. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete die Kleine Amalia. Woher bloß nahm sie diese Energie? Für einen Moment glaubte sie zu sehen wie die Dunkelelfe sie ebenfalls ansah. Oder war es bloß ihre eigene Einbildung? Sie schüttelte ungläubig den Kopf und ließ ihren Blick über sie Weite der Ebene schweifen. Aus dem Norden näherte sich eine gewaltige, tiefschwarze Wand aus Wolken. Wie eine Armee aus schwarzen Reitern kämpfte sie sich ihren Weg über den Horizont und der Wind war ihr Pferd, das sie unaufhaltsam voran brachte.Wenn sie Amalia nicht bald dazu brachte ihre Übungen zu beenden würden sie beide heute Abend ein unfreiwilliges Bad nehmen.

Kurz entschlossen erhob sie sich und ging zu der Dunkelelfe hinüber. Amalia jedoch war so konzentriert, dass sie Liliana überhaupt nicht bemerkte und die Kleine beschloss, sich einen kleinen Scherz zu erlauben. Gekonnt leise pirschte sie sich Lilli letzten Meter heran und tippte der jungen Dunkelelfe, die sie noch immer nicht zu bemerken schien auf die Schulter. Vollkommen aus ihren Gedanken gerissen erschrak Amalia bis ins Mark, wobei ihr das Schwert mit dem sie trainiert hatte aus der Hand glitt und klirrend zu Boden fiel.
„Bei der Göttin. Liliana. Du kannst mich doch nicht so erschrecken“, protestierte sie heftig während sie sich zu der Kleinen umdrehte.
„Regel Nummer eins. Niemals die Deckung vernachlässigen“, erklärte Lillie keck, die sich ein lautes Lachen verkneifen musste.
Für einen Augenblick war die junge Dunkelelfe so perplex, das sie kein Wort heraus brachte. Doch schließlich verzogen sich ihre Mundwinkel zu dem breiten, gutmütigen Lächeln das Lilli so liebte.
Mit sanften Augen betrachte Amalia Liliana. Dieses kleine Mädchen überraschte sie immer wieder. Ungern nur gab sie es zu doch sie hatte Recht. Sie selbst hatte trainiert bis sie die Müdigkeit in ihrem Körper nicht mehr spürte. Wie ein Rausch der alles betäubte. Doch das einzige was sie hatte betäuben wollen, war ihr eigener Schmerz, ihre eigene Unsicherheit die sie nicht erlauben konnte zu zeigen. Seid Ryuichi sie mit seinem eigenen Leben rettete, hatte sie unermüdlich an ihren Fähigkeiten gearbeitet. Sie wollte in der Lage sein die zu beschützen die sie liebte, nicht mehr tatenlos mit ansehen müssen, wie sich andere für sie opferten. Wenn sie an jene Nacht dachte stiegen ihr wieder Tränen in die Augen. Sie sah Aaron, wie er über dem toten Körper von Meister Rafael lehnte und Ryuichi wie er allen zum Trotz bereit war sein eigenes Leben zu beenden um sie alle zu Retten. Woher wusste er nur das Lucien ihn nicht auf der Stelle und vor aller Augen töten würde? Wie hatte er sich so sicher sein können? All diese quälenden Fragen wirbelten wie kleine Stürme durch ihren Kopf und ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Eine Weile standen sie stumm da bis Amalia plötzlich den Kopf schüttelte.
„Nein es reicht. Das hätte Ryu nicht gewollt“, wisperte sie kaum hörbar und sah an sich herunter.
Ihre Kleider waren von Dreck bedeckt und überall an ihrem Körper klafften Schrammen und kleine Fleißwunden.Ein wenig erschrocken bemerkte sie wie ihr warmes Blut an ihrem Beim hinunter lief.
„Amalia es ist schon spät. Ich bin müde und dreckig. Ich mag nicht mehr“, erklärte Lilli fordernd und stämmte ihre Arme in die Hüfte.
„Du hast Recht Sternchen. Lass uns etwas essen“, sprach Amalia zustimmend und musste lachen als sie ihren Magen knurren hörte.
Behutsam legte sie ihren Arm um Liliana und mache sich mit ihr auf den Weg zurück zur Gilde.
Sie hatten gerade einige Meter zurückgelegt und das gewaltige Tor fast erreicht als Amalia plötzlich stehen blieb, ihr Blick starr und konzentriert, ihre Ohren gespitzt. Leise Flügelschläge waren hinter ihnen zu hören.
„Was ist das“, fragte sie leise ehe sie sich mit der Kleinen herum drehte.
„Oh Amalia, sieh nur! Eine weiße Taube“, stieß Lilli voller Entzücken aus und begann aufgeregt auf und ab zu hüpfen.
Die Dunkelelfe lächelte nur und wie von selbst streckte sie den Arm aus. Es dauerte nicht lang bis der Vogel sie erreicht hatte und sich gurrend auf ihrem Arm niederließ. Prüfend betrachtete die Dunkelelfe das nasse Gefieder der Taube. Es war so schön weich und flaumig wie die wolle von Schafen und die nässe ließ es so herrlich matt schimmern.
„Was hast du denn da an deinem Fuß Vögelchen“, brachte Amalia überrascht heraus als sie das Stück Papier am Fuß der Taube entdeckte.
Vorsichtig löste sie das Bändchen mit dem es befestigt war und nahm es ans ich.
„Was da wohl drin steht“, fragte Liliana neugierig während sie begann die Taube zu streicheln.
Die Dunkelelfe zuckte nur mit den Schultern und begann die in fein säuberlicher Schrift geschriebene Nachricht zu lesen. Als sie geendet hatte stand sie wie gelähmt da und starrte in die Ferne. Sie war kreide bleich geworden und ihre Augen vor Tränen trübe.
Erschrocken begann Lilli sie zu schütteln, so dass der Vogel auf und davon flog.
„Amalia was ist los“, schrie sie verzweifelt.
Doch die junge Dunkelelfe reagierte nicht. Ihre Gesichtszüge entgleisten ihr immer mehr bis sie schließlich bitterlich zu weinen begann und in sich zusammen sank. Sie zitterte am ganzen Körper und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
„Sie werden Ryu töten“, stammelte sie unter Tränen, mehr zu sich selbst als zu Liliana.
„Was sagst du da!“, kreischte Liliana erschrocken und riss ihr die Nachricht aus der Hand.
Das Lesen fiel ihr noch immer nicht einfach doch mit viel Mühe schaffte sie es die wenigen Zeilen zu entziffern.
„Nein! Sie dürfen meinen Bruder nicht töten!“, schrie sie verzweifelt auf und auch ihre Augen waren nun mit Tränen gefüllt. Sie konnte einfach nicht begreifen was gerade gelesen hatte. Der verzweifelte Schrei der kleinen riss die junge Dunkelelfe aus ihren Gedanken. Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht und erhob sich. Behutsam trat sie zu Lilli hinüber und legte ihr sanft den Arm um die Schultern.
„Und das werden sie auch nicht. Das verspreche ich dir“, versuchte sie der Kleinen Mut zu zusprechen.
Flehend betrachtete Lilli das Gesicht der Dunkelelfe und wischte ihre laufende Nase an einer Stoffecke ihres Ärmels ab.
„Komm jetzt. Wir müssen Aaron diese Nachricht zeigen“, sprach sie fordernd ehe sie die Liliana in ihre Arme hob und mit ihr die Gilde betrat.

Aufgebracht ging Aaron im Besprechungssaal auf und ab. Die Hilflosigkeit die an ihm nagte war ihm unerträglich. Er konnte es nicht ertragen hier zu sein während der Junge sich in Lebensgefahr befand.
Es musste etwas geschehen. Aber was?
„So beruhigt Euch doch Meister Aaron“, sprach sein Gegenüber beruhigend auf ihn ein.
Stille trat in den Raum.
Der Elf sah ihn mit einem langen, musternden Blick an. In seinen Augen konnte er dieselbe Unsicherheit, Hilflosigkeit und Trauer erkennen die auch ihn um den Verstand brachten und nicht schlafen ließen. Dicke, dunkelblaue Augenringe zeichneten sich um die sonst so klaren Augen des Elfen ab, sein Gesicht ausgenörgelt und von Trauer gezeichnet.
Aaron schloss die Augen und tat einige tiefe Atemzüge um seine Fassung wieder zu erlangen.
„Sicherlich habt ihr Recht“, sprach er schließlich anerkennend und trat zum Tisch hinüber der sich in der Mitte des Raumes befand.
Auf ihm stand eine kleine, mit hübschen Goldgravierungen überzogene Öllampe und ihr Licht flackerte tapfer in der Dunkelheit.
„Wir können den Jungen aber nicht seinem Schicksal überlassen. Wir verdanken es ihm das wir noch am Leben sind“, stieß er aufgebracht aus und ließ seine Faust auf den Tisch donnern, woraufhin die Lampe beinahe hinunter fiel.
„Aber wie gedenkt ihr ihn zu befreien? Ein Angriff auf die Gilde der Schatten währe Wahnsinn!“, protestierte sein Gegenüber energisch.
Der Elf lächelte gequält. Es war ihm nur zu gut bewusst, dass ein Angriff nicht in Frage kommen würde und das es Ryuichis taktischem Geschick und Einfallsreichtum zu verdanken war, dass nur wenige tapfere Männer ihr Leben lassen mussten.
„Ein Angriff wäre nicht nur Wahnsinn. Es wäre Selbstmord“, gestand er sich schließlich bitter ein und sah sein Gegenüber an, dann schwiegen beide.
Dass sich bereits jemand über den Korridor dem Saal näherte bemerkte er nicht.
Mit einem lauten Knall flog die Tür vor ihnen auf und die beiden Mädchen traten ein.
Amalias Herz schlug ihr bis zum Hals, ihre Augen waren von den Tränen noch immer gerötet und kalter Schweiß lief über ihr erhitztes Gesicht.
„Amalia was tust du hier? Wir haben wichtige Dinge zu besprechen“, erklärte Aaron so sanft er konnte. Als er jedoch in das traurige und vor Entsetzen immer noch bleiche Gesicht blickte stockte ihm der Atem.
„Das muss warten“, unterbrach ihn Amalia kopfschüttelnd und trat mit Lilli zu dem Elfen hinüber.
„Wir haben nämlich eine Nachricht von Isabella bekommen“, erklärte Liliana traurig.
Aaron traute seinen Ohren kaum. Was mochte geschehen sein, dass dieses Mädchen sich einer so großen Gefahr aussetzte nur um ihnen zu schreiben? Musternd blickte er zwischen den Mädchen hin und her. So aufgelöst hatte er sie noch nie gesehen. Es musste etwas ernstes sein. Amalias Augen waren von Tränen geradezu überflutet und einige rangen bereits ihre Wange hinab und tropften zu Boden.
„Was ist geschehen“, fragte er sanft.
„Lest selbst“, brachte die Dunkelelfe unter Tränen nur knapp hinaus und übergab Aaron die Nachricht von Isabella.
Mit fragendem Blick nahm der Elf das Stück Pergament an sich und begann die Sätze aufmerksam zu lesen.
Je weiter er las, desto dunkler wurde seine Miene. Das pure Entsetzen spiegelte sich jetzt in seinen Augen wieder. Er öffnete den Mund, wollte dem Schmerz der in seiner Brust tobte Ausdruck verleihen, doch nicht ein einziges Wort verließ seine wie zugeschnürte Kehle.
Verzweifelt und den Tränen nahe lehnte er sich gegen die Tischkannte und rang um Fassung.
„Das sind schlimme Neuigkeiten. Aber immerhin wissen wir was Lucien mit dem Jungen vorhat“, sprach der Elf an Amalia gewandt.
Er seufzte tief und begann nachzudenken. Etwas an dieser Nachricht störte ihn. Warum sollte dieses Mädchen so ein Risiko auf sich nehmen? Die Antwort auf diese Frage lag plötzlich so klar wie nie zuvor vor ihm. Er hatte von Anfang an mit seiner Vermutung Recht gehabt. Sie musste seine Schwester sein. Die Ähnlichkeit der Energien und des Auftretens ließen keinerlei anderen Schluss zu.
„Aaron bitte hört mir zu. Wir können nicht mehr länger abwarten. Uns läuft die Zeit davon. Ich werde selbst zur Gilde gehen und Ryu retten“, riss Amalia den Elfen aus seinen Gedanken.
Fassungslos sah Aaron sie an. Sie bebte vor Aufregung und er konnte ihr Herz bis zu sich wild in ihrer Brust schlagen hören. Die Entschlossenheit in ihren Augen sagte mehr als tausend Worte und er wusste dass er sie nicht umstimmen konnte. Er verstand nur zu gut wie sie sich fühlte.
„Du liebst ihn von Herzen hab ich Recht“, fragte er sie ernst.
„Ja das tue ich. Er ist mir das liebste auf der Welt“, entgegnete sie ohne zu zögern und erröte dabei ein wenig.
Liliana stand wie gelähmt und mit weit aufgerissenen Augen neben der jungen Dunkelelfe. Sie konnte nicht glauben was sie gerade gehört hatte. Noch niemals, so lange sie Amalia kannte, hatte diese ihre Gefühle so deutlich und unmissverständlich geäußert wie an diesem Abend. Ein grenzenloser, wilder Sturm der Gefühle brodelte in ihr. So etwas hatte sie noch niemals gespürt. Angst, Sorge, Hoffnung, all das strömte wie eine Woge aus Wasser auf sie ein und sie musste kämpfen nicht zu weinen. Doch da war noch etwas anderes. Deutlicher als je zuvor fühlte sie eine tiefe Verbundenheit, nein eine Art Liebe zu diesem Mädchen und sie klammerte sich schutzsuchend an sie.
„Du liebst meinen großen Bruder? So wie Papa Mama liebt“, fragte sie sanft und zog damit alle Blicke auf sich.
Die junge Dunkelelfe lächelte sie vertrauensvoll an.
„Ja wie deine Papa deine Mama liebt“, erklärte sie schmunzelnd, überrascht darüber wie gut dieses kleine Mädchen zu verstehen schien und strich ihr liebevoll über die Wange.
Eine Weile verstrich und das matte Licht der Öllampe ließ mehr und mehr Schatten an den Wänden tanzen.
„Dann mache ich mir keine Sorgen“, durchdrang Aarons Stimme die Stille.
„Wovon sprecht Ihr Meister Aaron“, fragte der junge Soldat der noch immer wie gebannt dastand und zuhörte.
„Ich spreche davon, dass ich Amalia zur Gilde der Schatten begleiten werde. Das bin ich dem Jungen schuldig“, erklärte der Elf selbstbewusst und fing dabei den überraschten Blick der Dunkelelfe auf.
„Aaron…“, stammelte das junge Mädchen glücklich, sichtlich gerührt von der tiefen, ehrlichen Anteilnahme des Elfen.
Es erfüllte sie mit Stolz einen solchen aufrichtigen Freund an ihrer Seite zu wissen.
„Aber Meister Aaron. Allein, nur mit einem so jungen Mädchen an Eurer Seite in die Gilde der Schatten eindringen zu wollen ist Wahnsinn. Zu Eurer eigenen Sicherheit ersuche ich Euch, Euch begleiten zu dürfen“, wand der junge Soldat mit einer Mischung aus Respekt und Tapferkeit in der Stimme ein.
„Nein Darian. Ihr werdet hier gebraucht“, schüttelte Aaron den Kopf
„Jemand muss die Gilde führen während wir weg sind“, sprach er weiter und musterte den jungen Mann lächelnd.
„Meister Aaron“, stimmte er schließlich respektvoll zu.
„Darian, ich bin fest davon überzeugt das Ihr diese Aufgabe ausgezeichnet meistern werdet“, wandte sich der Elf vertrauensvoll an den jungen Soldaten vor ihm und legte ihm anerkennend die Hand auf die Schulter.
„Wie Ihr wünscht Meister Aaron. Ich werde mein besten tun um eures Vertrauens würdig zu sein. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet. Ich werde dafür sorgen, dass ihr die Gilde ungesehen verlassen könnt“, erklärte Darian entschlossen und verließ mit eiligen Schritten das Zimmer.
„Und was uns angeht schlage ich vor, dass wir jetzt alle versuchen ein wenig zu schlafen. Wir werden im Morgengrauen aufbrechen“, sprach Aaron jetzt an die Mädchen gewandt.
Lilly unterstrich diesen Vorschlag mit einem beherztem Gähnen, woraufhin Amalia unwillkürlich schmunzeln musste.
Vorsichtig hob sie Liliana in ihre Arme und drückte sie liebevoll an sich.
„Ich denke auch das uns allen ein wenig Schlaf gut tut“, bestätigte Amalia während sie der Kleinen sanft durchs Haar strich.
„Gute Nacht Aaron“, verabschiedete sie sich höflich ehe sie sich mit Lilly in ihr Zimmer zurückzog.

Kapitel 33.


Viel zu schnell verflogen die schützenden Stunden der Nacht. Einige wenige Sterne leuchteten noch durch den grauenden Morgen als die Mädchen die Augen öffneten. Die Sonne war noch nicht über der Ebene aufgegangen und der Geruch von Tau nassen Blättern und Gräsern durchströmte die noch kühle, morgendliche Luft. Die ersten Vögel schwitzerten bereits im Laubwerk der Bäume oder suchten im Schutz der Dämmerung ihr Frühstück.
Eine kleine Weile sah die junge Dunkelelfe aus dem Fenster und ließ den Kühlen Wind ihr Gesicht umspielen. Es verschaffte ihr ein Gefühl von Sicherheit und Freiheit und half ihr einen kühlen Kopf zu bewahren. Sie schloss die Augen und bete zur Großen Göttin. Mit all ihrer Kraft bete sie dafür, dass es ihnen gelingen möge, Ryu zu befreien. Sie mochte sich gar nicht ausmalen was geschehen würde sollten sie scheitern. Nach ein paar Minuten öffnete sie die Augen und atmete tief durch, ehe sie vorsichtig zu ihrem Schrank hinüber ging und diesen leise öffnete.
Sie nahm sich ein dunkelblaues Kleid und einen warmen, schwarzen Mantel heraus. Beinahe lautlos schlüpfte sie aus ihren Nachtgewandt und legte die neuen Kleider an. Wenn sie durch die Straßen der Stadt liefen, die vor der Gilde der Schatten lag durften sie sich es nicht erlauben aufzufallen. Es blieb ihnen nichts weiter übrig als so zu tun als gehörten sie zu all dem verachtenswerten Pack was sich dort angesiedelt hatte.
Aus den Augenwinkeln heraus betrachtete sie Liliana, die sich noch einmal in die Decke gekuschelt hatte und döste. Gemächlich ging Amalia zu ihr hinüber und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Lilly blinzelte zunächst schwer mit den Augenliedern und rieb sich verschlafen über die Wange ehe sie die Augen aufschlug und langsam im Bett aufsetzte.
„Guten Morgen Sternchen. Zeit aufzustehen“, sprach die junge Dunkelelfe sanft.
Die Kleine gähnte ausgiebig und schob sich dösig aus dem Bett. Sie rieb sich die Arme. Die kühle Morgenluft fröstelte sie.
„Ist es denn schon Morgen Amalia“, fragte sie halb verschlafen.
„Ja schau nur. Die Vögel frühstücken schon“, antwortete Amalia während sie die Kleider für Lilly heraus suchte.
„Wir müssen uns beeilen. Aaron wartet sicher schon auf uns“, erklärte sie weiter und reicht Liliana ein hübsches, schwarzes Kleid und einen schwarzen Mantel.

Ohne weitere Fragen zu stellen schlüpfte die Kleine in ihre Kleider und ließ sich von Amalia ihr Haar zu einem Zopf flechten. Wenige Minuten später eilten die beiden Mädchen bereits durch die noch menschenleeren Gänge des Gebäudes und erreichten schon bald das große Eingangstor. Mit einem ordentlichen Ruck öffneten sie es und sahen Aaron, der bereits auf sie wartete.
Zu ihrer Überraschung erblickten sie drei Pferde die geduldig neben ihm verschnauften.
„Guten Morgen ihr beiden“, begrüßte er die Mädchen freundlich lächelnd.
Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen traten Amalia und Lilly näher und streichelten den Pferden liebevoll über den Kopf.
„Prächtige Tiere“, schwärmte Amalia entzückt.
„In der Tat. Darian hat dafür gesorgt dass sie für unsere Reise zur Verfügung stehen“, bestätigte Aaron.
„Wir sollten uns auch unverzüglich auf den Weg machen“, sprach der Elf nun eindringlich und deutet den beiden Mädchen das sie aufsatteln sollten. Traurig ließ die junge Dunkelelfe von der weißen Stute vor ihr ab und half Lilly auf ihr ebenfalls weißes Pferd.
Schließlich saßen auch sie und der Elf fest im Sattel und gaben ihren Pferden die Sporen, und im Licht der aufgehenden Sonne verließen sie die Gilde des Lichtes.

Kapitel 34.


Auf den Rücken der Pferde, flogen sie, wie die Vögel in der Luft flatterten dahin. Ihre Umhänge wehten im Wind und sie sahen die Landschaft wie in einem Traum an sich vorüber ziehen, durchquerten dunkle Wälder, weite Ebenen und rauschende Flüsse und Bäche. Der Anblick war so schön und ehrfurchtgebietend das es sich ihrer Vorstellungkraft entzog. Hin und wieder legten sie eine kurze Rast ein um die Pferde an einem Bach zu tränken und eine kleine Stärkung zu sich zu nehmen.
Lange ritten sie dahin und die Sonne schickte bereits ihre letzten Strahlen über den in Rot getauchten Himmel, als sie an den Mauern der Stadt ankamen.
Wie ein Gentleman half Aaron den Mädchen aus den Satteln und befestigte die Pferde an einem Baum.

Fragend blickte er schließlich zu dem verschlossen Stadttor.
Wie sollten sie sich dort Zutritt verschaffen?
Mit pochendem Herzen traten der Elf und die Mädchen an das aus dickem Eisen gefertigte Tor und klopften. Ein schwerer Riegel wurde unter lautem Quietschen zurück geschoben und ein paar giftgrüne Augen erschienen dahinter.
„Was wollt ihr“, fragte die dazugehörige Stimme unfreundlich.
„Wir sind eine Händlerfamilie und möchten in der Stadt übernachten“, log Aaron mit selbstbewusster Stimme.
Ihr Gegenüber hinter dem Tor stutzte und betrachtete sie musternd.
„Ihr seht nicht aus wie eine Händlerfamilie. Verschwindet von hier elendes Pack. Kein Zutritt für Fremde“, antwortete er hart und mit diesem Worten schob er ihnen den Riegel vor der Nase zu.
„Großartig! Und was jetzt!“, fragte Amalia entgeistert.
„Wie sagt mein Bruder immer. Wenn du etwas nicht verstehst such nach Hinweisen“, erklärte Lilly voll Schalk und zwinkerte den beiden zu.
„Gute Idee Liliana. Lasst uns ein wenig umsehen“, stimmte Aaron ein, überrascht von dem Einfallsreichtum der Kleinen. So klein und jung sie sein mochte, umso heller wahr ihr Verstand.

Wie ein junges Füchslein, das zum ersten Mal allein auf der Jagd ist, durchstreifte Liliana die Umgebung nahe dem Tor. Konzentriert schaute sie sich um. Alles und nichts erregte ihre Aufmerksamkeit.
Ein Rabe der gerade auf der Suche nach seinem Abendbrot war krächzte protestierend, als sie näher kam. Zunächst erschrocken blinzelte die Kleine den Vogel an. Etwas schimmerte matt in seinem Schnabel.
„Ganz ruhig Kleiner, ich tue dir ja nichts“, sprach sie sanft auf das Tier ein während sie einige Schritte auf ihn zuging um besser sehen zu können was er im Schnabel hatte.
Lächelnd schüttelten Amalia und Aaron den Kopf die sich ebenfalls langsam näherten. Es war doch zu niedlich wie Lilly diesem Tier nachschlich.
„Eine Beere hast du da“, erkannte die Kleine schließlich und musste unwillkürlich lächeln, als sie ihren eigenen Magen knurren hörte.
„Amalia, ich hab Hunger“, erklärte sie mit einem honigsüßen Lächeln auf den Lippen.
„Ich weiß Sternchen. Dein Magen spricht bereits mit uns“, antwortete die junge Dunkelelfe lächelnd.
„Wenn wir drinnen sind, machen wir eine Pause in Ordnung“, sprach sie weiter und deutete mit der Hand auf die von wilden Wein bewachsenen Mauern.
Liliana schüttelte nur den Kopf und betrachtete die Mauern genauer. Wäre es vielleicht möglich an den Weinreben nach oben zu klettern? Aufmerksam rüttelte, schüttelte sie an den Gewächsen und versuchte schließlich sich ein Stück empor zu heben. Die Weinranke war nicht kräftig genug gewachsen um so ein für sie großes Gewicht zu tragen und gab unter der Hand der Kleinen nach, die unsanft auf ihrem Po landete.
Kopfschüttelnd rappelte Lilly sich auf und putzte sich ab. Der Staub flockte dabei förmlich von ihrem dunklen Gewand und brachte sie zum Niesen.
>> So ein Misst. Das funktioniert nicht<<, dachte sie bei sich und sah sich erneut um.
Ihr Blick fiel auf einen Strauch an dem dunkle Beeren matt in der abendlichen Dämmerung schimmerten. Vom Hunger getrieben ging Lilly auf den Strauch zu und begann einige der Beeren zu pflücken. Sie hatte sich gerade ein paar davon in den Mund gestopft als plötzlich die Erde unter ihr nachgab und sie mit einem schrillen Schrei nach unten sauste.
„Liliana wo bist du“, rief Aaron besorgt aus und suchte die Gegend sofort nach der Kleinen ab.
„Im Keller“, antwortete Liliana schließlich.
Sowohl der Elf als auch Amalia mussten laut loslachen.
So ungeniert war wirklich nur Liliana.
„Was tust du da unten. Ich dachte du suchst einen Weg nach drinnen“, scherzte Amalia mit einem breiten, liebvollen Lächeln auf den Lippen.
„Ich hatte Hunger und habe Beeren gegessen, als ich hier runter gefallen bin“, stammte die Kleine protestierend die Hände in die Hüfte. Es gefiel ihr nicht, dass Amalia nun einen Grund hatte über sie zu lachen, wollte sie doch zeigen wie erwachsen sie schon war.
„Na komm. Ich ziehe dich nach oben“, erklärte Aaron lächelnd und reichte ihr seine Hand.
Nun ebenfalls lächelnd war Liliana schon in Stande die Hand des Elfen zu ergreifen, als ihr etwas ihre Aufmerksamkeit erregte. Ein frischer Luftzug wehte durch die Grube und ließ ihr Haar flattern. Dies konnte nur bedeuten das dies ein Gang sein musste und an seinem Ende ein Ausgang. Außerdem konnte sie deutlich das Tippeln und Piepsen von kleinen Mäuschen hören.
„Amalia, Aaron, ich glaube das ist ein Tunnel“, berichtete sie stolz.
Erstaunt sahen die junge Dunkelelfe und der Elf einander an. Auch sie hatten die kühle Nachtluft gespürt.
Voller Neugier und Hoffnung endlich in die Stadt zu gelangen setzte Aaron sich auf den Rand der Grube und landete mit einem kühnen Sprung direkt vor der kleinen Lilly. Er putzte sich die staubige Erde vom Gewand und wandte sich an Amalia, die etwas zögerlich am Rand kauerte.
„Komm, sei unbesorgt. Ich werde dich auffangen“, erklärte er sanft und streckte ihr seine Hand entgegen.
Noch immer zögerte die junge Elfe. Sie wusste, dass sie Aaron blind vertrauen konnte, doch die Angst in ihr überwog. Als kleines Kind war sie einmal einen steilen Abhang hinunter gefallen und seid her hatte sie ein Problem mit der Höhe.
„Ryu würde dich ebenso auffangen wie ich“, versuchte Aaron die Angst des Mädchens zu lindern.
„Genau hab keine Angst Amalia du schaffst es“, feuerte auch Lilly Amalia an.
Ängstlich lehnte sie sich nach vorn und sah nach unten. Noch immer schlug ihr Herz ihr bis zum Hals und die junge Dunkelelfe atmete tief durch um sich zu beruhigen. Dies war nicht der richtige Augenblick Angst zu haben. Fest entschlossen schloss Amalia die Augen und stellte sich Ryu vor, wie er dort unten stand und sie auffangen würde und ehe sie es selbst realisierte sprang sie bereits mit einem kräftigen Satz und landete sicher in Aarons Armen.
„Alles in Ordnung“, erkundigte sich der Elfe ehe er das junge Mädchen behutsam absetzte.
„Ja ich denke schon. Danke sehr“, gab Amalia lächelnd zurück.
„Hier geht es lang“, erklärte Lilly und zog ungeduldig an Aarons Hand.
„Dann lasst uns mal herausfinden wo der Tunnel uns hinführt“, sprach der Elf energisch und schritt, gefolgt von den Mädchen in die Dunkelheit des Gangs.
Vorsichtig und einen Fuß vor den anderen setzend tasten sie sich durch die Dunkelheit. Hier unten war es stockfinster und selbst der Elf mit seinen guten Augen hatte es schwer überhaupt etwas zu erkennen. Immer wieder sah er sich prüfend nach den Mädchen um, die ihm tapsend folgten. Um sie herum piepste und knisterte es. Den Mäusen war ihre Anwesenheit offensichtlich mehr als unwillkommen und hier und da konnte man das Geräusch eines fallenden Wassertropfens hören.
Eine Weile liefen sie schweigend und mit äußerster Vorsicht weiter bis sie endlich einen schwachen Lichtschimmer ausmachen konnten. Voller Freude rannten sie dem Licht entgegen bis der Tunnel endete.

Prüfend blickte der Elf an die Decke. Nur ein paar wenige Lichtstrahlen drangen zu ihnen hinunter und er war nicht groß genug um die Decke zu erreichen. Nachdenklich musterte er die Umgebung und schließlich kam ihm eine Idee.
„Amalia, schau. Siehst du die Decke dort oben“, erkundigte er sich bei dem jungen Mädchen.
Die Dunkelelfe nickte zustimmend. Sie hatte die Falltür bereits selbst entdeckt und sich gefragt, wie sie dorthin gelangen sollte.
„Aaron hebt mich hoch“, sprach Amalia, die Aarons Idee erraten zu haben schien schließlich an den Elfen gewandt und lächelte schelmisch.
„Euer Wunsch sei mir Befehl MiLady“, entgegnete der Elf lächelnd und packte das junge Mädchen an der Hüfte. Mit einem kräftigen Ruck hob er sie in die Höhe und Amalia musste besonders vorsichtig sein, nicht mit dem Kopf gegen die Decke zu stoßen.
Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen die Decke und schob sie Stück für Stück zur Seite.
Schutt und kleine Holzstücke kamen ihr entgegen und fielen genau in Aarons Gesicht der es angewidert zur Seite drehte um seine Augen zu schützen.

Kapitel 35.


Mit einem kräftigen Stoß schleuderte er die junge Dunkelelfe durch die nun offene Luke, die schließlich gekonnt und sicher auf dem Boden des Zimmers über ihr landete.
Direkt vor den Augen einer jungen Frau der vor Schreck ein Krug mit Wein aus der Hand viel und in tausend kleine Scherben zerbrach. In einem Reflex und mit wenigen blitzschnellen Bewegungen zog Amalia den Dolch, den sie sich zur Vorsicht um das Bein geschnallt hatte aus der Halterung und drückte ihn der jungen Frau an die Kehle. Sie konnte nicht riskieren jetzt entdeckt zu werden.
Böse funkelte die Dunkelelfe ihr Gegenüber an und sah wie die junge Frau vor Angst bebte.
„Keinen Mucks“, befahl sie.
Die Frau nickte nervös.
„Du hast uns nie gesehen. Hast du verstanden“, sprach sie eindringlich während sie die Klinge langsam sinken ließ.
Erleichtert atmete die junge Frau durch und begann Amalia vorsichtig zu mustern. Doch alles was der Mantel über ihr Gegenüber preisgab, waren ein paar wunderschöne Augen, die sie noch immer ernst ansahen und sie schaudern ließen.
Einige Augenblicke später half Amalia zunächst Liliana und schließlich Aaron aus dem Gang unter ihr.

Auch der Elf betrachtete nun die junge Frau. Sie war schlank, groß gewachsen und wallnussbraunes Haar wellte sich lockig an ihrem schmalen Gesicht entlang.
Die Frau fühlte sich unwohl. Sechs paar Augen sahen sie eindringlich an. Noch immer saß ihr der Schreck in den Knochen und sie wagte es nicht zu sprechen.
„Wer seid ihr“, ergriff sie schließlich doch das Wort.
„Mein Name ist Aaron“, begann der Elf zunächst zögerlich während er sich den Mantel vom Kopf streifte und sein langes blondes Haar zum Vorschein kam.
Überwältigt von dem Anblick wich die Frau ein Stück zurück.
„Und dies sind Amalia und Liliana“, setzte er fort während er krampfhaft versuchte ein herzhaftes Lachen zu unterdrücken.
Er wusste welche betörende, manchmal auch einschüchternde Wirkung sein Äußeres auf die Menschen hatte, im speziellen jedoch auf die weiblichen.
„Aaron, Amalia und Liliana“, wiederholte die junge Frau die Namen während sie alle nacheinander ansah um sich auch die dazugehörigen Gesichter so gut es ging einzuprägen.
Im nächsten Moment jedoch verschwand jeder Anflug von Furcht und Nervosität aus dem Gesicht der Nonne und sie lächelte herzlich.
„Es ist mir eine Ehre die Garde der Hoffnung in unserer Kirche begrüßen zu dürfen“, stammelte sie überglücklich.
„Die Garde der Hoffnung“, stieß Amalia irritiert hervor ehe sie Aaron fragend ansah. Doch auch der Elf schüttelte nur unwissend den Kopf.
„Meine Lieben. Jetzt überrascht Ihr mich aber. Wisst ihr nicht wie die Leute von euch sprechen“, sprach die junge Frau in einem leicht sarkastischen Unterton.
„Der Ruf nach Freiheit und der Mut den ihr bewiesen habt eilen Euch voraus. Die Menschen sprechen von Euch als echte Helden. Denn Ihr gabt uns die Hoffnung auf ein Leben ohne die Unterdrückung von Lucien zurück, die wir schon fast verloren hatten“, erklärte sie ehrfürchtig.

Ein erstauntes Raunen durchdrang den Raum
„Und nicht wenige von Ihnen sprechen von der Garde der Hoffnung wenn sie euch meinen“, erklärte sie weiter, als sich der erste Schreck ein wenig gelegt hatte.
„Dieser Ruhm hatte einen hohen Preis“, erklärte Amalia, deren Augen erneut mit Tränen gefüllt waren.
Liebevoll schlang Liliana ihre Arme um die junge Dunkelelfe und strich ihr sanft über den Arm.
„Ihr sprecht gewiss von dem jungen Krieger der neben der jungen Miss lief“, sprach die junge Nonne einfühlsam.
Aarons Ohren spitzten sich augenblicklich und er wurde hellhörig. Vielleicht wusste diese Dienerin der Großen Göttin ja etwas? Immerhin hatte sie Isabella und Ryu erkannt.
“So ist es. Er gab sein Leben in die Hände Luciens um mein Leben, nein, unser aller Leben zu retten“, gab der Elf zurück.
„Bei der Göttin… Die Liebe ist eine große Macht“, dachte die Nonne mehr als sie sprach während sie Amalia liebevoll ansah.
„Wir sind hier um meinem großen Bruder zu helfen“, sagte nun Lilly mit fester Stimme.
Sie hatte alle Mühe die junge Dunkelelfe zu trösten.
Einige Minuten de Stille verstrichen. Nur das Krabbeln der kleinen Mäuse klang von unten empor.
„Bitte helft uns“, flehte Lilly, die schließlich von ihrer eigenen Trauer überwältigt wurde.

Vorsichtig ging die Nonne einen Schritt auf die beiden Mädchen zu und strich ihnen liebevoll über die Wangen. In diesem Moment stieg in ihr der starke Wunsch auf, diesen Kindern zu helfen. Auch wenn sie nicht viel für sie tun konnte.
Kommt“, forderte sie die Gefährten auf.
Leise schritt die junge Frau durch den Raum und öffnete eine Tür. Ein Lichtstrahl schien durch den Spalt während die Dienerin der großen Göttin die Tür weiter aufzog.
“Folgt mir. Ich werde Euch helfen ungesehen in die Stadt zu kommen“, erklärte sie knapp, und schritt durch die Tür.

Nachdenklich sah Amalia Aaron an.
“Ob wir ihr trauen können?“, fragte sie leise.
Natürlich wollte sie nicht, dass die junge Frau sie hörte.
Seine Stirn in Falten gelegt erwiderte der Elf den Blick. Er konnte Amalias Misstrauen nur zu gut verstehen. Doch waren sie im Moment nicht der Situation an den Worten der Dienerin zu zweifeln. Ihre Augen sprachen die Wahrheit. Die Bewohner dieser Stadt mussten bereits lange unter Luciens Machenschaften gelitten haben.
“Ich denke wir können ihr vertrauen. Es ist keine Lüge in ihren Worten.“, antwortete er und versuchte die Zweifel der jungen Dunkelelfe zu zerstreuen.
“Kommt endlich. Oder wollt ihr das man uns sieht?“, drängte Lilly und griff nach Amalias Hand.
Aaron schmunzelte darüber wie feinfühlig Liliana das Geschehen abermals verstanden hatte.
“Nach Euch“, entgegnete Aaron galant und wies mit dem Arm in Richtung der Tür.
Gespannt auf das was sie erwarten würde schritten die Mädchen, gefolgt von dem Elfen durch die Tür.

Kapitel 36.


Einer nach dem anderen trat in die große Kapelle. Der Anblick der sich ihnen bot, verschlug ihnen die Sprachen. Hunderte von Kerzen leuchteten ihnen entgegen, Ihr Licht strahlte die Wärme, Hoffnung und Vergebung aus, nach denen sich so viele Herzen sehnten.
Überwältigt von dem Anblick sah sich die Junge Dunkelelfe um.
Die Kapelle war wie ein einzigstes großes Gewölbe angelegt. An den Wänden erzählten viele mit Liebe und Sorgfalt gestaltete Reliefe ihre eigene Geschichte. Sie zeigten Geschichten von früheren Herrschern und ihrer Heldentaten. Andere wiederum zeigten die große Göttin wie sie den Menschen helfend die Hand reichte. Nichts deutete hier auf die Graultaten der vergangen Zeit.
Wie ein Traum aus einer anderen Welt erstrahlte die Kuppel in feinstem aus weißem Marmor gestaltetem Stuck. Ein wundervolles Gemälde zierte die Oberfläche. Engel in weißen Gewändern und großen federngleichen Flügeln trugen die Seele der Verstorbenen vor die große Göttin. Mit ihrer unendlichen Güte und Liebe wies sie ihnen ihren Platz in der Ewigkeit.

Langsam und mit offenem Mund schritt Liliana durch die Reihen der Sitzbänke, auf denen kleine Gebetsbücher lagen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so etwas gesehen.
„Wunderschön nicht war“, flüsterte Aaron, der neben sie getreten war zu und legte ihr liebevoll die Hand auf die Schulter.
Amalia nickte zustimmend. Niemals zuvor in ihrem Leben hatte sie etwas so schönes gesehen.

Einige Augenblicke standen sie nur stumm da und betrachteten die Zeichnungen an den Wänden. Plötzlich jedoch öffnete sich hinter ihnen eine Tür und eine Gestalt betrat den Raum. Geist es anwesend drängte sich Aaron mit den Mädchen auf eine der Bänke. Wie aus einem Reflex zogen die Mädchen ihre Umhänge um sich und beugten sich wie zum Gebet. Niemand durfte erfahren wer sie waren.
„Guten Abend Vater Michael“, begrüßte die junge Nonne den Pater.
Ihre Stimme stockte ein wenig. Viel zu sehr war sie um ihre Gäste besorgt.
Der Pater musterte sie kurz aus seinen blauen Augen heraus. Nichts von ihm war zu erkennen, nur sein grauer Bart schaute unter seiner Kleidung hervor. Natürlich war ihm die Nervosität der jungen Nonnen nicht entgangen.
„Wer sind Sie“, fragte er während er mit der Hand auf Aaron und die Mädchen zeigte.
Die Augen der jungen Frau Weiteten sich und ihre Unsicherheit wurde immer größer. Ihr musste schnell etwas Gutes einfallen.
„Dies sind ein Kaufmann und seine beiden Töchter dem die Stadt gekommen sind um ihre Waren zu verkaufen und nun der Großen Göttin ihre Ehre erweisen möchten“, reagierte die Nonne einfallsreich.

Nachdenklich strich sich der Pater über das Kinn. So recht konnte er den Worten der jungen Nonne keinen Glauben schenken. Doch für den Moment entschied er sich es auf sich beruhen zu lassen.
„Ich heiße euch im Haus der Großen Göttin willkommen“, begrüßte er die drei herzlich.
Aus reiner Gefälligkeit wandte Aaron ihm den Kopf zu und schenkte ihm ein Lächeln. Jedoch ohne auch nur ein Wort zu sagen.
„Pater ich glaube sie wollten gerade gehen. Sie sind sicherlich von der weiten Reise sehr müde und im Gasthaus wartet man bereits auf sie“, erklärte die junge Nonne.
Mit ihrer Hand gab sie ihnen ein vorsichtiges Zeichen zum Gehen. So leise und unauffällig wie möglich erhoben sich die drei von den Bänken. Mit ein paar höflichen Worten verabschiedeten sie sich und verließen die Kirche.

Kaum dass sie aus der Kirche waren seufzte Amalia erleichtert auf.
„Wir hatten großes Glück das uns die Nonne geholfen hat“, erklärte Aaron ruhig.
„Das hatten wir allerdings“, gab die junge Dunkelelfe zurück.
Ungeduldig schüttelte Liliana den Kopf. Sie hatten jetzt keine Zeit für Unterredungen.
„Kommt endlich“, die Kleine während sie sich bereits aufmerksam umsah.
Aus den Augenwinkeln konnte sie immer wieder die Schatten großgewachsener, stämmiger Männer beobachten. Sie war sich sicher das es einige von Luciens Leuten waren die durch die Straßen der Stadt patrouillierten.
„Sie hat Recht. Wir sollten nicht verweilen“, bestätigte Aaron und wies den beiden Mädchen mit dem Kopf in Richtung Norden.

Leise und lautlos, wie Schatten an der Wand, huschten sie durch die Gassen. Niemand nahm von ihnen Notiz oder sah sie. Im nächsten Augenblick jedoch, hielt Aaron in seinem Schritt in und drückte sich in wie im Reflex hinter eine etwas hervorstehende Hauswand.
Die junge Dunkelelfe öffnete schon fragend den Mund, doch der Elf gebot ihr mit nur einem einzigen Blick Ruhe zu bewahren. Schritte näherten sich. Sie waren langsam und schwer. Wie von jemanden in schwerer Rüstung verursacht.
Zunächst sahen sie nur einen großen Schatten auf dem Boden, der mit der Zeit immer kleiner wurde. Die Person musste jetzt direkt neben ihnen sein.
Lilly zitterte vor Angst und griff nach Amalias Hand. Sie wagte kaum zu Atmen. So groß war ihre Angst, sie könnten entdeckt werden.
Sanft strich die junge Dunkelelfe der Kleinen über die Hand und sah mit einem Blick an der ihr sagen sollte, sie brauche keine Angst zu haben.

Aus dem Schutz der Dunkelheit heraus beobachtete Aaron die Patrouille genau. Mit den Augen folgte er ihr, bis sie vor dem großen Tor zum stehen kam. Ein weiterer Soldat wartete dort bereits.
Glücklicher Weise schienen sie bis jetzt unentdeckt geblieben zu sein. Ein knapper Wortwechsel musste zwischen den beiden stattfinden. Dies konnte er an der Reaktion auf den Gesichtern sehen. Einem der beiden war die Anspannung deutlich anzusehen. Aus seinen Augen sprühte die Nervosität und seine Stirn lag in Falten.

Besorgt sah sich der Elf nach den Mädchen um und schenkte ihnen ein gequältes Lächeln.
Wie nur sollten sie jetzt in das Quartier der Gilde der Schatten gelangen. Solange diese beiden Tölpel vor dem Tor Wache standen, schien dies aussichtslos.
In all de r Aufregung hatten sie jedoch nicht bemerkt, dass sie beobachtet wurden. Ein kleiner Junge stand unweit von ihnen an ein altes Haus gelehnt. Er schien auf den ersten Blick ungefähr 10 Jahre alt zu sein. Seine Kleider waren zerlumpt und schmutzig. Selbst im Gesicht hatte er Kohlenstaub vom leeren des Aschekübels.
Erschrocken fuhr Amalia zusammen als sie den Blick des Jungen auf sich ruhen spürte. Wenn dieser kleine Bengel sie jetzt verraten würde, wäre alles umsonst gewesen.
Das durfte nicht sein.
Unverfroren blickte sie ihm nun direkt in die Augen und flehte ihn gerade zu an ruhig zu sein.

Ein breites Grinsen trat in das Gesicht des Jungen und er sah gerade Wegs in die Richtung der Wachen. Betont langsam schlenderte er an den Dreien vorbei, direkt auf die Männer zu.
„Entschuldigung Onkel“, sagte er betont kleinkindhaft.
Erst jetzt bemerkten die beiden Soldaten den Jungen und sahen ihn herablassend an.
„Was willst du Naseweis“; fragte einer von ihnen.
„Ich habe da unten am Tor ein paar komische Gestalten gesehen“, erklärte er kurz und knapp und rieb sich bewusst nachdenklich das Kinn.
„Drei komische Gestalten sagst du“, entrüstete sich der andere der Wache.
Der Junge nickte zustimmend.
„Na komm schon. Die holen wir uns. Und dann bekommen wir eine fette Belohnung von Meister Lucien“, sagte der Eine zum Anderen.
Dieser ließ es sich nicht zweimal sagen und wenig später konnte man die beiden Männer auch schon die vermeidliche Hauptstraße entlang rennen sehen. Das Tor war nun endlich unbewacht.
Erleichtert atmeten die Drei, die alles genau beobachtet hatten durch und schlüpften aus ihrem dunklem Versteck. Noch einmal sahen sie sich prüfend um. Nichts und Niemand waren zu sehen. Eilig legten sie die letzten Schritte zum Tor zurück.
Dankbar sah Liliana den jungen an. Sie konnte noch gar nicht glauben dass er ihnen wirklich geholfen hatte.
„Danke schön. Das werden wir dir nie vergessen“, sprach sie leicht errötet.
Zufrieden lächelte der Junge sie an und verschwand nur wenige Augenblicke später wieder in den Gassen der Stadt.

Mit verwundertem Blick sah Aaron ihm nach.
„Ein merkwürdiger Junge“, murmelte er vor sich her.
Sein Blick wanderte wieder zu den Mädchen.
„Kommt jetzt. Die Gelegenheit ist günstig“, sprach er und durchschritt gefolgt von Lilly und Amalia das Tor.

Kapitel 37.


Ein merkwürdig erregtes Gefühl durchfloss Isabellas Körper. Nachdenklich erhob sie sich von ihrem Stuhl und trat an das geöffnete Fenster. Zunächst wanderten ihre Augen planlos durch die Nacht, bis ihr Blick plötzlich etwas ausmachte. Sie traute ihren Augen kaum. Vor sich sah sie den Elfen und die beiden Mädchen in Richtung des Tores huschen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie waren tatsächlich hier.
Aufgeregt wirbelte sie herum. Wie aber sollten sie nur ungesehen in das Gebäude dringen.
Ein Windhauch wehte durch das Fenster ließ das Licht der Kerze, die auf dem Tisch stand flackern.
Isabella lächelte verzückt. Sie hatte verstanden was sie zu tun hatte.
Geschwind verließ sie ihr Zimmer und rannte auf der Suche nach einer Wache in wilder, jedoch gespielter Panik durch die Gänge. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis ihr endlich jemand entgegen kam. Eine junge Soldatin kreuzte ihren Weg.
„Bitte, ihr müsst helfen. In den Kellern ist ein Feuer ausgebrochen“, rief Isabella verzweifelt.
„Aber Fräulein Isabella, was redet ihr da“, erkundigte sich die junge Frau aufgeregt und riss die Augen weit auf.
„So glaubt mir doch. In den Kellern ist ein Feuer ausgebrochen und einige eurer Kameraden sind noch da unten“ redete sie mit noch mehr gespielter Verzweiflung auf die Frau ein.
Bei sich bete sie zur Göttin dass ihr Plan funktionieren würde.
„Ich … Ich werde nachsehen“, stotterte die junge Frau nun ebenfalls außer Sich vor Angst und rannte davon.
Erleichtert atmete Bella durch. Jetzt konnte sie nur noch abwarten und hoffen.
Ihr Plan funktionierte. Schon bald hatte sich die Nachricht des vermeidlichen Feuers herum gesprochen und fast alle der Soldaten hatten ihre Stellungen verlassen.
Isabella wartete noch einige Augenblicke ab. Alles war ruhig. Vor ihr lagen nur leere Korridore.
Leise und behände wie ein kleines Kätzchen schlich sie sich zum Tor.

Mit fragenden Blicken betrachteten Aaron und die Mädchen die gewaltige Eingangspforte. Sie war aus massivem Holz gefertigt und sehr hoch. Ohne Hilfe würden sie niemals hinein gelangen.
Als sie schon beinahe ans Aufgeben dachten und umkehren wollten spitzte Lilly plötzlich die Ohren. Hinter dem Tor tat sich etwas.
Erschrocken drängten sie einige Schritte zurück und ihre Hände tasteten nach ihren Waffen. Schritte waren zu hören die sich rasch näherten und lauter wurden.
Entschlossen starten alle gemeinsam auf die Eingangspforte. Unter unerträglichem Quietschen öffnete sie das Tor und ein matter Lichtschimmer drang von drinnen in die Nacht hinaus.
Ein Schatten fiel auf den Boden und schließlich sahen sie wer ihnen die Tür geöffnet hatte.
Die Augen des Elfen sprühten vor Erleichterung und Freude.
„Isabella“, flüsterte er hochachtungsvoll.
„Was macht ihr hier“, öffnete Amalia fragend den Mund.
„Keine Zeit für Erklärungen. Folgt mir“, flüsterte sie leise.
Ohne ein weiteres Wort folgten die Drei Bella hinein. Aufmerksam sahen sie sich um. Sie hatten erwartet überall auf Luciens Männer zu treffen.
Aber… nichts tat sich.
Noch immer leicht beunruhigt sah die junge Frau die drei an.
„Mehr kann ich im Moment nicht für euch tun. Wartet unten in der Krypta. Sie werden Ryu dort hin bringen“, sagte sie traurig.
Der Gedanke daran, was mit ihrem Bruder geschehen würde, bereitete ihr unendlichen Schmerz.

Beruhigend legte Aaron ihr den Arm auf die Schulter und lächelte sie an.
„Ich danke Euch von Herzen. Das ist mehr als wir zu hoffen gewagt hatten“, antwortete er sanft woraufhin die Mädchen zustimmend nickten.
„Ich muss jetzt gehen. Entschuldigt mich“, gab Bella gequält zurück.
Ihre Augen füllten sich langsam mit Tränen als sie sich umdrehte und eine verflog im Wind als sie davon ging.
Mit offen stehendem Mund sah Aaron ihr nach. Was war nur auf einmal los mit ihm. Sein Herz schlug wie wild in seiner Brust, sein Puls raste. Er hatte schon so viele junge Mädchen gesehen. Doch noch nie hatte er jemanden wie sie getroffen. Etwas faszinierte ihn an ihr. War es ihr Duft wenn sie vorbei ging, ihr Haar das ihr Gesicht so wundervoll umschmeichelte, ihr Augen in der er sich bald verlor wenn er sie ansah, oder war es alles an ihr? Eine innere Stimme sagte ihm, dass er sie so nicht gehen lassen sollte. Er fasste Mut und wie aus einem Reflex heraus ergriff er erneut Isabellas Hand.

Die junge Frau stoppte ihre Schritte. Sie spürte wie der Elfe behutsam über ihre Hand strich. Auch ihr Herz überschlug sich halb in ihr. Sie spürte es bis in die Fingerspitzen schlagen. Wie elektrisiert stand sie da, noch immer mit dem Rücken zu ihm. Ihn anzusehen wagte sie nicht. Sie wusste, wenn sie sich nun umdrehte würde sie sich hilflos wie ein kleines Mädchen in seinen Armen versinken und sie nie wieder loslassen können. Aber schon seid sie ihn das Erste Mal gesehen hatte, fühlte sie so.

Mit einem kunstvollen Schwung drehte der Elf sie zu sich herum. Der Schwung war genug gewesen, dass Isabella sich mit ihrer freien Hand abfangen musste, direkt an seiner Brust. So standen sie vor ihm, die eine Hand in seiner, die andere ruhte sanft an seiner Brust. Liebevoll umschloss Aaron nun auch Bellas zweite Hand. Es war ein unglaublich schönes Gefühl die Wärme zu spüren die von ihr ausging, ihren Herzschlag neben dem seinen zu spüren.

Verlegen hob Isabella den Kopf und sah Aaron direkt in seine blauen Augen. Ein leiser Seufzer entschlüpfte ihrer Kehle. Sie konnte es sich selbst nicht erklären aber in seiner Gegenwart fühlte sie sich so geborgen und sicher. Je länger sie ihn ansah desto stärker wurde ihr Verlangen ihm noch näher zu kommen. Genießerisch schloss sie die Augen und genoss den Duft der von ihm ausging. Schließlich gab sie ihrem inneren Verlangen nach und ließ sich in seine Arme sinken.

Glücklich lächelte Aaron sie an und strich ihr liebevoll über die Wange. Ihre Finger erwiderten seine Liebkosungen. Behutsam hob er ihr Kinn ein klein wenig. Gerade genug, dass sie ihn ansehen konnte. Sich geborgen fühlend schmiegte Isabella ihr Gesicht an Aarons Hand und öffnete zaghaft den Mund.
„Aaron ich…“, flüsterte sie leise.
Weiter als diese beiden Worte kam sie nicht ehe ihre Stimme ihr den Dienst verweigerte. Sie zitterte vor Aufregung am gesamten Körper und sie wusste nicht wie lang ihre Knie ihr noch gehorchen würden.

Aaron schüttelte nur sanft den Kopf. Er konnte es noch immer nicht fassen das sie direkt in seinen Armen lag, hier, jetzt gerade, in diesem Moment. Tief in sich wünschte er sich, die Erde würde aufhören sich zu drehen, einfach stillstehen. Er wollte diesen Moment für immer festhalten. Auch er sah ihr tief in die Augen und noch ehe er selbst verstand was er eigentlich tat hatten seine Lippen bereits die ihren gefunden. Wie eine Woge des Glücks breitete sich ein wohlig warmes Gefühl in seinem Körper aus. Er fühlte sich zu allem beflügelt. Für sie würde er die Sterne vom Himmel holen sollte sie ihn darum bitten. Für sie würde er einmal durch die Hölle gehen und es mit Luzifer persönlich aufnehmen wenn es sein müsste.
Sie erwiderte seinen Kuss mit noch mehr feuriger Leidenschaft denn zuvor. Die Angst und all der Zweifel die in ihr gewesen waren, waren von ihr abgefallen. Stattdessen fühlte sie nur noch die Wärme in sich und das Wissen, dass sie ihn nie wieder verlieren würde. Selbst der Tod würde über ihre Liebe keine Macht haben.
Liebe…
Bei diesem Gedanken küsste sie ihn auf neue feurig.
Ja sie liebte ihn!
In diesem Augenblick hätte sie es am liebsten in die ganze Welt herausgeschrien.
Nur wiederwillig lösten sie sich schließlich voneinander.

Genervt legte Liliane den Kopf zur Seite und stemmte die Hände in die Hüfte.
„Seid ihr bald fertig“, brachte sie unverfroren heraus.
Alle Blicke waren nun auf sie gerichtet.
„Aaron ich unterbreche auch nur ungern aber sie hat Recht. Wir müssen gehen“, vervollständigte Amalia die Gedanken der Kleinen.

Der Elf und Bella tauschten zunächst irritierte Blicke aus ehe sie zu lachen anfingen. Wieder einmal hatte Ryus kleine Schwester mit ihrem losen Mundwerk den Nagel auf den Kopf getroffen.
Schweren Herzens entzog sich Isabella Aarons Armen und tat einige Schritte.
„Es tut mir so leid aber ich muss jetzt wirklich gehen“, flüsterte sie ihm leise zu ehe sie sich zum Gehen wandte.
Sie drehte ihm den Rücken zu und hatte schon halb den Raum verlassen.
„Seid vorsichtig“, rief sie noch und verließ endgültig den Raum.

Kapitel 38.


Geschwind und im Schutz der Schatten, bewegten sich der Elf und die Mädchen durch das Gebäude hinab zur Krypta. Immer wieder kamen ihnen merkwürdige Gestalten entgegen. Meistens jedoch, handelte es sich um einzelne verirrte Gefolgsleute von Lucien, die in dem Chaos das Isabella verbreitet hatte durch die Gänge liefen. Endlich hatten sie den Gang der hinab in die Krypta führte gefunden. Mit klopfenden Herzen standen sie davor. Dies war ihre letzte Chance noch umzukehren wenn sie es denn wollten. Gingen sie hinab, gab es keinen Weg zurück.

Stille herrschte.

Nur das leise flackern der Lampen, die an der Wand hingen durchbrach die Stille.
Keiner von ihnen wagte es ein Wort zu sagen und doch dachten sie alle Drei in diesem Augenblick das selbe. Sie mussten Ryuichi helfen. Es blieb ihnen keine andere Wahl. So viele Menschen hatten viele Gefahren für Sie in Kauf genommen und der Junge hatte sie mit all seinem Mut und seiner Tapferkeit beschützt. Sie durften jetzt nicht an sich selbst zweifeln und aufgeben! Ein tiefer Seufzer entwich Lilianas Kehle. Sie fühlte sich elend vor Angst. Am liebsten hätte sie laut
angefangen zu schreien und wäre weggelaufen. Aber sie wusste, dass sie tapfer sein musste. Ihr großer Bruder brauchte sie jetzt!
Vertrauensvoll suchte sie nach Amalias Hand und drückte diese fest.
Es gab ihr ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit in dieser schweren Stunde.
Mit einem Lächeln auf den Lippen betrachtete die junge Dunkelelfe die Kleine. Sie fühlte anscheinend genau so wie sie selbst. Doch konnte sie hinter der Angst die im Moment von dem kleinem Mädchen ausging die große Tapferkeit und den starken Willen spüren der ihr zu Teil war.
„Meine Damen, wollen wir dann?“, fragte Aaron vorsichtig, der das kleine Schauspiel aus den Augenwinkeln heraus beobachtet hatte.
Die beiden Mädchen sahen sich beide entschlossen an. Sie würden beide ihr Bestes geben.
„Ja“, antworteten sie im Chor.
„Nach Euch meine Damen“, sprach er galant und deute mit einer eleganten Bewegung seines Armes auf den Gang.
Zu allem entschlossen folgten sie schließlich einer nach dem anderen dem Gang.

Währenddessen hatte sich Isabella in ihr Zimmer zurückgezogen. Auf diese Art, so hoffte sie, würde ihr Vater keinen Verdacht schöpfen. Dennoch schlug ihr Herz wild in ihrer Brust. Die Begegnung mit dem Elfen hatte sie aufgewühlt und verwirrt. Noch nie hatte sie so für jemanden gefühlt. Nur allzu gerne hätte sie sich jetzt erneut in seine starken Arme geschmiegt. Aber im Augenblick gab es wichtigeres, auf das sie sich konzentrieren musste.
>>Dies darf mich emotional nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Beruhige dich<<, redete sie sich selbst ein und versuchte sich zur Ruhe zu zwingen.
Um nicht nervös in ihrem Zimmer hin und her zu laufen beschloss sie, sich auf den Stuhl an ihrem Tisch zu setzten und ein paar Seiten zu lesen. Eine Kerze flackerte in der Mitte des Tisches und tauchte den Raum in ein angenehm warmes Licht.
Tief in sich wusste die junge Frau, das es nicht mehr lange dauern würde bis einer der Handlanger ihres Vaters eintreten würde und sie auffordern würde sich für die Zeremonie fertig zu machen. Bei dem Gedanken daran schauderte sie. Was wenn ihr Plan scheiterte? Würde sie ihren eigenen Bruder in den Tod schicken?
Bei diesen Gedanken schüttelte sie energisch den Kopf. Sie durfte so nicht denken!
Mit aller Mühe gelang es ihr, sich wieder auf das Buch zu konzentrieren.

Wie lange sie dort im Kerzenschein gesessen und gelesen hatte wusste sie nicht. Es musste aber ein gutes Weilchen gewesen sein ehe es schließlich an der Tür klopfte. Die Kerze war ein gutes Stück abgebrannt.
„Herr rein“, antwortete sie höflich.
Leise öffnete sich die Tür und Lino trat in das Zimmer.
„MyLady. Euer Vater lässt Euch ausrichten Ihr möchtet Euch für die Zeremonie fertig machen“, entgegnete er ohne große Umschweife.
Isabella nickte mechanisch. Erst jetzt fiel ihr Blick auf das, was Lino in den Händen hielt. Es war ein wunderschönes weißes Kleid. Feiner, welliger Saum bedeckte den unteren Bereich. Die Ärmel waren wunderschön bestickt und an ihren Rändern schlängelte sich wie eine Naht ein Muster aus Rosenblüten entlang.
Lino fing den Blick der jungen Frau auf, der noch immer dem Kleid in seinen Händen galt.
„Mit Verlaub, Ihr werdet darin sicherlich bezaubernd aussehen“, sprach er leicht verlegen.
„Mit Sicherheit und vielen Dank“, gab Isabella mit einem gequältem Lächeln zurück.
„Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet MyLady. Die Pflicht ruft“, erklärte Lino schließlich kurz ehe er das Kleid über den Stuhl hing und das Zimmer verließ.
Isabella zögerte einige Augenblicke ehe ihre Blicke erneut auf das Kleid fielen. Es war wirklich hinreißend. Nur der Anlass es zu tragen schnürte ihr die Kehle ab. Aber ihr blieb keine andere Wahl als jetzt ihrem eigenen Plan zu vertrauen und vorläufig noch mitzuspielen. Mit ein paar Tränen im Gesicht löste sie ihre Kleider von ihrem Körper, die sanft auf die Erde glitten. Mit einer anderen Bewegung schlüpfte sie in das weiße Kleid.
Der Stoff fühlte sich traumhaft an und wie herrlich es sich an ihren Körper schmiegte.

Einige Augenblicke später klopfte es erneut an der Tür. Dieses Mal war es Lucien der das Zimmer betrat.
„Bist du fertig?“, fragte er seine Tochter während er sie flüchtig musterte.
Bei dem Anblick der sich ihm Bot verschlug fehlten Lucien seit langer Zeit einmal die Worte. Wie Isabella so vor ihm stand, sah sie aus wie ihre Mutter. Die gleiche wunderschöne Figur, das gleiche geschmeidige Haar. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte Lucien so etwas wie Gewissensbisse in sich. Jedoch vertrieb er dieses Gefühl sofort wieder. Für ihn war es nur ein Zeichen von Schwäche solche
Gefühle zu hegen.
„Ja Vater“, entgegnete Isabella nach einer Weile, die die Blicke ihres Vaters auf sich ruhen spürte.
„Sehr schön. Dann folge mir“, erklärte er lächelnd und wies auf die Tür.
Ohne ein weiteres Wort gehorchte die junge Frau und gemeinsam verließen sie ihren Raum.

Eine gefühlte Ewigkeit waren der Elf und die Mädchen auf der Suche nach einem geeigneten Versteck durch den Gang gelaufen. Jedoch gab es bis jetzt keine Möglichkeit sich unbemerkt in Deckung zu gehen. Aufmerksam wanderten Amalias Augen durch den Gang. Irgendwo musste es eine Möglichkeit geben sich zu verstecken. Die Dunkelheit die rings um sie herrschte machte es ihr nicht leichter. Nur sehr unwirklich nahm sie die Wände war. Umso intensiver jedoch die stickige Luft, die sie umgab. Es roch nach verrotteten Holz und Verwesung.
Verwesung?
Dies bedeutete ohne Zweifel, dass sie sich in der Nähe einer unterirdischen Grabstätte befanden. Bei dem Gedanken daran krampfte ihr Magen. Lucien ließ wohl nicht nur den Lebenden eine Extrabehandlung zu kommen.
„Aaron hier irgendwo muss es eine Gruft oder eine Art Grab geben“, flüsterte sie dem Elfen zu.
„Zweifellos“, bestätigte dieser.
Durch die Luft fiel es ihm sehr schwer ein Würgen zu unterdrücken.
„Schaut mal, schaut mal“, rief Lilliana plötzlich aus, die bisher ruhig neben ihnen hergelaufen war.
Ein matter Lichtschimmer fiel auf ihr Gesicht. Erstaunt sahen Aaron und Amalia in die Richtung in die Lilly zeigte. Nur wenige Meter vor ihnen breitete sich ein großer mit Kerzen gut ausgeleuchteter Raum aus. Langsam schritt die kleine Gruppe dem Licht entgegen. Immer darauf bedacht keinen unnötigen Lärm zu verursachen. Niemand von ihnen wusste wann und von wo sie den Jungen hier herunter bringen würden.
Der Anblick der sich ihnen schließlich bot verschlug ihnen beinahe den Atem. Überall an den Wänden hingen dunkle Vorhänge mit seltsamen, fremdartigen Mustern. Nur hier und da ragte eine Fackel aus einer Lücke. Die Spitzen der Fackelhalter zierten kunstvoll gearbeitete Figuren mit Händen vor dem Gesicht. Beinahe schien es so als würden sie beten. Ihre Augen geschlossen, ihre Münder wie zu einem Gebet geformt. Auf dem Boden lag ein blutroter samtiger Belag. In der Mitte des Raumes thronte ein großer aus Gold gearbeiteter Altar. Feine, mit größter Sorgfalt
gearbeitete Reliefe zierten die Seiten. Sie zeigten Menschen bei einer Schlacht. Einer davon hielt sogar den Kopf einer seiner Gegner als Zeichen des Sieges in die Höhe. An den Ecken waren kleine, jedoch sehr gut in Szene gesetzte Saphire angebracht. Sie schimmerten im fahlen Licht der Fackeln unheilvoll dunkel. Wie die dunkelsten Tiefen des Meeres die einen zu verschlingen drohten. Auf dem Altar lag ein wunderschönes, blaues, aus Samt gefertigtes Tuch. Seine Ecken fielen in
Fransen über den Rand. Der gesamte Raum vermittelte mehr den Eindruck einer gruseligen Kapelle oder eines Gebetsraumes als einer Krypta. Der ideale Ort für Luciens Zwecke.

Wie gebannt starrten Amalia und Lillie in den Raum und auf den Altar. Ihre Gedanken schwirrten zu Ryu. Allein schon sich vorzustellen was dieser Lucien mit ihm anstellen könnte ließ ihren ganzen Körper krampfen. Aufmerksam lauschte Aaron in die Dunkelheit. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihm aus und
mahnte ihn zu noch größerer Vorsicht und Aufmerksamkeit. Plötzlich spitzten sich seine Ohren. Schritte näherten sich. Nach dem Lärm den sie verursachten zu folge mussten es dutzende sein. Ohne Zweifel war dies die Prozession mit der Ryuichi hier her gebracht werden sollte. Erschrocken sah er die Mädchen an. Amalia sah sich noch immer prüfend um. Nur Lillie konnte er nirgends ausmachen. Wohin war sie verschwunden? Eilig überflog er den Raum. Doch nirgendwo eine Spur von ihr.
Lilliana ihrerseits, die bereits eine kleine Weile hinter Aaron verschwunden war grinste in sich hinein als sie sah wie der Elf sie suchte. Vorsichtig schlich sie sich an ihn heran und stupste ihn in die Seite.
„Wollt ihr hier Wurzeln schlagen und entdeckt werden“, fragte sie mit dem unschuldigsten Lächeln das sie hatte.
Verärgert sahen der Elf und Amalia sie an. Sie wollten gerade ihre Münder öffnen um etwas zu sagen, doch die Kleine ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen.
„Kommt schon hier lang“, drängte sie und begann Amalia neben sich her zu ziehen.
„Lilliana was hat das zu bedeuten“, fragte Aaron sie ernst während er ihr folgte.
Der modrige Geruch der ihn beinahe würgen ließ wurde immer stärker und bald darauf schon beinahe unerträglich.
„Wir spielen eine Runde verstecken“, antwortete die Kleine Zuckersüß ehe sie die Beiden in eine Nebenkammer führte.

Prüfend betrachteten die junge Dunkelelfe und der Elf den Nebenraum. Voller Schrecken nahmen sie die vielen Skelette und Toten wahr, die sie umringten. Lilliana hatte sie gerade Wegs in eine Art Gruft geführt. Stirn runzelnd sah Aaron die Kleine an. Aber wenn er ehrlich sein sollte hatte Lilliana das ideale Versteck gefunden. In diesem kleinem Raum würde sie niemand vermuten und selbst wenn unwahrscheinlicher Weise jemand an ihnen vorbei gehen sollte würde der penetrante Geruch den ihren überdecken und so ihre Präsenz verbergen.
„Gut gemacht Lilliana“, lobte er sie leise.
Ihr Blick fiel schließlich auf Amalia die ihren Zeigefinger über ihre Lippen gelegt hatte und ihnen gebot ruhig zu sein.
„Still, sie kommen“, mahnte sie ernst und winkte sie heran.
Vorsichtig schlichen sie ebenfalls an die Eingangspforte der Gruft und sahen um die Ecke.

Erhobenen Hauptes, jedoch mit leerem Blick schritt Isabella in ihrem weißen Kleid den Gang zur Krypta entlang. In ihren Händen trug sie ein kleines, weinrotes Kissen auf dem ein silberner Dolch ruhte. Sein Griff war aus puren Gold gefertigt und kleine Rubine zierten ihn. Die Schneide war aus mehrfach gefaltetem Stahl geschmiedet wurden, welche am Ende mit Silber überzogen wurden war.
Hinter ihr schritt umringt von ihrem Vater und einigen in dunkle Gewänder gekleidete Männern ihr Bruder. Nur zu diesem Zwecke hatte man ihm eine halbwegs brauchbare Hose und ein Hemd aus einfachen Leinen angezogen. Um seinen Hals, so wusste sie, baumelte gut versteckt das Amulett ihrer Mutter. Mit gefesselten Händen und gesenktem Kopf folgte er ihren Schritten.

Immer wieder warf die junge Frau einen kurzen Blick zurück. Einmal hatte der Junge ihren Blick erwidert. Zu ihrer Überraschung lächelte er sie an. Sein Blick war voller Vertrauen und Zuversicht. Er war bereit gewesen dies alles auf sich zu nehmen um seine Familie und Freunde zu retten und nun war er auch bereit sein Leben für sie zu geben. Rasch wandte Bella wieder den Kopf. Hatte er so viel Vertrauen zu ihr? Was wenn all ihre Mühe vergebens gewesen war und der Fluch ihrer Vaters doch stärker war als der Schutzzauber ihrer Mutter? Sollte dies der Fall sein bedeutete es den
sicheren Tod für sie alle. Eine Träne lief bei diesen Gedanken über ihre Wange und verflog im Wind ihrer Schritte. Bella lächelte gequält. Ihr Bruder glaubte fest an sie und daran, dass sie ihn beschützen würde. So musst und konnte sie auch nicht anders als fest daran zu glauben das der Zauber ihrer Mutter ihr Leben retten würde.

Die Prozession schob sich immer weiter den Gang entlang. Immer wieder betete Isabella dabei zur großen Göttin. Möge sie ihre schützende Hand über sie halten.
Kochend vor Wut ballte Amalia ihre Hände zu Fäusten als sie den ersten Teil der Prozession im anliegenden Raum erblickte und Ryu in der Menge ausmachte. Aufgeregt zuckten ihre Hände immer wieder auf.
„Ruhig. Ihm wird nichts geschehen. Das spüre ich“ redete Aaron beruhigend auf sie ein während er ihr sanft den Arm auf die Schulter legte.
In ihm jedoch brodelte die Gleiche Wut, nagte dieselbe Angst an ihm die auch das Mädchen quälte. Zu allem bereit strich seine freie Hand über sein Schwert, das sicher in seiner Scheide an seinem Gürtel baumelte.
Mit nun sehr würdevollem Schritt, schritt Isabella in den Raum. Erst kurz vor dem Altar hielt sie in ihrem Schritt inne. Schon seit einer Weile hallte ein merkwürdiger monotoner Gesang durch den Raum der von den ihr folgenden Männern ausging. Während sie einfach wartend da stand verteilten sich die Männer im gesamten Raum. Ein jeder von ihnen stand mit einer Fackel in den Händen zwischen zwei Fackeln und füllte so die Lücke die zwischen ihnen lag.

Begleitet von dem Gesang seiner Männer schritt Lucien mit erhabenem Schritt an seiner Tochter vorbei und nahm seinen Platz auf der anderen Seite des Altars ein. Immer wieder stießen die Männer ihre Fackeln rhythmisch auf dem Boden.
Bösartig übers ganze Gesicht grinsend sah Lucien in die Runde. Alles verlief genau so wie er es angeordnet hatte und das größte seiner Probleme würde sich ins Nichts verlaufen. Nein besser noch, sein Problem würde schon sehr bald seinem Willen folgen.
„Bringt den Jungen“, befahl er selbstsicher.
Unter intensiver werdenden Gesang betrat Ryuichi den Raum. Hektisch sah er sich um. Alles sehr dunkel und verhangen. Im Licht der Kerzen konnte er nicht einmal die Gesichter der ihn umgebenen Männer erkennen. Nur ein Gesicht stach aus der Menge hervor auf dem sein Blick haften blieb. Inmitten aller erkannte er das Gesicht seiner Schwester. In ihrem weißem Kleid glich sie beinahe einer der Priesterinnen der großen Göttin. Sie erwiderte seinen Blick mit einem Lächeln. Ihr Anblick schürte in ihm einen neuen Funken Hoffnung den er schon verloren geglaubt hatte. Schließlich kam er dicht vor dem Altar zum stehen.

Triumphierend blickte Lucien ihn an.
„Willkommen mein Freund. Ich hoffe doch du hast dich in den letzten Tagen wohl bei uns gefühlt“, sprach er mit einem sarkastischen Unterton in der Stimme.
Einen Moment lang dachte Ryuichi nach was und ob er antworten sollte. Er musste sorgfältig überlegen was er sagte. Selbst das kleinste falsch gesprochene Wort könnte ihm jetzt teuer zu stehen kommen und auch den letzten Funken Hoffnung dies zu überleben zu Nichte machen.
„Eure Gastfreundschaft war überaus großzügig“ log er frei heraus.
Ein schallendes Gelächter hallte durch den Raum. Offensichtlich gefiel Lucien seine Antwort. Er zeigte keine Anzeichen von Ärger oder Wut.
„Sehr schön sehr schön“, ergriff er aufs Neue das Wort
Im nächsten Moment jedoch verfinsterte sich seine Miene bereits.
„Ich denke es ist genug der Worte. Nun sollst du das bekommen was du verdienst“, sprach er abwertend ehe er sich wider von dem Jungen abwandte.
Betont langsam schritt Lucien hinüber zu einem aus Messing bestehenden Buchständer. Auf ihm ruhte ein altes, jedoch sehr wertvolles Buch. Der einband war in einem einfachen, unscheinbarem Schwarzton gehalten. An den Seiten des Einbands zierten wellenförmige Linien das Schriftwerk. In der Mitte wachte nichts Geringeres über den Inhalt, als ein wunderschön gestaltetes Pentagramm.
Ehrfürchtig und mit größter Sorgfalt öffnete Lucien das Buch. Für einen Augenblick genoss er den Duft des alten Papieres, das von dem Schriftstück ausging, ehe er begann darin zu blättern.

Einige Augenblicke verstrichen bis er fand wonach er suchte. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht sah er auf und blickte dem Jungen direkt in die Augen.
„Dann wollen wir es dir mal bequem machen“, sagte er zunächst mit zuckersüßer Stimme.
„Packt ihn“, befahl er nun Lino.
Ohne Wiederworte gehorchte dieser und packte den Jungen unsanft am Arm. Panisch wand sich Ryuichi hin und her und versuchte sich loszureißen. Doch Linos Griff war zu fest als das er Erfolg hatte. Schließlich stieß Lino den Jungen auf den Altar. Hilfe suchend blickte Ryu zu Isabella hinüber. Diese nickte ihm beruhigend zu und gab ihm so zu verstehen, dass er sich ruhig verhalten sollte. Er atmete einmal tief durch um seine Fassung wieder zu gewinnen und legte sich schließlich voller
Vertrauen in den Plan seiner Schwester lang auf den Altar. Was blieb ihm auch für eine andere Möglichkeit als an sie zu glauben? Gut versteckt unter seinem Hemd fühlte er die Kühle des Medaillons, dass er trug. Bei diesem Gefühl flogen seine Gedanken einmal mehr zu seiner Mutter. Er sah ihr Gesicht vor seinen Augen.
Spürte förmlich ihre liebevollen Liebkosungen auf seiner Haut. Kaum das er seine Gedanken von seiner Mutter losgerissen hatte, sah er Amalias liebenswertes Gesicht vor sich. Wieder breitete sich dieses angenehm warme Gefühl in ihm aus das ihm immer überkam wenn er an sie dachte oder sie bei ihm war. Erst jetzt bemerkte er wie stark ihre Aura präsent war. Ein wenig zu stark um sie sich nur einzubilden. Sie war hier! Auch konnte er jetzt die Energien von seiner kleinen Schwester und
Aaron spüren. Sie waren ganz nahe bei ihm. Er musste unwillkürlich lächeln und Ruhe zog in ihm ein.

Höhnisch lachend betrachtete Lucien den Jungen. Was für ein williges Opfer er doch war. Letztlich wandte er sich ab von dem Jungen und hin zu der Formel die aufgeblättert in dem Buch vor ihm lag. Der Gesang der Männer, der kurzzeitig aufgehört hatte setzte wieder ein. Begleitet von den Gesängen las Lucien die ersten Worte der Formel laut vor. Seine Stimme klang dabei erhaben und fest. Als sei es das selbstverständlichste auf der Welt für ihn. Gleichzeitig jedoch hatte Isabella begonnen ebenfalls eine Formel zu murmeln. Immer wieder bete sie unbemerkt für die anderen Ohren zur großen Göttin.
Dabei formten ihre Lippen die Worte: „Oh Große Göttin, bitte erhöre mein Flehen. Breite deine schützenden Hände über diesen Jungen aus“.
In Gedanken gewann ihr Gebet immer mehr an Intensität, bis sie spürte, wie ihre eigenen Kräfte stärker wurden. Die Göttin hatte sie erhöht und ihr einen Teil ihrer Kraft geliehen.

Bedächtig ging Lucien nun an dem Jungen vorbei und gerade Wegs auf seine Tochter zu. Mit ehrfürchtiger Miene nahm er den Dolch von dem Kissen welches sie noch immer in Händen hielt. Ein flüchtiger Blick flog zu seiner Tochter die scheinbar seelenruhig neben ihm stand ehe er direkt vor den Altar schritt. Voller Konzentration sprach er den nächsten Teil des Zaubers und packte Ryu dabei mit festem Griff. Schonungslos zog er die Arme des Jungen über den Kelch der am Rand des
Altars stand. Ruckartig zückte er den Dolch und hielt ihn demonstrativ in die Höhe, sodass alle ihn sehen konnten. Das schlimmste erwartend kniff Ryuichi die Augen zusammen. Im nächsten Augenblick spürte er einen stechenden Schmerz seinem linkem Arm. Er seufzte laut um einen Schrei zu vermeiden als er spürte wie ihm etwas warmes Dickflüssiges dem Arm hinunter lief. Prüfend wandte er den Kopf zur Seite und sah Lucien der einen kleinen Teil seines Blutes in dem Kelch auffing. Neben ihm lag blutverschmiert der silberne Dolch. Lucien genoss es sein Opfer leiden zu sehen und der Geruch des frischen Blutes versetzte ihn beinahe in Ekstase. Mit genügend Blut im Kelch ließ er von dem Jungen ab und schritt wieder auf die andere Seite des Altars wo er das Gefäß gebieterisch vor sich platzierte. Wie im Rausch hob er die Arme um den Zauber weiter zu sprechen.

Voller Wut folgte Amalia dem Geschehen aus sicherem Abstand. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und jeder Muskel ihres Körpers bebte unter ihrem Zorn. Sie musste etwas tun. Kurz entschlossen riss sie sich von Aaron und Lilliana los und rannte auf Lucien zu um ihn davon abzuhalten die Formel zu vollenden.
„Ryu“, schrie sie dabei aus Leibeskräften.
Voller Entsetzen sahen der Elf und Lilliana ihr nach. Nun machten auch sie sich bereit zu kämpfen.
Wohlwissen das sie gegen eine so große Anzahl von Gegner kaum eine Chance hatten. Die junge Dunkelelfe rannte weiter und hatte Lucien auch schon fast erreicht als sie von zwei kräftigen Armen gepackt wurde.
Es war Isabella die in Bruchteilen von Sekunden geistesanwesend reagiert hatte und die Dunkelelfe abgefangen hatte.
„Bis du verrückt geworden“, flüsterte sie ihr zu.
Doch das junge Mädchen wand sich mit aller Kraft in ihren Armen hin und her und sie hatte ihre liebe Mühe sie fest zu halten.

Genervt von dem Lärm wandte sich Lucien an seine Tochter die ihm ein wenig schräg gegenüber stand. Zu seiner Überraschung erblickte er ein ihm bekanntes Gesicht, dass versuchte sich aus dem festen Griff seiner Tochter zu befreien.
Entzückt trat er zu den Mädchen und strich ihr über die Wange.
„Na sieh mal einer an wen wir da haben“, sprach er zuckersüß.
„Ist das nicht deine kleine Freundin“, setzte er sich an den Jungen wendend fort.
Ungläubig und voller Angst sah Ryu Amalia an. Was würde Lucien nun mit ihr machen? Er durfte ihr nichts tun. Sie hatte mit all dem doch nichts zu tun!
Mit einem bösem Lachen auf den Lippen blickte Lucien dem Jungen direkt in die Augen.
„Bring sie hier hinüber Tochter. Sie soll unser Ehrengast sein“, wies er Isabella voller Hohn in der Stimme an ehe er ihnen ein paar Schritte folgte.
„Du hast die große Ehre zusehen zu dürfen wie er stirbt“, erklärte er feierlich, während er das Mädchen unsanft am Kinn packte und ihren Blick direkt auf den Jungen richtete.
Angewidert und voller Angst versuchte Amalia den Blick abzuwenden doch sie konnte nicht anders als Ryu schließlich doch anzusehen.
Ein gequältes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Er erwiderte ihren Blick ebenfalls mit einem Lächeln und ein wohlig warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Egal was nun passieren würde. Sie waren zusammen. Es war ihr unerträglich gewesen ihn dort so liegen zu sehen. Sie betrachtete ihn. Die Wunde an seinem Arm blutete noch immer und färbte einen Teil des Tuches rot. Ryus Lippen formten einen Satz den sie verstand auch wenn er die Worte nicht laut aussprach. Sie fühlte ihre Bedeutung und wusste, wenn sie nun starben, starben sie zusammen. Ein schöner Gedanke dachte sie bei sich. Er ließ den wartenden Tod weniger schlimm und schmerzvoll zu
scheinen. Alle Angst fiel von ihr ab und sie fühlte sich ihm nahe wie noch niemals zuvor. Aber so wollte sie nicht von ihm gehen. Vielleicht konnte sie noch ein letzte gute Tat vollbringen. Sie hatte genau beobachtet wie Isabella etwas gemurmelt hatte und hoffte nun, dass sie diese Wirkung noch verstärken konnte.

Mutig und mit fester Stimme wandte sie sich an Lucien.
„Bitte erlaubt mir mich von ihm zu verabschieden“, bat sie.
Erstaunt betrachtete Lucien sie. Er hatte damit gerechnet, das sie versuchen würde zu fliehen. Aber dies... war eine so einfache Bitte.
Für einen Moment dachte er nach und wägte seine Entscheidung sorgfältig ab. Er fühlte sich so erhaben und überlegen, dass er nicht glaubte das noch irgendjemand ihm von seinem Vorhaben abbringen würde. Was sollte ein einzelnes Mädchen schon ausrichten können? Über die Gefühle der Selbstsicherheit und Siegessicherheit bemerkte er weder die schützende Aura des Medaillons die
zunehmend stärker wurde, noch nahm er die Energien des Elfen und des kleinen Mädchens war die ihn aus einigem Abstand beobachteten.
„Es sei ihr gewährt sich von dem Jungen zu verabschieden“, entschied Lucien schließlich und befahl seiner Tochter das junge Mädchen näher heran zu lassen.

Mit großen Augen sah Ryuichi Amalia auf sich zukommen. Überraschender Weise schien es niemanden aufzufallen, dass Isabella sie längst losgelassen hatte. Wie Blind die eigene Verblendung doch machen konnte!
Lächelnd betrachtete er die junge Dunkelelfe die nun direkt neben ihm stand. Trotz der mehr als aussichtslosen Situation entflammte durch ihr Dasein ein unbeschreibliches Glücksgefühl in ihm. Verheißungsvoll sah Amalia ihn an und strich ihn sanft über die Wange. Mit einem innigem Lächeln im Gesicht beugte sie sich zu ihm hinunter und küsste ihn leidenschaftlich.
Dieser Kuss bedeutete er ihr mehr als alles andere auf der Welt. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie etwas Vergleichbares empfunden wie jetzt. Tausende von glücklichen Gedanken strömten auf sie ein und ließen ihre Kräfte ungewollte anwachsen. In Gedanken flehte sie die Göttin ebenfalls um Schutz an.
„Wir werden uns wiedersehen“, flüsterte sie ihm voller Liebe zu als sie sich von ihm löste.
Ryu nickte glücklich und sah ihr nach als Isabella sie ein Stück von ihm weg zerrte und er spürte wie eine wohlig warme Energie seinen Körper durchströmte.
Lächelnd, beinahe gerührt beobachtete Lucien das Geschehen und blicke nun musternd auf die junge Dunkelelfe die in den Armen seiner Tochter wieder knapp neben ihm stand. Noch einen Moment herrschte Stille im Raum ehe der Gesang der über das Erscheinen des Mädchens aufgehört hatte wieder einsetzte.

Gebieterisch sah Lucien in die Runde ehe er sich erneut dem Buch widmete. Ohne weiter zu zögern begann er die letzten Verse des Zaubers zu lesen. Neben ihm bangten die beiden Mädchen. Im Rhythmus der Gesänge formulierte er die Wörter.
Erstaunt sahen die Mädchen sich an als sie sahen wie sich ein dunkler Schatten über dem Jungen erschien und Stück für Stück wuchs je weiter Lucien den Zauber sprach. Wie eine Wolke aus Angst und Folter braute er sich über seinem Körper zusammen. Die letzten Worte erklangen. Sie klangen grauenvoll und aggressiv, wie der Befehle zu töten. Ein letztes Mal murmelten die Mädchen die Schutzformel ehe sich der Schatten auf Ryu herabsenkte.

Zunächst geschah nichts, Isabella wusste jedoch, dass jetzt ihre Chance kommen würde und ließ Amalia unauffällig los. Während die anderen gespannt die nervösen Atemzüge des Jungen beobachteten schlich sie gekonnt an den Altar und griff mit einer einzigen kurzen Bewegung den Dolch. Ryus gesamter Körper krampfte und wehrte sich gegen die bösartige Energie die von ihm Besitz ergreifen wollte. Er zuckte hin und her. Mit aller Kraft versuchte er es von sich fern zu halten. Seine
Wunde brannte und schmerzte fürchterlich. Plötzlich spürte er wie eine angenehm warme, klare, helle Energie sich in ihm ausbreitet und ihn schließlich umgab. Das Medaillon um seinen Hals begann zu vibrieren.

Voller Selbstvertrauen sprach Isabella den Schutzzauber ihrer Mutter nun laut und deutlich aus. Die Kette ihrer Mutter schien ihre Worte zu hören und begann in einem klarem, weißem Licht zu leuchten. Gerade so als wollte das Licht alles Übel ersticken. Aus einem anfangs kleinen Schimmer wuchs eine riesige Kugel aus Licht das kurz darauf den gesamten Raum erfüllte. Ein allgemeines verwirrtes Raunen hallte durch den Raum. Man sah die Hand vor Augen nicht und Hektik erfasste die umstehenden Männer. Einige von ihnen verließen fluchtartig den Raum. Isabella nutzte die Aufregung. Ohne zu zögern griff sie nach Ryuichis Händen und durchtrennte die Fesseln mit dem Dolch. Geistesgegenwärtig sprang der Junge vom Altar und packte die Hand seiner Schwester. Zusammen bahnten sie sich ihren Weg durch die Menge. Irgendwo zwischen dem Altar und dem vermeintlichem Ausweg machte er Amalias Gesicht in der Menge aus und packte sie mit seiner freien Hand. Gemeinsam drängten sie in Richtung der Gruft, geradewegs auf Aaron und Lilliana zu, die ihnen bereits entgegen kamen.

Kapitel 39.


Nur noch wenige Schritte trennten Liliana jetzt von ihrem Bruder und Amalia. Die letzten Meter rannte die Kleine so schnell wie ihre Beine sie trugen. Freudentränen liefen über die Wange des kleinen Mädchens. Sie konnte es kaum glauben, ihren Bruder und Amalia nun bald wieder umarmen zu können.

Mit aller Kraft die er noch besaß zog Ryu die beiden Mädchen weiter, die sich immer wieder gegen Hände zur Wehr setzen mussten, die sie versuchten zurück zu halten. Sie kämpften sich tapfer durch Luciens Männer hindurch und hatten den Gang zur Gruft bereits fast erreicht als Ryu einen starken Ruck links von ihm spürte, gefolgt von einem überraschten Aufschrei.
Etwas hatte Isabella am Arm gepackt.

Verwirrt schaute Isabella in die Augen ihres Vaters der es in all der Aufregung tatsächlich noch geschafft hatte sie irgendwie zu fassen zu bekommen.
Für einen kurzen Augenblick sah sie auf ihren Bruder und das junge Mädchen neben sich und entschied schließlich blitz schnell.
Sie riss sich von Ryuichi los und gab ihm einen kräftigen Stoß, so dass er mit Amalia gerade Wegs unbeholfen in den Gang der Gruft stolperte, wo Aaron die beiden sicher in Empfang nahm.

Erleichtert und dankbar sah der Elf die beiden an, ehe seine Aufmerksamkeit wieder Isabella galt und seine Augen voller Wut und Entsetzten zu funkeln begannen. Auch Ryu und die die Mädchen konnten ihre Aufmerksamkeit nicht vom Geschehen abwenden.

Isabellas Handgelenk schmerzte unter dem festen Druck ihres Vaters.
Flehend sah sie ihn an.
„Vater bitte, lasst mich los“, bat sie inständig.
Kaum das sie diese Worte ausgesprochen hatte, spürte sie auch schon einen stechenden Schmerz an ihrer Wange.
„Das könnte dir so passen. Du wirst deine Strafe bekommen du undankbares Gör“, erwiderte Lucien außer sich vor Wut und schlug noch einige Male auf seine Tochter ein.
Blut tropfte von der Wange der jungen Frau und vermischte sich mit ihren Tränen die langsam zu Boden tropften.

Die Wut kochte in Aaron. Niemand würde die Frau die er liebte so behandeln. Er wollte gerade gehen und ihr zu Hilfe eilen als ihn Ryu zurück hielt.
„Tot nützt du ihr nichts Aaron“, sagte er eindringlich
„Und uns auch nicht“, bestätigten die Mädchen im Chor.
Aaron atmete tief durch um sich zu beruhigen. Sie hatten ja Recht! Aber irgendjemand musste Isabella helfen bevor ihr eigener Vater sie noch töten würde.

Für einen Moment herrschte Stille.
Letztlich drehte Ryuichi Amalia behutsam zu sich herum und nahm ihr Gesicht liebevoll in seine Hände.
Die junge Dunkelelfe zitterte am ganzen Körper den Ryus Blick sagte in diesem Moment mehr als tausend Worte. Sein Blick sagte ihr, er würde gehen und vielleicht nicht mehr wieder kommen. Es war ein Blick des Abschieds.
Zärtlich umfasste Amalia Ryus Hände mit ihren und hielt sie fest. Sie wollte ihn nicht gehen lassen. Aber der Junge überließ ihr die Entscheidung nicht. So schwer es ihm auch fiel. Langsam löste er sich von Amalia, sah sie noch einmal voller Liebe an und küsste sie leidenschaftlich.
Die junge Dunkelelfe erwiderte den Kuss ehe sie sich wiederwillig von ihm löste.

Mit gespielter zuversichtlicher Miene wandte sich der Junge schließlich ab und ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen oder sich noch einmal umzudrehen ging er den Gang entlang, geradewegs auf Lucien zu, der ihn böse anfunkelte.

Während Ryu auf Lucien zuging schweiften seine Gedanken ab. Er dachte an Amalia, an seine kleine Schwester, an Isabella und auch an Aaron.
Er fühlte nichts mehr in sich als das Gefühl der Geborgenheit und Liebe. Mit seiner Hand tastete er nach seinem Medaillon und strich sanft darüber. Wie er immer intensiver an seine Liebsten dachte bemerkte er gar nicht wie Luciens Männer vor ihm zurück wichen. Etwas an und in ihm hatte sich verändert. Was war es? War es die Liebe zu Amalia und zu seinen Schwestern die er in sich fühlte oder sein inniger Wunsch Isabella zu helfen? Noch nie hatte er sich so gut und so frei gefühlt wie in diesem Augenblick. Das Medaillon um seinen Hals leuchtete erneut auf und schenkte ihm wohltuende Wärme. Schließlich hatte er Lucien fast erreicht.

Erstaunt betrachtete Isabella ihren Bruder der direkt auf sie zukam. Sie traute ihren Augen kaum. Er leuchtete in einer reinen weißen Aura von der so viel Vertrauen, Freude und Liebe ausgingen das jeglicher Versuch ihn aufzuhalten sinnlos war. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Was war das?

Nach nur noch wenigen Schritten hatte Ryuichi Lucien erreicht und baute sich mutig vor ihm auf. Er bedachte sein Gegenüber mit einem Blick voller Hass und Mitleid zu gleich. Ja, dieser Mann verdiente nur Mitleid. Er würde nie erfahren was die Worte Freundschaft und Liebe bedeuteten.
Schließlich öffnete er den Mund.
„Lucien, lasst sie los“, sagte er mit so bestimmender Stimme wie er sie selbst nicht von sich kannte. Aber er war dankbar für diese Ausdruckskraft.
„Und was wenn nicht? Sie ist meine Tochter. Sie gehört mir“, gab Lucien erbost zurück und schüttelte Isabella die nur schwerlich einen Schreckensschrei unterdrückte.
Verständnislos schüttelte Ryu den Kopf.
„Zwingt mich nicht etwas zu tun was ich sehr bedauern würde“, erwiderte er entschlossen.
Lucien lachte höhnisch. Wie sollte ein so junger Knabe ihm etwas anhaben? Ihm den großen Lucien!

Ein kurzer Moment verstrich.
Ryuichi bedachte Lucien noch einmal mit einem fordernden Blick, der noch immer keine Anstalten machte Isabella loszulassen.
Die junge Frau schauderte unter dem Blick ihres Bruders, auch wenn sie wusste er tat all dies nur zu ihrem Schutz.
„Lasst sie los“, wiederholte Ryuichi seinen Ersuch.
Lucien schüttelte energisch den Kopf.
Ein bedauernder Seufzer entschlüpfte Ryuichis Kehle.
„Dann lasst ihr mir keine Wahl“, sagte er mit Bedauern in der Stimme.
Erneut lachte Lucien höhnisch und zog mit der freien Hand sein Schwert.

Langsam, aber entschieden schritt Ryuichi zu der ihm seine Klinge gerade Wegs entgegenhielt. Für einen kurzen Augenblick hielt der Junge inne als er dem Schwert zu nahe kommen drohte. Mit einem Lächeln auf seine Lippen packte Ryu die Schneide mit seiner Hand. Noch immer umspielte die wundersame Aura seinen Körper. Erstaunlicher Weise schien ihn Luciens Waffe nicht verletzten zu können. Was auch immer ihn hier beschützte, er hoffte es würde andauern. Mit einem kraftvollen Ruck riss er Lucien die Waffe aus der Hand und schleuderte sie weg. Klirrend krachte sie gegen die Mauer.
„Was zum Teufel“, fluchte Lucien der erst jetzt realisierte was geschehen war.
Schützend hielt er seinen Arm vor sein Gesicht und wartete ab. Nach einem kurzen Moment wagte er einen zögerlichen Blick und sah direkt in die Augen des Jungen der nun direkt vor ihm stand. Überrascht stellte Lucien fest, dass Ryu keinerlei Ambitionen zeigte ihn anzugreifen. Im Gegenteil. Er belächelte ihn. Es war kein arrogantes oder überhebliches Lächeln. Eher ein Lächeln das ausdrückte das es ihm sehr leid tat.
Voller Wut versuchte Lucien den Jungen zu packen, doch dieser fasste seinen Arm ohne Mühe und drehte ihn zur Seite.

Kurz blickte Ryuichi zu seiner Schwester hinüber und lächelte sie an. Schließlich wandte er sich wieder Lucien zu. Mit entschlossener Miene packte der Junge den Arm mit dem Lucien seine Schwester fest hielt und löste ihn von ihr.
Dankbar sah Bella ihren jüngeren Bruder an und suchte Schutz hinter ihm. Ihr Handgelenk schmerzte und sie war im Moment nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen.
Ohne Mühe packte Ryu Luciens Arm fester und ließ ihn vor Schmerz aufschreien ehe er ihn einfach losließ.

Erleichtert wandte sich der Junge nun seiner Schwester zu und lächelte sie an.
„Komm wir verschwinden von hier“, sagte er einladend.
Die junge Frau nickte zustimmend tastete nach der Hand ihres Bruders.
Gemeinsam gingen sie durch die staunende und schockierte Menge zurück in Richtung Aaron als ein wütendes Stöhnen sie inne halten ließ.

Lucien der mit schmerzerfülltem Gesicht seinen Arm hielt sah die beiden voller Hass an.
„Junge, glaubst du es ist vorbei. Du sollst dich noch niemals so geirrt haben. Denk an meine Worte“, drohte er ihm.
Resignierend nickte der Ryuichi.
„Es ist vorbei Lucien“, sagte er kalt und ging mit Isabella weiter ohne Lucien auch nur noch einen Blickes zu würdigen.

Die letzten Schritte waren getan. Überglücklich löste sich Isabella von Ryuichi und rannte auf Aaron zu der sie liebevoll in seine Arme schloss. Auch Ryu schloss Amalia voller Liebe in seine Arme.
„Ihr seid wieder da“, raunte sie erleichtert.
Glücklich nickte der Junge.
„Aber zunächst mal sollten wir deine Hände mal losmachen. Warte“, sagte er leise und entknotete die Handfesseln.
„Jetzt aber nichts wie raus hier“, ermahnte Liliana zur Eile die ein sehr ungutes Gefühl in der Magengegend hatte.
Dem konnten sie nicht widersprechen und machten sich so schnell sie nur konnten auf den Weg raus aus der Gilde der Schatten.

Isabella wies ihnen kürzere Wege und endlich erreichten sie das massive Tor. Mit aller Kraft öffneten sie es und entschwanden in die Nacht.

Kapitel 40.


Das Areal um die Gilde der Schatten war zu dieser Zeit Menschen leer. Niemand hatte gesehen wie die Gruppe aus dem Gemäuer geschlüpft war.
Sie waren gerade eine kleine Weile durch die Stadt gelaufen, als Ryuichi plötzlich in seinem Schritt inne hielt. Schmerzerfüllt verzog er das Gesicht und hielt seine Hand schützend über die Stelle wo seine Wunde klaffte. Er spürte, wie erneut Blut austrat und warm an seiner Brust hinunter lief.
Besorgt baute sich Amalia vor ihm auf.
„Ryu was hast du?“, fragte sie ihn, während sie ihn zu mustern begann.
Sein Hemd hatte begonnen sich an jener Stelle rot zu färben und dicke Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Sie fühlte wie warm er war und sah wie er krampfhaft nach Luft rang.
„Komm schon, rede mit mir im Namen der Göttin. Irgendwas stimmt doch nicht“, rief sie verzweifelt aus als Ryu immer noch nicht antwortete.
Müde und erschöpft lächelte der Junge sie an.
„Es ist nichts. Mach dir keine Sorgen“, versuchte er sie zu beruhigen und strich ihr sanft mit seiner freien Hand über die Wange.
Er wollte sie nicht noch mehr verängstigen als sie es ohne hin schon war. Das alles war schon schwer genug für sie.

Der Schmerz hatte sich jetzt in seinem ganzen Körper ausgebreitet. Jede Faser und jeder Muskel schien ihm Stück für Stück den Dienst versagen zu wollen und ohne dass er es wollte, begann er am ganzen Leib zu zittern.

Amalia schüttelte ungläubig den Kopf. Seine Worte beruhigten sie keines Wegs. Sie gaben ihr nur noch mehr Anlass zur Sorge.
Vorsichtig nahm sie Ryu’s Hand in Ihre und führte sie zur Seite. Ungeduldig krempelte sie sein Hemd hoch, so dass sie die Wunde betrachten konnte.
Mit Schrecken musste sie feststellen, wie rot und entzündet die Wunde aussah und Blut ihr austrat.
„Was hast du bloß“, murmelte sie leise vor sich hin während sie die verwundete Stelle weiter untersuchte.

Von der Unruhe hinter sich irritiert drehte Aaron sich um. Erst jetzt bemerkte er das Ryuichi schon ein ganzes Stück hinter ihnen zurück lag und sich nicht mehr von der Stelle rührte. Eilig legte er das Stückchen Weg zurück und stand schon bald neben der jungen Dunkelelfe.
Sein Blick streifte ungläubig zwischen dem Mädchen und dem Jungen hin und her und blieb schließlich auf Ryu‘s schmerzerfülltem Gesicht haften.
„Ryuichi was ist mit dir“, fragte er besorgt.
„Es ist nichts weiter Aaron. Ich glaube es ist dieser Zauber“, antwortete Ryu leise.
Der Elf nickte verständnisvoll. Er hatte gesehen welch große Kraft der Junge in der Krypta aufgebracht hatte. Sicherlich war auch das eine Auswirkung dieses Rituals und jetzt schien dieses seinen Tribut zu fordern.

Kurze Zeit später standen auch Liliana und Isabella neben Aaron und Amalia und sahen Ryu besorgt an. Der Junge strauchelte und hatte Zusehens Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
Ohne zu zögern drückte sich Lilly vorsichtig an die Schulter ihres Bruders und begann ihn zu stützen.
„Isabella was ist hier los“, fragte Aaron sich nun an die junge Frau wendend.
Sie schüttelte traurig mit dem Kopf.
„Der Zauber auf dem Medaillon hat ihn vor dem Tod bewahrt. Aber dennoch konnte er in seinen Körper eindringen“ versuchte sie so verständlich wie möglich zu erklären.
„Was können wir tun?“, erkundigte sich die junge Dunkelelfe.
„Im Moment nicht mehr als zu beten. Sein Körper muss lernen mit dieser Veränderung in ihm zu Recht zu kommen. Dadurch hat er jetzt auch diese Schmerzen“, beantwortete sie die Frage.
Erleichtert seufzten die beiden Mädchen auf.
„Komm schon großer Bruder. Du schaffst das schon“, versuchte die kleine ihren Bruder aufzuheitern.
Der junge lächelte sie dankbar an und tat auf sie gestützt einige Schritte.
Sie mussten weiter. Und wenn er sich jetzt nicht zusammen riss, würde er alle in Gefahr bringen.
„Denkst du dass es gehen wird?“, erkundigte sich Aaron besorgt.
„Ja ich denke schon. Lasst uns weiter gehen, bevor wir noch entdeckt werden“, antwortete er tapfer und biss die Zähne zusammen.
Registrierend nickte der Elf und ging ein Stück voraus.

So schlängelte sich die Gruppe, Aaron, Isabella voraus und Ryu auf die Mädchen gestützt durch die Straßen und Gassen der Stadt.
Keine Menschenseele begegnete ihnen. Die Häuser standen dunkel und gruselig da. Nur aus einigen Fenstern strahlte fahles Licht.

Sie schleppten sich weiter und endlich kam das Stadttor in Sichtweite.
„Stehen bleiben“, rief Aaron plötzlich aus und hob den Arm.
Verwirrt sahen die Mädchen ihn an. Es war bereits stock finster und ihre Augen funktionierten in der Nacht nicht so gut wie die des Elfen.
„Der Torwächter“, erklärte der Elf kurz und knapp und wies mit dem Finger direkt auf eine dunkle Gestalt.
„Und was jetzt?“, fragte Amalia gerade laut genug das nur die Gruppe es hören konnte.
Auf diese Frage wusste zunächst niemand eine Antwort.
„Überlasst das nur mir“, sprach Lilly schließlich verheißungsvoll und zwinkerte den anderen zu.
„Amalia stützt du bitte Ryu für mich weiter“, setzte sie fort und übergab ihren Bruder Amalia‘s Händen.
„Lilly was hast du vor“, flüsterte Aaron leise während sich die Kleine an ihm vorbeischob.
„Werdet Ihr gleich sehen“, gab sie keck zurück.
Verwirrte Gesichter sahen ihr nach.

Während sie weiter auf die Gestalt am Tor zuging lächelte sie verschmitzt. Das sie im Grunde noch ein kleines Kind war, würde jetzt ihre Trumpfkarte sein die sie ausspielen würde. Niemand für ein kleines Mädchen verdächtigen.
Vorsichtig pirschte sie sich an den Torwächter an, der sich zunächst beinahe zu Tode erschrak.
„Hallo Onkel“, begrüßte sie ihn herzlich und setzte ihr niedlichstes Gesicht auf, dass sie konnte.
Von der Niedlichkeit des kleinen Mädchens entzückt lächelte er zurück.
„Hallo Kleine. Was willst du denn?“, fragte er mit betont hohen Stimme.
Lilly lächelte übers ganze Gesicht. Wie einfältig dieser Mann doch war.
„Du Onkel deine Frau hat mich geschickt. Ich soll dir etwas sagen“, antwortete sie so kindlich wie es ihr möglich war.
Neugierig sah der Torwächter sie an.
„Eine Nachricht von meiner Frau? Was hat sie gesagt“, erkundigte er sich.
Die Kleine grinste. Sie hatte es geschafft. Er würde ihr glauben, was auch immer sie ihm sagen würde.
„Sie hat gesagt, dass du schnell nach Hause kommen sollst. Eine leckere Suppe würde schon auf dich warten“, antwortete sie.
Freudig sah der Torwächter das kleine Mädchen an. Schon bei dem bloßen Gedanken an die Suppe seiner Frau, lief ihm buchstäblich das Wasser im Munde zusammen. Er konnte es gar nicht erwarten nach Hause zu kommen.
„Da werde ich mein Weib wohl besser nicht warten lassen. Wenn du mich entschuldigst“, entgegnete er fröhlich und macht sich auf den Weg direkt in die Stadt.
Liliana schüttelte über so viel Einfältigkeit nur den Kopf wie sie sah, wie der Mann an eben jener Ecke vorbei lief hinter der die anderen in Deckung gegangen waren.

Erleichtert atmete Amalia durch. Liliana war einfach wunderbar. Vorsichtig gingen Ryu und sie, gefolgt von Aaron und Isabella auf die Kleine zu die geduldig vor dem Tor wartete.
„Lilly du bist einmalig“, lobte Ryuichi seine kleine Schwester und stich ihr liebevoll über die Wange.
Die Kleine lächelte verschmitzt.
„Wir sollten gehen“, ermahnte Aaron fordernd.

Leise öffneten sie das Tor der Stadt und waren endlich im Freien.
Schon auf den ersten Metern nach dem Tor hörten sie das Schnauben ihrer Pferde. Einige andere Reisende waren ihrem Beispiel gefolgt und hatten ihre Rösser an demselben Baum angebunden wie sie selbst.
Liliana rannte auf ihr Pferd zu das ihr froh entgegen schnaubte. Liebevoll streichelte sie es und redete beruhigend auf das Tier ein.
Mit äußerster Vorsicht half Isabella ihrem Bruder in den Sattel eines der anderen Klepper.
Sie sah ihn kurz aber eindringlich an um sicher zu gehen das es im gut ginge. Ryu nickte bestätigend um ihr zu zeigen, dass sie sich keine Sorgen machen sollte.
Schließlich stieg auch die junge Frau in den Sattel.
„Alle bereit zur Abreise“, fragte der Elf in die Runde.
Ein deutliches Ja dröhnte ihm als Antwort entgegen.
Im Schutz der Dunkelheit brach die Gruppe hoch zu Ross in Richtung der Gilde des Lichtes auf.



Kapitel 41.


Kapitel 41.

Sie waren bereits einige Stunden geritten als sich vor ihnen langsam die Sonne über dem Horizont erhob und mit ihren feurigen Strahlen den neuen Tag verkündete. Wie ein Strahl heller Hoffnung schob sich das Licht immer weiter über die Erde und vertrieb die Dunkelheit.
Lange hatte niemand mehr ein Wort gesagt. Nur hin und wider gingen besorgte Blicke zu Ryuichi hinüber, aber augenscheinlich ging es ihm ein wenig besser.
Er würde es schon schaffen.
Auf ihrem Weg durchritten Sie einen alten, dichten Wald. Die Bäume die in ihm wuchsen waren so hoch wie ein mehrstöckiges Haus und ihre Wipfel ließen nur wenig Tageslicht hindurch. Dicke Lianen schlängelten sich an den Bäumen empor oder hingen von ihren Ästen herab. Man spürte bis ins Mark wie alt und weise dieser Wald war. Die Luft war so stickig, das das Atmen schwer fiel. Hin und wieder hörte man verdächtige Geräusche aus dem Dickicht, ein Rascheln, ein Knacken oder leise Schritte. Glücklicherweise jedoch schienen sie es bis jetzt nur mit Tieren zu tun zu haben durch deren Revier sie reisten.
Der Weg schlug schließlich eine scharfe Kurve ein und Endete an einer vom Sonnelicht verwöhnten Lichtung. Leise rauschte das Wasser einen Quelle in der Nähe vor sich hin.
Es war ein idealer Ort für eine Rast. Sie waren müde und erschöpft und eine Möglichkeit zum Verschnaufen war höchst willkommen.
“Wir rassten hier”, rief Aaron den anderen zu und zügelte sein Pferd.
Die anderen folgten seinem Beispiel und brachten ihre Pferde am Rand der Lichtung zum Stehen.
Glücklich über die Pause stiegen sie aus ihren Satteln und sahen sich um. Alles schien überaus friedlich zu sein. In der Mitte der Lichtung ragten einige größere Steine aus der Erde und boten der Gruppe eine einigermaßen gemütliche Sitzgelegenheit.
Erschöpft ließen sich die Fünf auf den Steinen nieder und verschnauften. Es war noch früh am Tag doch sie fühlten sich als wäre es bereits später Abend.
Die Sonne schien hell auf ihre Gesichter und wärmte sie. Sie genossen die Wärme, die auch die dunklen Gedanken aus ihren Köpfen vertrieb. Für eine kleine Weile saßen sie nur da und lauschten dem Rauschen der Bäume.

Ein wenig ängstlich klammerte Lilly, die sich direkt neben ihren Bruder gesetzt hatte an Ryus Arm.. Dieser Wald war groß, alt und unheimlich.
“Der Wald ist gruselig ich will hier weg”, quängelte sie.
Beruhigend drückte Ryuichi sie an sich.
“Keine Angst Sternchen. Der Wald ist zwar alt aber es gibt nichts wovor du Angst haben musst”, redete er beruhigend auf sie ein.
Die Kleine nickte ungläubig und drückte ihren Kopf nahe an ihn.
Auch Amalia sah sich um. In diesem Dickicht könnten alle möglichen Kreaturen leben ohne je bemerkt zu werden. Sie wollte sich gar nicht ausmahlen auf was sie alles stoßen könnten.
Was war das nur für ein Wald?
“Aaron sagt, was ist dies für ein Wald”, erkundigte sie sich an den Elfen wendend.
Er überlegte einen Moment ehe er antwortete.
“Da wir den Weg über die Lapass Ebene genommen haben nehme ich an wir befinden uns gerade im Herzen des Lapass Waldes”.
Die Mädchen schluckten schwer.
Sie alle kannten die Geistergeschichten und Legenden die man sich über diesen Ort erzählte. Menschen sollen hier hineingegangen sein und nur sehr wenige waren wieder heraus gekommen, und wenn hatten sie ihren Verstand verloren.
“Können wir gehen bitte. Ich fühle mich sehr unbehaglich”, bat die junge Dunkelelfe.
Der Elf lachte kurz und herzhaft auf. Wer glaubte denn noch an solche Geschichten?
“Beruhigt Euch. Es wird nichts passieren”, versuchte er die Mädchen zu beruhigen.
Isabella schüttelte bei dem Gedanken an solche Gute Nacht Geschichten ungläubig den Kopf.
“Ich denke unsere Wasserflaschen müssten aufgefüllt werden wenn wir unterwegs nicht an Durst leiden wollen”, lenkte sie das Gespräch auf ein anderes Thema.
“Eine sehr vernünftige Idee”, stimmte Ryu zu und erhob sich von seinem Platz.
“Gebt mir bitte Eure Wasserflaschen, ich gehe sie an der Quelle dort drüben auffüllen”, sagte er und deutete mit der Hand auf die nahegelegende Wasserquelle, die vergnügt vor sich her blubberte
.
Kurzerhand gaben sie ihm ihre Wasserflaschen und waren gleich darauf wieder in ihre Gespräche vertieft.

>>Mädchen<<, lachte Ryu in sich hinein während er auf die Wasserquelle zu ging und die letzten Funken Schmerz der aufkeimte, ignorierte..

Es tat gut wieder etwas tun zu können.

Merklich befreiter und erleichtert legte er die letzten Schritte zurück und erreichte die Quelle.
Klares Wasser sprudelte hervor.
Er fing ein wenig Wasser in seinen hohlen Händen auf und verteilte es im Gesicht, herrlich wie erfrischend es war, der Wind wehte leicht und kühlte sein noch feuchtes Antlitz..

Unbeschwert pfiff er ein Liedchen vor sich her und tauchte die Erste Flasche ins Wasser.
Sie ließ kleine Blasen aufsteigen. Als er die Flasche wieder aus der Quelle holte spiegelte sich sich etwas merkwürdiges im Wasser.

Für einen Moment dachte er, seine Phantasie spielte ihm einen Streich und er bildete sich das nur ein. Ungläubig schüttelte er den Kopf und holte die zweite Flasche gefüllt wieder hervor.

Nein er hatte sich nicht getäuscht, Da war es wieder, dieser merkwürdige Lichtreflex, er war sich ganz sicher so was schon mal gesehen zu haben........ Natürlich rief er und schlug sich vor die Stirn, jetzt fiel es ihm wieder ein.... er lachte, das was er sah war ein Irrlicht.
“komm zeige dich. ich weiß das du hier irgendwo bist”, rief er..

Zunächst passierte nichts, bis er im nächsten Moment ein kindliches Lachen aus den dunklen, undurchsichtigen Ebenen des Waldes hörte.

Die Wasserflaschen völlig außer Acht lassend ging Ryuichi langsam in die Richtung aus der er das Lachen vernommen hatte. Sorgfälltig achtete er dabei darauf keinen unnötigem Lärm zu machen um die Kreatur nicht zu verschrecken.

Wer hatte schon einmal die Chance so etwas mit eigenen Augen zu sehen?

Irritiert blickte Amalia die die Worte des jungen gehört hatte in Richtung der Quelle.

Was dauerte das so lange?

Ungeduldig erhob sie sich und ging dem nach. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest das Ryu nicht mehr bei der Wasserquelle war.

Sie fand nur noch die Wasserflaschen.

Aus einer Intuition heraus betrachtet sie den Waldboden genau und sah einige Abdrücke, im feuchten modrigen Waldboden und sie schienen frisch zu sein.

Dies konnte nur bedeuten das Ryuichi in diese Richtung gegangen sein musste.
Ohne weiter darüber nachzudenken folgte sie ihnen.

Verwirrt sah der Junge sich um. Hatte er sich doch geirrt?
Plötzlich, wie aus dem Nichts ertönte das Lachen erneut und nur wenige Schritte vor ihm erschien eine geisterhafte Gestalt, die ihm direkt ins Gesicht sah und ihn respektlos auslachte.
Völlig von dem Anblick überwältigt konnte der Junge nicht anders als den Geist an zu starren.
So etwas hatte er in seinem Leben noch nicht gesehen.
Es dauerte eine kleine Weile bis das Lachen verhallte und wider Stille herrschte.

“Dummes Menschlein. Hier so allein in unserem Wald herum zu streifen”, hönte die Stimme des Geistes und musterte den Jungen dabei gründlich und von oben herab. .
Ryu zwang sich ganz ruhig bleiben. Im stand nicht der Sinn nach Ärger.

“Was willst du hier”, zischte der Geist und sah ihm herausfordernd an.

“Wir sind nur auf der Durchreise und wollten unsere Wasserflaschen an der Quelle auffüllen”, beantwortete der Junge die Frage schüchtern. .
“Lüg nicht so frech Junge”, fauchte die Gestalt böse.
Trotzig und gekränkt entgegenete Ryu
“Ich lüge nicht. Und überhaupt wer oder was bist du”, entgegnete er mit vor Wut bebender Stimme.


Verdrießlich blickte der Geist aus seinen leer wirkenden Augen zu dem Jungen hinüber.
“Ich bin ein Irrlicht und man nennt mich Figarr”, kam die Antwort auf die Frage.

Mechanisch nickte der Junge. Was sollte er nun tun? Jetzt war guter Rat teuer. Mit einer Waffe konnte er nichts ausrichten.
Hinter sich hörte er wie einige kleine Zweige unter schnellen Schritten brachen.
Jemand näherte sich.
“Was willst du von mir Figarr”, fragte der Junge und ließ sein Stimme dabei so ruhig wie möglich klingen.
“Verschwindet von hier oder ihr werdet es bereuen”, erklärte das Irrlicht trocken.

“Sobald wir unsere Vorräte aufgefüllt haben sind wir weg”, versicherte Ryu.

Er spürte wie sich Amalia näherte und wenig später stand sie auch schon neben ihm, sichtlich Genervt sah sie Ruyichi an.
“Was machst du so lang? Wir warten bereits alle auf dich”, meckerte sie.
Mit einigen Gesten versuchte Ryu sie zu beschwichtigen.
“Was …. in aller Welt.... ist das”, stotterte sie ängstlich als ihr Blick auf den Geist viel.
“Beruhige dich. Das ist nur ein harmloses Irrlicht”, sagte er in einem beschwichtigenden Tonfall.
“Lügner und Diebe, verschwindet aus unserem Wald”, raunte das Irrlicht böse und griff zielgerichtet nach Ryus Schwert das an seiner Seite baumelte und zog sich Stück für Stück in den dunkleren Teil des Waldes zurück.
“Hey nichts da, wirst du wohl hierbleiben”, fauchte der Junge ungehalten und rannte ihm nach.
“Ryu warte”, schrie die junge Dunkelelfe hinter ihm her, während sie schon die Verfolgung aufnahm..
Eine wilde Hetzjagd entflammte. Geschickt und geschmeidig wie ein junges Kätzchen jagten die beiden dem Irrlicht hinterher, sprangen dabei über umgefallene Bäume und wilde Wurzeln.
Völlig außer Atem erreichten die Kinder eine verlassende Höhle in die sich der Geist zurück gezogen hatte.
Sie auf seine Knie stützend hielt Ryu Inne und verschnaufte einen Moment während sich hinter ihm Amalia näherte, die schließlich neben ihm stehen blieb.
“Wo ist es hin”, fragte sie verwirrt.
Noch immer nach Luft ringend zeigte Ryuichi mit der Hand auf den Eingang der Höhle.
“Dann wollen wir mal”, erwiderte die junge Dunkelelfe energisch und wollte bereits los stürzen.
Doch Ryuichi packte sie am Arm und hielt sie zurück.
“Sei nicht so leichtsinnig”, ermahnte er sie und begann sich umzusehen.

Nahe dem Eingang sah er eine alte, unbenutzte Fackel auf dem Boden liegen.
>>ob die wohl noch zu gebrauchen ist<<, dachte der Junge bei sich, ging auf die Fackel zu und hob sie auf.
Gründlich putzte er den Dreck von ihr ab und sah Amalia verheißungsvoll an.
“Ich denke die können wir gut gebrauchen”, erklärte er freudig.
“Da hast du Recht”, bestätigte das junge Mädchen und warf einen ersten Blick in die Höhle.
Einige runtergekommene Fässer standen nahe des Einganges. Auf einigen von ihnen lagen einige verdorbene Lebensmittel umher. Stickige, abgestandene Luft wehte den Kindern entgegen. Ein leichter Hauch von Fäulnis wehte mit.
Besorgt sah Ryu auf die Fackel in seiner Hand, der bis eben Amalias Blicken gefolgt war.
“Wie sollen wir sie an bekommen”, dachte er laut.
Verheißungsvoll sah das junge Mädchen ihn an und konzentrierte sich für einen Moment.
Einige ihr vertrauten Worte strömten durch ihren Geist und ließen die Fackel schließlich entflammen.
“Wow”, stieß der Junge überrascht heraus.
Er hatte so schnell nicht damit gerechnet.
Dankend nickte er ihr schließlich zu und gemeinsam betraten sie die Höhle.

Kapitel 42.


Aufmerksam und mit geschärften Sinnen legten sie die ersten Meter in der Höhle zurück. In dieser Situation ärgerte es Ryuichi wirklich sehr, das dieses dumme Irrlicht ihm sein Schwert gestohlen hatte.

Wie sollte er jetzt Amalia beschützen?

Wobei, dachte er bei sich, sie ist durchaus in der Lage auf sich auf zu passen, er sah in ihr aber nunmal immer noch das hilflose, beschützenswerte Mädchen!

Die alte Fackel in seiner Hand spendete ihnen mattes Licht und zauberte hin und wieder gefährlich wirkende Schatten an die Wände. Von der Decke tropfte mit einem regelmäßigen Plitsch Wasser zu Boden und dadurch hatten sich stellenweise dort schon kleinere Pfützen gebildet.

An einigen Stellen standen alte, ausgebrannte und dadurch nutzlose Laternen auf der Erde. Alles in allem machte die Höhle einen durchaus bewohnten Eindruck.
Wahrscheinlich war sie einmal ein Lager oder eine Zuflucht für Banditen oder Mörder oder schlimmeres gewesen.

Sein Magen meldete sich unbehaglich zu Wort und er wurde das Gefühl nicht los, das noch etwas geschehen würde.
Er musterte Amalia aus den Augenwinkeln heraus, sie liefen beide hochkonzentriert und immer auf der Hut vor einer im dunkeln liegenden Gefahr- .

“Wir müssen sehr gut aufpassen. Diese Höhle scheint einmal bewohnt gewesen zu sein und wer weiß was uns hier erwartet”, warnte er sie eindringlich.

Zustimmend nickte das junge Mädchen.

Schweigend liefen die beiden Kinder nebeneinander her als die junge Dunkelefe plötzlich einen Lichtschein in einiger Entfernung vor sich ausmachte.

“Sieh nur Ryu, das muss dieses verfluchte Irrlicht sein”, sagte sie verschmitzt lächelnd und stürzte los.

Über so viel Unvernunft konnte Ryu nur den Kopf schütteln und sah ihr genervt nach. Erschrocken sah er etwas rundes, das in den Boden eingearbeitet war nur wenige Schritte von Amalia entfernt.

Mit allem was er hatte stürzte der Junge hinter dem Mädchen her und bekam sie gerade so noch zu fassen.

“Vorsicht”, schrie er aber es war zu spät!

Amalia, die die mechanische Vorrichtung, die am Boden verankert war, unsichtbar für Unwissende, in ihrer Eile übersehen und sie so unbewusst, mit ihrem Fuss ausgelöst.

Das junge Mädchen atmete aufgeregt und sah in Ryu’s ernstes Gesicht. Was hatte das alles zu bedeuten?

Angsterfüllt sah sie in Richtung Ausgang und vernahm ein verdächtiges und lautes Rumpeln.

“Verdammt”, fluchte der Junge und blickte angespannt in die Richtung aus der sie gekommen waren.

Das Rumpeln nahm von Sekunde zu Sekunde zu und es war unverkennbar.... da kam was großes, schweres auf sie zu....!

“komm schon, weg hier”, schrie Ryu, der das Geräusch inzwischen identifiziert hatte, Amalia panisch zu während er sie auch schon am Arm packte und mit ihr tiefer in die Höhle rannte.

Er ahnte was dort hinter ihnen an gerollt kam und wenn sie nicht bald eine passsende Nische oder ähnliches finden würden, würden sie mit großer Sicherheit zerquetscht.

Endlich, nach dem sie etwas Hundert Meter gerannt waren und die herabfallenden Felsen sie schon fast erreicht hatten erblickte Ryu eine Nische in der linken Wand.

“Festhalten”, schrie er dem jungen Mädchen zu woraufhin sich Amalia fest an ihn klammerte.

Mit einem gekonnten Sprung warf sich Ryuichi mit Amalia in die Nische und beugte sich schützend über sie.

Unter lautem Getöse rollten die Felsen um Haaresbreite an ihnen vorbei und schlugen in einiger Entfernung gegen die Wand.
Einige kleinere Felsbrocken die aus der Bahn geworfen wurden waren streiften den Rücken des Jungen und hinterließen schmerzhafte Schrammen.
Schmerzefüllt verzog Ryu das Gesicht ehe er im nächstem Moment Amalia ansah, die sich noch immer vertrauensvoll, aber auch ängstlich an ihn klammerte.

Ihr Anblick ließ ihn den Schmerz vergessen. . Hauptsache ihr war nichts geschehen., nur das zählte für ihn im Augenblick!

Eine Weile wartete Ryuichi ab bis er sich ganz sicher sein konnte das die Gefahr vorbei war. Vorsichtig und schweren Herzens löste er sich von seiner Freundin und musterte Sie von oben bis unten.

“Bist du in Ordnung?”, fragte er besorgt.

Das junge Mädchen zitterte und stand noch immer unter dem Schock, des gerade erlebten. Es dauerte einen Moment bis sie sich wieder beruhigt hatte und prüfend an sich herunter sah. Offensichtlich fehlte ihr nichts. Bis auf ein paar winzige Schrammen von der Felswand war noch alles dran.

“Ja mir geht es gut, dank dir”, antwortete sie und sah ihn verlegen an.

“Aber was ist mit dir? Geht es dir gut?”, erkundigte sie sich betroffen.

Sie konnte sehen wie sich Ryuichis Gewand durch sein Blut rot färbte. Sein Anblick ließ sie schaudern. Fürsorglich strich sie ihm über die Wange und über den Rücken. Es zeigte sich keine schmerzhafte Regung in seinem Gesicht. Dementsprechend nahm sie an das er nicht allzu schwer verletzt war.

“Ja keine Sorge mir geht es gut”, bestätigte der Junge und lächelte sie an.

Die junge Dunkelelfe atmete erleichtert auf. Sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen. Wenn sie nicht so unvorsichtig gewesen wäre, würden sie jetzt nicht in so einer misslichen Lage sein.

Prüfend sah sich Ryu um und leuchtete mit der Fackel die er erstaunlicher Weise trotz der Hektik noch immer in der Hand hielt in Richtung Ausgang.

Kein Lichtschimmer drang mehr von außen hinein.

“Warte hier auf mich. Ich muss kurz etwas nachsehen, Ich bin gleich wieder zurück”, sagte er, Amalia nickte nur kurz zum Zeichen das sie verstanden hatte.

Eilig legte er den Weg bis zum vermeintlichen Ausgang zurück und musste mit Schrecken feststellen, dass seine erste Vermutung richtig gewesen war.

Ein gewaltiger Felsen blockierte den Weg!
Er stemmt sich mit all seiner Kraft dagegen, doch der Felsbrocken rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle.
Ernüchternd ließ der Junge schließlich von ihm ab und seufzte.

Hier kamen sie nicht mehr raus. Sie mussten einen anderen Weg finden.

Bedröppelt dreinschauend kehrte er zu Amalia zurück die ihn fragend ansah.

“Der Weg ist von einem gewaltigen Gesteinsbrocken versperrt. Wir müssen wohl oder übel einen anderen Weg finden”, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage.

Erschrocken schlug Amalia die Hand vor den Mund. Das durfte doch alles nicht war sein.

Wie sollten sie jetzt bloß wieder heraus kommen?

Niemand wusste, dass sie hier waren. Niemand würde sie hier drinnen hören wenn sie um Hilfe rufen würden.

Für einen Moment standen sie schweigend da und tauschten fragenden Blicke aus.

“Oh Ryu es tut mir Leid”, flüsterte sie kleinlaut ehe sie sich zu ihm hinüberbeugte und ihn zärtlich küsste.

Auch wenn es nun nichts mehr änderte wollte sie ihn wissen lassen das es nicht ihre Absicht gewesen war sie beide in eine solche Situation zu bringen.

Der junge erwiderte ihren Kuss und lächelte sie gequält an. Er konnte nicht wütend auf sie sein, nicht einmal wenn er es wollte.

“Lass uns nach einem anderen Weg heraus suchen”, versuchte er sie und sich selbst zu beruhigen.

Gemeinsam gingen sie nun wieder etwas motivierter dem Lichtschimmer entgegen dem Amalia nach gejagt war. Sie folgten den engen und verschlungen Pfaden der Höhle und ließen Felsvorsprünge und weitere Fallen mit äußerster Vorsicht hinter sich.

Endlich erreichten sie den Bereich der Höhle aus dem das merkwürdige Licht zu kommen schien.
Ryu traute seinen Augen kaum, direkt vor ihm schwebte das Irrlicht mit seinem Schwert in der einen und einer für seine Verhältnisse großen Laterne in der anderen Hand.

Es schwebte mit dem Rücken zu ihnen und schien sie noch nicht bemerkt zu haben, aber das war fast nebensächlich denn worüber es schwebte war bei weitem interessanter.

Eine große, aus dunklem Holz gefertigte Truhe stand unter dem Geist.

Vorsichtig öffnete das Irrlicht, dass die Kinder noch immer nicht zu bemerken schien die Truhe und legte das Schwert mit großer Sorgfallt und in aller Seelenruhe in die Truhe. Es kicherte kindisch vor sich her als es den Deckel wieder schloss.

Seine Miene verfinsterte sich augenblicklich als es sich umdrehte und die beiden Kinder sah.

“Dumme Menschlein, nur gekommen seid zu stehlen meinen Schatz”, zischte es verächtlich.

Ruyuichi schüttelte nur den Kopf und ging entschlossen auf das Irrlicht zu. Schlimmer als es jetzt war konnte es sowieso nicht mehr werden.

“Ich weiß zwar nicht von was für einen Schatz du redest aber ich möchte nur mein Schwert wiederhaben. Es gehört dir nicht”, sagte er höflich aber fordernd.


“Niemals”, raunte der Geist böse und schwebte angriffslustig zu dem Jungen hinüber.

Erschrocken beobachtete Amalia das Schauspiel. Sie musste etwas unternehmen. Ryuichi war ohne Waffe vollkommen schutzlos.
Kurzentschlossen konzentrierte sie sich und schürte die Flamme in der Laterne des Irrlichts an. Die Flammen schlugen hoch und auf den Geist über, der ängstlich zu quieken begann und wild mit den Ärmchen fuchtelte.

“Gibst du nun das Schwert wider her oder muss ich noch deutlicher werden”, sagte sie nun mutig und ging ebenfalls auf das Irrlicht zu.

“Schon gut, schon gut, das Schwert ihr haben sollt. Nur das Feuer aus du machst”, fluchte der Geist.

Zufrieden ließ das junge Mädchen die Flammen mit einer kurzen Handbewegungen verschwinden.
Völlig außer sich schrie das Irrlicht auf ehe es einfach verschwand. Erleichtert sah Ryuichi die junge Dunkelefe an.

“Danke sehr”,

Lächelnd nickte ihm seine Freundin zu.

Zunächst noch etwas zögerlich und vorsichtig, wenig später aber schon wieder wie gewohnt selbstsicher ging Ryuichi auf die Truhe zu und öffnete den Deckel..

Etwas klares, kühles strahlte ihm entgegen.
Er konnte gar nicht glauben was er sah. Neben seinem Schwert lag ein wunderschöner, kristallklarer Stab.

Sein oberes Ende war so klar und rein wie die schönsten Diamanten und der untere Teil war so blütenweiß wie Schnee, feine Muster zierten den Griff und ein kalter Hauch schien ihn zu umgeben!

Entschlossen griff der Junge nach seiner Klinge und steckte sie zurück in die Scheide an seinem Gürtel, während Amalia langsam auf ihn zu ging um ebenfalls einen Blick zu riskieren.

Sie kam aus dem Staunen nicht mehr herraus als sie den Stab erblickte und sie begann zu lächeln.

“Er ist wunderschön”, stellte sie begeistert fest.

“Es wäre eine Schande etwas so wertvolles hier zu lassen”, erklärte der Junge betört und war bereits dabei mit seiner Hand danach zu greifen.

“Vorsicht”, mahnte das junge Mädchen.

Behutsam tastete Ryuichi mit seiner Hand nach dem Stab und umfasste ihn schließlich entschlossen.
.
Etwas in dem Stab rührte sich. Die Farbe änderte sich schlagartig als der Junge ihn auch nur berührte. Eine mächtige Energie erfasste Ryu’s Körper und schleuderte ihn weg.

Unsanft landete er in einigen Metern Entfernung auf dem Steißbein.
“Autsch”, stieß er hervor.

Fasziniert starrte Amalia noch immer auf den Stab vor sich. Sie wusste nicht wieso aber es schien ihr als ob der Stab sie rufen würde. Immer wieder hörte sie eine Art Stimme in sich die ihr sagte sie solle ihn an sich nehmen. Er sei für sie bestimmt.
Sollte sie es wagen nach ihm zu greifen?
Vorsichtig, aber mit einer gehörigen Portion Mut griff sie nach der Waffe. Eine merkwürdige Kraft durchfloss sie. Sie war stark, rein, hell und warm und mein Gott so angenehm. …

Sie konnte spüren wie sich die Kraft des Stabes mit den irrigen verband und eins wurde.
Nun wusste sie das es richtig war was sie getan hatte.

Entschlossener nahm sie ihn nun fest in die Hand und holte ihn aus der Truhe.
Sie hielt ihn vor sich und ließ den Deckel der Truhe wieder zurück fallen.

Er war wirklich wunderschön.

Glücklich ging sie auf Ryu zu und präsentierte ihm ihre neue Waffe.
Einen kurzen Moment sah der Junge den Stab musternd an.

“Er ist wirklich eindrucksvoll”, bestätigte er.

“Und wer weiß, vielleicht kann diese Waffe uns sogar hier raushelfen”, setzte die junge Dunkelelfe fort.

Nicht so recht davon überzeugt sah Ryuichi sie an. Wie sollte ein Stab ihnen hier raus helfen?

Er verschwendete keinen weiteren Gedanken mehr daran, erhob sich und sah Amalia ernst an.

“Wir sollen schläunigst zusehen das wir hier raus kommen. Bevor es sich dieser Geist noch einmal anders überlegt”, erklärte er woraufhin sie seine Worte mit einem zustimmenden Nicken quittierte.

Eilig tauschte Amalia ihre neue Waffe gegen ihre alte aus und klopfte sich kurz den Staub von den Sachen. Gemeinsam gingen sie schließlich durch die engen Gänge zurück zum eigentlichem Eingang.

Verzweifelt sah Ryuichi seine Freundin an. Er hatte keine Idee wie sie den riesigen Felsbrocken dort weg bekommen sollten.
“Lass mich nur machen”, sprach sie ihm beruhigend zu und trat vor den Fels. Es war wirklich ein gigantischer Koloss.

Sie zückte den Stab und hielt ihn behutsam vor sich.
Da war sie wieder, diese kühle, mächtige Kraft. Sie schloss die Augen. Ihre Lippen formten Worte die sie selbst zuvor noch nie von sich gehört hatte und ihre Arme bewegten sich in einem ihr vertraut vorkommenden Rhythmus.
Innerlich flehte die junge Dunkelelfe das der Felsen zu Eis werden möge.

Ryuichi stand da, mit weit geöffneten Mund und beobachtete seine Freundin. Der Stab erstrahle in ihren Händen in einem hellem weißem Licht.
Es wurde kälter und er begann zu frösteln.
Erstaunt stellte er fest, wie aus dem Gestein das den Eingang blockierte zusehends Eis wurde.
Er schlang sein Gewand enger um sich, wagte jedoch nicht seinem Blick von dem Geschehen abzuwenden.

Eine Weile stand er einfach da und beobachte andächtig das Geschehen, ehe er sah wie Amalia die Augen öffnete. Glücklich aber entkräftet sah sie ihn an während sie sich an die Felswand lehnte. Die ungewohnt mächtige Energie hatte viel von ihr gefordert. Aber sie hatte es geschafft.

“Zerschmettere ihn Ryu”, sagte sie leise.

Entschlossen trat der Junge vor den Eisblock, zückte sein Schwert und begann sich zu konzentrieren. Er versuchte diese wunderbare Energie wiederzufinden die er gespürt hatte als er seine Schwester vor ihrem Vater beschützt hatte.

Seine Gedanken wanderten zu Amalia. Sie zählte auf ihn, verließ sich darauf das er sie nun hier raus bringen würde. Er durfte sie nicht enttäuschen. All diese Gedanken kamen in ihm zusammen und beflügelten seinen Geist und seinen Körper. Weder sah noch fühlte er was nun geschah, doch abermals begann er in einer hellen, warmen Aura zu glühen.
Er richtete seinen zu allem entschlossenen Blick auf den Eiskoloss und mit einem einzigen gewaltigen, kraftvollem Hieb zerschmetterte er ihn in tausend Stücke.

Überglücklich ging Amalia auf ihn zu. Er hatte es geschafft!

Freudig nahm Ryu die junge Dunkelelfe in den Arm und hielt sie fest. Nur selten wie in diesem Moment war ihm klar geworden wie wichtig sie mittlerweile für ihn war. Er brauchte sie!

Ja... er würde ohne zu zögern sein Leben für dieses Mädchen geben.

“So jetzt aber nichts wie raus hier. Die anderen warten sicher schon”, erklärte er freudig erregt und nahm sie bei der Hand.

Erleichtert lächelnd ließ sie seine Berührungen zu und verließ gemeinsam mit ihm die Höhle.

Impressum

Texte: Juliane Ulrich
Bildmaterialien: Juliane Ulrich
Tag der Veröffentlichung: 14.07.2012

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