Ich bin auf dem Weg, auf dem Weg in einen neuen Lebensabschnitt. Nun trifft es auch mich, ich werde studieren. Die ganze Nacht fragte ich mich, wie es wohl sein wird, wie das Studium anläuft und ob ich nette Leute kennen lernen werde.
Ich sitze im Bus und tausend Gedanken schießen mir wieder durch den Kopf. Ich habe etwas Bammel ob ich die neue Herausforderung auch meistern werde.
Ich versuche die Gedanken ziehen zu lassen und fange an die Menschen im Bus zu begutachten. Ein Blick in die Gesichter des frühen Morgens offenbart mir einiges, wie ich finde. Die Menschen sehen teilweise traurig aus, so als ob sie Verpflichtungen nachgehen, welche sie sich nicht selbst gewählt haben.
In einer Ecke entdecke ich ihn, einen alten Mann mit einer Stofftasche von Aldi. Er hat weißes langes Haar, ein zerknittertes Gesicht und trägt ausgewaschene Kleidung. Ich fange an mich zu fragen, wie sein Leben wohl aussieht. Er fährt sicher ohne Fahrausweis und hat kein zu Hause. Er sieht so ärmlich aus. Ich überlege ob ich ihn nicht eins zwei euro geben sollte, damit er sich was zu essen kaufen kann. Aber nein, das kann ich nicht machen, er bettelt schließlich nicht um geld, aber irgendwie tut er mir leid, dieser alte mittellose Mann.
Wenn er kein zu Hause hat, lebt er sicher in einem Obdachlosenheim, denke ich mir weiter, oder vielleicht sogar unter einer Brücke in der Stadt. Mein Mitleid für den alten Mann wird immer tiefer, es macht mich selbst traurig dieses Elend zu sehen. Ob er überhaupt Familie hat oder irgend jemanden der sich um ihn sorgt? Sicher ist er ganz allein und muss um sein tägliches Überleben kämpfen, vielleicht lindert er auch all seinen Schmerz mit Alkohol. Er wird sicher wenige Freuden im Leben haben und ein tristes trauriges Leben führen. Sicher hat er schlechte Erfahrungen in seiner Kindheit gemacht und deshalb ist er so geworden, obdachlos und allein.
Ich versuche mich abzulenken und nicht weiter über den alten Mann nachzudenken. Ich steige aus dem Bus aus, da ich mein Ziel erreicht habe.
Entschlossen und versucht selbstbewusst gehe ich in das Unihauptgebäude. Meine erste Vorlesung ist eine Einführung in das Studium. Ich suche den Hörsaal und verlaufe mich fast in dem großen Gebäude. Schließlich habe ich den Hörsaal gefunden und trete ein. Ich bin leicht erschrocken über die mächtige Anzahl der Studenten.
Wir werden in Gruppen eingeteilt und bekommen einen Tutor an die Seite gestellt, welcher uns über die Inhalte des Studiums informiert und uns erste Tipps zur Bewältigung des Studiums gibt.
Unser Tutor zeigt uns die Räumlichkeiten der Universität und dann haben wir noch etwas Zeit um Fragen zu stellen. Danach dürfen wir gehen.
Das war also mein erster Tag an der Uni.
Am nächsten Morgen fahre ich mit dem gleichen Bus. Meine erste Vorlesung hat den Namen Entwicklungspsychologie. Ich freue mich schon auf die Vorlesung und bin ganz gespannt, wie es wohl sein wird.
Jedoch schweifen meine Gedanken auch wieder ab und ich muss erneut an den alten Mann von gestern denken. Irgendwie hat er in mir soviel ausgelöst. Ich weiß dass ich sehr dankbar sein kann, über meinen Lebensstandard. Ich studiere seit gestern, bekomme Bafög und habe ein paar wirklich gute Freude. Ja ich bin dankbar und denke mir, viele Menschen, die mit mir im Bus sitzen, haben sicher ein hartes Schicksal und mir geht es wirklich gut, mein Leben ist schön.
Als ich erneut mein Ziel erreicht habe, bin ich sehr froh, dass ich bereits weiß, wo sich der Hörsaal befindet. Ich trete ein und suche mir einen Platz neben einer jungen Studentin, wohl ungefähr im gleichen Alter wie ich.
Mein Blick schweift nach vorne, da steht der alte Mann mit dem weißen Haar, seine Kleidung ist ausgewaschen und er wirkt ruhig und gediegen.
Ein großer Stein fällt mir vom Herzen. Er ist nicht mittellos und hat kein zu Hause, sein zu Hause ist die Uni.
Als er anfängt uns zu begrüßen huscht ein großes gutmütiges Lächeln durch die Reihen.
Ein alter, weiser, in sich ruhender, glücklicher alter Mann begrüßt uns und wünscht uns viel Erfolg für den neuen Lebensabschnitt.
Ein paar Monate später treffe ich ihn wieder im Bus, mit der gleichen Tüte von Aldi, der ausgewaschenen Kleidung aber er wirkt zufrieden und ausgeglichen. Er lächelt mir zu, so als ob er sagen möchte, es wird ein guter Tag. Ich lächle zurück und bin mir sicher, dass die Sonne über uns scheint.
Tag der Veröffentlichung: 19.09.2013
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