Cover


Man sagt immer, es sei überbewertet, herumzujammern, dass man keine Freunde mehr hat, wenn man in eine andere Stadt ziehen muss, und man würde sowieso neue Freunde finden. Doch ich nicht. Ich war eben anders. Es ist, als könnte ich hier nie wieder glücklich werden. Zwei Wochen ging dann schon so. Jeden Tag weinte ich eine Seite mehr in meinem Tagebuch nass. Dieses permanente Schweigen und mit niemanden über seine Sorgen reden können, machte einen mit der Zeit nahezu verrückt.

Wieder einmal saß ich in meinem kahlen Zimmer, in dem noch kein einziger Karton ausgepackt war, und strich mit den Fingern über die gewellten Seiten meines Tagebuches. An manchen Seiten war meine wunderschöne Schrift schon gar nicht mehr entzifferbar, durch meine Tränen, die die Tinte einfach weggeschwemmt hatten. Nach außen gab ich immer vor, ein starkes Mädchen zu sein, makellos, aber jeder Mensch lebt nun einmal hinter einer Fassade, so auch ich. Ich war alles andere als stark oder beliebt. Ich war ein siebzehnjähriges Mädchen, das vielleicht mal beliebt gewesen ist. Gerne, aber auch in Trauer, erinnerte ich mich an die Tage zurück, in denen mich jeder aus meiner alten Schule namentlich kannte und in denen ich durch so viele Verabredungen so wenig Zeit für mich selbst hatte, dass damals die Chance, nachzugrübeln, alles andere als vorhanden war.

Wie immer war ich auch an dem heutigen Tag allein zuhause, da meine Eltern beide bis Abend arbeiteten. Schließlich war ich ein starkes 17-jähriges Mädchen, das ihre Eltern nicht rund um die Uhr brauchte, und ihre Eltern noch nie rund um die Uhr gebraucht hatte. Umso mehr wunderte es mich, dass es an der Tür klingelte. Es war später Nachmittag, so konnte es also kaum der Briefträger sein. Während ich langsamen Schrittes zur Tür ging, fragte ich mich, ob ich überhaupt öffnen sollte, es war ja sicherlich sowieso niemand, der mich sprechen wollte.

Nachdem ich noch einige Sekunden an der Tür gestanden hatte und gezögert hatte, öffnete ich schließlich. Mir gegenüber stand ein 19 oder 20-jähriger junger Mann mit schwarzen Haaren. Seine Lippen wurden von zwei Piercings geziert, ebenso wie seine Nase. Auch wenn man es nicht dachte, liebte ich Piercings. Sobald ich 18 war, wollte ich mir auch eines stechen lassen. Dann, wann meine Eltern mir absolut nichts mehr zu sagen hatten. Fragend sah ich mein Gegenüber an, da ich es nicht einsah, das Gespräch zu beginnen, wenn er doch zu mir kam.

“Du wunderst dich bestimmt, dass ich einfach so hier auftauche.”
“In der Tat.”
Ich lebte mit meinen Eltern in einem kleinen Haus am Rande von Berlin. Meine Eltern hatten dieses Haus nur gekauft, um noch mehr angeben zu können. Um den Garten kümmerten sie sich nicht. Und ich hatte es auch nicht vor, ihnen das abzunehmen. Sie hatten schließlich genug Geld, sich in Berlin ein Haus zu kaufen, also konnten sie sich noch einen Gärtner leisten, wenn sie unbedingt einen Garten brauchten.
Der Jungendliche vor meiner Haustür zeigte auf das Nachbarhaus. “Dort wohne ich. Deshalb wollte ich mich vorstellen. Wegen der neuen Nachbarschaft und so. Yannic mein Name. Yannic McDroid.”

Aufmerksam hörte ich ihm zu, versuchte mir seinen Namen einzuprägen, bis mir das schließlich, nachdem ich ihn mir ein paar Mal in Gedanken vorgesagt hatte, gelang, und schüttelte kurz seine Hand, die ihr mir hinhielt. “Freut mich. Johanna Fuchs.” Eigentlich hatte ich keine Lust, ihn hereinzubeten und ihm so noch mehr über mich preiszugeben, aber ich wollte nicht als unfreundlich abgestempelt werden und so ging ich einen Schritt zu Seite und machte eine einladende Handbewegung. “Komm doch rein. Schaut zwar noch etwas unordentlich aus, aber der Wasserkocher ist schon ausgepackt, genau wie ein paar Teebeutel.”

Leider nahm er mein Angebot, hereinzutreten auch gleich an. Im kleinen Flur zog er die Schuhe aus und ging danach in Richtung Küche. Woher wusste er, wo die Küche war? Nach Schließen der Haustüre ging ich ihm hinterher und überholte ihn schließlich, weil es mir komisch vorkam, dass mein Gast vor mir die Küche betrat. “Also hier ist die Küche.”, erklärte ich überflüssigerweise noch.

Er antwortete nur mit einem frechen Nicken. “Ich weiß.” Unaufgefordert setzte er sich an den Küchentisch, während ich den Tee zubereitete. Irgendwie spürte ich, dass er mir noch näheres erklären wollte, deshalb setzte ich mich in der Zeit, in der das Wasser kochte, gegenüber von ihm hin und sah ihn einfach nur an. Er erzählte auch sofort weiter. “Früher Hat mein bester Freund hier gewohnt. Und danach seine Schwester. Oh Maxine.” Das letzte richtete er weniger an mich als an sich. Das merkte ich daran, dass er sehnsüchtig nach oben schaute. Als er ein paar Minuten in Erinnerung schwelgend dagesessen hatte, der Tee in der Zeit fertig geworden ist, und ich wieder gegenüber von ihm saß, sah er mich wieder an. “Ich bin ehrlich gesagt froh, dass du hier wohnst. Obwohl du mit deinen Eltern hier wohnst. Weil in der letzten Zeit sind alle weggezogen.”

Ich schenkte uns beiden etwas von dem Früchtetee ein, bevor ich ihn fragend anschaute. “Wer denn zum Beispiel?”
“Maxine halt. Und meine Schwester.”
Seine Schwester konnte ohne ihren Bruder wegziehen? Also ich könnte das nicht, wenn ich einen Bruder hätte. “Was war denn mit deiner Schwester? Hattet ihr Streit?” Ich war alles andere als neugierig. Ich war einfach nur froh, dass es wieder jemanden gab, für den ich mich interessieren konnte und der mir auch zuhörte und auf meine Fragen einging.
“Ja auch. Aber sie würde auch das Auslandsjahr machen, wenn wir keinen Streit gehabt hätten. Nur jetzt ist es irgendwie schlimmer. Sie ruft mich nicht an und so.”

“Worüber ging denn euer Streit? Also wenn ich fragen darf.”
Er trank einen Schluck aus seiner Tasse Tee, bevor er mir antwortete. “Ja, du darfst fragen. Es war nur, weil sie sich in mich verliebt hatte.”
Verliebt? Ein ungläubiger Blick meinerseits, ein Schluck Tee, der noch viel zu heiß war, um ihn zu trinken, und eine frage, die den ungläubigen Blick unterstützte: “Verliebt? Aber sie ist doch deine Schwester. Sie muss doch wissen, dass es nicht gehen würde, egal, was du für sie fühlst.”
“Weiß sie auch. Aber sie war, ist, ja nur meine Stiefschwester. Am Anfang hat sie versucht, es geheim zu halten, und am Ende, kurz bevor sie gehen musste, hat sie damit angegeben, dass sie nur meine Stiefschwester ist und wir eigentlich nicht verwandt sind.”

Weil ich nicht wusste, wie ich darauf reagieren sollte, pustete ich in meinen Tee und fragte dabei so neutral wie möglich: “Und du hast nicht dasselbe für sie Empfunden?”
“Das, was eben ein neunzehnjähriger für seine sechzehnjährige Schwester so empfindet. Ich wollte sie immer beschützen, drei Jahre lang. Ich wollte nicht, dass irgendjemand anders ihr beim ersten Mal wehtut und sich dann einfach an die nächste ranschmeißt. Sie hat das irgendwie falsch verstanden, auch weil ihr meine beste Freundin erzählt hat, dass ich nur mit Mädchen schlafe, für die ich auch was empfinde.”

Warum erzählte er mir so etwas privates? Er musste sich ziemlich alleine fühlen, wenn er einer wildfremden Person so etwas beim Nachbarschaftskennenlernen erzählte. Sicherlich hatte er das auch bemerkt, denn jetzt wechselte er plötzlich das Thema. “Gehst du noch zur Schule?”

Um nicht verwirrt wegen des Themawechsels zu wirken, versuchte ich meinen Gesichtsausdruck neutral zu halten, was mir sehr gut gelang, da ich das in den letzten zwei Wochen zur Genüge üben konnte. “Ja. Du nicht?”, fragte ich, weil er die Frage so seltsam irgendwie gestellt hatte. Als Antwort bekam ich nur ein kurzes heißeres Lachen und ein „Doch. Aber ich bin bald fertig. Gehe nämlich in die zwölfte Klasse. Also nach den Sommerferien. Und in welche Klasse kommst du?“

Wow. Zwölfte Klasse. Ich wollte wirklich nicht unhöflich sein, aber es kam mir einfach so vor, als wäre er schon ein bisschen zu alt für die zwölfte Klasse, deshalb fragte ich einfach nach seinem Alter. Konnte ja gut sein, dass ich ihn vorhin zu alt eingeschätzt hatte. Er nahm mir meine Frage nicht böse und war allgemein, wie ich mal wieder bemerkte, sehr nett. „Ich bin 19. Also es ist grenzwertig, aber es gibt auch ältere, glaub mir. Aber, Johanna, du hast mir immer noch nicht gesagt, in welche Klasse du kommst.“, grinste er.

Das war mir gar nicht aufgefallen. Peinlich berührt stotterte ich: „Ich. Ähm. Achso. Ja klar. In die zehnte. Und ja, scheinbar, ich meine offensichtlich hast du recht, dass es auch noch ältere im Verhältnis gibt. Ich meine schau mich an. Ich bin siebzehn und in der zehnten. Und ich bin mir sicher, dass ich noch mehr Jahre vor mir hab, wie es jetzt scheint, wenn du verstehst was ich meine.“ Ich zwinkerte. Nein, ich zwinkerte nicht, weil ich etwas perverses oder so dachte, sondern ich zwinkerte, um die Stimmung aufzulockern.

Ich war kein Mädchen mehr, das viel sagen konnte, seit ich hergezogen war. Es war zwar verrückt, aber ich hatte mich so sehr an das Alleinsein gewöhnt, dass ich den Smalltalk, mit dem ich früher Stunden lang verbringen konnte, irgendwie verlernt hatte. Dennoch ließ ich es mir nicht anmerken und wechselte mal wieder das Thema. „Also ich will nicht neugierig sein oder so, aber du bist Schüler und lebst alleine“ ein fragender Blick zu ihm „in einem Haus. Musst du das selber zahlen? Aber ich meine, das würde ja gar nicht gehen, so als Schüler.“ Und wieder fing ich an zu stottern. Johanna, Johanna.

Scheinbar wollte er nicht so recht über das Thema reden, denn er antwortete nur knapp, seine Eltern würden das finanzieren, bevor er wieder zum alten Thema umschweifte: „Gehst du dann auch auf das Albert-Einstein-Gymnasium?“
Zu meiner Schande wusste ich den Namen der Schule nicht, deshalb antwortete ich: „Wenn es das ist, das hier in der Nähe ist, dann ja.“ Und ich lächelte ihn engelsgleich an, um meine Unwissenheit zu überspielen.

Bevor er auf das nächste Thema zu sprechen kam, räusperte er sich kurz. „Du sag mal Johanna. Warum gehst du eigentlich nicht raus?“ Es hätte mir klar sein müssen, dass er mich das früher oder später fragte, aber trotzdem war ich nicht darauf vorbereitet. Was sollte ich sagen? Die Wahrheit, nämlich dass ich immer so alleine war, seit ich ihr wohnte? Oder sollte ich irgendetwas erfinden, um meine vorgespielte Coolness zu wahren?

Nachdem ich mich erst ein Mal für Variante drei, nichts zu sagen, entschieden hatte, fing ich irgendwann doch an zu erzählen. „Also ich geh nicht raus, weil ich nicht gleich als die ohne Freunde abgestempelt werden will. Ich meine früher hatte ich viele Freunde. Ich war die beliebteste, aber hier ist es alles irgendwie anders. Ich weiß auch nicht. Ich glaube ich bin es nicht mehr gewohnt, selber auf andere zugehen zu müssen.“ Die Wörter sprudelten nur so aus mir heraus und ich war selber geschockt über diese Erkenntnis, die ich einfach ausgesprochen hatte, ohne nachzudenken.

„Hast du Zeit? Ich meine dann kann ich dir die Gegend zeigen.“, schlug er vor. Da ich ja wirklich nichts zu tun hatte, willigte ich ein und ging mit ihm zur Haustür. Draußen wurde ich erst einmal von der Sonne, die ich nicht mehr gewöhnt war zu sehen, geblendet. Es war Sommer und hier draußen war es in meiner Jeans schnell zu warm. Deshalb entschuldigte ich mich, ging rein und zog mir schnell eine Jeanshotpants und ein grünes trägerloses Top, das zu meinen roten Haaren super passte, an. Als ich wieder draußen war, war Yannic verschwunden.
Ich beschloss, nicht so „hochgestochen“ nach ihm zu fragen, und rief stattdessen nur einmal: „Ey Yannic? Wo bist du, Mann?“ Als ich keine Antwort bekam, beschloss ich, mir eben selber die Gegend zu zeigen, wenn er keine Lust darauf hatte. Natürlich war ich enttäuscht deswegen. Ich war enttäuscht, dass er sich keine Zeit für mich nahm, aber auch, dass ich so sehr auf andere, wie in diesem Fall auf ihn, angewiesen war. Trübseelig ging ich irgendwo hin, wobei ich die nichtvorhandene Orientierung verlor.

Als ich mir sicher war, mich in einem Park verlaufen zu haben, legte jemand von hinten die Arme um mich. Ich war es nicht mehr gewohnt, angefasst zu werden, weshalb ich auch hysterisch anfing zu schreien. Die Schreie wurden aber zu einem hysterischem kicher Anfall, als ich mich umdrehte und Yannic vor mir sah. Weil ich so froh war, mich doch nicht verlaufen zu haben, oder irgendjemanden zu sehen, den ich schon etwas kannte, umarmte ich ihn und wollte ihn auf keinen Fall wieder loslassen. Das war total irre. Ich meine, wie schnell kann einem ein Mensch sympathisch werden?

„Wow süße, lass mich am Leben.“, lachte er, nahm meine Hand und ließ sie auch nicht los, als wir gemeinsam durch den Park schlenderten. Irgendwie war das der Moment, an dem ich wieder ich selbst wurde. Ich redete einfach nur die ganze Zeit und es war mir egal, ob es Yannic interessierte oder ob ich ihn langweilte. Als ich mal ruhig war, fing er an zu erzählen: „Ich will dir nichts vorschreiben oder so, aber alleine würde ich an deiner Stelle nicht hergehen. Vor allem für Mädchen ist es hier ziemlich gefährlich. Hier kann es schon mal passieren, dass du auf irgendwelche Junkies triffst.“

Aufmerksam hörte ich ihm zu. Woher er das wohl wusste? Ich wollte nicht unhöflich sein und ihn fragen, deshalb schwieg ich, genau wie er. Ich schaute mir die Leute an, die vorbeigingen. Wir saßen auf einer Bank am Rand des Weges. Hinter uns war Wald und vor uns eine Wiese, die zu einem kleinen See oder Teich führte. Auf dieser Wiese waren verschiedene Leute. Einige hörten in Gruppen Musik oder spielten Karten oder so. ein Mädchen fiel mir besonders auf. Ein Mädchen mit braunen Haaren, das eigentlich viel zu „normal“ für dieses Milieu aussah. Sie schaute ständig zu Yannic und mir, was total nerv tötend war.

Yannic schien das nicht zu bemerken oder er schien sich wenigstens nicht daran zu stören. Dafür war er viel zu sehr mit meinen Haaren und einer Spinne, die sich dort hinein verirrt hatte, beschäftigt. „Ist sie weg?“, ich sah ihn an, woraufhin er nickte und ich aufatmete. „Du Yannic? Ich glaub ich muss mal wieder zurück. Meine Eltern sind bestimmt schon daheim und fragen sich, wo ich bin.“ Ich schaute ihm in die Augen. „Bringst du mich nach Hause?“

Natürlich brachte er mich nach Hause. Dort stellte ich ihm gleich meinen Eltern vor, die aber eher weniger von ihm begeistert waren. Er sah halt nun einmal nicht so aus, als könnte man Vertrauen zu ihm fassen, was mir im Moment egal war, da ich einfach nur jemanden brauchte, mit dem ich reden konnte. Außerdem fand ich im Gegensatz zu meinen Eltern seinen Style total cool.

In restliche Zeit in den Sommerferien, sah ich Yannic jeden Tag unter der Woche. Da meine Eltern arbeiteten, konnten wir immer den ganzen Vormittag und fast den ganzen Nachmittag im Park bleiben, was alles andere als langweilig war, da wir auch komplett bescheuerte und vor Allem kindische Sachen machten. Sachen, die ich mit meinen alten Freunden nie gemacht hätte. Wir lernten ganz schnell Leute kennen, obwohl Yannic hier, wie er immer wieder sagte, schon lange nicht mehr war und auch somit hier niemanden kannte.

Nur irgendetwas war komisch. Das Mädchen, das uns am ersten Tag beobachtet hatte, beobachtete uns weiter. Und sie schien mich immer böse anzuschauen, wenn ich mit Yannic zusammen lachte oder wenn er mich oder ich ihn auf die Wange küsste. Wir waren halt eben gute Freunde geworden in der kurzen Zeit.

Als die Ferien vorbei waren, holte mich Yannic zu meinem ersten Schultag an der neuen Schule ab. Wir gingen extra früh los, damit er mir noch die komplette Schule zeigen konnte. Vor dem Zimmer des Direktors blieben wir dann stehen. „Also. Hier musst du alleine durch. Du findest sicherlich Freunde in deiner Klasse. Denn wenn du in die Klasse kommst, in der meine Schwester war, dann ist es die coolste zehnte Klasse überhaupt. Und dann wirst du mit Sicherheit auch mit Sue, der besten Freundin von Gina, sehr gut befreundet sein.“ Er küsste mich noch einmal kurz auf die Wange. „Jetzt geh schon.“ Ich nickte, und klopfte.

Als ich meinen Stundenplan hatte und schließlich zu meinem Klassenzimmer ging, hatte der Unterricht schon längst angefangen. Auch hier klopfte ich, ehe ich eintrat. „Hi. Ich bin Johanna Fuchs und komme in die Klasse hier.“, erklärte ich der Lehrerin. Ich schaute mich in meiner neuen Klasse um, schaute mir die Gesichter aller Schüler an und – oh nein – sah das braunhaarige Mädchen, das Yannic und mich in den Ferien beobachtet hatte. Die Lehrerin begrüßte mich und sagte dann ich solle mich neben Sue setzen. Blöd war nur, dass Sue ausgerechnet das Mädchen vom Park war.

Ich tat so, als wäre nichts, als ich mich neben sie setzte, sondern sah sie einfach nur mit meiner gespielten Coolness an. Mir war klar, dass ich diese Fassade nicht lange halten konnte, aber für den Anfang war das gar nicht so schlecht, die Zicke zu spielen. Sie fing auch gleich an, mit mir zu reden, obwohl das Ganze eher weniger freundlich war: „Hör zu, Johanna, du wirkst wie eine kleine Schlampe. Die Frage steht noch offen, ob du’s wirklich bist. Aber ich sag dir eines: Yannic fährt nicht auf solche wie dich ab. Also lass einfach die Finger von ihm, klar?“

Überheblich – und diesmal nicht gespielt – sah ich sie an. Die war bestimmt Streber Nummer eins. Und die wollte mir sagen, dass Yannic nicht auf solche wie mich steht? Bei aller Liebe, aber so etwas ließ ich mich nicht gefallen. „Die Finger von ihm lassen? Jetzt pass mal auf. Nur weil du vielleicht verklemmt bist und in deinen Träumen auf ihn stehst, heißt das noch lange nicht, dass er auch auf dich steht, süße. Und nur, weil du uns im Park die ganzen Sommerferien gestalkt hast, heißt das noch lange nicht, dass er dein Eigentum oder sowas ist. Du bist doch nur neidisch, weil ich mit ihm einfach nur Spaß hab und du.“ Ich musterte sie abschätzig. „Naja. Du eben eher weniger.“

„Ich als die beste Freundin von seiner Schwester sollte ihn wohl besser kennen, als irgend so eine Fremde, die denkt, sich an ihn ranmachen zu können. Schon mal daran gedacht, dass er vergeben sein könnte?“ Beste Freundin von der Schwester? Scheiße. Da wurde die Erinnerung an das zuvor geführte Gespräch mit Yannic wieder hervorgerufen. Sue. Klar. Warum hörte ich nie irgendjemanden zu? Aber die Frage ist: warum war Sue im Park gewesen? „Ok, Sue, was bist du? Privatdetektivin oder sowas?“

Auf meine ironisch gestellte Frage, ging sie überhaupt nicht ein. Stattdessen sagte sie nur: „Eins noch: ich hab mehr Freunde und bin beliebter als du denkst.“ Sieh mal einer an. Da hatte ich aber Angst. Zum Glück verging dieser erste Schultag recht schnell, sodass ich schon ziemlich früh wieder nach Hause gehen konnte. Zu meiner Überraschung wartete Yannic vor der Schule auf jemanden. Ich ging zu ihm hin und fragte ihn einfach, auf wen genau er wartete. „Auf dich, süße.“, grinste er nur, nahm meine Hand und ging mit mir nach Hause. Dabei erzählten wir uns natürlich was wir für Lehrer hatten und wie dumm der Stundenplan war.

Irgendwann stellte sich ein Mädchen mit in den Weg. Ich sah die Blonde an. „Was soll das?“
„Dasselbe könnte ich dich fragen. Was hältst du hier Händchen mit meinem Freund?“
„Lern erst mal deutsch. Mistkuh.“ Auch wenn ich mich so sehr fragte, was wahr an der Sache war, wollte ich mich keinesfalls bloßstellen indem ich ihr zeigte, dass ich nichts davon wusste.
„Mistkuh? Du hast sie doch nicht mehr alle! Yannic, sag diesem Mädchen, dass sie aufhören soll dich zu belästigen.“ Die sollte gefälligst mal schauen, dass sie auf diese Weise Yannic nicht verlor, die gute.
„Nein, Hailey.“, antwortete mein Nachbar emotionslos, „es ist schon lange vorbei. Und du weißt das genauso gut wie ich. Also lass Johanna vorbei. Die hat dir gar nix getan, klar?“
Diese Hailey ließ nur irgendwie nicht locker. Jetzt versuchte sie es auf die sanfte Tour. Sie redete Yannic ein, dass er es genauso wisse wie sie, dass sie zusammen gehörten und so weiter. Am Ende küsste sie ihn auch noch, woraufhin Yannic kurzerhand endgültig mit ihr Schluss machte.

„Was war das denn?“, fragte ich ungläubig, als die wütende Hailey einen Abgang hinlegte, mit dem sie sich sicherlich einiges an Aufmerksamkeit erhoffte. „Das war voll die Zicke. Warum genau warst du mit ihr zusammen?“ Ich schaute zu ihm auf. Er zog mich gerade weg vom Weg, weil sich schon ältere Leute, die auf ihren Gehsteig bestanden, beschwerten. Er hielt lange meinen Blick mit seinem fest, ehe er antwortete: „Weil ich sie geliebt hab.“

„Und Gina hat dich geliebt.“ Vollendete ich seinen Satz, schaute ihn aber hinterher noch fragend an, weil ich mir irgendwie nicht so sicher war, dass das wirklich stimmte.
„Na ja. Gina auch. Aber ich hab Hailey viel länger geliebt. Und sie irgendwie auch mich. Aber sie hatte zwischendurch andere und ich hatte zwischendurch eben diese Sache mit Maxine.“
Interessiert sah ich ihn an. „Und. Naja. Hattest du nur mit Hailey, Maxine und Gina Sex?“ Bitte sag‘ „ja“. Ich fühlte mich nämlich in diesem Moment so unerfahren.

„Mit Hailey halt eben öfters. Sehr oft, um genau zu sein.“, grinste er in sich hinein. Bereute er es schon, mit ihr Schluss gemacht zu haben?
„Du liebst sie immer noch?“, spekulierte ich.

„Nein. Ficken mit ihr war geil, aber ihr Charakter scheiße. Pass auf, Jojo. Ich weiß, dass du mit Sue keinen guten Start hattest. Sie hat mir noch im Unterricht eine SMS geschrieben. Aber kannst du mir den Gefallen tun und versuchen, dich mit ihr zu vertragen? Du fragst dich jetzt bestimmt warum. Weißt du sie ist die beste Freundin von meiner Schwester. Und du bist meine beste Freundin. Und ich will nicht, dass es gleich Streit gibt, wenn Gina uns in den nächsten Ferien besuchen kommt.“

„Deine Schwester kommt her?“, fragte ich ein bisschen geschockt, weil ich Angst hatte, dass er doch Gefühle für sie entwickeln würde. Warum hatte ich so Angst davor? Yannic war doch mein bester Freund. Ich wollte doch, dass er glücklich wird. Ich lächelte nur. „Schön. Dann lerne ich sie ja auch endlich kennen.“ Ich kotzte gleich. Die war bestimmt genauso eine Zicke wie Sue oder sogar wie Hailey.

„Lass uns mal schneller gehen.“, schlug er vor. „Sonst machen mich seine Eltern wieder verantwortlich, dass du so spät nach Hause kommst und sagen wieder, ich würde dich schlecht machen.“ Er fing an so süß zu kichern, wie er es selten tat.
Ich stimmte in sein Kichern mit ein, schlug dann aber zu meiner eigenen Verwunderung vor, dass er noch mit reinkommen kann. „Die sind doch sowieso noch nicht da, du kleiner Dummkopf.“

„Stimmt. Okay. Dann bring ich dich mal mit rein. Weil ich war irgendwie noch überhaupt nicht oft bei dir, beste Freundin.“, neckte er mich und piekte mich dabei in die Seite.
„Ruhig bleiben, Yannic.“, drohte ich. „Ich kann dir auch verbieten mit zu mir zu gehen.“

Er blieb so lange bei mir, bis meine Eltern kamen. Leider hatten wir die Zeit vergessen und so platzten sie direkt in uns hinein, als wir auf dem Sofa lagen, einen Film schauten und kuschelten. „Johanna Fuchs.“ Hörte ich den strengen Ton meiner Mutter. Weil wir sie überhaupt nicht hatten kommen hören, zuckten Yannic und ich beide zusammen, wodurch ich mich unweigerlich noch näher an ihn schmiegte. „Warum ist der schon wieder hier?“ So ging das schon die ganze Zeit, in der ich Yannic kannte, und ich war mir sicher, dass es noch eine ganze Zeitlang weitergehen würde.

~

Es war Weihnachten und Yannics Schwester Gina kam ihre Familie besuchen. In dieser Zeit war Yannic auch viel zu oft bei seinen Eltern. Klar hatte ich Verständnis dafür, dass er so oft wie möglich seine Stiefschwester sehen wollte, aber ich war schließlich seine beste Freundin. Jedoch kam er am zweiten Weihnachtsfeiertag kurz zu mir, ging mit mir schnell in mein Zimmer. „Ich bleib‘ nicht lange da. Ich wollte dir nur frohe Weihnachten wünschen.“ Er schenkte mir einen Schlüssel, der mehr oder weniger die Form eines Herzens hatte. Seinen Haustürschlüssel.

„Du bist ja süß, Yannic.“, kommentierte ich sein Geschenk gerührt. „Jetzt kann ich immer wenn ich will zu dir kommen.“ Nach einem Kuss auf die Wange, überreichte ich ihm auch mein Geschenk. Es war eine Stofftierschildkröte, die Mütze und Schal trug. „Damit du immer an mich denken kannst, wenn du sie siehst.“, lächelte ich.

Er nahm mein Geschenk, lächelte, umarmte mich. Und dann ging er wieder. „Ich will Gina nicht so lange alleine lassen. Merk dir das. Du kannst immer zu mir kommen. Tag und Nacht.“
„Ähm Yannic. Was ist, wenn du gerade jemanden fickst?“, fragte ich einfach so. Wobei ich wusste, dass er es nicht tat, weil er nicht so war, wie man es von ihm dachte und erwartete.
„Dann machst du mit.“, grinste er frech

Ich brachte ihn zur Tür und blieb so lange im Türrahmen stehen, bis er mir von seiner Haustür noch einmal zugewinkt hatte und dann nach innen verschwunden ist. Meine Eltern hatten glücklicherweise von diesem Besuch nichts mitbekommen. Als ich an diesem Nachmittag noch kurz mit Sue telefonierte, zu der ich in der Zwischenzeit ein viel besseres Verhältnis aufgebaut hatte, fragte ich sie, ob sie wirklich mit Hailey befreundet war.

„Ach Quatsch“, kicherte sie. „Ich war doch nur so zickig, weil ich dachte, dass du auch voll die Zicke bist. Hailey ist einfach so ein Fall für sich. Und ich sag dir eines: Yannic hat echt Glück, dass du seine beste Freundin bist. Du verstehst einfach alles, was er macht. Ich mach mal weiter. Weihnachten ist mir einfach zu stressig. Liebe dich.“
„Lieb‘ dich mehr.“, sagte ich nur monoton und legte dann auf.

Gleich an diesem Tag probierte ich meinen Schlüssel aus und schlich mich so in Yannics Haus. Leider bekam ich dadurch auch ein Gespräch zwischen ihm und seiner Schwester mit.

„Da ist nichts mit ihr, Gina. Du kannst beruhigt sein. Du warst die letzte, mit der ich geschlafen hab.“
„Ach, Nic? Hast du wohl doch eingesehen, dass ich die richtige bin?“ zwar wollte ich keine Vorurteile haben, aber sie klang tatsächlich so zickig, wie ich dachte. „Ich meine mal im Ernst: du hast noch nicht mal ein Beuteschema. Ich hab schwarze Haare, Maxine Hellblonde, Hailey Dunkelblonde und die neue? War das nicht rot? Rothaarige sind aggressiv.“
„Man Gina. Du bist meine Schwester und ich will ja noch nicht mal was von Jojo. Sie ist meine beste Freundin und ich will echt nicht nochmal alles falsch machen.“
„Spießer.“, hörte ich nur eine Beleidigung.
„Das Auslandsjahr tut dir nicht gut, süße. Mit wie vielen hast du‘s getan, seit du die paar Monate weg bist?“

„Mit fünf oder so. aber was wird das jetzt? Hier geht’s überhaupt nicht um mich, sondern um dich und deine Kleine, die du nicht entjungfern willst, weil sie dir zu viel bedeutet. Ich hab dir wohl gar nichts bedeutet?“ das letzte fragte sie so leise, dass ich mir sicher war, mich verhört zu haben.
„Natürlich hast du das, Gina. Du bist meine Schwester.“, antwortete er nur. „Ich geh duschen.“ Nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: „Kommst du mit?“

So ein Arschloch. Glücklicherweise sagte seine Stiefschwester nein. Als er im Bad verschwunden war, ging ich ins Wohnzimmer. Dort saß sie schon. Das Mädchen mit den schwarzen Haaren, das tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Yannic hatte. „Hi“, begrüßte ich sie einfach, woraufhin sie so sehr zusammenzuckte, dass sie fast vom Sofa fiel.

„Oh mein Gott! Erschreck‘ mich nie wieder so. Verstanden?“ in ihrem Tonfall war kein Anzeichen von Ironie oder sonst etwas, das mir bewies, dass sie es nur als Spaß gemeint hatte, zu hören. Sie meinte das alles sehr ernst. „Und überhaupt. Wie bist du überhaupt hier hereingekommen? Nic war doch die ganze Zeit bei mir und ich hab die Klingel überhaupt nicht gehört. Hat er wohl schon wieder vergessen die Tür zuzumachen?“ sie sah mich überhaupt nicht an, während sie auf mich einredete. Sie sprach mehr mit sich selber als mit mir. Als sie mich dann ansah, hielt sie kurz, auch wenn es nur eine Nanosekunde war, inne. „Also du bist Johanna?“

„Hi Gina. Du kannst mich gerne Jojo nennen“, antwortete ich trocken, hoffte aber dass sie bei meinem richtigen Namen bleiben würde. „Also du bist Yannics Schwester?“, fragte ich und setzte mich dabei auf den Sessel ihr gegenüber hin.
„Stiefschwester.“
„Wie auch immer.“ Ich hatte nicht die Absicht auf ihren Kommentar einzugehen. „Er hat mir viel von dir erzählt.“

„Mir auch von dir. Nic meinte ja, dass du eine echt gute Freundin für ihn bist. Aber weißt du. Er hängt noch so an Hailey und an mir, dass er kaum noch Augen für dich hat. Verstehst du doch, oder?“ ich wusste, was das hier werden sollte. Wie sie seinen Spitznamen und das Wort „Freundin“ betonte. Ich war bereit dieses Spiel einzugehen. Allein schon, weil ich ihr auf keinen Fall sagen wollte, dass ich mich in meinen besten und fast einzigen Freund verliebt hatte.

„Ach weißt du, Gina. Es ist mir völlig egal, was er für dich empfindet. Nach den Ferien bist du sowieso wieder in Australien. Da kann er ruhig mal Augen für dich haben. Ist ganz natürlich. Du bist schließlich seine Schwester.“

Mit dem, was jetzt kam, hätte ich rechnen müssen, habe ich aber nicht. Gina stand tatsächlich auf und stolzierte vor meinen Augen zu Yannic ins Badezimmer. Und als würde das nicht reichen, war sie noch so dreist, sich, als sie an der Tür stand, umzudrehen und zu sagen: „Ich hab meinen Spaß. Nic ist da voll und ganz meiner Meinung. Also hau ab, Kleine. Du bist nur sein Zeitvertreib, wenn er mich mal nicht hat.“ Dumme Kuh. Als sie hinter sich die Badezimmertür geschlossen hatte, hörte ich sie und leider auch ihn schon kichern.

Statt zu gehen, schaute ich mich in Yannics Haus noch ein bisschen um. Ich weiß, dass es falsch war, in seinen Sachen zu wühlen, aber ich war mir sicher, hier etwas zu finden, das mich weiterbringen würde. Im Wohnzimmer fand ich nichts. War klar. In der Küche auch nichts außer Werbung, die irgendwann mal im Briefkasten gewesen sein musste. Im Schlafzimmer wurde ich fündig. Hier fand ich nämlich eine kleine Kiste unter seinem Bett. Zuerst dachte ich, es wäre eine Kiste, in der eine Kette oder ein Armband war, weil sie so klein war. Aber darin war lediglich ein Zettel, auf dem in einer geschwungenen Schrift stand: „Ich bin immer für mich da. Ruf‘ mich einfach an. Maxine.“ Und es stand eine Handynummer auf dem Zettel.

Schnell speicherte ich ihre Handynummer ab, legte den Zettel wieder in die kleine Schachtel, welche ich unter dem Bett verschwinden ließ, und wollte dann schon die Wohnung verlassen. Nur leider scheinen Yannic und seine Schwester nicht so lange gebraucht zu haben, denn ich lief quasi mitten in sie hinein, als ich das Schlafzimmer verließ. Yannic war nackt. Klar. Er dachte ja schließlich, dass er allein mit Gina hier wäre. Und die hat ja schon alles an ihm gesehen.

Ich versuchte mich wirklich auf sein Gesicht, in dem ein breites Grinsen zu sehen war, zu konzentrieren, doch ich konnte nichts dagegen machen, dass mein Blick langsam nach unten wanderte. Über seinen durchtrainierten Oberkörper, weiter nach unten. Gina räusperte sich. „Süß. Ist Yannic der erste Junge, den du nackt siehst?“
„Gina es reicht“, ermahnte er seine Schwester. „Jojo sorry. Aber du siehst, dass ich beschäftigt bin. Lass uns einfach morgen reden, ok?“, schlug er vor. Ich nickte einfach nur niedergeschlagen. Er konnte ja nicht wissen, dass ich mir schon die Handynummer seiner exbesten Freundin besorgt hatte.

Deshalb wünschte ich ihm noch viel Spaß und ging danach nach Hause. Sollte ich sie heute, am zweiten Weihnachtsfeiertag, noch anrufen? Aber Yannic hatte mir ja erzählt, dass er sich überhaupt nicht richtig von ihr verabschiedet hatte, sondern sie nur angeschrien hatte. Wollte ich ihr wirklich Weihnachten versauen, indem ich sie fragte, ob sie nicht einmal herkommen wollte, um mit Yannic zu reden? Ich saß noch kurz in meinem Zimmer, bis ich beschloss, sie anzurufen.

„Ja?“ meldete sie sich, nach einer gefühlten Ewigkeit.
„Maxine?“, fragte ich nur. Man konnte ja nie wissen, wer am anderen Ende der Leitung war. Nachdem sie meine Frage bejaht hatte, fing ich auch gleich an zu erzählen: „Ich bin Johanna Fuchs, lebe in Berlin und zwar in dem Haus, in dem du davor gewohnt hast, und will Yannics Schwester loswerden. Weil sie sich an ihn ranschmeißt. Kannst du herkommen?“
„Klar!“, rief sie begeistert. „Ich bin morgen mit meinem Freund Riley da. Wir sehen uns. Ich liebe dich.“ Sie flötete doch tatsächlich „Ich liebe dich“ ins Telefon, obwohl sie mich gar nicht kannte. Ich beschloss, einfach aufzulegen und abzuwarten, ob sie eher wie Gina oder eher wie ich war. Wobei ich ja früher auch so wie Gina gewesen bin.

Ich schrieb an diesem Tag nur noch das Erlebte in mein Tagebuch, bevor ich mich mit einem Buch ins Bett legte. Am nächsten Morgen bemerkte ich zuerst, dass ich beim Lesen eingeschlafen war. Sowas passierte mir echt selten. Ich stand auf, war froh, dass Weihnachten vorbei war und meine Eltern wieder ganz normal in die Arbeit gingen, und machte mich auf den Weg ins Bad, wo ich erst einmal lange duschte, bevor ich meine Lieblingsjeans und ein kuscheliges Kapuzensweatshirt anzog. Noch als ich beim Frühstücken war, klingelte es an der Tür.

Maxine hatte keine Wasserstoffblonden Haare, wie ich es aus dem Gespräch zwischen Gina und Yannic mitbekommen hatte, sondern braune. War mir auch lieber, denn dadurch wirkte sie gleich viel natürlicher, auch wenn ihre Extensions bis zu ihren Hüften reichten. Auch sie hatte, genau wie ich, einen blassen Teint. Sie war ein bisschen kleiner als ich mit meinen 1,65 Metern. Sie trug neben einer weißen kurzen Winterjacke eine schwarze Röhrenjeans und schwarze glänzende Winterstiefel. Was mich im ersten Moment kurz wunderte, war, dass sie keine Absätze trug.

Im zweiten Moment wurde mir auch schon klar, warum. Der Junge neben ihr (Ihr Freund Riley?) war kaum größer als sie. Er war so groß wie ich ungefähr. Er hatte blonde Haare, einen schwarzen Unterlippenpiercing und trug zu seiner ebenfalls schwarzen Jeans Skater Schuhe. Im Großen und Ganzen sah er verboten gut aus. Durch diese Erkenntnis schockiert, sah ich wieder Maxine an. „Hi.“ Ich umarmte beide. „Kommt doch rein. Meine Eltern sind gerade nicht zuhause.“

„Eltern? Oh my Gosh“, war ihre einzige Reaktion, als sie mit ihrem Freund das Haus betrat. „Riley?“ sie sah ihren Freund, der hinter sich die Haustür geschlossen hatte, an. „Erzähl diesem Mädchen“
„Johanna“, warf ich meinen Namen ein.
„Erzähl Johanna doch bitte, wie schrecklich es ist, zusammen mit seinen Eltern zu wohnen.“

Leider war sie scheinbar noch zickiger als Gina. War ja klar, dass Yannic auf sowas steht. „Du, Maxine?“ ich sah sie fragend an. „Wie war das eigentlich damals so mit dir und Yannic?“

„Jojo, meine süße, jetzt lass uns doch erst mal reingehen, du darfst mich übrigens Maxi nennen, und dann reden wir in Ruhe, ok?“, schlug sie vor, woraufhin wir zu dritt ins Wohnzimmer gingen. Als die beiden sich gesetzt hatten und ich Getränke und Chips auf den Tisch gestellt hatte, setzte ich mich auch hin. Ich musterte Maxine und Riley. Sie passten einfach perfekt zusammen. So wie Yannic und ich, dachte ich leider kurz.

„Willst du nicht mal anfangen zu erzählen, süße?“, fragte Riley mit einem leichten Grinsen im Gesicht seine Freundin. Dann sah er mich kurz an. „Sie redet nicht so gerne darüber.“ Noch während er das sagte, sah ich schon, wie Maxine aufstand und ans Wohnzimmerfenster trat. Von dort aus konnte man quasi direkt in Yannics Küche hereinschauen. Ich sah einen schwarzhaarigen Menschen durch die Küche gehen. Und ich sah eine kleinere Gestalt mit deutlich längeren schwarzen Haaren, die ihre Arme um Yannic legte.

Und dann hörte ich Maxine leise schluchzen. Ich gab Riley ein Zeichen, dass er sitzen bleiben solle und trat schließlich mit zu ihr ans Fenster. Ich umarmte sie, während ich ihr beruhigende Worte zuflüsterte. „Du kannst stark bleiben. Du brauchst Yannic nicht. Du hast so viele Freunde“ ok, das vermutete ich nur, „du hast Riley, der dich über alles liebt und niemals so etwas wie Yannic tun würde. Es tut mir so leid, dass ich von dir verlangt habe, herzukommen.“

„Ist schon ok“, antwortete sie nach einer gewissen Zeit, in der wir wieder zurück zum Sofa gegangen waren. „Es ist nur so, dass mich Yannic drei Jahre lang erzogen hat und mich zu dem gemacht hat, was ich jetzt bin.“
„Und was bist du jetzt?“, fragte ich einfach mal.

„Zweigeteilt. Mein Herz ist einerseits voller Liebe.“ Als sie das sagte, lächelte sie ihren Freund an. „Aber andererseits auch voller Hass. Ich hatte mein erstes Mal mit Yannic. Damals, als ich dachte, dass er noch schwul ist. Nur leider war er da schon in mich verliebt. Und ich in einen anderen. Der andere hat sich als ein Arschloch herausgestellt und ich hab bemerkt, dass Yannic viel besser zu mir passen würde. Nur er wollte nichts mehr von mir wissen. Ich sagte zu ihm, er soll mich hassen und nicht alle anderen Mädchen. Weil die konnten ja schließlich nichts dafür, dass ich so war, wie ich war. Leider hat er auf mich gehört und angefangen, mich zu hassen. Scheiße man. Du weißt nicht, wie oft ich versucht hab, mit ihm zu reden. Naja. Wie auch immer. Dann irgendwann bin ich mit Riley zusammen gekommen. Leider ist er dann nach einem Tag irgendwo hin gegangen. Ohne mir Bescheid zu sagen. Mein Bruder Felix und ich beschlossen, nach Riley zu suchen. Also hab ich mich von meinen Freunden und auch von Yannic verabschiedet. Mich hat er nur angeschrien und zu Felix hat er gesagt wir Weiber wären alle gleich. Wir würden ‚Ich liebe dich‘ sagen und nach 3 Minuten gleich wieder mit dem Nächsten zusammen sein. Und dann hat er zu Felix gesagt“

Vor ihrem nächsten Satz, schaute sie kurz zu Riley, der kaum merklich den Kopf schüttelte. Also stand sie wieder auf, nahm meine Hand und zog mich wieder zum Fenster, wo sie mir zuflüsterte: „Dann hat er zu Felix gesagt: ‚Maxine ist die schlimmste von allen. Sie leckt sicher mit dem Nächstbesten rum. Vielleicht mit ihrem little blondy, mit dem sie nix gemacht hat.‘ Am liebsten wäre ich direkt zu ihm gegangen und hätte ihm eine reingehaut. Aber Felix hat mich zum Glück davon abgehalten.“ Außerdem flüsterte sie noch: „Zu Riley bitte kein Wort. Er macht sich sowieso schon total die Vorwürfe, dass er damals einfach so gegangen ist, ohne mit mir geschlafen zu haben.“

Ich nickte. Sie hatte mir also ein Geheimnis anvertraut. Vielleicht war sie doch nicht so zickig, wie ich dachte. „Und, was hast du jetzt für ein Problem mit Yannic?“, fragte sie nun wieder laut. Ja. Was hatte ich eigentlich für ein Problem mit Yannic? Vor ein paar Wochen war ich doch einfach nur gut mit ihm befreundet gewesen. Und jetzt? Jetzt ärgerte ich mich darüber, dass er das mit seiner Schwester tat, weshalb er sich schon so oft mit Mädchen gestritten hatte.

„Hatte Yannic nur mit dir, Gina und Hailey Sex?“, fragte ich Maxine einfach so. Ich war mir so sicher, dass er mich angelogen hatte, als er das gesagt hatte.

Leider bestätigte sich dann auch noch meine Vernutung, als sie anfing zu lachen. „Sorry, dass ich jetzt lache, aber Yannic? Nur mit drei Mädchen? Süße, das glaubst du doch selber nicht oder? Also da war noch Layla. Und ein paar andere.“ Sie zählte mir noch mindestens vier andere Mädchen auf. „Ach und seine ach so große Liebe Eathen. Eathen war männlich. Und der Grund, weshalb Yannic überhaupt mal daran gedacht hatte, schwul zu sein. Du, al

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Tag der Veröffentlichung: 31.05.2012

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