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Happy Birthday



„Schatz?“

Ich blicke von meinem zur Hälfte leer gegessenen Teller auf, geradewegs in Sandras rehbraune Augen, die mich teils besorgt, teils belustigt betrachten.

„Hm?“, antworte ich nur, da ich mit vollem Mund eh nicht viel sagen kann, und selbst wenn, mit mehr als fünf Gramm im Mund klingt phonetisch ohnehin alles irgendwie gleich, oder?

„Alles okay?“, fragt sie.

Ich nicke, immer noch kauend. Und es entspricht ja größtenteils auch der Wahrheit. Auch wenn ich mich ein klein wenig mulmig fühle, bei all den Männerblicken, die ich ungewollt auf mich ziehe. Ich scheine wohl doch in das Beuteschema einiger Herren hier zu passen, auch wenn ich mir wirklich Mühe gebe, mich so hetero zu geben, wie nur irgend möglich. Als echter Kerl mit einer gutaussehenden Freundin möchte man ja schließlich keine Missverständnisse aufkommen lassen, nicht wahr? Insbesondere wenn man sich gerade inmitten einer Gruppe von Schwulen nahezu aller Altersklassen befindet, aus denen man zahlenmäßig gut und gerne fünf Fußballmannschaften bilden könnte.

Die unterschiedlichsten Typen von Männern sind hier zu sehen, was bei einer Szenenkneipe natürlich nicht weiter verwunderlich ist. Das umfangreiche Repertoire reicht von den wirklich tuntigen Kerlen, die mit jedem Schritt und Tritt das Klischee regelrecht bedienen, bis hin zu unglaublich männlichen Typen, bei denen man ohne mit der Wimper zu zucken seinen eigenen Hintern darauf verwetten würde, dass sie ausgesprochene Weiberhelden sind. Sandras Vater zählt zu Letzteren. Er ist auch der Grund, dass wir überhaupt hier im Boots sind, bei dem hätte ich zu Anfang alles gedacht, nur nicht, dass er Menschen mit diesem XY-Chromosom zugetan sein könnte. Wie auch immer, er feiert jedenfalls heute seinen 60. Geburtstag und die Mehrzahl der geladenen Gäste, setzt sich aus seinem unmittelbaren Bekanntenkreis zusammen, der zum größten Teil eben aus Homosexuellen besteht. Ich zähle höchstens drei Hetero-Paare, uns eingeschlossen, und eine Frau, wohl eine Arbeitskollegin von Carsten, Sandras Vater.

Es bedurfte zwei Ehen und drei Kinder, bis Carsten letztendlich erkannte, dass eine Frau ihm nicht das geben konnte, das er insgeheim brauchte. Sandra hatte mir irgendwann einmal erzählt, dass ihr Vater eine Art spätpupertäre Sturm- und Drangphase durchlebte, als er sich mit seiner Homosexualität abgefunden hatte. In dieser Zeit hatte er wohl so ziemlich alles mitgenommen, was bis drei nicht auf den Bäumen war, und wenn es doch einmal einer geschafft haben sollte, wurde er kurzerhand wieder heruntergeschüttelt.

Inzwischen scheint er jedoch wieder etwas ruhiger geworden zu sein und lebt seit über einem Jahrzehnt mit seinem Lebensgefährten Frederick zusammen, und die Verbindung ist im Großen und Ganzen wohl auch glücklich, auch wenn Carsten, so sagt zumindest Sandra, es mit der Treue nicht allzu genau nimmt. Das war aber wohl schon so, als Carsten noch mit Sandras Mutter verheiratet war. Manche Menschen oder auch Dinge ändern sich wahrscheinlich einfach nie. Mir ist das im Grunde aber auch ziemlich egal, Sandra liebt ihn und ich mag ihn auch… irgendwie, auch wenn ich seinen zuweilen etwas seltsamen Sinn für Humor manchmal sehr befremdlich finde. Mir wird immer noch ziemlich unbehaglich zumute, wenn ich an dieses 'vertraute' Gespräch vor einigen Monaten denken muss. Da er mit beiderlei Geschlechtern Erfahrungen hat, scheint er sich manchmal für eine Art Experten zu halten und schreckt auch nicht davor zurück, andere mit delikaten Tipps zu versorgen. Glaubt mir, das sind Gespräche, die möchte man einfach nicht führen, schon gar nicht mit dem Vater seiner Freundin. Okay, er war damals ziemlich angetrunken und wohl nicht mehr so ganz zurechnungsfähig. Wenn er noch wüsste, was er an jenem Abend alles so vom Stapel gelassen hat, wäre es ihm sicherlich ganz furchtbar peinlich – oder auch nicht. Bei Carsten steige ich offengestanden manchmal nicht so richtig durch.

„Kommst Du mit raus oder ist es okay für Dich, wenn ich Dich eben für ein paar Minuten alleine der Meute hier überlasse? Ich brauche dringend eine Zigarette“, Sandra wedelt in Richtung Tür und wühlt mit der anderen Hand auch schon in ihrem Lederrucksack herum. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich in der Handtasche, oder in Sandras Fall eben im Rucksack, einer Frau, eine weitere Dimension befindet. Ich stelle immer wieder fassungslos fest, dass sie ständig nahezu den halben Hausstand mit sich rumschleppt. Irgendwann zaubert sie wahrscheinlich, so ganz à la Mary Poppins, einen Lampenschirm oder Schlimmeres daraus hervor.

„Na geh schon“, lächle ich, „es wird schon keiner über mich herfallen, wenn sich mein Wachhund mal für ein paar Minuten außer Beiß-Reichweite befindet“, necke ich sie.

„Ich geb’ Dir gleich Wachhund, Du Knilch“, kichert sie und drückt mir einen kurzen Kuss auf den Mund, bevor sie mit Zigaretten und Feuerzeug bewaffnet, verschwindet.

Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Die meisten haben ihr Essen ebenfalls beendet und stehen nun in kleinen Grüppchen schwatzend beieinander. Aus den Lautsprechern erklingt zum bestimmt 1000sten Mail die angebliche Schwulenhymne. Ich kann dieses Lied von Marianne Rosenberg wirklich nicht mehr hören und würde am liebsten mit einem Satz hinter die Theke hechten und die Lautsprecherkabel aus dem Player zerren.

Stattdessen suche ich die Toiletten auf, stelle mich jedoch nicht an ein Urinal, wie ich es in jeder anderen Kneipe machen würde, sondern schließe mich in eine der beiden Kabinen ein ... und fühle mich dabei wie ein absoluter Volltrottel. Was erwarte ich denn? Dass mich von hinten einer anspringt? Immer noch über mich selbst und mein albernes Verhalten den Kopf schüttelnd, trete ich an die Waschbecken heran. Neben mir steht ein dunkelhaariger Kerl und ich nicke ihm kurz durch den Spiegel freundlich zu, bevor ich mich ans Händewaschen mache.

Ich zucke erschrocken zusammen, als ich plötzlich etwas an meinem Hintern fühle. Was zum… Ruckartig drehe ich mich herum und sehe mich einem stark geschminkten Typen, mit weißem Rüschen-Hemd und knallenger schwarzer Lederhose gegenüber, der mich anzüglich angrinst.

Ich schnappe nach Luft, bevor ich sage: „Sag mal, gehen Deine Hormone mit Dir durch?“, ich denke, es sind weniger die Worte, mehr der Tonfall. Wie auch immer, ich erziele den gewünschten Effekt, denn sowohl das Grinsen auf seinem Gesicht, als auch die Hand auf meinem Hintern, verschwinden sofort.

„Lass ihn in Ruhe, Rob, das ist Sandras Freund. Ich denke Carsten wäre nicht sonderlich begeistert, wenn er erfahren würde, dass Du seinem Schwiegersohn in spe an die Wäsche gehen willst“, kommt es von dem Typen, der immer noch neben mir am Waschbecken steht.

„Konnte ich doch nicht wissen! Es tut mir leid, okay?“, schmollt besagter Rob und verlässt mit schwingenden Hüften beleidigt die Toilette.

„Danke“, sage ich an meinen Waschbecken-Nachbarn gewandt, „aber ich wäre sicher mit ihm fertig geworden.“

„Natürlich wärst Du das“, antwortet dieser leicht spöttisch, „aber so wie Du ausgesehen hast, dachte ich, Du nimmst den armen Kerl jeden Augenblick auseinander. Ein Eingreifen erschien mir angebracht, Rob ist außerordentlich wehleidig“, ergänzt er lachend.

Nun muss auch ich grinsen. „Ich hätte ihm schon nichts getan. Ich bin schon ein großer Junge, das Prügelalter habe ich schon vor einer ganzen Weile hinter mir gelassen.“

„Ich heiße übrigens Manuel“, erklärt er und streckt mir seine rechte Hand entgegen.

„Axel“, antworte ich und ergreife sie etwas zögernd. Nach dem soeben abgewehrten Angriff auf meine Kehrseite, bin ich nicht wirklich sonderlich erpicht auf eine weitere Tuchfühlung mit dem eigenen Geschlecht. Im Grunde rechne ich sogar schon damit, dass er meine Finger länger festhält als nötig und bin angenehm überrascht, dass er sie schnell wieder freigibt. Erstaunlich schnell sogar… fast so, als hätte er sich verbrannt.

Nun wage ich doch einen etwas längeren Blick. Er sieht recht normal aus. Zwar ziemlich gutaussehend, aber… eben normal. Nichts deutet darauf hin, dass er schwul sein könnte, sofern er das überhaupt ist. Nicht jeder Mann auf der Feier hier, muss zwangsläufig auch homosexuell sein. Das sieht man schließlich an mir… ich bin auch hier und habe mit Männern nichts, aber auch wirklich gar nichts am Hut.

Ich mustere ihn etwas eingehender. Er ist ein paar Zentimeter größer als ich und insgesamt auch kräftiger gebaut. Allerdings ist das keine große Kunst bei mir dürrem Gestell. Sein Haar reicht bis in seinen Nacken, stößt dort auf und biegt sich deshalb ganz leicht nach außen. Ich selbst bin eher unscheinbar, zumindest empfinde ich es so. Das Haar fast schon militärisch kurz geschnitten und von einem schlichten Braun. Das wahrscheinlich Auffälligste an mir sind meine Augen, die je nach Gemütsverfassung mal in einem tiefen, mal in einem blassen Blau schimmern. Manuels hingegen sind tief dunkelbraun, wie Schokolade und üben eine ganz merkwürdige Faszination auf mich aus. Ich muss mich geradezu dazu zwingen, mich von ihnen abzuwenden.

„Bist Du einer von Carstens Freunden?“, frage ich gerade heraus und wahrscheinlich ziemlich unvermittelt. Ich musste einfach irgendwas sagen, um mich nicht vollkommen zum Trottel zu machen.

„Das auch, aber vor allem bin ich Fredericks kleiner Bruder“, erklärt er mir. Sofern er von meiner Wissensgier überrascht ist, zeigt er es zumindest nicht.

„Oh, dann bist Du also gar nicht …“, als ob mich das was angehen würde, geschweige denn mich zu interessieren hätte. Es ist doch wirklich scheißegal, ob der Kerl andersrum ist oder nicht.

„Schwul?“, beendet er meine Frage und seine Augen blitzen amüsiert auf. „Doch, seit meinem 13. Lebensjahr“, erklärt er nach einer kurzen Pause.

„Du wusstest das schon so bald? In dem Alter war mir gerade mal klar, dass Mädchen und Jungs einen ganz entscheidenden Unterschied haben“, lache ich. „Fußball war bis dahin weitaus interessanter als Mädchen.“

„Oh, Fußball gespielt habe ich auch“, grinst er, „allerdings aus einem anderen Grund, denn eigentlich hasse ich jegliche Teamsportarten. Aber das war die beste Gelegenheit meinen damaligen Sportlehrer anzuhimmeln“, gibt er feixend zu.

Sein Lachen ist so ansteckend, dass ich unwillkürlich mitlachen muss. Er ist ein wirklich sympathischer Bursche, stelle ich fest.

„Wie kommen eure Eltern damit klar, zwei schwule Söhne zu haben“, möchte ich wissen. Ich weiß nicht, wie meine reagieren würden, aber begeistert wären sie sicherlich nicht.

„Mein Vater erstaunlich gelassen. Meine Mutter hat es schon etwas härter getroffen. Nicht, weil sie niemals eine Schwiegertochter haben wird, ein Schwiegersohn ist ihr ebenso recht … aber sie wird niemals Großmutter werden, das macht ihr zu schaffen“, erklärt er leise und wie mir scheint etwas … wehmütig.

Ich weiß nichts darauf zu antworten, deshalb nicke ich nur verständnisvoll.

„Das mit Sandra und Dir, ist das was Ernstes?“, möchte er wissen und lehnt sich lässig mit seiner Kehrseite an das Waschbecken.

„Hm?“, antworte ich überrascht.

„Naja, ich meine, wenn ihr wirklich irgendwann einmal heiraten solltet, wären wir ja quasi verwandt - irgendwie, und ich mag Sandra sehr“, er kratzt sich mit dem Daumennagel leicht über eine Augenbraue.

„Wir haben uns ehrlich gesagt noch nie übers Heiraten unterhalten. Wir sind beide zufrieden, so wie es ist. Ich kann zwar nicht für Sandra sprechen, aber ich bin sicher, dass sie es genauso sieht“, erwidere ich.

Die Beziehung zwischen Sandra und mir ist nicht einfach zu erklären. Wir sind kein klassisches Liebespaar. Angefangen hat es damit, dass wir uns einfach wunderbar verstanden haben. Später kam dann eben mehr dazu ... vielleicht, oder auch sehr wahrscheinlich aus einer Art Bequemlichkeit heraus. Aber es funktioniert … ziemlich gut sogar. Wir wissen, dass wir von einander keine unliebsamen Überraschungen zu erwarten haben. Natürlich wird es nicht ewig so gehen, denn irgendwann wird Sandra sich in einen anderen Mann verlieben … oder ich mich in eine andere Frau. Aber selbst wenn wir uns auf diesen Punkt der Trennung zubewegen, wird unsere Freundschaft Bestand haben, davon bin ich felsenfest überzeugt.

„Wie auch immer, wir werden uns wohl in der Zukunft noch über den Weg laufen, zumindest bei Familienfesten“, meint er lächelnd.

„Das ist anzunehmen“, entgegne ich und stelle fest, dass ich nichts dagegen hätte, ihn wieder zu sehen, ich mag ihn irgendwie. „Jetzt muss ich aber langsam zurück, Sandra hat inzwischen bestimmt schon ihre fünfte Zigarette geraucht und fragt sich schon, wo ich so lange bleibe“, ich stoße mich vom Waschbecken ab.

„Na dann. Es hat mich wirklich gefreut Dich kennen zu lernen“, er lächelt mich freundlich an.

„Danke gleichfalls“, erwidere ich und sehe ihm noch kurz nach, als er durch die Tür verschwindet.

*



„Wo warst Du denn so lange?“, fragt Sandra überrascht, als ich zurück an den Tisch komme.

„Ach, irgend so ein Typ hat mich angegrabscht auf dem Klo“, erkläre ich.

„Bitte - was?“, erwidert sie und ihre Mundwinkel zucken amüsiert.

„Es ist nichts passiert. Er hat seinen Irrtum schnell bemerkt und seine Finger von mir genommen“, antworte ich schnell und muss über den Vorfall nun doch selbst schmunzeln. „Dabei habe ich übrigens Fredericks Bruder kennen gelernt“, füge ich hinzu.

„Du bist Manuel über den Weg gelaufen?“, ihre Augen beginnen sichtlich zu leuchten. „Oh, es war doch nicht er, der Dich angefasst hat, oder?“

„Nein, nein. Er hat mir geholfen, auch wenn ich die Situation da schon im Griff hatte“, winke ich ab.

„Es hätte mich auch arg gewundert. Manuel ist nämlich in solchen Dingen eher zurückhaltend, es hätte einfach nicht zu ihm gepasst“, sie schüttelt den Kopf, dann fährt sie nach einem kurzen Aufseufzen fort: „Es ist wirklich ein Jammer, dass der schwul ist. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, das ist inzwischen bestimmt 10 Jahre her, habe ich mich bis über beide Ohren in ihn verknallt“, erklärt sie mit einem wehmütigen Lächeln.

„Du warst in ihn verknallt?“, wiederhole ich belustigt ihre Aussage.

„Und wie! Er war … eigentlich ist er es ja immer noch, so unglaublich süß. Kannst Du Dir auch nur annähernd meine Enttäuschung vorstellen, als ich feststellte, dass er seinem Bruder ähnlicher ist, als mir lieb war?“, erklärt sie seufzend.

Ich kann, denn er hat ja sogar auf mich Eindruck gemacht und ich habe schließlich keinerlei schwule Neigungen.

„Ja, er scheint recht nett zu sein“, antworte ich.

„Nett?“, entrüstet sie sich, „er ist ein Goldstück!“

„Hey, muss ich Angst haben?“, frage ich amüsiert.

„Wenn er auf Frauen stehen würde, auf jeden Fall!“, gibt sie lachend zu.

„Was ist denn so besonders an ihm?“, möchte ich wissen.

„Du meinst außer seinem Aussehen? Okay, Du bist ein Kerl, und ihr Kerle könnt das ja nicht so beurteilen.“

Hat die 'ne Ahnung.

„Aber es ist auch seine ganze Art. Ich glaube ich habe aus seinem Mund noch nie ein böses Wort gehört. Er ist einfühlsam, hilfsbereit und er hat ein unglaubliches Charisma. Habe ich schon erwähnt, wie schade ich es finde, dass er keine Frauen mag?“, grinst sie.

„Ich glaube Du hast es zwischendurch einmal nebenbei erwähnt“, grinse ich zurück.

„Er hat es natürlich gemerkt, damals“, erzählt sie, „aber anstatt sich über mich lustig zu machen, wie es wohl die meisten getan hätten, hat er sich mit mir zusammen gesetzt und wir haben darüber gesprochen. Ich war da grad mal 17 und er kaum älter.“

„Er ist noch so jung?“, frage ich überrascht.

„Ja, er ist gerade mal ein halbes Jahr älter als ich. Erstaunlich, nicht? Er wirkt sehr viel …“, sie sucht nach dem richtigen Wort, und hat es schließlich einige Sekunden und hilflose Gesten später gefunden: „ … reifer.“

Wie bestellt, nähert sich Sandras Schmachtobjekt in diesem Moment unserem Tisch.

„Hey Kleines, wie geht es Dir? Wir haben uns eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen“, richtet Manuel seine Aufmerksamkeit auf Sandra, deren Augen vor Freude ganz groß geworden sind und er zieht sie in eine kurze, aber liebevolle Umarmung.

„Gut, ich kann nicht klagen“, antwortet sie lächelnd. „Und Dir?“

Er breitet die Arme aus und erklärt lachend: „Du kennst mich doch. Ich lasse es einfach nicht zu, dass es mir schlecht geht.“

„Ja, ich kenne Dich“, grinst sie. „Wie ich mitbekommen habe, kennt ihr zwei euch bereits? Axel hat mir von seinem zweifelhaften Abenteuer auf der Herrentoilette erzählt und wir haben gerade von Dir gesprochen“, Sandra greift über den Tisch hinweg nach meiner Hand.

„Hah! Ich habe doch geahnt, dass das Klingeln in meinen Ohren einen Grund hat. Ich hoffe, Du hast nicht all meine dunklen Geheimnisse ausgeplaudert?“, kichert er. „Was habt ihr denn so gelästert?“

„Als ob es über Dich was zu lästern gäbe, Du Mutter Theresa in Männergestalt“, Sandras Mundwinkel zucken spöttisch.

Manuel greift sich gespielt entsetzt ans Herz: „Oh das trifft mich aber schwer, das siehst Du also in mir? Wärst Du arg geschockt, wenn ich Dir gestehen würde, dass ich alles andere als ein Heiliger bin?“, feixt er und seine Blicke ruhen für einige Momente auf mir.

Irgendwie wird mir der Kerl immer sympathischer. Sandra hat Recht, er hat wirklich eine unglaubliche Ausstrahlung, die selbst mich nicht kalt lässt.

„Geschockt wäre ich, wenn Du aus heiterem Himmel anfangen würdest wie ein Kesselflicker zu fluchen. Und dass Du kein Heiliger bist, weiß ich ja. Wie viele gebrochen Herzen, meines eingerechnet, hast Du in den vergangenen 10 Jahren zurück gelassen?“, fragt Sandra liebevoll.

Ein wenig betreten sieht Manuel auf seine Schuhspitzen hinab.

„Hey, das war nicht böse gemeint“, Sandra knufft ihn sachte gegen den Oberarm. „Und wo wir schon mal beim Thema sind, was macht die Liebe? Gibt es da jemanden, den ich kennen lernen sollte?“

Interessiert spitze ich meine Ohren.

„Nichts Konkretes“, erwidert er, „ich habe kürzlich jemanden kennen gelernt. Mal schaun, ob und was sich da überhaupt draus entwickelt.“

„Erzähl!“, neugierig rutscht Sandra auf ihrem Stuhl hin und her.

„Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen, es ist etwas … kompliziert“, weicht er aus.

„Sag bloß, der Kerl will nichts von Dir wissen“, bringt Sandra fassungslos heraus, als ob sie nicht glauben könnte, dass es jemand geben könnte, der Manuel verschmäht.

„Das ist es nicht, er weiß doch noch nicht einmal, dass ich mich in ihn verguckt habe“, das Thema scheint ihm ganz offensichtlich unangenehm zu sein, denn er tritt nervös von einem Fuß auf den anderen. Ich tippe Sandra unter dem Tisch leicht mit dem Fuß an. Aber hat schon mal jemand versucht einen Hai aufzuhalten, der Blut gewittert hat?

„Aber dann musst Du es ihm sagen!“, beharrt Sandra.

„Wie gesagt, es ist wirklich kompliziert“, wiederholt er.

„Ach Du Schande, hat er etwa einen Partner?“, bohrt sie weiter.

„Gewissermaßen“, antwortet Manuel steif.

„Das tut mir sehr leid, Manuel. Ich hoffe, dass alles gut werden wird. Insbesondere Dir wünsche ich alles Glück der Welt“, mitfühlend drückt sie seinen Unterarm.

„Das hoffe ich auch und ich danke Dir“, antwortet er gerührt. „Aber genug von mir. Carsten erzählte mir irgendwann, Du wärst umgezogen?“

„Ja, das stimmt. Ich konnte dieses Kabuff einfach nicht mehr sehen. Ich habe jetzt eine nette Wohnung in der Innenstadt. Somit wohne ich auch ein wenig näher bei Axel. Magst Du nicht einmal auf einen Kaffee vorbei kommen? Es ist lange her, seit wir das letzte Mal einfach miteinander auf dem Sofa gegammelt und über Gott und die Welt geplaudert haben“, erwartungsvoll sieht sie ihn an.

„Sehr gerne sogar, was hältst Du von nächste Woche Sonntag?“

Bin ich eigentlich auch eingeladen, oder wird das ein Tea oder vielmehr Coffee for two?

„Hört sich gut an! Es stört Dich doch nicht, wenn Axel auch dabei ist, oder?“

Aaah!

„Natürlich nicht“, grinst er in meine Richtung. „Soll ich Kuchen mitbringen?“

Oha, ja klar, er wird wissen, dass Sandra eine ziemliche – verzeiht den Ausdruck – Niete im Backen ist, er kennt sie ja schon ein paar Takte länger als ich. Gute Gelegenheit, mich auch mal in das Gespräch einzubringen.

„Den Kuchen bringe ich mit, irgendwelche Vorlieben?“, frage ich.

„Bei welchem Bäcker willst Du ihn kaufen? Dann kann ich Dir auch sagen, was ich am liebsten mag“, Manuel sieht mich erwartungsvoll an.

„Eigentlich hatte ich vor, etwas zu backen“, antworte ich vorsichtig.

„Du kannst Backen?“ Manuels Augenbrauen schnellen in die Höhe.

„Sogar richtig gut“, kommt es von Sandra. „Du musst unbedingt mal seinen Bananen-Eierlikör-Kuchen probieren. Leeecker, sage ich nur!“

„So klingt es auch, den muss ich unbedingt versuchen. Aber sei gewarnt, wenn der sich zu einem meiner Lieblingskuchen entwickeln sollte, wirst Du mich Zeit Deines Lebens nicht mehr los“, lacht Manuel.

Okay, die Kuchenfrage wäre also geklärt.

„Manuel ist nämlich ein absolutes Schleckermäulchen, musst Du wissen. Was der jede Woche an süßem Zeugs in sich hinein schaufelt, sieht mein Magen nicht in einem Jahr!“, kichert Sandra.

„Wie kommt es, dass Du backen kannst, machst Du das beruflich?“, fragt er mich, ungerührt von Sandras Seitenhieb auf seine Naschhaftigkeit.

„Nein, auch wenn Konditor tatsächlich meine zweite Berufswahl gewesen wäre, wenn es mit der Informatik nicht geklappt hätte. Das Backen hat mir meine Oma beigebracht, bei der ich quasi aufgewachsen bin. Als Scheidungskind habe ich die meiste Zeit bei ihr verbracht, meine Mutter musste ja arbeiten“, erkläre ich.

„Du hast Informatik studiert? Was machst Du genau?“, fragt Manuel, ganz offensichtlich interessiert.

„Ich bin der Administrator bei uns in der Firma. Kümmere mich um die Server, um die Arbeitsstationen, damit sich keiner Viren, Trojaner oder sonstige Schadsoftware einfängt, beseitige sie, wenn doch einer meiner Kollegen so leichtsinnig war und etwas angeklickt hat, was er hätte nicht anklicken sollen, und habe meine Finger nebenbei noch im internen Netzwerk, bin also sozusagen Mädchen für alles, sofern es irgendwie mit Computern zu tun hat“, zähle ich auf.

„Klingt sehr abwechslungsreich.“

„Das ist es auch, langweilig ist es mir bisher jedenfalls noch nicht geworden“, erwidere ich. „Was macht Du beruflich?“, möchte ich nun meinerseits wissen.

„Nichts so Spektakuläres, ich habe wahrscheinlich einen der am schlechtesten bezahlten Jobs überhaupt. Ich bin Altenpfleger. Und auch wenn es anstrengend ist, und die Arbeitszeiten echt bescheiden sind, so liebe ich doch meine Arbeit“, antwortet er achselzuckend.

Ja, das passt irgendwie zu ihm. Ich hätte ihn mir schwerlich als Schlipsträger in irgendeinem Büro, oder schlimmer noch in einer Bank vorstellen können.

„Und ich gehe jede Wette ein, dass die Omis und Opis ihn vergöttern“, mischt Sandra sich in die Unterhaltung ein.

„Ich komme ganz gut mit ihnen klar. Ich versuche auf sie einzugehen und nicht nur stur meinem Job durchzuziehen, was bei unserem gegenwärtigen Gesundheitssystem nicht gerade einfach ist. Die meisten von ihnen verbringen die letzten Wochen ihres Lebens in dem Pflegeheim, da bricht man sich wirklich keinen Zacken aus der Krone, wenn man freundlich ist und ihnen etwas Wertschätzung entgegen bringt“, seine Augen bekommen einen melancholischen Ausdruck.

Auch wenn Sandras Vergleich zu Mutter Theresa arg hinkt, so ahnt man doch, wie er zustande gekommen sein muss, sofern er auch außerhalb seiner Arbeit so mit Menschen umgeht, wonach es ja auch irgendwie aussieht.

„Wie dem auch sei, wann soll ich bei Dir aufschlagen?“, fragt er Sandra.

Sandra blickt mich an, doch ich zucke nur mit den Schultern. „Mir wurscht, ich habe sonst nichts anderes vor.“

„Sagen wir 15 Uhr, oder ist Dir das zu früh?“, meint sie an Manuel gewandt und kramt schon wieder in ihrem Rucksack herum. Was sie nun wohl wieder zutage fördert? Den Brockhaus? Eine Bratpfanne? Ah, nein es ist nur ein A4(!) Block nebst Schlampermäppchen. Unglaublich.

Sie kritzelt auf eine Ecke ihre Adresse, reißt sie ab und hält Manuel den Fetzen hin.

„15 Uhr passt super“, antwortet er, nimmt den Zettel entgegen und verstaut ihn, nach einem kurzen Blick darauf, in seiner Hosentasche.

... und noch mehr Essen



Tags darauf stehen wir nachmittags bereits wieder auf Carstens Matte. Vom Buffet sei noch so viel übrig, hieß es, und wir sollen doch bitte dabei helfen, die Reste zu vernichten. Soll heißen: ich liege anschließend total vollgefressen, wie ein toter Käfer auf dem Sofa und kann mich nicht mehr bewegen.

Ich Vogelfänger bin bekannt, bei alt und jung im ganzen …



... trällert uns Papageno schon an der Haustür entgegen und ich wundere mich, dass überhaupt jemand unser Klingeln gehört hat.

„Carsten, dreh doch mal die Musik leiser, man hört sich ja nicht einmal mehr denken!“, schreit Frederick in Richtung Wohnzimmer, bevor er die Tür wieder hinter uns schließt und ich ihm die heute Morgen noch schnell gebackenen Kirschmuffins in die Hand drücke. Okay, das war vielleicht ziemlich unnötig, da ohnehin noch eine Menge Essen übrig ist, aber auf das bisschen kommt es nun wahrlich auch nicht mehr an, und Carsten isst die Dinger einfach für sein Leben gern.

„Hat euch die Party gestern noch nicht gereicht?“, fragt Sandra grinsend und drückt Frederick einen Kuss auf die Wange.

„Je lauter die Musik, desto weniger denkt er darüber nach, dass ein erhoffter Telefonanruf ausgeblieben ist“, erklärt er mit einer hilflosen Geste.

„Andreas und Sabine haben sich also tatsächlich wieder nicht gemeldet?“, fragt Sandra bitter, das Grinsen auf ihrem Gesicht verschwindet augenblicklich.

Die beiden sind Sandras Halbgeschwister und haben es offensichtlich auch dieses Jahr nicht für nötig gehalten, ihrem alten Herrn wenigstens telefonisch zum Geburtstag zu gratulieren. Wie homophob muss man eigentlich sein, dass man den eigenen Vater seit nahezu 15 Jahren meidet, wie die Pest, nur weil dieser nicht mehr ins Schema F passt? Ich kenne Carsten gut genug, um zu wissen, dass ihm das ganz schön an die Nieren geht, und die zwei wissen das garantiert ebenfalls. Sandra ist allerdings der Meinung, dass die Mutter der beiden an der ganzen Misere nicht ganz unschuldig ist. Denn was hat Madame als erstes getan, als sie erfahren hat, dass ihr zukünftiger Ex-Mann eher dem eigenen Geschlecht zugetan ist? Sie hat ihre Brut geschnappt und ist schnurstracks zum nächstbesten Arzt gerannt. Als ob Homosexualität eine Krankheit und obendrein noch vererbbar wäre. So – ein – Schwachsinn!

„Was glaubst Du denn?“, erwidert Frederick leise und er kann einen zynischen Unterton nicht verbergen.

„Ich liebe meine Geschwister wirklich, aber für das, was sie Papa antun, könnte ich sie an die Wand klatschen!“ Sandra hebt seufzend die Augenbrauen und meint dann: „Hallo erstmal. Seid Ihr zwei heute Nacht noch einigermaßen unbeschadet nach Hause gekommen? Paps hatte ja ganz schön geladen.“

„Glücklicherweise war er gegen Ende bis zum Umfallen müde, so dass ich keine große Mühe mehr hatte, ihn ins Auto zu verfrachten, nachdem wir das ganze übrige Essen eingepackt hatten.“

Inzwischen sind wir im Wohnzimmer angekommen und Frederick dreht den CD-Player leiser. Natürlich hatte Carsten ihn nicht gehört, wie denn auch, wenn Papageno mit gefühlten 100 dB aus den Lautsprechern schmettert. Gott sei es gedankt, dass die beiden in einem freistehenden Haus am Ende einer Sackgasse wohnen und der nächste Nachbar etwa 150 Meter entfernt ist.

Sandra beugt sich über ihren Vater und haucht auch ihm einen kurzen Kuss auf die Wange. „Hallo Papa.“

„Hallo ihr zwei, schön, dass ihr da seid“, Carsten drückt freundschaftlich meine Hand und streichelt mit der anderen über Sandras Wange.

„Möchtet ihr etwas trinken?“, kommt es von Frederick.

„Wenn ihr da habt, würde ich ein Bier nehmen“, erwidere ich und nehme gegenüber Sandras Vater am Esstisch Platz.

„Für mich nur ein Wasser, bitte“, sagt sie und geht hinter Frederick her.

„Es bedeutet mir sehr viel, dass ihr beide gestern ins Boots gekommen seid“, sagt Carsten plötzlich völlig unvermittelt.

„Jede Menge Freibier? Essen bis der Arzt kommt? So etwas lassen wir uns doch nicht entgehen!“, zwinkere ich ihm fröhlich zu.

„Nein, ich meine es ernst, Axel. Ich habe drei Kinder, und nur eines gibt mir nicht das Gefühl, ein widerliches Insekt zu sein. Die beiden anderen haben es noch nicht einmal für nötig gehalten mir eine Karte zu schicken, geschweige denn vielleicht kurz anzurufen“, erwidert er bitter.

„Carsten, ich …“

„Schon gut“, unterbricht er mich „ich bin nur einfach unglaublich enttäuscht. Offensichtlich kommen sie nach all den Jahren immer noch nicht damit klar. Wie konnte ich auch erwarten, dass sich das ausgerechnet an meinem 60. Geburtstag ändert. Umso glücklicher hat mich euer Erscheinen gemacht“, ein warmes Lächeln umspielt seine Mundwinkel. „Ich hoffe, für Dich war es nicht ganz so schlimm, zwischen all den Schwestern gestern?“, fragt er vorsichtig.

„Keine Sorge. Es war zwar eine ganz neue Erfahrung für mich, aber letztendlich war es doch spaßig. Und die Travestieshow war wirklich klasse“, grinse ich ihn an „auch wenn ich zugegebenermaßen mit dem Stripper nicht ganz soviel anfangen konnte, wie der Rest der Gäste, die allerdings scheinen ihre helle Freude an ihm gehabt zu haben“, meine ich immer noch lachend.

„Und ich erst“, zwinkert er mir vielsagend zu, „der Kleine war ganz meine Kragenweite, nur schade, dass er mich nicht ranlassen wollte“, er zieht bedeutungsvoll seine Augenbrauen hoch.

„Ich glaube, so genau möchte ich es gar nicht wissen“, antworte ich gelassen, ich habe mir schon vor Monaten abgewöhnt, bei derartigen Aussagen verlegen zu werden.

„Was möchtest Du nicht wissen?“, fragt Sandra, die just in diesem Augenblick neben mir auftaucht, sich auf meinem Schoß niederlässt und mir eine Flasche Bier in die Hand drückt.

„Was Dein Papa gerne mit dem Stripper gemacht hätte“, antworte ich amüsiert und lege meine freie Hand auf ihre Taille.

„Ich kann es mir lebhaft vorstellen“, kichert sie, „der war aber auch niedlich!“

Frederick rollt mit den Augen und begibt sich abfällig schnaubend in die Küchenecke. „Ich hätte langsam mal Hunger, soll ich schon mal anfangen das Essen warm zu machen?“, meint er merklich kühl.

Ich wechsle einen wissenden Blick mit Sandra. Ganz so kalt, wie Frederick es uns immer glauben machen möchte, scheinen ihn Carstens Eskapaden wohl doch nicht zu lassen.

„Brauchst Du Hilfe?“, fragt Sandra, doch Frederick winkt ab.

„Nein, später könnte vielleicht einer von euch den Tisch decken.“

„Habe ich mich eigentlich schon für Euer wundervolles Geschenk bedankt?“, kommt es von Carsten.

Sandra und ich hatten lange überlegt, womit wir Carsten eine Freude machen könnten. Was schenkt man denn jemandem, der schon alles hat? Ein entscheidender Hinweis kam dann letztendlich von einer Arbeitskollegin, die kürzlich in Dresden gewesen ist und über alle Maßen begeistert war. Also haben wir nicht lange gefackelt und ihm und Frederick ein verlängertes Wochenende in einem exklusiven Hotel direkt am Elbufer gebucht, und ihnen obendrein einen Besuch in der Semperoper spendiert. Wie der Zufall es will, wird genau an dem Wochenende, welches wir ausgesucht haben, Mozarts Zauberflöte aufgeführt, was wohl auch mit ein Grund dafür sein dürfte, dass die Königin der Nacht uns aus den Lautsprecherboxen gerade recht eindrucksvoll schildert, was sie gedenkt mit ihrem werten Fräulein Tochter zu tun, falls diese sich weigern sollte, einen gewissen Sarastro abzumurksen.

„Ja Paps, gestern im Boots“, antwortet Sandra und greift nach Carstens Hand, die er ihr liebevoll über den Tisch hinweg entgegenstreckt.

„Ich weiß gar nicht, wie ich mich angemessen dafür bedanken soll. Ich – wir – freuen uns sehr darüber!“, gerührt sieht er abwechselnd zu Sandra und mir.

„Dann ist die Mission doch erfüllt, oder?“, schmunzle ich und zwinkere ihm kurz zu.

Bevor Carsten darauf etwas erwidern kann, klingelt es an der Tür.

„Ich geh schon“, sagt Sandra und springt mit einem Satz von meinem Schoß auf.

Einige Momente später kehrt sie vor Freude strahlend zurück und meint: „Seht mal, wen ich vor der Tür gefunden habe.“

Hinter ihr tritt Manuel ins Wohnzimmer und mein Herz macht tatsächlich einen winzigen Satz, was mich offen gestanden ziemlich verwirrt. Okay, es wird daran liegen, dass wir uns gestern gut verstanden haben, und durch die Verbindung zwischen Carsten und Frederick sind wir ja auch irgendwie verwandt, hat er schließlich selbst gesagt, oder?

Manuel beginnt seine Begrüßungsrunde bei seinem Bruder, dem er einen kurzen Kuss auf die Wange haucht und ihn in eine Umarmung zieht. Zu Anfang fand ich diese ganze Knutscherei etwas befremdlich, von meiner Familie kenne ich das nicht wirklich, da gab es zur Begrüßung, wenn überhaupt, vielleicht mal einen Klaps auf die Schulter. Inzwischen habe ich mich aber weitestgehend daran gewöhnt.

Nachdem Manuel die Prozedur bei Sandras Vater wiederholt hat, kommt er auf mich zu. Ich stehe auf und strecke ihm meine Hand entgegen, die er auch prompt ergreift und freundschaftlich drückt.

„Isst Du auch mit?“, fragt Frederick seinen Bruder.

„Gerne. Ist eigentlich von dem ganzen Süßzeugs noch was über?“, möchte er wissen und ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

„Nicht mehr viel, ich glaube, nur noch etwas Tiramisu. Aber Axel hat Kirschmuffins mitgebracht, lass aber bitte für Carsten noch etwas davon über, die isst er nämlich sehr gerne“, erklärt Frederick.

„Kirschmuffins? Von Axel? Wo?“

Frederick deutet mit dem Daumen auf die Küchentheke hinter sich, sieht jedoch seinen Bruder warnend an: „Einen, hast Du gehört?“

Manuel schiebt sich an Frederick vorbei und greift sich einen der Muffins von der Kuchenplatte. Amüsiert und erwartungsvoll beobachte ich ihn dabei. Ich weiß auch nicht warum, aber sein Urteil ist mir wichtig. Sehr wichtig sogar. Ich weiß, dass die Dinger nicht schlecht schmecken, trotzdem halte ich unwillkürlich die Luft an, als Manuel herzhaft zubeißt.

„Hmm“, genüsslich schließt er die Augen „sind die gut!“ Er hebt seine Lider wieder und sieht mir geradewegs in die Augen. „Jetzt freue ich mich erstrecht auf nächsten Sonntag“, erklärt er und mir läuft ein Schauer über den Rücken.

„Was ist da?“, möchte Frederick wissen.

„Kaffeeklatsch bei Sandra, und ich habe mich freiwillig gemeldet für das leibliche Wohl zu sorgen“, grinse ich.

„Mutig“, entgegnet Frederick lachend „aber ich warne Dich, pass bloß auf, dass der Dir nicht die Haare vom Kopf frisst. Sieh mich an!“ Er fährt sich mit einer Hand über die kahle Stelle auf seinem Kopf.

„Sooo verfressen bin ich nun auch wieder nicht“, Manuel sieht seinen Bruder gespielt beleidigt an und bewegt seine Hand erneut langsam auf die Platte zu.

„Lässt Du wohl die Finger davon“, sagt Frederick lachend und wirft ein Geschirrtuch in Manuels Richtung.

Ich kann nicht anders, ich verfolge fasziniert die Balgerei zwischen den Brüdern. Ich hatte nie Geschwister und bin fast ein wenig neidisch auf diese offensichtliche Zuneigung der beiden zueinander. Eigentlich war ich stets zufrieden mit meiner Rolle als Einzelkind, doch wenn ich die beiden nun so betrachte, wünsche ich mir doch insgeheim, dass ich einen Bruder oder eine Schwester gehabt hätte. Meine Mutter hat zwar irgendwann wieder geheiratet, nachdem mein Vater uns hat einfach sitzen lassen, aber ein Kind hat sie keines mehr bekommen. Keine Ahnung warum, ich habe mir aber auch nie Gedanken darüber gemacht. Bis heute.

„Axel, nehmt ihr später bitte noch von den Resten mit? Das Essen wird und wird nicht alle“, unterbricht mich Frederick bei meinen Überlegungen.

„Aber bitte nicht mehr so eine Riesenportion wie an Weihnachten. Von den Resten, die Du uns von der Gans mitgegeben hattest, hätten wir noch mindestens eine Woche lang Sandras komplette Straße ernähren können“, necke ich ihn.

„Daran ist Carsten Schuld, es musste ja unbedingt ein 5-Kilo-Monster sein. Das Vieh hat kaum in den Backofen gepasst“, erklärt Frederick und erntet dafür eine Grimasse von Carsten. „Mag einer von euch Hübschen schnell den Tisch decken? Ich bin gleich fertig hier“, wirft er in die Runde.

Sandra möchte schon aufspringen, wird jedoch von Manuel zurück gehalten. „Bleib sitzen, ich mach schon“, wehrt er ab und trottet zum Geschirrschrank.

Es dauert nicht lange, bis jeder versorgt ist und die sprichwörtliche gefräßige Stille eintritt. Verstohlen werfe ich einen Blick zu Manuel hinüber, der neben Carsten und somit mir schräg gegenüber sitzt. Ich bin so in diesen Anblick versunken, dass ich erschreckt zusammen zucke, als es an der Haustür klingelt. Erst als Frederick irgendwas von Taubenschlag murmelt und sich erhebt, bemerke ich, dass Manuel mich über seine Gabel hinweg ebenfalls intensiv mustert und ich blicke ertappt auf meinen Teller.

Ich verstehe die Welt im Augenblick nicht mehr, was ist denn nur los? Warum fühle ich mich von diesem Kerl derart angezogen? Vielleicht waren die letzten beiden Tage einfach ein wenig zu viel. Diese geballte Ladung an Homosexualität, dann die kurze Eskapade auf der Toilette, und dann noch Manuels irritierende Anziehungskraft. Ich glaube, ich brauche einfach mal wieder ordentlichen Sex - mit Sandra. Und diesen Vorsatz gedenke ich auch heute Abend noch in die Tat umzusetzen. In Gedanken male ich mir bereits eine nette Verführungsszene aus und meine Laune bessert sich augenblicklich. Als jedoch die Tür aufgeht, vergeht mir jegliche Lust auf schweißtreibende, horizontale Aktivitäten, denn mein wahr gewordener Alptraum erscheint hinter Frederick im Türrahmen. Rob. Der hat mir gerade noch gefehlt. Ich wage einen kurzen Blick zu Manuel, dieser grinst mich aber nur leicht spöttisch an, als ob er ganz genau wüsste, was gerade in mir vorgeht.

Heute trägt Rob zu seiner wohl obligatorischen schwarzen Lederhose ein ebenso schwarzes Netzshirt. Ich kann aus dem Stehgreif nicht sagen, welches Outfit ich schlimmer finde, das von gestern, oder das von heute. Er scheint geradezu mit dem Klischee zu spielen, zumindest, was seine Garderobe anbelangt.

„Hallo“, wirft er in die Runde, bleibt jedoch unschlüssig in der Tür stehen, als er Sandra und mich erblickt, „ich komme wohl etwas ungelegen, was?“, fragt er vorsichtig und seine Blicke huschen zu Manuel.

„Wir haben gerade angefangen zu essen“, bestätigt Carsten das Offensichtliche. „Es wäre noch genügend da, möchtest Du mitessen?“

Rob tritt etwas nervös von einem Fuß auf den anderen. „Nein, macht euch keine Mühe, ich ... Manuel, hast Du einen Augenblick Zeit?“

„Klar“, antwortet Manuel, legt seine Gabel beiseite, erhebt sich und verschwindet zusammen mit Rob im Flur. Er zieht sogar die Tür hinter sich zu und so sehr ich auch die Ohren spitze, bekomme ich noch nicht einmal den kleinsten Wortfetzen mit.

Was zum Geier kann denn so wichtig sein, dass Rob sogar hierher kommt, um mit Manuel zu reden? Was haben die beiden überhaupt miteinander zu schaffen? Auf der Feier gestern sah es zumindest nicht so aus, als seien sie ein Paar. Na okay, das hat vielleicht nicht allzu viel zu sagen, Treue scheint unter schwulen Pärchen eher nicht so verbreitet zu sein. Zumindest wenn man mal Carsten als Maßstab nimmt ... und einen anderen habe ich ja nicht.

Immer wieder gleitet mein Blick auf die geschlossene Tür und ich werde mit jeder verstrichenen Minute unruhiger. Nach einer gefühlten Ewigkeit erscheinen beide wieder im Türrahmen.

„Dann mal sorry für die Störung. Guten Appetit und noch einen schönen Abend“, wirft Rob in die Runde, drückt Manuel einen Kuss auf die Wange, haucht ihm ein „Danke“ zu und verschwindet.

Ich weiß nicht warum, aber plötzlich habe ich ein ganz komisches Gefühl in der Magengegend. Meine Blicke huschen zu Manuel und ich räuspere mich kurz. „Ich wusste gar nicht, dass Du was mit Rob hast“, rutscht es mir heraus, ohne dass ich auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht habe.

„Woher um Himmels Willen kennst Du denn Rob?“, fragt mich Frederick entgeistert.

„Ich kenne ihn eigentlich gar nicht“, erwidere ich und mache eine abwehrende Handbewegung, „als ich gestern im Boots auf der Toilette war, hat er wohl falsche Schlüsse gezogen und mir …“

„Der war das?“, unterbricht mich Sandra, „okay, eigentlich hätte ich mir das ja gleich denken können. Rob kennt da nichts. Wäre der eine Frau, wäre der Begriff ‚Schlampe’ wohl genau der richtige Terminus“, erklärt sie mir und ihre zusammengekniffenen Augenbrauen unterstreichen noch, dass Rob nicht gerade zu ihren Freunden zählt.

„Sooo schlimm ist er nun auch nicht und im Bett ist er wirklich ne…“, versucht Carsten ihn zu verteidigen, hält aber sofort inne, als er Fredericks düstere Miene bemerkt. „Wie auch immer, was hat er denn nun angestellt?“

„Er hat Axel an den Hintern gefasst“, erklärt Manuel, „sexy Hintern übrigens“, sagt er gut gelaunt und mir wird plötzlich ziemlich heiß im Gesicht. Meine vorherige Frage Rob betreffend, ignoriert er einfach und ich weiß nicht, ob ich mir darüber Sorgen machen oder doch eher erleichtert sein soll.

„Und wieso weißt Du das und wir nicht?“, fragt Carsten recht überrascht, über meinen Hintern verliert er zum Glück kein weiteres Wort.

„Weil ich zur selben Zeit auf der Toilette war“, antwortet Manuel und erzählt die ganze Geschichte.

Hätte mich Manuels Äußerung, meine Kehrseite betreffend, und obendrein auch noch der Gedanke an ihn und Rob als Paar nicht ziemlich aus dem Takt gebracht, wäre es mir sicherlich nicht schwer gefallen in das einsetzende Gelächter mit einzustimmen, denn im Grunde kann ich mittlerweile wirklich darüber lachen. So jedoch blicke ich merklich unbehaglich auf meinen Teller.

„Hey, das muss Dir nicht peinlich sein, Du hast doch gut reagiert. Und noch mal fasst er Dich garantiert nicht an“, meint Sandra beschwichtigend, beugt sich über mich und küsst mich kurz auf den Mund.

Und das erste mal in meinem Leben, bin ich wirklich mehr als erleichtert darüber, so gründlich missverstanden worden zu sein.

*



Rezept für Axels Kirschmuffins:



Zutaten für 12 Stück

200 g Mehl (Type 405)
2 TL Backpulver
1 Teelöffel Natron
4 EL Kakaopulver
1 Glas Schattenmorellen (360 g Abtropfgewicht)
1 Ei
160 g brauner Zucker (früher habe ich immer etwas weniger Zucker genommen, da von den Kirschen ja ebenfalls Süße kommt. Seit ich allerdings so ein gewisses schwarzhaariges Schleckermäulchen kenne, nehme ich die volle, im Rezept vorgegebene, Zuckermenge) ;-)
100 ml neutrales Öl (z. B. Sonnenblumenöl)
300 g Buttermilch

Zubereitungszeit: ca. 20 Minuten
Backzeit: 20-25 Minuten

Backofen auf 180° vorheizen. Backförmchen aus Papier in ein Muffinsbackblech einsetzen.

Mehl sieben, mit Backpulver, Natron und Kakaopulver vermischen, die gut abgetropften Kirschen unterheben.

Ei mit Zucker, Öl und Buttermilch gut vermischen.

Die Mehl-Kirschmischung vorsichtig unterheben und in die Förmchen verteilen. Kleiner Tipp: die Förmchen nicht randvoll machen, die gehen noch auf.

Bei 160° (Umluft) auf mittlerer Schiene 20-25 Minuten backen.

Geht schnell – schmeckt lecker. Bon Appétit! ;-)


Kaffee und Klatsch



„Tiefer, bitte“, kommt es von Sandra.

Ich mache, wie mir geheißen. „So?“

„Noch ein klein wenig“, bittet sie mich.

„Wirklich noch tiefer? Bist Du Dir sicher?“, frage ich vorsichtig nach.

„Ja, mach schon“, meint sie ein klein wenig ungeduldig.

„Ganz wie Du willst, aber Du solltest langsam auf den Punkt kommen, mir werden schon die Arme lahm“, stöhne ich.

„Ja, bleib so, so ist es gut“, sagt sie etwas außer Atem, „was meinst Du, gefällt es Dir?“, will sie wissen.

„Ja“, antworte ich und ziehe den Vokal dabei künstlich in die Länge. „Gefällt mir!“ Grinsend beiße ich auf meine Unterlippe.

„Sagst Du das jetzt nur, damit Du endlich erlöst wirst, oder meinst Du es ehrlich?“, fragt sie mich skeptisch.

„Hm“, antworte ich ausweichend und setze mein spitzbübischstes Grinsen auf.

„Männer!“, lacht sie, tritt von hinten an mich heran und kritzelt mit einem Bleistift zwei feine Striche auf die Tapete.

Erleichtert lehne ich den Hundertwasser-Kunstdruck vorsichtig an die Wand, lasse meine Arme sinken und schüttle sie kurz aus.

Die nächsten Handgriffe sind im Vergleich zu der vorherigen Position-Suchaktion, geradezu ein Klacks. Die beiden Nägel sind, sogar ohne nennenswerte Verletzungen, schnell in die Wand geschlagen und das Bild daran aufgehängt. Ich trete einige Schritte zurück und muss Sandra recht geben, an dieser Stelle kommt das Bild wirklich gut zur Geltung, es hätte keinen Zentimeter höher hängen dürfen. Ich denke, Frauen haben dafür einfach ein besseres Auge als wir Kerle.

Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass es bereits 14:50 Uhr ist. Es wird also nicht mehr lange dauern, bis Manuel vor der Tür steht. Ich muss zugeben, dass ich ein klein wenig aufgeregt bin. Mein Gemüt hat sich zwar in dieser einen Woche, seit wir bei Carsten und Frederick waren, wieder etwas beruhigt, aber ich komme nicht umhin, zumindest mir selbst gegenüber einzugestehen, dass Manuel eine sehr seltsame, irritierende und zutiefst unerwünschte Anziehungskraft auf mich ausübt, mit der ich überhaupt nicht klar komme.

Der Kaffee gurgelt bereits durch die Kaffeemaschine und Sandra legt noch letzte Hand an den gedeckten Tisch. Lächelnd rückt sie die kleine Vase noch etwas zurecht und zupft an einer der Servietten herum. Auf ihren Wangen liegt eine zarte Röte und ihre Augen leuchten... sie ist aufgeregt, mindestens ebenso sehr wie ich. Dann klingelt es und wir zucken beide ganz kurz zusammen.

„Machst Du bitte auf?“, fragt sie. Ich nicke nur und trabe schließlich ziemlich nervös davon.

Allein bei dem Gedanken, dass auf der anderen Seite höchstwahrscheinlich Manuel steht, schlägt mein Herz ein paar Takte schneller und ich hole tief Luft. Es beruhigt sich nicht, als ich die Türklinke drücke, und schon gar nicht, als er mir dann tatsächlich leibhaftig gegenüber steht, im Gegenteil – bei seinem Anblick meint meine Pumpe einen Marathon gewinnen zu müssen.

Ein feines Lächeln umspielt seine Mundwinkel und mir kommt es fast so vor, als ob er direkt in mein Innerstes blicken könnte und somit ganz genau weiß, dass er mich, alleine durch seine Anwesenheit, aufs Heftigste verunsichert. Augenblicklich werde ich noch nervöser. Wir begrüßen uns mit dem inzwischen wohl obligatorischen Handschlag und tauschen die üblichen Floskeln aus. Danach gehe ich voraus und führe ihn in die Küche. Ich fühle förmlich, wie mir sein Blick ein Loch in den Rücken brennt.

Ich bin erleichtert, als wir schließlich bei Sandra ankommen und Manuel seine Aufmerksamkeit meiner Freundin schenkt. Die Herzlichkeit zwischen den beiden überrascht mich immer wieder. Auch als Außenstehender erkennt man auf den ersten Blick, wie viel sie sich bedeuten.

„Möchtest Du Dir die Wohnung anschauen?“, fragt Sandra.

„Klar doch“, antwortet Manuel interessiert und geht hinter Sandra her. Ich folge ihnen mit etwas Abstand und mein Blick wird unwillkürlich von Manuels Rückseite angezogen. Der Stoff seines Hemdes spannt sich beeindruckend über seine breite Schultern, als er mit gespreizten Fingern eine Haarsträhne aus seinem Gesicht kämmt. Meine Augen wandern weiter abwärts. Diese Stelle wird zwar von dem Hemd, das er lose über der Hose trägt, halb verdeckt, aber ich komme nicht umhin zu bemerken, dass sich die Hose da über ein sehr wohlgeformtes und knackiges Hinterteil spannt. Mir läuft sprichwörtlich das Wasser im Mund zusammen.

Ich fühle Hitze in meine Wangen steigen und wende mich hastig ab. Was um Himmels willen passiert hier gerade? Angestrengt versuche ich diese überaus störenden Empfindungen auszublenden und konzentriere mich wieder auf meine Freundin.

Sandras Wohnung ist wirklich hübsch – und geräumig. Das findet auch Manuel. Sie erstreckt sich auf zwei Etagen, oben befinden sich das Schlafzimmer und das Bad. Unten gibt es eine große Küche, ein offenes Wohnzimmer, Gästetoilette und einen kleinen Raum, der wohl als Büro oder kleines Gästezimmer, vielleicht auch Kinderzimmer gedacht war, in dem sich derzeit allerdings Sandras ganzes Gerümpel befindet, das sie sonst nicht mehr unterbringen konnte und vermutlich auch nie wieder brauchen würde. Davon trennen möchte sie sich allerdings auch nicht.

„Warum habt ihr euch eigentlich nicht eine Wohnung gemeinsam genommen, wenn Du eh schon aus der alten Wohnung ausgezogen bist?“, fragt er an Sandra gewandt. Unser Rundgang endet schließlich wieder in der geräumigen Wohnküche und wir setzen uns an den gedeckten Tisch.

Sandra lächelt verhalten.

„Das stand eigentlich nie zur Debatte. Wir brauchen beide unseren Freiraum und einen Ort, an den wir uns zurückziehen können, bevor wir uns auf die Nerven gehen. Wir mögen uns sehr, aber wir sind kein Liebespaar im herkömmlichen Sinne. Das funktioniert ziemlich gut, vor allem angesichts dessen, dass wir beide gebrannte Kinder, und im Moment nicht wirklich erpicht auf eine romantische Beziehungskiste sind. Meine Geschichte mit Klaus kennst Du ja, und Axel hatte da ein ähnlich unangenehmes Erlebnis“, beendet sie ihre Schilderung.

Ich meine immer noch einen leicht verbitterten Unterton heraushören zu können, wenn besagter Klaus erwähnt wird. Als Sandra und ich uns kennen gelernt haben, war sie völlig am Boden. Ihr damaliger Ex-Verlobter – Klaus, hatte in einer Nacht- und Nebelaktion, die bis zu diesem Zeitpunkt gemeinsam genutzte Wohnung, im wahrsten Sinne des Wortes, leer geräumt. Er hatte dafür einen Wochenendtrip ausgenutzt, den Sandra zu einer alten Freundin unternommen hatte, und sie stand anschließend quasi mit leeren Händen, leerer Wohnung und vor allem, mit leerem Herzen da. Der werte Herr ward seit dieser Zeit nie wieder gesehen. Seither hat sie die Nase voll von jeglichen romantischen Gefühlen und macht einen riesigen Bogen darum.

„Ohne euch in irgendeiner Weise zu nahe treten zu wollen, aber wird das auf Dauer nicht etwas einsam, emotional gesehen?“, fragt er.

„Nein“, antwortet Sandra lapidar.

„Und wenn sich einer von euch verlieben sollte?“, Manuel runzelt die Stirn. Es ist ihm deutlich anzusehen, dass ihn unsere Art von Beziehung ziemlich irritiert.

Ich zucke mit den Schultern: „Ich werde Sandra ganz sicher keine Steine in den Weg legen, sollte sie sich irgendwann neu verlieben“, antworte ich und sehe wie soeben Erwähnte neben mir zustimmend nickt.

„Und – wenn ihr euch ineinander verlieben solltet?“, bohrt Manuel weiter.

„Das ist bis jetzt nicht passiert, und warum sollte es nach all der Zeit, die wir uns nun schon kennen, noch zwischen uns funken?“, stellt Sandra die Gegenfrage.

Manuel sieht von mir zu Sandra und wieder zurück zu mir. „Es sind schon bei Weitem unmöglichere Dinge geschehen. Man kann nie wissen, was das Leben noch so für einen bereit hält“, ich schlucke schwer und senke schnell die Lider. Warum nur habe ich plötzlich das Gefühl, dass es hier gar nicht mehr um Sandra und mich geht?

„Aber was anderes: steht der Kuchen nur zur Dekoration auf dem Tisch, oder darf man ihn auch essen?“, grinst er verschmitzt.

„Oh, ein dezenter Hinweis vom Schleckermäulchen, dass es Appetit hat“, lacht Sandra und häuft Manuel ein Stück Kuchen auf den Teller, während ich uns Kaffee einschenke.

„Na wenn das Teil schon so verführerisch vor mir steht!“, verteidigt sich Manuel gespielt schmollend und schiebt sich auch schon eine gefüllte Kuchengabel in den Schlund. „Okay Axel, damit hast Du mich jetzt endgültig rumgekriegt. Wann kann ich bei Dir einziehen?“, meint er und schaut mich über die Gabel hinweg herausfordernd an.

Ich gebe mir Mühe nicht rot zu werden und grinse einfach dümmlich zurück. Was soll ich denn auch darauf antworten? Natürlich freue ich mich, dass es ihm schmeckt.

„Das könnte Dir so passen“, erwidert Sandra gut gelaunt, „Axel ist schon mein Backsklave!“, ergänzt sie kichernd.

„Hey“, protestiere ich entschieden, „noch so ein Spruch und der Backofen bleibt demnächst kalt!“, drohe ich lachend.

„Als ob Du das fertig bringen würdest. Du wirst ja schon hibbelig, wenn Du mal eine Woche lang nichts zusammen rühren kannst“, werde ich von Sandra geneckt.

„Genau nach Dir habe ich mein Leben lang gesucht, wo hast Du nur all die Jahre gesteckt?“, himmelt Manuel mich an. Und obwohl ich weiß, dass er nur Spaß macht, habe ich Mühe nicht vor Schreck meine Gabel krachend auf den Teller fallen zu lassen und die Frequenz meines Herzschlages steigt beachtlich in die Höhe.

„Hörst Du wohl auf, mir meinen Freund abspenstig machen zu wollen?“, kommt es feixend von Sandra.

„Wie habt ihr euch eigentlich kennen gelernt?“, fragt Manuel plötzlich und ich bin ihm überaus dankbar für diesen abrupten Themenwechsel.

Sandra grinst über alle vier Backen und auch mir schiebt sich das Bild unseres Kennenlernens vor Augen.

„Eigentlich war das eine ziemlich peinliche Angelegenheit“, sagt sie, „zumindest für mich. Es war kurz nach … naja, eine Freundin meinte jedenfalls, dass ich meinen Hintern mal wieder aus dem Haus zu bewegen hätte und hat mich an jenem Abend in einen Club geschleift. Keine Ahnung, wie es passieren konnte, aber als ich auf die Bar zuging, bin ich irgendwie mit dem Fuß umgeknickt und kopfüber quasi in Axels Schoß gefallen. Du kannst Dir vorstellen, was das für ein Gelächter verursacht hat. Zumindest bei den anderen, ich wäre in diesem Augenblick eigentlich viel lieber von einem grüßen Loch verschlungen worden“, berichtet sie.

Manuels leicht rot angelaufenem Gesicht nach zu schließen, muss er an sich halten, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.

„Na los, lass es schon raus“, meint Sandra und zieht eine Grimasse.

„Sorry, aber ich stelle mir das gerade bildlich vor“, wiehert er los, „das hätte … unter gewissen Umständen … wirklich peinlich werden können“, japst er.

„Jaja, woran Du schon wieder denkst“, kichert Sandra.

„Ich?“, tut er unschuldig, „kann ich doch nichts für, wenn Du meine Antwort so falsch interpretierst. Keine Sekunde hatte ich auch nur einen einzigen schmutzigen Gedanken!“, schwört er giggelnd. „Was ist danach passiert?“

„Wir wurden Freunde. Neben Dir ist Axel der beste Freund, den ich je hatte, das hat sich nicht geändert, als wir uns auch… anderweitig näher gekommen sind, und wird sich nicht ändern, wenn wir irgendwann einmal kein Paar mehr sein sollten“, erklärt sie.

„Hat Sandra Dir eigentlich jemals von unseren gelegentlichen, gemeinsamen Wochenendausflügen erzählt?“, fragt er ziemlich unvermittelt und ich sehe Sandra neben mir mit den Augen rollen.

Er hat irgendwie diese komische Angewohnheit, von einer Sekunde auf die andere abrupt das Thema zu wechseln. An diese Gedankensprünge muss ich mich erst einmal gewöhnen.

„Bitte, manches davon ist sooo peinlich“, stöhnt sie.

„Erzähl!““, fordere ich grinsend.

„Ich habe es befürchtet“, sagt sie zähneknirschend.

„Hast Du eigentlich Deine Wespenphobie noch?“, fragt Manuel.

„Bist Du immer noch schwul?“, kontert Sandra.

„Dann hast Du sicher auch schon die eine oder andere Situation erlebt, oder?“, wendet Manuel sich an mich.

„Ich habe davon gehört, aber bislang ist noch jeder Tisch stehen geblieben, was allerdings daran liegen mag, dass ich sie von Juli bis September kaum ins Freie bekomme“, erwidere ich. Die eine oder andere Geschichte wurde mir schon von Carsten erzählt. Einmal, bei einer Grillparty, hatte Sandra wohl in ihrer Panik den gedeckten Tisch umgerissen, so dass das ganze Geschirr samt Speisen, sich malerisch auf dem Terrassenboden verteilt hatte. Seither weigert sie sich standhaft an derartigen Zusammenkünften teilzunehmen, zumindest, wenn sie im Freien stattfinden sollen.

„Und das ist auch gut so“, kommt es von Sandra, „keine 10 Pferde bekommen mich da raus, wenn diese Viecher in ihren schwarz-gelben Kampfanzügen unterwegs sind. Die bekommen bestimmt gleich nach dem Schlüpfen ein Bild von mir vorgesetzt, samt Adresse und exakten Anweisungen, wie man mich am besten in Panik versetzen kann!“, behauptet sie.

Manuel und ich sehen uns kurz an und müssen breit grinsen.

„Dann kennst Du diese Geschichte mit dem Tretboot noch nicht?“, will er wissen.

„Nein, sagt mir nichts, was hat Sandra denn getrieben?“, neugierig sehe ich sie an.

„Noch ein Stück Kuchen, Schmusebärchen?“, fragt sie zuckersüß. Tonfall und Gesichtsausdruck passen allerdings überhaupt nicht zusammen. Würde es nach Sandras Blick gehen, läge Manuel bereits mausetot zu unseren Füßen.

„Gerne mein Zuckerschnäuzchen“, feixt er und hält ihr seinen Teller hin, „das wird Dir aber nicht helfen, ich werde Axel die Geschichte trotzdem erzählen.“

Sandra schiebt ihm mit einem leisen Knurren den Kuchen auf den Teller.

„Es war einer dieser Wochenendtrips, die Carsten und mein Bruder damals noch von Zeit zu Zeit unternommen hatten. Sie haben Sandra und mich oft mitgenommen, so auch an jenem Wochenende. Es war ein Kurztrip an den Bodensee und wir hatten uns Tretboote gemietet. In einem saßen Frederick und Carsten, das andere haben Sandra und ich uns geteilt. Zu Anfang war noch alles okay. Irgendwann, wir waren eigentlich schon wieder auf dem Rückweg zum Steg, ist eine kleine Wespe aufgetaucht. Nicht mehrere, oder gar ein ganzer Schwarm – nein, eine einzelne, harmlose, unschuldige …“

„Es gibt keine harmlosen Wespen“, mault Sandra.

„… Wespe“, beendet Manuel seinen Satz. Völlig unbeeindruckt von Sandras Einwurf, fährt er fort: „sie hat mit ihrem Gefuchtel das arme Tier so sehr gereizt, dass es überhaupt nicht mehr verschwinden wollte. Irgendwann ist sie wie eine Furie in dem Tretboot rumgehampelt. Naja, das End vom Lied jedenfalls war, dass wir uns beide irgendwann im Wasser wieder gefunden haben. Ich glaube, Sandra ist der einzige Mensch, der es bislang fertig gebracht hat, ein solches Boot zum Kentern zu bringen“, gluckst er.

„Ich konnte doch nichts dafür!“, verteidigt sie sich, „das Vieh hat eine Attacke auf mein Leben gestartet, da konnte ich doch nicht einfach still sitzen bleiben!“

„Na vor allem anderen, hast Du damit eine Attacke auf die Lachmuskeln von Frederick und Carsten gestartet, die bereits auf dem Steg standen und die ganze Szenerie hautnah miterlebt haben“, lacht er, „okay, mir selbst war in diesem Augenblick auch nicht wirklich nach Lachen zumute. Ich war patschnass und wir hatten keine Klamotten zum Wechseln dabei“

„Du hast Dich aber ganz wacker geschlagen, wenn man mal von dem bisschen Rumgezicke absieht“, lobt Sandra.

„Hey! Ich zicke nicht rum“, schmollt er.

„Nur manchmal, wenn es nicht nach Deinem Kopf geht, mein Süßer“, kichert Sandra. „Kannst Du Dich eigentlich noch an Malle erinnern?“

„Als ob ich das je vergessen würde“, antwortet er, „irgendwie haben unsere besten Geschichten immer was mit Booten und Wasser zu tun, was?“, lacht er.

„Klingt, als hättet ihr beiden jede Menge Spaß gehabt“, sage ich und beneide die zwei insgeheim. „Was ist denn auf Malle passiert?“

„Wir wollten uns für einen Nachmittag von den beiden älteren Herren absetzen und haben uns ein kleines Schlauchboot gekauft“, beginnt Sandra.

„Ich hatte Dir gleich gesagt, dass ich ein ungutes Gefühl bei der Aktion habe“, wirft Manuel ein und erntet nur einen belustigten Seitenblick von Sandra.

„Wir wussten ja, dass wir nicht zu weit rauspaddeln dürfen, wegen der Strömung, aber irgendwie ist unser Bötchen doch abgedriftet und wir konnten rudern, wie wir wollten, das Ufer kam und kam einfach nicht mehr näher. Manuel wollte in seiner Panik schon ins Wasser springen und an Land schwimmen …“

„Na immer noch besser, als seelenruhig dazusitzen und sich ne Zigarette anzuzünden“, unterbricht er sie grinsend.

„Nein, wäre es nicht gewesen, Du warst zwar damals schon ziemlich gut in Form, aber selbst Du und Dein Luxuskörper hätten es nicht bis ans Ufer geschafft. Außerdem, was hätte ich denn sonst tun sollen? Einer von uns musste ja schließlich einen kühlen Kopf bewahren. Und im Grunde waren wir ja auch nicht wirklich in Gefahr. An den Stränden dort schwirrt doch überall die Küstenwache rum“, erwidert sie, „und damit hatte ich ja auch recht, nicht wahr? Ein Hubschrauber hatte uns entdeckt und letztendlich wurden wir von einem Boot der Küstenwache gerettet und es war nichts weiter passiert, als dass uns einer unserer Retter nen Vogel gezeigt hat, wir bei Ankunft am Strand in eine fotografierende Tourie-Gruppe geraten sind, und einen höllischen Sonnenbrand hatten“, beendet sie schmunzelnd ihre Erzählung.

Ich könnte den beiden stundenlang zuhören. Derartige Erlebnisse sind mir leider völlig fremd. Meine Eltern waren begeisterte Wanderer, und so haben wir, zumindest bis ich 16 war, die Urlaube stets am selben Ort in Tirol verbracht. Die größte Herausforderung bestand damals darin, rechtzeitig zum Abendessen wieder in der Pension zu sein. Im direkten Vergleich, verlief meine Jugendzeit also geradezu langweilig. Das änderte sich erst, als ich alt genug war, um zusammen mit Freunden in den Urlaub zu fahren, aber auch da beschränkte sich meine Abenteuerlust eher darauf, am Abend ein Mädchen abzuschleppen. Nun guckt nicht so entgeistert, ich war ein ganz normaler Teenie mit einem für mein damaliges Alter üblichen, ausgeprägtem Sexualtrieb und hatte vor nicht allzu langer Zeit erkannt, dass man mit einem Mädel verdammt viel Spaß haben konnte. Damit dürfte ich mich kaum von den anderen Jungs unterschieden haben.

„Ach übrigens, ich habe Dir den Link für die Homepage der neuen Kart-Bahn, über die wir uns letztes unterhalten haben, per Mail geschickt“, meint Sandra an Manuel gewandt.

„Das bringt mir leider im Moment nicht viel“, erwidert er zerknirscht, „mein Computer mag nicht so, wie ich gern will“, seufzt er.

„Was ist denn damit?“, werfe ich ein. Wenn das mal nicht mein Spezialgebiet ist.

„Ich weiß auch nicht so recht. Ich kann weder Mails abrufen, noch irgendwelche Seiten auf machen, es kommt immer so eine komische Meldung, dass die Seite nicht vorhanden wäre. Das kann aber schlecht möglich sein, es sei denn, man hätte über Nacht das Internet abgeschaltet, das passiert nämlich bei allen Seiten“, antwortet er.

„Worüber verbindest Du Dich ins Internet? Hast Du Windows drauf?“, möchte ich wissen.

„Keine Ahnung, ich starte den Internet Explorer und kann dann normalerweise auf Seiten zugreifen. Und ja, Windows XP.“

„Soll ich mir den Rechner einmal anschauen?“, biete ich an.

„Gerne, aber nur, wenn es Dir auch wirklich nichts ausmacht, ich möchte mich nicht aufdrängen“, entgegnet er vorsichtig.

„Ach was, ich habe es Dir doch angeboten“, antworte ich lächelnd.

„Na dann nehme ich das Angebot gerne an, denn ich kenne mich mit dem ganzen Zeugs wirklich kaum aus. Ich hätte das gute Stück demnächst zu einem Reparatur-Service gebracht.“

„Das Geld kannst Du Dir sparen, das bekommen wir schon hin“, sage ich selbstbewusst.

„Wann magst Du Dir das Teil anschauen?“

„Unter der Woche ist im Moment schlecht, bei uns wird gerade das komplette Netzwerk umgestellt und ich bin ziemlich lange im Büro. Was hältst Du von kommendem Donnerstag? Da wäre ein Feiertag“, schlage ich vor.

„Donnerstag passt mir gut, da habe ich frei“, antwortet er erfreut.

„Dann müsst ihr aber ohne mich auskommen, Jungs“, meint Sandra, „ich bin Donnerstag mit Caro verabredet und möchte das ungern verschieben.“

„Wir werden schon zurecht kommen ohne Dich als Anstands-Wauwau“, feixt Manuel. „Soll ich mit meinem Bündel bei Dir einfallen, oder kommst Du zu mir?“, fragt er mich.

„Das ist mir eigentlich egal, was wäre Dir lieber?“

„Naja, mir wäre es schon recht, wenn ich nicht alles zusammenpacken müsste, sondern das Ding einfach an Ort und Stelle stehen lassen könnte“, gibt er zu.

„Na dann“, grinse ich, „welche Uhrzeit?“

„Such Dir was aus, ich hatte mich eh aufs Faulenzen eingestellt und sonst nichts vor.“

„Sagen wir 17 Uhr?“, schlage ich vor.

„Passt! Bringst Du denn auch etwas Süßes für mich mit?“, fragt er mich mit einem frechen Grinsen.

*



Rezept für Axels Bananenkuchen mit Eierlikör:



Zutaten für 12 Stücke:

1 hellen Tortenboden (vorzugsweise selbst gebacken, wenn es jedoch mal schnell gehen muss, tut es auch ein gekaufter vom Bäcker)
3-4 (reife) Bananen
1/4 Liter Orangensaft ohne Fruchtmark
1 Päckchen hellen Tortenguss
½ Liter Schlagsahne
1 Päckchen Vanillezucker (optional)
150-250 ml Eierlikör (je nach Gusto)
Aprikosenmarmelade

Tortenboden dünn mit Aprikosenmarmelade bestreichen. Die Bananen längs aufschneiden und auf den Tortenboden verteilen. Den Tortenguss, laut Anleitung zubereiten, allerdings das Wasser durch O-Saft ersetzen. Den noch heißen Guss gleichmäßig auf die Bananen geben.

Solange der Guss abkühlt, Sahne steif schlagen. Je nach Geschmack kann noch ein Päckchen Vanillezucker untergerührt werden, allerdings hat der Kuchen an sich schon genug Süße. Einen Teil der Sahne zurück behalten, damit am Schluss ein Kranz entlang des Randes gespritzt werden kann. Sahne verteilen, bis der komplette Kuchen bedeckt ist (auch die Seiten). Rand spritzen und die Innenfläche mit Eierlikör nach eigenem Gusto befüllen (nicht zu viel, weil sonst der Likör nicht fest wird). Der Kuchen ist verzehrfertig, wenn der Eierlikör schnittfest ist.

Kleiner Tipp: den Kuchen über Nacht im Kühlschrank ziehen lassen, dann ist alles richtig durchgezogen und er schmeckt noch besser.

Prost! ;-)


Virale Unzurechnungsfähigkeit?



Unschlüssig stehe ich vor dem Hauseingang und trete etwas nervös von einem Bein auf das andere. Ich starre auf das Namensschild an der Klingel, auf dem der Name ‚Manuel Fischer’ aufgedruckt ist. Irgendwie wird mir ganz schön mulmig, wenn ich daran denke, dass ich in wenigen Minuten zusammen mit Manuel in seiner Wohnung sein werde. Allein, ohne Sandra oder sonst jemandem. Andererseits - wovor habe ich denn überhaupt Angst, sofern man das Gefühl überhaupt als solches bezeichnen kann? Vielleicht davor, dass er versuchen könnte mich anzugraben? Das allein genommen ist schon ziemlich abwegig, denn ich glaube kaum, dass er so einfach über mich herfallen wird, zumal das voraussetzen würde, dass er auf auf mich steht, wovon ich jetzt nicht unbedingt ausgehe.

Oder vielleicht doch eher, dass es mir gefallen könnte, was noch abwegiger wäre, denn ich bin schließlich durch und durch ein Hetero-Kerl, mit keinerlei Homo-Neigungen. Also gibt es doch überhaupt keinen Grund auch nur darüber nachzudenken, oder? Ich bin so gefestigt in meiner Sexualität, dass man mir Manual nackt um den Bauch binden könnte, und es würde nichts passieren. Irgendwann würde er einfach von alleine wieder abfallen, vollkommen egal, was für eine Ausstrahlung er hat!

Schon viel ruhiger drücke ich auf den Klingelknopf und melde mich, als mir wenige Sekunden später Manuels Stimme aus dem Lautsprecher entgegen tönt.

„Hallo Axel, komm hoch, zweiter Stock“, sagt er und gleichzeitig öffnet sich die Tür des Mehrfamilienhauses.

Beherzt nehme ich gleich zwei Stufen auf einmal und bin nur leicht aus der Puste, als ich vor Manuels Tür ankomme. Ja, ich gebe es ja zu, mit meiner Kondition steht es nicht gerade zum Besten, aber hey, ich bin Informatiker und wenn ich nicht gerade im Betrieb rumrennen muss, um nach irgendwelchen Servern oder Clients zu schauen, hocke ich am Schreibtisch oder schraube an irgendwelchen Gehäusen rum. Und um mir abends, nach der Arbeit noch im Fitnessstudio einen abzustrampeln, fehlt mir schlicht und ergreifend die Motivation. Ich bin nun halt mal nicht der sportliche Typ, und ja, ich bin etwas bequem. Zum Glück habe ich wohl einen recht agilen Stoffwechsel, sonst könnte man mich wahrscheinlich längst rollen.

Manuel empfängt mich an seiner Wohnungstür und schenkt mir ein breites Grinsen, bevor er mich auf die übliche Art begrüßt und in sein Reich bittet. Neugierig wirft er einen Blick auf die Stofftasche, die ich bei mir trage. Ich ahne schon, worauf er spekuliert.

„Keine Angst, ich habe was für Dich dabei, ich würde es niemals wagen ohne hier aufzukreuzen“, grinse ich und strecke ihm die Tasche entgegen.

„Was ist es denn diesmal?“, fragt er neugierig und hängt auch schon mit seiner Nase halb im Beutel.

„Donauwelle“, antworte ich und folge ihm bis zum Wohnzimmer und weiter in die Küche, eigentlich eher Küchenecke, die sich vom Wohnzimmer durch eine niedere Theke abgrenzt. Manuel hat eine ziemlich ordentliche Wohnung, stelle ich überrascht fest. Ich sollte vielleicht nicht unbedingt von mir auf andere schließen, es muss schließlich nicht jeder so ein Schlamper sein wie ich. Ich habe die zugegebenermaßen ziemlich schlechte Angewohnheit, alles an Ort und Stelle einfach liegen zu lassen. Angesichts dessen, ist es mir eigentlich gar nicht so unrecht, dass die Reparaturaktion nicht bei mir in der Wohnung stattfindet, da hätte ich nämlich erst einmal gründlich ausmisten müssen. Und ich hasse es aufzuräumen.

Von irgendwoher dringt gedämpft 'High Hopes' an mein Ohr. Wenn das sein Musikgeschmack ist, liegen wir gar nicht mal so weit auseinander. Bei der Gelegenheit fällt mir auf, dass ich im Grunde so gut wie nichts von ihm weiß. Er isst gerne Süßes, ist schwul ... und ordentlich ist er wohl auch, aber das wars dann auch schon.

„Du magst Pink Floyd?“, möchte ich wissen und frage mich im gleichen Moment, weshalb mich das überhaupt interessiert.

„Ja... Du nicht? Ich kann auch was anderes …“

„Nein, nein“, unterbreche ich ihn schnell. „Es gefällt mir, wie so ziemlich alles übrigens aus den 70ern und 80ern“, gebe ich zu.

„Ich höre eigentlich querbeet alles, was mir so unter die Ohren kommt. Pop, Rock, manchmal Metal, sogar klassische Musik. Aber ja, ein gewisses Faible für die 80er habe ich ebenfalls“, antwortet er lächelnd, öffnet einen Küchenschrank und greift nach einem Kaffeefilter. Mit geübten Handgriffen setzt er den Filter in die Maschine, gibt Kaffeepulver hinzu und schaltet das Gerät ein.

Während das Wasser zischend und gurgelnd durch die Maschine läuft, sehe ich mich genauer in dem Raum um. Es sieht eigentlich nicht anders aus, als in anderen Junggesellen-Buden auch, die ich so kenne. Was habe ich denn auch erwartet? Rüschendeckchen? Unter dem Fenster steht eine schwarze Ledercouch, die zwar ihre beste Zeit wohl schon hinter sich hat, jedoch nicht minder bequem wirkt. Davor steht ein kleiner Glastisch, nach rechts versetzt ein einzelner schwarzer Sessel. Neben der Tür befindet sich eine offene Regalwand, in der von der Decke, bis zum Fußboden alles voll gestopft ist mit irgendwelchen Büchern, CDs und DVDs. Gegenüber des Sofas steht auf einem niederen Schränkchen der Fernseher.

In einer der Ecken gibt es noch einen kleinen Schreibtisch mit einem Monitor oben drauf. Aha, das Corpus Delicti steht also hier und ich bin irgendwie erleichtert. Manche Leute haben ihren Rechner ja sonst wo stehen. Im Schlafzimmer zum Beispiel, weil sie anderweitig keinen Platz dafür haben.

„Möchtest Du Dich mal umsehen?“, unterbricht Manuel meine Gedanken, „ich wohne hier zwar nicht so schön wie Sandra, aber ich denke die Wohnung kann sich sehen lassen“, meint er und sein Gesicht verzieht sich erneut zu einem Lächeln. Ich weiß nicht, ob es dieses fast schon schelmische Lächeln ist, oder sein intensiver Blick, der mir diese Wärme in meinem Innern beschert.

„Klar“, gebe ich mich gespielt locker und zucke mit den Achseln, „warum nicht?“ Betont lässig trotte ich ihm hinterher.

Die Führung ist schnell beendet, denn außer dem recht geräumigen Wohnzimmer, gibt es nur noch ein Schlafzimmer, welches übrigens ebenso ordentlich ist, wie die restliche Wohnung, ein Bad und einen winzigen Abstellraum.

„Da steht mein PC“, meint er, als wir wieder im Wohnzimmer sind und deutet in die Ecke, „erst einen Kaffee, bevor Du Dich an die Arbeit machst?“, fragt er verschmitzt.

Ich werfe ihm einen amüsierten Blick zu und antworte: „Ich dürfte eh keine Chance haben, wenn ich vorschlagen würde, mit dem Kuchen noch zu warten, oder?“

„Nicht bei dem, was da im Beutel steckt“, erwidert er und fördert auch schon die Plastikdose zu Tage, in die ich einige Stücke der Donauwelle gepackt hatte.

Er häuft je ein Stück auf zwei Teller, befüllt jedem von uns einen Becher mit Kaffee und balanciert alles auf den kleinen Esstisch zu, der, zusammen mit vier Stühlen, direkt vor der Küchentheke steht.

„Danke“, sage ich und nehme ihm schnell einen Becher Kaffee und einen Teller ab, bevor er in seinem Übereifer beides in meinem Schoß verteilt.

Schmunzelnd beobachte ich aus den Augenwinkeln, wie Manuel sich etwas von der Donauwelle in den Mund schiebt und ihm dabei ein leises genüssliches Stöhnen entweicht. Unwillkürlich läuft mir, ob dieses Lautes, ein Schauer über den Rücken, und ich starre irritiert auf meinen Teller.

„Hm, lecker. Wie alles, das Du bisher gebacken hast“, meint er und grinst von einem Ohr zum anderen.

„Danke“, antworte ich befangen. Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll.

Eine ganze Zeit lang spricht keiner von uns ein Wort. Manuel ist mit Schaufeln beschäftigt und ich mit Nachdenken. Ich weiß nicht, was mir im Moment unangenehmer ist, das Schweigen, oder diese seltsam widersprüchlichen Gefühle, die in mir toben. Ein Teil von mir möchte einfach aufstehen und davonrennen, sehr weit weg. Ein anderer Teil jedoch möchte an Ort und Stelle sitzen bleiben und weiterhin mein Gegenüber betrachten, ihm sogar noch etwas näher sein. Ich verstehe das Ganze einfach nicht, was hat dieser Kerl nur an sich, das mich so … ja, fasziniert?

Ich wähle den Mittelweg: „Ich … ähm … schalte mal den Rechner ein, hast Du ein Passwort vergeben?“, ich weiß, dass ich vielleicht etwas unhöflich wirke, mitten beim Kaffeetrinken einfach vom Tisch aufzuspringen und fluchtartig das Weite zu suchen. Aber ich halte es einfach keine Sekunde länger mehr aus, ihm so nahe zu sein.

„Nein“, antwortet er etwas irritiert, „aber möchtest Du nicht erst Dein Stück Kuchen aufessen?“

„Lass es einfach stehen, ich esse nachher weiter, im Moment habe ich eh keinen großen Appetit, ich habe ziemlich spät zu Mittag gegessen“, antworte ich ausweichend. „Kann ich meinen Kaffee mit rüber nehmen?“

Manuel deutet mit einer zustimmenden Geste in Richtung seines Computers und folgt mir. Ich schalte den PC ein und setze mich auf den Drehstuhl vor dem Schreibtisch. Manuel hat sich bereits einen Küchenstuhl geschnappt und setzt sich neben mich.

Na toll, das war wirklich eine super Idee, hier hockt er mir ja noch näher auf der Pelle. Anstatt die Distanz zu vergrößern, hat sie sich durch meine hirnlose Aktion derart verringert, dass wir sogar einmal kurz mit unseren Knien aneinander stoßen. Ein eigenartiges Kribbeln breitet sich von dort in meinem ganzen Körper aus.

Ich versuche das Gefühl zu ignorieren und warte ungeduldig darauf, dass endlich das Betriebssystem startet - und schlage in Gedanken die Hände über dem Kopf zusammen, als ich den Desktop sehe. Auch wenn ich, was meine Wohnung angeht, vielleicht nicht der Akkurateste bin, so herrscht auf meinen Rechnern jedoch stets Ordnung. Wahrscheinlich so was wie Berufsehre. Alles ist fein säuberlich, nach Art des Programms, im Startmenü untergebracht, kein wildes Durcheinander von Icons über den ganzen Desktop verteilt, wie auf Manuels Rechner.

Ich beuge mich zur Rückseite des Rechners und sehe, dass das Netzwerkkabel mit dem entsprechenden Gerät für einen ADSL-Anschluss verbunden ist. Die Kontroll-Lampe leuchtet grün, hier sollte also alles in Ordnung sein.

Die Geräte im Rechner scheinen laut Gerätemanager ebenfalls betriebsbereit zu sein. Ich öffne einen Internetexplorer, es wird eine Verbindung zum Internet aufgebaut, und zunächst auch eine Webseite geöffnet. Je länger die Kiste allerdings online ist, desto langsamer wird alles, bis irgendwann alle Seitenaufrufe mit einem Timeout enden.

Nach einigen weiteren Tests, habe ich einen wahrscheinlichen Übeltäter gefunden. Irgendein Prozess zieht soviel Bandbreite ab, dass gewöhnliche Browseranfragen ins Leere laufen, auch scheint durch eine enorme Rechenlast, der PC buchstäblich in die Knie zu gehen. Ich entferne das Netzwerkkabel und drehe mich zu Manuel um, der mich erwartungsvoll ansieht.

„Und?“, meint er.

„Tja, ich schätze, Du hast Dir einiges eingefangen. Was genau, könnte ich Dir erst sagen, wenn ich einen Virenscanner drüber laufen lasse. Aber da die Kiste nach außen soviel Traffic generiert, würde es hundert Jahre dauern, bis das Teil auf der Platte ist, vorausgesetzt, der Download bricht nicht vorher ab. Ich würde Dir jedoch eh raten, das Ding platt zu machen und das Betriebssystem neu zu installieren, denn der Trojaner, Virus, Wurm oder was auch immer, hat sicherlich irgendwelche Türchen geöffnet.“

„Ach Gott, ich habe keine Ahnung, wie ich das alles wieder zum Laufen bekommen soll“, sagt er zerknirscht.

„Wer hat Dir das alles denn eingerichtet?“, frage ich.

„Naja, das war Rob“, erwidert er kleinlaut.

„Rob?“, frage ich und versuche mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Schon wieder dieser Affe. Dieses Mal verkneife ich mir jedoch die Frage nach seinem und Manuels Beziehungsstatus.

„Er war nun mal bisher der Einzige in meinem Bekanntenkreis, der von so was wenigstens ein bisschen Ahnung hat“, meint er.

Ich überlege kurz, ob es ratsam wäre, die nächsten Stunden in Manuels Nähe zu verbringen. Andererseits werde ich doch ohnehin zu beschäftigt sein, um mich von seiner Nähe ablenken zu lassen, oder? Ich kann ihn auch unmöglich mit dem verseuchten Ding hier einfach so sitzen lassen und womöglich noch riskieren, dass Rob ... nein, das kommt überhaupt nicht infrage!

„Hast Du Daten, die Du vorher absichern möchtest? In 1-2 Stunden sollte alles wieder so eingerichtet sein, dass Du zumindest das Internet wieder problemlos nutzen kannst“, sage ich.

Er denkt kurz nach. „Hm, ich habe damit hauptsächlich Mails verschickt, oder war im Internet. Vielleicht meine Lesezeichen und ein paar Briefe. Achja, und vielleicht noch ein paar Mailadressen.“

Schnell sind die Daten auf eine CD gebrannt und ich starte den Rechner neu, um die Festplatten zu formatieren und die Neuinstallation zu starten. Währenddessen stöpsle ich das Netzwerkkabel wieder ein.

„Wie kann ich mir denn so Zeugs eingefangen haben?“, fragt er.

Ich zucke mit den Schultern: „Vielleicht durch einen Anhang einer Mail, Software von nem Kumpel, irgendwelche Schmuddelseiten ...“, zähle ich auf.

Ich bemerke, wie Manuel leicht rot um die Nase wird und grinse in mich hinein.

„Und wie kann man sich schützen?“, will er wissen.

„Du solltest Dir unbedingt einen Virenscanner installieren und diesen auch regelmäßig updaten. Mailanhänge am Besten nur anklicken, wenn sie von einer sicheren Quelle kommen… und die Finger von dubiosen Internetseiten lassen“, grinse ich und stelle fest, dass die Röte in seinem Gesicht noch eine Spur kräftiger wird.

„Kannst Du mir da was empfehlen?“

„Kann ich. Wenn nachher wieder alles läuft, dann lade ich Dir ein Programm, das ich selbst auch verwende.“

„Ich weiß gar nicht, wie ich mich dafür revanchieren soll, ich würde das alleine nie hinbekommen.“

Ich winke ab und antworte, „Ach, mach Dir mal keine Gedanken. Du kannst mich ja als Gegenleistung derweil mit ein paar Geschichten von Sandra unterhalten“, schlage ich gut gelaunt vor.

Als ob ich damit einen Startschuss gegeben hätte, legt er los. Die Zeit vergeht durch seine amüsante Erzählweise in null Komma nichts und im Handumdrehen ist Manuels Rechner vollständig eingerichtet, die gesicherten Daten wieder zurück kopiert und die erste Testmail verschickt.

Manuel strahlt mich glücklich an, und ich lächle, durch seine Freude angesteckt, zurück. Wie gebannt sehe ich ihm in die Augen, ich kann einfach den Blick nicht abwenden, und ihm scheint es ebenso zu ergehen. Irgendetwas Merkwürdiges geschieht hier gerade, dem ich mich nicht entziehen kann, selbst wenn ich es wirklich ernsthaft wollte.

Manuel nähert sich mir, und instinktiv weiß ich, was gleich geschehen wird. Doch anstatt diesen fast schon magischen Moment sofort zu unterbrechen und aufzustehen, sitze ich wie festgewurzelt auf dem Stuhl und harre der Dinge, die da kommen mögen - unfähig mich auch nur einen Millimeter zu rühren. Am besten, ich denke erst gar nicht darüber nach, was wir hier im Begriff sind zu tun.

Immer näher kommt Manuels Gesicht und ich nehme seinen Geruch wahr. Und er riecht so furchtbar gut, herb und würzig. Tief atme ich seinen Duft ein und schließe die Augen. Einmal hält er für einen kurzen Augenblick noch inne, und dann fühle ich auch schon seine Lippen, die sich zart auf die meinen legen. Sein Mund fühlt sich unerwartet weich an, angenehm, sehr angenehm sogar. Selbst das leichte Kratzen seiner Bartstoppeln stört mich nicht im Geringsten, es bildet einen mehr als interessanten Kontrast zu seinem wahnsinnig sanften Mund. Ich zucke ganz kurz zurück, als ich seine Zunge an meinen Lippen fühle, aber es fühlt sich einfach zu gut an, um mich jetzt noch entziehen zu können. Sanft aber energisch bittet er um Einlass, dringt ein kurzes Stück in meine Mundhöhle vor und verharrt an Ort und Stelle, als ob er meine Reaktion abwarten will oder vielleicht auch nur austesten möchte, inwieweit ich ihm entgegenzukommen vermag. Wie auch immer, seine Rechnung geht auf, denn ich komme ihm tatsächlich entgegen, zaghaft zunächst, fast schon schüchtern. Meine Reaktion scheint ihm sehr zu gefallen, denn er stößt ein ähnlich leises Stöhnen aus, wie auch schon zuvor, als er von dem Kuchen gekostet hat. Sein Zungenspiel wird fordernder und ich passe mich seinem Rhythmus an. Und es fühlt sich verflucht gut an. Viel zu gut. Atemlos und mit klopfendem Herzen löse ich mich langsam von ihm.

„Manuel …“, meine Stimme zittert.

„Schhh“, macht er und legt einen Finger auf meine Lippen, „sag nichts, genieße es einfach“, bittet er mich und keine drei Sekunden später küsst er mich erneut. Und dann stelle ich einfach das Denken ein. Ich registriere nur am Rande, dass Manuel mich von meinem Stuhl hochgezogen und zur Couch bugsiert hat. Ich habe keine Ahnung wie er das fertig gebracht hat, aber in der ganzen Zeit hat er nicht für eine Sekunde seine Lippen von den meinen genommen. Auf dem Sofa zieht er mich eng an sich. Auch ich lege meine Arme um seinen Hals und vergrabe meine Finger tief in seine schwarze Mähne. Seine Hände tasten flink über meinen Rücken und ich erwidere seinen Kuss mit der gleichen Leidenschaft, die er mir entgegenbringt. Immer schneller umkreisen unsere Zunge einander, und der Kuss hat mittlerweile gut und gerne die Bezeichnung ‚heiß’ verdient, denn ich fühle deutlich, wie mir ein Teil meines Blutes direkt in eine bestimmte Region schießt - und genau das ist der Zeitpunkt, an dem ich wieder zur Besinnung komme. Nein, das durfte doch einfach nicht sein, Manuel ist ein Mann und ich bin unter gar keinen Umständen schwul! Keuchend schiebe ich ihn energisch von mir.

„Es ... es tut mir ... wirklich leid“, stottere ich, „a ... aber ich kann das nicht.“

Mit einem Satz bin ich vom Sofa aufgesprungen und fahre mir mit zitternden Händen über das Gesicht.

Manuel sitzt einfach nur stumm da und sieht mich mit einem undefinierbaren Ausdruck in den Augen an. Schließlich nickt er.

„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir auch leid tut, denn das tut es nicht. Im Gegenteil. Dich zu küssen wünsche ich mir schon, seit ich Dich das erste Mal im Boots gesehen habe“, seine Stimme klingt erstaunlich fest, was mich ziemlich irritiert, da ich selbst im Moment so aufgewühlt bin, dass ich nur geistloses Gestammel zustande brächte.

„I ... ich denke, ich sollte jetzt gehen“, bringe ich gepresst hervor, ohne auf seine Worte näher einzugehen und flüchte geradezu den Flur entlang.

Manuels Stimme, die nach mir ruft, ignoriere ich beflissen, öffne die Tür und bin auch schon hindurch geschlüpft, ohne mich nochmals umzudrehen.

Ich muss mich am Geländer festhalten, weil meine Beine so weich sind, dass sie unter mir nachzugeben drohen. Unten angekommen, drücke ich meine heiße Stirn gegen das kühle Metall der Eingangstür. Mein Herz versucht sich gerade einen Weg aus meinem Körper zu hämmern – vorzugsweise geradewegs durch die Schädeldecke. Und mein Atem fühlt sich an, als nähme ich, trotz meiner praktisch nicht vorhandenen Kondition, am Ironman teil. Und dann werde ich mir der Tragweite dessen bewusst, was sich noch vor ein paar Minuten in Manuels Wohnung ereignet hat: Ich habe einen Mann geküsst. Mit Zunge! Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, hat es mir auch noch gefallen, sehr sogar. So sehr, dass ich das Resultat davon immer noch dumpf gegen den Reißverschluss meiner Hose pochen fühle, dabei hat Manuel mich noch nicht einmal angefasst! Heilige Scheiße, was passiert nur gerade mit mir? Hat mich irgendeine schräge Macht in meine Zeit als Teenager zurückversetzt, ohne dass ich etwas davon bemerkt habe und lacht sich nun schadenfroh ins Fäustchen?

*




Rezept für Donauwelle à la Axel



Zutaten für 12 Stücke:

250 g Butter
150 g Zucker
350 g Mehl
6 Eier
1 Päckchen Vanillezucker
½ Päckchen Backpulver
2 Gläser Schattenmorellen
2 EL Kakao

1 Liter Milch
2 Päckchen Vanillepudding
Zucker nach Geschmack

1 Becher Schokoguss (Kuvertüre)

Butter schaumig rühren und nach und nach Zucker und Eier dazumischen. Mehl sieben und mit dem Backpulver vermischen und es dann löffelweise unter die Butter-Masse rühren.

1/3 des Teiges beiseite nehmen und mit Kakao vermischen. Den hellen Teig auf ein zuvor eingefettetes Backblech verteilen, den dunklen Teig darüber geben und mit einer Gabel spiralförmig ein Marmor-Muster ziehen. Die zuvor abgetropften Kirschen auf dem Teig verteilen und den Kuchen auf der mittleren Schiene, bei 200° ca. 25-35 Minuten backen (je nach Ofen anders, bitte Hölzchen-Probe machen).

Vanillepudding lt. Anleitung auf dem Päckchen zubereiten (ich lasse den Zucker hier normalerweise weg, ihr wisst ja bereits, ich mag es nicht so arg süß *grins*) und noch heiß gleichmäßig auf dem fertig gebackenen Kuchen verteilen.

Sobald der Pudding vollständig abgekühlt ist, die vorher flüssig gemachte Kuvertüre vorsichtig auf dem Pudding verteilen.


Schlechtes Timing



Ich nehme einen Schluck von meinem Bier und starre geistesabwesend auf den Bildschirm. Von dem, was da über die Mattscheibe flimmert, bekomme ich jedoch so gut wie überhaupt nichts mit. Mit meinen Gedanken bin ich ganz wo anders, wie meistens in den vergangenen zwei Wochen. Ich muss nicht explizit erwähnen, woran, beziehungsweise an wen ich denke, oder? Dieser Kuss hat sich in meinem Gehirn festgesetzt wie ein Branding, und es erschreckt mich immer wieder fast zu Tode, wenn ich jedes Mal aufs Neue erkenne, dass ich mir eine Wiederholung dessen wünsche, was in Manuels Wohnung geschehen ist.

Seufzend senke ich meine Lider und lehne mich in meinem Sofa zurück. Sofort ist Manuels Bild da, dunkelbraune Augen mustern mich erwartungsvoll, eine Strähne seines Haares hängt ihm verwegen ins Gesicht, die Lippen sind leicht geöffnet. Stöhnend stelle ich die Flasche auf den Tisch vor mir, stütze die Ellbogen auf meine Knie und drücke je einen Handballen auf meine geschlossenen Augen.

Ich habe wirklich alles Mögliche unternommen, um nicht mehr unentwegt an diesen Kerl denken zu müssen. Ihm aus dem Weg zu gehen, war davon noch die einfachste Übung - das Vergessen schier unmöglich. Ich war sogar zu einem Schnupperabend in einer Muckiebude, ja ich, der Sportmuffel. Doch mehr als einen mordsmäßigen Muskelkater, hat es mir nicht eingebracht.

Mit Sex habe ich es auch versucht, doch der Schuss (was für eine Metapher in diesem Zusammenhang), ging gehörig nach hinten los. Sandra hat natürlich sofort gemerkt, dass etwas mit mir nicht stimmt und wollte wissen, ob es etwas gäbe, worüber ich mit ihr reden wollen würde. Ich habe es auf den momentanen Stress im Betrieb geschoben, ich konnte ihr einfach nicht die Wahrheit sagen. Zumal ich ja eigentlich selbst nicht so genau weiß, was genau die Wahrheit ist. Vielleicht: sorry, aber ich bin grad' total scharf auf 'nen Kerl und bekomm' bei 'ner Frau einfach keinen mehr hoch? Oh ja, das käme bestimmt gut. Und anschließend würde ich mir dann 'ne Kugel durch den Kopf jagen, sofern Sandra das nicht vorher schon für mich erledigt hätte.

Hey, aber dafür ist meine Bude mal wieder sauber. Das nämlich war ein weiterer Ablenkungsversuch, dieses mal wenigstens mit positivem Nebeneffekt, ohne Muskelkater oder sexuell frustrierter Freundin.

Ach, und backen brauche ich die nächsten 100 Jahre auch nicht mehr, denn der Gefrierschrank ist bis oben hin voll mit Kuchen, Muffins und dergleichen, keine Ahnung, wer das ganze Zeugs je essen soll.

Ich frage mich, was er wohl gerade macht. Arbeitet er? Oder ist er vielleicht mit jemandem, vielleicht sogar mit Rob ... zusammen? Letzterer Gedanke behagt mir offengestanden überhaupt nicht. Eigentlich lächerlich ... ich tue gerade so, als ob ich einen, wie auch immer gearteten, Anspruch auf ihn hätte. Dabei habe ausgerechnet ich den wenigsten von allen, insbesondere nachdem ich ihn habe vor zwei Wochen einfach so sitzen lassen. Ich kann schlecht von ihm verlangen, dass er darauf wartet, bis ich mich endlich dazu bequeme mir zu überlegen, was ich eigentlich will.

Dabei weiß ich das doch, oder? Ich – will – nicht – schwul – sein! Bi schon gleich dreimal nicht. Aber dennoch will ich Manuel, irgendwie. Mal angenommen, ich würde mich darauf - auf ihn - einlassen, was dann? Wer sagt mir denn, dass er überhaupt wollen würde? Vielleicht hat er mich ja aus einer Laune heraus geküsst. Einfach, um mal auszuprobieren, ob auch Heteros einigermaßen gut küssen können. Nein, das traue ich ihm eigentlich nicht zu. Andererseits wäre es doch aber ziemlich vermessen anzunehmen, dass er irgendwelche Gefühle für mich hat, oder? Ich mag ja vielleicht nicht gerade ein Waldschrat sein, aber so toll, dass selbst die Schwulen auf mich fliegen, bin ich bei weitem nicht.

Ehrlich gesagt, bin ich mir gar nicht so sicher, was mir lieber wäre. Ich denke, es fiele mir tatsächlich leichter ihn zu vergessen, wenn ich wüsste, dass dieser Kuss wirklich keine Bedeutung für ihn gehabt hat, dass er wirklich nur einmal austesten wollte, wie weit er gehen kann. Ich habe eine panische Angst davor, dass eine, wie auch immer geartete latente Chance eines Näherkommens, mich letztendlich Dinge tun lassen könnte, die ich unter normalen Umständen niemals täte.

Himmel, ich bin so furchtbar durcheinander, dass ich zeitweise sogar so triviale Dinge wie beispielsweise essen, nicht mehr auf die Reihe bekomme, oder auch schlafen. Mein Appetit ist sonstwo und nachts wälze ich mich mehr oder weniger unruhig im Bett umher. Und wenn ich es dann doch einmal geschafft haben sollte einzuschlafen, meist so etwa zwei bis drei Stunden, bevor mein Wecker mich recht unsanft aus einem unzureichend langen Schlaf reißt, träume ich irgendwelches wirres Zeugs, in dem Manuel meist auf die ein oder andere Weise eine entscheidende Hauptrolle spielt. So viele kalte Duschen wie in den vergangenen paar Tagen, hatte ich zuvor mein gesamtes Leben nicht! Und nein, ich möchte darauf nicht näher eingehen.

Wenn mir noch vor einem Monat jemand gesagt hätte, dass ich erotische Träume von einem Kerl haben und mit dem auch noch ganz real in seiner Wohnung herum knutschen würde, hätte ich bei der nächsten Klappse angerufen und ihn von diesen Männern in weißen Anzügen und den Hab-mich-lieb-Jäckchen abholen lassen. So einen Irren konnte man schließlich unter keinen Umständen frei herumlaufen lassen!

Und doch ist genau das passiert. Wer ist nun der Irre, hm? Ja ich weiß, aber diesen Sarkasmus brauche ich einfach gerade, denn ich stehe kurz davor die glatten Wände hochzugehen.

Andererseits, ich stehe doch auf Frauen, und wenn ich einen(!) Mann mag, macht mich das doch nicht gleich zu einem Schwulen, oder?

Wie man es auch dreht und wendet, mit vergessen und verdrängen habe ich es ja bereits versucht, und dass das nicht funktioniert, habe selbst ich mittlerweile begriffen. Also was tun? Weiter Vogelstrauß spielen in der Hoffnung, dass sich alles von alleine regelt, oder versuchen die ganze Sache irgendwie zu klären?

Mit zitternden Händen greife ich nach meinem Handy und brauche drei Anläufe, bis ich mich endlich traue auf die Kurzwahltaste zu drücken. Tse, das sagt doch wohl schon alles, ich habe Manuel eine Kurzwahltaste zugewiesen, noch nicht einmal meine Eltern liegen auf einer Kurzwahltaste! Okay, das mag daran liegen, dass ich dort nicht allzu oft anrufe, schon gar nicht von meinem Handy aus.

Er meldet sich bereits nach dem ersten Klingeln, fast so, als ob er auf meinen Anruf gewartet hätte.

„Axel?“, fragt er vorsichtig.

„Hallo Manuel“, erwidere ich. Meine ich das nur, oder klingt meine Stimme wirklich so rau?

„Wie geht es Dir?“ Was für eine selten dämliche Frage, wie wird es mir schon gehen.

„Alles bestens“, lüge ich, „und bei Dir?“

„Auch gut.“ Na okay, seine Qualitäten als Lügner sind auch nicht gerade überragend.

Ich räuspere mich, „Wir sollten reden“, sage ich.

„Ja, das sollten wir“, pflichtet er mir bei.

„Wann hättest Du Zeit?“, frage ich.

„Wie wäre es mit gleich?“ Darauf war ich nun überhaupt nicht vorbereitet und ich sehe mich hektisch in meiner Wohnung um.

„Du weißt, wo ich wohne?“, entgegne ich und möchte mir im selben Moment die Zunge abbeißen. Ein neutraler Ort wäre sicherlich besser gewesen, zumindest für mich. Ich traue mir im Moment einfach selbst nicht so richtig über den Weg.

„Gib mir 30 Minuten“, meint er und hat in der nächsten Sekunde auch schon aufgelegt. Er möchte mir wohl keine Gelegenheit für einen Rückzieher geben.

Es ist wirklich unglaublich, wie lange 30 Minuten dauern können, wenn man auf etwas wartet. Der Zeiger der Uhr verarscht mich doch, oder? Mir kommt es fast so vor, als bewege er sich rückwärts. Nervös tigere ich in meiner Wohnung umher, bleibe in der Küche stehen, sehe auf die Uhr. Stelle ein Glas und einen Teller samt Messer in die Spülmaschine, gieße meine Blumen, sehe auf die Uhr. Ich habe gerade einmal 5 (in Worten FÜNF) Minuten totgeschlagen. Ich wandere weiter. Wenn das so weitergeht, kann ich mir bald neues Parkett legen lassen, weil ich es nämlich durchgelatscht haben werde!

Gefühlte 250 km später klingelt es endlich, endlich an der Tür. Ich wische meine verschwitzten Hände an meiner Jeans ab und bitte Manuel über die Hausprechanlage nach oben.

Und da steht er nun. Gutaussehend wie eh und je, und er scheint ebenso nervös zu sein, wie ich. Ich bringe kein Wort über die Lippen und starre ihn nur an.

„Möchtest Du hier draußen im Treppenhaus reden, oder bittest Du mich herein?“, fragt er leicht spöttisch. Na wenigstens er hat seine Sprache wieder gefunden.

Ich mache einen Schritt zur Seite und lasse ihn eintreten. Er folgt mir in mein Wohnzimmer und lässt sich auf dem einzigen Sessel im Raum nieder. Gut, er akzeptiert offensichtlich, dass ich Distanz brauche. Weniger gut allerdings ist, dass er einfach phantastisch aussieht. Das Ganze hier fällt mir ohnehin schon unendlich schwer, da müssen seine vollen Lippen doch nicht noch verführerischer, sein Dreitagebart nicht noch anziehender und seine langen, schwarzen Wimpern nicht noch unwiderstehlicher wirken als sonst. Er hebt den Arm und klemmt sich eine der widerspenstigen Haarsträhnen hinter sein Ohr. Meine Finger kribbeln, sie wissen ganz genau, wie sich diese Strähnen anfühlen. Unwillkürlich balle ich meine Hände zu Fäusten.

„Möchtest Du etwas trinken?“, frage ich ihn. Meine Stimme zittert und ich wage kaum ihn anzusehen.

Er schüttelt den Kopf. „Nein, vielleicht später“, erwidert er und blickt mich erwartungsvoll an.

„Auch keinen Kaffee? Kuchen?“

Wieder schüttelt er nur den Kopf.

„Den Tag muss ich rot im Kalender markieren“, versuche ich witzig zu sein. Wirklich, zum Totlachen.

„Nun? Du wolltest reden“, meint er und macht eine unbestimmte Geste in meine Richtung.

Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo ich anfangen soll. Also falle ich einfach gleich mit der Tür ins Haus.

„Warum hast Du mich geküsst“, raus ist es. Ich halte den Atem an und lasse mich gleichzeitig schnell auf mein Sofa sinken, bevor meine Beine ihre Drohung nachzugeben, wahrmachen können.

Manuel senkt den Blick, überlegt kurz und sieht mich wieder an. „Kannst Du Dir das denn nicht denken? Muss ich Dir das tatsächlich erklären?“

Ich nicke unsicher, obwohl ich mir mittlerweile wohl tatsächlich zusammenreimen kann, dass ich ihm nicht ganz gleichgültig bin.

„Kannst Du Dich noch an Carstens Geburtstagsfeier erinnern, als mich Sandra nach meinem Liebesleben ausgefragt hat?“

Ich nicke wieder. Natürlich erinnere ich mich noch daran, wieso fragt er mich denn so etwas?

„Und weißt Du auch noch, was ich darauf geantwortet habe?“

„Dass Du kürzlich jemanden kennen gelernt hättest, es aber kompliziert sei, meinst Du das?“, antworte ich und werde immer unsicherer, sofern das überhaupt noch möglich ist.

Manuel nickt. „Bist du schon einmal auf die Idee gekommen, dass ich vielleicht von Dir gesprochen haben könnte?“

„Von mir?“, frage ich völlig perplex. „Aber wir haben uns doch gerade mal eine halbe Stunde zuvor das erste Mal gesehen.“

„Da hast Du mich das erste Mal gesehen“, berichtigt er mich.

„Ich verstehe nicht, sind wir uns vorher schon einmal begegnet?“ Nein, das kann nicht sein, ich hätte mich ganz sicher an Manuel erinnert. Einem solchen Menschen begegnet man nicht und vergisst ihn anschließend einfach wieder.

„Nein, das nicht. Aber ich hatte Dich schon den ganzen Abend über beobachtet. Du bist mir sofort aufgefallen, als Du zusammen mit Sandra das Boots betreten hast“, gibt er zu.

„Aber warum bist Du dann nicht schon viel eher zu uns an den Tisch gekommen, zumindest um Sandra zu begrüßen? Ich hatte eigentlich den Eindruck, dass ihr euch sehr nahe stündet“, frage ich etwas irritiert.

Er macht eine hilflose Geste und stützt seine Ellbogen auf die Knie. „Ja, das stimmt schon, wir haben in unserer Jungend sehr viel Zeit miteinander verbracht, sie ist fast wie eine Schwester für mich. Ach ich weiß doch selbst nicht so genau. Du bist mit Sandra zusammen - und als ich gemerkt habe, dass ich mehr für Dich fühle, als ich eigentlich dürfte, wollte ich das Schicksal nicht zusätzlich noch herausfordern. Ich habe versucht es zu ignorieren. Das hat aber nicht so funktioniert, wie ich es gerne gehabt hätte und als Du kurz nach dem Essen auf der Toilette verschwunden bist, bin ich Dir einfach gefolgt“, seufzt er.

„Und Rob? Wie passt er da rein?“, möchte ich wissen.

„Rob hatte damit nichts zu tun. Ich hätte ihm am liebsten die Hände abgehackt, als er Dir an den Hintern gegriffen hat.“ Sein Blick verfinstert sich. Huch, ich hätte nicht gedacht, dass Manuel zu einem solch bösen Blick fähig wäre.

Ich weiß gar nicht, was ich darauf antworten soll. Ich fühle mich… ja, geschmeichelt. Mehr als das, denn mein Magen macht einen kleinen Satz, als ob ich in einer Achterbahn säße, oder schnell über eine Kuppe auf der Straße fahren würde.

„Warum hast Du den Kuss erwidert, Axel?“, fragt er mich und bringt mich damit vollkommen aus dem Konzept.

Gott, wie soll ich ihm denn eine Frage beantworten, deren (ehrliche) Antwort mir selbst noch die größte Schwierigkeit bereitet? Davon, sie einem anderen wahrheitsgemäß zu beantworten, bin ich noch meilenweit entfernt, insbesondere der Person gegenüber, die ursächlich für meine völlig durcheinander geratene Gefühlswelt verantwortlich ist.

„Ich weiß es nicht“, erwidere ich ausweichend. „Vielleicht …“, ich fuchtle einigermaßen hilflos in der Gegend herum.

„Vielleicht was?“, hakt er nach.

„Vielleicht liegt es einfach an Deiner Ausstrahlung, Sandra sagt ja auch, dass Du ein Charismatiker bist“, versuche ich zu erklären.

„Und wenn es das nicht ist?“, bohrt er weiter.

„Was soll es denn sonst sein? Ich bin nicht schwul, Manuel“, antworte ich fast schon trotzig.

„Wäre es denn wirklich so schlimm, wenn Du herausfinden würdest, dass Du es vielleicht doch sein könntest?“, fragt er sanft.

Ich blicke ihn entsetzt an. Er hat meine Ängste ziemlich genau auf den Punkt gebracht. „Ich bin nicht schwul“, beharre ich.

„Was bist Du dann? Eine Hete, die zufällig auf 'nen Kerl steht?“, schlägt er etwas ironisch vor.

„Ich stehe nicht auf Dich“, streite ich vehement ab.

„Nein, natürlich nicht“, lacht er bitter, steht auf und kommt schnellen Schrittes auf mich zu. „Dann dürftest Du hiermit ja keinerlei Probleme haben!“

Er bleibt abrupt vor mir stehen, greift nach meinen Oberarmen und zieht mich mit einem Ruck vom Sofa hoch und in seine Arme. Wen versuche ich hier eigentlich zu belügen? Ihn, oder mich? Das ist doch genau das, was ich schon die ganze Zeit wollte.

Hart presst er seinen Mund auf den meinen und es dauert nur eine Schrecksekunde lang, bis ich seiner Zunge nachgebe. Oh Gott, es fühlt sich so gut an. Unwillkürlich klammere ich mich an ihn, weil meine Knie schon wieder nachzugeben drohen.

„Und jetzt sag mir noch einmal, dass Dich das hier völlig kalt lässt“, knurrt er leise an meinen Lippen.

Das kann ich nicht, denn es wäre schlichtweg gelogen. Ich weiß es ... und er weiß es ebenso. Also halte ich einfach meine Klappe und genieße seine Nähe, seinen Geruch, seinen Geschmack.

Seine Hände sind überall. Ich fühle sie über meinen Rücken streichen, an meinen Oberarmen, wieder über den Rücken hinunter, bis zu meinem Hintern, wo sie schließlich liegen bleiben. Er lässt von meinem Mund ab und küsst sich eine Spur entlang meiner Kinnlinie bis zu meinem Ohr.

Von mir unbemerkt hat er uns umgedreht und lässt sich nun der Länge nach auf mein Sofa fallen, so dass ich, ebenfalls der Länge nach, halb auf ihm zu liegen komme. Es ist so ganz anders, einen harten, und zugegebenermaßen ziemlich durchtrainierten, Männerkörper unter sich liegen zu haben. Sofort versteife ich mich.

„Entspann Dich Axel. Ich werde erstens nicht über Dich herfallen und zweitens ohnehin nichts tun, das Du nicht auch möchtest. Vertrau mir“, flüstert er an meinem Ohr, bevor er sich wieder auf den Weg zurück zu meinen Lippen begibt.

Sein linker Arm liegt um meine Schultern, seine rechte Hand hat er auf meiner Hüfte abgelegt. Ich weiß nicht so recht, wohin mit meinen Armen, also vergrabe ich einen unter meinem eigenen Körper und den anderen lege ich zögernd über Manuels Brust. Und so liegen wir da, einfach nur aneinander gekuschelt und ich genieße seine Nähe so wahnsinnig.

Irgendwann senke ich meinen Kopf auf seine Schulter. Außer aufspringen und weglaufen ist das auch so ziemlich die einzige Möglichkeit, einer Genickstarre zu entgehen. Und mal ganz ehrlich, ersteres ist nicht mehr wirklich eine Option.

„Bin ich Dir nich su schwer?“, lalle ich schlaftrunken. Wo kommt denn diese Müdigkeit plötzlich her?

Manuel lacht leise und küsst mich liebevoll auf die Stirn. Ich vermute mal, dass es liebevoll war, denn in meinem halbwachen Zustand bekomme ich fast nur noch die Hälfte mit.

„Du Fliegengewicht wirst mir nie zu schwer werden“, meint er zärtlich und drückt mich an sich.

Nach einer gefühlten Ewigkeit: „Axel?“

„Mhm“, brumme ich. Mehr bekomme ich nicht mehr zustande, denn ich drifte bereits ab ins Land der Träume.

„Ich habe mich vom ersten Augenblick an in …“, und mehr höre ich schon gar nicht mehr, zumindest nicht bewusst, denn einmal zur Ruhe gekommen, fordern die schlaflosen Nächte unbarmherzig ihren Tribut. Die entspannte Atmosphäre gibt ihr Übriges dazu, um mich in einen tiefen Schlummer fallen zu lassen.

Geständnis



Ich erwache durch einen schnurrenden Laut. Etwas desorientiert brauche ich einige Sekunden, bis ich bemerke, dass ich selbst dieses Geräusch von mir gegeben habe. Und es dauert noch weitere Momente, bis ich erkenne, weswegen ich mich so unglaublich wohl fühle. Unablässig streichelt Manuel über die nackte Haut an meinem Rücken. Irgendwann muss sich seine Hand wohl unter mein T-Shirt verirrt haben. Und das, was er da gerade macht, gefällt mir wirklich ausgesprochen gut. Genüsslich schließe ich wieder meine Augen und kuschle mich näher an ihn. Fehlt nur, dass ich vor Entzücken anfange zu Sabbern, weit davon entfernt bin ich jedenfalls nicht mehr.

„Na Du Schlafmütze“, flüstert Manuel amüsiert und vergräbt gleichzeitig sein Gesicht in meinem Haar.

Ich bekomme eine Gänsehaut und kann mich gerade noch soweit beherrschen, um nicht erneut ein hingerissenes Seufzen auszustoßen.

„Wie spät?“, bringe ich stattdessen etwas atemlos hervor.

„Gleich halb Acht“, antwortet er und ich fühle, wie er grinst. Dieser Schuft scheint offensichtlich ganz genau zu wissen, welche Wirkung er auf mich hat.

„Ich habe tatsächlich zwei Stunden geschlafen?“, frage ich verwundert und versuche aufzustehen. Es bleibt jedoch bei dem Versuch, denn wie es aussieht hat Manuel ganz andere Pläne. Er hält mich einfach fest, was ihm auch mühelos gelingt, denn kräftemäßig habe ich gegen ihn nicht die geringste Chance. Allerdings ist es sowieso einigermaßen müßig darüber nachzudenken, denn ich habe ohnehin nicht vor, mich groß zur Wehr zu setzen.

„Weißt Du eigentlich, wie unglaublich süß Du im Schlaf aussiehst?“, raunt er an meinem Ohr und lässt seine Hände aufreizend meine Seiten hinabgleiten.

Oh ja, süß ist genau das Attribut, mit welchem ein gestandenes Mannsbild bezeichnet werden möchte.

„Hey, ich bin nicht süß“, wehre ich mich halbherzig. Erstaunlicherweise stört es mich aber gar nicht so sehr, von Manuel als süß bezeichnet zu werden und ich bin mir durchaus im Klaren darüber, dass es das eigentlich sollte.

„Wenn Du das sagst“, antwortet er grinsend und hat uns mit einem Ruck umgedreht, so dass er jetzt auf mir liegt. Respekt, hätte ich das versucht, lägen wir jetzt wahrscheinlich zusammen auf dem Parkett.

„Hast Du mir die ganze Zeit über beim Schlafen zugesehen?“, möchte ich schmunzelnd wissen.

„Das hätte ich gerne“, erwidert er schnurrend, „aber nein. Irgendwann bin ich auch eingenickt. Ich hatte es nicht so mit Schlafen in den vergangenen Tagen.“

Ich sehe ihn mit erhobenen Augenbrauen fragend an, doch er geht nicht näher darauf ein. Stattdessen stützt er sich mit beiden Händen rechts und links von meinem Kopf ab und mustert aufmerksam mein Gesicht. „Sorry, wenn ich Dich geweckt haben sollte, aber ich konnte einfach nicht meine Finger von Dir lassen“, er strahlt über das ganze Gesicht und es ist ihm deutlich anzusehen, dass es ihm nicht eine Spur leid tut.

„Ach ja?“, spotte ich, „und ich dachte Rob wäre der Grabscher.“

„Oh auch ich grabsche gerne, besonders an einen solch sexy Hintern wie den Deinen. Ich habe jedoch nicht vor, es beim Grabschen zu belassen, und es ist niemand hier, der Dich vor mir beschützt“, erwidert er mit heiserer Stimme und bevor ich überhaupt Gelegenheit habe, über seine Worte genauer nachzudenken, hat er seinen Kopf gesenkt und streicht mit seinen Lippen zart über meinen Mund. Sanft saugt er an meiner Unterlippe und meine Hände finden unwillkürlich den Weg zu seinem Rücken. Ich winkle ein Bein an und spreize es ein wenig nach außen, damit es für uns beide etwas bequemer ist.

Manuels Kuss wird zusehends fordernder. Er öffnet meine Lippen mit den seinen, stupst mit seiner Zunge gegen meine und mir entweicht ein entzücktes Stöhnen. Einmal lässt er ganz kurz von mir ab, streift mir das Shirt über den Kopf und lässt es achtlos zu Boden segeln.

Ich halte unwillkürlich die Luft an und warte ab, horche in mich hinein. Doch anstatt in Panik zu geraten, schmiege ich mich noch enger an ihn und kann es kaum erwarten, seine Hände auf meiner nackten Haut zu fühlen.

Irgendwann tasten seine Lippen aufreizend über meine Haut. Mir stockt der Atem als er sich zielstrebig über meine Brust küsst, an meinen Brustwarzen inne hält, um jede einzelne zärtlich zu liebkosen, und schließlich sein betörendes Werk in Richtung Süden fortsetzt. Auch meinen Bauchnabel lässt er nicht aus, stößt mit seiner Zungenspitze in die kleine Mulde und knabbert sanft an meiner Haut. Wow, das ist verdammt ... heiß!

Ich schnappe nach Luft, als Manuel wie zufällig mit dem Unterarm meinen Schritt berührt. Kein Wunder, dass ich nicht mehr klar denken kann... das dringend in meinem Kopf benötigte Blut hat sich längst an einer sehr viel tieferen Region gesammelt und meine Jeans bedrohlich eng werden lassen.

Als Manuel jedoch mit Lippen und Fingern am Bund meiner Hose angelangt ist und damit beginnt an meinem Reißverschluss zu nesteln, halte ich ihn energisch auf, indem ich seine Handgelenke umfasse.

„Manuel, bitte ... soweit bin ich noch nicht“, bringe ich schwer atmend hervor, „... außerdem ha-habe ich bisher noch niemals eine meiner Partnerinnen betrogen, und möchte nicht ausgerechnet jetzt damit anfangen, schon gar nicht bei Sandra.“

Ich verfluche in diesem Moment meinen Verstand, denn eigentlich möchte ich gar nicht, dass er aufhört. Ich sehne mich danach, dass er mich genau an der Stelle berührt, zu der er sich so langsam und doch zielstrebig mit Mund und Händen vorgetastet hat. Und ich wünsche mir insgeheim ihn ebenfalls zu berühren und mit meinen Lippen seinen Körper zu erkunden.

Sein Blick zeigt die gleiche Enttäuschung, die ich empfinde, er scheint jedoch nicht verärgert zu sein. „Du kannst nicht ewig vor Deinen Gefühlen davon laufen, Axel“, sagt er ruhig und gibt mir noch einen letzten Kuss, bevor er sich erhebt.

„Ich weiß“, antworte ich heiser und vermisse sofort seine Nähe, „gib mir etwas Zeit, okay? Ich muss zuerst einige Dinge klären. Nicht nur mit Sandra, auch mit mir selbst“, bitte ich ihn.

Er sieht mich eine ganze Zeit lang nur schweigend an, schließlich nickt er.

„Okay. Ich gebe Dir die Zeit, die Du brauchst, auch wenn es mir verflucht schwer fällt zu warten. Und ich habe übrigens keine Scheu zuzugeben, dass ich ziemlich scharf auf Dich bin“, bei den letzten Worten hebt er bedeutungsvoll eine Augenbraue und mein Blick heftet sich unwillkürlich auf seine Mitte. Sofern er keine Stablampe bei sich trägt, wovon ich jetzt nicht unbedingt ausgehe, sagt er durchaus die Wahrheit.

Ich hole tief Luft und muss mich zwingen meine Augen von ihm abzuwenden. Augenblicklich habe ich das dringende Bedürfnis an Ort und Stelle über ihn herzufallen und werde schlagartig wieder meiner eigenen Erregung bewusst, die stärker denn je gegen den Reißverschluss meiner Jeans pocht.

„I-ich hätte so langsam etwas Hunger“, unternehme ich den zugegebenermaßen recht erbärmlichen Versuch eines Themenwechsels, angle nach meinem T-Shirt, und ziehe es mir ungeschickt über den Kopf. Mir fällt es wirklich nicht leicht diese vollkommen neuartigen Empfindungen, die ich zu entwickeln scheine, auch nur ansatzweise zu akzeptieren.

„Mhm“, stimmt er mir gurrend zu, „worauf hättest Du denn Appetit?“, meine ich das nur, oder hört sich das wirklich zweideutig an? Falls er darauf spekulieren sollte, dass ich offen zugebe, dass sich mein Appetit momentan tatsächlich keineswegs auf die Nahrungsaufnahme bezieht, kann er warten, bis er schwarz wird.

„Magst Du Lammfleisch und Zaziki?“, antworte ich stattdessen unverfänglich.

„Ich liebe griechisches Essen. Möchtest Du Essen gehen, oder ist ein Bringdienst in der Nähe?“, will er wissen.

„Weder noch, ich habe alles da“, antworte ich und überlege kurz, ob das Fleisch für uns beide überhaupt reicht. Verwerfe diesen Gedanken jedoch sofort wieder, denn ich gehöre zu den Menschen, die grundsätzlich immer Angst davor haben, dass ihre Gäste sich irgendwann hungrig vom Tisch erheben und die nächste Filiale einer amerikanischen Fastfood-Kette ansteuern könnten. Und das nur, weil ich mich einmal verkalkuliert habe, und selbst das ist Jahre her. Dabei war das noch nicht einmal besonders tragisch. Ich weiß nicht was für ein Stück Fleisch mir der Metzger damals untergejubelt hat, aber die noch im Rohzustand zunächst stattliche Menge Rind hatte sich während des Bratens um etwa die Hälfte reduziert. Diese am Ende recht bemitleidenswerte Portion wäre sogar für zwei Personen noch zu wenig gewesen, wir jedoch waren zu viert! Zum Glück haben weder meine Eltern, noch meine Oma auch nur ein Wort darüber verloren.

„Kochen auch noch, ja?“, grinst Manuel.

Ich zucke mit den Schultern: „Ein bisschen“, erwidere ich.

„Brauchst Du Hilfe?“, bietet er an.

„Hm, wenn Du magst, kannst Du die Kräuter-Baguettes vorbereiten.“

„Wenn Du mir sagt, was ich machen muss? Meine Kochkünste sind ehrlich gesagt mehr als lausig“, gibt er offen zu und zieht eine Grimasse, „ich bin schon froh, wenn ich es schaffe, die Tiefkühlpizza nicht anbrennen zu lassen.“

„Baguette-Brötchen aufschneiden und mit Kräuterbutter bestreichen, wirst Du aber hinbekommen, oder?“, feixe ich über meine Schulter hinweg, denn ich bin bereits auf dem Weg in die Küche.

„Solange ich nicht mit Töpfen und Pfannen hantieren muss“, stimmt er in mein Lachen ein und folgt mir.

*



Das Essen ist mit Manuels Hilfe schnell zubereitet. Er bestreicht die Brötchenhälften mit Kräuterbutter, um sie anschließend im Backofen knusprig zu backen und schnippelt für den Salat Tomaten, Gurke, Paprikaschoten, Zwiebeln und Schafskäse klein. Ich kümmere mich um das Zaziki und brate die Lammfilets an, die ich schon am Vortag in Olivenöl und Kräuter der Provence eingelegt habe.

Es ist schön, ihn bei mir in der Küche zu haben. Ein Gefühl, an das ich mich wirklich gewöhnen könnte. So ganz anders, als mit Sandra, ich fühle mich ihm irgendwie … zugehörig, könnte man es fast schon nennen. Ich weiß nicht so recht, wie ich diese Empfindung sonst erklären soll und noch weniger weiß ich, ob ich überhaupt näher darüber nachdenken möchte.

„Die Oliven musst Du Dir dazu denken“, sage ich zu Manuel, als ich das Dressing über den Salat kippe, „ich mag die Dinger nicht, weder grün noch schwarz.“

„Zumindest das haben wir schon einmal gemeinsam“, antwortet er lächelnd, „es gibt nicht viel, das ich nicht esse, aber Oliven gehören definitiv dazu.“

Den Tisch decken wir gemeinsam. Das heißt, ich decke, und Manuel greift von hinten um meine Taille, während er seine Nase in meine Halsbeuge vergräbt. Zart saugt er an mir und ich bekomme eine Gänsehaut, die sich schnell über meinen ganzen Körper ausbreitet. Er kann es natürlich nicht wissen, aber dieses winzige Stück Haut, direkt am Übergang vom Nacken zur Schulter, ist so ziemlich die empfindlichste Stelle an meinem ganzen Körper - von einer ganz bestimmten Region einmal abgesehen. Ich keuche ergeben auf und drehe mich zu ihm um. Meine Arme finden völlig selbständig den Weg in seinen Nacken, während ich meine Lippen fordernd auf seine lege. Manuel ist über diesen plötzlichen Vorstoß nicht weniger überrascht als ich selbst.

„Mmh“, macht er genießerisch, „sag mir, womit ich das verdient habe, damit ich es wieder tun kann.“

Ich bleibe ihm eine Antwort schuldig. Den Teufel werde ich tun und ihn auch noch direkt darauf zu stoßen, dass meine Halsbeuge die erogene Zone schlechthin ist und mich Berührungen an dieser Stelle vollkommen irre machen. Stattdessen löse ich meine Hände von seinem Nacken und lasse sie unter sein Hemd gleiten, das ihm lose über den Hosenbund hängt. Seine nackte Haut fühlt sich einfach herrlich an. Ich habe mittlerweile den schier übermächtigen Wunsch ihn überall zu berühren. Ich schmiege mich eng an ihn, knabbere etwas an seiner Unterlippe und küsse ihn erneut, treffe auf seine erwartungsvolle, gierige Zunge, die jede meiner Bewegungen freudig begrüßt.

„Hey mein Süßer“, meint er nach einiger Zeit etwas atemlos, „versprich nichts, was Du nicht zu halten bereit bist. Ich bin schließlich auch nur ein Kerl. Und wenn Du so weitermachst, habe ich Dich ins Schlafzimmer geschleift und Dir die Klamotten vom Leib gezerrt, bevor Du auch nur Hetero sagen kannst“, ein Blick in seine tiefgründigen Augen sagt mir, dass er es bitterernst meint.

Zögernd, ja fast schon widerwillig, löse ich mich von ihm. Beschämt wende ich mich ab und bei der Farbe meines Gesichtes würde sicherlich jede Tomate vor Neid erblassen, mein Kopf glüht geradezu. Ich kann es nicht fassen, wie mein Körper auf Manuel reagiert. Das letzte Mal ist mir so etwas in meiner Pubertät passiert, als einfache Blicke das Blut bereits zum Kochen gebracht und selbst die noch so leisesten Berührungen ein wildes Chaos mit den eigenen Hormonen angerichtet haben.

Höchste Zeit sich darauf zu besinnen, dass man kein Teenager mehr ist, dass man mit den Jahren gelernt hat, Herr über den eigenen Körper zu werden, auch wenn dieser Verräter zuweilen seine ganz eigenen Pläne zu haben scheint.

„Ich … wir … das Essen wird kalt“, stammle ich.

Einige Momente schweigt Manuel, sieht mich nur an, dann sagt er: „Weißt Du eigentlich, wie wahnsinnig sexy Du bist, wenn Du Dich vor Verlegenheit windest wie ein Aal, wie gerade jetzt? Wenn ich nicht schon längst in Dich verliebt wäre, würde ich Dir spätestens jetzt hoffnungslos verfallen.“

Überrascht sehe ich nun doch auf und begegne Manuels ehrlichem Blick. Er scheint jedes Wort wirklich so zu meinen, wie er es gesagt hat. Er ist in mich verliebt? Irgendwie haut mich das gerade wirklich total um und ich muss mich setzen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich ihm darauf antworten soll und mir stellt sich unwillkürlich die Frage: was erwartet er nun von mir? Und die wesentlich wichtigere Frage: was fühle ich überhaupt für ihn? Er ist mir alles andere als gleichgültig, mir liegt sehr viel an ihm, aber vom Verliebt sein bin ich doch sicher Lichtjahre entfernt, oder nicht? Ich kann unmöglich in einem Mann verliebt sein, das ist doch absolut lächerlich.

Manuel scheint mir meine Gedanken anzusehen, denn er merkt an: „Du musst mir darauf keine Antwort geben, Axel, ich wollte Dich damit nicht erschrecken, oder gar unter Druck setzen. Aber ich bin der Meinung, dass Du es wissen solltest.“

Ich nicke, mehr bringe ich im Augenblick nicht zustande.

Manuel holt tief Luft. „So, und nun sollten wir essen, bevor doch noch alles kalt wird, ich habe nämlich wirklich Hunger!“ Wie kann er denn nur nach einem solchen Geständnis zur Tagesordnung übergehen, als ob nichts gewesen wäre?

Wir essen schweigend, zumindest ich bringe keinen Ton heraus. Das Fleisch, und auch alles andere, sind okay, eigentlich genau so, wie es sein sollte, aber irgendwie mangelt es mir gerade an Appetit. Ich bin immer noch damit beschäftigt, das zu verdauen, was Manuel mir gestanden hat. Und obwohl es mich wirklich erschreckt, muss ich auch, zumindest mir selbst gegenüber, eingestehen, dass ich mich darüber freue, sehr sogar, diesem Kribbeln nach zu urteilen, das sich von Kopf bis Fuß über meinen ganzen Körper ausbreitet.

„Das Zaziki schmeckt übrigens echt gut, fast wie beim Griechen“, reißt mich Manuel aus meinen Gedanken, streicht sich etwas von dem Zeugs auf seine knusprige Brötchenhälfte und beißt herzhaft hinein.

„Das Rezept stammt auch von einem Griechen“, antworte ich, froh über dieses unverfängliche Gesprächsthema. „Eine Cousine von mir ist mit einem Griechen verheiratet und er hat es letztendlich, als ich so lange gebettelt habe, bis ihm fast ein Ohr abgefallen ist, doch rausgerückt“, ich muss mich dazu zwingen, still zu sitzen und verfluche Manuel gleichzeitig für seine Gelassenheit, ob nun gespielt oder nicht.

„Gebettelt, ja?“, lacht er.

„Du weißt noch nicht, wie penetrant ich sein kann, wenn ich etwas unbedingt haben möchte“, erwidere ich.

„Nun, mich müsstet Du sicherlich nicht lange bitten“, feixt er.

Ich schneide demonstrativ ein Stück von meinem Fleisch ab, streiche etwas Zaziki darauf und lasse es im Mund verschwinden - und ignoriere einfach, was er eben gesagt hat.

„Ich frage mich …“, fängt er an.

„Was denn?“

„Als wir zusammen bei Sandra gesessen haben, hat sie erwähnt, dass Du eine Freundin hattest, die Dir romantische Beziehungen etwas… sagen wir mal, vermiest hat. Sagst Du mir, was passiert ist?“, erwartungsvoll sieht er mich an.

Ich verziehe mein Gesicht zu einem schiefen Grinsen, so langsam bekomme ich meine Fassung wieder.

„Wunder Punkt?“, fragt er leise.

„Nein, eigentlich nicht, beziehungsweise nicht mehr, obwohl ich ein ziemlicher Idiot war. Aber an Deine Art aus heiterem Himmel ein vollkommen anderes Thema anzufangen, muss ich mich erst noch gewöhnen“, antworte ich grinsend.

„Ich weiß, das ist manchmal anstrengend. Aber wenn ich an etwas denke, muss es einfach gleich raus“, gibt er zerknirscht zu.

„Keine Sorge, es stört mich nicht“, beruhige ich ihn schnell, „Es ist nur etwas… gewöhnungsbedürftig.“

„Was hast Du denn nun angestellt?“, will er wissen.

Ich sehe ihn kurz verständnislos an, dann fällt der Groschen. „Achso, nein… ich habe nichts angestellt, im Gegenteil, ich war blind, oder vielleicht auch einfach nur naiv“, seufze ich.

„Warum, was ist passiert?“

„Ich habe jemandem vertraut und bin damit tüchtig auf die Nase gefallen. Yvonne, so hieß sie, und ich haben uns vor… oh Himmel, das ist ja schon fünf Jahre her… naja, jedenfalls haben wir uns auf einem Seminar kennen gelernt. Wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke, dann hätte mich ihre offene Art eigentlich von Anfang an stutzig machen sollen. Sie war… zu freundlich, besonders zum männlichen Geschlecht, wenn Du verstehst, was ich meine. Wir wurden ziemlich schnell ein Paar und sind sogar nach einigen Monaten zusammen gezogen. Sie brachte eine fünfjährige Tochter mit, was mich nicht groß gestört hat, die Kleine war echt lieb, und sie ist die eigentlich Leidtragende bei dem ganzen Schlamassel. Wie auch immer, mit der Zeit wurde ich doch stutzig, denn Yvonne war immer öfter unterwegs. Caroline, ihre Tochter, und ich, verbrachten immer mehr Abende alleine zusammen. Später habe ich erfahren, dass sie sich in der ganzen Zeit mit anderen Typen getroffen hat ...“

„Bitte was?“, fragt Manuel ungläubig. „Das ist nicht Dein Ernst, oder? Sie hat Dir nicht wirklich ihr Kind aufs Auge gedrückt und ist auf die Pirsch?“

„Doch“, bestätige ich sarkastisch, „das war doch praktisch für sie. Mit mir hatte sie ja einen Babysitter rund um die Uhr. Und versorgt war sie obendrein. Mit ihrem mickrigen Gehalt hätte sie sich und die Kleine nie und nimmer durchgebracht.“

„Und was passierte, als Du das alles erfahren hast?“, fragt Manuel weiter.

„Nichts, was hätte ich denn tun sollen? Ich konnte sie schlecht von heute auf morgen vor die Tür setzen, auch wenn ich das am liebsten getan hätte. Aber was wäre dann aus Caroline geworden? Also habe ich sie noch ein paar Wochen bei mir wohnen lassen, bis sie einen anderen Dummen gefunden hatte, der sie bei sich aufnimmt“, beende ich die Schilderung.

„Hast Du sie geliebt?“

„Vor fünf Jahren dachte ich das noch, heute bin ich mir da allerdings nicht mehr so sicher. Vielleicht liebte ich das, was hätte sein können, was ich mir in meinem damaligen naiven Kopf zusammen gesponnen hatte, keine Ahnung“, ich zucke mit den Achseln und stochere lustlos in meinem Salat herum.

„Hast Du sie je wieder gesehen?“

„Nein, soweit ich weiß, ist sie in den Norden gezogen. Wir hatten nie wieder Kontakt. Auch wenn ich manchmal gerne wissen würde, was aus Caroline geworden ist.“

Manuel greift über den Tisch hinweg nach meinen Fingern und streicht mit dem Daumen sanft über meinen Handrücken. Er sieht mir dabei tief in die Augen und schon wieder habe ich dieses Gefühl, als ob das hier genau so sein muss, es fühlt sich so … ja, richtig an.

„Ich verstehe langsam, warum Du mit Sandra zusammen bist und ihr genau diese, doch sehr ungewöhnliche Beziehung führt“, er lässt mich nicht aus den Augen und fährt dann leise fort: „und Du musst mit ihr reden, und zwar bald.“

Ich nicke und beiße mir dabei leicht auf die Unterlippe. „Ich weiß“, antworte ich seufzend. Und dabei habe ich nicht die geringste Ahnung, was ich Sandra überhaupt erzählen soll. Was ist das zwischen Manuel und mir?

*



Rezept für Axels Zaziki:



Zutaten für ein kleineres Grillfest: ;-)

1 Becher Speisequark
1 Becher Frischkäse mit Doppelrahmstufe (z. B. Philadelphia, Buco, oder Ähnliches)
1/3–½ Salatgurke (je nach Größe)
2-4 Knoblauchzehen (je nach Geschmack)
1 EL mildes Olivenöl
Einige Zweige frischer Dill
Salz

Salatgurke schälen und fein raspeln. Überschüssigen Gurkensaft ableeren, da das Zaziki sonst etwas zu flüssig werden könnte. Knoblauchzehen schälen und mit einer Knochlauchpresse zu der Gurke geben. Beides kurz vermischen. Frischkäse, Quark, Olivenöl und etwas Salz gut mit der Gurkenmasse vermischen. Zum Schluss den zuvor geputzten und geschnittenen Dill dazu geben, umrühren, fertig!

Es passt zwar besonders gut zu Lammfleisch, aber man kann es auch zu allem anderen Kurzgebratenen essen. Zu Folienkartoffeln passt es übrigens auch sehr gut. ;-)


Badewannengeflüster



Mit einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch stehe ich vor Sandras Wohnungstür. Ich bücke mich und nehme den Schlüssel unter dem großen Terrakotta-Kübel hervor, der neben der Eingangstür steht und mit irgendwelchem nett aussehenden Gestrüpp bestückt ist. Ich schließe auf und lege den Schlüssel widerwillig wieder zurück unter den Blumentopf. Ich empfinde es als reichlich fahrlässig, einen Ersatzschlüssel an einer solch leicht zugänglichen Stelle zu deponieren. Hollywood dürfte mittlerweile jedem Kind recht eindrucksvoll bewiesen haben, wie sicher derartige Verstecke wirklich sind.

„Sandra?“, rufe ich, nachdem ich sie weder im Wohnzimmer, noch in der Küche finde.

„Badezimmer“, schreit sie zurück und im gleichen Moment höre ich auch schon Wasser plätschern.

Ich mache einen Umweg über die Küche, nehme ein bauchiges Weinglas aus dem Schrank und befülle es bis zur Hälfte mit Rotwein. Mit meiner Beute in der Hand steuere ich das Badezimmer an und trotz meines angespannten Inneren, stiehlt sich ein Lächeln auf meine Lippen, als ich Sandra, bis zum Kinn im Schaumbad vorfinde.

„Hallo Kleines“, sage ich, drücke ihr einen Kuss auf die Stirn und ziehe die Wäschetruhe so an den Badewannenrand heran, damit ich einigermaßen bequem sitzen und Sandra dabei ansehen kann.

„Na Großer?“, grinst sie mich an und wirft einen erfreuten Blick auf das Glas in meiner Hand.

Ich reiche es ihr, sie nippt einmal kurz daran und gibt es mir schließlich wieder zurück.

„Wie war Dein Tag?“, möchte sie wissen.

Ich nehme nun selbst einen kräftigen Schluck und zucke mit den Schultern. „Ganz okay, das Gröbste ist geschafft, das Netzwerk ist umgestellt und alles läuft wieder“, antworte ich, „und bei Dir?“

„Ich kann nicht klagen“, erwidert sie und mustert mich eine ganz Zeit lang. „Was ist zur Zeit mit Dir los, Axel?“, fragt sie irgendwann geradeheraus.

Ich reiche ihr erneut das Weinglas und habe keine Ahnung, wo ich beginnen soll - geschweige denn, was ich überhaupt erzählen soll. Gibt es überhaupt etwas zu erzählen? Was ist das, was Manuel und mich verbindet? Wenn ich es selbst doch nicht weiß, wie soll ich es dann einem anderen Menschen erklären? Und was würde es, was immer es auch sein möge, für die Beziehung zwischen Sandra und mir bedeuten? Oder für die zwischen Sandra und Manuel?

„Was meinst Du?“, frage ich ausweichend und weiß noch im gleichen Moment, dass ich einen Fehler gemacht habe. Sandra hasst ein derartiges Rumgeeiere.

„Lass den Unsinn, Axel“, kommt es auch sofort etwas verärgert. „Ich bin nicht blöd. Du kannst mir nicht weismachen, dass alles okay ist, dafür kenne ich Dich zu gut“, ergänzt sie und gibt mir das Glas zurück.

Ich blicke in die rubinrote Flüssigkeit, als ob alle Antworten auf meine Fragen darin lägen. Tun sie natürlich nicht. Ich hole tief Luft und atme seufzend wieder aus.

„Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, ich weiß ja noch nicht einmal, was ich überhaupt sagen soll“, erwidere ich hilflos.

„Hmm, ich hätte da eine Theorie. Sie ist zwar ziemlich gewagt, aber ich halte sie nicht für völlig unmöglich“, meint sie. „Ich denke… es hat mit Manuel zu tun.“

Ich blicke sie mit einer Mischung aus Entsetzen und Ungläubigkeit an. Wie zum Geier kann sie das denn wissen? Mir schießen im Moment 1000 Gedanken gleichzeitig durch den Kopf und mein Hirn ist damit hoffnungslos überfordert.

Ich mache den Mund auf, schließe ihn jedoch wieder, ohne dass auch nur ein Ton herauskommt.

„Deiner Sprachlosigkeit nach zu urteilen, würde ich sagen: Treffer und versenkt, oder?“, entgegnet sie liebevoll und lächelt mir aufmunternd zu. „Ist da etwas zwischen Manuel und Dir?“

Ich nicke nur und überlege krampfhaft, wie ich aus diesem Traum wieder erwache, denn es kann sich eigentlich nur um einen Traum handeln. Sandra mag ja vielleicht intuitiv sein, aber das hier grenzt schlicht und ergreifend an Hellseherei. „Ja“, sage ich schließlich, „das heißt nein, ach ich weiß doch auch nicht“, hilflos lasse ich Kopf und Schultern hängen.

„Das macht Dir ganz schön Angst, was?“

Angst ist nicht unbedingt das Wort, das ich hier vergeben würde. Angst ist das Gefühl, das ich als Junge hatte, wenn ich zu spät nach Hause gekommen bin. Das hier ist etwas völlig anderes. Ich schiebe Panik, weil mein Weltbild gehörig ins Schwanken geraten ist. Dennoch frage ich mich, woher sie überhaupt von meinen... Dilemma weiß. „Hast Du kürzlich mit Manuel gesprochen?“, frage ich deshalb misstrauisch.

„Ja“, gibt sie zu, „allerdings schon vor ein paar Tagen.“

„Was hat er Dir erzählt?“ Manuel hätte mir doch bestimmt gesagt, wenn er mit Sandra schon über uns (oh Himmel, es gibt bereits ein uns?) gesprochen hätte, oder? Ich mag eigentlich nicht glauben, dass er mich diesbezüglich so hintergangen haben könnte.

„Nichts, keinen Ton“, meint sie, „er ist ebenso zugeknöpft wie Du. Ihr hättet wissen müssen, was diese Geheimniskrämerei bei jemandem anrichten würde, der so neugierig ist wie ich. Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht. Zwei Kerle, einer davon schwul, verbringen einen Abend alleine zusammen. Manuel, sonst erklärte Quasselstrippe, hat offensichtlich seine Zunge verloren. Er verliert kein Wort über diesen Donnerstag. Der andere Kerl - zufälligerweise mein Freund - antwortet ebenfalls nur ausweichend. PC tut wieder und gut. Zudem habe ich gemerkt, dass Dich etwas sehr beschäftigt. Du denkst doch nicht wirklich, dass ich diesen Nonsens geglaubt habe, den Du mir letzte Woche aufgetischt hast? Stress in der Firma ist Dir bisher noch nie auf die Libido geschlagen. Ich musste im Grunde nur eins und eins zusammenzählen, und bin auf das richtige Ergebnis gekommen, habe ich recht?“

Ich traue mich kaum sie anzuschauen, doch ihr Blick ist weder verärgert, noch enttäuscht. Sie wirkt eher ... verständnisvoll.

Ich nicke langsam und schließe meine Augen. „Ich weiß nicht, was es ist“, beginne ich stockend, „wenn er mich ansieht, oder berührt …“, hilflos fahre ich mit den Händen über mein Gesicht. „Ich weiß einfach nicht, wie ich diese Gefühle beschreiben soll.“

„Vielleicht …“, meint Sandra vorsichtig, „bist Du verliebt?“

„Quatsch“, erwidere ich vehement und ziehe meine Augenbrauen zusammen, „Manuel ist ein Kerl, ich bin nicht schwul!“

„Das habe ich auch nicht behauptet“, antwortet sie sanft, dann: „Erzählst Du mir, was passiert ist?“

„Eigentlich ist gar nichts passiert. Ich habe seinen Rechner wieder in Ordnung gebracht und dann … hat er mich geküsst“, sage ich leise.

„Und wie hast Du darauf reagiert?“, will sie wissen.

Ich atme hörbar aus, bevor ich fast flüsternd antworte: „Ich habe den Kuss erwidert.“

„Warum, Axel?“ Ich blicke in ihre rehbraunen Augen, doch es sind keine Anzeichen von Wut oder Enttäuschung darin zu sehen. Im Gegenteil, sie lächelt sogar etwas.

Ich springe auf und einige Spritzer des Weins verteilen sich auf meiner Hose. „Scheiße … ich weiß es doch selbst nicht“, sage ich ziemlich verzweifelt.

„Und … wie ging es dann weiter?“, fährt sie fort.

„Ich bin abgehauen“, seufze ich.

Wieder blickt sie mich lange an, bevor sie weiterspricht. „War das alles?“

Ich schüttle den Kopf und presse meine Lippen aufeinander.

„Okay, bist Du so lieb und gießt mir das Glas noch mal voll? Ich steige nur schnell aus der Wanne und komme dann zu Dir, ja?“

Ich nicke und verlasse das Badezimmer. Ich bin sogar so geistesgegenwärtig, den Wäschekorb vorher wieder zurück an seinen Platz zu stellen. In der Küche unten angekommen, gieße ich mit zitternden Händen den Wein nach und hole für mich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Ich trage beides ins Wohnzimmer und lasse mich mental erschöpft auf das Sofa fallen. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder heulen soll. Bin ich wirklich so leicht durchschaubar? Habe ich mich tatsächlich so auffällig verhalten, dass es für jemanden, der mich einigermaßen gut kennt, so offensichtlich ist, was mit mir los ist? Was habe ich noch unbewusst verraten, oder viel wichtiger: was gibt es noch alles zu verraten?

Ich lehne mich seufzend im Sofa zurück und schließe die Augen. Ich möchte einfach nicht mehr an Manuel denken, tue es aber dennoch unentwegt. Ich vermisse ihn, obwohl es keine 24 Stunden her ist, seit er meine Wohnung verlassen hat. Ich sehne mich nach seinen Küssen, seinen Berührungen, es ist einfach zum Verrückt werden! Er war gestern noch keine 5 Sekunden zur Tür raus, da vermisste ich ihn schon. Am liebsten wäre ich ihm hinterher gelaufen und hätte ihn wieder zurück in meine Wohnung gezerrt. Kann es vielleicht doch sein, dass ich mich in ihn verliebt habe? Nein, das ist total absurd!

Ich schrecke hoch, als Sandra mich sanft an der Schulter berührt.

„Entschuldige, ich wollte Dich nicht erschrecken“, meint sie leise und fährt mit einer Hand durch mein Haar.

Ich winke ab. „Nichts passiert.“

Wieder blickt sie mich nur an. Mir wird immer unbehaglicher, vor allem im Anbetracht dessen, dass sie sich schon soviel zusammen gereimt hat. Mir kommt es fast so vor, als ob mich ihre Blicke wie Röntgenstrahlen durchdringen und ich rutsche etwas nervös von einer Pobacke auf die andere. Nur, damit ich irgendetwas zu tun habe, greife ich nach meinem Bier und nehme einen Schluck. Überhaupt ist mir im Moment danach, mich sinnlos zu betrinken, vielleicht bin ich dann genug benebelt, um diesen Kerl wenigsten für ein paar Stunden aus meinem Kopf zu vertreiben.

„Wie ging es weiter? Ich vermute, dass ihr euch danach noch einmal gesehen habt, oder irre ich mich?“, unterbricht sie die Stille.

Ich zucke mit den Schultern und schüttle den Kopf. Ich weiß nicht, ob ich ihr das wirklich sagen kann. Ich kann ihr doch unmöglich erzählen, dass Manuel und ich kurz davor standen, Körperflüssigkeiten auszutauschen und ich gerade noch rechtzeitig die Notbremse gezogen habe.

„Ich bin ihm zwei Wochen lang aus dem Weg gegangen. Ich wollte diesen Kuss einfach vergessen, ich wollte ihn vergessen“, erkläre ich matt.

„Hat nicht funktioniert, was?“, erwidert Sandra sanft.

Ich schüttle seufzend den Kopf. „Nein, das hat es nicht. Irgendwie hatte ich die Hoffnung, dass ich das Ganze einfach totschweigen könnte, dass es von alleine vorbei gehen würde, wenn ich es mir nur fest genug wünsche. Es ging nicht vorbei, im Gegenteil, je mehr ich versucht habe ihn aus meinen Gedanken zu vertreiben, um so mehr habe ich ihn vermisst. Also habe ich ihn gestern angerufen und eine halbe Stunde später stand er vor meiner Tür.“

„Sieht nicht so aus, als hätte Dich die Aussprache einer Lösung wesentlich näher gebracht“, meint sie mitfühlend.

Ich lache bitter auf. „Ja und nein“, antworte ich. „Wir haben uns wieder geküsst, und ich war nicht in der Lage dazu, mich zu wehren – ich habe noch nicht einmal daran gedacht, mich zu wehren.“

Ich grabe meine Hände in mein Haar und lasse mutlos den Kopf hängen. „Was soll ich denn nur tun?“, frage ich verzweifelt. „Ich bin doch nicht schwul, aber trotzdem ... fühle ich mich so ... so ... zu ihm hingezogen. Ich genieße es in seiner Nähe zu sein. Wenn ich die Augen schließe, fühle ich seine Lippen auf den meinen und wünschte, er wäre bei mir.“

Sandra streicht mir über den Rücken, beruhigend, fast so, als ob sie einen aufgebrachten Hund besänftigen würde.

„Habt ihr ...“, beginnt sie vorsichtig.

„Was?“, frage ich und brauche einige Augenblicke, bevor ich verstehe, was sie meint. „Nein!“ antworte ich entschieden.

„Aber … Du könntest es Dir vorstellen?“

Himmel, was stellt sie mir denn für Fragen?

„Ich möchte noch nicht einmal darüber nachdenken“, antworte ich heiser.

„Und Manuel?“

„Was ist mit ihm?“ Manuel hat ja wohl keine Zweifel daran gelassen, was er will, das kann ich ihr aber schlecht auf die Nase binden, oder?

„Wie sieht er diese ... Geschichte mit euch?“

Ich hole tief Luft. „Er sagte mir … dass er sich in mich verliebt hätte“, Sandra nickt nur stumm. Allzu überrascht scheint sie nicht zu sein. „Vielleicht hat er es ja auch gar nicht Ernst gemeint“, versuche ich zu verharmlosen.

„Du kannst davon ausgehen, dass Manuel es genauso meint, wie er es gesagt hat, insbesondere, wenn es um seine Gefühle geht. Er ist nicht der Mensch, der lange um den heißen Brei herumredet. Wenn er sagt, dass er sich in Dich verliebt hat, dann ist das auch so“, antwortet sie leise.

„Das meinst Du wirklich ernst, oder?“, frage ich vorsichtig.

Sie nickt. „Ja, ich kenne Manuel seit vielen Jahren. Ich habe ihn himmelhoch jauchzend, aber auch schon total niedergeschlagen erlebt. Er ist ein Gefühlsmensch, wenn er liebt, dann liebt er mit allem, was er hat. Und genau so leidet er auch. Und deswegen habe ich eine Bitte an Dich, Axel.“

Ich sehe sie erwartungsvoll an.

„So wie ich das sehe, bist Du noch meilenweit davon entfernt, Deine Gefühle für ihn – und ja, ich glaube Du hast tatsächlich welche – einzugestehen“, sagt sie nachdrücklich.

Ich starre sie nur an. Was soll ich darauf auch groß antworten?

„Ihr beide seid meine engsten Freunde, ihr bedeutet mir beide sehr viel, und wenn es mit euch klappt, habt ihr wirklich meinen Segen… aber bitte, tu ihm nicht weh. Er wird leiden wie ein Hund. Wenn Du Dir unsicher bist, dann mach ihm bitte … bitte keine falschen Hoffnungen.“

„Und wie soll ich mich ihm gegenüber nun verhalten?“, will ich tonlos wissen, stütze die Ellbogen auf meine Knie ab und vergrabe zum wiederholten Mal beide Hände in meinem Haar. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich tun soll, sofern ich überhaupt eine Wahl habe, und mein Körper nicht im Alleingang irgendwelchen Unsinn anstellt.

„Finde erst einmal heraus, was Du wirklich willst. Und wenn Du es weißt, rede mit ihm“, schlägt sie vor.

Aus ihrem Mund hört sich das wirklich ziemlich einfach an, aber was ist, wenn Körper und Verstand eine unterschiedliche Sprache sprechen? Was ist, wenn mein Körper durchaus will, aber mein Kopf eindeutig nein sagt?

Ich teile ihr meine Überlegungen mit.

„Du lässt eine dritte Partei völlig außer Acht, Süßer. Was sagt Dein Herz dazu?“

*



Sandras Worte hallen immer noch nach, als ich längst ihre Wohnung verlassen und die Stufen zu meiner eigenen Wohnung erklommen habe. Was sagt mein Herz, außer dass es in einen gestreckten Galopp verfällt, sobald ich Manuel sehe oder er mich berührt? Wie soll ich dieses Flattern erklären, das mich jedes mal überkommt, wenn ich auch nur an ihn denke?

Ich krame meinen Schlüssel aus der Hosentasche und stecke ihn ins Schloss, als ich Manuels Stimme hinter mir vernehme.

„Hey.“

Ich wirble erschreckt herum. Und da sitzt er, auf einer der Stufen zum nächsten Stockwerk.

„Hey“, antworte ich immer noch etwas atemlos. „Was tust Du denn hier?“

„Ich warte auf Dich“, antwortet er amüsiert. Auf wen soll er auch sonst warten? Auf den heiligen Geist sicher nicht.

„Was Du nicht sagst“, grinse ich. „Komm rein“, fordere ich ihn auf.

Er lässt sich nicht zweimal bitten, springt auf und folgt mir in meine Wohnung. Kaum hat er die Tür hinter uns geschlossen, zieht er mich auch schon in eine innige Umarmung.

„Ich habe Dich furchtbar vermisst“, raunt er an meinem Ohr und küsst sich eine Spur zu meinem Mund.

Ich habe ihn auch vermisst, und wie! Allerdings halte ich es für keine gute Idee, ihm das auch zu sagen, stattdessen frage ich zwischen zwei Küssen: „Wartest Du schon lange?“

„Vielleicht 10 Minuten“, antwortet er, ohne seine Lippen von mir zu lösen.

Er nimmt mein Gesicht in beide Hände und verteilt federleichte Küsse auf Stirn, Nase, Wangen, Kinn, bis er sich wieder meinem Mund widmet. Sanft saugt er an meiner Unterlippe und bahnt sich anschließend mit seiner Zunge einen Weg zwischen meinen Lippen hindurch. Ein leises Seufzen entrinnt meiner Kehle, als sich unsere Zungen treffen und sich liebevoll umkreisen. Unser stetes gegenseitiges Necken geht bald in einen leidenschaftlichen Tanz über und unser beider Atem geht stockend, als wir uns schließlich recht widerwillig voneinander lösen.

„Musstest Du länger arbeiten?“, möchte er wissen. Er vergräbt sein Gesicht in meiner Halsbeuge und saugt leicht an meiner Haut. Oh er dürfte mittlerweile sehr genau wissen, dass mich das total verrückt macht!

„War bei Sandra“, antworte ich ziemlich abgelenkt.

„Du hast es ihr gesagt?“, augenblicklich lässt er von mir ab und sieht mir in die Augen.

Ich nicke, immer noch leicht benommen.

„Und?“, er sieht mich fragend an.

Ich gebe in kurzen Worten das Gespräch wieder, lasse aber einige Stellen wohlweislich aus.

„Ich habe ehrlich gesagt nichts anderes erwartet, nicht nachdem ich weiß, wie eure Beziehung funktioniert“, meint er und ich nicke zustimmend.

„Somit wäre ein Punkt geklärt. Was macht Punkt zwei, Dein Kampf mit Dir selbst?“, fragt er vorsichtig.

„Ich fürchte, der ist nicht so schnell beigelegt“, antworte ich ehrlich.

Er nickt und sieht zu Boden, dennoch entgeht mir nicht der Schatten, der für einen kurzen Moment über sein Gesicht huscht.

„Nunja“, seufzt er, „auch damit habe ich gerechnet“, und nach einer kurzen Pause: „möchtest Du, dass ich gehe?“ Die letzten Worte kommen fast geflüstert.

Ich schüttle langsam den Kopf und lasse ihn dabei nicht aus den Augen. Nein, ich möchte nicht, dass er geht. Ich möchte heute einfach nicht diese Einsamkeit ertragen müssen, die mich unweigerlich überkommen würde, wenn er jetzt ginge. Ich weiß, dass das egoistisch und entgegen allem ist, was ich Sandra vor nicht mehr als einer halben Stunde versprochen habe. Aber ich kann einfach nicht anders. Zu viel ist bereits geschehen und viel zu tief sind mittlerweile meine Gefühle für ihn. Längst schon bin ich außer Stande ihn von mir zu stoßen. Ich möchte ihm nahe sein – auf fast jede erdenkliche Art und Weise.

Donnergrollen



Wir sitzen aneinander gekuschelt auf meinem Sofa. Das heißt, Manuel sitzt, und ich liege halb auf seinem Schoß. Und ich genieße es in vollen Zügen. Selbst wenn mein Leben davon abhinge, wäre ich nicht in der Lage von ihm abzurücken, wohl wissend, dass er heute meine Wohnung höchstwahrscheinlich nicht mehr verlassen, und es kaum bei dieser harmlosen Knutscherei bleiben wird. Oh Himmel, bin ich wirklich schon soweit, unsere Küsse als harmlos zu bezeichnen? Okay, im Vergleich zu dem, was mir sonst so im Kopf herum geistert, kann man die Küsse wohl tatsächlich harmlos nennen.

Ich schließe genüsslich die Augen und gebe mich ganz seinen Berührungen hin. Längst hat seine Hand einen Weg unter mein T-Shirt gefunden, streichelt zärtlich über meine Seite und wandert schließlich weiter zu meinem Bauch. Und ich will mehr – viel mehr. Ich dränge mich seinen Zärtlichkeiten entgegen, lege eine Hand in seinen Nacken und ziehe seinen Kopf zu mir heran. Ich liebe es, ihn zu küssen. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, aber das leichte Kratzen seines unrasierten Kinns macht mich wirklich ziemlich an. Spielerisch lasse ich meine Zunge über seine Lippen gleiten, und ich spüre, wie diese sich zu einem Grinsen verziehen.

„Hey, was hast Du denn vor?“, ist sein amüsierter Kommentar.

Ich kichere nur leise, was sich allerdings eher nach einem Grunzen, bestenfalls einem Glucksen anhört, und presse meine Lippen noch fester auf die seinen. Bereitwillig öffnet er sie und lässt meine drängende Zunge ein.

Im nächsten Moment liege ich auch schon auf meinen Rücken und er zur Hälfte auf mir. Und nicht zum ersten Mal beglückwünsche ich mich zum Kauf meines breiten Sofas, auf dem wir sogar nebeneinander noch einigermaßen bequem Platz haben. Er lässt von meinem Mund ab und nähert sich wieder dieser einen, sehr empfindlichen Stelle in meiner Halsbeuge. Nicht einmal Sandra hat die Stelle in all den Monaten gefunden. Es ist wirklich unglaublich, mit welcher Treffsicherheit Manuel diese Zone in dieser kurzen Zeit ausfindig machen konnte.

Er beginnt zu Knabbern, Saugen, Lecken und ein heiseres Stöhnen entweicht meiner Kehle.

Er lacht leise und rückt einige Zentimeter von mir ab. „Kann es sein, dass dir das gefällt?“

„Mhm“, schnurre ich. Als ob das nicht offensichtlich wäre.

„Ja, das ist mir auch schon aufgefallen“, kichert er. Achwas? Er nutzt es ja auch überhaupt nicht aus, dass ich unter seinen Lippen dahinschmelze wie Eiscreme in der Sonne.

„Tatsächlich? Wäre mir nicht aufgefallen“, spotte ich und ziehe ihn wieder zu mir heran.

Nach wenigen Sekunden ungeschickter Fummelei, hat er es endlich geschafft, mir das T-Shirt über den Kopf zu ziehen und achtlos zu Boden zu werfen. Wie schon zwei Tage zuvor, arbeitet er sich meinen Körper entlang Richtung Süden, und dieses Mal werde ich ihn garantiert nicht aufhalten. Ich stelle das Denken ein und genieße keuchend die Dinge, die Manuel mit Zunge, Lippen und Händen anstellt. Ausgiebig widmet er sich meinem Bauchnabel, bevor er mit leicht zitternden Fingern erst den Knopf, dann den Reißverschluss meiner Hose öffnet. Ich stöhne verhalten, als er seine Hand unter meine Pants schiebt und mich umschließt. Ich habe jetzt schon die größten Probleme meine Beherrschung nicht zu verlieren. Als Manuel jedoch seine Zunge und seine Lippen zu Hilfe nimmt, habe ich kaum mehr eine andere Wahl, als ihm Einhalt zu gebieten, sofern ich nicht möchte, dass gleich etwas furchtbar Peinliches geschieht und alles vorbei ist, bevor es überhaupt richtig begonnen hat. Und so ziehe ich ihn energisch an seinem Hemdkragen nach oben, auch wenn mir seine Behandlung verflucht gut gefallen hat.

„Vorsicht“, flüstere ich bebend an seinen Lippen und ich fühle, wie er lächelt.

Obwohl meine Hände zittern wie Espenlaub, bringe ich es erstaunlich rasch fertig, die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen. In rekordverdächtiger Geschwindigkeit gesellt es sich zu meinem T-Shirt auf dem Fußboden.

Ich sehe Manuel das erste Mal nackt, zumindest teilweise, und ich bin … beeindruckt. Nein, das trifft es noch nicht einmal annähernd, ich bin überwältigt. Ich hatte nie zuvor wirklich erkannt, wie schön ein Mann sein kann. Und Manuel ist schön, definitiv! Er ist muskulös, aber nicht von der Sorte Muskelprotz, bei denen man Angst haben muss, dass bei jedem Schritt die Steroide aus den Poren quellen, sondern er ist einfach ... perfekt. Fast schon ehrfürchtig, fahre ich mit beiden Händen über seinen beachtlichen Brustkorb, gleite weiter zu seinen Schultern und zeichne mit einem Finger das Tatoo nach, das sich wie eine Borte um seinen linken Oberarm schlingt. Ich hauche einen Kuss auf sein Schlüsselbein und streiche gleichzeitig mit meinen Händen seinen Rücken hinab. Sekunden später schlüpfen meine Finger unter den Bund seiner Hose und kneten leicht das feste Fleisch seiner Pobacken. Mutig gleiten sie weiter in Richtung seiner Vorderseite und machen an den Hüften Halt. Manuel hebt sein Becken etwas an und mehr Aufforderung seinerseits bedarf es nicht. Etwas fahrig nestle ich am Knopf seiner Hose herum. Der Reißverschluss leistet zunächst ebenfalls Widerstand, was jedoch daran liegen könnte, dass unsere bisherige Fummelei Manuel nicht gerade kalt gelassen hat.

Er holt zischend Luft, als ich ihn schließlich das erste Mal berühre. Er fühlt sich erstaunlich gut an. Irgendwie völlig fremd, aber gleichzeitig auch so vertraut. Ich schlinge meine Finger um ihn und reibe sanft mit dem Daumen über seine Spitze. Rein instinktiv mache ich einfach genau das, was mir auch gefallen würde und scheine damit gar nicht so daneben zu liegen, dem entzückten Laut nach zu schließen, der aus seiner Kehle dringt.

„Lass uns in Dein Bett gehen. Das Sofa ist zwar durchaus bequem, aber …“, seine Stimme zittert vor unterdrücktem Verlangen.

Ich nicke. Mehr bringe ich ohnehin nicht zustande. Ich bin schon froh, wenn ich die kurze Distanz zwischen Sofa und Bett überbrücken kann, ohne dass die Beine unter mir nachgeben, die sich scheinbar in Gummi verwandelt haben.

Irgendwann erreichen wir tatsächlich das Schlafzimmer. Der größte Teil unserer Kleidungsstücke haben wir irgendwie schon auf dem Weg dorthin verloren, so dass wir schließlich nur noch spärlich bekleidet vor meinem Bett stehen. Die letzten Hüllen fallen binnen Sekunden und wir machen nahtlos an der Stelle weiter, an der wir im Wohnzimmer aufgehört haben.

Ganz kurz meldet sich noch einmal mein Verstand zu Wort. „Manuel, ich … ich kann nicht mit Dir schlafen, noch nicht“, bringe ich keuchend hervor.

„Hey, als ich sagte, dass ich nichts tun werde, was Du nicht auch willst, war das nicht einfach so daher gesagt“, er sieht mich lange ernst an, dann ändert sich seine Miene zu einem bedeutungsvollen Grinsen. „Außerdem gibt es ja noch andere Arten, wie man … Spaß zusammen haben kann.“

Und damit hat er wirklich verdammt Recht!

*



An den darauf folgenden Tagen, sehen wir uns sooft es nur geht und es vor allem Manuels Arbeitszeiten zulassen. Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell man sich an einen Menschen gewöhnen kann. Er beeinflusst bereits nach dieser kurzen Zeit nachhaltig meinen Tagesablauf. Mein Kühlschrank ist gefüllt mit Dingen die er mag, neben meiner eigenen Zahnbürste, steckt nun auch Manuels im Becher, nur für den Fall, dass er bei mir übernachten sollte, was durchaus häufiger vorkommt. Es fehlt im Grunde nur noch eines, damit wir ein Paar wären. Okay, eigentlich sind es zwei Dinge, denn wir hatten auch noch keinen Sex, zumindest nicht so richtig, so mit ... ach ihr wisst sicher, was ich meine. Aber davon rede ich auch gar nicht. Ich meine dieses klassische L-Wort, das mir einfach nicht über die Lippen kommen mag, genau da stoße ich an meine Grenzen. Mein Hirn verweigert standhaft die Zusammenarbeit, wenn ich auch nur daran denke. Ja, ich empfinde etwas für ihn, das kann selbst ich mittlerweile nicht mehr leugnen, ob ich ihn jedoch auch tatsächlich liebe, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Zumal da ja immer noch diese leidige Hetero-Homo-Frage im Raum steht. Und mal ganz ehrlich: darüber möchte ich derzeit am allerwenigsten nachdenken. Ich bin noch immer voll und ganz damit beschäftigt, das zu akzeptieren, was ich hier so treibe, und vor allem, welche Gefühle es in mir auslöst. Da kann und will ich einfach nicht noch darüber nachdenken müssen, ob mich das zu einem Schwulen macht.

Fasziniert sehe ich Manuel über den Esstisch hinweg zu, wie er eines der unzähligen Stücke Kuchen, die Dank ihm nach und nach aus meiner Tiefkühltruhe verschwinden, in sich hinein schaufelt. Sein Haar glänzt noch nass, weil er vor wenigen Minuten noch unter der Dusche stand und ich muss mich zurückhalten, um nicht die Hand auszustrecken und ihm eine dieser widerspenstigen Strähnen aus dem Gesicht zu streichen. Mein Blick heftet sich auf seine Lippen, mit denen er mittlerweile wohl jeden Zentimeter meines Körpers erkundet hat. Ich reiße mich sowohl von seinem Anblick, als auch von meinen Gedanken los, sonst würde meine Dusche gleich verflucht kalt ausfallen müssen.

„Was?“, grinst er. Ihm ist meine intensive Musterung natürlich nicht entgangen.

„Ich habe nur darüber nachgedacht auch schnell unter die Dusche zu hüpfen“, antworte ich ausweichend.

„Ach?“, meint er spöttisch. Er glaubt mir kein Wort ... würde ich an seiner Stelle auch nicht.

„Ja, und das werde ich jetzt auch tun, sonst gibt es dieses Wochenende nämlich nichts zu Essen“, antworte ich gespielt ernst. Seit Manuel öfter bei mir ist, leidet mein Kühlschrank an einer Art Dauerschwindsucht. Es ist unglaublich, was dieser Kerl für einen Appetit hat. Übrigens nicht nur in Bezug auf die Nahrungsaufnahme.

„Und wenn Du mich noch länger so anschaust, werden wir wohl tatsächlich hungern müssen“, seine Augenbrauen zucken bedeutungsvoll nach oben und ich springe auf, bevor er wahr machen kann, was seine Augen so verheißungsvoll versprechen.

Ich bin schon halb auf dem Weg zur Tür, als sich zwei starke Arme von hinten um meinen Bauch schlingen. „Hast Du nicht etwas vergessen?“

Lächelnd lege ich meine Hände auf die seinen. „Was denn?“

„Du wirst mich doch nicht einfach ohne Kuss hier zurücklassen wollen, oder?“

Nun gut, der Kuss verzögert unsere Einkaufspläne geringfügig, aber schlussendlich stehe ich dann doch im Badezimmer und drehe den Wasserhahn auf. Doch bevor ich einen Fuß in die Duschkabine setzen kann, klingelt das Telefon.

„Gehst Du bitte ran? Ich rufe zurück“, schreie ich durch die Tür und in der nächsten Sekunde prasselt das zugegeben nun doch recht kalte Wasser über meinen erhitzten Körper.

Ich beeile mich, und so stehe ich keine 10 Minuten später ausgehfertig wieder in meiner Küche. Manuel hat in der Zwischenzeit die Spuren unseres Frühstücks beseitigt. Wie es ausschaut, hat er seinen Ordnungssinn auf meine Wohnung übertragen. Das ist ebenfalls etwas, an das ich mich erst gewöhnen muss. Seit meiner Kindheit hat niemand mehr hinter mir her geräumt.

„War es was Wichtiges am Telefon vorhin?“, frage ich.

„Keine Ahnung, ob es wichtig war, es war Deine Mutter. Sie meinte, Du mögest sie bitte zurückrufen.“

„Meine Mutter?“, stöhne ich, die hat mir gerade noch gefehlt.

Ich angle nach dem Telefon. Sie scheint auf meinen Rückruf gewartet zu haben, denn sie nimmt bereits nach dem zweiten Klingeln ab.

„Hallo Mama, Axel hier“, sage ich.

„Guten Morgen Axel. Wer war denn der junge Mann vorhin am Telefon?“, will sie sogleich wissen.

„Das… das war ein Arbeitskollege“, lüge ich und ich fühle förmlich Manuels missbilligenden Blick auf mir.

„Gehst Du immer duschen, wenn Deine Kollegen Dich besuchen?“, ich komme mir vor, wie bei einem Verhör. Dass Manuel mir gegenüber steht und jedes Wort mitbekommt, macht die Situation auch nicht gerade einfacher.

„Er hat Stress zu Hause und brauchte einen Platz zum Schlafen“, ist das erste, das mir einfällt. Ich wage einen Blick auf Manuel und bemerke gerade noch, wie er verletzt seinen Kopf abwendet. Scheiße.

Ab da bekomme ich gar nicht mehr mit, was meine Mutter mir alles erzählt. Ich antworte nur noch mechanisch mit ja oder nein und bin einfach nur froh, als ich endlich den Hörer wieder weglegen kann.

Lange stehen wir uns einfach nur schweigend gegenüber.

„Wird das immer so laufen? Gibt es überhaupt eine winzige Chance, dass Du uns irgendwann als Paar akzeptierst? Denn das sind wir, Axel, auch wenn Du das vielleicht anders sehen solltest.“, seine Stimme klingt traurig und ich wage nicht, ihn anzusehen.

„Es tut mir leid“, bringe ich gepresst hervor.

„Ja Axel, es tut Dir immer leid. Es schmerzt deswegen nur nicht weniger“, sagt er hilflos, hebt seine Arme an und kämmt sich fahrig mit den Fingern durch sein Haar.

„Ich kann ihr doch nicht am Telefon so vor den Latz knallen, dass ich …“, ich breche ab. Dass ich was? Dass ich eine Affäre mit einem Mann habe?

„Achso? Du wolltest also demnächst zu Deinen Eltern gehen und Ihnen von uns erzählen?“, antwortet er sarkastisch.

Er hat ja Recht. Ich hatte nichts dergleichen geplant. Wenn ich ehrlich bin, habe ich noch nicht einmal darüber nachgedacht, meinen Eltern von Manuel zu erzählen. Nach wie vor weiß nur Sandra, dass Manuel und ich … naja, irgendwie etwas miteinander haben.

Ich stehe nur stumm und betreten vor ihm und habe meine Fäuste tief in den Hosentaschen vergraben. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll.

„Ich … ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt gehe“, sagt er enttäuscht, und noch bevor ich aus meiner Starre erwache, ist die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen.

So war das Wochenende ganz sicher nicht geplant. Das Letzte, das ich jemals wollte, ist Manuel zu verletzten. Und doch habe ich es getan. Ich bin hin- und hergerissen zwischen ihm nachlaufen oder wie angewurzelt in meiner Küche stehen bleiben und versuche krampfhaft die sich rasch ausbreitende Kälte in meinem Innern zu ignorieren. Mutlos lasse ich mich auf den nächsten Stuhl sinken und vergrabe das Gesicht in meinen Händen. Mir ist wirklich nach Heulen zumute. Im Moment hasse ich mich selbst dafür, nicht auf Sandra gehört zu haben. Ich bin nicht nur ein erbärmlicher Feigling, sondern obendrein auch noch ein egoistischer Mistkerl.

Nach einigen stumpfsinnigen Runden um meinen Wohnzimmertisch, beschließe ich doch noch einkaufen zu gehen. Nicht, weil ich denke, dass ich an diesem Wochenende überhaupt einen Bissen hinunter bekommen werde, sondern um mich abzulenken. Wahllos wandern der Reihe nach irgendwelche Dinge in meinen Einkaufswagen und als ich schließlich an der Kasse ankomme, bemerke ich, dass es überwiegend Sachen sind, die Manuel liebt. Angefangen von den Smacks, die er so gerne zum Frühstück isst, bis hin zu den ganzen unzähligen Joghurts und Puddings, die er tonnenweise verputzt.

Antriebslos trotte ich mit dem Einkaufswagen über den Parkplatz, lade das ganze Zeugs in den Kofferraum meines Autos, verstaue den Wagen in eine dafür vorgesehene Bucht und setze mich schließlich wieder hinters Steuer. Kurz schiebt sich die Erinnerung an unseren letzten gemeinsamen Einkauf an die Oberfläche - und wie richtig und gut es sich angefühlt hat, bevor ich das Auto starte und es vom Parkplatz lenke.

Auch während der Fahrt nach Hause, habe ich immer wieder Manuels Gesicht vor Augen. Dieser verletzte Gesichtsausdruck möchte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Auf den Straßenverkehr kann ich mich nur schwer konzentrieren und so wundert es mich nicht im Geringsten, dass mich ein ungeduldiges Hupen darauf aufmerksam macht, dass die Rotphase der Ampel längst vorbei ist.

Zwei weitere Hupkonzerte, einen gezeigten Stinkefinger, und ein dezentes Tippen an die Stirn später, habe ich es tatsächlich doch noch geschafft die Fahrt nach Hause unfallfrei zu überstehen.

Ich werfe einfach alles wahllos in den Kühlschrank und beginne dann meinen Marathon durch die Wohnung. Die Zeit nach unserem ersten Kuss war schon schlimm genug, ist jedoch hiermit in keinster Weise zu vergleichen. Damals wusste ich noch nicht, wie sich seine Haut auf der meinen anfühlt, wie er erzittert, wenn ich mit meinen Händen über seinen Rücken streiche, oder welche Geräusche er von sich gibt, wenn er ... wenn es ihm ganz besonders gut geht. Dass mich jeder einzelne Quadratzentimeter meiner Wohnung noch zusätzlich an ihn erinnert, trägt auch nicht gerade zu meiner Beruhigung bei, in jedem einzelnen Raum ist er fast greifbar anwesend, ich meine ihn sogar noch riechen zu können. Ich muss raus hier, bevor ich noch die glatten Wände hochgehe.

Keine fünf Minuten später finde ich mich außerhalb des Hauses wieder. Das Auto lasse ich stehen, ich habe mittlerweile eingesehen, dass meine augenblickliche Fahrtauglichkeit mehr als beeinträchtigt ist. Also wandere ich einfach ziellos durch die Straßen. Okay, vielleicht nicht ganz so ziellos, denn irgendwann biege ich in Manuels Straße ein. Ich bin auch nicht sonderlich überrascht, denn es war im Grunde unvermeidlich, dass ich letztendlich hier landen werde.

Ich stehe noch unschlüssig vor den Klingelknöpfen, als die Eingangstür schwungvoll von Innen aufgerissen wird und ich beinahe über den Haufen gerannt werde.

Ungläubig sehe ich den Mann an, der da aus der Tür gerannt kommt. „Rob?“, frage ich etwas perplex. Was zum Teufel hat der denn hier zu suchen?

„Du“, knurrt er mich an, wirft mir noch einen giftigen Blick zu und geht die Straße hinunter.

Erstaunt und mit wachsendem Unbehagen blicke ich ihm nach. Was bitteschön war das denn? Und wieso war ausgerechnet dieser Kerl bei Manuel? Und was zum Geier haben die beiden zusammen in Manuels Wohnung gemacht? Mit zugeschnürter Kehle und klopfendem Herzen renne ich die Stufen nach oben und klingle. Kurz darauf höre ich Schritte hinter der Tür.

„Nein Rob, ich habe meine Meinung nicht geändert, ich werde ...“, abrupt hält Manuel inne, als er mich erblickt.

„Ich bin nicht Rob. Der ist gerade zur Tür raus und wenn Blicke töten könnten, hätte mein letztes Stündlein geschlagen“, sage ich sichtlich verärgert und schiebe mich an Manuel vorbei in die Wohnung. Irgendwie ist mir gerade danach auf etwas einzudreschen.

„Möchtest Du nicht hereinkommen?“, fragt Manuel und schließt die Tür hinter mir.

„Was wollte der denn hier?“, will ich wissen und überhöre einfach Manuels leicht sarkastische Bemerkung. Weshalb bin ich nur so wütend?

Manuel sieht mich lange an, dann verzieht sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. „Eifersüchtig?“, fragt er.

Ich stehe zwar immer noch mit zu Fäusten geballten Händen da, aber meine Wut verfliegt augenblicklich, als ich bemerke, dass er Recht hat. Verdammt, ich bin tatsächlich eifersüchtig. Auf Rob, auf jeden, der Manuel zu nahe kommt. Allein bei dem Gedanken, dass ein anderer ihn berühren, küssen, oder sonst was mit ihm anstellen könnte, dreht sich mir der Magen um. Meine Wangen werden heiß und ich trete nervös von einem Bein auf das andere.

„Ach Axel“, sagt er und zieht mich sanft in seine Arme. „Wenn Du nur endlich zu Deinen Gefühlen stehen würdest“, seufzt er.

„Es tut mir so ...“, beginne ich, werde aber sofort von Manuel unterbrochen.

„Nein, mir tut es leid. Ich wollte Dich nicht unter Druck setzen. Es hätte mir sofort klar sein müssen, dass Du Dich natürlich nicht am Telefon gegenüber Deiner Mutter, ohne die geringste Vorwarnung, outen kannst. Ich habe überreagiert, ich war einfach … verletzt“, meint er leise und drückt mich fest an sich.

„Mir tut es auch leid“, sage ich, „ich weiß, dass ich es Dir nicht gerade leicht mache. Aber es gibt für mich noch so viel zu verdauen. Für manche ... Dinge bin ich einfach noch nicht bereit. Seit ich Dich kenne ist mein Leben vollständig aus den Fugen geraten. Ich ... mag Dich sehr, mehr als das, aber ich brauche einfach Zeit um dieses Gefühlschaos einigermaßen in den Griff zu bekommen“, ich blicke ihn bittend an. Das muss vorerst reichen, mehr bin ich nicht bereit zu sagen, noch nicht.

Er nickt schließlich. „Okay“, flüstert er, „auch wenn es mir wirklich schwer fällt. Ich möchte so gerne mit Dir zusammen sein, nicht nur hinter verschlossenen Türen, obwohl ich die vergangenen Tage wirklich sehr genossen habe“, lächelt er.

„Ja, ich auch“, antworte ich ehrlich. Ich sehe ihn eine Weile an, bevor ich schließlich erneut frage, ich muss es einfach wissen: „Sagst Du mir, was Rob hier wollte?“ Ich muss endlich wissen, in welcher Beziehung die beiden zueinander stehen.

„Das lässt Dir keine Ruhe, was?“, meint er grinsend.

Ich sehe schuldbewusst drein und zucke mit den Schultern.

Er zieht mich hinter sich her ins Wohnzimmer und drückt mich auf das Sofa. Unmittelbar danach setzt er sich neben mich und greift nach meiner Hand.

„Ich kenne Rob schon eine Ewigkeit, wir sind zusammen zur Schule gegangen, er war in meiner Parallelklasse“, beginnt er, „man könnte uns sogar als Freunde bezeichnen. Er ist nicht so ein übler Kerl, wie Du vielleicht denkst. Er wirkt vielleicht oberflächlich, aber wenn man ihn näher kennt, merkt man schnell, dass er alles andere als das ist. Und er ist da, wenn man ihn braucht, ohne wenn und aber. Er hat mir einmal während unserer Schulzeit sehr geholfen, das werde ich ihm nie vergessen.“

„Was ist passiert?“, möchte ich wissen.

„Sagen wir einmal, dass meine sexuelle Gesinnung nicht überall Anklang fand. Er hat mich mehr als einmal vor einem gebrochenen Nasenbein bewahrt“, erwidert er.

„Du bist verprügelt worden, weil Du schwul bist?“, frage ich entsetzt.

Er zuckt mit den Schultern. „Ich war damals ein kleiner, schmächtiger 14-jähriger Kerl mit Zahnspange. Sie dachten wohl, sie hätten leichtes Spiel mit mir. Hätten sie wohl auch gehabt, wenn Rob nicht dazwischen gefunkt hätte.“

Irgendwie kann ich ihn mir so gar nicht als schmächtiges Kerlchen vorstellen. Kurz lasse ich meinen Blick über seine breiten Schultern gleiten, und ich möchte nichts lieber, als mich an ihn lehnen und einfach Raum und Zeit vergessen. Allerdings drängt sich mir auch ein weniger erfreulicher Gedanke auf.

„Hattet ihr was …“, weiter komme ich nicht, weil sich ein Kloß in meinem Hals bildet.

Nachdenklich sieht Manuel mich an und augenblicklich zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen, denn ich bin mir sicher, dass mir nicht gefallen wird, was er gleich zu sagen hat. Wäre nie etwas zwischen Rob und ihm gewesen, wäre seine Antwort sofort ein schlichtes nein gewesen. Dass er so mit einer Antwort zögert, lässt kaum Spielraum für Spekulationen, er denkt offensichtlich nur darüber nach, wie er es mir sagen soll.

„Ja“, kam einige Zeit später tatsächlich die erwartete Antwort. „Das halbe Boots hatte schon etwas mit ihm, so ist er eben.“

Sofern mich das beruhigen sollte, ist der Versuch kläglich gescheitert. Meine Gefühle scheinen mir wohl ins Gesicht geschrieben zu sein, denn er legt eine Hand auf meine Wange und zwingt mich, ihn anzusehen.

„Hey, das ist Jahre her und hat absolut nicht mit seinem Besuch heute hier zu tun“, sagt er nachdrücklich, „ich brauchte einfach jemanden zum Reden. Normalerweise müssen Frederick oder Sandra herhalten, wenn ich Liebeskummer habe, aber die beiden erschienen mir diesmal weniger geeignet, was vielleicht verständlich ist“, erklärt er und sieht mich schief an.

„Rob schien recht verärgert zu sein“, murmle ich vor mich hin, „was hast Du ihm denn erzählt?“

„So ziemlich alles“, meint er zerknirscht.

Kein Wunder hat er mich mit den Augen geradezu erdolcht.

„Komm“, meint Manuel und zieht mich vom Sofa hoch. „Mal sehen, ob ich diese düsteren Gedanken aus Deinem Kopf vertreiben kann.“

Ich sehe ihn mit nach oben gezogenen Augenbrauen an, lasse es aber zu, dass er mich kichernd in sein Schlafzimmer bugsiert.

„Nicht was Du schon wieder denkst“, feixt er, „es hat manchmal durchaus seine Vorzüge mit einem Altenpfleger zusammen zu sein. Dadurch habe ich nämlich irgendwann gelernt zu massieren.“

Überrascht blicke ich auf. Na dann bin ich ja mal gespannt.

„Zieh Dich aus“, fordert er mich auf und umgehend komme ich seiner Aufforderung nach. Als ich schließlich nur noch mit meinen Pants bekleidet vor ihm stehe, deutet er auf das Bett. „Leg Dich auf den Bauch.“

Wenige Augenblicke später fühle ich ihn auf meinen Oberschenkeln sitzen. Er greift von irgendwoher das Massageöl, lässt einige Tropfen in seine Handfläche fließen, wärmt es kurz an und dann sind seine Hände auch schon auf meinen Rücken. Bereits wenige Handgriffe später weiß ich, dass er nicht gelogen hat, er versteht hiervon tatsächlich etwas. Mir strömt ein angenehm dezenter Mandarinengeruch in die Nase und ich schließe angetan die Augen, während seine erfahrenen Hände sich über meinen Rücken bewegen. Mir entfährt ein genussvolles Schnurren und ich höre Manuel leise auflachen.

„Angenehm?“, fragt er völlig unnötig.

„Mhm“, brumme ich.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, aber seine Berührungen werden irgendwann merklich zärtlicher, sie gleichen inzwischen einem Streicheln und einige Momente später fühle ich heiße Lippen die sich meinen Rücken entlang küssen. Hier und da verteilt Manuel zarte Bisse auf Schultern, die Wirbelsäule entlang, bis er schließlich an meinen Pants angelangt ist. Quälend langsam schiebt er den Stoff von meinem Hintern und erkundet die freigelegten Stellen ebenfalls mit Händen, Mund und Zunge. Mein Atem geht mittlerweile nur noch keuchend und das Blut schießt rauschend in meine Lenden.

„Dreh Dich um“, fordert er mich heiser auf.

Ich mache, wie mir geheißen. Natürlich bleibt mein kleines… Problem nicht unbemerkt und es zaubert ein breites Grinsen auf Manuels Gesicht.

„Oh, ich denke, dagegen sollten wir etwas unternehmen, oder?“, fragt er verschmitzt.

Ich nicke, und nehme noch aus vor Lust verschleierten Augen wahr, dass er sich inzwischen ebenfalls seiner Kleidung entledigt hat. Dann senkt er den Kopf und alles andere verblasst zur Bedeutungslosigkeit.

„Gimme your heart make it real, or else forget about it.“

… klingt Rob Thomas gedämpfte Stimme zu uns herüber, gefolgt von einem von Santanas weltberühmten Gitarrensoli. Meiner Meinung nach die perfekte musikalische Untermalung, um zu …

*



Axels Mandarinen-Quark-Kuchen



Zutaten für 12 Stücke:

Teig:
200 g Mehl (Type 405)
75 g Zucker
1 Ei
75 g Butter oder Margarine
1 TL Backpulver

Belag:
500 g Quark
2 Eier
140 g Zucker
1 Päckchen Vanillepudding
½ Becher Sauerrahm
50 ml neutrales Öl
250 ml Milch
1 kleine Dose Mandarinen

Mürbeteig herstellen und ca. 1 Stunde in den Kühlschrank legen.

Für den Belag, die 2 Eier, Quark und Zucker gut verrühren. Die restlichen Zutaten (Vanillepudding, Sauerrahm, Öl und Milch) ebenfalls zusammenmischen und unter die Quarkmasse geben.

Mürbeteig ausrollen und in eine S“p“ringform *räusper* legen. Den Belag hinzugeben. (Die Masse ist am Anfang ziemlich flüssig, wird aber beim Backen fest, also nicht erschrecken.) Mandarinen darüber verteilen und den Kuchen bei 180° etwa 50 Minuten backen.


Kapitulatiion



Genüsslich räkle ich mich in meinem Bett und stoße dabei leicht gegen den glatten, harten Körper neben mir. Seit unserem Streit sind fast zwei Wochen vergangen. Geändert hat sich nichts – und doch so unglaublich viel. Ich habe offen gestanden immer noch die größten Probleme diese ganze Situation zu akzeptieren, vor allem meine Zuneigung zu Manuel, die von Tag zu Tag immer stärker wird. Er versucht zwar, sich nichts anmerken zu lassen, aber ich spüre deutlich, dass ich seine Geduld doch arg strapaziere.

Auch wenn er kein Wort darüber verliert, so weiß ich doch, dass er begehrlich darauf wartet, dass ich ihm sage, was ich für ihn fühle. Aber ich schaffe es nicht, ich bringe diese drei kleinen Worte einfach nicht über die Lippen. Sie haben so etwas Magisches, Endgültiges. Wenn ich zugebe, Manuel zu lieben, stelle ich mein Leben, so wie ich es bisher geführt habe, vollkommen in Frage. Und dafür bin ich noch nicht bereit.

Im Grunde völlig lächerlich, ich weiß. Vor allem, wenn man bedenkt, was wir vergangene Nacht getan haben. Zumindest körperlich haben wir die letzte Hürde genommen und es hat alles, was ich in puncto Sex bisher erlebt habe, in den Schatten gestellt. Nichts, absolut gar nichts, das ich je über die Liebe zwischen Männern gelesen habe – und ja, ich habe mich tatsächlich informiert – konnte mich auf die Wirklichkeit vorbereiten. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber ich habe eine solche ... Erfüllung noch nie zuvor erlebt. Ich fühlte mich anschließend nicht nur körperlich befriedigt, sondern auch geistig. Ja ich weiß, dass sich das furchtbar kitschig anhört, aber ich finde einfach keine anderen Worte dafür, die auch nur annähernd beschreiben könnten, wie wahnsinnig gut ich mich fühle.

Träge kuschle ich mich an meinen... Manuel. Sein Atem geht langsam und gleichmäßig, er schlummert immer noch tief und fest. Ich hebe den Kopf und blicke in das schöne Gesicht, das mir mittlerweile so vertraut geworden ist und mir möchte das Herz überlaufen.

Langsam ziehe ich ihm Stück für Stück die Decke vom Körper, immer darauf achtend, dass ich ihn ja nicht wecke und ich bin immer wieder aufs Neue überwältigt von dem Anblick, der sich mir bietet. Zart fahre ich mit einem Finger seinen Brustmuskel nach, verharre an seinem Magendreieck, bevor ich sachte die Linie weiter ziehe, bis ich an seinem Bauchnabel angelangt bin. Ich umkreise ihn vorsichtig, streiche sanft über den dunklen Flaum, beuge mich über ihn und hauche einen winzigen Kuss darauf.

Ich halte kurz inne und lausche. Seine Atemzüge gehen immer noch gleichmäßig. Mein Blick fällt auf seine Mitte, die selbst in schlaffem Zustand noch bemerkenswert ist. Ein schier unbändiger Wunsch ihn zu küssen überkommt mich. Ich hatte bisher irgendwie immer Hemmungen, ihn mit den Lippen zu berühren, doch jetzt werde ich fast magisch davon angezogen. Vielleicht liegt es auch daran, dass er von alledem nichts mitbekommt und ich keine Scheu haben muss, wie auch immer. Ich beuge mich über ihn und hauche einen zarten, beinahe schon schüchternen Kuss auf die weiche Haut. Mit klopfendem Herzen halte ich erneut inne und spitze meine Ohren. Nichts, immer noch alles ruhig. Ich werde kühner, berühre mit der Zungenspitze das warme Fleisch. Da, ein leichtes Zucken. Ich sehe auf. Manuels Augen sind immer noch geschlossen, doch langsam scheint sein Körper zu erwachen, zumindest der Teil, der sich gerade unmittelbar vor meiner Nase befindet. Wieder berühre ich ihn mit meiner Zunge und beobachte fasziniert, wie sich immer mehr Blut an diesem einen Ort sammelt. Mutig umschließe ich ihn mit meinen Lippen und sauge leicht, bis Manuel ein heftiges Seufzen von sich gibt. Mit bis zur Schädeldecke klopfendem Herzen sehe ich auf, und fühle mich fast wie ein kleiner Junge, der beim Naschen ertappt worden ist, was ja irgendwie auch zutrifft.

„Du willst doch wohl jetzt nicht damit aufhören?“ Manuels Stimme klingt heiser.

„Du bist ja wach“, sage ich überrascht.

„Mhm, seit etwa dem Zeitpunkt, als mir jemand die Decke vom Leib gezogen hat“, erwidert er etwas atemlos. „Es war ganz schön schwer still zu halten und so zu tun, als ob ich schlafen würde, wo ich mich doch am liebsten auf Dich gestürzt hätte. Aber das Stillhalten hat sich gelohnt, sehr sogar!“

„Achja?“, grinse ich.

„Oh ja. Es war unglaublich schön, was Du da gemacht hast und ich hätte nichts dagegen, wenn Du das öfter tun würdest. Vorzugsweise natürlich, wenn ich wach bin“, sagt er und sieht mich lüstern an.

„Aber Du warst doch wach“, necke ich ihn. Wie leicht mir das inzwischen fällt.

„Du dachtest aber, dass ich schlafe, und nur darauf kommt es an“, antwortet er. So früh am Morgen erschließt sich mir zwar nicht die Logik, die hinter dieser Aussage stecken soll, aber das spielt im Augenblick auch überhaupt keine Rolle. Viel wichtiger ist doch, dass ich Blut geleckt habe.

Ich antworte nicht, sehe ihn einfach nur an. Ich muss nicht darüber nachdenken, denn im Grunde möchte ich es doch ebenso sehr wie er. Ohne meine Augen von ihm zu nehmen, umfasse ich ihn mit einer Hand und massiere ihn leicht. Schließlich senke ich meinen Kopf erneut, lecke über seine Spitze und umschließe ihn mit meinen Lippen. Ein hingerissenes Stöhnen zeigt mir, dass ich wohl alles richtig zu machen scheine, das ist für mich schließlich pures Neuland. Ich fühle seine Hände in meinem Haar. Er streicht mit fahrigen Bewegungen immer wieder darüber, während er sich unter mir bewegt. Meine eigene Erregung wächst ins schier Unermessliche. Manuel scheint das ebenfalls bemerkt zu haben, denn er zieht mich nach kurzer Zeit ungeduldig zu sich hoch. Augenblicklich finden sich unsere Lippen zu einem wilden Kuss. Er umschließt meine Pobacken mit beiden Händen und drückt mich keuchend an sich. Mit einem Ruck dreht er uns um und ich liege nun unter ihm.

Manuel drängt mit einem Knie zwischen meine Beine und ich spreize sie, damit er bequem dazwischen Platz hat. Warm und schwer fühle ich seinen perfekten Körper auf mir. Mein Mund sucht den seinen, meine Hände streichen voller Ungeduld über seinen Rücken, über seinen Hintern und wieder zurück. Ich nehme sein Gesicht in beide Hände und küsse ihn drängend. Das Blut kocht in meinen Adern und das Zentrum bildet meine Mitte, die ich fordernd gegen Manuel presse. Ich möchte nicht mehr länger warten.

Ich fühle ihn an meinen Lippen grinsen, als ich meine Beine etwas anwinkle damit er ungehindert Zugang zu der Stelle hat, an der ich ihn jetzt haben möchte.

„So eilig?“, fragt er amüsiert, während seine Finger quälend langsam über meinen Körper tasten. Dieser Schuft! Er lässt sich scheinbar unendlich viel Zeit mich vorzubereiten, dehnt mich langsam und vorsichtig, gibt mir die Möglichkeit mich daran zu gewöhnen und ich werde immer ungeduldiger, will ihn endlich spüren, bin längst bereit für ihn.

Vorsichtig, sich langsam vortastend, schiebt er sich in mich. Ich verkrampfe mich zunächst etwas, wie vergangene Nacht, brauche Zeit mich an seine Härte zu gewöhnen. Manuels Lippen schmusen über meinen Hals, saugen leicht an der sensiblen Haut, berührt sie mit seiner Zunge und knabbert anschließend daran. Es ist fast schon erschreckend, wie leicht er mich dazu bringt, alles andere um uns herum zu vergessen. Sofort entspanne ich mich wieder.

„Alles okay?“, flüstert er ganz nah an meinen Ohr. „Tue ich Dir weh?“

„Ja, nein“, antworte ich keuchend.

Manuel lacht leise. „Was denn nun mein Süßer?“

„Ja ich bin okay und nein, Du tust mir nicht weh“, antworte ich atemlos.

Mehr Aufforderung bedarf es nicht, damit er sich vollständig in mich versenkt. Zunächst sind seine Stöße noch zurückhaltend. Es ist fast ein Schaukeln. Doch bald schon wird er fordernder, härter. Immer wieder berührt er diesen einen bestimmten Punkt in mir, von dem ich bis vor einigen Wochen noch nicht einmal wusste, dass ich ihn habe. Seine Hand stimuliert mich noch zusätzlich, synchron zu seinen Stößen. Ich stöhne ungehalten, taste mit beiden Händen unkontrolliert über seinen Rücken, genieße das Spiel seiner Rückenmuskulatur unter meinen Handflächen und kralle schließlich meine Finger in seinen Hintern, drücke ihn noch weiter in mich. Er flüstert mir süßen Unsinn ins Ohr, was mich nur noch mehr anheizt, obwohl ich dachte, dass das gar nicht mehr möglich wäre.

„Manuel“, hauche ich. Ich weiß nicht, ob er mich überhaupt gehört hat, muss er aber wohl, denn er hält kurz inne, kniet sich zwischen meine Oberschenkel, zieht mich an den Kniekehlen höher und pumpt mit immer kraftvolleren Stößen in mich. Wenige Sekunden später ergieße ich mich seufzend in seine Hand und fast zeitgleich entlädt sich Manuel mit einem lauten Stöhnen in mir.

Schwer atmend lässt er sich auf mich sinken und so bleiben wir auch noch eine ganze Weile liegen, geben unseren Herzschlägen die Möglichkeit sich wieder zu beruhigen. Wir sehen uns in die Augen und meine eigenen Gefühle spiegeln sich in seinen wundervollen dunkelbraunen Tiefen wieder. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, wie eine wundervolle Ewigkeit, bis sich Manuel aus mir zurückzieht, sich neben mich auf das Laken fallen lässt und mich fest in seine Arme zieht. Zärtlich huschen seine Lippen über mein Gesicht, verteilen Küsse auf meine Augenlider, auf meine Nasenspitze, auf meinen Mund. Zufrieden schmiege ich mich an ihn, bette meinen Kopf an seine Schulter, schlinge einen Arm um seine Brust und schließe die Augen. Ich kann es nicht anders nennen, ich bin so richtig ... glücklich, wahrscheinlich das erste mal in meinem Leben.

*



„Oh Gott, ich kann mich nicht mehr bewegen“, stöhnt Manuel, lehnt sich im Stuhl zurück und hält sich den Bauch. „Dir ist doch wohl klar, dass Du mir dabei helfen musst, das wieder abzutrainieren, oder?“, grinst er mich schelmisch an.

„Kann ich vielleicht was dafür, dass Du soviel isst, dass es Dir fast zu den Ohren wieder rauskommt?“, kichere ich ziemlich unmännlich.

„Jop“, antwortet er, „Du hast das gekocht.“

„Ach? Und weil Dir schmeckt, was ich koche, bin ich also auch automatisch für Deine Kalorienverbrennung zuständig?“, will ich feixend wissen.

„Das sowieso“, meint er anzüglich. „Und ich zeige Dir später gerne, wie ich mir das in der Praxis so vorstelle.“

„Achso? Ich darf dem Herrn also zu Diensten sein? Wurde die Sklaverei nicht schon längst abgeschafft?“, grinse ich.

„Sklave, ja? Hm, der Gedanke hat was“, kichert er. „Trete näher und küsse mich, Mann!“, befielt er.

Lachend komme ich auf ihn zu, beuge mich über ihn und berühre seine Lippen kurz mit den meinen. Ich habe noch nicht einmal den Hauch einer Chance mich schnell wieder zurückzuziehen, da hat er mich bereits gepackt und auf seinen Schoß gezogen.

„Hm“, murmelt er an meinen Lippen, „weißt Du eigentlich, wie lecker Du schmeckst?“

„Nach Pilz-Sahne-Soße?“, necke ich ihn.

Er knurrt leise und erobert meinen Mund. Ergeben lehne ich mich an ihn und komme seiner drängenden Zunge entgegen.

Ich brumme widerwillig und löse mich von seinen Lippen, als das Telefon zu klingeln beginnt. Immer noch auf Manuels Schoß sitzend, angle ich ungeschickt nach dem Schnurlosen und melde mich.

Es ist Sandra, das zeigt mir zumindest das Display.

„Hi Kleines, schön Dich zu hören“, melde ich mich.

„Hallo Großer“, antwortet sie.

Irgendwie ist es schon ein ziemlich seltsames Gefühl, auf Manuels Schoß zu sitzen, während ich mit meiner Ex-Freundin telefoniere. Ich versuche aufzustehen, aber Manuel hält mich mit beiden Armen fest umklammert.

„Du bleibst schön bei mir“, nuschelt er leise an meinem Hals.

„Alles klar bei Dir?“, frage ich und versuche das Kitzeln unterhalb meines Ohres zu ignorieren, das von Manuels weichen Lippen verursacht wird.

„Logisch“, erwidert sie, „bei Dir auch alles okay?“

Nichts ist okay, denn der Typ, auf dessen Schoß ich sitze, scheint eine geradezu diebische Freude daran zu haben, mir in den unmöglichsten Momenten an die Wäsche zu gehen.

„Japp, alles okay“, antworte ich und versuche vergeblich Manuels vorwitzige Finger abzuwehren, die sich bereits einen Weg unter den Bund meiner Hose gebahnt haben.

„Ist Manuel zufällig bei Dir?“, fragt sie.

Oh und wie der bei mir ist!

„Mhm“, antworte ich und werfe ihm einen gespielt bösen Blick zu, bevor ich ihm mit meiner freien Hand leicht auf die Finger klopfe.

„Spielverderber“, flüstert er grinsend, lässt mich aber schließlich doch widerwillig los.

„Ähm, störe ich euch vielleicht bei irgendwas?“, fragt Sandra unsicher.

„Nein, wir sind gerade fertig mit Essen“, antworte ich schnell.

„Oh, was gab's denn?“, will sie wissen.

„Schweinegeschnetzeltes mit Spätzle“, sage ich.

„Menno“, jammert sie, „sag Manuel, dass ich Dich gefälligst sofort zurück haben will!“

„Moment, das kannst Du ihm auch selbst sagen“, lache ich und reiche den Hörer an Manuel weiter.

„Hi Süße“, höre ich ihn sagen. Dann: „vergiss es! Selbst wenn du mit George Clooney persönlich hier angewackelt kämst, Axel gebe ich nicht mehr her“, kichert er. Nach einer kurzen Pause fährt er fort: „Danke gut, es könnte nicht besser sein“, dabei sieht er mich mit einem breiten Grinsen an. „Ja ich weiß, mein Accu ist leer... Moment, ich frag ihn mal.“

„Ob wir Lust hätten, morgen bei Carsten und Frederick zu Grillen“, sagt er zu mir.

„Von mir aus“, meine ich achselzuckend.

„Okay, wir kommen“, bestätigt Manuel.

Nach einigen Minuten belanglosem Smalltalk verabschieden wir uns schließlich von Sandra.

„Du möchtest bitte Schnittlauchsoße mitbringen, meinte Sandra“, informiert er mich.

Ich grinse, „Das dachte ich mir schon. Allerdings wundert es mich etwas, dass Sandra dabei ist, normalerweise geht sie in dieser Jahreszeit nicht ins Freie, schon gar nicht zum Grillen“, überlege ich laut.

„Carsten hat sie wohl so lange bearbeitet, bis sie zugesagt hat. Falls sie von einem dieser schwarz-gelben Monster angegriffen werden sollte, kann sie ja immer noch ins Haus flüchten. Außerdem haben wir doch erst Juni, so früh sind die Viecher noch nicht unterwegs“, erklärt Manuel.

Ein wenig unwohl ist mir schon bei dem Ganzen und ich bereue es eigentlich schon, dass ich so vorschnell zugesagt habe. Ich weiß nicht, ob Sandra ihrem Vater bereits erzählt hat, dass wir uns getrennt haben. Ganz sicher aber wird er nicht den wahren Grund wissen, warum wir nicht mehr zusammen sind. Sandra hatte mir versprochen, mit niemanden darüber zu reden, zumindest solange ich noch nicht selbst damit rausgerückt bin.

Manuel und ich würden Morgen das erste Mal zusammen irgendwohin gehen, was fast schon einem Mini-Outing gleichkommen würde und allein der Gedanke daran lässt mir den kalten Schweiß ausbrechen.

*



Am nächsten Nachmittag fallen wir zu Dritt bei Carsten und Frederick ein. Zu Sandra war es nur ein winziger Umweg und ich gestehe, ich bin mehr als erleichtert darüber, dass sie uns gebeten hat, sie abzuholen. Wäre ich zusammen mit Manuel vor der Tür gestanden, hätte es sicher die eine oder andere Frage aufgeworfen, und ich weiß nicht, was ich hätte darauf antworten sollen.

Manuel fühlt natürlich meine Unruhe und legt mir, von den anderen unbemerkt, eine Hand auf den Rücken. „Hey, ganz ruhig, keiner reißt Dir den Kopf ab“, sagt er leise.

Nachdem wir die ganze Begrüßungszeremonie hinter uns gebracht haben, versammeln wir uns auf der geräumigen Terrasse.

„Sag mal Bruderherz, wo treibst Du Dich eigentlich die ganze Zeit rum? Ich versuche Dich schon seit Tagen zu erreichen, zuhause geht nur Dein AB dran und Dein Handy ist auch ständig aus“, meint Frederick.

Unwillkürlich versteife ich mich. Ich fühle Manuels prüfenden Blick auf mir, wage es jedoch nicht, ihn anzusehen.

„Ich… habe jemanden, mit dem ich mich öfter treffe und bin momentan eher selten zuhause“, antwortet er unbestimmt.

„Oh, jemand den wir kennen?“, möchte Frederick natürlich sofort wissen.

„Es ist etwas kompliziert“, das sind haargenau die Worte, die er vor einigen Wochen auch schon zu Sandra gesagt hatte.

„Was Ernstes?“, bohrt Frederick weiter.

„Ja“, erwidert Manuel und sieht kurz zu mir herüber, „zumindest mir ist es sehr ernst.“

„Na dann hoffe ich, dass wir ihn bald kennen lernen werden“, meint Frederick mit einem kurzen Blick auf seinen Bruder.

„Ja, das hoffe ich auch“, entgegnet Manuel und ich wage es endlich ihn anzusehen. Er wirkt traurig und mein Magen krampft sich augenblicklich zusammen.

Das Essen verläuft ohne größere Komplikationen, sogar Sandra bleibt vor summenden Invasoren verschont. Meine Schnittlauchsoße findet wie immer reißenden Absatz und ich schaffe es sogar, mich hie und da an einem Gespräch zu beteiligen und mir von Zeit zu Zeit ein Lächeln abzuringen. Da ich auch sonst nicht wirklich eine Quasselstrippe bin, fällt meine Schweigsamkeit nicht weiter auf. Nur Manuel und Sandra sehen mich immer wieder verstohlen an. Manuels Blick wird zusehends resignierter, Sandras eher immer verärgerter. Dies ist wieder einer dieser Momente, in dem ich ihre Intuition verfluche, sie hat mich natürlich längst durchschaut.

Ich melde mich freiwillig, um den Tisch abzuräumen, ich muss einfach jetzt ein paar Minuten für mich alleine sein. Die Rechnung habe ich allerdings ohne Manuel gemacht, denn er schnappt sich sofort zwei Schüsseln mit Salat und folgt mir in die Küche. Innerlich wappne ich mich bereits gegen das, was unweigerlich kommen wird.

„Axel“, sagt er seufzend, „er ist mein Bruder, ich möchte ihn nicht belügen müssen. Wäre es denn wirklich so schlimm, wenn er wüsste, dass Du derjenige bist, den ich liebe?“

Ich sehe betreten zu Boden. Das wäre die Gelegenheit, ihm zu gestehen, dass ich ihn ebenfalls liebe. Doch nichts dergleichen bringe ich über meine Lippen. Was bin ich nur für ein erbärmlicher Feigling.

Er sieht mich lange an, schließlich schüttelt er langsam den Kopf.

„Ich… ich kann das einfach nicht mehr, Axel“, verzweifelt wirft er seine Arme in die Luft. „Ich liebe Dich über alles, aber Du machst mich fertig. Dieses, ‚ja-nein-vielleicht-möglich’ verkrafte ich einfach nicht mehr. Ich möchte nicht jedes Mal, wenn wir in Gesellschaft sind, darüber nachdenken müssen, ob ich Dich berühren oder küssen darf. Ob überhaupt jemand wissen darf, dass wir zusammen sind.“

Ich fühle, wie sämtliches Blut aus meinem Gesicht weicht. Ich muss ganz dringend etwas sagen.

„Es tut mir …“, beginne ich irgendwas. Natürlich das Falsche, wie ich sogleich feststelle.

„Wage es ja nicht, Dich zu entschuldigen“, fällt er mir ins Wort. „Es gibt nur eines, was ich jetzt von Dir hören will: liebst Du mich, oder nicht?“

Ich stehe vor ihm, die Lippen fest aufeinander gepresst. Ich weiß genau, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, es ihm zu sagen… ja, dass ich es ihm jetzt sagen muss, weil ich sonst Gefahr laufe, ihn zu verlieren. Es sind drei Worte, nur drei Worte, die er hören möchte. Aber ich bleibe stumm.

Irgendwann nehme ich wahr, dass er nickt. „Okay, ich glaube es ist besser, wenn wir uns nicht mehr sehen. Falls Du es tatsächlich irgendwann einmal fertig bringen solltest, zu Deinen Gefühlen zu stehen, weißt Du, wie Du mich erreichen kannst.“

Und dann ist er weg und ich bin wie … betäubt. Ich möchte ihm nachlaufen, doch was soll ich ihm sagen? Ich bringe doch ohnehin die Zähne nicht auseinander. Und das erste Mal seit knapp 20 Jahren fühle ich, wie mir Tränen über das Gesicht laufen.

*



Irgendwann schaffe ich es, mich von Carsten und Frederick zu verabschieden und Sandra nachhause zu fahren. Die Fahrt über schweigt sie beharrlich, doch im gleichen Moment, in dem ich den Fahrzeugmotor vor ihrer Wohnung abstelle, bricht es wie ein Tsunami über mich herein. Und mit allem, was sie mir so an den Kopf wirft, hat sie Recht. Was sie mir auch vorwirft, ich habe die Standpauke ganz sicher verdient.

„Verdammt Axel, welchen Teil von tu-ihm-nicht-weh hast Du bitteschön nicht verstanden? Ich habe Dir gesagt, Du sollst Dir gründlich überlegen, was Du eigentlich willst, und zwar bevor Du etwas mit ihm anfängst. Wie konntest Du nur? Was hast Du Dir nur dabei gedacht? Verflucht Axel, er liebt Dich, das sieht sogar ein Blinder!“, schimpft sie.

„Ich habe doch darüber nachgedacht, Sandra. Ich möchte mit ihm zusammen sein, ich fühle mich wohl bei ihm. Er bedeutet mir wirklich sehr viel“, antworte ich leise.

„Wo bitteschön ist dann Dein verdammtes Problem?“, will sie wissen.

Ja, wo zum Teufel ist eigentlich mein Problem?

„Er möchte von mir hören, dass ich ihn liebe.“

„Und? Tust Du es?“, fragt sie.

Ich schweige.

Ungeduldig stößt sie die Luft aus. „Axel, ja oder nein? Das ist doch wirklich eine ganz einfache Frage!“

Ich schließe die Augen und lege die Stirn erschöpft auf das Lenkrad. Wäre es wirklich so schlimm es zuzugeben? Was würde im schlimmsten Fall denn passieren, wenn ich es täte? Ich müsste mir eingestehen, dass ich nicht ganz so hetero bin, wie ich immer dachte. Angesichts dessen, was Manuel und ich im Bett so miteinander treiben, ist alleine die Tatsache, dass ich mir darüber Gedanken mache, schon äußerst lachhaft. Und sonst? Vielleicht würde ich einige Freunde verlieren, aber wenn sie sich dadurch von mir abgestoßen fühlen würden, könnte ich eh getrost auf sie verzichten. Meine Eltern? Okay, sie wären am Anfang wohl ziemlich durcheinander, aber irgendwann würden sie es akzeptieren. Sonst noch was? Nein, zumindest nichts, das wichtig genug wäre.

„Ja“, antworte ich schließlich leise und ich bin … ja, erleichtert. „Ja, ich liebe ihn“, sage ich gleich noch einmal und vollständig ausgesprochen hört es sich sogar noch besser an. Und was noch viel wichtiger ist: es fühlt auch verdammt richtig an.

„Na also, geht doch! War es denn wirklich so schwer es auszusprechen?“, sie lächelt mich an.

„Nein, ich denke nicht. Es mir selbst einzugestehen, war weitaus schlimmer“, seufze ich.

„Du weiß, was du als nächstes zu tun hast?“, fragt sie.

Ich nicke, ich weiß sogar ganz genau, was ich jetzt zu tun habe.

„Na dann, gib Gas und schnapp ihn Dir, Tiger!“, lacht sie und steigt aus.

„Sandra?“, halte ich sie auf.

Sie blickt mich fragend durch die geöffnete Beifahrertür an. „Hm?“

„Danke“, antworte ich.

„Immer wieder gerne“, erwidert sie lächelnd und schließt die Tür.

Noch bevor ich losfahre, nehme ich mein Handy und wähle Manuels Nummer. Ich erreiche ihn weder auf dem Handy noch zu Hause. Mist.

20 Minuten später stehe ich vor seiner Tür. Ich klingle Sturm, doch niemand öffnet. Wo zum Teufel steckt der Kerl?

Wieder nehme ich mein Handy und wähle die Festnetznummer von Carsten und Frederick. Letzterer nimmt nach wenigen Klingelzeichen ab.

„Ja?“

„Hallo, Axel hier. Weißt Du zufällig wo Manuel stecken könnte?“

„Nein. Was willst Du denn von ihm, kann ich Dir vielleicht weiterhelfen?“

Jetzt oder nie.

„Ich muss ihn finden. Ich … ich bin derjenige, von dem er heute gesprochen hat, und ich habe einiges wieder gutzumachen“, ich halte unwillkürlich die Luft an. Doch nichts geschieht, ich werde weder vom Blitz getroffen, noch hat sich unter mir ein riesiges Loch aufgetan, um mich zu verschlingen.

Es dauert einige Zeit, bis Frederick mir antwortet. „Versuch es im Boots“, ich kenne ihn nicht gut genug, um seinen Tonfall deuten zu können.

„Danke“, sage ich und lege auf.

Ich breche sämtliche Rekorde und habe es nach weiteren 30 Minuten geschafft, das Boots zu erreichen.

Schon in dem Moment, als ich die Kneipe betrete, sehe ich Manuel an der Theke sitzen. Neben ihm hängt Rob an seinem Arm und redet heftig auf ihn ein. Und so froh ich darüber bin, ihn endlich gefunden zu haben, so sehr widerstrebt es mir, Rob bei ihm zu sehen. Ich weiß ja, dass die beiden befreundet sind und Manuel sich bei ihm den Kummer von der Seele reden kann, aber kann Rob nicht einfach seine Finger bei sich behalten? Ich bin fast schon wieder soweit, auf dem Absatz kehrt zu machen – aber nur fast. Ich liebe Manuel, und wenn ich mit ihm zusammen sein möchte, muss ich das hier durchziehen, so oder so.

„Kannst Du uns bitte für einen Augenblick alleine lassen?“, ich bin erstaunt, wie beherrscht ich klinge, wo ich ihm doch am liebsten sein dämliches Grinsen aus der Visage schlagen möchte.

„Weshalb?“, fragt er unbeirrt und macht keinerlei Anstalten meiner Bitte nachzukommen.

„Geh einfach, okay?“, antworte ich mit unterdrücktem Zorn in der Stimme und balle meine Hände zu Fäusten. Manuel starrt teilnahmslos in das Glas vor sich.

„Weshalb sollte ich?“ Rob sieht mir mit kaltem Blick entgegen.

„Hör zu, ich möchte …“

„Nein“, blafft er mir entgegen und seine Augenbrauen ziehen sich wütend über seinem Nasenbein zusammen, „jetzt hörst Du mir zu. Was glaubst Du eigentlich, wer Du bist? Du bist doch nichts weiter als so eine dahergelaufene Hete, die sich zwar von ihm ficken, ihn aber ansonsten am ausgestreckten Arm verhungern lässt.“

„Rob, bitte“, wird er von Manuel unterbrochen. Schön, dass er sich auch einmal zu Wort meldet.

„Hast Du immer noch nicht genug, Manuel? Hat er Dir immer noch nicht genug wehgetan? Kein Arsch, und wenn er noch so geil ist, ist es wert, dass man sich für ihn kaputt macht. Hast Du überhaupt eine Ahnung, was er Deinetwegen durchmacht?“ Der letzte Satz gilt wieder mir.

„Manuel, bitte“, ignoriere ich Rob einfach und richte meine Worte direkt an meinen Geliebten, möglicherweise Ex-Geliebten. Mein Magen krampft sich schmerzhaft zusammen und ich kann einen gequälten Unterton in meiner Stimme einfach nicht verhindern.

„Also gut, schieß los“, antwortet er achselzuckend und sieht starr auf die Flüssigket in seinem Glas.

„Können wir nicht irgendwohin gehen, wo es ruhiger ist?“, bitte ich.

„Hier ist es so gut wie überall. Sag, was Du zu sagen hast, oder geh einfach“, kommt es von Manuel. Er hat mich bisher noch keines einzigen Blickes gewürdigt.

Ich schlucke hart und fast verlässt mich mein Mut. Er wirkt so unbeteiligt, fast schon gefühlskalt, als ob ihn das Ganze hier überhaupt nichts angehen würde. Aber ich muss es ihm endlich sagen, muss ihm endlich gestehen, wie sehr ich ihn liebe, denn wenn ich es nicht tue, könnte ich ihn für immer verlieren. Allein diese Überlegung schnürt mir die Kehle zu und eine eisige Hand klammert sich wie ein Schraubstock um mein Herz. Wie unbedeutend ist im Vergleich dazu der Gedanke an ein Coming out.

„Nun?“, meint er ungeduldig. Mit einem Schluck kippt er den Inhalt seines Glases hinunter.

Fast schon verzweifelt wische ich meine Handflächen an meiner Jeans trocken. „Ich … ich liebe Dich“, flüstere ich und halte den Atem an.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wendet er sich mir endlich zu. Seine Augen blicken mich traurig an, der Glanz ist aus ihnen verschwunden. In diesem Moment hasse ich mich selbst, denn ich weiß, dass ich dafür der Grund bin, ich und meine Beharrlichkeit an etwas festzuhalten, das ich doch schon lange gar nicht mehr bin – es vermutlich sogar niemals war.

„Bitte Axel, ich möchte nicht, dass Du etwas sagt, nur weil Du weißt, dass ich es hören möchte. Hier drin“, er legt eine Handfläche auf meinen Brustkorb, „musst Du Dir sicher sein.“

Ich lege meine Hand auf die seine. „Ich war mir noch nie so sicher. Ich will mit Dir zusammen sein, mit allem, was dazu gehört. Ich brauche Dich, ich liebe Dich“, sage ich fast schon verzweifelt und kann nicht verhindern, dass Tränen in meine Augen steigen. „Es tut mir so furchtbar leid, dass ich ein solcher Idiot war, ich wollte Dir doch nie wehtun.“

„Ach Axel. Komm her, komm schon endlich her“, sagt er mit bebender Stimme und nimmt mich fest in seine Arme. Wie ein Ertrinkender klammere ich mich an ihn. Es ist mir vollkommen egal, wie viele Menschen uns zuschauen und was sie über mich denken könnten. Sollen sie denken, was sie wollen. Ich bin genau da, wo ich sein möchte: in Manuels Armen.

Ich rücke einige Zentimeter von ihm ab, damit ich ihm in die Augen sehen kann. „Ich liebe Dich“, sage ich noch einmal bestimmt - und dann küsse ich ihn. Vergessen ist alles um uns herum, vergessen ist auch Rob und wären wir in der Lage gewesen, ihm auch nur eine Sekunde unserer Aufmerksamkeit zu schenken, wäre uns das Lächeln auf seinem Gesicht nicht entgangen.

*



Glücklich liegen wir auf meinem Bett, eng aneinander gekuschelt. Versöhnungen haben wirklich was für sich, definitiv! Was jetzt nicht bedeuten soll, dass ich vorhabe, mich öfter mit Manuel zu streiten. Diese beiden Male, und noch dazu so kurz aufeinander reichen für die nächsten Jahre.

„Weißt Du eigentlich, dass Du mich heute zum glücklichsten Menschen auf Erden gemacht hast?“, flüstert er an meinem Ohr.

Oh ja, denn mir geht es genauso. Das sage ich ihm auch.

„Woher wusstest Du eigentlich, dass ich im Boots war?“, will er wissen.

„Ich habe Dich überall gesucht. Telefonisch erreichen konnte ich Dich auch nicht. Dein Handy war ja aus und bei Dir zu Hause ging auch nur Dein quasselnder Blechkasten dran“, antworte ich. „Schließlich habe ich Deinen Bruder angerufen, er gab mir den Tipp, Dich im Boots zu suchen.“

„Wollte er nicht wissen, warum Du mich suchst?“, neugierig hebt er die Augenbrauen.

„Doch“, bestätige ich.

„Was hast Du ihm gesagt?“

„Die Wahrheit“, antworte ich und zaubere damit ein strahlendes Lächeln auf sein Gesicht.

„Oh Mann, wie ich Dich liebe“, antwortet er mit heiserer Stimme und zieht mich noch näher an sich.

Immer noch ganz trunken vor Glück schmiege ich mich an den Körper des Menschen, der mir mehr bedeutet als alles andere - an meinen Freund. Es ist so wahnsinnig schön, ihn endlich so nennen zu können. Weshalb habe ich mir in den letzten Wochen nur soviel Gedanken gemacht? Ich hätte Manuel einiges an Kummer und Leid erspart, hätte ich mich gleich dem Unausweichlichen gestellt:

Ich – Axel Becker – liebe einen Mann und ich bin verdammt glücklich damit!

*



Axels Schnittlauchsoße



1 Scheibe Toast
1 rohes Eigelb
1 gekochtes Eigelb
250ml Speiseöl
3-4 Bund Schnittlauch
Essig
Senf
Pfeffer und Salz

Rand vom Toast abschneiden und die Scheibe in Wasser einweichen. Den durchgeweichten Toast gut ausdrücken und in eine Rührschüssel geben. Das rohe und das abgekochte Eigelb zugeben und mit einem Mixer gut verrühren. Essig, Salz, Pfeffer und etwas Senf untermixen. Das Öl langsam, unter ständigem Rühren, in die Masse gießen.

Schnittlauch waschen, klein schneiden und unter der Mayonaise heben. Mehrere Stunden im Kühlschrank ziehen lassen.

Schmeckt zu allem Kurzgebratenen, aber auch zu frisch aufgebackenen Baguettebrötchen. ;-)


Trautes Heim, Glück allein




Blinzelnd öffne ich meine Augen und ich sehe … gar nichts, es ist stockdunkel. Aber sofort weiß ich, was mich geweckt hat. Der Platz neben mir ist nämlich leer. Noch im Halbschlaf krabble ich aus dem Bett und schleiche ins Wohnzimmer. Und da steht er, am Fenster, und starrt hinaus. Im Grunde ein ziemlich sinnloses Unterfangen, denn das bisschen matte Licht, das die Straßenlaternen verbreiten, reicht gerade einmal aus, um vage Schemen erkennen zu können, was allerdings voraussetzen würde, dass es überhaupt etwas zu erkennen gäbe, tut es natürlich nicht, denn um diese Uhrzeit haben Menschen für gewöhnlich etwas anderes zu tun, als draußen rumzuspazieren, es sei denn, der ein oder andere Nachtschwärmer befindet sich gerade, vielleicht nach einer ausgedehnten Kneipentour, auf dem Nachhauseweg.

„Hey, warum bist Du denn nicht im Bett?“, frage ich zärtlich und schlinge von hinten meine Arme um seinen Bauch, küsse ihn kurz auf den Hals, und lege schließlich mein Kinn auf seiner Schulter ab.

„Ich konnte nicht mehr schlafen und wollte Dich nicht wecken“, antwortet er leise und umschlingt meine Arme mit den seinen.

„Ich habe gefühlt, dass Du nicht mehr da bist“, lächle ich. „Aufgeregt?“

„Ja, sehr“, gibt er zu.

„Ich auch“, erwidere ich und kuschle mich noch enger an ihn.

Und wie ich aufgeregt bin – vor Freude. Es ist genau ein Jahr, zwei Monate, eine Woche und einen Tag her, seit ich ihn aus dem Boots geholt habe. Die kommende Nacht würden die erste, und wenn es nach mir ginge die erste von sehr, sehr vielen, sein, die wir unter einem Dach verbringen würden, das uns gemeinsam gehört.

Manuels Wohnung haben wir bereits die vergangenen Tage annähernd leer geräumt. All die Dinge, von denen er sich nicht trennen mochte und die wir irgendwie mit einem PKW transportieren konnten, haben wir die Woche über schon ins neue Heim geschleppt. Der Rest wurde verschenkt oder würde in Kürze auf dem Sperrmüll landen. Richtig gewohnt hat er im vergangenen Jahr ohnehin kaum mehr bei sich zu Hause.

Hier ist auch das Meiste bereits in Kartons verpackt. Nur einige Dinge, die man zum Leben eben so braucht, sind noch nicht verstaut. So auch beispielsweise die Kaffeemaschine und ein wenig Geschirr, Wäsche zum Wechseln, Zahnbürsten und dergleichen.

Gegen 8 Uhr würden Carsten und Frederick mit dem LKW ankommen, dann würden auch die Möbel von hier verschwinden.

Um die Küche müssen wir uns zum Glück nicht mehr kümmern, denn diese wurde bereits vor einigen Tagen in unser neues Zuhause geliefert und ist mittlerweile bewohnbar. Ein Teil unseres zusammen gewürfelten Geschirrs ist sogar schon verstaut. Vom anderen Teil haben wir uns getrennt, unvermeidlich, wenn man zwei Haushalte vereint.

Immer noch hinter ihm stehend, streichen meine Hände sanft über seinen Bauch, seine Brust. Ich verteile federleichte Küsse auf Hals, Nacken und Schultern, sauge tief den würzigen Duft seiner Haut ein und werde mit einem genüsslichen Brummen belohnt.

Manuel lässt seinen Kopf nach hinten auf meine Schulter sinken und drückt seinen Hintern gegen meine Mitte. Daran hat sich in der ganzen Zeit nichts geändert. Oft bedarf es nur einer Berührung oder eines Kusses und er steht in Flammen.

Ich lächle, als ich mit meinen Händen südlichere Gefilde erkunde und meine Vermutung bestätigt finde. Ich umfasse ihn und presse mich selbst von hinten gegen Manuels Hintern. Das hat sich ebenfalls nicht geändert, ist mit der Zeit sogar noch intensiver geworden, denn seine Erregung lässt wiederum mich lichterloh brennen. Erneut küsse ich mich seine Schulter entlang und verteile hier und da kleine Bisse. Unmissverständlich drücke ich mich noch fester an ihn und meinem Mund entfährt ein wohliges Seufzen.

„Lass uns wieder ins Bett gehen“, sagt er heiser und ich ahne schon, dass wir wohl bis zum Aufstehen, nicht mehr allzu viel Schlaf finden werden.

Und so ist es, denn sobald wir im Schlafzimmer angekommen sind, gibt mir Manuel einen kleinen Schubs, damit ich rücklings auf dem Bett lande. Keine Sekunde später ist er auch schon über mir und verwickelt mich in einen gierigen Kuss, bei dem mir Hören und Sehen vergeht.

Seine Hände sind einfach überall, in einem früheren Leben muss Manuel einmal ein Oktopus gewesen sein. Wie sonst lässt es sich erklären, was er mit diesen tentakelgleichen Händen alles so anzustellen vermag.

Sein Mund streicht über meinen Hals und er beißt leicht zu. Oh wie ich das liebe, und – sofern überhaupt möglich – will ich ihn dadurch noch mehr. Er weiß natürlich ganz genau, dass mich das vollkommen verrückt macht, und dieses Wissen nutzt er wie immer schamlos aus.

Ungeduldig umfasse ich seinen Hintern, drücke ihn zu mir herunter und wie zufällig finden meine Finger den Weg zwischen seine Pobacken. Gleichzeitig hebe ich mein Becken an und entlocke ihm damit ein heiseres Stöhnen.

„Sag mir, was Du willst, mein Süßer“, flüstert er, seine Augen sind fast schwarz vor Verlangen und scheinen sich geradezu in die meinen zu bohren.

Und er weiß ganz genau, was ich will. Obwohl von Anfang an die Rollenverteilung, ohne viel Worte darüber zu verlieren, klar war, schließlich war ich damals derjenige, der noch keine... praktische Erfahrung hatte, gab es zwischendurch die ein oder andere Gelegenheit, in der wir die Rollen getauscht haben. Anfangs hatte ich panische Angst davor, ihm weh zu tun, das allerdings hatte sich mit der Zeit und mit Manuels hingebungsvoller Hilfe, gelegt.

„Ich möchte … Dich lieben“, gebe ich deshalb unumwunden zu.

„Dann tu es“, fordert er mich mit glühendem Blick auf.

Mein Atem geht mittlerweile nur noch stockend und ich nehme aus den Augenwinkeln wahr, dass er mit einer Hand nach dem Nachtschrank angelt - und ins Leere greift.

„Scheiße“, stößt er unmittelbar danach frustriert aus.

„Hm?“, brumme ich verwirrt.

„Der Nachtschrank ist weg“, antwortet er und lässt seinen Kopf seufzend auf mein Schlüsselbein sinken.

Durch mein vor Lust vernebeltes Hirn, kann ich ihm nicht so ganz folgen, deshalb frage ich noch einmal: „Hm?“

„Du erinnerst Dich an den Nachtschrank? Dieses kleine Möbelstück, das für gewöhnlich neben dem Bett steht und in dem wir ... gewisse Dinge aufbewahren?“, will er amüsiert wissen.

Ich sehe ihn immer noch ziemlich verständnislos an, bis irgendwann endlich der Groschen fällt.

„Gleich neben dem Bett steht eine Stofftasche, da habe ich alles reingepackt. Du denkst doch nicht wirklich, dass ich etwas so Wichtiges außer Reichweite lege? Ich kenne doch Deinen Appetit“, grinse ich.

„Meinen Appetit?“, tut er erstaunt, beugt sich mit dem Oberkörper aus dem Bett und taucht wenige Sekunden später mit dem Gleitgel in der Hand wieder auf. „Wer hat denn angefangen?“

„Beklagst Du Dich etwa?“, schnurre ich, ziehe ihn zu mir heran und hauche einen Kuss auf seine Nasenspitze.

„Keinesfalls, mein Schatz“, antwortet er und seine Stimme klingt einige Nuancen dunkler. „Im Gegenteil. Du bist so viel offener geworden“, ergänzt er und leckt aufreizend über meine Lippen.

„Das könnte daran liegen, dass es mir schon immer sehr schwer gefallen ist, Dir zu widerstehen“, grinse ich, umschließe den sicht- und greifbaren Beweis seiner Erregung und reibe mit dem Daumen über seine Spitze.

„Gott Axel, genau das meinte ich damit“, keucht er und stößt ungestüm in meine Hand.

Und was soll ich darauf schon groß antworten? Er hat vollkommen recht. Ich lasse Dinge mit mir tun ... oder tue sie mittlerweile sogar oftmals selbst, die vor 1 ¼ Jahren noch undenkbar gewesen wären, wie zum Beispiel meinen Daumen mit Speichel zu befeuchten und mich zu Manuels Eingang vorzutasten. Seine Augen sind mittlerweile zwei glühende Kohlen, die mich hungrig zu verschlingen drohen. Gierig kommt er meinem Finger entgegen.

„Und? Gefällt Dir das?“, will ich grinsend wissen, obwohl es offensichtlich ist, dass ihm gefällt, was ich hier gerade tue.

„Wonach sieht es denn aus?“, knurrt er, dreht sich auf den Rücken und zieht mich auf sich.

Und das waren für eine gewisse Zeit dann auch die letzten zusammenhängende Worte, die man von uns hört.

*




Pünktlich wie die Maurer stehen wir bereits um 7:30 Uhr wieder in der Küche, jeder mit einem Becher Kaffee bewaffnet und ich sehe ihn über den Tassenrand hinweg zwar etwas verschlafen aber dennoch glücklich an.

„Ich liebe Dich“, sage ich schlicht. Längst vergessen sind die Zeiten, in denen ich mich so gesträubt habe, diese Worte auszusprechen. Inzwischen gehen sie mir wie selbstverständlich von den Lippen.

Er mustert mich liebevoll. „Und ich liebe Dich“, antwortet er und ich sehe ihm an, dass er an vergangene Nacht denkt. „Und wenn ich heute irgendwann während des Umzugs einschlafen sollte, bist Du schuld“, sagt er auch schon und seine Mundwinkel zucken verräterisch.

„Ich denke, ich kenne eine todsichere Methode, Dich wieder wach zu bekommen“, antworte ich, kneife ihn ganz kurz in den Hintern und hebe bedeutungsvoll eine Augenbraue.

„Wann bist Du eigentlich zu einem solchen Nimmersatt geworden?“, lacht er.

„Seit Du mich süchtig nach Dir gemacht hat“, antworte ich ernst gemeint und ernte damit einen zärtlichen Kuss auf meine Lippen.

„Ich kann es immer noch nicht fassen, dass das hier real ist“, sagt er leise und vergräbt sein Gesicht an meinem Hals.

„Ist es aber mein Schatz“, antworte ich fast flüsternd und kuschle meine Wange an seine Schläfe. Ich könnte ewig in dieser Position verharren. Sein Atem streicht warm über meine Halsbeuge und ich fühle seine Bartstoppeln an meiner Haut. Es ist unglaublich, wie sehr ich diesen Kerl liebe. Mein 30ster Geburtstag naht, und ich bin mit meinem Leben vollauf zufrieden, mehr als das, ich bin … ja, glücklich.

Unsere Kuschelrunde wird leider jäh durch das schrille Läuten der Türglocke unterbrochen. „Die Kavallerie naht“, sage ich, löse mich widerwillig von ihm und trabe zur Tür.

Davor steht jedoch zunächst nur die Infanterie, in Form von Rob und seinem aktuellen Lover. Kevin heißt er, wenn ich mich noch recht entsinne. Es ist nicht einfach bei Robs enormem Verschleiß an Frischfleisch den Überblick zu behalten.

Rob und ich haben längst Waffenstillstand geschlossen. Ob wir jemals Freunde werden, wage ich zwar stark zu bezweifeln, aber Manuel zuliebe kommen wir irgendwie miteinander aus.

„Guten Morgen, schön, dass ihr da seid“, sage ich, und ich meine es wirklich ehrlich. „Wir haben vorhin Kaffee gemacht, möchtet ihr eine Tasse?“

„Hi Axel“, erwidert Rob. Kevin nickt mir nur kurz zu, sehr gesprächig scheint der Kleine nicht zu sein, aber vielleicht ist er ja auch nur ein Morgenmuffel und bekommt die Zähne einfach noch nicht auseinander. „Kaffee hört sich gut an. Wir haben sogar was Passendes dazu mitgebracht“, meint Rob und zaubert grinsend eine Tüte vom Bäcker hinter seinem Rücken hervor.

Manchmal ist er ja direkt zu etwas zu gebrauchen.

Während wir noch am Frühstücken sind, trudeln nach und nach auch all die anderen Helfer ein: Carsten und Frederick mit einem LKW im Schlepptau, danach Johannes, einer meiner Arbeitskollegen, das Schlusslicht bildet Sandra, bepackt mit den zwei Stangen Baguette, um die ich sie gebeten hatte. Die Mannschaft hier möchte schließlich verköstigt werden und im neuen Kühlschrank steht schon ein riesiger Bottich bereit, bis oben hin gefüllt mit Schaschlik. Das Essen habe ich bereits gestern vorbereitet. Aus Bequemlichkeit und Zeitgründen ungespießt, was vielleicht heute auch ganz sinnvoll ist, somit läuft zumindest niemand Gefahr, dass sich sein Essen versehentlich beim Versuch, das Fleisch und Gemüse von den Holzspießen zu schieben, auf des Nachbars Teller wieder findet - im günstigsten Fall, es könnte schließlich auch sonst wo landen: im Ausschnitt der Dame gegenüber zum Beispiel, oder im Schritt des Herrn daneben.

Bei so vielen fleißigen Händen dauert es nur wenige Stunden, bis die Schränke abgebaut und in den Laster verladen sind. Ihnen folgen das Bett, die Wohnzimmermöbel und restlichen Stücke, wie Waschmaschine und Trockner. Die Einbauküche gehört glücklicherweise zur Wohnung und muss nicht abgebaut werden.

Auch die Kartons sind bald verstaut und schließlich stehen Manuel und ich in einer fast leeren Wohnung. Einige blaue Müllsäcke sind in einer Ecke gestapelt, die Reste des Frühstücks stehen noch auf der Küchentheke herum und es befinden sich überall verteilt Staubmäuse auf dem Fußboden. Wir haben bis zur Übergabe zwar noch ein gehöriges Stück Arbeit vor uns - in beiden Wohnungen - aber das Gröbste wäre schon mal geschafft.

Ein klein wenig wehmütig lasse ich den Blick umher schweifen. Ich habe immerhin die letzten vier Jahre in dieser Wohnung verbracht, wobei die schönsten Erinnerungen zweifelsohne in den letzten Monaten entstanden sind.

„Doch ein bisschen traurig?“, fragt Manuel, er kennt mich einfach schon zu gut.

„Nein“, sage ich und kuschle mich in seinen Arm, den er um mich gelegt hat, „traurig ist nicht der richtige Ausdruck. Ich hänge nur etwas meinen Erinnerungen nach. Wir haben sehr glückliche und schöne Momente hier erlebt.“

„Und es wird noch mehr solcher Momente in unserem Häuschen geben. Wir schaffen uns einfach neue Erinnerungen“, antwortet er sanft und drückt mir einen Kuss auf die Schläfe.

„Ja das werden wir“, bestätige ich, schließe die Augen und genieße einfach diese wohltuende innere Ruhe, die mich jedes mal überkommt, wenn Manuel mich in seinen Armen hält.

Ein leises Räuspern lässt uns hochschrecken. „Ich störe euch nur ungern Jungs, bei was auch immer“, grinst sie, „aber Papa und Frederick haben sich auf den Weg gemacht und wir anderen wären auch soweit loszufahren.“

Die Fahrt dauert keine halbe Stunde und da stehen wir nun, vor unserem gemeinsamen Haus. Keine Worte könnten auch nur annähernd das beschreiben, was ich fühle. Manuel und ich ziehen zusammen. Ich weiß, er hat die vergangenen Monate im Grunde schon bei mir gewohnt, aber das hier ist etwas vollkommen anderes. Es symbolisiert, dass wir zusammengehören. Was jetzt nicht heißen soll, dass wir vorher nicht zusammengehört hätten, aber dies hier ist eben ... irgendwie das Ende einer Reise. Wir sind ... zu Hause. Hier gehören wir her, zusammen, als Familie.

Manuel nimmt meine Hand und schließt mit der anderen die Haustür auf. Gemeinsam treten wir über die Schwelle und stehen zunächst in einem Flur und Treppenhaus. Gleich rechts neben der Haustür befindet sich die Gästetoilette, links geht eine Tür ab in die Küche, die zusammen mit dem Wohnzimmer einen riesigen Raum in L-Form bildet. Von da aus kommt man auch auf eine Terrasse, auf die man durch die gewaltige Fensterfront freien Blick hat. Die Terrasse selbst ist weitestgehend von außen geschützt, denn rundum verläuft eine Hecke, die allzu neugierige Blicke abhalten soll.

Auf der nächsten Etage befinden sich Schlafzimmer, Bad und ein weiteres kleines Zimmer, bei dem wir noch nicht so genau wissen, was wir damit anstellen werden. Unter dem Dach schließlich gibt es noch einen Raum in L-Form, welchen ich mir bereits unter den Nagel gerissen habe. Hier nämlich habe ich endlich die Möglichkeit, mich nach Belieben auszubreiten. Hey, ich bin Informatiker, und PCs brauchen einfach Platz. Selbstverständlich würde hier auch Manuels Rechner ein Plätzchen finden. Achja, Kellerräume haben wir natürlich auch noch.

Von der Lage her ist unser neues Domizil ebenfalls perfekt. Ich werde zwar für die Fahrt in den Betrieb etwas länger brauchen als bisher, da ich jedoch eh mit dem Auto fahre, ist es relativ wurscht, ob ich nun 15 Minuten länger unterwegs bin. Aber dafür liegt das Pflegeheim, in dem Manuel arbeitet fast um die Ecke. Mit dem Fahrrad benötigt er nur wenige Minuten, und notfalls könnte er sogar zu Fuß gehen.

Das Ausladen geht relativ fix über die Bühne, nur das Bett in die nächste Etage zu schaffen, gestaltet sich bei dem engen Treppenhaus als kleine Herausforderung, doch auch diese meistern wir irgendwann und früher als erwartet sind Carsten und Frederick wieder auf dem Weg zurück zur Autovermietung, um den LKW abzugeben.

In der Zwischenzeit kümmere ich mich um unser aller leibliches Wohl, während die anderen schon mit dem Aufbau der Schränke beschäftigt sind. Unsere riesige Wohn- Ess- Küchenkombi nimmt schon Gestalt an und bald sieht der Raum sogar richtig wohnlich aus, wenn man einmal von den tausenden Umzugskartons absieht.

Den bereits aufgestellten Esstisch decke ich nicht, da hätten ohnehin nur vier Personen Platz, deswegen stelle ich Teller, Besteck und das geschnittene Brot einfach auf die kleine Theke, welche die Küche vom Rest des Raumes trennt und teile den anderen durch lautes Zurufen mit, dass sie sich die Bäuche voll schlagen dürften.

„Oh Gott sei Dank, ich habe nämlich Hunger wie ein Bär“, kommt es von Frederick, der zusammen mit Carsten soeben wieder zurück ist.

Die anderen pflichten ihm bei und das große Schaufeln beginnt. Von Zeit zu Zeit schiele ich nervös auf den Kochtopf, dessen Inhalt rapide abnimmt und ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel, dass mein Gekochtes ausreichen möge.

„Seit wann seid ihr beiden eigentlich zusammen?“, kommt es irgendwann von Kevin. Huch, es kann ja reden!

„Seit etwas mehr als einem Jahr“, antwortet Manuel für uns und holt sich bereits den zweiten Nachschlag. Fast schon panisch werfe ich einen Blick in den Bräter, dessen Boden mittlerweile nur noch spärlich bedeckt ist.

„Und wie habt ihr euch kennen gelernt?“, will er weiter wissen.

„Tja“, antwortet Manuel grinsend, „ich habe Axel vor Rob gerettet.“

Kevin sieht erstaunt zu Rob hinüber, dieser zuckt jedoch nur mit den Schultern und meint dann in meine Richtung: „Diese Hete-Nummer habe ich Dir übrigens von Anfang an nicht abgekauft, ich hätte mein linkes Ei dafür verwettet, dass Du einer von uns bist, sonst hätte ich Dir kaum an den Arsch gegriffen“, lacht er.

Ähm?!

„Du bist ne Hete?“, Kevins Augen werden immer größer und er schüttelt ungläubig seine schwarzen Locken. Robs geschilderten Annährungsversuch an meine Kehrseite ignoriert er beflissen.

„Nein, ich bin schwul“, antworte ich grinsend. Wieder etwas, das ich mittlerweile mühelos aussprechen kann, auch wenn ich gerade etwas an Robs Aussage zu knabbern habe.

„Er war damals mit mir zusammen“, bringt Sandra sich in das Gespräch ein, „Im Grunde kann sich eine Frau ja getrost erschießen gehen, wenn der eigene Freund zum anderen Ufer überläuft. Was sagt das denn über meine Qualitäten als Frau aus? Aber es ist Manuel, in den Axel sich verliebt hat, und das wiederum, kann ich voll und ganz verstehen“, ergänzt sie und blickt liebevoll von Manuel zu mir.

„Rob hat nicht ganz Unrecht, selbst ich hatte da so eine vage Vermutung“, kommt es plötzlich von Carsten.

Wie bitte? Darüber werde ich mich in Bälde ganz sicher noch ausführlicher mit Carsten unterhalten müssen.

Das Erstaunen scheint mir ins Gesicht geschrieben zu sein, denn er ergänzt: „Wir haben nun mal einen Riecher für so was.“

„Ich anscheinend nicht, denn mir wäre fast der Telefonhörer aus der Hand gerutscht, als Axel bei uns angerufen hatte und Manuel suchte“, sagt er stirnrunzelnd. „Ich wusste ehrlich gesagt zunächst nicht, was ich davon halten soll“, entschuldigend blickt er in meine Richtung. „Es ist nur so, dass ich wusste, dass Manuel sich in Dich verknallt hat. Eigentlich fast vom ersten Augenblick an, als ich euch zusammen gesehen habe. Ich habe mir da aber nicht allzu viel dabei gedacht, hätte ja sein können, Manuel wäre in sein altes Verhaltensmuster zurück gefallen. Er war früher öfter mal verliebt.“

„Da war ich noch ein Teenager“, erwidert Manuel lachend. „Zur damaligen Zeit habe ich mich fast wöchentlich neu verliebt.“

„Naja, wie auch immer. Für mich war Axel der Freund von Sandra, es hat mich wirklich eiskalt erwischt“, gibt er zu. „Ganz anders als Carsten, ihn hat das gar nicht vom Hocker gerissen.“

Danach wenden sich die Dame und die Herren gottlob wieder anderen Gesprächsthemen zu. Nicht, dass es mir noch etwas ausmachen würde, über meine Homosexualität zu reden, aber ich hasse es im Mittelpunkt zu stehen. Wesentlich lieber ist es mir, wenn ich mich einfach in meinem Stuhl zurücklehnen und den anderen zuhören kann. Von Zeit zu Zeit gebe ich einen Kommentar von mir, um zu signalisieren, dass ich den Gesprächen um mich herum durchaus folge, ansonsten beobachte ich interessiert die Menschen um mich herum.

Das kann ich wirklich gut, so bemerke ich manchmal Dinge, die den meisten Anderen entgehen. So zum Beispiel diese heimlichen Blicke, die sich Sandra und Johannes immer wieder zuwerfen, wenn sie denken, unbeobachtet zu sein. Interessant!

Oder auch der schmachtende Ausdruck in Kevins Augen, wenn er Rob ansieht, obwohl dieser ihn schon fast den ganzen Tag über praktisch kampfignoriert. Oh Gott Kleiner, sich in Rob zu verlieben ist die denkbar schlechteste Idee.

Und auch Carsten, der immer wieder nach Fredericks Hand zu greifen versucht. Frederick, der jegliche Berührung standhaft verweigert. Was zum Geier ist da denn los? Ist Carsten einmal zu oft zur Seite gesprungen und jetzt hängt der Haussegen schief? Wundern würde es mich nicht, denn Manuel und ich machen uns schon seit geraumer Zeit Gedanken um die beiden und ich frage mich spätestens seit Carstens 60stem Geburtstag, wie lange das noch gut geht. Ich weiß, das ist nicht mein Bier, aber die beiden liegen mir am Herzen, Frederick inzwischen noch mehr als Carsten, er ist schließlich Manuels Bruder.

Nach und nach werden die Gespräche immer weniger und man merkt den Meisten ihre Müdigkeit deutlich an. Schließlich löst sich die Gesellschaft auf und ein langer, anstrengender, aber auch glücklicher Tag geht zu Ende.

Ich schaffe es kaum noch meine Zähne zu putzen, so müde bin ich. Ich liege schon im Bett, als sich Manuel, ebenso erschöpft, neben mich fallen lässt.

„Gott, bin ich erledigt. Selbst wenn Du mich jetzt unter Androhung körperlicher Gewalt zum Sex zwingen würdest, bekäme ich keinen mehr hoch.“ Wow, und das aus dem Munde von Mr. Dauerscharf. Wäre ich selbst nicht fertig wie ein Schnitzel, käme ich durchaus in Versuchung den Wahrheitsgehalt dieser Aussage zu überprüfen.

So jedoch erhält er als Antwort nur ein unbestimmtes Brummen. Ich bin nicht mehr in der Lage auch nur ein halbwegs verständliches Wort zu artikulieren.

Vage registriere ich noch, wie Manuel sich an mich kuschelt.

„Nacht mein Schatz, ich liebe Dich“, flüstert er an meinen Ohr und drückt mir einen Kuss in den Nacken.

„... auch“, nuschle ich und werde im nächsten Augenblick auch schon unerbittlich in Morpheus Reich gezogen.

*




Axels Schaschlik für Faule



Zutaten für 6-8 Personen:

1,5 Kg Schweinenacken
250 g Speck
Je 2 rote und gelbe Paprikaschoten
2-3 große Zwiebeln
1 Flasche Tomatenketchup
1 Flasche Zigeunersoße
1 Flasche Schaschliksoße
Gewürze nach Geschmack

Das Fleisch in Würfel schneiden. Schwarte vom Speck entfernen und den Speck ebenfalls klein schneiden. Paprika und Zwiebeln putzen und in größere Stücke schneiden.

Speck mit etwas Öl anbraten, Fleisch dazugeben, würzen und ebenfalls anbraten. Gemüse dazugeben und einige Minuten andünsten. Die Soßen unter das Schaschlik mischen und mit Wasser ablöschen. (Ich befülle die drei Flaschen immer mit Wasser, das dürfte auch in etwa die benötigte Menge sein und die Flaschen sind sauber. ;-))

Das Ganze bei mittlerer Hitze köcheln lassen, bis das Fleisch schön weich ist.

Wer es etwas schärfer mag, kann klein geschnittene Chilischoten untermischen. Ich variiere manchmal auch etwas mit der Soße und leere, sofern ich da habe, Barbecue-Soße von Hot Mama dazu.

Man kann die Zutaten natürlich auch spießen, dafür bin ich aber meist zu faul. ;-)

Der Schaschliktopf schmeckt übrigens am nächsten Tag besser, deswegen lässt er sich gut vorbereiten.


... oder vielleicht doch nicht?



„Dieser Will Turner ist ja richtig niedlich“, bemerkt Manuel und blickt schmunzelnd auf den Bildschirm, auf dem sich soeben Orlando Bloom und Johnny Depp in gewohnter Manier gegen eine wild gewordene Horde Piraten behaupten müssen.

Überrascht hebe ich meine Augenbrauen und sehe zu ihm auf. Ich habe es mir auf seinem Schoß gemütlich gemacht, das heißt, mein Kopf liegt auf seinem Schoß, der Rest von mir befindet sich langgesteckt auf dem Sofa. Heute ist zwar Freitag, aber zum Ausgehen verspüren wir beide keine große Lust. Ob wir morgen auf die Mega-Halloween-Party im Boots gehen werden, steht auch noch in den Sternen. Für heute jedenfalls haben wir einstimmig beschlossen, einige Filme aus der Videothek zu holen und es uns zu Hause gemütlich zu machen, zumal das unser erstes gemeinsames Wochenende diesen Monat ist. Ich hasse diesen verfluchten Schichtdienst, den seine Arbeit leider viel zu oft mit sich bringt. Viel zu viele gemeinsame Sams- und Sonntage mussten wir schon für seinen Beruf opfern. Deswegen genießen wir solche freien Wochenenden auch ganz besonders. Von den Abenden, die ich auf Grund seiner Spätschichten bisher schon alleine verbringen musste, fange ich am besten gar nicht erst an. Eigentlich kann ich noch froh sein, dass er nur zwischen Früh- und Spätschicht wechseln muss, wäre er auch den halben Monat über Nachts weg, würde ich durchdrehen.

„So?“, sage ich gespielt beleidigt und höre ihn leise lachen.

„Findest Du nicht?“, erwidert er und starrt scheinbar wie gebannt auf den Fernseher. Deutlich erkenne ich das amüsierte Zucken um seine Mundwinkel.

„Hm“, antworte ich unbestimmt und grinse in mich hinein. Mein Süßer möchte Spielchen spielen? Gut, spielen wir.

Ich drehe meinen Kopf wieder in Richtung des Fernsehers und tue so, als ob es nichts Wichtigeres gäbe als Captain Sparrows verdrehten Weisheiten zu lauschen.

„Johnny ist aber auch nicht zu verachten“, antworte ich lässig, lege eine Hand auf seinen Oberschenkel und schiebe sie unter meine Wange, dabei gleite ich geschickt an der Innenseite seines Schenkels entlang. Als ob ich mir eine gemütlichere Position suchen würde, ruckle ich meinen Kopf auf seinem Schoß zurecht und rutsche natürlich nur rein zufällig ein wenig nach hinten. Der Erfolg stellt sich prompt ein, denn nur wenige Momente später fühle ich Manuels Hand besitzergreifend auf meiner Hüfte liegen. Er streicht einmal kurz über meinen Po und führt seine Finger dann wieder zurück zu meiner Hüfte.

Ich muss mich arg beherrschen, um nicht ein verräterisches Kichern auszustoßen. Erneut schiebe ich meine Hand unter meiner Wange zurecht und komme ihm diesmal recht unanständig nahe. Ein leichtes Beben fährt durch seinen Körper und ich bin mir ziemlich sicher, dass Manuel gerade etwas Mühe hat, das Geschehen auf dem Bildschirm zu verfolgen. Der niedliche Will Turner dürfte mittlerweile so eine große Rolle spielen wie ein umgefallener chinesischer Sack Reis, und daran würde sich vermutlich auch nichts ändern, wenn er sich urplötzlich in einen Exhibitionisten verwandeln und leibhaftig durch unser Wohnzimmer turnen würde.

Mit fahrigen Bewegungen, schlüpfen Manuels Finger zielsicher unter mein Shirt und kneifen mich zart in die Seite.

„Du Biest“, knurrt er und mein Grinsen wird noch ein oder zwei Nuancen breiter.

Ich drehe mich auf den Rücken und unsere Blicke treffen aufeinander. Liebevoll tasten seine Augen mein Gesicht ab. Streichen über mein Haar, meine Stirn, die Nase entlang, dann zu den Wangenknochen, verweilen kurz bei meinem Mund und gleiten weiter zu meinen Hals. Jeden Quadratzentimeter scheint er sich einprägen zu wollen.

„Du weißt ganz genau, an welchem Rädchen Du bei mir drehen musst, was?“, seine Stimme klingt zärtlich und rau.

„Das nenne ich ausgleichende Gerechtigkeit, denn meine Rädchen hattest Du damals ja wohl binnen Sekunden gefunden“, antworte ich feixend.

Völlig unvermittelt beugt er sich zu mir herunter und startet einen Frontalangriff auf meine Halsbeuge.

„Meinst Du das Rädchen hier?“, schnurrt er und ich kann deutlich auf meiner Haut spüren, dass er grinst. Wer ist nun das Biest, hm?

„Direkter Treffer“, keuche ich und greife mit einer Hand in sein Haar. Diesmal sind es meine Bewegungen, die zusehends fahriger werden. Ich rutsche etwas höher, damit es bequemer für ihn ist und küsse ihn. Ich stoße ein wohliges Brummen aus, als sich seine Zunge fordernd zwischen meine Lippen schiebt. Er schmeckt herrlich, nach einer Mischung aus Rotwein, Chips und ... Manuel. Ich vergöttere diesen Kerl und er gehört mir!

Unablässig streichelt seine Hand über meinen nackten Bauch, gleitet tiefer, streicht einmal kurz über die inzwischen deutlich sichtbare Erhebung an meiner Hose, bewegt sich wieder zurück zu meiner Brust und beginnt dieses aufreizende Spielchen von Neuem. Was hat der Kerl vor? Will er, dass ich über ihn herfalle? Das kann er gerne haben, wenn er mich weiterhin so reizt.

Bevor ich allerdings meinerseits zum Frontalangriff übergehen kann, werden wir durch das charakteristische Ding-Dong der Haustürglocke unterbrochen. Laut und vernehmlich hallt das in diesem Moment wirklich mehr als unerwünschte Geräusch nach und ich lasse mich stöhnend zurück auf Manuels Schoß fallen.

„Sollen wir einfach so tun, als ob niemand zuhause wäre?“, frage ich hoffnungsvoll und meine es im Grunde nicht wirklich ernst. Dem abendlichen Besucher dürfte ohnehin kaum entgangen sein, dass wir zuhause sind, denn die Beleuchtung, die für jedermann deutlich sichtbar durch das Küchenfenster nach draußen dringt, hat uns sicherlich längst verraten.

„Na los, schau schon nach, wer draußen steht, ich warte hier solange auf Dich“, er zieht bedeutungsvoll die Augenbrauen nach oben und gibt mir einen kurzen Klaps auf den Hintern.

Ich stoße ein gereiztes Knurren aus und erhebe mich widerwillig.

„Merk Dir, wo wir stehen geblieben sind, mein Süßer, wir machen genau da in einer Minute weiter“, schnurre ich, drücke Manuel noch einen kurzen Kuss auf den Mund und gehe zur Tür. Auf dem Weg dorthin bringe ich noch meine Kleidung in Ordnung, rücke das Resultat unseres kleinen Spielchens etwas zurecht und öffne die Tür. Ich weiß nicht, wen ich erwartet habe, aber ganz sicher nicht den Mann, der mir soeben gegenüber steht.

Die Überraschung scheint mir ins Gesicht geschrieben zu sein, denn der unerwartete Gast tritt unbehaglich von einem Fuß auf den anderen.

„Hallo Axel, ich hoffe, ich störe euch nicht“, meint Frederick und klingt irgendwie ... seltsam.

Ich war gerade im Begriff, mich von seinem Bruder flach legen zu lassen. Natürlich stört er. Das kann ich ihm aber schlecht so einfach an den Kopf werfen. Schon gar nicht, wenn er so aussieht, wie er eben gerade aussieht. Er hat seinen Blick starr an mir vorbei auf das Namensschild geheftet. Axel Becker und Manuel Fischer steht da. Wenn ich allerdings Fredericks Gesichtsausdruck richtig deute, könnte da auch Mickey und Goofy stehen, es käme ihm nicht im Geringsten komisch vor, er würde es wahrscheinlich noch nicht einmal bemerken, so sehr ist er neben der Spur. Seine Augen blicken seltsam glanz- und freudlos. Irgendwas stimmt hier so ganz und gar nicht.

„Nein, natürlich nicht“, sage ich stattdessen schnell und gebe mir Mühe es auch glaubhaft klingen zu lassen. Mag sein, dass mein Verstand im Moment vielleicht eine Etage tiefer sitzt, aber unhöflich bin ich deswegen noch lange nicht. „Komm erstmal rein“, fordere ich ihn auf.

Manuel kommt uns auf halbem Weg entgegen. „Frederick?“, ruft er erstaunt aus, und dann recht besorgt: „was ist passiert?“

Frederick holt tief Luft und sagt tonlos: „Ich ... ich habe Carsten verlassen, zumindest vorübergehend.“

Was?

Manuel nimmt seinen Bruder fest in die Arme. „Wo ist Carsten?“, flüstert er.

„Zuhause, denke ich, da war er zumindest vorhin noch. Kann ich heute Nacht bei euch schlafen?“, fragt Frederick und erst jetzt fällt mir die schwere Umhängetasche auf, die er vor sich auf den Fußboden gestellt hat.

„Ja klar, natürlich“, antwortet Manuel. Wir ahnen zwar schon seit geraumer Zeit, dass bei Carsten und Frederick der Wurm drin ist, aber keiner von uns hat auch nur ernsthaft damit gerechnet, dass dieser Wurm bereits solch gigantische Ausmaße erreicht hat.

„Hattet ihr Streit?“, fragt Manuel. Er hat seinen Bruder inzwischen ins Wohnzimmer bugsiert und Frederick lässt sich seufzend auf das Sofa fallen, auf dem wir soeben noch nichts ahnend gelegen haben. Im Geiste verabschiede ich mich schon einmal seufzend von jeglicher Romantik, das wird heute wohl eher nichts mehr.

Mit einer Hand greife ich nach der Fernbedienung und schalte den Film aus. Ich glaube kaum, dass sich im Moment auch nur einer von uns für das Treiben auf dem Bildschirm interessiert. Orlando hin, Johnny her.

Frederick nickt traurig. „Einer von vielen. Wir streiten häufig in letzter Zeit“, sagt er leise.

„Möchtest Du etwas trinken?“, besinne ich mich auf meine Rolle als Gastgeber.

Wieder nickt er und deutet mit einem Finger auf die halb volle Weinflasche auf dem Tisch. „Ich nehme etwas davon“, seine Stimme klingt merkwürdig brüchig und ich schlucke den Kloß hinunter, der sich unweigerlich in meiner Kehle gebildet hat.

Wenige Minuten später stehe ich wieder im Wohnzimmer. Ein Glas in der linken und eine frische, bereits entkorkte Flasche Wein in der rechten Hand. Ich habe gleich zwei Flaschen aus dem Keller mit nach oben gebracht. Irgendwie habe ich so das Gefühl, dass es eine anstrengende und lange Nacht werden könnte.

Manuel hat sich in der Zwischenzeit neben seinen Bruder gesetzt und streicht ihm aufmunternd über den Rücken.

Wortlos schenke ich das Glas zur Hälfte voll, reiche es Frederick, sinke in meinen Sessel und harre der Dinge, die ich wohl gleich hören werde.

Frederick nippt einmal kurz an seinem Glas und beginnt schließlich seine Erzählung: „Carsten hat eine Affäre.“

Aha, welch eine Überraschung, damit hätte jetzt wirklich keiner gerechnet.

„Versteh mich nicht falsch, Großer, aber das ist jetzt nichts wirklich Neues. Was ist diesmal anders?“, fragt Manuel sanft und streicht unablässig über Fredericks Rücken.

Frederick zuckt mit den Schultern und schüttelt gleichzeitig resignierend den Kopf. „Ich bin anders“, sagt er schließlich. „Du hast ja recht, Carsten hatte schon immer seine Affären. Ich kann nicht behaupten, dass es mich nicht gestört hätte, denn das hat es immer… aber ich habe mich damit arrangiert, weil ich ihn liebe. So ist er eben, ich wusste es, als ich ihn kennen gelernt habe, und habe mich darauf eingelassen, also konnte ich mich auch schlecht darüber beklagen. Ich war etwas älter als Du, Axel, als ich mit Carsten zusammen kam. Er war damals knapp 49. Ein riesiger Altersunterschied, aber der hat uns nie sonderlich gestört. Seine Seitensprünge fingen recht früh an, ich glaube, wir waren noch kein Vierteljahr zusammen. Er hatte wenigstens soviel Anstand, mir seine Affären nicht unter die Nase zu reiben, doch ich wusste es auch so.“

Frederick fährt sich mit beiden Händen über das Gesicht und eine Welle des Mitgefühls bricht über mir zusammen. Allein die Vorstellung, dass Manuel… ich möchte diesen Gedanken gar nicht zu Ende führen, ich würde verrückt werden.

Manuels und meine Blicke treffen sich über Fredericks Kopf hinweg. Ich kann in seinem Gesicht lesen, wie in einem Buch, und da liegt ein stummes Versprechen… das Versprechen, dass er mich liebt, ich mir keine Sorgen machen muss, er zu mir gehört.

Im Moment geht es aber nicht um Manuel und mich, sondern um Frederick, der wie ein Häufchen Elend, mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern auf unserem Sofa sitzt - den Tränen nahe.

„Was ist passiert, dass Du es nicht mehr ertragen kannst?“, beruhigend streicht Manuels Hand über Fredericks Schulter.

„Ihr seid passiert“, antwortet er leise.

Manuel und ich sehen uns überrascht an.

„Wir?“, hakt Manuel nach.

„Seit ihr zusammen seid, weiß ich, dass es auch anders sein kann. Wisst ihr eigentlich, wie sehr ich euch bewundere? Ihr seid so liebevoll zueinander. Man erkennt sofort, wie sehr ihr euch liebt, wirklich beneidenswert. Ich wünschte, zwischen Carsten und mir wäre es ebenso.“ Frederick sieht von Manuel zu mir und wieder zurück zu seinem Bruder.

Ich habe nicht die geringste Ahnung, was ich dazu sagen soll, und Manuel scheint es ähnlich zu gehen.

Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis er antwortet: „Du kannst unsere Beziehungen nicht mit einander vergleichen, Großer. Axel und ich kennen uns nur ein Bruchteil der Zeit, die Carsten und Du zusammen seid. Wir sind jünger …“

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass Treue, Liebe und Zusammengehörigkeit vom Alter abhängt?“, unterbricht ihn Frederick schnell. „Könntest Du Dir vorstellen, dass ihr beide in 10 Jahren so neben einander her lebt, wie Carsten und ich?“

„Nein“, antwortet Manuel ehrlich, „aber vielleicht ist einfach manches bei euch zur Gewohnheit geworden.“

„Das Einzige, was bei uns zur Gewohnheit geworden ist, sind seine Seitensprünge“, erklärt Frederick bitter. „Hat Axel Dich, oder Du ihn auch bereits nach drei Monaten betrogen?“, fragt er und sieht Manuel dabei fest in die Augen.

Dieser schüttelt nur langsam den Kopf und sieht dann betreten zu Boden.

„Genau, ihr würdet euch das niemals antun, weil ihr euch liebt! Einmal ganz davon abgesehen, dass keiner von euch beiden auch nur daran denken würde, etwas mit 'nem anderen Kerl anzufangen.“

Manuel legt einen Arm um Frederick und zieht ihn eng an sich. „Denkst Du wirklich, Carsten liebt Dich nicht mehr?“

„Wie kann er mich denn lieben, mich jemals geliebt haben, wenn er das Bedürfnis nach anderen Männern hat? Was mache ich nur falsch? Warum genüge ich ihm nicht?“, schluchzt Frederick.

Ich fange Manuels gequälten Gesichtsausdruck auf. Wir denken beide das Gleiche. Wie sollen wir Frederick gegenüber Carstens Verhalten erklären, wenn wir es doch selbst nicht verstehen? Wie sollen wir ihm sagen, dass alles wieder gut werden würde, wenn wir beide keine Ahnung haben, warum Carsten nicht treu sein kann oder will? Im Grunde wäre Frederick ohne Carsten wirklich besser dran. Ich weiß, dass wir eigentlich nicht das Recht haben uns einzumischen, und ja, bis zu einem gewissen Grad, kann jeder tun und lassen, was er will, auch Carsten. Aber Frederick sitzt hier bei uns und heult sich die Augen aus dem Kopf, da dürfen wir doch zumindest unsere Meinung dazu haben, oder? Versteht mich nicht falsch, sowohl Manuel als auch ich mögen Carsten, und wir würden uns nichts mehr wünschen, als dass die beiden glücklich zusammen sind, aber so wie es eben derzeit ausschaut, ist Frederick alles andere als glücklich, und Carsten spielt dabei eine nicht gerade geringe Rolle.

„Hast Du ihm denn jemals gesagt, dass Dich seine Untreue verletzt?“, fragt Manuel sanft nach.

„Ja“, dann einige Sekunden später: „zumindest habe ich es ihn fühlen lassen.“

„Hast Du es ihm aber auch direkt gesagt?“, hakt Manuel nach.

Frederick scheint einige Sekunden nachzudenken. „Vorhin das erste Mal wirklich direkt. Aber das ändert doch auch gar nichts. Er geht zu anderen Männern, da kann er mich doch einfach nicht so lieben, wie ich ihn. Vögle ich mich vielleicht durch die Weltgeschichte?“, antwortet er trotzig.

*



Etwas verkatert stehe ich am nächsten Morgen, oder vielmehr Mittag, in der Küche und bereite uns ein schnelles Frühstück bestehend aus Kaffee und Toast. Die Nacht war erwartungsgemäß lang, traurig und ziemlich feucht. Frederick hat versucht seinen Kummer in Massen von Rotwein zu ertränken und wir haben ihm dabei solidarisch Gesellschaft geleistet. Gemeinsam haben wir beschlossen, dass Carsten Frederick überhaupt nicht verdient hat und dass es sicher noch andere nette Männer auf der Welt geben würde - nur, um im Laufe der Nacht dann doch festzustellen, dass Frederick keinen anderen will.

Irgendwann in der Nacht hatte auch das Telefon geläutet. Wir haben es dem Anrufbeantworter überlassen mit Carsten zu sprechen, der sich erkundigte, ob Frederick bei uns wäre. Als ich vorhin aufgestanden bin, hatte Carsten zwei weitere Nachrichten hinterlassen. Zurück gerufen hat bislang noch keiner. Frederick ist nicht in der Lage dazu und weder Manuel noch ich verspüren große Lust, uns Carstens Rechtfertigungen anzuhören. Auch Sandra hat eine kurze Nachricht auf unseren AB gesprochen, sie dürfte das Drama sicherlich bereits durch ihren Vater mitbekommen haben.

Manuel tritt hinter mich und drückt mir einen Kuss in den Nacken. „Guten Morgen mein Schatz.“

Ich weiß nicht, wie der Kerl es macht, am frühen Morgen dermaßen sexy auszusehen, und noch dazu nach einer solchen Nacht. Er trägt eine Jogginghose, die tief auf seinen Hüften sitzt, und sonst nichts. Sein Haar ist von der Nacht verwuschelt und steht in sämtliche Himmelsrichtungen ab. Seine untere Gesichtshälfte ist von einem dunklen Bartschatten bedeckt. Er sieht einfach zum Anbeißen aus.

„Morgen“, antworte ich, drehe mich zu ihm herum, schlinge meine Arme um seinen Hals und hauche einen Kuss auf seine Lippen. Tief sauge ich den Duft seiner Haut ein. Wie kann ein Mensch nur so gut riechen?

„Wo ist er?“, fragt Manuel und holt mich damit aus meinen schwärmerischen Gedanken.

Ich deute mit dem Daumen zur Gästetoilette, aus der einige nicht gesellschaftsfähige Laute zu uns in die Küche dringen. „Er lässt sich den Wein von heute Nacht noch mal durch den Kopf gehen. Mich wundert es, dass er überhaupt noch was im Magen hat, das er von sich geben kann“, seufze ich.

„Es tut mir leid, aber ich habe gerade das Bedürfnis Carsten zu erwürgen“, erklärt Manuel mit finsterer Miene.

Bevor ich darauf antworten kann, klingelt das Telefon - schon wieder. Ich würde es heute liebend gerne an die Wand klatschen. Alexander Graham Bell hätte es sich wohl auch nie träumen lassen, dass sein Patent irgendwann einmal in der Lage sein könnte, Menschen in schiere Verzweiflung zu stürzen.

„Verdammt, kann mal einer von euch ans Telefon gehen?“, erklingt Carstens, inzwischen ziemlich verärgerte Stimme, nachdem der Anrufbeantworter angesprungen ist.

Ich zucke mit den Schultern und greife nach dem Schnurlosen. Es hat ja doch keinen Sinn, sich weiterhin taub zu stellen, irgendwann muss schließlich einer von uns mit ihm reden.

„Morgen Carsten“, antworte ich.

„Mann, endlich. Seit gestern Abend versuche ich einen von euch zu erreichen. Ist Frederick bei euch?“

Ich suche in Manuels Gesicht nach einer Antwort. Er versteht meine stumme Frage und nickt.

„Ja“, antworte ich.

„Oh Gott sei Dank“, Carsten wirkt, als sei ihm eine Zentnerlast vom Herzen gefallen. „Ich hatte schon befürchtet …“, er lässt den Satz offen.

„Was denn?“, frage ich und kann den sarkastischen Unterton nicht unterdrücken.

„Ich… ich weiß nicht“, stottert er, „er war so aufgebracht gestern Abend.“

„Ja, er war ziemlich durch den Wind, als er gestern bei uns ankam“, bestätige ich.

„Hat er mit euch gesprochen?“, fragt Carsten vorsichtig.

„Frederick stand gestern Abend, samt Gepäck vor unserer Haustür und hat nach einem Platz zum Schlafen gefragt. Denkst Du, wir haben die Nacht über Familienphotos angesehen? Natürlich hat er uns gesagt, was los ist“, kann ich mir nicht verkneifen.

Lange Zeit sagt Carsten kein Wort, dann, als ich schon denke, er hätte aufgehängt: „Kann ich bitte mit ihm reden?“ Er klingt erschöpft.

„Ich glaube nicht, dass er Dich im Moment sprechen möchte, zumal er gerade etwas … indisponiert ist“, antworte ich ausweichend.

„Geht es ihm gut?“, er scheint wirklich besorgt zu sein.

Ich lache kurz und freudlos auf. „Er kotzt sich gerade die Seele aus dem Leib, weil er versucht hat, seinen Kummer in Rotwein zu ertränken. Also nein, es geht ihm alles andere als gut!“, antworte ich barscher als ich eigentlich wollte.

Ich vernehme ein Schnauben auf der anderen Seite. Ich weiß, dass ich mich nicht einmischen sollte und dass dieser zugegeben recht sarkastische Kommentar etwas daneben war, aber was soll ich denn auf eine solch dämliche Frage groß antworten?

„Darf ich bei euch vorbei kommen? Ich würde gerne mit Frederick reden“, meint Carsten kühl.

„Lass ihn erst ein wenig zur Ruhe kommen, er hat kaum geschlafen und ist ziemlich gerädert, es geht ihm wirklich nicht gut. Ich sage ihm, dass Du angerufen hast, okay?“, antworte ich ein wenig versöhnlicher.

„Okay“, meint er seufzend, „ich rufe dann später noch einmal an.“

„War ich zu hart zu ihm?“, frage ich Manuel, nachdem ich mich von Carsten verabschiedet habe.

Er schüttelt langsam den Kopf. „Nein, ich denke nicht“, seufzend legt er seine Stirn gegen die meine. „Weißt Du, was mir nicht mehr aus dem Kopf geht?“, fragt er, wartet jedoch meine Antwort erst gar nicht ab und sagt: „Als er sagte, dass er uns beneiden würde, war ich so wahnsinnig glücklich, dass Du und ich so etwas Besonders zusammen haben und gleichzeitig hatte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen Frederick gegenüber.“

Ich schmunzle leicht und rücke ein Stück von Manuel ab, damit ich ihm in die Augen sehen kann. „Du hast ein schlechtes Gewissen, weil wir glücklich miteinander sind?“

„Ganz schön blöd, was?“, meint er und zieht eine Grimasse.

„Ein bisschen“, gebe ich zu, nehme sein Gesicht in beide Hände und küsse ihn.

Bevor wir jedoch den Kuss vertiefen können, werden wir ein weiteres Mal durch das Telefon unterbrochen. Stöhnend lasse ich den Kopf auf Manuels Schulter sinken. „Das Leben hasst uns heute, oder? Nicht einmal einen Kuss gönnt es uns.“

Manuel lacht leise und gibt mir einen Klaps auf den Po. „Gehst Du ran? Dann sehe ich einmal nach meinem Bruder.“

Nickend greife ich nach dem Hörer. Das Display zeigt Sandra home an.

„Morgen Süße“, melde ich mich.

„Hi Axel, Morgen ist gut, wir haben gleich zwei Uhr“, lacht sie.

„Wir sind noch nicht allzu lange wach, war ne anstrengende Nacht“, seufze ich.

„Hat es was mit Frederick und meinem Vater zu tun?“, will sie wissen.

„Gewissermaßen. Frederick stand gestern mit Sack und Pack vor unserer Tür. Carsten und er hatten wohl einen heftigen Streit.“

„Paps hat mich irgendwann vor ein paar Stunden aus dem Bett geklingelt. Ich weiß nicht, ob ich alles wirklich richtig mitbekommen habe, ich war irgendwie noch im Halbschlaf. Was ist denn genau passiert?“

Ich erzähle ihr in wenigen Sätzen, was sich gestern Abend und heute ereignet hat.

„Autsch“, antwortet sie und ich sehe sie förmlich vor mir, wie sie ihr hübsches Gesicht zu einer Grimasse verzieht. „Und nun?“

„Keine Ahnung. Carsten möchte später noch einmal anrufen, dann sehen wir weiter. Ich hoffe, dass er mir nicht allzu böse ist. Es ist schwer objektiv zu bleiben, wenn Frederick im Hintergrund noch das Essen von vor zwei Wochen von sich gibt“, sage ich bitter.

„Paps hat es ganz sicher verdient, was auch immer Du zu ihm gesagt hast. Er ist ein wirklich lieber Mensch und der beste Vater, den man sich vorstellen kann, ich liebe ihn sehr, aber als Partner würde ich ihn nicht einmal geschenkt haben wollen. Von daher kann ich Frederick nicht auch nur den kleinsten Vorwurf machen“, erwidert sie und atmet laut aus.

„Was wird Carsten jetzt tun, was meinst Du?“ Wenn jemand Carsten einschätzen kann, dann wohl seine Tochter.

„Ich weiß nicht“, antwortet sie vorsichtig, „er war sehr aufgeregt, als er mich angerufen hat. Das alleine ist schon ziemlich ungewöhnlich für ihn, normalerweise bringt ihn nichts so schnell aus der Fassung. Als meine Mutter ihn damals vor die Tür gesetzt hat, hat er es mit stoischer Gelassenheit hingenommen. Ich denke, Frederick bedeutet ihm wirklich sehr viel, aber ich habe keine Ahnung, was er jetzt tun wird“, beendet sie ihre Einschätzung.

Ich halte immer noch nachdenklich den Hörer in der Hand, als Manuel und Frederick in der Küche auftauchen. Sandra und ich haben uns mit dem Versprechen verabschiedet, uns gegenseitig Bescheid zu geben, sollten wir etwas Neues erfahren.

Sandras Worte gehen mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Frederick würde daran zerbrechen, wenn Carsten ihn einfach so gehen ließe. Ich denke, dass er insgeheim hofft, dass Carsten um ihn kämpfen wird. Doch nach dem, was mir Sandra über ihre Mutter erzählt hat, bin ich mir unsicherer denn je, ich kann Carsten einfach nicht einschätzen.

Frederick sieht furchtbar aus. Von dem sonst so makellosen Äußeren ist nichts mehr zu erkennen. Als er heute in den frühen Morgenstunden irgendwann auf unserem Sofa eingeschlafen ist, haben wir ihn einfach an Ort und Stelle liegen lassen, ihm nur die Hose von den Beinen gestreift und eine Decke gebracht. Dementsprechend sieht er jetzt auch aus. Sein Hemd ist total zerknittert, die Farbe seines Gesichtes gleicht einem ausgewachsenen Oger, die Augen stecken blutunterlaufen tief in ihren Höhlen und dunkle Augenringe ergänzen das trostlose Gesamtbild. Er sieht also genauso aus, wie man es von jemandem erwarten würde, der sich fast ins Delirium getrunken und die letzte halbe Stunde in inniger Umarmung mit der Kloschüssel verbracht hat.

Ich schenke eine Tasse halb voll mit Kaffee und reiche sie ihm. Dankbar nickt er und verzieht sofort das Gesicht.

Armer Kerl, seine Kopfschmerzen möchte ich ganz sicher nicht haben.

Ich wühle in unserer Medikamentenschublade nach Schmerztabletten und drücke gleich zwei Stück aus der Packung.

Mit einem aufmunternden Blick strecke ich sie ihm entgegen. „Möchtest Du Wasser dazu?“, frage ich leise.

„Kaffee“, kommt es nur krächzend und er greift dankbar nach den Tabletten.

„Möchtest Du Dich nicht gleich noch etwas hinlegen? Das Bett oben im Gästezimmer ist frisch bezogen, dort hättest Du auch Deine Ruhe“, fragt Manuel ihn sanft.

Frederick nickt schwach, drückt mir den Kaffeebecher in die Hand und lässt sich von Manuel anstandslos ins obere Stockwerk verfrachten.

„Schläft er?“, frage ich Manuel, als dieser zehn Minuten später wieder zu mir in die Küche kommt.

„Ja“, antwortet er, „also ehrlich, auf derartige Aufregung kann ich zukünftig gerne verzichten. Du hast vorhin mit Sandra gesprochen?“

Ich nicke und gebe ihm das Gespräch wieder.

„Was meinst Du, wie geht es weiter mit den beiden?“

Ich schüttle den Kopf. „Ich habe keine Ahnung.“

„Geht mir genau so“, meint er seufzend. „Ich kenne Carsten nun seit so vielen Jahren, aber ich kann einfach nicht abschätzen, wie er sich verhalten wird.“

„Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als für Frederick da zu sein und ansonsten abzuwarten“, erwidere ich und werfe einen kurzen Blick auf die Küchenuhr. „Und einer von uns beiden müsste einkaufen gehen.“

„Teilen wir uns auf? Du einkaufen, ich aufräumen? Hier sieht’s aus wie bei Hempels unterm Sofa“, stellt er fest, als er sich im Wohnzimmer umsieht. Das finde ich jetzt zwar nicht gerade, aber ich habe gelernt, dass eine Diskussion über Ordnung mit Manuel schlicht und ergreifend zwecklos ist. Das ist wirklich so ziemlich das einzige Thema, bei dem er auf stur schält. Er mag es nun einmal ordentlich, mir soll es recht sein.

„Okay, dann hüpfe ich schnell unter die Dusche. Rasieren sollte ich mich wohl auch noch“, ich fahre mit einer Hand über mein Kinn.

„Also wegen mir nicht“, grinst Manuel, „ich finde, Du siehst mit diesen Bartstoppeln unglaublich sexy aus.“

„So? Tu ich das?“, antworte ich amüsiert und rücke an ihn heran.

„Oh ja, das tust Du“, raunt er nahe an meinem Ohr, legt beide Hände auf meinen Po und zieht mich noch näher.

Ich schlinge meine Arme um seinen Hals, drehe meinen Kopf etwas und lasse meine Zunge sanft über seine Lippen gleiten. Er versteht die Aufforderung sofort und öffnet seinen Mund. Genüsslich brumme ich in den Kuss hinein. Ich liebe es ihn zu küssen, ich kann einfach nicht genug davon bekommen. Er schmeckt so wundervoll nach Manuel und... Zahnpasta. Zahnpasta? Moment, da war doch was!

„Ich darf nicht vergessen Zahnpasta zu kaufen, wir haben keine mehr“, nuschle ich an seinen Lippen.

Manuel rückt etwas von mir ab und sieht mich amüsiert an. „Du küsst mich und denkst an Zahnpasta? Muss ich mir jetzt Gedanken machen?“

Ich lache leise: „Nein, Du schmeckst nur danach, deswegen habe ich mich erinnert.“

„Aha“, lacht er und küsst mich erneut. Zärtlich treffen unsere Zungen aufeinander, necken sich, spielen miteinander. Zärtlich gleiten meine Hände über die nackte Haut auf seinem Rücken, während er meinen Po streichelt.

Irgendwann trennen wir uns widerwillig von einander. Aus Manuels Miene ist deutlich abzulesen, wonach ihm gerade der Sinn steht.

„Weißt Du eigentlich, wie sehr ich Dich liebe und was ich jetzt mit Dir tun würde, wenn nicht mein Bruder da wäre und Carsten jeden Moment auf der Matte stehen könnte?“, fragt er mit rauer Stimme.

Oh ja, ich kann es mir sogar sehr gut vorstellen, denn mir geht es kein Stück anders.

„Ich habe so eine vage Vorstellung“, grinse ich, doch dann werde ich ernst, „Ich liebe Dich auch, und wie.“

„Sobald das alles hier vorbei ist, gibt es nur noch uns beide, okay?“, meint er zärtlich.

Ich nicke. „Jetzt sollte ich aber langsam in die Gänge kommen. Hast Du Appetit auf etwas Bestimmtes?“, frage ich.

„Mhm“, erwidert er und sieht mich lüstern an.

„Manuel“, tadle ich ihn lachend, „ernsthaft.“

„Na okay, Du hast schon eine ganze Weile keine Hackfleisch-Baguettes mehr gemacht“, schlägt er vor. „Ach, und bring noch etwas Süßkram für die Kids mit, heute ist Halloween.“

„Für die Kids, ja?“, antworte ich frech und flüchte kichernd in das obere Stockwerk.

*



Eigentlich hasse ich es samstags einkaufen zu gehen, die Läden sind meist übervoll und wenn man zu spät kommt, haben andere einem das gute Zeugs bereits vor der Nase weggeschnappt, und man prügelt sich mit den anderen Langschläfern um den kläglichen Rest. Aufgefüllt wird in der Regel nicht mehr, zumindest nicht vor Montag. Deswegen bin ich froh, dass ich noch zwei einigermaßen akzeptable Paprika und einen Kopfsalat abbekomme. Die restlichen Zutaten sind eher unkritisch und noch in ausreichender Menge und auch Frische vorhanden. Unseren Weinvorrat fülle ich ebenfalls wieder auf, den haben wir nämlich vergangene Nacht fast zur Gänze aufgebraucht. In den Einkaufswagen wandern zusätzlich auch noch Knabbereien, Schokolade, Bonbons, Gummizeugs und was sonst noch so das vor Liebeskummer getränkte Herz begehrt. Und natürlich das der Kids – oder das meines Schleckermäulchens.

An der Kasse vor mir steht eine völlig überforderte Mama, die vor lauter Hektik zweimal hintereinander eine falsche PIN in das EC-Kartengerät eintippt, während das etwa Halbjährige aus voller Kehle brüllt, als ob der Leibhaftige persönlich hinter ihm her wäre. Hinter mir streitet sich ein älteres Ehepaar über irgendwelche Nichtigkeiten, das heißt Madame keift und Monsieur lässt es mit stoischer Ruhe über sich ergehen, und auf dem Parkplatz hat es ein Opa besonders eilig in meine Parklücke zu kommen und drängelt entsprechend.

Ich erinnere mich an eine ähnliche Situation, die ich mit Sandra erlebt habe. Sie allerdings hat damals den verdutzten Alten fast aus seinem Auto gezogen. Opas Gesicht war wirklich filmreif, als Sandra seine Fahrertür aufgerissen hat, um ihm in aller Deutlichkeit zu erklären, dass wir noch einen Moment bräuchten. Er zog es dann doch lieber vor sich schleunigst einen anderen Parkplatz zu suchen, wer will es ihm verdenken, hätte ich auch getan, wenn mich eine Furie fast am Kragen gepackt und aus dem eigenen Auto gezerrt hätte.

Der Samstag-Verkehr ist auch nicht zu verachten. Während einer Ampel-Rotphase, beobachte ich die Folgen eines Auffahrunfalls, bei dem die Kontrahenten nur mit Mühe von einem Herrn in Uniform gehindert werden können, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen.

Ich bin ehrlich gesagt ziemlich froh, als ich das Auto endlich in der Garage abstellen kann. Irgendwie sind mir die Menschen heute viel zu aggressiv.

Manuel erwartet mich schon und hilft mir, die Einkäufe ins Haus zu bringen. Auch er ist inzwischen geduscht und angezogen.

„Carsten hat vorhin noch mal angerufen“, erklärt er, als ich dabei bin die Lebensmittel zu verstauen. „Er käme gegen später vorbei.“

Ich nicke. „Ist Frederick wach?“

„Ja, er duscht gerade“, erwidert Manuel.

„Wie geht es ihm?“

„Die Kopfschmerzen haben nachgelassen und er sieht nicht mehr ganz so grün aus im Gesicht, aber ansonsten geht's ihm nicht viel besser“, seufzt er.

„Weiß er, dass Carsten kommt?“

Manuel nickt. „Ja, ich habe es ihm gesagt. Er ist furchtbar nervös.“

„Wir sollten die beiden vielleicht eine Weile alleine lassen“, sage ich.

„Ja, das habe ich mir auch schon überlegt. Sollen wir nach dem Essen für ein, zwei Stunden verschwinden?“

„Auf ein Bier ins Boots?“, schlage ich vor.

„Da dürfte heute Abend zwar die Hölle los sein, aber meinetwegen. Aber für mich eher nichts alkoholisches mehr, ich weiß nicht, ob ich in der nächsten Zeit auch nur einen Tropfen Alkohol sehen kann“, meint er und zieht eine Grimasse.

„Weichei“, necke ich ihn liebevoll und drücke einen Kuss auf seine Schläfe.

„Weichei, ja? Mal sehen, ob Du das immer noch sagst, wenn wir endlich wieder allein sind“, feixt er.

„Ich kann es kaum erwarten“, erwidere ich lachend und wackle bedeutungsvoll mit den Augenbrauen.

„Brauchst Du Hilfe beim Kochen?“, bietet Manuel an.

Ich winke ab. „Ich schaffe das schon, geh ruhig zu Deinem Bruder.“

Die Zutaten für den Hackteig sind schnell geputzt, klein geschnitten und mit dem Fleisch vermengt. Ich verteile die Masse großzügig auf die aufgeschnittenen Baguettebrötchen und decke das Ganze ab. Sobald Carsten da ist, werde ich das Essen in den Backofen schieben. Den Salat bereite ich ebenfalls schon vor, so dass ich später nur noch das Dressing über die Salatblätter kippen muss.

Ich bin noch damit beschäftigt, den Tisch zu denken, als Frederick und Manuel in der Küche erscheinen. Äußerlich sieht Frederick tatsächlich wieder aus wie ein Mensch, auch wenn seine Augen immer noch stumpf und traurig blicken.

„Soll ich Dir schnell einen Kaffee machen?“, frage ich Frederick und nicke ihm aufmunternd zu.

„Kaffee wäre prima“, antwortet er matt und setzt sich auf einen der Küchenstühle.

Und das ist auch das Einzige, das wir von ihm hören - von den leisen Schluckgeräuschen, die er beim Trinken des Kaffees erzeugt, einmal abgesehen. Er ist wirklich furchtbar nervös und zuckt bei jedem Klingeln der Türglocke zusammen. Erwartungsvoll sieht er jedes mal auf, wenn ich wieder zurück in die Küche komme und richtet dann seinen Blick wieder starr auf seine Tasse, wenn er merkt, dass ich alleine bin und es wieder nur einige Kids waren, die mich, kaum dass ich die Tür geöffnet habe, mit ‚Süßes oder Saures’ angequakt haben.

Auch jetzt zuckt er wieder zusammen und blickt teils hoffnungsvoll, teils panisch auf. Wie schon die Male vorher greife ich nach der Schale mit allen möglichen Leckereien, deren Inhalt bereits beachtlich abgenommen hat und öffne die Tür. Diesmal blöken mir jedoch keine Kurzen entgegen.

Carsten steht davor. Er hat seine Hände tief in den Hosentaschen vergraben und sieht etwas irritiert auf die Süßigkeiten.

„Hi Carsten. Oh, ich dachte, es wären wieder ein paar Kids“, erkläre ich schnell.

„Was?“, Carsten sieht mich verständnislos an.

Ich deute mit dem Kopf auf den ausgehöhlten Kürbis, der neben der Eingangstür steht. „Halloween“, erkläre ich.

„Achso. Hallo Axel.“

„Komm rein“, fordere ich ihn auf, stelle die Schale wieder auf den Flurschrank und hänge Carstens Jacke an die Garderobe.

Unsicher folgt er mir zur Küche und bleibt zunächst im Türrahmen stehen. Frederick taxiert seinen Freund mit einem kühlen und herausfordernden Blick.

„Hallo Schatz“, bringt Carsten leise über die Lippen. Bei Licht betrachtet sieht Carsten auch nicht viel besser aus als Frederick. Ein seltsamer Schatten liegt über seinem Gesicht, wie ich ihn noch nie bei ihm gesehen habe. Die dunklen Augenringe lassen vermuten, dass auch Carsten nicht gerade viel Schlaf gefunden zu haben scheint. Es geht ihm schlecht, das ist ihm überdeutlich anzusehen.

„Hi Carsten“, antwortet Frederick ziemlich unterkühlt und Carsten scheint bei dieser frostigen Begrüßung kaum merklich zusammen zu zucken.

Irgendwie komme ich mir gerade mehr als fehl am Platze vor, und das in meinem eigenen Haus.

„Möchtest Du Dich nicht setzen?“, fragt Manuel und deutet auf den Esstisch.

Carsten nickt nur stumm und setzt sich Frederick vis-à-vis.

Ich räuspere mich. „Ich habe Hackfleisch-Baguettes vorbereitet, Du isst doch mit, oder?“, frage ich ihn gespielt fröhlich, schiebe gleichzeitig die Brötchen in den Backofen und stelle die Eieruhr auf 25 Minuten.

Carsten nickt zwar, aber irgendwie habe ich so das Gefühl, dass er nicht wirklich verstanden hat, was ich gesagt habe. Wie gebannt sieht er zu Frederick. In seinen Augen spiegeln sich die unterschiedlichsten Emotionen. Ich will weg hier, auch wenn es im Grunde albern ist, aus dem eigenen Haus zu flüchten. Aber das hier müssen die beiden alleine regeln, weder Manuel noch ich wären dabei eine Hilfe, im Gegenteil.

Manuels und mein Blick treffen sich. „Sollen wir von hier verschwinden?“, scheinen seine Augen zu fragen. Ich nicke leicht.

„Ähm“, beginnt er, „also, es tut uns leid, dass wir euch gleich alleine lassen müssen, aber heute ist doch im Boots diese Halloween-Party, auf die wir uns schon die ganze Zeit gefreut haben. Wenn ihr also nichts dagegen habt...“

Ich versuche verzweifelt ein Grinsen zu unterdrücken. Manuel ist wirklich ein erbärmlicher Lügner.

Frederick meint: „Geht ruhig, wir kommen schon klar.“

„Wir gehen uns dann mal umziehen. Falls wir noch nicht wieder unten sein sollten, wenn die Eieruhr klingelt, würdet ihr dann bitte das Blech aus dem Backofen nehmen?“, fragend sehe ich zu Frederick.

„Ich kümmere mich drum“, verspricht er.

Ich nicke etwas unsicher und habe es dann ziemlich eilig Manuel zu folgen.

Er erwartet mich bereits im Schlafzimmer. „Puh, ich hätte es keine Sekunde länger da unten ausgehalten, das war furchtbar!“, stöhne ich.

„Ich habe es Dir angesehen, das war eine ziemlich unangenehme Situation.“

„Dein Bruder hat mich allerdings überrascht. Er bietet Carsten ganz schön die Stirn. Ich habe eher damit gerechnet, dass er von ihm überrannt wird.“

„Alles gespielt, glaub mir“, seufzt er. „Ich hoffe, er behält das bei, Carsten muss nicht gleich denken, dass er leichtes Spiel hätte, Frederick soll ihn ruhig zappeln lassen.“

Wir lassen uns mit dem Umziehen viel Zeit. Gemeinsam steigen wir irgendwann die Treppen nach unten ins Erdgeschoss und bleiben dann etwas unschlüssig vor der Küchentür stehen.

Eigentlich wollen wir ja gar nicht lauschen, aber wir können schließlich nichts dafür, dass der ein oder andere Wortfetzen zu uns in den Flur dringt, oder? Außerdem würde sich von euch bestimmt auch keiner die Ohren zuhalten in einer solchen Situation, also!

„Frederick, bitte“, vernehmen wir Carstens gequälte Stimme. „Komm wieder mit mir nach Hause, ich vermisse Dich, ich liebe Dich doch“, fleht er.

„So? Tust Du das?“, antwortet Frederick sarkastisch.

„Mehr als Du ahnst“, kommt es ganz leise von Carsten und wir müssen die Ohren ordentlich spitzen, damit wir ihn verstehen. „Hätte ich gewusst, dass ich Dich so sehr verletze ...“

„Was dachtest Du denn, wie ich mich fühle?“, unterbricht ihn Frederick aufgebracht, „dachtest Du wirklich, es macht mir nichts aus, wenn Du zu anderen Kerlen in die Kiste steigst, während ich zu Hause auf Dich warte?“

„Warum zum Teufel hast Du nie auch nur ein Sterbenswörtchen gesagt?“, nun wird auch Carstens Stimme wieder lauter.

„Was hätte ich denn sagen sollen? Als wir uns kennen gelernt haben, hast Du kein Hehl daraus gemacht, dass Treue nichts für Dich ist. Ich dachte, das wäre der Preis, den ich zahlen müsste, um mit Dir zusammen sein zu können“, stößt Frederick aus.

„Oh Schatz …“

„Warum Carsten, sag mir einfach nur warum? Was mache ich falsch?“

„Nichts“, antwortet Carsten leise, „Du hast nichts falsch gemacht.“

„Was ist es dann?“, Frederick klingt mittlerweile fast schon hysterisch.

„Ich… ich habe mir nichts dabei gedacht“, erwidert Carsten lahm. „Verdammt Frederick, ich hatte es noch nie mit der Treue, davon könnten Dir meine Exfrauen ein Liedchen singen.“

„Deine Exfrauen interessieren mich einen Scheiß!“, schreit Frederick, „Hier geht es um uns. Warum führst Du überhaupt eine Beziehung, wenn Du ja letztendlich doch tust, was Du willst, was Dir Spaß macht, ohne Rücksicht auf Verluste?“

„Aber das ist doch gar nicht so. Ich wäre keine 11 Jahre mit Dir zusammen, wenn ich Dich nicht lieben würde!“, erwidert Carsten fast schon verzweifelt.

„Offensichtlich nicht genug“, entgegnet Frederick bitter.

Stille, dann nach einigen Sekunden: „Was willst Du, Frederick?“, fragt Carsten erschöpft.

„Ich will Dich, ich liebe Dich, aber ich werde Dich nicht mehr mit anderen teilen. Ich habe einen Punkt erreicht, an dem ich das einfach nicht mehr kann, es tut so verflucht weh, es macht mich kaputt. Wenn ich alleine zuhause sitze, möchte ich nicht mehr darüber nachdenken müssen, bei wem Du im Moment bist und was Du gerade treibst. Mag sein, dass ich es lange Zeit toleriert habe, und im Nachhinein betrachtet, war das ganz sicher ein Fehler, aber jetzt kann und will ich es einfach nicht mehr ertragen müssen. Kannst Du das verstehen?“

„Und was erwartest Du jetzt von mir?“, will Carsten wissen, „soll ich Dir ewige Treue schwören, damit Du wieder zu mir zurück kommst?“

„Ja Carsten, so etwas in der Art“, antwortet Frederick mit fester Stimme.

Im gleichen Moment schrillt die Eieruhr und Manuel und ich zucken erschrocken zusammen, wie zwei Lausbuben, die bei etwas Verbotenem ertappt wurden. Ich habe ohnehin genug, ich will nicht noch mehr hören. Ich komme mir wirklich ziemlich schäbig vor, vor meiner eigenen Küchentür zu stehen mit Ohren, so groß wie Rabarberblätter. Sanft schubse ich Manuel an, er versteht sofort, klopft einmal kurz an und tritt dann in die Küche. Frederick steht bereits vor dem Herd und nimmt das Backblech aus dem Ofen. Gut.

Wir verabschieden uns ziemlich schnell von den beiden und obwohl ich unser gemeinsames Haus liebe, bin ich heute das allererste Mal richtiggehend erleichtert, die Tür hinter uns zu schließen - und zwar von außen.

*



Wie erwartet, ist das Boots ziemlich voll. Ich muss schmunzeln, über die Teils arg grotesken Verkleidungen mancher Kerle. Mit Halloween haben vereinzelte Kostüme wirklich nichts mehr zu tun. Bei denen fühlt man sich fast schon in eine Travestieshow versetzt. Natürlich überwiegen die normalen (kann man in Verbindung mit Verkleidungen überhaupt von normal reden?) Kostüme, wie Skelette, Vampire, Hexen, Geister, Fledermäuse, Vogelscheuchen oder auch 'Messer-im-Kopf', irgendwo habe ich sogar Mike Myers und den Typen aus Scream gesehen. Die meisten jedoch halten es wie wir und tragen Normalkleidung. Alles muss man ja nun wirklich nicht mitmachen.

Mit etwas Mühe haben wir uns einen Weg zu einem der wenigen freien Bistro-Tischen erkämpft und lassen uns schwerfällig auf unsere Hocker sinken. Im Vorbeigehen nimmt ein Kellner noch unsere Bestellung auf. Manuel ordert tatsächlich nur einen Orangensaft, ich bleibe bei meinem Bier.

Weder Manuel noch ich möchten über unseren 'Lauschangriff' reden. Auch im Auto haben wir dazu geschwiegen, das Drama wird uns schon früh genug wieder einholen. Tun können wir so oder so nichts, es liegt jetzt ganz allein an Carsten, ob er Fredericks Bedingung akzeptieren will oder nicht.

Es ist ohnehin zu laut, um eine vernünftige Unterhaltung zu führen, ohne sich gegenseitig aus vollem Hals anschreien zu müssen, also tue ich das, was ich am Liebsten mache, wenn wir unterwegs sind – ich beobachte.

Ein Typ am Tisch neben uns, sabbert sich gerade sein Getränk über den Latz und verschwindet fluchend auf der Toilette, während sein Tischnachbar hektisch versucht mit Papiertaschentüchern zu verhindern, dass die ganze Brühe vom Tisch auf den Fußboden tropft. Ziemlich aussichtslos, wie mir scheint.

In einer Ecke stehen sich zwei Kampfhähne gegenüber und werden von einigen Umstehenden daran gehindert, handgreiflich zu werden. Was ist nur heute mit den Leuten los? Steht Mars in Opposition mit irgend 'nem anderen Planeten? Und nein – ich glaube nicht an diesen Mist!

Ein anderer Kerl hat es ziemlich eilig seinem Gegenüber beim Tanzen, auf der nicht vorhandenen Tanzfläche, an die Wäsche zu gehen. Hallo? Haben die denn kein Zuhause? Es ist ja nichts dabei, in der Öffentlichkeit zu schmusen, auch Manuel und ich tun das gelegentlich. Ich insbesondere dann, wenn irgend so ein dahergelaufener Typ, mit einer Baggerschaufel, so groß, dass man darin bequem ein Einfamilienhaus parken könnte, meinem Kerl zu nahe auf die Pelle rückt. Danach gibt es für gewöhnlich keine Unklarheiten mehr, zu wem Manuel gehört. Der fremde Typ sucht dann meist das Weite, Manuel sieht mich verliebt an und ich bin zufrieden. Ziel erreicht, oder? Nur das hier ist kein harmloses Rumgeschmuse, oder gar ein Tanz, das ist ein … Paarungsritual. Und überhaupt kommt mir der Kleinere von beiden ganz schön bekannt vor, zierlich, dunkle Locken, Moment, das ist doch Kevin - und der andere ist definitiv nicht Rob.

Ich tippe Manuel kurz an und deute mit dem Kopf in Richtung des Paares.

Er grinst kopfschüttelnd, als er Kevin erkennt.

„Ich wusste gar nicht, dass Rob den Kleinen schon wieder abgeschossen hat“, schreie ich Manuel ins Ohr.

Er schneidet eine Grimasse. „Hey, er war mit Kevin dann immerhin drei Monate zusammen, das ist fast schon ein neuer Rekord“, lacht er.

So langsam fange ich tatsächlich an, an das Sprichwort 'wenn man vom Teufel spricht', zu glauben, denn wie auf Bestellung, taucht Rob an unserem Tisch auf.

„Hi ihr zwei“, schreit er, ich vermute mal, dass es diese Worte waren, verstanden habe ich ihn nämlich nicht. Also lange halte ich diesen Lärm nicht mehr aus und ich habe auch nicht vor, meine bisher kaum vorhandenen Kenntnisse im Lippenlesen zu vertiefen.

Ich begrüße Rob mit einem kurzen Nicken, Manuel beugt sie zu ihm und schreit ihm etwas ins Ohr. Sofort verdüstert sich seine Miene und er sieht grimmig zu Kevin und dessen potentiellen Partner hinüber. Es ist ihm deutlich anzusehen, dass ihm das, was er da sieht, zutiefst missfällt.

Überrascht blicke ich zu Manuel, dieser zuckt jedoch nur mit den Schultern. Wenn ich es nicht besser wüsste, käme ich fast auf die Idee darüber nachzudenken, ob vielleicht diesmal nicht Rob derjenige war, der die Beziehung beendet hat.

Ich gebe Manuel zu verstehen, dass es mir hier einfach zu laut ist und ich gehen möchte. Er nickt mir zustimmend zu und kurz darauf verlassen wir, mit Rob im Schlepptau, das Boots.

„Oh Gott, ich bin taub“, stöhne ich, als wir endlich draußen an der frischen Luft stehen. „Schatz, versprich mir bitte, dass Du mich zu Hause einsperrst, sollte ich jemals wieder den Wunsch äußern, auf eine Halloween-Party ins Boots zu gehen.“ Meine Ohren fühlen sich an, als ob sie mit Watte vollgestopft wären.

„Ich verspreche Dir alles, solange ich da nicht mehr rein muss“, lacht er. „Und was machen wir nun mit dem angebrochenen Abend? Nach Hause können wir noch nicht.“

„Wieso könnt ihr nicht nach Hause?“, will Rob wissen.

„Lange Geschichte, erzähl ich dir ein andermal“, winkt Manuel ab. Verständlich, ich würde jetzt auch nicht unbedingt mit Rob das möglicherweise bereits beendete Liebesleben von Frederick und Carsten diskutieren wollen.

„Sollen wir rüber in den Pub?“, frage ich in die kleine Runde.

„Von mir aus“, meint Manuel und greift nach meiner Hand.

Rob zuckt nur mit den Schultern und trottet uns hinterher. Was ist nur los mit dem Kerl? Der lässt sich doch sonst keine Party entgehen? Es ließe sich doch sicher den ein oder anderen finden, den er für die Nacht abschleppen könnte, oder? Die Nacht ist schließlich noch lang, und die Kerle willig.

„Ungewöhnlich, dass Du eine Party sausen lässt“, sage ich vorsichtig.

Wieder zuckt er nur mit den Schultern. „Ich habe heute einfach keinen Nerv drauf.“

Aha.

„Ist irgendwas passiert?“, Manuel scheint ebenfalls alarmiert zu sein.

„Nee“, antwortet Rob wenig überzeugend.

„Wann hast Du eigentlich mit Kevin Schluss gemacht?“, will Manuel wissen.

„Ich habe nicht mit Kevin Schluss gemacht“, gibt er zurück.

Öhm, das verstehe ich jetzt nicht.

„Aber ...“, Manuel scheint es ebenso wenig zu verstehen.

„Nichts aber“, unterbricht Rob ihn schroff. „Vergesst es, ich möchte nicht darüber reden.

Erleichtert atme ich aus. Nein, ich bin nicht unsensibel, aber mal ganz ehrlich, wir haben im Moment Drama genug, da kann ich ein weiteres einfach nicht gebrauchen.

„Sicher, dass Du nicht darüber reden willst?“, Manuel lässt nicht locker.

„Ja!“, knurrt er.

*



Sofern ich ernsthaft geglaubt habe, dass wir den Abend noch ruhig ausklingen lassen können, bevor wir uns wieder in unser familiäres Drama stürzen müssen, habe ich mich gründlich getäuscht, denn Robs Zunge löste sich doch irgendwann und er hat uns die Geschichte erzählt, die ich im Grunde gar nicht hören wollte.

Kurz zusammengefasst: Kevin habe zu sehr geklammert, deswegen habe er, Rob, sich etwas von ihm, Kevin, distanziert, aber keineswegs die Beziehung beendet, denn im Grunde möge er ja den Kleinen ziemlich gerne. Kevin habe jedoch diese von Rob herbeigeführte Distanz falsch interpretiert und gehe davon aus, dass Rob kein Interesse mehr habe.

Meine Interpretation: Rob hat einfach, wie schon so oft, den Bogen überspannt und er hat von Kevin kurzerhand die Quittung kassiert. Ich muss mich nur zwei Monate zurück erinnern, zu unserem Umzug. Rob hatte Kevin da im wahrsten Sinne des Wortes, links liegen lassen. Mein Mitgefühl für Rob hält sich ehrlich gesagt ziemlich in Grenzen.

Sorry, das ist mir im Moment eh alles zu viel, ich will einfach nur noch nach Hause, in mein Bett, mit Manuel schlafen und an nichts anderes mehr denken. Ich will morgen ausschlafen können, ohne dass sich kotzende Familienmitglieder auf meiner Gästetoilette einschließen, ich will gemütlich mit Manuel einen Film anschauen können und ein bisschen fummeln, wenn mir danach ist und ich will mich in meiner eigenen Küche nicht wie ein gottverdammter Eindringling fühlen müssen. Ich weiß, dass ich gerade sehr egoistisch klinge, aber dieses Wochenende habe ich mir wahrlich anders vorgestellt. Und ja, ich bin frustriert!

Das einzige fragwürdige Highlight des Abends bestand darin, mein Bagger-Abwehr-Prinzip an der Kellnerin im Pub auszuprobieren, die jede Regung von Manuel mit schmachtendem Blick verfolgte. Das klappt bei Frauen nämlich genauso, bei denen sogar fast noch besser. Das Mienenspiel der holden Weiblichkeiten ist meist pures Gold wert. Erst kommt die Verwirrung, dann die Erkenntnis und zu guter Letzt die Enttäuschung. Sehr amüsant, zumindest für mich, für die Damen eher weniger. Ach, und Manuel ist übrigens kein Deut besser, wenn es um mich geht, auch wenn das zugegebenermaßen weniger häufig vorkommt. Er ist eben der Beau mit dem gewissen Etwas. Neben ihm haben es andere nicht leicht, das stört mich allerdings nicht im Geringsten, solange dieser Beau ausschließlich mir gehört!

Es ist kurz nach Mitternacht, als wir endlich wieder daheim sind. Im Haus ist es stockdunkel, nicht einmal das kleinste Lichtlein dringt nach draußen. Wir versuchen mucksmäuschenstill zu sein, damit wir niemanden wecken, es könnte ja durchaus sein, die beiden haben sich bereits schlafen gelegt, was ich allerdings doch etwas merkwürdig fände.

Wie dem auch sei, unsere Furcht jemanden wecken zu können, war völlig unbegründet, denn das Haus ist leer. Kein Carsten, und was uns noch mehr erstaunt, auch kein Frederick. Lediglich ein Zettel in der Küche:

Wir fahren nach Hause, macht euch keine Gedanken, es ist alles okay. Vielen Dank für alles. Ich melde mich. Hab euch lieb, Frederick.
PS: ich habe die übrigen Baguettes in den Kühlschrank gestellt.

Ziemlich irritiert öffne ich den Kühlschrank, tatsächlich, da stehen sie. Dem kläglichen Rest nach zu urteilen hatten Carsten und Frederick sogar richtig gut Appetit.

„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich von dem Ganzen halten soll“, meine ich stirnrunzelnd, „das ging jetzt doch verdammt schnell. Meinst Du, Carsten ist auf Fredericks Bedingung eingegangen?“

„Wer weiß? Der Zettel klingt jedenfalls nicht danach, als sei Frederick gegen seinen Willen weggeschleift worden“, bemerkt Manuel.

„Denkst Du, sie könnten es schaffen?“

„Ich weiß es nicht, das wird sich zeigen. Aber das was Sandra Dir erzählt hat, verglichen mit dem, wie Carsten sich Frederick gegenüber verhalten hat… da wage ich zumindest zu hoffen. Carsten schien ja doch recht verzweifelt zu sein.“

„Den Eindruck hatte ich auch“, bestätige ich.

„Weißt Du etwas über Carstens Ehen?“, fragt Manuel.

„Nur das, was Sandra mir so erzählt hat. Da hatte er es wohl auch nicht so mit der Treue.“

Manuel nickt. „Wusstest Du eigentlich, dass seine Seitensprünge allesamt mit Männern waren?“

Ich sehe ihn überrascht an. „Wie das? Ich dachte er hat seine Neigung zum eigenen Geschlecht erst gegen Ende seiner zweiten Ehe entdeckt?“

„Da hat er sich geoutet, gewusst hat er es schon sehr viel früher. Eigentlich sogar noch bevor er das erste Mal verheiratet war.“

„Ich denke, da weißt Du mehr als seine eigene Tochter, von Sandra kenne ich die Geschichte nämlich etwas anders.“

„Ich wüsste es vermutlich auch nicht, wenn sich Carsten nicht irgendwann einmal verplappert hätte.“

„Hm“, mache ich nachdenklich.

„Was denn?“

„Ich überlege nur gerade, ob es vielleicht möglich wäre, dass es ihm nach immerhin 20 Jahren Ehe und nach ebenso langem heimlichen Ausleben seiner Homosexualität einfach so sehr zur Gewohnheit geworden ist, dass er sein altes Verhaltensmuster beibehalten hat?“

Manuel grinst. „Seit wann bist Du denn unter die Hobbypsychologen gegangen?“

„Hey, das war eine ernsthafte Überlegung!“, verteidige ich mich.

„Keine Ahnung, Süßer, das werden wir sehen“, antwortet er und fährt mir mit einer Hand durchs Haar.

„Hast Du noch Hunger?“, frage ich ihn.

Er schüttelt den Kopf. „Nein, lass uns hoch gehen, ich will einfach nur noch zusammen mit Dir ins Bett und an nichts anderes mehr denken“, erwidert er und legt seinen Kopf auf meine Schulter.

Ich fühle seinen Atem an meiner Haut und eine Gänsehaut überzieht meinen gesamten Körper. Ich schließe die Augen und gebe mich voll und ganz meinen Empfindungen hin. Manuels Lippen legen sich zart und warm auf meinen Hals und saugen leicht daran.

Er lässt mir nicht allzu viel Zeit, um über unsere wieder gewonnene Zweisamkeit nachzudenken und schiebt mich sanft aber energisch vor sich her ins nächste Stockwerk. Kaum dass wir das Schlafzimmer erreicht haben, nimmt er mich ungestüm in seine Arme und küsst mich, dass mir fast die Luft weg bleibt. Seine Hände gleiten unter meinen Pullover und ziehen ihn mir mit einem Ruck über den Kopf. Sein eigenes Oberteil folgt binnen Sekunden.

Ich fühle seine Hände überall an meinem Körper. Seine Lippen bewegen sich fast ebenso schnell über meine Haut, wie seine Finger und schließlich sinken wir gemeinsam auf unser Bett. Nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde lassen wir den Köperkontakt abbrechen. Wir haben es mittlerweile beide sehr eilig aus unseren restlichen Klamotten zu kommen. Er presst sich eng an mich und ich fühle, dass seine Erregung meiner eigenen in nichts nachsteht.

„Und wenn uns das Haus über dem Kopf abbrennt, wir werden jetzt genau das zu Ende bringen, wozu wir gestern – nein, vorgestern Abend nicht mehr gekommen sind“, knurrt er.

Ich habe nichts dagegen, im Gegenteil.

Die Geduld für ein längeres Vorspiel bringen wir beide nicht mehr auf und schalten rasch in eine höhere Gangart. Für die Vorbereitung verschwendet Manuel keinen Moment länger als unbedingt notwendig und so fühle ich ihn schon bald in mir - vorsichtig vortastend am Anfang, dann jedoch immer drängender, fordernder. Und wie immer verliere ich mich in seinen Armen. Mit ihm erfahre ich immer wieder aufs Neue, was es bedeutet, eins mit einem anderen Menschen zu sein. Nicht nur Sex mit ihm zu haben, sondern wirklich von ihm geliebt zu werden. Niemals hat es eine Frau auch nur annähernd geschafft, solche Gefühle in mir auszulösen, einmal ganz davon abgesehen, dass eine Frau schon aus rein anatomischer Sicht gar nicht dazu in der Lage wäre. Ich wage allerdings zu bezweifeln, dass es ein anderer Kerl schaffen könnte. Es liegt einfach an Manuel, ich liebe ihn - ich bin verrückt nach ihm.

Mit langen, harten Stößen bringt er uns dem Gipfel immer näher, bis wir irgendwann, völlig außer Atem und einfach nur glücklich, eng aneinander gekuschelt auf dem Bett liegen. Wir konnten beide unseren Höhepunkt nicht länger hinauszögern. Aber was macht das schon? Ich bin der letzte, der etwas gegen schnellen, harten Sex zwischendurch einzuwenden hätte.

Und außerdem haben wir ja noch die halbe Nacht vor uns – und den kompletten Sonntag …

*



Axels Hackfleisch-Baguettes



Zutaten für ca. 4-6 Personen

500 Gramm gemischtes Hackfleisch
Fix für Hackbraten (von Knorr oder Maggi)
2 Paprikaschoten (Farbe nach eigenem Gusto, ich nehme am liebsten rot und gelb)
150-200 Gramm Gouda
1 Zwiebel
1 Paket Baguettes zum Aufbacken

Fix mit 1/8 Liter Wasser verrühren, Hackfleisch dazugeben und gut vermischen. Paprikaschoten waschen, entkernen und in kleine Würfel schneiden. Gouda und Zwiebel ebenfalls in Würfel schneiden und alles mit der Hackmasse mischen.

Baguettes aufschneiden und den Hackteig darauf verteilen.

Die Brötchenhälften ca. 25 Minuten bei 200 Grad backen.

Der eigenen Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Man kann auch Pilze, Mais, Zucchini, Porree oder sonstiges Gemüse, das einem schmeckt untermischen.

Bon Appétit!


Dreißig




Kennt ihr den Streifen Axel allein zuhaus, mit mir

in der Hauptrolle? Nein? Aber ich. Besser als mir lieb ist. Ich habe ihn gefühlte eintausend mal durchgespielt, und ich hasse ihn! Es ist Sonntagnachmittag und ich hocke mal wieder alleine hier. Der letzte Monat war schon der blanke Horror und der jetzige scheint kein Deut besser zu werden.

Es ist ja noch nicht einmal so, dass Manuel für die meisten Wochenenden eingeteilt wäre – nein, er tauscht mit einigen seiner Kollegen, wenn die ihn nur lieb darum bitten. Natürlich hat der Großteil seiner Kollegen Familie, aber verdammt nochmal, die hat er auch, nämlich mich!

Ich kann mich wahrscheinlich glücklich schätzen, dass er wenigstens an meinem Geburtstag am kommenden Mittwoch zugegen sein wird, oder an der Feier, die wir für nächste Woche Samstag geplant haben. Für den Tag meines Geburtstages hat er schon vor Monaten Urlaub eingereicht und das Wochenende hat er erstaunlicherweise tatsächlich einmal frei.

Versteht mich nicht falsch, ich habe wirklich die größte Hochachtung vor dem, was er tut, es macht einen wesentlichen Teil seines Charakters aus, aber kann er denn nicht auch mal nein sagen? Ich versuche ja schon so gut wie möglich meine Arbeitszeit der seinen anzupassen. Wenn er Spätschicht hat, fange ich eben auch später an, beliebig kann ich das zwar nicht ziehen, aber ich habe immerhin einen Spielraum von +/- 2 Stunden. Aber an den Wochenenden ist der Betrieb nun einmal zu und der Wachdienst würde mich wahrscheinlich hochkant wieder raus werfen, schon alleine aus versicherungstechnischen Gründen.

Und was mache ich nun mit dem angebrochenen Sonntag? Ohne Manuel? Lustlos zappe ich durch die Programme und bleibe an der Wiederholung eines Uralt-Schinkens hängen. Irgendwann schalte ich genervt den Fernseher aus und werfe die Fernbedienung frustriert auf das Sofa.

Ich begebe mich zwei Etagen nach oben und schalte meinen Rechner ein. Ich checke meine Mails, grabe einige Infoseiten im Netz ab und bastle weiter an irgendeinem sinnlosen Script herum. Damit habe ich es zumindest geschafft, zwei Stunden totzuschlagen. Super.

Irgendwann beschließe ich, meine Oma und damit auch meine Eltern zu besuchen. Ich werde sie alle zwar am Mittwoch sehen, da wir beschlossen haben, mit ihnen und Manuels Eltern Essen zu gehen, aber wenn ich jetzt nicht das Haus verlasse, gehe ich die glatten Wände hoch.

Meine Eltern haben auf mein Outing im vergangenen Jahr wie erwartet reagiert. Sie waren natürlich zuerst ziemlich geschockt. Was um Himmels Willen würden nur die Leute sagen - meine Eltern legen sehr großen Wert auf ihren Ruf - aber irgendwann haben sie es schließlich doch akzeptiert, was blieb ihnen auch anderes übrig, sie konnten mich schlecht wieder umtauschen. Ich denke, inzwischen mögen sie Manuel sogar richtig gern, auch wenn sie das natürlich niemals zeigen würden.

Meine Oma hingegen hat Manuel vom ersten Moment an mit offenen Armen in der Familie willkommen geheißen, nicht nur das, sie ist mittlerweile sogar richtig vernarrt in ihn. Tja, warum auch sollte ausgerechnet meine Großmutter anders auf Manuel reagieren, als der Rest von uns Normalsterblichen, ich hätte eigentlich wissen müssen, dass sie seinem Charme ebenso erliegen wird, wie alle anderen auch.

Ich biege in die Sackgasse ein, in der meine Eltern wohnen, seit meine Mutter wieder geheiratet hat. Ich war 10 oder 11, als sie meinen Stiefvater kennen lernte. Ich verstehe mich eigentlich recht gut mit ihm. Im Grunde ist er der einzige Vater, den ich je hatte, und ich finde, er hat seinen Job nicht schlecht gemacht, besser als mein Erzeuger allemal, denn von dem haben wir nie wieder etwas gehört.

Bevor meine Mutter mit meinem Stiefvater zusammen gekommen ist, haben wir ebenfalls in einer kleinen Wohnung gelebt, sogar in der gleichen Straße, in der meine Oma noch bis vor einigen Monaten gewohnt hat. So kam es, dass ich als Kind sehr viel Zeit bei meiner Großmutter verbracht habe. Im Grunde hatte ich wirklich eine schöne Kindheit und ich habe die Zeit bei meiner Oma stets genossen. Das ist sicher einer der Gründe, warum Oma und ich uns so nahe stehen, auch wenn das meine Mutter das ein oder andere mal in schiere Verzweiflung gestürzt hat. Großmütter und ihre Enkel eben, da hat eine Mutter manchmal einfach keine Chance.

Oma ist erst vor gut einem Jahr zu meinen Eltern gezogen, mehr oder weniger unfreiwillig. Sie würde vermutlich heute noch mit ihren 75 Jahren, in ihrer winzigen Wohnung hausen, wenn sie sich nicht vor 1 ½ Jahren einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hätte. Nach wochenlangem Krankenhausaufenthalt und anschließender Reha hat sie schlussendlich eingesehen, dass wir alle ruhiger würden schlafen können, wenn sie bei meinen Eltern einziehen würde. Sie hat hier eine kleine Einliegerwohnung, in die sie sich zurückziehen kann, wenn immer sie das Bedürfnis hat, alleine zu sein. Wohl ein für alle Seiten akzeptables Arrangement, Oma scheint zumindest gut damit zurecht zu kommen.

Ich erklimme die wenigen Stufen bis zur Eingangstür und klingle. Es dauert einige Sekunden, bis meine Oma mit einem strahlenden Lächeln die Tür öffnet. Sie nimmt mich liebevoll in die Arme und drückt mich einmal kurz an sich. Sie ist die einzige (von mir einmal abgesehen) in unserer Familie, für die küssen und drücken eine ganz normale Art ist, Zuneigung zu zeigen. Meine Eltern sind da ganz anders. Nach außen hin sind sie stets bemüht ihre Contenance zu wahren. Offensichtliche Sympathiebekundungen sind einfach nicht ihr Ding. Das mag auf manch einen vielleicht ziemlich spießig wirken, aber ich komme ganz gut damit klar, ich kenne es von ihnen einfach nicht anders, dennoch weiß ich, dass sie mich aufrichtig lieben.

Ich erwidere die Umarmung und drücke einen Kuss auf ihre Wange. „Hallo Omi“, sage ich.

„Axel, mein Junge, schön, dass Du da bist, und Du kommst genau richtig. Ich habe vor ein paar Minuten den Apfelkuchen aus dem Ofen geholt.“

Ich grinse. „Etwa Deinen gedeckten?“

„Natürlich“, lacht sie. „Wo ist Manuel?“, möchte sie wissen, während ich ihr in die Küche folge. Seit ihrem Unfall trägt sie einen Stock. Falls jedoch jemand auf die Idee kommen sollte, dass dies ihre Mobilität einschränken würde, muss ich ihn schnell eines Besseren belehren, denn sie ist trotz Geh-Hilfe so flink wie eh und je.

„Arbeiten“, schnaube ich.

Sie hebt fragend die Augenbrauen.

„Er hat mit einer Kollegin getauscht, deren Mann überraschend ins Krankenhaus musste, er hat dafür Montag und Dienstag frei“, erkläre ich.

„Das gefällt Dir nicht, oder?“

„Nein“, gebe ich zu. „Es ist ja nicht so, dass ich ihn nicht verstehen würde, aber ...“, ich mache eine hilflose Geste.

„Nunja Axel, Du wusstest von Anfang an, was Manuel beruflich macht, auch, dass er an manchen Wochenenden bei der Arbeit sein wird. Das soll jetzt nicht heißen, dass es Dir deswegen gefallen muss, aber Du solltest Dich langsam damit arrangieren“, bemerkt sie.

„Ja ich weiß“, seufze ich, „die letzten Wochen hat es sich einfach gehäuft. Wahrscheinlich bin ich deswegen so frustriert.“

Ich verbringe die nächsten Stunden bei ihr und wir reden über Gott und die Welt. Ich erzähle ihr von Frederick und Carsten und dass ich nach wie vor skeptisch bin, ob Carsten sein Versprechen, das er Frederick gegeben hat, auch wirklich halten kann, während sie mir ein Stück Apfelkuchen nach dem anderen auf den Teller schiebt. Sie teilt mir mit, dass meine Eltern bei diesen hochnäsigen Brandts beim Kartenspielen wären und ich zähle auf, wer am Samstag auf die Feier kommen wird und was ich alles für das Buffet geplant habe.

Wir unterhalten uns darüber, dass Frau Krause von nebenan ein Hypochonder ist und jede Woche mit einer anderen Krankheit daher kommt – diese Woche leide sie an Bauchspeicheldrüsenkrebs und man habe in naher Zukunft mit ihrem Ableben zu rechnen. Daran glaube ich tatsächlich, allerdings würde sie meiner bescheidenen Meinung nach nicht durch irgendeine Krankheit darnieder gestreckt werden, sondern durch die Hand ihres eigenen Arztes. Der arme Kerl hat wirklich mein tiefstes Mitgefühl.

Ich bin mittlerweile auch darüber informiert, dass Herr und Frau Schmidt sich scheiden lassen, weil Herr Schmidt sich hat inflagranti dabei erwischen lassen, als er von einer Praktikantin oral befriedigt wurde. Gevögelt habe er sie aber nicht – darauf bestehe er vehement. So ein Depp. Man hätte ihm vielleicht vorher sagen sollen, dass nur US Präsidenten ungeschoren aus einer solchen Nummer wieder raus kommen. Ach, und dann ist da natürlich noch die kleine Schwarz-Tochter, die sich mit 17 hat schwängern lassen, angeblich vom Vater ihrer besten Freundin. Skandal!

Ich glaube ich möchte lieber nicht wissen, was die Nachbarn so über den schwulen Becker-Sohn zu berichten wussten. Bestimmt feiere ich jede Nacht total perverse Sexparties, mit viel Drogen und Alkohol und wir treiben es dabei wie die Karnickel. Weiß doch schließlich jeder, dass Schwule so was machen. Im Grunde interessiert mich das Geschwätz jedoch nicht die Bohne. Sollen sie doch reden, was sie wollen. In der Nachbarschaft hier wurden schon immer die wildesten Gerüchte von einem Haus zum anderen getragen, über den tatsächlichen Wahrheitsgehalt dieser ganzen schlüpfrigen Geschichtchen hat sich kaum jemand allzu große Gedanken gemacht.

Es ist ziemlich spät, als ich mich schließlich von meiner Oma verabschiede. Sie gibt mir noch eine ordentliche Portion des Apfelkuchens mit, für Manuel, wie sie mir mit einem verschwörerischen Gesichtsausdruck mitteilt.

Apropos Manuel, eigentlich könnte ich ihn auch gleich von der Arbeit abholen. Erstens liegt es auf dem Weg und zweitens hat er eh in weniger als einer halben Stunde Feierabend.

20 Minuten später biege ich in den Parkplatz des Pflegeheims ein und fummle umständlich mein Handy aus meiner Jeans. Schnell ist eine SMS getippt:

Steh aufm Parkplatz. Bis gleich.



Wie gebannt schaue ich auf den spärlich beleuchteten Hintereingang, der auf den Parkplatz hinausführt. Der Wind trägt das liegen gebliebene Laub von einer Staßenseite auf die andere. Es ist haargenau ein solches Schmuddelwetter, bei dem man keinen Hund auf die Straße schicken würde – kalt, nass, stürmisch.

Bislang ist noch niemand herausgekommen, lange dürfte es allerdings nicht mehr dauern, bis die ersten Spätschichtler das Gebäude verlassen werden. Ich lege meine Arme über das Lenkrad und bette den Kopf darauf. Der Duft des Apfelkuchens steigt in meine Nase und ich muss schmunzeln. So wie ich meinen Süßen kenne, wird er sich sofort darauf stürzen, sobald wir zu Hause sind, sofern der Kuchen überhaupt so lange überlebt.

Langsam tut sich etwas am Hintereingang, denn die ersten Angestellten strömen aus dem Gebäude. In wärmeren Jahreszeiten stehen die Kollegen häufig nach Feierabend noch zusammen, um zu schwatzen, bei den momentanen Witterungsverhältnissen jedoch, hält sich niemand länger als nötig im Freien auf und strebt so schnell wie möglich der Wärme entgegen.

Ich erkenne ihn sofort und mein Herz schlägt augenblicklich schneller, immer noch, auch nach all der Zeit, die wir schon zusammen sind. Ein kurzer Windstoß weht eine Strähne seines Haares in sein Gesicht und er kämmt es mit gespreizten Fingern wieder zurück. Er stellt den Kragen seiner Jacke hoch, lässt seinen Blick über den Parkplatz schweifen und lächelt, als er mich im Auto sitzen sieht. Schnell kommt er auf mich zu und wenige Sekunden später lässt er sich auf den Beifahrersitz fallen.

„Hey“, sagt er und beugt sich zu mir.

Ich hebe meinen Kopf vom Lenkrad und komme ihm entgegen. „Hey“, antworte ich und spüre in der nächsten Sekunde auch schon seinen Mund auf dem meinen. Es ist ein zärtlicher, sanfter Kuss, und für meinen Geschmack viel zu schnell vorbei.

„Und, was hast Du heute so getrieben?“, will er wissen.

„Dich vermisst“, antworte ich heiser, „und dann bin ich zu Oma“, ergänze ich.

Er sieht mich reuevoll an, beugt sich noch einmal zu mir und huscht mit seinen Lippen über die meinen. „Ich weiß, Schatz. Mir gefällt dieser Wochenenddienst ebenso wenig wie Dir. Ich wollte Jessica einfach nicht hängen lassen, und von den anderen konnte oder wollte keiner tauschen. Es tut mir wirklich leid, ich mache es wieder gut, ja?“

Damit hat er mir wie immer sämtlichen Wind aus den Segeln genommen. Mein Frust ist wie weggefegt. Ergeben lehne ich mich an ihn und bette meinen Kopf auf seine Schulter. Am liebsten würde ich auf seinen Schoß klettern und ihn solange küssen, bis wir beide keine Luft mehr bekommen. Aber ich beherrsche mich, ich bin schließlich schon ein großer Junge, auch wenn es mir in diesem Moment unsagbar schwer fällt damit zu warten, bis wir zu Hause sind.

Plötzlich hält er die Nase in die Luft. Aha, er hat Witterung aufgenommen.

„Ist es wirklich das, was ich denke zu riechen, oder habe ich schon Hallos?“, lacht er.

„Kommt drauf an, was Du zu riechen meinst“, sage ich grinsend.

Er schnuppert: „Äpfel, Zimt, Teig drumrum?“

*




Dreißig - noch 10 Minuten, dann ist es soweit.

Sagt man nicht, dass ein unverheirateter Mann an seinem 30. Geburtstag den Hof fegen muss, um zu beweisen, dass er in der Ehe gewillt und fähig ist, seine Pflichten im Haushalt zu übernehmen?

Ich denke, das bekomme ich hin, aber ich freue mich jetzt schon auf Manuels 30. Geburtstag. Obwohl, sauber machen, Ordnung halten - das hat er ja drauf - da dürfte auch der Hof kein größeres Problem für ihn darstellen. Er kann allerdings von Glück sagen, dass das Sprichwort kein opulentes Mahl verlangt. Als wir uns erst kurz kannten, hat er mir einmal erzählt, dass er schon froh sei, wenn er die Tiefkühlpizza nicht anbrennen ließe. Und mittlerweile weiß ich, dass das wirklich kein hohles Geschwätz war. Die Pfanne, in der er unlängst versuchte Rühreier zu braten, war anschließend unbrauchbar und es hat einen halben Tag gedauert, bis wir diesen widerlichen Gestank wieder aus der Bude hatten. Seither verzichtet er zum Glück darauf, mir Sonntags mit einem selbst gemachten Frühstück eine Freude machen zu wollen. Besser, das!

„Was geht hinter dieser Stirn vor?“, kommt es von rechts neben mir. Er liegt auf der Seite und hat seinen Kopf auf seine Hand gestützt. Die andere Hand liegt locker auf meinen Bauch und streichelt sanft darüber.

Ich lache leise und verschränke meine Finger mit den seinen. „Ich weiß nicht, ob Du das hören willst.“

„So schlimm?“, schmunzelt er.

„Ich musste gerade daran denken, wie Du mir vor einigen Wochen Frühstück ans Bett bringen wolltest. Wir hätten versuchen sollen, die Rühreier als Kohle-Briketts zu verkaufen“, kichere ich und gehe in Deckung.

„Was bist Du nur für ein undankbarer Kerl“, lacht er und wirft sein Kissen nach mir.

„Ich fand das unglaublich süß“, gebe ich zu und sehe ihn liebevoll an.

„Soll das ein dezenter Hinweis darauf sein, dass ich Dir morgen das Frühstück ans Bett bringen soll?“, fragt er grinsend.

„Oh Gott, bloß nicht“, tue ich gespielt entsetzt.

„Womit könnte ich Dich denn sonst glücklich machen?“, will er wissen.

„Hm, ich hätte da so eine Idee“, antworte ich bedeutungsvoll, lege meine linke Hand in seinen Nacken und ziehe ihn zu mir.

Er versteht natürlich sofort, was ich möchte, und beginnt mit Feuereifer, mir meinen Wunsch zu erfüllen. Sanft legen sich seine Lippen auf die meinen und saugen etwas an meiner Unterlippe. Er verteilt federleichte Küsse auf meine Nase, Wangen, Kinn ... dann fühle ich ihn wieder auf meinen Lippen. Habe ich eigentlich schon einmal erwähnt, dass ich für diese Küsse sterben würde? Bereitwillig öffne ich meinen Mund und lasse Manuels Zunge ein. Er schmeckt süß, nach Nutella. Diese kleine Naschkatze. Ich grinse leicht in unseren Kuss hinein.

„Was ist?“, fragt er amüsiert.

„Du schmeckt nach Nutella“, antworte ich immer noch grinsend.

Er lacht leise und legt eine Hand auf meine Wange, er lässt für keine Sekunde den Blick von mir. Zärtlich streicht sein Daumen über meine Augenbraue, die Nase entlang, über den Wangenknochen, zu meinen Lippen. Ich öffne den Mund und berühre ihn ganz leicht mit meiner Zunge, schließe anschließend meine Lippen um seine Daumenspitze und sauge daran. In seinen Augen erkenne ich längst dieses wohlbekannte Funkeln. Ich rücke näher zu ihm, schiebe ein Bein zwischen die seinen und streichle sanft über die warme weiche Haut an seiner Seite. Er ist für meinen Geschmack immer noch viel zu weit von mir entfernt, also schiebe ich meinen rechten Arm unter seinem Kopf hindurch und robbe noch näher an ihn heran.

Inzwischen liegt seine Hand besitzergreifend an meiner Kehrseite und knetet leicht das feste Fleisch. Währenddessen haben sich meine Lippen bis zu seiner Schulter vorgearbeitet und ich knabbere zart daran. Meine Hand wandert Stück für Stück über seinen Rücken, streicht einmal kurz über seinen Po, und nimmt dann den Weg wieder zurück über seinen Rücken nach oben.

Dann hält er plötzlich inne und in der nächsten Sekunde bin ich seiner Nähe beraubt. Was ist denn nun kaputt? Irritiert setze ich mich auf.

Keine Ahnung, wo er das so schnell hergezaubert hat, aber er hält tatsächlich zwei Gläser in der linken und eine Flasche Sekt in der rechten Hand. Auf seinem Gesicht breitet sich ein triumphierendes Lächeln aus.

Er reicht mir die beiden Gläser und öffnet etwas ungeschickt die Flasche Sekt. Er schafft es sogar den Korken knallen zu lassen, ohne dass sich die halbe Flasche über das ganze Bett ergießt. Schnell sind die beiden Gläser gefüllt und er stellt die Flasche auf den Nachtschrank neben sich.

Feierlich sieht er mir in die Augen: „Alles Gute zum Geburtstag, mein Schatz“, flüstert er, stößt mit seinem Glas leicht an das meine, beugt sich zu mir und küsst mich hingebungsvoll. „Auf uns“, ergänzt er, nachdem er sich von mir gelöst hat, hebt das Glas und nippt daran.

Ich tue es ihm gleich und kann einfach nichts anderes, als ihn glücklich und verliebt anzuschauen. Oh Himmel, wie ich diesen Kerl liebe. „Auf uns“, hauche ich.

Beim Anblick des Sektes kommt mir urplötzlich ein Gedanke und ich setze mein unschuldigstes Lächeln auf. Ich nehme Manuel das leere Glas aus der Hand und stelle es zusammen mit meinen eigenen, noch halb vollen Glas, auf den Nachtschrank.

Ich drücke ihn sanft in die Kissen zurück und beuge mich über ihn.

„Was hast Du vor? Ich kenne dieses Grinsen“, meint er misstrauisch, lacht aber dabei.

„Lass Dich überraschen, Süßer, Du wirst es sicher nicht bereuen“, schnurre ich und lasse meine Lippen auf die seinen sinken.

Bereitwillig lässt er meine drängende Zunge ein, kommt mir mit seiner entgegen, neckt mich, stupst mich an, zieht sich wieder zurück. Ich lasse von seinem Mund ab, arbeite mich über sein Schlüsselbein zu seiner Brust vor, verweile bei seinen Brustwarzen und ziehe die Spur schließlich weiter bis zu seinem Bauchnabel. Manuel gibt leise Töne des Entzückens von sich und ich muss schmunzeln. Er hat ja keine Ahnung, was gleich auf ihn zukommen wird.

Ich stupse einmal kurz mit der Zunge in die Mulde an seinem Bauch und beschreite den Weg weiter, bis zu meinem eigentlichen Ziel. Manuel schnappt einmal kurz nach Luft, als ich es schließlich erreicht habe. Aufreizend langsam streiche ich mit der Zungenspitze über das weiche Fleisch, umkreise ihn, sauge ganz leicht an ihm. Seine Hände hat er längst rechts und links in die Matratze gekrallt. Sein Kopf ist weit nach hinten in das Kissen gedrückt.

Von ihm unbemerkt greife ich schnell nach meinem Glas und nehme einen Schluck. Sofort bin ich wieder über ihm und nehme ihn vorsichtig auf, darauf achtend, das der Sekt nicht aus meinem Mund fließt.

„Axel“, keucht er, „Himmel, was ... herrje, was ... tust Du ... da?“ Sein Atem geht stoßweise und ich merke deutlich, dass er um seine Beherrschung kämpft.

Ich lasse von ihm ab, schlucke den Alkohol hinunter und sehe ihn unschuldig an. „Nicht gut? Soll ich aufhören?“, was für eine blöde Frage, ich weiß schließlich ganz genau wie wahnsinnig gut es sich anfühlt. Auch wenn Yvonne ein Miststück war, den ein oder anderen Trick hatte sie durchaus auf Lager. Allerdings hatte ich damals nicht einmal im Traum daran gedacht, dass ich das je irgendwann einmal selbst an einen Mann ausprobieren werden würde.

„Oh ... Gott, mach ... mach das nochmal!“, stottert er erregt. Grinsend greife ich nach meinem Glas und komme mit dem größten Vergnügen seiner Bitte nach.

*




Am nächsten Morgen verschlafen wir prompt. Kein Wunder nach einer solchen Nacht. Wenn das ein Vorgeschmack auf meine zukünftigen Geburtstage gewesen ist, dann möchte ich bitte so alt werden wie Methusalem, zusammen mit Manuel versteht sich.

Besonders tragisch ist es jedoch nicht, das Verschlafen meine ich. Wir haben beide Urlaub und für den Tag steht eh nichts weiter an. Mit unseren Familien treffen wir uns erst heute Abend und mit unseren Freunden feiern wir kommenden Samstag. Lediglich das Telefon hält mich den ganzen Tag über auf Trab, aber das war nicht anders zu erwarten, man wird schließlich nur einmal im Leben dreißig.

Das Geburtstagsessen am Abend geht ohne größere Zwischenfälle über die Bühne. Wir haben uns für eine Örtlichkeit entschieden, die auch den etwas gehobeneren Ansprüchen meiner Eltern genügt. Alles in allem war es ein sehr angenehmer und entspannter Abend.

Manuels Eltern sind einfach die Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit in Person und sogar meine Eltern tauen in deren Gesellschaft merklich auf. Anna und meine Mutter verstehen sich ohnehin erstaunlich gut, was vielleicht auch daran liegen mag, dass sie annähernd gleich alt sind. Beide gerade mal knapp über 50. Nun fragt ihr euch natürlich zurecht, wie es sein kann, dass Manuels Mutter noch relativ jung ist, wohingegen Manuels Bruder die 40 bereits überschritten hat. Das ist schnell erklärt. Manuel und Frederick haben unterschiedliche Mütter. Fredericks Mutter starb vor Jahrzehnten an irgendeiner Art von Leukämie. Zwischen Diagnose und Tod lagen wohl gerade einmal drei Monate. 1 ½ Jahre später hat Connie (eigentlich heißt Manuels Vater ja Cornelius, so nennt ihn nur kein Mensch) Anna kennen gelernt. Ein halbes Jahr später waren sie verheiratet und Anna schwanger – mit Manuel.

Die Ähnlichkeit zwischen Mutter und Sohn ist unverkennbar. Auch sie hat dieses fast schwarze Haar – okay, angesichts ihres Alters könnte es natürlich auch gefärbt sein – und diese unglaublich dunkelbraunen Augen, die mir auch bei Manuel sofort aufgefallen waren. Connie hingegen scheint keine allzu dominanten Gene zu besitzen, denn keiner seiner Söhne sieht ihm auch nur entfernt ähnlich. Er ist mittelblond und seine schier unbändbare Mähne erinnert vage an ein Bild eines jüngeren Albert Einsteins. Ganz anders als Frederick, dessen Haarpracht inzwischen einer immer größer werdenden kahlen Stelle weichen musste – erblich bedingt durch seinen Großvater mütterlicherseits.

Meine Eltern zeigen mehr Sitzfleisch als erwartet, und so schlagen wir den Heimweg erst relativ spät ein. Der anfängliche Regen geht schnell in Schnee über. Der erste in diesem Jahr, sofern man dieses matschige Etwas überhaupt als solchen bezeichnen kann. Es ist schließlich fast Mitternacht, als wir endlich wieder daheim sind und müde ins Bett fallen.

„Es ist geschafft, ich habe meinem 30. Geburtstag ohne größere Blessuren überlebt“, atme ich erleichtert auf.

„Aber dafür muss ich künftig mit einem alten Mann ins Bett“, feixt Manuel.

„Wie gut, dass Du mir in wenigen Monaten folgen wirst und meine Rache wird furchtbar sein“, drohe ich lachend.

„Hm, wie wird Deine Rache denn aussehen? Nur damit ich mich schon seelisch und moralisch darauf vorbereiten kann“, will er kichernd wissen.

„Ich werde mir etwas ganz Besonderes für Dich ausdenken“, sage ich geheimnisvoll.

„So besonders wie das, was Du vergangene Nacht mit mir gemacht hast? Dann kann ich es kaum erwarten“, haucht er an meinem Ohr und lässt seine Lippen verführerisch über meinen Hals gleiten.

*




Oma Beckers gedeckter Apfelkuchen



Zutaten für 12 Stücke:

Mürbeteig:
300 g Mehl
200 g kalte Butter
100 g Zucker
1 Ei
1 TL Backpulver
1 Prise Salz

Füllung:
6-8 Äpfel (je nach Größe)
1 Zitrone (damit die Äpfel nicht braun werden)
Zucker und Zimt (nach Geschmack)

Das Mehl mit dem Backpulver und Salz vermischen und den Zucker unterrühren.
Kleine Vertiefung in die Mitte drücken und das Ei in die Mulde geben.
Butter stückeln, auf dem Mehl verteilen und das Ganze mit einem großen Messer hacken. Anschließend mit den Händen den Teig rasch fertig kneten.
Den zu einer Kugel geformten und in Frischhaltefolie verpackten Teig 1 Stunde in den Kühlschrank legen.

2/3 des Teiges auf einer bemehlten Fläche ausrollen und in eine Springform legen, einen 3 cm hohen Rand andrücken.

Die geschälten, entkernten, geschnittenen und mit Zitrone beträufelten Äpfel gleichmäßig und großzügig auf dem Teig verteilen und mit Zucker und Zimt bestreuen.

Den restlichen Teig so dünn wie möglich ausrollen und auf die Äpfel legen.

Backofen auf ca. 200 Grad vorheizen und den Kuchen auf mittlerer Schiene etwa 35 Minuten backen.

Man kann mit Rosinen und/oder Nüssen variieren, je nach Geschmack. Wer mag, kann auch den Deckel vor dem Backen mit Eigelb einpinseln.


Let's have a party!




Wie immer, wenn ich Gäste erwarte, bin ich furchtbar aufgeregt. Jedes mal bricht diese völlig irrationale Panik aus, dass all das Zeugs, das ich aufgetischt habe, nicht ausreichen könnte, dass irgendwann alles weggeputzt sein würde und ich mich schließlich zig hungrigen Gästen gegenüber sehe, die mit knöchernen Fingern auf mich zeigen und mich vorwurfsvoll anstarren. Horror!

Ich seufze laut auf, als ich meine Blicke über das Buffet gleiten lasse, das wir in U-Form über die komplette Küche verteilt haben. Um Platz zu schaffen, haben wir Esstisch samt Stühle vorübergehend in den Keller verbannt. Ein positiver Nebeneffekt dabei ist, dass unsere Gäste bequem an das ganze Geschirr, Besteck, Brot und Servietten auf der Theke herankommen, ohne Gefahr laufen zu müssen, sich das Rückgrat zu verrenken.

Sieht eigentlich alles ganz gut aus. Auf der langen, linken Seite sind die ganzen Kaltspeisen und Salate aufgereiht, rechts befinden sich die Desserts und die verbleibende Seite beherbergt alle Warmgerichte in speziellen Warmhaltegefäßen, wie man sie auch aus der Gastronomie kennt.

„Lass mich raten, Du denkst schon wieder über einen Plan B nach, falls unsere Gäste wie Heuschreckenschwärme über all das Essen herfallen und innerhalb von fünf Sekunden nicht einmal mehr ein Krümel übrig sein wird?“, feixt Manuel.

„Es ist immer gut, auf alles vorbereitet zu sein“, antworte ich etwas trotzig.

„Schatz, wir sind 14, nicht 40. Und selbst dann müsste jeder einzelne von ihnen die vergangenen Tage hungernd verbracht haben, um auch nur annähernd den Heißhunger aufzubringen, der nötig wäre, um das alles hier zu verputzen“, er deutet mit einer ausschweifenden Handbewegung auf die Küche.

Irgendwie stimmt es ja, was er sagt. Wir haben zwei Tage lang gebacken und gekocht, bis uns die Handflächen gequalmt haben. Das heißt ich

habe gebacken und gekocht und musste nebenbei noch ein gieriges Schleckermäulchen davon abhalten, allzu viel in selbigem verschwinden zu lassen, insbesondere, als es an die Desserts ging. Die Muffins waren noch keine zwei Minuten aus dem Backofen, da war einer schon auf Nimmerwiedersehen in Manuels Schlund verschwunden.

Ich sehe ihn mit einem schiefen Lächeln an.

„Hör auf damit, Dir Deinen hübschen Kopf über Dinge zu zerbrechen, die ohnehin nie eintreffen werden. Glaub mir, unsere Gäste werden kugelnd das Haus verlassen müssen, weil sie so vollgefressen sein werden, dass sie nicht mehr aufrecht werden gehen können“, sagt er zärtlich, legt seine Arme um meinen Hals und sieht mich aufmunternd an.

„Weiß übrigens Rob, dass Kevin auch eingeladen ist?“, bemühe ich mich um einen Themenwechsel, ich weiß ja, dass er recht hat.

„Ja, ich habe ihn vorgewarnt.“

„Und, was meinte er dazu?“

„Eigentlich nichts, seine Begeisterung hielt sich allerdings auch ziemlich in Grenzen“, erwidert Manuel stirnrunzelnd.

„Er wird es überlegen“, antworte ich und kann nicht verhindern, dass ein Hauch von Sarkasmus mitschwingt.

„Hm“, macht er.

„Was?“

„Ich weiß nicht, aber Rob ist wie ausgewechselt, seit Kevin mit ihm Schluss gemacht hat. So kenne ich ihn überhaupt nicht. Sonst hat es keine zwei Tage gedauert und er hatte den Nächsten“, erklärt er nachdenklich.

„Würde ich Rob nicht besser kennen, käme mir glatt in den Sinn, dass er sein Herz verschenkt haben könnte“, ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

„Es scheint fast so. Und wenn dem tatsächlich so ist, wäre es eine Premiere, denn soweit ich zurück denken kann, war Rob noch nie richtig verliebt.“

„Bemitleide ihn nicht zu sehr, es wurde Zeit, dass es auch einmal einen Robert Wagner erwischt“, antworte ich leicht gehässig.

„Das macht Dir eine diebische Freude, oder?“, tadelt er mich gespielt ernst.

„Ich bin milde amüsiert“, gestehe ich grinsend.

„Weißt Du eigentlich, dass Du manchmal ein richtiges kleines Biest sein kannst?“, antwortet Manuel und zieht mich lachend an sich.

„Hättest Du mich denn gerne anders?“, frage ich und sehe ihn herausfordernd an.

„Nein“, antwortet er ernst, „ich liebe Dich genauso, wie Du bist“, sind seine letzten Worte, bevor er mich in einen stürmischen Kuss verwickelt.

*




Sandra erscheint als erste – keine Sekunde zu früh, denn wäre sie nur wenige Minuten eher vor unserer Tür gestanden, wäre ihr eine unfreiwillige Lehrstunde in homosexuellen Liebespraktiken nicht erspart geblieben – zumindest nicht akustisch.

Sie verliert zum Glück kein Wort darüber, dass wir beide immer noch leicht außer Atem sind. Auch nicht darüber, dass unsere Kleidung etwas in Unordnung geraten ist. Und von unseren, vom Küssen geröteten Lippen, nimmt sie ebenfalls keinerlei Notiz. Entweder sie hat tatsächlich nichts bemerkt, oder sie sieht einfach wohlwollend darüber hinweg. Ich vermute letzteres, denn einem Fuchs wie Sandra, entgeht für gewöhnlich nichts, schon gar nicht solch delikate Kleinigkeiten.

Carsten und ein strahlender Frederick, ein grimmig drein blickender Rob, sowie ein, über mein Alter feixender Paul stehen fast zeitgleich vor unserer Tür. Paul und mich verbindet eine langjährige Freundschaft, die auch meinem Outing standhielt, obwohl sie in den vergangenen Jahren zeitweise etwas eingeschlafen war.

Wenige Minuten später taucht Konrad auf, ein Arbeitskollege von mir. Er und Johannes sitzen im gleichen Büro. Im Schlepptau hat er seine aktuelle Freundin Sophie. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie er es immer wieder schafft, die tollsten Frauen abzuschleppen, denn verdient hat er sie ganz sicher nicht. An sich ist er ja ein wirklich netter Kerl, nicht jedoch, wenn es um seine häufig wechselnden Liebschaften geht, die durch die Bank hindurch keinen blassen Schimmer davon haben, dass eigentlich eine Ehefrau zuhause auf ihn wartet. Ich weiß nicht, wen ich mehr bemitleiden soll: die armen Frauen, wenn sie irgendwann erkennen müssen, dass ihre vermeintliche große Liebe sich als eine einzige große Lüge entpuppt, oder Konrads Frau, der die bisher schon unzähligen Eskapaden ihres Mannes schwerlich entgangen sein dürften.

Danach erscheinen Richard und Wolfgang, ein Pärchen, das wir aus dem Boots kennen. Das Schlusslicht bilden Maria, eine Kollegin von Manuel, Johannes und schließlich Kevin.

Mein Blick schießt unwillkürlich in Robs Richtung, als Kevin unser Wohnzimmer betritt. Die auf der Terrasse gestapelten Getränke scheinen auf unseren werten Herrn Wagner eine geradezu magische Anziehungskraft auszuüben, denn er kann sich von diesem wahrlich erhabenen Anblick von Bier, Säften und dergleichen keinen Augenblick losreißen. Lächelnd schüttle ich den Kopf. Rob ist und bleibt einfach eine Zicke.

Als sich nach und nach die Gäste auf das Buffet stürzen, kann ich mir den ein oder anderen panischen Blick nicht verkneifen, doch Manuel behält recht, ich hatte mir wieder einmal völlig unbegründet Sorgen gemacht. Selbst als alle meine Gäste genüsslich schmatzend und schwatzend beieinander stehen oder sitzen, sieht das Buffet noch immer nahezu unberührt aus.

Erleichtert atme ich auf und entspanne mich das erste Mal an diesem Abend. Endlich kann ich amüsiert den Trubel um mich herum genießen. Die Getränkeverteilung hat Manuel übernommen, wofür ich ihm übrigens sehr dankbar bin – und er macht seinen Job sogar richtig gut – gerade jetzt kommt er mit beladenen Armen wieder von der Terrasse zurück. Im Winter zu feiern hat manchmal durchaus seine Vorteile, vor allem, wenn man eine Terrasse als begehbaren Kühlschrank missbrauchen kann.

„Meinst Du nicht, Du hast genug genascht für heute?“, höre ich Konrad leise fragen, „Du wirst langsam ganz schön rund um die Hüften“, setzt er gehässig grinsend nach und meint damit Sophie, die sich mit Feuereifer über das Buffet hermacht. Ich hebe den Kopf und lächle ihr aufmunternd zu. Sie rollt mit den Augen, wirft ihrem Freund einen giftigen Blick zu und läd trotzig ihren Teller voll. Danach lässt sie ihn einfach stehen und rauscht hoch erhobenen Hauptes an ihm vorbei. Sophies Figur ist übrigens tadellos, zumindest aus meiner Sicht. Und ja, ich darf mir dazu ein Urteil erlauben, ich war schließlich fast 28 Jahre lang eine Hete.

Innerlich schüttle ich den Kopf. Wie kann es nur sein, dass ein sonst so netter und zuvorkommender Mensch wie Konrad, Frauen gegenüber ein solches Arschloch sein kann?

Ich sehe ihn kopfschüttelnd an, als er wenige Momente später an mir vorbei läuft.

„Was?“, will er wissen.

„Wirst Du irgendwann einmal erwachsen?“, antworte ich mit einer Gegenfrage.

Er verzieht das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen und zuckt mit den Schultern. „Komm schon Axel, ich weiß, dass ich ein Mistkerl bin, aber die Ladies stehen drauf.“

Ich sehe ihm seufzend nach, dann wird meine Aufmerksamkeit auf jemand anderen gelenkt. Kevin. Er hat es sich neben Wolfgang auf dem Sofa bequem gemacht und scheint einen Punkt links hinter mir zu fixieren. Ich folge seinem Blick und drehe mich um. Rob steht da, mit einer Flasche Bier in der Hand und stiert auf seine Schuhspitzen. Ich drehe mich wieder zurück zu dem kleinen Lockenkopf. Ein trauriger Zug liegt um seine Mundwinkel und er wendet sich ertappt ab, als er bemerkt, dass ich ihn beobachte.

Ich fühle, wie sich vertraute Arme von hinten um meinen Bauch schlingen. „Na, hattest Du mit Deinem Röntgenblick schon Erfolg und hast das ein oder andere Geheimnisse bereits aufgedeckt?“, neckt er mich und berührt mit seinen Lippen zart mein Ohrläppchen.

„Vielleicht“, grinse ich, wende meinen Kopf zur Seite und hauche Manuel einen kurzen Kuss auf den Mund.

„Meine Güte, könnt ihr nicht mal für ein paar Minuten die Finger von einander lassen?“, knurrt Rob. „Dieses stetige Geturtel hält ja kein Mensch aus.“

„Bitte?“, frage ich halb amüsiert und halb genervt, denn langsam habe ich genug davon, Fußabtreter für seine Launen zu spielen.

„Rob“, seufzt Manuel, „warum gehst Du nicht einfach zu ihm?“

„Er hat mich abgeschossen, schon vergessen?“, keift Rob.

„Ich denke, ein Versuch ist es wert“, sage ich und habe sofort wieder Kevins traurigen Blick vor Augen.

„Wer hat Dich um Deine Meinung gebeten?“, ätzt er.

„Rob, es reicht!“, entgegnet Manuel bestimmt und sieht ihn verärgert an.

„Es tut mir leid, ich weiß ja, dass ihr es nur gut meint, aber...“, er fährt sich mit einer Hand über das Gesicht und stellt schließlich die Flasche weg. „Ich... bis später.“ Er stößt sich von der Wand ab und verlässt das Zimmer.

„Er wirkt wie ein geprügelter Hund. Die Sache mit Kevin scheint ihm wirklich an die Nieren zu gehen“, meint Manuel stirnrunzelnd.

„Und ich habe so das Gefühl, dass es Kevin ähnlich geht“, seufze ich.

„Und was machen wir nun mit den beiden?“

„Nichts, da müssen sie alleine durch. Sobald Rob merkt, dass wir uns versuchen einzumischen, wird er auf stur schalten“, erkläre ich. „Einen kleinen Vorgeschmack haben wir ja gerade erhalten“, füge ich sarkastisch hinzu.

„Er ist betrunken“, versucht Manuel seinen Freund zu verteidigen.

„Seit Wochen im Dauerdelirium?“, frage ich ironisch.

Manuel seufzt und küsst meine Halsbeuge.

Unwillkürlich schweifen meine Gedanken ab zu einem ganz anderen Pärchen. Ich schiele zu Frederick und Carsten hinüber. Sie wirken beide wirklich glücklich. Frederick hatte uns einige Tage nach diesem furchtbaren Streit erzählt, dass Carsten ihm tatsächlich versprochen habe, treu zu sein. Carsten habe ja keine Ahnung gehabt, wie weh er Frederick damit getan habe, da dieser es von Anfang an toleriert habe. Inwieweit Carsten es einzuhalten vermag, lässt sich wohl erst in einigen Monaten sagen, denn bisher sind ja gerade einmal zwei Wochen vergangen. Verstehen kann ich all das jedoch immer noch nicht so wirklich. Entweder ich liebe jemanden und dann sind mir andere völlig egal, oder eben nicht.

„... ich hätte zu gerne Fredericks Gesichtsausdruck gesehen“, lacht Sandra laut auf und reißt mich damit aus meinen Grübeleien.

„Danke, ich war wirklich bedient an dem Abend“, antwortet soeben Erwähnter zähneknirschend.

„Was ist denn passiert?“, frage ich neugierig nach.

„Wir haben vor einigen Jahren Sandra und Manuel zusammen auf die Menschheit losgelassen, das ist passiert“, antwortet Frederick spöttisch.

Ich sehe fragend in die Runde und fühle Manuel an meinem Hals leise kichern.

„Naja, das war so“, beginnt Sandra. „Es war mein 18. Geburtstag. Wir haben ähm ... gefeiert.“

„Du meinst wohl, Du hast Dich gnadenlos voll laufen lassen“, wirft Manuel ein und erntet einen bösen Blick von Sandra.

„So viel hatte ich doch gar nicht getrunken, ich war nur einfach nichts gewohnt“, verteidigt sie sich gespielt beleidigt. „Na wie dem auch sei, Manuel hat mich irgendwann bei meinem Vater abgeladen und ist dann zu seinem damaligen Lover. Ich erinnere mich nur noch daran, dass mir irgendwann speiübel war und ich auf allen Vieren ins Bett gekrochen bin“, stöhnt sie.

„Ich kam zwei Stunden später wieder. Ich hatte natürlich nicht daran gedacht, einen Schlüssel mitzunehmen, also habe ich versucht Steinchen ans Fenster im Gästezimmer zu werfen. Sandra war wohl so tief abgesackt, dass sie mich nicht gehört hat. Dann habe ich versucht meinen Bruder auf mich aufmerksam zu machen. Hat auch wunderbar geklappt, Frederick war sofort hellwach, als die Fensterscheibe im Schlafzimmer zu Bruch ging. In meinem leicht angeheiterten Zustand habe ich wohl etwas zu große Wurfgeschosse verwendet. Das End vom Lied jedenfalls war, dass die Scheibe kaputt war, Frederick auf dem Weg zur Tür auf Sandras... Hinterlassenschaft ausgerutscht ist und mir schließlich laut fluchend und mit einem mörderischen Blick die Tür öffnete.“ Manuels letzte Worte gehen fast in einem Glucksen unter während wir anderen in schallendes Gelächter ausbrechen.

„Ich fand das in dem Moment alles andere als lustig“, beharrt Frederick, fällt dann aber doch in das allgemeine Gelächter mit ein.

„Ich habe von alldem überhaupt nichts mitbekommen, mir wurde das erst am nächsten Morgen erzählt“, wirft Carsten ein.

„Na Du hast ja auch einen nahezu komatösen Schlaf, wie Deine Tochter übrigens auch, die steht Dir da in nichts nach“, feixt Frederick mit einem schelmischen Seitenblick auf Sandra.

„Hey!“, wirft Sandra protestierend ein und ich beobachte amüsiert Johannes, der mit seinen Augen wie gebannt an ihren Lippen hängt. Ich fasse es nicht, dass keiner von beiden in den vergangenen Wochen den Mut gefunden hat, den ersten Schritt zu tun, denn selbst dem abgebrühtesten Ignoranten dürfte das Knistern zwischen den beiden nur mit Mühe entgehen.

„Hat sie euch schon einmal erzählt“, plappert Frederick unbeirrt weiter, „dass sie noch nicht einmal von einem Rettungs-Hubschrauber wach wurde, der keine 100 Meter entfernt auf der Wiese hinterm Haus gelandet ist? Und das lag jetzt nicht an der tollen Lärmdämmung des Hauses, denn das Fenster im Gästezimmer stand sperrangelweit offen!“

„Ich habe eben einen gesunden Schlaf“, antwortet Sandra schmollend.

Immer noch kichernd wende ich mich meinen anderen Gästen zu. Ich setze mich zu Wolfgang, Richard, Maria, Kevin und Paul, die sich angeregt über Urlaubserlebnisse austauschen.

„... Verbote überall, sag ich euch“, vernehme ich Wolfgangs Stimme, „die haben allen Ernstes Pinkelverbotsschilder in den Fahrstühlen angebracht. Das habe ich wirklich furchtbar vermisst, da ich ja auch sonst meine Notdurft stets in Fahrstühlen verrichte“, lacht er.

„Kaugummi kauen ist ebenfalls verboten“, ergänzt Richard, „irgendwann müssen wohl mal ein paar Kids in der U-Bahn die Lichtschranken mit Kaugummi zugeklebt haben. Daraufhin haben die Singapurer kurzerhand das Kauen von Kaugummi verboten.“

„Klingt ... spaßig“, kichert Maria.

„Naja, unser Ding war es nicht wirklich, nicht wahr Hase?“, entgegnet Richard und wendet sich seinem Partner zu. „Die Stadt ist für unseren Geschmack viel zu westlich. Nach all den anderen asiatische Städten, die wir gesehen haben, war Singapur fast sowas wie ein Kulturschock“, ergänzt er.

„Einen Kulturschock habe ich auch erlebt, letztes Jahr in Florida“, wirft Paul ein. „Falls ihr irgendwann einmal in Fort Lauderdale sein solltet, dann müsst ihr die Rundfahrt mit anschließendem Barbecue auf der Jungle Queen mitmachen. Danach hatte ich wirklich meinen Glauben in die Amis verloren“, lacht er kopfschüttelnd.

„Hört sich abenteuerlich an“, grinse ich.

„Das war es auch, gewissermaßen. Wir wurden alle in eine Art Raddampfer gestopft und durch die Kanäle von Ford Lauderdale gegondelt. Bis dahin hatte ich mir noch etwas auf meine moderaten Englisch-Kenntnisse eingebildet. Womit ich nicht gerechnet hatte: unser Erklärbär auf dem Kahn war ein Texaner, der mit solch starkem Akzent sprach, dass ich kaum ein Wort verstanden habe. Er klang, als ob er 'ne Socke im Hals stecken hätte. Irgendwann haben wir an einer kleinen Insel angedockt und hunderte von Amis, Europäern, Asiaten und was weiß ich noch alles, strömten in ein riesiges Holzgebäude, dessen Einrichtung irgendwie an ein Bierzelt auf dem Oktoberfest erinnert hat: Bierbänke und karierte Tischdecken. Dann wurde das Essen aufgetafelt. Shrimps in kleinen Plastikbecherchen, denen man ansah, dass sie fünf Minuten zuvor den Tiefkühler verlassen hatten, Spareribs, Chicken Wings, French Fries, Krautsalat, Bohnen.. als musikalischer Background: Heino in Englisch, so hörte es sich zumindest an. Mir gegenüber saß eine junge Frau. Vom Aussehen her erzkonservativ, weiße Bluse, schwarze Stoffhose, zu einem Zopf gebundenes Haar. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen Vorschullehrerin oder ähnliches. Nicht nur, dass ihr der Bratensaft bis zu den Ellbogen lief, sie fing auch irgendwann an fröhlich kauend zu schunkeln. Das war dann auch der Zeitpunkt, an dem wir fluchtartig das Gebäude verließen. Das anschließende Unterhaltungsprogramm bestritt eine Gruppe von Lokal-Matadoren, deren Durchschnittsalter bei etwa 103 Jahren lag.“

Spätestens jetzt prusten wir laut los.

Immer noch japsend ergänzt Paul: „Auch wenn mir das Barbecue wirklich einen Kulturschock verpasst hat, war es jeden einzelnen Dollar wert. Ich habe ja schon viel davon gehört, wie sich ein großer Teil der amerikanischen Bevölkerung benimmt, wenn es heißt: all you can eat, aber man muss es einfach einmal selbst erlebt haben, sonst glaubt man es nicht.“

Je später es wurde, desto höher stieg bei einigen Gästen der Alkoholpegel. Richard und Wolfgang sitzen an einander gelehnt auf dem Sofa, vertieft in ein Gespräch mit Frederick, Kevin und Maria. Der Lautstärke ihres Lachens nach zu urteilen, haben sie jede Menge Spaß.

Sophie steht schon wieder am Buffet und ignoriert Konrad vollständig, der sich gerade mit Johannes über irgendwelchen Arbeitskram unterhält und zwischendurch immer wieder missbilligende Blicke in Richtung seiner Freundin schießt.

Ich trete neben sie. „Lass Dir von Konrad nicht irgendwelchen Mist einreden, Sophie. An Dir ist nichts, wofür Du Dich schämen müsstest.“

Sie lächelt mich fast schon glücklich an. „Danke Axel, das ist lieb von Dir. Aber mach Dir keine Gedanken, ich weiß, was ich von Konrad zu erwarten habe.“

Ich sehe sie verwirrt an: „Dann weiß Du also ...“, ich beiße mir auf die Lippe. Sollte ich mich wirklich so getäuscht haben? Ich habe Sophie eigentlich für integer gehalten.

„Was soll ich wissen?“, hakt sie nach.

„Ähm ... eigentlich nichts, es geht mich ja auch gar nichts an“, versuche ich meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

„Nun komm schon Axel, Du hast gegackert, jetzt leg auch“, fordert sie mich auf.

Na toll, hätte ich nur den Mund gehalten. Es steht mir einfach nicht zu mit Sophie über Konrad oder dessen familiären Status zu reden, unabhängig davon, ob sie es nun weiß oder nicht. Wieder beiße ich auf meine Unterlippe und halte Ausschau nach Manuel.

„Axel?“ Sie scheint auf eine Antwort zu beharren.

„Weißt Du es wirklich nicht?“, frage ich unsicher.

„Verflucht, was soll ich denn wi...“, sie bricht mitten im Wort ab und wird blass. „Axel? Bitte sag mir jetzt nicht, dass Konrad verheiratet ist.“

Ich muss nicht antworten, sie liest es in meinen Augen.

Sie senkt die Lider und ringt offensichtlich mit ihrer Fassung. „Dieser miese kleine Drecksack“, presst sie hervor.

„Es tut mir leid“, erwidere ich schuldbewusst.

„Das muss es nicht, ich bin froh, dass ich es jetzt wenigstens weiß. Wie konnte ich nur so dumm sein – wieder einmal!“

Ich lege eine Hand auf ihren Unterarm und drücke kurz.

„Schon okay, es geht mir gut. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit schon so ein merkwürdiges Gefühl und wollte es einfach nicht wahrhaben. Oh Gott, ich war eine solche Idiotin“, mit einem Ruck stellt sie den Teller ab und strafft ihre Schultern. „Es hat mir sehr gefallen bei euch, Axel. Es war schön Dich und Manuel kennen zu lernen, ihr seid ein tolles Paar. Ich beneide euch... aber ich denke, ich werde jetzt besser gehen.“

Ich kann es ihr nicht verdenken. Mir wäre an ihrer Stelle auch nicht mehr nach feiern zumute. Ich nicke und lächle ihr aufmunternd zu. „Uns hat es auch gefreut, Dich kennen zu lernen und ich hoffe, wir sehen uns irgendwann einmal wieder.“

Sie erwidert mein Lächeln und antwortet: „Das hoffe ich auch. Schöne Grüße an Manuel“, sind ihre letzten Worte, bevor sie nach ihrer Jacke greift und das Haus verlässt.

Ich fange einen wütenden Blick von Konrad auf, er wird das kleine Intermezzo sicher mitbekommen haben, aber das ist mir im Moment wirklich herzlich egal. Er wird sich für die Zukunft wohl einen neuen Betthasen suchen müssen. Pech für ihn, mein Mitgefühl hält sich ehrlich gesagt sehr in Grenzen.

Ich wende meine Augen von Konrad ab und sehe zu Rob. An seinem glasigen Blick erkenne ich, dass er bereits mehr geladen hat, als gut für ihn ist. Immer wieder schweifen seine Blicke zu Kevin, den er teils grimmig, teils sehnsüchtig ansieht.

Dann geht alles Schlag auf Schlag. Rob springt zornig auf, verhaspelt sich mit seinen Beinen in einigen leeren Flaschen, die auf dem Fußboden stehen, versucht sich noch verzweifelt – aber erfolglos - an Manuel festzuhalten und schlägt schließlich der Länge nach hart auf dem Fußboden auf. Stöhnend rappelt er sich auf die Knie und starrt erschrocken auf die kleine Blutlache, die sich an der Stelle gebildet hat, an der er gerade noch mit seiner Nase lag. Nach einer Schrecksekunde sind Manuel und Kevin bei ihm. Ich greife schnell nach einer Rolle Küchenpapier und halte sie Manuel hin.

Er reißt einige Blätter ab und hält sie Rob unter die Nase, damit dieser nicht binnen Sekunden aussieht, als ob er gerade noch so dem Schlachter von der Bank gehüpft wäre.

Ich merke, wie sämtliches Blut aus meinem Gesicht weicht und schließe hastig die Augen.

Auch auf die Gefahr hin, dass ihr mich jetzt für ein absolutes Weichei haltet: ich kann einfach kein Blut sehen. Zuerst werde ich so weiß, dass ich locker mit einem chlorgebleichten Bettlaken konkurrieren könnte, und dann wird mir speiübel und kalter Schweiß rinnt mir wie ein Sturzbach über den Rücken. Missachte ich all diese Warnhinweise, falle ich irgendwann einfach um, wie ein gefällter Baum.

„Ist Deine Nase okay?“, fragt Kevin erschrocken.

„Sie blutet, oder nicht? Wie kann sie dann okay sein?“, antwortet Rob weinerlich.

„Das sehe ich, aber ist sie gebrochen?“, will Kevin wissen.

Rob berührt mit seinem Zeigefinger vorsichtig den Nasenrücken. „Nein, ich glaube nicht“, antwortet er leise.

Ich sehe hilflos zu Manuel.

„Komm“, sagt er und versucht Rob aufzuhelfen. „Wir waschen Dir erst einmal das Gesicht.“

„Ich mach das schon“, erwidert Kevin energisch. „Wo ist euer Bad?“

„Oben“, antwortet Manuel. „Ich komm schnell mit und lege euch Handtücher und Waschlappen raus.“

Robs Showeinlage hat die heitere Stimmung ziemlich gedämpft und da es ohnehin schon reichlich spät war, verabschiedeten sich kurz darauf auch die ersten Gäste.

„Rob liegt im Gästebett“, erzählt Manuel mir später, als sich schließlich der Großteil verabschiedet hatte. Nur Sandra und Johannes sind noch da.

„Und Kevin?“, frage ich grinsend.

„Ist bei ihm“, schmunzelt er.

„Na hoffentlich vermasselt Rob es nicht wieder“, wirft Sandra ein und beginnt damit die Reste des Buffets in Alufolie zu wickeln, die wir schon vor Stunden auf die Terrasse verfrachtet haben. Himmel, wir werden noch zu Weihnachten mit dem übrig gebliebenen Zeugs zu kämpfen haben!

*




Ich bin hundemüde, als irgendwann auch Sandra und Johannes den Heimweg angetreten und wir die Küche wieder soweit in Ordnung gebracht haben, dass man Herd, Kühlschrank und vor allen die Kaffeemaschine auch ohne Kompass wieder finden würde. Nach einem kurzen Abstecher ins Bad lasse ich mich schwerfällig zu Manuel ins Bett fallen. An Schlaf ist allerdings nicht zu denken, denn im gleichen Moment werden die beiden im Gästezimmer, die wir fast schon wieder vergessen haben, aktiv.

„Oh Gott bitte nicht“, stöhne ich und drücke das Kopfkissen in mein Gesicht. Was ich wirklich niemals wollte, ist an Robs Liebesleben teilzunehmen, auch wenn es nur akustisch ist.

„Damit erübrigt sich wohl die Frage nach Versöhnung“, meint Manuel schmunzelnd.

„Hat Dein Bett schon immer so gequietscht?“, frage ich nach einigen Sekunden. Ich will nicht hinhören, weghören geht aber auch nicht, das Gästezimmer liegt schließlich direkt nebenan.

„Keine Ahnung, ist mir nie aufgefallen. Ich war für gewöhnlich zu beschäftigt, um auf ein eventuelles Quietschen zu achten“, kichert er und wackelt bedeutungsvoll mit seinen Augenbrauen.

„Dass Rob überhaupt noch einen hoch bekommt wundert mich, nach all dem Alkohol, den er intus hat“, nuschle ich.

„Er ist eh ...“

„Stopp“, unterbreche ich ihn schnell. „Es gibt Dinge über Rob, die möchte ich einfach nicht wissen“, antworte ich und verziehe mein Gesicht zu einer Grimasse.

Manuel lacht leise und zieht mich an sich. Ich kuschle mich an ihn und versuche die Geräusche und vor allem diese Bilder im Kopf, auszublenden. Doch es gelingt mir nicht – wie sollte es auch, wenn sich nebenan zwei Kerle gegenseitig sehr geräuschvoll das Gehirn rausvögeln?

„Ich kann nicht schlafen“, jammere ich, als die Laute aus dem Nebenzimmer immer mehr zu einem wilden Crescendo anwachsen.

„Ich könnte natürlich versuchen Dich abzulenken“, säuselt Manuel und lässt seinen Zeigefinger aufreizend um meinen Bauchnabel kreisen.

„Achja?“, grinse ich, „und woran hattest Du so gedacht?“

Sein Zeigefinger gleitet tiefer, streicht einmal kurz über die Vorderseite meines Slips. „Hm, ich weiß nicht? Ich könnte Dir vielleicht meine Briefmarkenalben zeigen“, schlägt er schelmisch vor.

„Ich glaube, die kenne ich schon“, antworte ich und habe Mühe nicht loszuprusten.

„Wie schade!“, antwortet er gespielt bedauernd. „Und wie wäre es mit der CD-Sammlung?“, erneut gleiten seine Finger Richtung Süden, dieses mal jedoch verschwinden sie unter dem Bund meines Slips.

Ich schnappe kurz nach Luft und sage dann, wenn auch nicht mehr ganz so lässig wie zuvor: „Ich fürchte, auch die kenne ich bereits.“

„Ach je, dann muss ich mir ja etwas ganz Neues einfallen lassen“, meint er und streift wie zufällig meine Mitte, die durch seine neugierigen Finger bereits beachtlichen Wachstum erfahren hat. Ein Wonnelaut dringt aus meiner Kehle, der Manuel heiter auflachen lässt. „Ah, ich denke, ich habe da etwas gefunden, das Dir gefallen könnte!“

„Tatsächlich?“, bringe ich etwas atemlos über die Lippen.

„Ganz bestimmt sogar“, antwortet er und senkt seine Lippen auf die meinen. Und was soll ich sagen? Es funktioniert, denn wenige Momente später spielen Rob und Kevin tatsächlich nicht mehr die geringste Rolle.

*




Das Erste, das ich am nächsten Morgen wahrnehme, ist der Geruch von Kaffee, der mir verführerisch in die Nase steigt, gemischt mit dem Geruch von Rühreiern, Speck und Zwiebeln. Rühreier? Moment. Schlagartig bin ich wach und taste neben mich. Der Platz ist leer.

Oh nein, Manuel wird doch hoffentlich nicht... Ich schwinge hastig meine Beine aus dem Bett und greife nach Jogginghose und T-Shirt.

Eilig stürze ich die Stufen hinab und in die Küche, in der leisen Hoffnung, das Schlimmste noch verhindern zu können, denkt, was ihr wollt, aber ich liebe meine Guss-Pfanne. Es ist jedoch nicht Manuel, der da fröhlich vor sich hin pfeifend am Herd steht, sondern Rob. Irritiert blicke ich mich in der Küche um, sogar Esstisch und Stühle stehen wieder an ihrem angestammten Platz. Da war ja jemand schon furchtbar fleißig. Ich frage mich allerdings, wie Rob jetzt schon frisch und munter am Herd stehen kann, nach all dem, was er gestern so verkonsumiert hat, von den nächtlichen ... Aktivitäten einmal ganz abgesehen.

„Guten morgen Axel“, zwitschert mir Monsieur Bocuse heiter entgegen. „Hunger?“

Ich nicke nur erleichtert und küsse Manuel flüchtig auf den Mund. „Morgen Schatz, bist Du schon lange auf?“

„Nein, auch erst seit ein paar Minuten. Ich wurde wach, als hier unten jemand verführerisch mit dem Geschirr geklappert hat“, grinst er spöttisch.

Über Kevins Gesicht huscht ein strahlendes Lächeln, während er die auf dem Küchentisch stehenden Tassen mit dampfendem Kaffee befüllt.

„Habt ihr beide gut geschlafen?“, kann ich mir nicht verkneifen und beobachte grinsend, wie Kevin Farbe aufzieht.

„Mindestens so gut wie ihr zwei“, kontert Rob frech und seine Augen funkeln amüsiert.

Tja, wer im Glashaus sitzt ...

„Wie geht’s Deiner Nase?“, lenkt Manuel das Gespräch in etwas unverfänglicheres Terrain und nippt an seinem Kaffee.

„Ist noch dran“, erwidert Rob und reicht mir die inzwischen mit Eiern und Speck gefüllten Teller, bevor er sich zu uns an den Tisch setzt. „Da hatte ich wohl noch einmal Glück, hätte schlimmer ausgehen können“, er wirft einen liebevollen Blick zu Kevin.

„Zweifelsohne“, grinst Manuel und blickt von einem zum anderen.

„Wir... wir haben uns ausgesprochen“, kommt es von Kevin.

Ja, das haben wir vergangene Nacht überdeutlich mitbekommen. Das Gespräch schien außerordentlich... befriedigend verlaufen zu sein, für beide Seiten.

„Und konntet ihr euch ... einigen?“, möchte Manuel schmunzelnd wissen und schiebt genüsslich eine Gabel Eier in seinen Mund.

Ich verschlucke mich fast an meinem Kaffee und werfe einen amüsierten Blick in Richtung meines Mannes. Hat der Kerl einen Clown gefrühstückt?

„Ja, das trifft es ziemlich gut, in vielerlei Hinsicht“, geht Rob auf Manuels Geplänkel ein und sein Grinsen reicht von einem Ohr zum anderen.

„Wir versuchen es noch einmal mit einander“, kommt es von Kevin und lenkt somit unsere Aufmerksamkeit wieder auf ihn.

„Und was sagt der Typ aus dem Boots dazu?“, frage ich an Kevin gewandt.

„Welcher Typ?“, erwidert er irritiert.

„Na der Kerl, mit dem Du an Halloween zusammen warst.“

Ja ich weiß, das war etwas taktlos, aber ich bin einfach neugierig... und Rob hat die beiden schließlich auch gesehen, also habe ich ja kein Geheimnis ausgeplaudert.

„Ach Du meinst Arne?“ Kevin winkt lachend ab. „Ich kenne Arne schon seit...“, er denkt kurz nach, „...seit gut 15 Jahren. Ich habe ihn dazu überredet, dieses kleine Schauspiel mit mir durchzuziehen“, sagt er und wirft ein schelmisches Grinsen in Richtung Rob.

„Du hattest gar nichts mit dem Kerl?“, frage ich überrascht.

„Nö, noch nie. Wir sind einfach gute Freunde“, lacht er.

„Das sah ganz schön ... echt aus“, gebe ich zu.

„Das war auch Sinn und Zweck der Sache. Und es hat ja auch funktioniert, oder?“, erwidert er und wirft einen frechen Blick zu seinem Freund.

Ich registriere Robs verliebten Blick, den er in Richtung Kevin wirft. Ja, es scheint tatsächlich bestens funktioniert zu haben.

Axel auf Reisen




Grunzend verpasse ich dem Wecker einen unsanften Klaps, bevor ich mich wieder umdrehe und mich erneut in Manuels Arme kuschle, die mich warm und fest umschließen. Ich will nicht aufstehen. Nicht nur, weil ich mich den größten Teil der vergangenen Nacht von einer Seite auf die andere gewälzt habe, sondern weil das auch bedeuten würde, dass der Zeitpunkt meiner Abreise immer näher rückt, was natürlich der Grund für meine nächtliche Unruhe ist. Und ich will nicht weg. Ich verspüre keinerlei Lust dazu, zum Bahnhof gekarrt und in einen Zug gestopft zu werden, der mich für die kommenden drei Tage ans andere Ende des Landes verfrachten würde, hunderte von Kilometern weit weg von dem Menschen neben mir.

Seufzend drücke ich mich noch enger an Manuel, lege einen Arm quer über seine Brust und vergrabe meine Nase in seine weiche Haut. Seit wir offiziell ein Paar sind, haben wir keine Nacht mehr getrennt voneinander verbracht. Und jetzt werden es gleich zwei Nächte sein, an denen ich mich nicht an diesen wundervollen Körper schmiegen kann. Drei lange Tage werde ich nicht diese Lippen küssen können, werde nicht fühlen können, wie sich jedes einzelne meiner Härchen vor Wonne aufstellt, wenn er mit seinen Lippen sanft meinen Hals berührt. Da ist es doch durchaus verständlich, dass ich nicht vor Freude aus dem Bett hüpfe und jubilierend den Tag begrüße, oder? Und ja, ich bin etwas morgenmuffelig, aber da bin ich sicher nicht der Einzige, richtig?

Wäre mir nicht unter Strafe angedroht worden es unter keinen Umständen zu wagen, das Seminar zu schwänzen, würde ich mich einfach krank melden, mich für die kommenden Tage zusammen mit Manuel in unserem Schlafzimmer verschanzen und nur dann aufstehen, wenn uns der Hunger plagt oder uns andere allzu weltliche Bedürfnisse aus dem Bett treiben.

Manuel hebt seinen Arm und streicht zärtlich durch mein Haar, bevor er mir einen kurzen Kuss auf die Schläfe drückt. Der sich erneut meldende Wecker entlockt mir ein verärgertes Knurren.

„Ich will nicht“, jammere ich, setze mich dennoch schläfrig auf und taste mit fest verschlossenen Augen zu diesem furchtbar nervenden Stück Elektronik, vorzugsweise um es geradewegs an die nächstbeste Wand zu klatschen. Auch wenn diese Vorstellung äußerst verlockend ist, lasse ich – immer noch blind wie ein Maulwurf – meine Finger über das Gerät gleiten, um es auszuschalten. Ich weiß auch ohne auf die Ziffern sehen zu müssen, dass es gerade einmal kurz nach 5 Uhr in der Früh ist.

„Ich will auch nicht, dass Du weg musst, Schatz, aber wenn Du jetzt nicht aufstehst, verpasst Du den Zug“, erwidert er und ich fühle seinen warmen Atem über meine Wange streichen, bevor er mich zärtlich küsst. Wenige Sekunden später ist er aus dem Bett geklettert und hinterlässt eine kalte Leere.

„Dann soll das doofe Ding eben ohne mich abfahren“, nuschle ich trotzig. Meine Lider fühlen sich an wie Blei. Frustriert lasse ich mich zurück ins Bett fallen und ziehe mir die Decke bis über den Kopf. Ich rolle mich wie ein Igel zusammen und falle sofort in eine Art Halbschlaf.

Das Nächste, das ich wieder bewusst wahrnehme, sind kühle Finger, die sich neckend über meinen Körper bewegen und mir schließlich die Decke vom Kopf schieben. Erneut gebe ich ein missbilligendes Brummen von mir, dränge mich jedoch den streichelnden Händen entgegen.

„Hey Süßer, aufstehen“, vernehme ich Manuels sanfte Stimme dicht an meinem Ohr. „Auf dem Nachttisch steht eine Tasse frischer Kaffee. Wenn Du schön artig bist, darfst Du ihn sogar trinken“, ergänzt er leise lachend.

Er hat das Zauberwort gesagt. Kaffee. Und auch wenn er vielleicht in der Küche sonst eher untalentiert ist, aber sein Kaffee ist durchaus genießbar. Und tatsächlich weht mir ein leichter Kaffeeduft um die Nase. Meine Lebensgeister erwachen. Ich blinzle einmal kurz. Oh Shit ist das hell.

„Licht“, stöhne ich.

Manuel lacht kurz auf und dämmt den Deckenfluter. Erneut blinzle ich und drehe meinen Kopf nach links. Er steht schon vollständig bekleidet und mit verschränkten Armen vor dem Bett und grinst mich an.

Eigentlich sollte ich mich ja langsam einmal an diesen Anblick gewöhnt haben, aber auch nach all der Zeit, die wir nun schon zusammen sind, haut er mich doch immer noch um. Ich verstehe es einfach nicht, wie man am frühen morgen schon so verboten sexy aussehen kann. Er trägt diesen schwarzen Rollkragenpullover, den ich so sehr an ihm liebe. Dieser Schuft weiß ganz genau, wie er mich zu nehmen hat … ähm, nicht was ihr schon wieder denkt – das heißt, ja das auch, aber … oh bitte, ich bin einfach noch zu müde für solch subtile Gedankengänge.

Langsam setze ich mich auf und greife nach der Tasse.

„Danke“, nuschle ich und nehme einen Schluck.

„Möchtest Du etwas essen?“, fragt er.

Ich schüttle den Kopf. „Nein, Kaffee reicht“, murmle ich über den Rand der Tasse hinweg. Mein Magen braucht noch länger als mein Kopf, um auf Touren zu kommen. Außerdem wollten die anderen später im Zug frühstücken.

Manuel bleibt neben dem Bett stehen, bis ich die Tasse leer getrunken und mich aus dem Bett erhoben habe. Er hat wohl Angst, dass ich mich in einem unbeobachteten Moment wieder ins Bett zurück fallen lasse. Er kennt mich. Mit noch vom Schlafen steifen Gliedern erhebe ich mich aus dem Bett, hole mir im Vorbeigehen einen kurzen Kuss ab und verschwinde anschließend im Bad.

10 Minuten später stehe ich zwar einigermaßen erfrischt, aber dennoch weit davon entfernt wirklich fit zu sein, in unserer Küche. Manuel löffelt bereits in seiner obligatorischen Schüssel Smacks, während ich mir eine weitere Tasse Kaffee eingieße und mich seufzend neben ihn auf einen Stuhl fallen lasse. Nachdenklich betrachte ich ihn über den Rand meiner Kaffeetasse hinweg.

Er hebt den Kopf und ich begegne seinem fragenden Blick.

„Ist Dir eigentlich bewusst, dass wir das erste Mal getrennt von einander schlafen werden, seit wir richtig zusammen sind?“, ich schlucke den Kloß hinunter, der sich in meiner Kehle gebildet hat, und starre nun in die schwarze Brühe vor mir.

„Hast Du Dich deswegen heute Nacht von einer Seite auf die andere gewälzt?“, fragt er zärtlich und greift nach meiner freien Hand.

Ich nicke. Wenn ich nur daran denke, dass ich die nächsten beiden Nächte alleine in einem fremden und kalten Hotelbett verbringen muss, wird mir schlecht.

Er beugt sich zu mir, sieht mir in die Augen und küsst mich auf den Mund. Genüsslich senke ich die Lider und lehne mich an ihn. Seine kühle, nach süßer Milch schmeckende Zunge bildet einen interessanten Kontrast zu meiner vom Kaffee heißen Mundhöhle. Kalt trifft auf heiß, süß auf bitter. Angenehm, sehr angenehm sogar.

Ich lehne meine Stirn gegen die seine, dann lösen wir uns widerwillig von einander.

„Lass uns los fahren“, sage ich mit belegter Stimme, „sonst bleibe ich doch noch hier.“

*



Die Fahrt zum Bahnhof – Manuel hat es sich nicht nehmen lassen, mich höchstpersönlich zu chauffieren - verläuft recht schweigsam, zumindest von meiner Seite aus, Manuel plappert, als ob nichts wäre. Seine aufgesetzte Heiterkeit kann mich jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er mich ebenso vermissen wird, wie ich ihn. So ist er. Selbst wenn es ihn innerlich schier zerreißt, möchte er mir den Abschied leichter machen. Ich kann einfach nicht in Worte fassen, wie sehr ich ihn dafür liebe. Und nicht nur dafür.

Auf dem Weg sammeln wir noch Johannes auf, der bereits, vor Kälte von einem Bein aufs andere tänzelnd, am Straßenrand steht und auf uns wartet. Sein Atem bildet kleine Wölkchen vor seinem Mund. Es ist wirklich saukalt.

Ich verdrehe die Augen, als er schließlich fröhlich quasselnd ins Auto steigt. Wie kann man nur am frühen Morgen schon so enthusiastisch sein? Kopfschüttelnd sehe ich von Johannes zu Manuel. Wenn es nicht die furchtbare Müdigkeit wäre, die mich lähmt, so gäbe mir doch letztendlich diese Affenkälte den absoluten Rest. Da frieren einem doch die Gehirnzellen ein!

Die beiden anderen, Konrad und Sven, warten bereits am Bahnsteig auf uns. Ersterer redet seit meiner Party übrigens nur noch das Nötigste mit mir. Auch wenn ich ihn irgendwann einmal zu meinen Freunden gezählt haben mag, hält sich mein Bedauern über das offensichtliche Ende unserer Freundschaft einigermaßen in Grenzen.

Zu Sven gibt es nicht allzu viel zu sagen. Er arbeitet seit knapp zwei Jahren bei uns in der Abteilung. Ich stehe ihm weder besonders nahe, noch ist er mir völlig fremd. Ein ganz normaler Kollege eben, der allerdings seit meinem Outing merklich distanziert wirkt. Ich habe kein größeres Problem damit. Wenn er meint, so reagieren zu müssen, dann soll er es eben in Gottes Namen.

Und so fällt unsere Begrüßung am Bahnhof eher kühl aus. Johannes, Manuel und ich werfen uns bedeutende Blicke zu und warten geduldig auf den Zug. Mit 5 Minuten Verspätung rollt der ICE schließlich in den Bahnhof. Die Reifen ächzen und quietschen, als der Zug endlich zum Stehen kommt.

Trotz der frühen Morgenstunde ist der Bahnsteig überraschend voll.

Vereinzelt wird noch eine letzte Zigarette geraucht, bevor man ins Abteil steigt.

Rechts von uns steht ein älteres Ehepaar, das ihre Enkelin in den Waggon entlässt, nicht ohne eine Vielzahl von gut gemeinten Ratschlägen. Links hingegen findet ein tränenreicher Abschied unter Verliebten statt.

Johannes und die beiden anderen hieven ihre Reisetaschen bereits in den Waggon, während ich immer noch bei Manuel am Bahnsteig stehe, ihn sehnsüchtig anblicke und meine Arme um seinen Nacken schlinge. Er hält mich ähnlich fest umklammert und küsst mich liebevoll. Mir sind durchaus die unterschiedlichen Blicke bewusst, die auf uns ruhen. Manche überrascht, manche lächelnd, einige jedoch auch ungläubig, ja sogar angewidert. Es ist mir egal, ich liebe diesen Mann über alles und das darf gerne jeder wissen.

Das laute Trillern einer Pfeife ertönt - ganz in unserer Nähe. Danach höre ich Johannes drängendes Rufen und ich löse mich widerwillig von Manuel. Der Bahnsteig ist inzwischen merklich leerer. Nur vereinzelt sieht man Paare stehen, denen eine Trennung ähnlich schwer fällt wie Manuel und mir. Auch die immer noch schniefende junge Frau neben uns, war noch nicht imstande, sich von ihrem Liebsten zu lösen.

„Ich ruf an“, bringe ich gepresst hervor, drücke ihm noch einen letzten Kuss auf die Lippen und folge den anderen in das Abteil. Sofort, nachdem ich mich gesetzt habe, suche ich erneut seinen Blick durch die verschmierte und verdreckte Fensterscheibe hindurch.

Der Zug setzt sich in Bewegung. Langsam zunächst, dann immer schneller. Solange wir können, halten wir Blickkontakt. Erst als seine Gestalt immer kleiner und kleiner wird und schließlich vollständig aus meiner Sicht verschwindet, wende ich mich seufzend ab.

Bald schon droht mich meine Müdigkeit zu übermannen. Die schlaflose Nacht fordert unbarmherzig ihren Tribut. Kurz bevor ich einzunicken drohe, drücke ich Johannes mein Bahn-Ticket in die Hand. Ich bette meinen Kopf an die Lehne des mit einem grauen, kratzenden Stoff überzogenen Sitzes und falle nahezu auf der Stelle in einen unruhigen Schlummer.

*



Ich habe keine Ahnung, wie lange ich wirklich geschlafen habe, als ich blinzelnd die Augen öffne. Draußen ist es mittlerweile hell geworden und ich bin alleine. Außer mir befindet sich niemand mehr im Abteil. Mein noch immer schlaftrunkener Verstand erinnert sich daran, dass das Trio in den Speisewagen wollte. Inzwischen scheint auch mein Magen etwas munterer zu sein, als noch vor einigen Stunden. Ich verspüre tatsächlich Hunger. Ich reibe mir einmal über die Augen, bevor ich mich auf die Suche nach den anderen mache. Es dauert nicht lange, bis ich fündig werde. Tatsächlich haben sie es sich im Speisewagen gemütlich gemacht und Johannes winkt mich freudig herbei.

„Na Dornröschen? Ausgeschlafen?“, grinst er.

„Aufgehört“, brumme ich und lasse mich auf den Sitz neben ihm sinken.

Sven sitzt mir gegenüber und mustert mich über seine Kaffeetasse hinweg mit einem durchdringenden Blick. Keine Ahnung, was der schon wieder für ein Problem hat. Ich ringe mir ein schiefes Lächeln ab, bevor ich den Kellner herbei winke und ein Frühstück bestelle, bestehend aus Brötchen, Wurst, Käse und jeder Menge Kaffee. Konrad blickt demonstrativ zum Fenster hinaus.

Ich nehme mir fest vor, mir keinerlei Gedanken mehr um diese beiden Deppen zu machen und wende mich Johannes zu.

„Wie lange haben wir noch?“, frage ich.

„Ne Stunde noch etwa“, erwidert er

Danach schweigen wir wieder. Als der Kellner mein Frühstück bringt, erhebt sich Konrad und verlässt den Speisewagen. Sven folgt ihm, nur kurze Zeit später. Mir soll es recht sein. Allerdings scheitert mein Vorsatz, mir keine Gedanken mehr zu machen, kläglich. Wenn ich ganz ehrlich bin, belastet es mich doch irgendwie. Konrad und ich waren immerhin einmal befreundet. Und Sven … er ist, beziehungsweise war im Grunde ein netter Kerl.

Unwillkürlich seufze ich auf.

„Der kriegt sich schon irgendwann wieder ein“, versucht Johannes mich zu beruhigen.

Ich zucke nur mit den Achseln und bekunde damit eine Gleichgültigkeit, die ich nicht wirklich empfinde. Andererseits, hätte ich Sophie vielleicht belügen sollen? Nein! Auch wenn Konrad und ich zum damaligen Zeitpunkt noch befreundet waren, heißt das noch lange nicht, dass ich auch dazu bereit gewesen wäre, für ihn zu lügen.

Entschieden verbanne ich den Gedanken daran in den hintersten Winkel meines Gehirns.

Apropos Frauen: „Sag mal“, ich drehe mich etwas in Johannes Richtung und sehe ihn herausfordernd an, „tut sich bei Dir und Sandra endlich mal was?“

Die Frage erübrigt sich im Grunde, da ich weiß, dass er sie weder angerufen, noch besucht, noch sonst irgendwas getan oder gesagt hat.

Er rutscht verlegen von einer Pobacke auf die andere. „Es ist alles etwas kompliziert“, erwidert er verlegen.

„Oh Gott Johannes, was ist daran denn bitteschön kompliziert? Du magst Sie, sie mag Dich, also tu endlich was! Sandra ist nicht der Typ, der von sich aus auf Männer zugeht, selbst wenn sie verliebt ist. Auch wenn sie sonst nicht auf den Mund gefallen ist, ist sie - was ihre Gefühle angeht - unglaublich zurückhaltend. Besonders seit dieser Geschichte mit Klaus damals“, erkläre ich.

„Das weiß ich ja, aber …“, druckst er herum.

„Nichts aber. Worauf wartest Du denn noch?“, will ich wissen.

„Ich … weiß doch auch nicht“, gibt er zögernd zu. „Was ist, wenn Du Dir das alles nur einbildest, und sie mich zurückweist?“

Ich verdrehe innerlich die Augen. „Ich versichere Dir, dass das nicht passieren wird“, verspreche ich.

„Wie kannst Du Dir da so sicher sein?“

„Ich kenne sie?“, schlage ich vor.

An seinem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass er damit nicht zufrieden ist. Was will er denn noch? Eine Liebeserklärung? Gestempelt und unterschrieben, in 4-facher Ausfertigung?

„Johannes“, ich weiß, ich klinge langsam etwas ungeduldig. „Du bist ein furchtbar lieber Mensch und ich mag Dich wirklich sehr, aber im Moment möchte ich Dich einfach nur in den Hintern treten!“

„Hmpf“, antwortet er, kann aber ein Lächeln nicht unterdrücken.

„Wenn wir zurück sind, lade sie doch einfach zu einem Kaffee ein. Ganz unverbindlich“, ich stoße ihn mit dem Ellbogen kumpelhaft an.

Er runzelt die Stirn. Ich sehe ihm deutlich an, dass er nichts dergleichen tun wird.

„Mein Güte, bist Du eine harte Nuss“, seufze ich. Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als das Thema vorerst ruhen zu lassen und später irgendwas zu arrangieren. Natürlich völlig unauffällig.

Wir unterhalten uns noch über irgendwelches belanglose Zeug und beenden schließlich das Frühstück, um in unser Abteil zurückzukehren.

Wir sitzen kaum wieder an unseren Plätzen, als der Zug immer langsamer wird und wenige Momente später in den Hauptbahnhof in Hamburg einfährt.

Eines der Taxis, die außerhalb des Bahnhofs auf Passagiere warten, kutschiert uns zum Hotel. Von der Umgebung bekommen wir kaum etwas mit, jeder hängt irgendwie seinen eigenen Gedanken nach.

Eine knappe Stunde bleibt uns noch, um einzuchecken und uns mental auf die bevorstehende Schulung vorzubereiten.

Wie erwartet, hätten wir uns den ganzen Aufwand wirklich sparen können. Man erzählt uns nichts Innovatives. Nichts, was sich nicht mit etwas Internet-Recherche spielend in Erfahrung hätte bringen lassen. Und so was schimpft sich betriebsinterne Fortbildung. Dass ich nicht lache. Diesen ganzen Mist werden wir uns noch weitere zwei Tage anhören müssen. Die reinste Zeitverschwendung. Ich beneide jetzt schon meine eingeschlafenen Füße.

Mehr als erleichtert schleppe ich mich am Ende des Tages auf mein Hotelzimmer. Johannes Einladung zu einem Bier an der Hotelbar schlage ich aus. Ich möchte einfach nur noch schlafen - nicht jedoch, ohne Manuels Stimme gehört zu haben.

Müde greife ich nach dem Telefonhörer und wähle die Nummer von zu Hause.

„Ja?“, meldet er sich nach wenigen Klingelzeichen.

„Hey mein Schatz“, lalle ich schlaftrunken in den Hörer.

Ich vernehme ein leises Lachen. „Du hörst Dich an, als wärst Du nicht allzu weit vom Tiefschlaf entfernt.“

„Damit könntest Du sogar recht haben“, erwidere ich schleppend. „Was die schlaflose Nacht noch nicht geschafft hat, hat das Seminar übernommen. Weißt Du eigentlich, wie anstrengend es ist, wachzubleiben, wenn vorn an der Tafel einer steht, der das Rad neu erfinden möchte?“, erkläre ich.

„Armer Schatz“, werde ich amüsiert bemitleidet.

„Und wie war Dein Tag?“, frage ich.

„Eigentlich wie immer“, meint er, „außer, dass ich Dich ganz furchtbar vermisse“, ergänzt er und seufzt kurz auf.

„Ich vermisse Dich auch“, sage ich, schließe die Augen und lasse mich rücklings aufs Bett sinken.

„Hey, nicht, dass Du mir während des Gesprächs einschläfst“, gibt Manuel irgendwann amüsiert von sich und ich schrecke kurz auf. Ich bin tatsächlich für eine Sekunde eingeschlafen.

„Hast Du was gegessen?“, will ich wissen.

„Klar, Du hast ja extra für mich vorgekocht, damit ich nicht verhungere“, erwidert er.

„Hat's geschmeckt? Und hast Du einen Beutel Reis gekocht, wie ich es Dir erklärt habe?“

„Ja“, meint er. „Mach Dir keine Gedanken. Das überbackene Geschnetzelte war lecker und den Beutelreis habe ich nicht anbrennen lassen“, erklärt er amüsiert.

„Ich bin stolz auf Dich“, lobe ich ihn und unterdrücke ein Gähnen. „Erzähl mir was“, murmle ich.

„Was möchtest Du denn hören?“, fragt er nach.

„Weiß nicht. Du könntest mir ja ein Schlaflied singen“, schlage ich vor.

Manuel lacht leise. „Ich denke nicht, dass Du das heute nötig hast.“

„Auch wieder wahr“, stimme ich ihm zu.

„Ich könnte Dir natürlich auch erzählen, was ich jetzt gerne mit Dir tun würde, wenn Du zu Hause wärst“, schnurrt er in den Hörer.

Meine Müdigkeit verfliegt augenblicklich. Ja mein Gott, ich bin auch nur ein Kerl!

„Achja?“, säusle ich. „Was würdest Du denn tun?“

„Ich würde Dich zu einer Partie Schach herausfordern.“

Er spielt überhaupt kein Schach!

„Seit wann spielst Du Schach?“, spotte ich.

„Seit gerade eben“, behauptet er.

„Hm, fällt Dir nichts … Spannenderes ein?“

„Lass mich überlegen … ich könnte Dir einen Thriller vorlesen“, kichert er.

„Ich dachte eigentlich eher an die Art Spannung, die sich Stück für Stück aufbaut und sich dann in einem … Stoß entlädt“, erkläre ich und versuche meiner Stimme einen sexy Touch zu geben.

Er schnappt überrascht nach Luft und ich muss ein Lachen unterdrücken. Ich habe so etwas noch nie zuvor gemacht und ich denke, es ist der richtige Zeitpunkt es einmal auszuprobieren. Im schlimmsten Fall bleibt es eben ein urkomisches Ereignis, über das wir auch noch in ein paar Jahren lachen werden. „Wo bist du gerade?“, säusle ich.

Ich höre ihn leise kichern. „Im Bett“, antwortet er brav.

„Bist du nackt?“, will ich wissen.

„Wie Gott mich geschaffen hat“, kommt es wie aus der Pistole geschossen.

„Stell dir vor, ich würde neben dir liegen“, hauche ich in den Hörer.

Bettwäsche raschelt, dann ein leises: „Ja.“ Ich taste mich meinen nackten Körper entlang bis zu meiner Mitte und streiche darüber. Es bedarf nur weniger Handgriffe und ich bin hart. Ein seliges Seufzen entkommt meinen Lippen.

„Spielst du gerade an dir rum?“, fragt er atemlos.

„Und wenn es so wäre?“, gebe ich zurück und beiße mir auf die Unterlippe, um ein Keuchen zu vermeiden. Ich schiebe die Decke von meinem Körper und lasse die Oberschenkel auseinander fallen.

„Willst du mich umbringen?“, antwortet er stöhnend. „Gott, was würde ich dafür geben jetzt bei dir zu sein und dir zuzustehen.“

„Nur zusehen?“, necke ich ihn.

„Zuerst ja … und dann würde ich …“

„Sag es mir …“, fordere ich ihn auf. Ich hebe mein Becken und stoße hart in meine Faust.

„Und dann … würde ich mich in dir versenken. Ganz tief.“ Seine Worte kommen inzwischen recht abgehackt aus dem Hörer. Die Geräusche, die seine Stimme begleiten, lassen erahnen, dass er mit ähnlichen Aktionen beschäftigt sein muss, wie ich selbst. Allein diese Vorstellung ist ausreichend, damit ich mich nach wenigen festen Auf- und Abwärtsbewegungen auf meinen Bauch ergieße. Als Manuel nur kurz darauf mehrmals hintereinander meinen Namen murmelt, weiß ich, dass auch er auf seine Kosten gekommen ist. Ich weiß ganz genau, wie er gerade aussieht. Sein Kopf ist in das Kissen gedrückt und seine Augen sind geschlossen. Die Haare verteilen sich wirr um ihn herum auf dem Leinenstoff und seine Brust hebt und senkt sich in kurzen Abständen. Ich vermisse ihn in diesem Moment so schmerzlich, dass es körperlich weh tut.

„Du fehlst mir so sehr“, sagt er plötzlich, als ob er meine Gedanken gelesen hätte.

„Du mir auch“, flüstere ich … und nach einer Weile ergänze ich schmunzelnd: „Obwohl das gerade ganz schön heiß war.“

*



Der darauffolgende Tag ist eine Kopie des vorherigen, zumindest in Sachen Seminar und am Ende bin ich mir nicht sicher, ob ich auch noch einen weiteren Tag überleben werde. Es ist unglaublich, wie langsam die Zeit vergeht, wenn man nichts zu tun hat. Es ist einfach nur ermüdend.

Johannes und ich beschließen, noch einen Absacker an der Hotelbar einzunehmen. Sven und Konrad haben sich in unterschiedliche Richtungen aufgemacht. Ich hatte jedoch auch nicht wirklich damit gerechnet, dass auch nur einer von ihnen uns Gesellschaft leisten würde. Sven scheint überhaupt noch abweisender zu sein, als das bisher schon der Fall war. Ich weiß, dass es mir nichts ausmachen sollte, aber seine Einstellung Homosexuellen gegenüber fuchst mich gewaltig. Es ist ja nicht so, als ob ich eine ansteckende Krankheit hätte. Ich würde ohne mein dämliches Harmoniebedürfnis wirklich bedeutend ruhiger leben.

„Was ist los?“, fragt Johannes, als ich meine Stirn in Falten lege.

„Ach eigentlich nichts weiter“, entgegne ich und blicke in die bernsteinfarbene Flüssigkeit in meinem Glas vor mir, „ich frage mich nur, was ich Sven so Furchtbares angetan habe, dass er solch einen Bogen um mich macht. Man könnte gerade meinen, ich hätte die Pest. Er war doch bis zu meinem Outing eigentlich ganz nett.“

Johannes sieht mich überrascht an. „Das fragst Du jetzt nicht ernsthaft, oder?“

„Eigentlich schon“, erwidere ich immer noch nachdenklich. „Es kann doch nicht nur daran liegen, dass ich schwul bin?“

„Also ich denke nicht, dass es damit etwas zu tun hat“, erklärt er vorsichtig.

„Hm?“, meine Augen weiten sich überrascht. „Womit denn um Himmels Willen dann? Wir haben uns nicht gestritten und auch sonst fällt mir nichts ein, dass ich getan haben könnte, um ihn zu beleidigen oder gar verletzen.“

„Du weißt es wirklich nicht?“, es ist weniger eine Frage, mehr eine Feststellung.

„Nein!“, antworte ich bestimmt.

Johannes lacht kurz auf und sieht mich ungläubig an. „Sven ist nicht homophob, im Gegenteil“, antwortet er dann.

„Na gut, dann kann er mich eben einfach nicht leiden, damit kann ich leben“, erwidere ich achselzuckend. Verdammt was hat der Typ nur gegen mich?

„Oh, das ist es nicht. Er kann Dich sogar sehr gut leiden, viel zu gut sogar“, Johannes sieht mich herausfordernd an.

„Bitte, was?“, lache ich ungläubig.

„Also Axel, Du wirfst mir Schüchternheit in Bezug auf Sandra vor und bekommst noch nicht einmal mit, was in Deiner unmittelbaren Umgebung vor sich geht“, grinst er. „Sven ist in Dich verknallt - seit dem Tag, als er bei uns angefangen hat.“

Ich lache laut auf: „Der Witz war gut!“

„Das war kein Witz mein Guter, ich meine das vollkommen ernst.“

Das Lachen bleibt mir im Hals stecken. „Ach Du scheiße“, rutscht es mir heraus.

„Du hast es erfasst“, antwortet Johannes grinsend und stößt mit seinem Glas gegen das meine.

*



Immer noch unsicher darüber, ob ich das hier wirklich durchziehen soll, stehe ich vor Svens Hoteltür und fühle mich mehr als unbehaglich. Vielleicht sollte ich einfach alles auf sich beruhen lassen. Vielleicht hört er ja von ganz alleine auf, in mich verliebt zu sein, vielleicht lernt er in der nächsten Zeit einen netten Mann kennen und vielleicht werde ich auch morgen von einem Dachziegel erschlagen, wenn ich das Haus verlasse.

Nein, ich denke, ich bin es ihm und auch mir einfach schuldig, ihm zu sagen, dass er sich keine Hoffnungen machen darf. Ich möchte diese ganze Geschichte ein für allemal vom Tisch haben, vielleicht können wir dann auch wieder zu einem ganz normalen, kollegialen Verhältnis zurückfinden.

Entschlossen räuspere ich mich und klopfe schließlich an.

„Ja?“, ertönt es von der anderen Seite der Tür.

„Axel hier“, antworte ich und vergrabe die Hände tief in meinen Hosentaschen. Ich komme nicht umhin, zumindest mir selbst gegenüber einzugestehen, dass ich nervös bin. Aber wir sind beide erwachsene Männer, es wäre doch gelacht, wenn wir das nicht irgendwie geklärt bekommen würden.

Keine Sekunde später wird die Tür aufgerissen und Sven steht vor mir. Ich bin nun wirklich nicht klein, aber ich muss den Kopf leicht in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht blicken zu können. Er sieht mich mit leuchtenden Augen und einem erwartungsvollen Lächeln auf den Lippen an. Weshalb nur habe ich plötzlich das Gefühl, einen ganz furchtbaren Fehler gemacht zu haben?

„Oh endlich … endlich!“, seufzt er und zieht mich an einem Arm in sein Zimmer. Ich fühle mich völlig überrumpelt.

Danach geht alles furchtbar schnell, ich habe noch nicht einmal die Möglichkeit richtig zu registrieren, was mir gerade geschieht. Sobald die Tür hinter uns ins Schloss gefallen ist, werde ich auch schon von zwei starken Armen etwas unsanft an selbige gepinnt und Sven versucht stürmisch meinen Mund zu erobern. Er ist fast einen Kopf größer als ich und wiegt bestimmt annähernd das Doppelte – ich habe nicht die geringste Chance gegen diesen Bär von Mann. Wie eine Naturgewalt bricht er über mich herein. Was für eine Schnapsidee, hier aufzutauchen. Ich könnte mich ohrfeigen dafür.

Nun, auch wenn ich bisher noch Zweifel daran hatte, ob es wirklich stimmt, was Johannes mir erzählt hat, jetzt habe ich zumindest absolute Gewissheit. Was denn? Sarkasmus ist durchaus ein probates Mittel, um mit solchen Situationen fertig zu werden!

Ich presse meine Lippen fest aufeinander und versuche verzweifelt ihn von mir zu stoßen, doch in seiner Raserei bemerkt er noch nicht einmal, dass ich mich wehre. Er hat bereits ein Bein zwischen die meinen geschoben und drängt sich an mich. Einen Arm hat er um meinen Oberkörper geschlungen, die andere Hand tastet sich meinen Rücken hinunter, bis zu meinem Hintern. Sie schlüpft unter meine Hose und umfasst besitzergreifend eine meiner Pobacken. Kräftig zieht mich Sven noch dichter zu sich heran und ich fühle etwas Hartes gegen meinen Bauch drücken. Mir bricht der kalte Schweiß aus. Es bedarf wahrlich keiner allzu großen Phantasie, um zu erahnen, was sich da so fordernd an mir reibt. Kleiner Tipp gefällig? Es ist kein Schlüsselbund!

Ich versuche panisch unter seinen Armen hinwegzutauchen. Keine Chance. Seine schraubstockartige Umarmung wird dadurch nur noch enger und ich bekomme langsam keine Luft mehr. Wenn er mich nicht augenblicklich loslassen sollte, werde ich ihn irgendwohin treten müssen, wo es so richtig weh tut. Ich bringe mein Knie in Position. Das hier unterscheidet sich ganz entschieden von dem, was ich erwartet habe. Wobei ich noch nicht einmal sagen kann, was ich genau erwartet habe. Dies hier jedoch definitiv nicht!

Von einer Sekunden auf die andere, lässt er von meinen Lippen ab und saugt sich an meinem Hals fest.

Ich pumpe noch zwei-, dreimal Luft in meine Lungen und brülle dann, fast schon hysterisch: „Verdammt Sven, hör sofort auf damit!“, gleichzeitig drücke ich mit aller Kraft gegen seine Schultern.

Irritiert tritt er einen Schritt zurück und blickt mich aus noch immer vor Lust verschleierten Augen an.

Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starre ich zurück. Mein Brustkorb hebt und senkt sich aufgebracht.

Es dauert einige Zeit, bis sein Blick wieder klarer wird und die Lust nach und nach einem gewissen Erkennen weicht.

„Aber ich … ich dachte …“, stammelt er und seine Gesichtsfarbe wechselt von rot zu blass.

Ich schüttle energisch den Kopf, das Herz klopft mir bis zum Hals und ich habe immer noch Probleme mit meiner Atmung. Meine feuchten Handflächen wische ich hastig an meiner Jeans ab. „Nein, deswegen bin ich nicht hier, eigentlich wollte ich Dir sagen …“, ich breche ab. Seine Gesichtsfarbe wird noch eine Nuance blasser und sein Atem geht unregelmäßig. Svens hellgraue Augen scheinen zu flackern, aber das kann auch an der Neonbeleuchtung des Hotelzimmers liegen.

„Weshalb bist Du hier“, fragt er heiser und lässt sich sichtlich mitgenommen auf die Bettkante sinken. Seine Hände zittern, als er sich durchs kurzgeschnittene dunkle Haar fährt. Er stützt die Ellbogen auf seine Knie und fixiert mit den Augen einen imaginären Fussel auf dem Teppichboden vor sich.

„Es tut mir leid“, bringe ich zögernd hervor. Ich stehe immer noch mit dem Rücken zur Tür, möchte die räumliche Distanz noch weiter vergrößern. Meine ganze Haltung zeigt Ablehnung.

„Lass mich raten, Du bist nicht hier, weil Du … weil Du Dich in mich …“, seine Stimme wird immer leiser und verliert sich schließlich in einem unverständlichen Flüstern. Aber ich weiß auch so, was er mich fragen wollte.

Langsam schüttle ich den Kopf. Er tut mir in diesem Moment wirklich unsagbar leid. Fast schon möchte ich auf ihn zugehen, um ihn zu trösten. Doch ich bleibe wie angewurzelt mit dem Rücken zur Tür stehen. Ich wage es nicht, ihn anzufassen. Viel zu tief sitzt noch der Schock über das soeben Geschehene.

Es ist ihm deutlich anzusehen, dass er sich ein großes Loch wünscht, das ihn einfach verschlingen möge. Er atmet einige Male tief ein und aus. „Es tut mir so … oh Gott, es tut mir so leid. Ich dachte wirklich … ich hoffte so sehr. Oh Gott“, stöhnend verbirgt er das Gesicht in seinen riesigen Händen.

Erneut überkommt mich eine Welle des Mitleids. „Es tut mir wirklich schrecklich leid“, sage ich leise, „Ich wollte wirklich keinen falschen Eindruck vermitteln. Ich liebe Manu …“

Er unterbricht mich mit einer unwirschen Handbewegung. „Ich denke, ich habe es jetzt begriffen“, bringt er gepresst hervor. „Wenn Du mich jetzt bitte allein lassen würdest.“

Ich nicke nur, eine Antwort erwartet er eh nicht von mir. Einen Moment später bin ich auch schon durch die Tür geschlüpft und fliehe in mein eigenes Hotelzimmer. Die Lust darauf, mich nochmals zu Johannes in die Hotelbar zu setzen, ist mir gründlich vergangen. Wie konnte ich nur so furchtbar dumm sein. Ich hatte keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass mein Auftauchen vor Svens Hoteltür vielleicht ganz anders aufgefasst werden könnte, als es eigentlich gemeint war. Ich hätte im Leben nicht damit gerechnet, dass er über mich herfällt wie ein Hirsch über sein Weibchen in der Brunftzeit.

Mein Weg führt direkt ins Bad. Ich habe das dringende Bedürfnis mir die Zähne zu putzen. Ich muss einfach diesen Geschmack auf meinen Lippen loswerden, Svens Geschmack.

Mechanisch greife ich nach meiner Zahnbürste, drücke Zahncreme darauf und beginne meine Zähne zu schrubben. Meine Hände zittern immer noch vor Aufregung. Immer wieder denke ich über Sven und diese ganze vertrackte Situation nach. Seufzend spüle ich meinen Mund aus und blicke in den Spiegel.

Entsetzt starre ich mein Spiegelbild an und taste mit den Fingern der rechten Hand meine Kehle entlang, bis hin zu der Stelle, an der ein riesiger, blutunterlaufender Fleck von der Größe eines Fußballfeldes prangt. Dieser Wahnsinnige hat mir doch tatsächlich einen Knutschfleck verpasst. Kann mir mal jemand sagen, wie um Himmels Willen ich Manuel das erklären soll, ohne dass er vollkommen durchdreht?

*



Ich öffne leise die Tür und schließe sie auch ebenso leise wieder hinter mir. Endlich bin ich wieder zu Hause.

Die Heimfahrt mit dem Zug war anstrengend, wobei höchst unangenehm wahrscheinlich sogar der treffendere Ausdruck dafür wäre. Ich bin weiter denn je davon entfernt, mit Sven so etwas wie das von mir gewünschte normale kollegiale Verhältnis zu haben. Ich fürchte, ich habe durch meine unbedachte Handlung die Situation für uns beide sogar noch verschlimmert, erheblich verschlimmert. Sven würdigt mich mittlerweile nämlich keines Blickes mehr.

Mehrmals habe ich versucht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Doch jedes mal, wenn ich auch nur zum Reden angesetzt habe, hat er mir demonstrativ den Rücken zugewandt und sich taub gestellt. Irgendwann habe auch ich begriffen, dass er einfach nicht mit mir über das reden möchte, was in diesem Hotelzimmer vorgefallen ist, zumindest nicht in naher Zukunft. Ich kann es ihm noch nicht einmal verdenken. Das Ganze muss ihm ganz entsetzlich peinlich sein. Mir ginge es nicht anders – und den meisten von uns vermutlich ebenfalls. Das war auch der Zeitpunkt, an dem ich endgültig die Hoffnung begraben habe, dass wir vielleicht irgendwann einmal über diesen Vorfall einfach werden lachen können.

Aus dem Wohnzimmer dringen gedämpfte Stimmen in den Flur. Auch das bläulich flackernde Licht deutet auf den Fernseher hin. Ich schmunzle bereits in Vorfreude auf das Bild, das sich mir sicherlich gleich bieten wird. Ich bin ziemlich sicher, dass Manuel langestreckt auf dem Sofa liegt und leise vor sich hin schnarcht. Er hat diese Woche Frühschicht und liegt um eine solche Uhrzeit für gewöhnlich schon längst im Bett. Deswegen wollte ich auch nicht, dass er uns vom Bahnhof abholt. Ich hätte mir eigentlich denken können, dass er trotzdem auf mich wartet.

Ich stelle meine Reisetasche im Flur ab, hänge meinen Mantel an die Garderobe und betrete auf leisen Sohlen das Wohnzimmer. Und tatsächlich, da liegt er, wie ich es mir schon gedacht habe. Ein Arm ruht oberhalb seines Kopfes auf der Lehne des Sofas, wodurch sein Shirt um einige Zentimeter nach oben gerutscht ist und den Blick auf einen Streifen nackter Haut freigibt. Ich weiß ganz genau, wie sich diese Stelle anfühlt, riecht und wie die feinen Härchen kitzeln, wenn ich meine Nase in seinem Bauchnabel vergrabe. Die Fingerspitzen der anderen Hand hat er sich unter den Bund seiner Hose geschoben. Er sieht absolut zum Anbeißen aus und ich möchte mich einfach nur auf ihn stürzen. Gott, ich habe diesen Kerl so schrecklich vermisst.

Es fällt mir schwer, ich setze mich dennoch ihm schräg gegenüber auf den Sessel und sauge seinen Anblick in mich auf. Ich werde niemals genug davon bekommen ihn anzusehen. Sein Haar ist inzwischen noch länger als damals, als wir uns kennen gelernt haben, es reicht ihm mittlerweile bis zu den Schultern. Eigentlich mag ich ja lange Haare bei einem Mann gar nicht so besonders aber an ihm finde ich es ausgesprochen sexy. Er sieht ziemlich gut damit aus. Irgendwie sogar ein bisschen exotisch. Es gefällt mir einfach unglaublich gut, wie so ziemlich alles an ihm – einmal von seinen familienfeindlichen Arbeitszeiten abgesehen. Na gut, er kann mitunter auch wahnsinnig pedantisch sein, besonders, wenn es meine schmutzigen Socken wieder einmal nicht in den Wäschekorb geschafft haben. Das kann ganz schön anstrengend sein, glaubt mir. Ich liebe ihn deswegen aber kein Stück weniger.

Zärtlich gleiten meine Blicke über sein ebenmäßiges Gesicht, streicheln seine Augenbrauen und bewundern die dichten, schwarzen Wimpern, die in diesem Moment leicht zu zucken beginnen. Lächelnd nehme ich zur Kenntnis, dass er glattrasiert ist. Sicherlich ist mein dezenter Hinweis auf mein letztens doch recht ramponiertes Kinn, nicht ganz schuldlos daran.

„Hey“, kommt es brummend von Manuel und er blinzelt mich verschlafen an. „Werde ich vielleicht mal ordentlich begrüßt?“

„Wann, außer wenn du schläft, habe ich schon mal die Gelegenheit, Dich schamlos anzuhimmeln?“, erwidere ich lachend, stehe auf und trete näher an das Sofa heran. „Das musste ich doch ausnutzen.“

„Das darfst Du immer, nicht nur, wenn ich schlafe“, antwortet er glücklich und rutscht etwas zurück, damit ich neben ihm Platz habe.

Ich hebe eine Augenbraue und sehe ihn süffisant grinsend an. „Das schaffe ich dann aber nicht lange. Wenn ich Dich so ansehen, fällst Du mich doch sofort an.“

„Selbst schuld, warum bist Du auch so unwiderstehlich?“, erwidert er schmunzelnd.

„Bin ich das?“, gebe ich lächelnd zurück. Ohne meinen Blick von ihm zu nehmen, streife ich meine Schuhe ab und lege mich der Länge nach neben ihn. Augenblicklich schlingt er seine Arme um mich und zieht mich eng an sich.

„Unbedingt! Oh Gott, ich habe Dich so sehr vermisst“, raunt er an meinem Ohr und bedeckt anschließend mein Gesicht mit zarten Küssen.

„Was meinst Du wohl, wie es mir ging, hm?“, antworte ich, bevor ich meine Lippen auf die seinen drücke, um ihm zu zeigen, wie sehr ich ihn vermisst habe.

Manuel wäre nicht Manuel, wenn er bei dieser eindeutigen Aufforderung Zurückhaltung üben würde, zumal ja auch noch drei Tage Entzug hinter ihm liegen, hinter mir übrigens auch. Und ich möchte es auch gar nicht, dass er Zurückhaltung übt, meine ich. Doch da gibt es vorher noch etwas dringend zu klären, und spätestens, als er mir den Rollkragenpullover über den Kopf ziehen möchte, halte ich ihn auf.

„Schatz, warte mal bitte, da gibt es noch etwas, das ich Dir erzählen muss.“

Durch meinen Tonfall alarmiert stellt er auch sofort jegliche Annäherungen ein und sieht mich teils neugierig, teils besorgt an.

„Stimmt was nicht?“, will er auch sogleich wissen.

„Als wir das letzte Mal telefoniert haben, habe ich Dir doch erzählt, dass es mit Sven zu einem ziemlich unangenehmen Aufeinandertreffen kam.“

„Ja, Du wolltest gestern am Telefon nicht näher darauf eingehen. Habt ihr euch gestritten?“

Ich nicke. „Ja, so könnte man es nennen.“ Oh Gott, wie bringe ich ihm das nur so schonend wie möglich bei? „Also, die Sache ist die … Johannes hat mir die ganze Geschichte erzählt, ich wusste überhaupt nichts davon. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie überrascht ich darüber war, dass …“, ich halte inne, als ich Manuels irritierten Gesichtsausdruck bemerke.

„Eins nach dem anderen, Süßer“, versucht Manuel mich zu beruhigen, „hat er Dich blöd angemacht, weil Du schwul bist?“

„Nein, das versuche ich Dir ja gerade zu erklären. Er hat viel weniger Probleme mit Schwulen, als ich angenommen habe, sehr viel weniger.“

„Ich verstehe nicht …“

„Er ist selbst schwul, Schatz. Und nach meinem Outing ist er mir aus dem Weg gegangen, weil er …“, ich hole tief Luft, „naja, weil er sich in mich verknallt hat.“

„Aha“, antwortet Manuel nur. Er scheint abzuwarten, was ich noch zu erzählen habe. Ich sehe ihm allerdings an, dass er 1000 Fragen auf den Lippen hat.

„Johannes hat es mir erzählt. Ich hatte wirklich keine Ahnung. Ich will das alles nicht und ich will auch nicht, dass Sven sich irgendwelche Hoffnungen macht, ich liebe Dich und daran wird sich niemals etwas ändern. Genau das wollte ich ihm dann auch sagen.“

Manuel sieht mich mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck an und sagt dann erstaunlich ruhig: „Es war richtig, dass Du so ehrlich zu ihm warst. Konntet ihr es klären, damit ihr zukünftig wieder normal miteinander umgehen könnt? Ihr seid schließlich Kollegen.“

„Nun, eigentlich kam ich gar nicht dazu, ihm irgendwas zu sagen …“, antworte ich ausweichend.

„Warum? Er wird ja wohl nicht über Dich hergefallen sein …“, Manuel hält inne, ein Blick in mein Gesicht genügt. „Oh Gott Axel, er ist über Dich hergefallen!“

„Es ist nichts passiert“, beeile ich mich zu sagen, „er kam nicht dazu. Ich habe ihn angeschrien und ihn von mir gestoßen. Er kam wieder zur Besinnung und hat von mir abgelassen. Hätte er das nicht getan, ich schwöre Dir, ich hätte ordentlich zugetreten und garantiert nicht gegen sein Schienbein“, ich sehe ihm offen in die Augen, ich möchte, dass er sieht, dass ich die Wahrheit sage.

Er holt tief Luft. „Hat … hat er Dir weh getan?“, seine Stimme zittert und es ist ihm deutlich anzusehen, wie entsetzt und besorgt er ist. Wenn ich ihn nicht schon so abgöttisch lieben würde, wäre es spätestens jetzt soweit.

„Nein“, antworte ich beruhigend, „er hat mir nicht weh getan … und das hätte er auch nicht, selbst wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Aber …“, ich sehe ihn fast schon entschuldigend an. „Aber er hat … naja, er hat eine Spur hinterlassen“, ergänze ich und ziehe langsam den Kragen meines Pullovers nach unten.

Manuel schnappt nach Luft, als er das Ungetüm von Knutschfleck sieht. „Wie … wie hat er das denn geschafft?“

„Ich habe ja schon keine Chance, wenn Du mich festhältst … Sven dürfte locker um die 2 m sein und wiegt sicher 100 Kilo“, erkläre ich recht kleinlaut. Ich kann es nicht erklären, aber ich fühle mich furchtbar schuldig, obwohl ich ja eigentlich gar nichts getan habe, außer vielleicht so naiv gewesen zu sein. „Ich liebe Dich über alles Manuel, ich könnte Dich niemals betrügen“, ergänze ich leise und sehe ihn fast flehend an.

„Ich weiß“, flüstert er, schließt seufzend die Augen und zieht mich endlich wieder in seine Arme.

Ich hole erleichtert Luft und erst da merke ich, dass ich sie wohl angehalten haben muss.

„Aber allein der Gedanke, dass Dich ein anderer angefasst hat …“, ich bemerke sein Zittern und fühle deutlich, wie sehr er mit sich ringt. Hart presst er seine Lippen auf die meinen. In der nächsten Sekunde hat er mir den Pullover über den Kopf gezogen und achtlos auf den Fußboden geworfen.

Mit fahrigen Handbewegungen nähert er sich meinem Hosenbund und wenige Momente später befindet sich auch meine Hose neben dem Pullover auf der Erde. Im Handumdrehen fallen auch die restlichen Hüllen und ich liege vollständig nackt vor ihm, mittlerweile äußerst erregt.

Gierig gleitet sein Blick über meinen bloßen Körper. „Ich muss Dich jetzt einfach haben, ich muss Dich fühlen. Oh Gott Axel, hast Du auch nur die geringste Ahnung, wie sehr ich Dich liebe?“

Unser Liebesspiel verläuft in dieser Nacht anders als gewohnt. Manuel ist sehr viel ungestümer als sonst, man könnte es geradezu verzweifelt nennen. Es ist nicht die Nacht für sanfte Zärtlichkeiten. Er nimmt mich von hinten, das tut er recht selten, eigentlich mag ich es so auch nicht besonders, weil ich ihn viel lieber dabei ansehe. Vor allem in dem Moment, wenn er kommt, und unmittelbar danach, wenn er die Augen aufschlägt und mich mit diesem Blick ansieht, bei dem mir sprichwörtlich die Spucke wegbleibt. Heute allerdings ist mir dieser Anblick nicht vergönnt, denn ich liege auf dem Bauch, die Arme hat Manuel unter meiner Brust hindurchgeschoben, die Handflächen sind nach oben gerichtet und er umklammert mit eisernem Griff meine Schultern, damit ich ihm nicht davonrutschen kann. Wie in Raserei stößt er mit weit ausholenden Bewegungen kräftig und schnell in mich. Von Technik fehlt jede Spur. Jeder Stoß drückt nur ein einziges Wort aus: Meins! Im Grunde ist es wirklich schon eine Art Inbesitznahme von etwas, das ihm ohnehin schon längst gehört, immer gehören wird. Ich beklage mich nicht. Warum auch. Ich kann nur vermuten, wie er sich fühlen muss. Ich versuche mir vorzustellen, was ich empfinden würde, wenn Manuel von einem anderen Mann praktisch markiert worden wäre und mir wird schlecht – allein bei dem Gedanken daran. Bei jedem Stoß reibe ich mit meiner Vorderseite über das Sofa unter mir, sein heißer Atem an meiner empfindlichen Halsbeuge gibt mir schließlich den Rest und so ergieße ich mich trotz der Grobheit heftig in das Polster. Das Ganze hat keine fünf Minuten gedauert.

Danach liegen wir eng umschlungen beieinander. Er sagt kein Wort, ich weiß jedoch, dass er wach ist und immer noch darüber nachdenkt, was ich ihm heute Abend erzählt habe, vielleicht auch darüber, was da eben zwischen uns geschehen ist. Beruhigend streichle ich über seinen Bauch und seine Brust. Er fängt meine Hand ein und haucht kleine Küsse auf die Fingerspitzen. Danach presst er meine Handfläche fest auf seine Wange.

„Es tut mir so unendlich leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich habe Dir weh getan, nicht wahr?“, flüstert er mit vor Scham und Reue zusammengekniffenen Augen.

Ich richte mich auf und versuche den deutlich spürbaren Schmerz an meinem Hintern zu ignorieren. Entschlossen sehe ich in sein Gesicht. „Hey, da gibt es nichts, wofür Du Dich entschuldigen müsstest. Und Du hast mir nicht weh getan, zumindest nicht sehr, okay?“, erkläre ich bestimmt. Dass ich die nächsten Tage mit Sicherheit ziemliche Probleme haben werde beim Sitzen, muss er nicht unbedingt wissen.

„Aber …“, widerspricht er und öffnet seine Augen.

„Nichts aber“, antworte ich und lege einen Finger auf seine Lippen. „Vergiss Sven. Mir geht es gut, es ist nichts passiert und der Fleck verblasst mit der Zeit.“

Seine Augen suchen die Stelle an meinem Hals und ich fühle, wie er wieder zu zittern beginnt.

„Wenn ich nur daran denke …“, beginnt er. „Ich will Dich nicht verlieren, niemals“, ergänzt er entschlossen.

„Schhh“, antworte ich leise und küsse ihn. „Du wirst mich noch sehr lange ertragen müssen“, verspreche ich lächelnd, schließe beide Arme fest um ihn und wiege ihn sanft hin- und her. Kurz darauf fühle ich, wie das Zittern langsam wieder nachlässt und er sich in meiner Umarmung etwas entspannt. „Auch auf die Gefahr hin, dass sich das jetzt ganz furchtbar kitschig anhören mag: Du bist die Liebe meines Lebens“, versichere ich ihm ernst.

Mit einem heiseren Aufschrei umschlingen mich Manuels Arme und drücken mich so fest an sich, dass mir fast die Luft wegbleibt.

„Süßer“, japse ich lachend.

Augenblicklich lockert er den Griff und blickt mich gerührt an. Er nähert sich meinen Lippen. Sein Kuss ist unglaublich sanft und weich, ein krasser Gegensatz zu dem schnellen und noch härteren Sex von eben. Seine Hände ruhen einfach nur auf meinen Hüften, meine eigenen verlieren sich in seinem Haar. Eine schier endlos lange Zeit dauern diese Zärtlichkeiten, bevor wir uns schließlich von einander lösen und ich meinen Kopf auf seine Schulter bette.

Ich bin kurz davor einzuschlafen, als Manuel nochmals zu reden beginnt: „Schatz?“

„Hm?“, nuschle ich schlaftrunken.

„Sven täte gut daran, mir in der nächsten Zeit aus dem Weg zu gehen, ich könnte für nichts garantieren.“

Er scheint es wirklich ernst zu meinen.

Ich antworte nicht, grabe nur meine Nase tiefer in die warme Haut und küsse ihn. Ich schätze, er hat vergessen, dass er Sven in spätestens zwei Wochen gegenüber stehen wird, nämlich bei der Weihnachtsfeier des Betriebes, in dem ich arbeite.

Aber dies hier ist definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um ihn daran zu erinnern.

*



Axels überbackenes Geschnetzeltes



Zutaten für 4-6 Personen:

500 Gramm Geschnetzeltes (Schwein oder Kalb)
1 Schale frische Champignons
1 Zwiebel
1 Päckchen Zwiebelsuppe
200 ml Sahne
100 ml Wasser

Zubereitungszeit: ca. 20 Minuten
Backzeit: 35 Minuten

Backofen auf 180° vorheizen.

Die Pilze und die Zwiebel putzen, klein schneiden und mit dem Fleisch kurz andünsten.

Zwiebelsuppe mit Wasser und Sahne aufkochen und zusammen mit dem Fleisch in eine Auflaufform füllen.

Bei 180° (Umluft) auf mittlerer Schiene ca. 35 Minuten backen.

Dazu passen Reis oder breite Nudeln und natürlich ein knackiger grüner Salat.


Überraschungen




„Manuel!“, rufe ich durch das Treppenhaus nach oben und blicke langsam immer hektischer werdend auf meine Armbanduhr, „Wir müssen los!“

Ich selbst stehe bereits seit fünf Minuten vollständig angezogen im Flur und warte darauf, dass mein Herzblatt sich endlich von seinem Spiegelbild trennt, damit wir los können – zur Weihnachtsfeier in meinem Büro.

Ausgerechnet heute muss er so trödeln. Dabei ist das so gar nicht seine Art. Normalerweise ist er sogar noch vor mir fertig und das will was heißen. Wir sind im Grunde beide recht pragmatisch was Klamotten angeht und verbringen nicht mehr Zeit als nötig im Bad oder vor dem Kleiderschrank. Er hat das ohnehin nicht nötig, er sieht immer gut aus; egal ob glattrasiert oder mit Dreitagebart, ob in Jeans oder feinem Zwirn - sogar wenn er gerade eben aus dem Bett gefallen ist und sein Haar in alle Himmelsrichtungen absteht – vor allem dann. Und wenn er mich dann noch schläfrig unter halb geschlossenen Lidern hindurch ansieht und sich gedankenverloren den Bauch kratzt setzt nicht selten mein Herzschlag für eine Sekunde aus und ich bekomme Atemnot. Das sind dann solche Momente in denen ich fast in Versuchung gerate ihn zurück ins Bett zu zerren, auch wenn das bedeuten würde, dass mindestens einer von uns zu spät zur Arbeit käme.

„Ich bin doch schon fertig“, antwortet er fröhlich und steigt die Treppenstufen hinab. Schmunzelnd schüttle ich den Kopf.

Das Lachen vergeht mir jedoch in dem Augenblick, als er schließlich vor mir steht. Himmel, ist der Kerl denn wahnsinnig? Wie um alles in der Welt soll ich es denn schaffen, meine Finger bei mir zu behalten, wenn er so aussieht? Und nicht nur ich. Nach dem heutigen Abend wird nichts mehr von ihm übrig sein. Jeder gottverdammte Schwule im Umkreis von 100 Kilometern wird hinter ihm her sein wie der Teufel hinter der sprichwörtlichen armen Seele, vorausgesetzt meine Kolleginnen haben ihn nicht vorher schon mit Haut und Haaren verschlungen.

Ich schlucke trocken und mustere ihn von Kopf bis Fuß. Das Haar hat er sich lose im Nacken zusammengebunden und bereits jetzt haben sich einige Strähnen aus dem Gummi gelöst. Er trägt ein schwarzes Hemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt hat. Die ersten beiden Knöpfe sind geöffnet und geben den Blick auf einen Teil seiner glatten und noch immer leicht gebräunten Brust frei. Aha, jetzt weiß ich auch, warum er so lange im Bad war. Falls es euch interessiert: Manuel ist normalerweise leicht behaart. Er hat sich tatsächlich die Mühe gemacht, sich zu rasieren. Dabei stören mich die paar Härchen doch überhaupt nicht – und das weiß er eigentlich.

Der Rest von ihm steckt in einer eng anliegenden ebenso schwarzen Stoffhose, die nicht perfekter sitzen könnte. Sie betont noch zusätzlich seine muskulösen Oberschenkel und ich benötige nicht sehr viel Phantasie, um zu erahnen, wie darin wohl sein Hintern aussehen möge.

Er breitet die Arme aus, dreht sich einmal um seine eigene Achse und sieht mich herausfordernd an. „Nimmst Du mich so mit?“

Ich antworte nicht, packe ihn nur an seinem Hemdkragen und ziehe ihn in einen kurzen aber stürmischen Kuss.

Er lacht leise an meinen Lippen. „Das deute ich mal als ja.“

„Meine weiblichen Kollegen werden nichts mehr von Dir übrig lassen. Sie werden wie die Hyänen über Dich herfallen“, prophezeie ich und schiebe eine der gelösten Haarsträhne hinter sein Ohr.

„Oh, keine Sorge“, antwortet er und seine Augen blitzen angriffslustig auf. „Sie werden es nicht wagen. Nach heute Abend wird es keinerlei Zweifel mehr daran geben, zu wem ich gehöre.“

Oder zu wem Du gehörst ... diese Worte liegen unausgesprochen in der Luft. Ein Schauer läuft über meinen Rücken. Ich weiß ganz genau, auf was, beziehungsweise auf wen er anspielt: Sven. Er dürfte auch der Grund sein, warum sich Manuel so herausgeputzt hat.

„Versprichst Du mir, keine Dummheiten zu machen?“, bitte ich ihn. Auch wenn der Fleck mittlerweile verblasst ist, so ist diese ganze Geschichte mit Sven immer noch allgegenwärtig – es sind seither ja auch gerade mal zwei Wochen vergangen.

„Ich werde mich nicht mit ihm prügeln, falls Du davor Angst haben solltest“, verspricht er und zieht mich sanft an sich.

In keinster Weise beruhigt blicke ich in seine schokoladenbraunen Augen. Auch wenn er ganz sicher nicht handgreiflich werden wird – das passt einfach nicht zu ihm - so spüre ich doch ganz deutlich, dass er irgendetwas ausgeheckt hat. „Was hast Du vor?“, frage ich vorsichtig.

„Das wirst Du merken, wenn es soweit ist, mein Süßer“, grinst er und stupst meine Nase mit der seinen kurz an.

„Du denkst daran, dass ich dort auch nächste Woche noch arbeiten möchte?“, gebe ich etwas unsicher zurück.

„Hey“, tut er gespielt beleidigt. „Was erwartest Du denn, was ich tun werde?“

„Oh, da fallen mir bestimmt 100 Dinge ein“, antworte ich amüsiert und schlinge ihm beide Arme um den Hals. „Du könntest mich zum Beispiel vor all meinen Kollegen küssen.“

„Das werde ich auch ganz sicher tun, mein Schöner. Und ich habe fest vor sogar mit Dir zu tanzen“, lacht er. Dann sieht er mich für einige Momente schweigend an. „Ich werde mich nicht verstecken“, ergänzt er schließlich sehr viel ernster.

„Manchen meiner Kollegen wird das nicht gefallen“, gebe ich zu bedenken. Sein Blick verfinstert sich etwas.

Er löst sich aus unserer Umarmung und schiebt mich einige Zentimeter von sich, damit er mir besser in die Augen sehen kann. „Haben wir dieses Stadium nicht schon längst hinter uns gelassen?“ Er hebt missbilligend eine Augenbraue und sein Griff um meine Oberarme wird eine Spur kräftiger.

Natürlich hat er recht. Diejenigen, die ich gut kenne, wissen, dass ich einen Mann liebe und der Rest kümmert mich nicht. Ich weiß auch nicht, warum ich diese ollen Kamellen wieder aufgewärmt habe. Seit meinem Outing damals hat es mich nicht mehr die Bohne interessiert, was andere über meine Homosexualität denken könnten. Ich ziehe ihn wieder dichter zu mir und küsse ihn sanft auf den Mund. „Das haben wir“, bestätige ich lächelnd.

„Ich kann Dich also anfassen oder küssen, wenn mir danach ist, auch wenn Deine Kollegen in der Nähe sind, ohne dass Du einen halben Herzkasper bekommst, ja?“, hakt er noch einmal nach.

„Natürlich – überall und zu jeder Zeit“, antworte ich entschieden. „Ich liebe Dich und das darf auch jeder wissen. Es tut mir leid, falls das vorhin etwas anders rübergekommen sein sollte.“ Ihn durch einen unüberlegten und noch dazu völlig überflüssigen Kommentar zu verunsichern, war wirklich das Letzte, das ich wollte.

Er sieht nickend zu Boden und kratzt sich mit dem Daumennagel über eine Augenbraue. Das tut er immer, wenn er nicht so recht weiß, was er sagen soll. „Okay“, antwortet er schließlich, hebt den Kopf und lächelt mich an.

„Du siehst übrigens verdammt heiß aus“, sage ich und ziehe bedeutungsvoll die Augenbrauen nach oben. Gleichzeitig streiche ich mit den Händen seinen Rücken entlang und noch ein Stück weiter bis zu seinem Hintern, wo ich sie schließlich einfach frech liegen lasse.

„Tatsächlich?“, grinst er.

„Tu nicht so unschuldig. Ich werde den ganzen Abend über die allergrößte Mühe haben, meine Finger bei mir zu behalten“, gebe ich offen zu.

„Das ist gut“, meint er und nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände. „Dann merkst Du einmal, wie es mir seit dem Moment geht, in dem ich Dich das erste Mal gesehen habe.“

*



Wir stellen das Auto in der Tiefgarage ab und fahren mit dem Fahrstuhl in eines der oberen Stockwerke, in dem die Feier stattfinden soll. Ich gestehe, ich bin etwas nervös. Nicht nur, weil Manuel irgendetwas ausgeheckt hat, von dem ich nicht weiß, was es ist, sondern auch, weil ich heute vermutlich Sven wieder sehen werde - das erste Mal, seit wir wieder aus Hamburg zurück sind. Die vergangenen Tage hatte er Urlaub und ich kann nicht behaupten, dass mir das unrecht gewesen wäre. Im Gegenteil, ich bin froh, dass ich ihn nicht sehen musste. Ich weiß einfach nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Manuel fühlt mein Unbehagen und sieht mich fragend an.

„Sven“, antworte ich. „Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken ihn wiederzusehen“, seufze ich.

Bei Svens Namen verdunkelt sich sein Blick und er zieht die Augenbrauen zusammen, so dass sich eine steile Falte auf seiner Stirn bildet. „Er wird Dir nichts tun, schon gar nicht, wenn ich dabei bin“, verspricht er grimmig.

„Er würde mir auch nichts tun, wenn Du nicht dabei wärst, da bin ich mir ganz sicher. Es ist mir einfach unangenehm“, erwidere ich achselzuckend und verziehe das Gesicht.

„Verständlich“, antwortet Manuel, nimmt meine Hand in die seine und haucht kleine Küsse darauf. „Es wird schon alles gut gehen, okay? Vielleicht taucht er ja auch gar nicht erst auf“, ergänzt er und lächelt mir aufmunternd zu.

Ich nicke zwar brav, glaube aber nicht so recht daran. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass Sven heute auftauchen wird.

Wie erwartet ist es bereits voll – natürlich, wir sind auch viel zu spät dran. Wir hätten vorhin vielleicht doch etwas weniger knutschen und dafür früher losfahren sollen. Es ist ohnehin unglaublich – wir sind unglaublich. Wir bekommen einfach nicht genug von einander. Man sollte meinen, dass sich nach gut 1,5 Jahren Beziehung diese anfängliche Verliebtheit gelegt hat und sich nun gewisse... Verschleißerscheinungen bemerkbar machen sollten. Nichts dergleichen ist jedoch der Fall, wir verhalten uns immer noch wie zwei verliebte Teenager im Hormonrausch. Falls sich überhaupt etwas geändert hat, dann eher dahingehend, dass es noch intensiver geworden ist. Ich habe so etwas ehrlich gesagt nie zuvor erlebt. Es ist fast schon beängstigend.

Ich lasse meinen Blick über unsere riesige Kantine - die für heute zum Festsaal umfunktioniert wurde - schweifen, auf der Suche nach einem bestimmten Gesicht. Es dauert nicht lange, bis ich Johannes gefunden habe, der uns schon erblickt hat und uns lachend zuwinkt. Neben ihm sitzt eine Person, mit der ich hier am allerwenigsten gerechnet hätte. Ich bleibe überrascht stehen.

„Ähm, leide ich an Hallos, oder sitzt neben Johannes tatsächlich Sandra?“

Über Manuels Gesicht huscht ein hintergründiges Lächeln.

„Wusstest Du etwas davon?“, will ich wissen.

„Nein“, sagt er schnell. Zu schnell.

Misstrauisch mustere ich ihn. „Manuel?“

„Na gut, ja ich wusste es“, gibt er schließlich zu. „Ich dachte, es wäre endlich mal an der Zeit den beiden etwas Starthilfe zu geben. Dieses ja-nein-vielleicht-weiß nicht, kann man sich doch nicht mehr mit ansehen“, er weicht meinem Blick aus.

„Aha“, antworte ich wenig überzeugt und sehe in skeptisch an. „Nicht dass es mir missfällt, im Gegenteil. Aber Du willst mir gerade wirklich weismachen, dass Sandra mit Johannes hier ist?“

Manuel nickt eifrig.

„Sprechen wir vom gleichen Johannes? Derjenige, der in Sandras Gegenwart hyperventiliert, knallrot anläuft und seine Muttersprache verliert? Derjenige, bei dem ich mir seit Wochen erfolglos das Maul fusselig rede?“, ich ziehe ungläubig meine Augenbrauen hoch.

„Ja, genau der“, antwortet er.

„Und wie bitteschön hast Du es geschafft, dass er Sandra auf die Weihnachtsfeier eingeladen hat? Hast Du ihm 'ne Knarre an den Kopf gehalten?“

Manuel zuckt mit den Achseln. „War eigentlich ganz einfach. Ich habe ihn gefragt, ob er schon eine Begleitung für die Weihnachtsfeier hat und er hat nein gesagt. Daraufhin habe ich ihm vorgeschlagen doch Sandra zu fragen und er hat's getan“, mit einem zufriedenen Nicken sieht er mich grinsend an.

Ich mustere ihn einige Sekunden lang. „Einfach so?“, ich schnippe mit den Fingern.

Er nickt wieder.

„Und du musstest ihm wirklich nicht drohen?“, will ich wissen. Das Ganze erscheint mir mehr als unrealistisch.

Manuel lacht leise und zieht mich mit sich. „Genau. Er war sogar gleich Feuer und Flamme. Ich denke, er brauchte einfach noch einen zusätzlichen Anstoß“, meint er.

Erneut bleibe ich stehen und sehe ihn herausfordernd an. „So? Denkst Du?“, gebe ich ironisch zurück.

„Mhm“, nickt er und zieht mich einfach weiter. Ich belasse es dabei – für den Moment. Ich kenne ihn mittlerweile so gut, dass ich mir ziemlich sicher sein kann, dass er etwas vor mir verheimlicht. Er war schon immer ein lausiger Lügner. Und wenn Sandra heute hier ist, dann mag Johannes vielleicht ein Grund sein, aber er ist ganz sicher nicht der Hauptgrund.

Sandra steht bereits ungeduldig und strahlend am Tisch, als wir bei ihr und Johannes ankommen. Sie schlingt die Arme um meinen Hals und drückt mich kurz an sich.

„Hey ihr zwei Süßen“, begrüßt sie uns und gibt erst mir und dann Manuel ein Küsschen auf die Wange. Er bekommt die gleiche herzliche Umarmung, wie zuvor ich. „Ihr kommt spät“, tadelt sie schließlich, als sie von Manuel abgelassen hat.

„Nicht spät genug“, antworte ich stirnrunzelnd und blicke in Richtung des kleinen Podiums, auf dem mein Chef gerade einige lose Blätter ordnet und mit dem Zeigefinger gegen das Mikrophon tippt. Ein dumpfer Ton dringt aus den Lautsprechern.

Auch Johannes begrüßt uns mit einem kameradschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Man munkelt, er habe sich für dieses Jahr etwas ganz Besonderes einfallen lassen“, erwidert er grinsend, als er meinen Blick bemerkt.

„Das habe ich befürchtet“, erwidere ich und ziehe eine Grimasse.

„Ihr beide seht einfach zum Anbeißen aus“, kommt es von Sandra. Sie sieht von mir zu Manuel und wieder zurück zu mir.

„Dankeschön Süße, Du kannst Dich aber auch sehen lassen“, grinse ich und lasse meinen Blick anerkennend über ihr Äußeres gleiten. „Und vor allem freue ich mich darüber, dass Johannes endlich seinen Hintern hochbekommen hat“, ich versuche den leicht sarkastischen Unterton zu vermeiden, der zusammen mit den Worten meinen Mund verlassen möchte.

Sandras und Johannes Augenpaare huschen für einen kurzen Moment unsicher zu Manuel. Was auch immer mein Herzallerliebster geplant hat, diese beiden hier sind garantiert eingeweiht. Und auch wenn es mich vor Neugierde schier zerreißt, schlucke ich den Kommentar, der mir bereits auf der Zunge liegt, hinunter und schmunzle insgeheim in mich hinein. Irgendwie ist es ja sogar richtig süß, dass sie mich offensichtlich – womit auch immer - überraschen wollen. Ich möchte Ihnen, und damit im Grunde ja auch mir, keinesfalls den Spaß verderben.

Ich komme ohnehin nicht dazu näher darauf einzugehen, denn in diesem Moment lässt sich einer meiner Kollegen schnaufend auf einen der beiden freien Stühle an unserem Tisch sinken, fast gleichzeitig macht sich mein Chef bemerkbar.

„Das nenne ich ein Timing“, lache ich leise.

„Mein Tochter ist unmöglich. Manchmal frage ich mich, wer von uns beiden zu Hause die Hosen an hat“, grinst er und schiebt gleichzeitig die Ärmel seines Pullovers nach oben.

Ich kichere. „Das musst Du Dich ernsthaft fragen?“

Ich fange Manuels neugierigen Blick auf. „Schatz, das hier ist Chris, ich habe Dir sicher schon von ihm erzählt. Er arbeitet seit etwa 'nem halben Jahr bei uns.“

Chris streckt die Hand aus und Manuels verschwindet fast gänzlich darin. Kein Wunder bei solch einem Riesen. Chris dürfte fast an die zwei Meter groß sein. Sehr gutaussehend übrigens. Er hat ein bisschen was von George Clooney, nur mit blauen Augen. „Hi, dann bist Du sicher Manuel, von Dir habe ich schon eine Menge gehört“, meint Chris freundlich.

„Ich hoffe nur Gutes“, antwortet Manuel lächelnd.

„So verliebt, wie der hier in Dich ist, natürlich nur Gutes“, er rempelt mich kumpelhaft mit der Schulter an. Dann wendet er sich an Johannes. „Hi, Dich kenn ich ja und wer ist die hübsche Dame an Deiner Seite?“

Augenblicklich färben sich Johannes Wangen rötlich.

„Ich bin Sandra“, antwortet diese mit ihrem für sie so typischen offenen, freundlichen Lächeln.

„Ich wusste gar nicht, dass Du eine Freundin hast“, grinst Chris frech in Johannes Richtung, wendet sich jedoch wieder mir zu, bevor soeben Angesprochener eine Antwort geben kann. Sie scheint ihm ohnehin irgendwo im Hals stecken geblieben zu sein – seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen.

„Womit hat Katrin Dich denn heute wieder in den Wahnsinn getrieben?“, frage ich gut gelaunt.

„Ach“, er winkt ab, „ich durfte in 1000 verschiedene Outfits schlüpfen, bevor wir endlich etwas gefunden hatten, das sie für würdig genug befunden hat, um damit bei einer Weihnachtsfeier aufzutauchen“, er rollt übertrieben theatralisch mit den Augen.

„Sie möchte halt, dass ihr alter Herr gut aussieht, man kann nie wissen, was einem so über den Weg läuft“, kichere ich.

„Den alten Herrn möchte ich bitte überhört haben“, lacht er. „Sag mal, steckst Du vielleicht mit Katrin unter einer Decke? Das sind genau die Worte, die sie auch benutzt hat“, er schüttelt ungläubig den Kopf.

„Nein, aber ein gewisser Herr Christian Löffler schwärmt mir seit Tagen vor, wie unglaublich süß doch dieser Kerl war, dem des Töcherleins Kater zugelaufen ist“, lache ich.

Augenblicklich erscheint ein Leuchten in Chris Augen.

„Hast Du ihn zwischenzeitlich eigentlich mal wieder getroffen?“, frage ich.

„Nein“, seufzt er. „Ich weiß doch noch nicht einmal, ob er im gleichen Team spielt.“

„Dann finde es heraus“, rate ich ihm. „Mit eurem Kater als Vorwand sollte sich doch ein weiteres Treffen locker arrangieren lassen, oder?“

„Das habe ich mir auch schon überlegt.“

„Und? Was hält Dich dann davon ab?“

„Eigentlich nichts“, erklärt er achselzuckend. „Ich kann ja so tun, als ob Carlos wieder abgehauen wäre. Er ist schon einmal bei ihm gelandet, da ist es doch gar nicht so abwegig, dass er wieder bei ihm auftaucht, nicht?“, fügt er grinsend hinzu.

„So ist es“, grinse ich zurück.

Bevor wir jedoch unser Gespräch fortsetzen können, beginnt unser Boss nun endgültig mit seiner Weihnachtsrede. Im Grunde unterscheidet sie sich nicht wesentlich von den Reden der vorherigen Jahre: Jubilare werden geehrt, Mitarbeiter werden gelobt, neue Projekte werden angekündigt, alte für erfolgreich abgeschlossen erklärt. Er hält den Vortrag in diesem Jahr überraschenderweise angenehm kurz und alles klatscht begeistert in die Hände, als er den Startschuss für das Buffet erteilt. Weniger, weil das soeben Gehörte so ergreifend war, sondern weil das eben Gehörte so schön kurz war.

Der Startschuss ist übrigens fast wörtlich zu nehmen, denn in null Komma nichts beginnt ein wahrer Ansturm auf all die Leckereien, die sich appetitlich angerichtet auf eine Länge von mehreren Metern verteilen. Bei dem Anblick wird man unweigerlich an einen Schwarm Heuschrecken erinnert, der sich in Sekundenschnelle gierig über einen gesamten Landstrich hermacht und nur verwüsteten Boden hinter sich lässt.

Manuel und ich warten ab, bis sich die ersten hungrigen Mäuler bedient haben und man es wagen kann sich ohne Helm und Harnisch den Speisen zu nähern. Sandra und Johannes tun es uns gleich. Wenig später kehren wir schließlich mit unserer Auswahl an unsere Plätze zurück. Auch Chris hatte sich mittlerweile erhoben und ich sehe gerade noch, wie er auf einen hellblonden Mann in etwa unserem Alter zusteuert.

„Hm Axel, versuch mal das Carpaccio“, schwärmt Sandra, hält mir eine gehäufte Gabel unter die Nase und leckt sich gleichzeitig genießerisch ein Stück Parmesan aus dem Mundwinkel.

Johannes Gabel landet krachend auf seinem Teller. Alle Blicke wandern überrascht zu ihm und augenblicklich verfärbt sich sein Gesicht dunkelrot. Eine Entschuldigung murmelnd wischt er sich die Hände an einer Serviette ab und steht ruckartig auf. Wir alle blicken ihm verwundert hinterher, als er davon eilt.

„Ups“, meint Manuel und hebt verblüfft seine Augenbrauen. „Süße, ich schätze Du wirst über Deinen Schatten springen müssen, wenn Du diesen Kerl wirklich haben willst.“

Sandra seufzt leise. „Ich fürchte auch“, antwortet sie. „Himmel, ist der kompliziert. Ich sollte mir das ganze vielleicht doch noch einmal überlegen.“

„Johannes ist ein wirklich lieber Kerl und eigentlich überhaupt nicht kompliziert, im Gegenteil“, erwidere ich und greife nach ihrer Hand. „Er ist einfach nur furchtbar schüchtern“, füge ich nachdrücklich hinzu und sehe sie aufmunternd an.

„Und eifersüchtig“, meint Manuel grinsend.

„Wieso eifersüchtig? Auf wen?“, antworte ich irritiert.

„Auf Dich mein Süßer“, kichert er.

„Quatsch, weshalb sollte er denn?“

„Tja, Du wolltest von Sandras Gäbelchen essen.“

„Ja und? Vorhin hat sie von meinem Becherchen getrunken. Das macht sie nicht zu Schneewittchen und mich nicht zum Prinzen. Zumindest nicht zu ihrem.“

„Das geht auch schlecht, Du bist schließlich meiner“, raunt er an meinem Ohr und ich bekomme eine Gänsehaut. Etwas lauter fährt er fort: „Sei nachsichtig mit ihm. Er ist verliebt. Ich war damals rasend vor Eifersucht, als Rob Dich begrabscht hatte, dabei kannten wir uns zu diesem Zeitpunkt ja eigentlich noch gar nicht.“

„Das war doch was ganz anderes. Habe ich Sandra vielleicht an den Hintern, oder sonst wohin gegriffen?“

„Zumindest nicht in den letzten 1,5 Jahren“, antwortet sie süffisant und in ihren Augen erscheint ein schalkhaftes Funkeln. Ich bemerke, wie Manuel neben mir kurz nach Luft schnappt.

„Hey“, tut er empört.

„Keine Angst Großer, er gehört ganz allein Dir“, lacht sie. Dann holt sie tief Luft, wischt sich nun ebenfalls die Hände ab und erhebt sich. Etwas von Prophet und Berg nuschelnd trottet sie in die Richtung, in die zuvor Johannes verschwunden ist.

„Und jetzt raus mit der Sprache, was hast Du ausgeheckt. Johannes hat Sandra nie und nimmer eingeladen. Also: warum wolltest Du sie hier haben, denn das wolltest Du doch, oder?“, ich sehe Manuel fest in die Augen und gebe ihm damit zu verstehen, dass ich nicht locker lassen werde.

Er rutscht unbehaglich auf seinem Sitz hin und her. „Okay, Du hast recht. Aber wenn ich es Dir erzähle, ist die ganze Überraschung hinüber“, er sieht mich mit diesem speziellen Hundewelpenblick an, den er so perfekt beherrscht, und ich muss unwillkürlich schmunzeln. „Ich möchte Dich nur noch um etwas Geduld bitten. Es ist wirklich nichts Schlimmes, ehrlich!“

Verdammt. Das ist so unfair. Ich kann ihm einfach nicht widerstehen, wenn er mich so ansieht. Ich merke bereits, wie meine Entschlossenheit dahinbröckelt. „Okay“, seufze ich schließlich irgendwann ergeben.

Er beugt sich zu mir und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. „Danke“, entgegnet er lächelnd und widmet sich wieder seinem Essen – ganz so als ob überhaupt nichts gewesen wäre.

Ich schüttle lachend den Kopf und ernte einen gespielt unschuldigen Seitenblick von Manuel.

Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, dass Chris wieder zu uns zurück kehrt. Im Schlepptau hat er den blonden Mann, mit dem er sich vorhin unterhalten hat. Auch sie haben sich mittlerweile am Buffet bedient. Neugierig blicke ich von dem Fremden wieder zurück zu Chris.

„Das ist Max“, stellt Chris ihn uns vor und seine blauen Augen strahlen.

Max? War das nicht der Name des Kerls, der Chris Gefühlswelt komplett durcheinander gebracht hat? Chris entzücktem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, muss er es sein. Ich meine ihn sogar schon einmal gesehen zu haben. Soviel ich weiß, ist er einer unserer Externen.

„Das hier sind Axel und Manuel“, fährt Chris fort.

„Hallo“, wendet sich Max freundlich lächelnd an uns. „Esst ruhig weiter“, ergänzt er schnell, als wir beide fast zeitgleich nach unseren Servietten greifen wollen.

„Hi“, antwortet Manuel. Ich nicke dem Fremden nur freundlich zu, da ich mit Kauen beschäftigt bin.

Ich mustere ihn aus den Augenwinkeln. Er ist hübsch. Ich weiß, dass hübsch nicht gerade ein Attribut ist, mit dem man das Aussehen eines Mannes beschreiben sollte, aber bei Max trifft es nun einmal zu: klein, zierlich, hellblondes Haar, schokoladenbraune Augen, gebräunte Haut, volle sinnliche Lippen und... Sommersprossen.

Chris und Max sitzen noch nicht einmal richtig, als sie auch schon eine angeregte Unterhaltung beginnen. Sie scheinen ihre Umwelt vollkommen ausgeblendet zu haben. Es ist selbst als Außenstehender deutlich sichtbar, dass sie sich mehr als nur sympathisch sind. Ich weiß, dass ich nicht lauschen sollte, aber die beiden sitzen mir nun einmal direkt gegenüber. Es ist wirklich schwer das Gespräch nicht mitzubekommen.

„Seit wann machst Du das schon?“, fragt Chris interessiert und bricht gleichzeitig ein Stück seines Baguettes ab.

„Seit gut zwei Jahren“, antwortet ihm Max zwischen zwei Bissen.

„Ich war wirklich mehr als überrascht, Dich vorhin am Buffet stehen zu sehen“, meint Chris. „Aber angenehm überrascht“, ergänzt er augenzwinkernd. Spätestens jetzt bin ich davon überzeugt, dass es sich bei Max um den Mann handelt, von dem Chris unentwegt schwärmt.

„Danke“, antwortet Max lächelnd und ich meine eine zarte Röte auf seinen Wangen erkennen zu können. „Ich freue mich auch. Ich hätte nicht gedacht, dass ich Dich je wieder zu Gesicht bekomme“, ergänzt er, fast schon wehmütig.

Chris lacht kurz auf, bevor er erwidert: „Ja, das hätte ich auch nicht gedacht.“ Dabei sieht er Max so verliebt an, dass ich beinahe laut auflachen muss.

„Und? Hast Du schon alles Wissenswertes über Max in Erfahrung gebracht?“, neckt mich Manuel flüsternd. Er kennt mich einfach. Er weiß, wie gerne ich Menschen beobachte.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Max der Kerl ist, von dem Chris in letzter Zeit immer schwärmt. Du musst Dir nur einmal anschauen, wie er den Kleinen ansieht“, antworte ich ebenso leise wie überflüssig, denn die beiden bekommen ohnehin nicht mit, was um sie herum geschieht.

„Kennst Du ihn?“, will Manuel wissen.

„Nein, aber ich habe ihn schon ein paarmal gesehen. Er arbeitet hier“, antworte ich, „allerdings nicht als Angestellter. Er ist einer der Externen. Die kommen für gewöhnlich zweimal im Monat zu irgendwelchen Meetings“, erkläre ich.

„Netter Zufall“, grinst er.

„Oh ja“, schmunzle ich. „Ich würde mir gerne nochmal was vom Buffet holen, sofern die Geier noch etwas übrig gelassen haben“, schlage ich vor. „Kommst Du mit?“

Manuel nickt nach einem amüsierten Seitenblick auf Chris und Max. Wir lassen uns extra viel Zeit aber als wir an unseren Tisch zurückkehren, sitzen die beiden nahezu unverändert auf ihren Stühlen und sehen sich verliebt an. Sehen Manuel und ich eigentlich ebenso aus, wenn wir die Köpfe zusammen stecken?

Ich werde von Manuel abgelenkt, als dieser sich suchend im Speiseraum umsieht und anschließend stirnrunzelnd auf seine Armbanduhr schielt.

„Was ist?“, frage ich.

„Ich mache mir langsam etwas Sorgen um Sandra und Johannes“, entgegnet er und sieht angestrengt in die Richtung, in die die beiden vor fast einer halben Stunde verschwunden sind.

„Ich glaube nicht, dass wir uns um sie sorgen müssen“, erwidere ich und ernte einen skeptischen Blick von Manuel. „Aber wenn Dir wohler dabei ist, können wir sie suchen gehen.“

„Geben wir ihnen noch ein paar Minuten, aber wenn Sie in ...“, er blickt noch einmal auf seine Uhr, „sagen wir in einer viertel Stunde nicht zurück sind, sehen wir nach ihnen.“

„Okay“, antworte ich. Im gleichen Moment tritt mein Chef zu uns an den Tisch. Er nickt Manuel und mir kurz freundlich zu, wendet sich dann jedoch sofort den beiden anderen am Tisch zu.

„Hallo ihr zwei, ich sehe, ihr kennt euch bereits?“, neugierig blickt er zwischen Chris und Max hin und her.

Man muss nicht Psychologie studiert haben, um zu merken, dass sich Max bei Ralph Gärtners plötzlichem Auftauchen etwas unbehaglich auf seinem Stuhl windet. Obwohl eine gewisse Vertrautheit zwischen Gärtner und Max zu bestehen scheint, macht Max keinesfalls den Eindruck, als ob er ausgerechnet mit meinem Chef sich gerne darüber unterhalten möchte, wie Chris und er sich kennen gelernt haben.

Gespannt lausche ich der Geschichte, die ich bereits von Chris mehr als nur einmal gehört habe. Katrins Kater Carlos ist vor einigen Tagen durch eine kleine Unachtsamkeit über den Balkon getürmt. Keine zwei Tage später tauchte er bei Max auf und hat sich sofort mit dessen Katze angefreundet. Max hat beide friedlich schlafend in seinem Bett vorgefunden. Am nächsten Tag hatte er über seinen Tierarzt den Halter des fremden Tieres erfahren und sich mit ihm in Verbindung gesetzt. Kaum eine Viertelstunde später standen Chris und Katrin vor Max Tür. Seitens Chris muss es wohl fast so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gewesen sein.

Als Max seine Erzählung beendet hat, lacht Ralph Gärtner laut auf und meint: „Sieh an, sieh an, Socke hat sich also einen Kater zugelegt und ihn auch gleich mit ins Bett geschleppt.“ Danach senkt er seine Stimme und fügt noch etwas hinzu, das ich jedoch nicht verstehen kann, kichert anschließend und wackelt bedeutungsvoll mit seinen Augenbrauen.

Max schnappt kurz nach Luft und starrt meinen Chef mit hochrotem Kopf wütend an. Dieser zeigt sich von Max aufgebrachtem Blick wenig beeindruckt, klopft ihm kurz freundschaftlich auf die Schulter und verabschiedet sich grinsend mit den Worten: „Man sieht sich.“

Sichtlich nervös rutscht Max auf seinem Stuhl herum. Schließlich räuspert er sich und stammelt: „Er ... er ist sehr direkt, war er schon immer.“ Dabei schiebt er seine Unterlippe eine Idee nach vorne. Ich kann verstehen, dass Chris so vernarrt in ihn ist, Max ist wirklich niedlich. Was denn? Natürlich darf ich ihn niedlich finden, das heißt doch noch lange nicht, dass ich irgendwelchen Unsinn anstellen würde. Manuel ist und bleibt mein Ein und Alles!

„Ja, das schätze ich aber an ihm. Er lässt keinen Raum für Spekulationen. Man weiß immer direkt, woran man ist“, erwidert Chris ruhig. Max hält den Blick gesenkt und spielt nervös an einer Serviette. Plötzlich sieht er auf die Uhr und meint – wenig überzeugend - erstaunt: „Was, schon so spät! Tja, dann gehe ich mal wieder. Ich habe gleich noch einen Termin“, im gleichen Moment springt er auf. Huh... und ich habe immer geglaubt, Manuel wäre der schlechteste Lügner auf Erden.

„Schade“, erwidert Chris mit stoischer Ruhe. „Ich habe mich jedenfalls gefreut, Dich wiederzusehen“, ergänzt er und lächelt Max kurz an.

„Ich mich auch“, bringt Max noch atemlos und etwas traurig hervor. „Bye“, wendet er sich an uns alle und verlässt eiligen Schrittes den Saal.

„Scheiße“, stöhnt Chris und fährt sich mit beiden Händen durch sein schwarzes Haar.

„Oh Himmel“, sage ich, „was hat der Gärtner denn zu ihm gesagt? Er konnte ja gar nicht schnell genug wegkommen.“

„Naja, er hat angedeutet, dass Max schwul ist“, er lacht ungläubig und schüttelt den Kopf.

„Na das ist doch prima“, grinse ich. „Aber klar war das doch eh von Anfang an“, füge ich hinzu.

„So klar fand ich das gar nicht“, meinte Chris.

„Also das habe ja sogar ich gesehen, dass der Kleine total verknallt in Dich ist“, meldet sich Manuel zu Wort.

„Meinst Du?“, fragt Chris hoffnungsvoll.

„Oh ja“, bestätige ich grinsend.

„Und was soll ich jetzt tun?“, will er von uns wissen.

„Gib ihm ein paar Tage Zeit, damit er sich beruhigen kann und ruf ihn dann an. Lad ihn auf ein Bier ein“, schlägt Manuel vor.

Chris lehnt sich grinsend in seinem Stuhl zurück und verschränkt die Hände hinter seinen Kopf. „Ja, ich glaube, genau das tue ich auch.“

Einige Minuten bleiben wir noch sitzen und unterhalten uns über irgendwelche Belanglosigkeiten. Mit Chris ist ohnehin nicht mehr allzu viel anzufangen. Dieses selige Grinsen muss man ihm vermutlich irgendwann aus dem Gesicht meißeln.

Kurze Zeit später stehe ich auf und ziehe Manuel mit mir. „Na komm, lass uns nach Sandra und Johannes sehen. Entweder sie haben sich frustriert in unterschiedliche Richtungen davongemacht, oder – und das glaube ich fast eher – wir finden sie hier irgendwo ... zusammen“, grinse ich.

„Woher willst Du das wissen?“, fragt Manuel nach.

„Ich weiß nicht, ich habe so ein Gefühl“, erwidere ich schmunzelnd.

*



Und ich behalte tatsächlich recht. Mein Gefühl hat mich nicht betrogen. Wir müssen noch nicht einmal lange suchen. Schon am erstbesten Ort, der uns in den Sinn kommt - nämlich ein großer Raum, der sich unmittelbar neben dem Speisesaal befindet und zu einem Art Tanzclub umfunktioniert wurde – werden wir fündig.

Fast eine komplette Seite dieses abgedunkelten Raumes wird von einer riesigen Bar eingenommen, die sich sogar jetzt schon, zu wenig fortgeschrittener Stunde, ganz offensichtlich großer Beliebtheit erfreut, denn nahezu über die komplette Länge verteilen sich Menschen und es ist kaum noch ein freies Plätzchen auszumachen. Auf der gegenüber liegenden Seite wurde ein niederes Podest aufgebaut, auf dem sich neben Schlagzeuger, Keyborder und Gitarrist auch ein Sänger befindet, der in diesem Moment eine langsame Ballade aus den späten 90ern in sein Mikro trällert.

Suchend lasse ich meine Augen über die gefüllte Tanzfläche gleiten und erhasche einen Blick auf zwei mir wohl bekannte Gestalten, die sich eng an einander geschmiegt im Takt des Liedes wiegen. Sandra hat beide Arme um Johannes Hals geschlungen und ihren Kopf an seine Schulter gebettet. Er hält sie nicht weniger fest umschlungen, sein Gesicht tief in ihr Haar vergraben. Oh Mann – endlich!

Ich stupse Manuel kurz mit dem Ellbogen an und deute breit grinsend und hoch zufrieden in Richtung des Paares.

„Na endlich. Ich habe schon befürchtet, wir müssen die beiden zusammen in ein Zimmer sperren und den Schlüssel wegwerfen“, lacht er. Dann reicht er mir eine Hand und sieht mich herausfordernd an: „Darf ich bitten?“

Ich grinse frech zurück und lege meine Hand in die seine. Sanft zieht er mich in seine Arme und wir beginnen uns zum Takt der Musik zu bewegen. Ich gestehe neidlos ein, dass Manuel ein exzellenter Tänzer ist ... okay, bei dieser Art von Tanz muss man kein großer Könner sein, aber selbst bei diesem sanften hin- und herwiegen, erkennt man doch bereits bei den ersten Schritten, ob jemand es versteht, sich im Rhythmus eines Taktes zu bewegen oder eben eher nicht. Und Manuel versteht es, definitiv. Jetzt könnte ich natürlich ganz nebenbei erwähnen, dass unsere Körper ohnehin gut miteinander harmonieren, aber ich denke angesichts des Ortes, an dem wir uns befinden, ist es besser daran vorerst nicht zu denken.

Langsam nähern wir uns Sandra und Johannes. Inzwischen wurde die Ballade von einem etwas schnelleren Stück abgelöst und wir erreichen die beiden in dem Moment, als sich Johannes zu Sandra hinab beugt und ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen drückt.

„Das wurde ja auch mal Zeit“, lache ich ausgelassen und sehe in Johannes verlegenes Gesicht. „Ich freue mich sehr für euch.“

„Dankeschön“, strahlt Sandra und kuschelt sich an Johannes.

Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, wie Manuel etwas nervös erneut auf seine Uhr blickt. Er scheint mit den Gedanken meilenweit weg zu sein. Ich habe eigentlich auch bei ihm sichtbare Freude erwartet. Stattdessen klopft er Johannes fast schon geistesabwesend kurz auf die Schulter und umarmt Sandra flüchtig.

„Was ist los? Möchtest Du etwa schon nach Hause?“, frage ich ihn etwas irritiert.

„Ich? Ach nein“, antwortet er schnell und winkt ab. „Kommt, lasst uns an die Bar gehen, ich geb einen aus“, meint er grinsend. „Grund genug zu feiern haben wir doch sicher, nicht wahr?“

Er wartet eine Antwort erst gar nicht ab, greift nach meiner Hand und zieht mich hinter sich her. Sandra und Johannes bleiben dicht hinter mir. Ich werfe einen kurzen Blick über die Schulter nach hinten und sehe Sandra fragend an. Doch sie zuckt nur mit den Achseln und weicht dann meinem misstrauischen Blick unbehaglich aus. Bei Johannes verhält es sich ähnlich. Seufzend wende ich meinen Kopf wieder nach vorn und ergebe mich meinem Schicksal. Von den beiden würde ich sicherlich auch jetzt noch keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage bekommen, was hier eigentlich gespielt wird.

Manuel kämpft sich zu einem freien Plätzchen an der improvisierten Theke vor und ordert für uns alle etwas zu trinken: je ein Bier für Johannes und mich, ein Glas trockenen Rotwein für Sandra und für sich selbst einen Whiskey... pur. Das trinkt er normalerweise nur, wenn er wegen irgendeiner Sache total durch den Wind ist. Was ist es nur, das er schon den ganzen Abend vor mir verheimlicht und ihm gleichzeitig derart zusetzt?

Bevor ich jedoch überhaupt etwas dazu sagen kann, hat er sein Glas schon in einem Zug geleert, es auf der Theke abgestellt und zieht mich kurz an sich. „Ich bin gleich wieder da“, flüstert er mir ins Ohr. Ich fühle deutlich, wie seine Hand zittert, als er sie kurz in meinen Nacken gleiten lässt und mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund gibt. Dann verschwindet er in der Menge.

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend sehe ich ihm hinterher und drehe mich schließlich zu den beiden anderen um. „Wollt ihr mir denn nicht endlich sagen, was los ist?“, seufze ich. So langsam beginne ich mir wirklich Gedanken zu machen.

„Es ist alles okay Axel“, versucht mich Sandra zu beruhigen. „Ehrlich“, fügt sie aufrichtig hinzu, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkt.

Einen Moment später dringt durch die Lautsprecher eine allzu bekannte Stimme an mein Ohr.

„Hey Leute, dürfte ich für einen Augenblick um eure Aufmerksamkeit bitten?“

Ungläubig stelle ich meine Flasche auf dem Tresen ab und lasse den Blick durch den Raum schweifen. Ich habe mich tatsächlich nicht verhört. Manuel steht gegenüber auf dem niederen Podest zwischen den Bandmitgliedern, das Mikrophon betont lässig in seiner rechten Hand.

„Keine Angst, es wird nicht lange dauern“, fährt er fort und zeigt sein typisches, unwiderstehliches Lächeln, das Weiblein wie Männlein gleichermaßen in seinen Bann zieht. Nahezu alle Augenpaare richten sich augenblicklich erwartungsvoll auf ihn. Die Damen mustern ihn mit unverhohlenem Interesse, die Herren teils anerkennend, teils neidisch.

„Mein Name ist Manuel. Die wenigsten von euch werden mich zwar kennen, aber das ist nicht weiter schlimm. Um mich geht es auch gar nicht, sondern um den Menschen, der mir mehr bedeutet als sonst etwas auf dieser Welt.“

Entzückte, aber auch enttäuschte Blicke bei den Damen, amüsierte bis spöttische bei den Herren.

Er grinst zu mir herüber. „Schatz, kommst Du bitte zu mir?“

Unsicher setze ich mich in Bewegung. Ich fühle unzählige Blicke in meinem Rücken, als ich mich Manuel nähere. Und von einer Sekunde auf die andere weiß ich, was hier gespielt wird. Jetzt ergibt es auch einen Sinn, dass Sandra hier ist, obwohl sie ganz offensichtlich nicht von Johannes eingeladen wurde, zumindest nicht aus freien Stücken. Rein mechanisch setze ich einen Fuß vor den anderen, während ich mein Herz in meinen Ohren dröhnen höre.

Ein Raunen geht durch die Menge. Vereinzelt sind Pfiffe zu hören, hier und da ungläubiges Gelächter. Die meisten jedoch klatschen begeistert in die Hände, viele kennen mich und freuen sich mit mir. Die lautesten Rufe kommen von Sandra, Johannes und auch von Chris. Sogar mein Chef steht lachend in der Menge und nickt mir aufmunternd zu. Na toll, sogar er wusste davon.

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich vor Freude aus dem Häuschen sein oder mich lieber auf dem Absatz umdrehen und mich im hintersten Winkel verkriechen soll. Nicht dass ihr mich falsch versteht: es ist nicht die Aussicht darauf, höchstwahrscheinlich bald ein verheirateter Mann zu sein, das mich abschreckt, sondern vielmehr dass sich Manuel ausgerechnet diese Umgebung hier für seinen Antrag ausgesucht hat.

Sobald ich bei ihm angekommen bin, greift er nach meiner Hand und zieht mich zu sich. Er ist mindestens ebenso aufgeregt wie ich. Ich fühle deutlich, dass seine Hände zittern.

„Axel, seit ich Dich das erste Mal gesehen habe, bin ich Dir verfallen. Vom allerersten Moment an habe ich gewusst, dass Du der Richtige, der Eine für mich bist. Daran haben auch die vergangenen anderthalb Jahre nichts verändert, die ich mit Dir zusammen verbringen durfte, außer, dass meine Liebe zu Dir mit jedem Tag noch stärker wurde. Du bist der Mensch, mit dem ich mein Leben verbringen will, den ich immer an meiner Seite haben möchte und mit dem ich mir wünsche alt zu werden. Deshalb“, er macht eine kurze Pause und holt zitternd Luft, „werde mein Mann“, ergänzt er laut und vernehmlich. Und obwohl er lächelt, sehe ich dennoch eine gewisse Furcht in seinen Augen.

Meine Lungen brennen und mir wird leicht schwarz vor Augen. Erst da bemerke ich, dass ich die ganze Zeit über die Luft angehalten habe. Ich mache einen tiefen Atemzug und trete einen Schritt auf ihn zu. Eigentlich sollte ich ihn dafür, dass er all meine Kollegen in etwas reingezogen hat, das ich in wesentlich intimeren Rahmen hätte gebührend genießen können, ja zappeln lassen. Da ich jedoch die Furcht in seinen Augen nicht länger ertragen kann, schlinge ich stattdessen beide Arme um seinen Nacken und küsse ihn. „Ja, aber tu so etwas niemals wieder, hast Du verstanden?“, knurre ich leise an seinen Lippen, kann jedoch ein Schmunzeln nicht verhindern.

Erleichtert legt er seine Stirn gegen meine. „Ich liebe Dich so sehr“, flüstert er und greift mit einer Hand in seine Hosentasche. Mit der anderen umfasst er die Finger meiner linken Hand und ich fühle, wie er mir etwas Kühles über meinen Ringfinger streift. Dann nimmt er mein Gesicht zärtlich in beide Hände und küsst mich, sanft und liebevoll. Aus den Augenwinkeln erkenne ich, dass auch er mittlerweile einen Ring trägt. Er ist identisch mit meinem eigenen. Er drückt mich noch einmal kurz an sich, bevor er schließlich gelöst in die Menge lacht. Dann zieht er das Mikrophon wieder an seine Lippen und ruft völlig überflüssig: „Er hat ja gesagt!“

Die Menge beginnt zu toben. Von überall her hagelt es Glückwünsche. Allen voran Sandra, die sich mittlerweile durch die Menge zu uns gekämpft hat. Sie legt je einen Arm um mich und Manuel. Ihre Augen glänzen verdächtig.

„Siehst Du, ich habe es Dir doch gesagt, dass Du überhaupt keinen Grund hast Dir Sorgen zu machen“, sagt sie an Manuel gewandt. „Und für Dich gilt das gleiche“, meint sie zu mir und eine einzelne Träne der Rührung rollt über ihre Wange. Lachend wischt sie sie weg und ergänzt: „Und jetzt zeigt mir endlich eure Ringe!“

Der Trubel um uns herum verebbt zum Glück recht schnell wieder. Und so stehen wir eine halbe Stunde später relativ unbehelligt wieder an der Bar. So wahnsinnig interessant scheint Manuels Heiratsantrag für meine Kollegen also nicht gewesen zu sein, als dass sie sich stundenlang darüber auslassen müssten. Ich bin nicht böse drum, im Gegenteil. Im Mittelpunkt zu stehen ist nicht so wirklich mein Ding.

Ich nehme selig vor mich hin grinsend einen Schluck von meinem Bier. Manuels Körper ist direkt hinter mir. Mit einem Arm stützt er sich auf der Theke ab, den anderen hat er um meinen Bauch geschlungen. Ich fühle seinen warmen Atem an meiner Halsbeuge und nahezu augenblicklich schwappt ein wohliger Schauer durch meinen ganzen Körper. Ich schnappe kurz nach Luft und schließe die Augen. Natürlich weiß er ganz genau, was er damit bei mir anrichtet. Das neckende Kitzeln sagt mir, dass er es sogar darauf anlegt. Und mein Körper reagiert nahezu sofort.

Manuel lacht leise und säuselt mir ins Ohr: „Lass uns nach Hause fahren, ich möchte mit Dir alleine sein.“ Gleichzeitig drückt er sich leicht von hinten gegen mich. Er ist erregt, daran besteht nicht der geringste Zweifel.

Ich drehe mich vorsichtshalber zu ihm um. Es ist zwar dunkel und es würde mir sicher nicht jeder gleich in den Schritt starren, aber ich möchte kein Risiko eingehen. Er lacht frech, als er bemerkt, dass er sein Ziel durchaus erreicht hat.

„Was haben wir denn da?“, grinst er anzüglich. „Ich denke, das heißt dann wohl ja, richtig?“

Ich schüttle lachend den Kopf und lasse meine Stirn auf seine Schulter sinken. „Du bist unmöglich – und völlig verrückt, weißt Du das eigentlich?“, nuschle ich liebevoll.

„Ja“, flüstert er ganz nah an meinem Ohr, „verrückt nach Dir. Komm, verabschieden wir uns schnell.“

Doch noch bevor ich mich von Manuel lösen kann, versteift er sich in meinen Armen, von einer Sekunde auf die andere. Ich hebe überrascht den Kopf und sehe in sein Gesicht. Seine Augen haben sich verdunkelt und er sieht starr an mir vorbei. Ein grimmiger Zug liegt um seine Lippen und auf seiner Stirn hat sich diese steile Falte gebildet, die man immer sieht, wenn er angespannt oder gar verärgert ist.

Ich drehe mich etwas in die Richtung, in die Manuel sieht, weiß aber bereits in wessen Gesicht ich gleich blicken werde: Svens.

Manuels Arm umfasst mich noch enger und weist mittlerweile Ähnlichkeiten mit einem Schraubstock auf.

„Hi“, sagt Sven, als er bei uns angelangt ist. Ich meine ein kurzes Aufblitzen in seinen Augen erkennen zu können. Es ist jedoch so schnell wieder verschwunden, dass ich es mir auch durchaus nur eingebildet haben könnte. Vielleicht waren aber auch nur die Diskolichter daran schuld, die passend zum Rhythmus der Musik in unterschiedlichen Farben aufblinken. Mein Chef hat sich dieses Jahr wirklich mächtig ins Zeug gelegt.

„Hallo“, grüße ich und versuche mich möglichst unbeteiligt zu geben. Ich lege eine Hand auf Manuels und streiche mit dem Daumen beruhigend über seine Knöchel.

„Hm“, knurrt er und lässt keinen Zweifel daran, dass er bereit ist, Sven an die Gurgel zu springen, sobald er es auch nur wagen sollte, mich anzufassen. Dass Sven ihn um ein ganzes Stück überragt, scheint ihn nicht im Geringsten zu kümmern.

„Du kannst die Krallen ruhig wieder einziehen Tiger, ich habe meine Lektion gelernt“, gibt Sven ruhig, fast schon ein wenig traurig zurück und wirft mir einen kurzen, unsicheren Blick zu. „Es... es tut mir leid, Axel. Ich habe mich wie ein Idiot benommen. Ich hoffe sehr, dass Du mir das irgendwann verzeihen kannst“, er blickt beschämt zu Boden.

„Mhm“, antworte ich unbestimmt. Ich weiß nicht, was ich sonst dazu sagen soll. Offen gestanden bin ich mit der Situation ein klein wenig überfordert.

„Herzlichen Glückwunsch euch beiden“, sagt Sven irgendwann nach einer ziemlich unangenehmen Pause etwas gepresst. Er hat beide Hände tief in seine Hosentaschen vergraben und sieht im Moment aus wie ein zu groß geratener Teddybär.

„Dankeschön“, bringe ich leise über die Lippen.

Entweder er hat mich nicht gehört, oder er ignoriert mich schlichtweg. „Weißt Du eigentlich, was Du für ein Glückspilz bist?“, wendet er sich wieder direkt Manuel zu, „Pass gut auf ihn auf.“

„Ich weiß“, flüstert Manuel und zieht mich noch näher zu sich heran, „und das werde ich, verlass Dich drauf“, in seiner Antwort schwingt ein drohender Unterton mit.

Sven nickt uns noch einmal kurz zu und ist schließlich nach einem gemurmelten: „Bis dann“, recht schnell verschwunden.

*



Sven konnte die erotische Stimmung, die zwischen Manuel und mir unmittelbar vor seinem Auftauchen herrschte, zwar eindämmen, aber nach seinem Abgang kam sie um so stärker zurück. Nun, auf der Heimfahrt, ist sie fast mit den Händen greifbar. Die letzte Stunde war ein einziges Vorspiel und ich habe auch kaum Gelegenheit mich wieder etwas zu beruhigen, denn Manuels Hand streicht unablässig meinen Oberschenkel entlang. Er tastet sich vor, bis kurz vor meine Mitte und gleitet wieder zurück zu meinem Knie.

„Süßer“, hauche ich, „ich kann jetzt schon kaum noch geradeaus schauen. Wenn Du nicht damit aufhörst, habe ich gleich ein Mordsproblem, wenn ich nicht vorher schon gegen einen Baum gefahren bin“, ich atme zitternd aus.

Manuel lacht leise und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Widerwillig löst er seine Hand von mir und schafft es auch tatsächlich die restliche Fahrt, die Finger bei sich zu behalten.

Als jedoch unsere Haustür ins Schloss fällt, gibt es kein Halten mehr. Weder für ihn, noch für mich. Wie ausgehungerte Wölfe fallen wir übereinander her. Jedes auch noch so kleinste Stück nackte Haut, dessen ich habhaft werden kann, wird berührt, gestreichelt und geküsst. Bereits im Flur beginnen wir, uns gegenseitig auszuziehen. Ungeduldig nestle ich an den Knöpfen seines Hemdes herum und gebe keine Ruhe, bis ich es ihm endlich von den Schultern schieben kann. Achtlos segelt es auf den Fußboden. Andere Kleidungsstücke, sowohl von mir, als auch von Manuel, folgen ihm und bald zieht sich eine Kleiderspur quer durch das ganze Treppenhaus.

Wir sind nahezu nackt, als wir schließlich im Schlafzimmer ankommen und uns atemlos und äußerst erregt aufs Bett fallen lassen.

Sogleich bin ich über ihm und lasse meine Hände hungrig über seinen Körper gleiten. Meine Lippen folgen der Spur, die zuvor meine Finger genommen haben. Ich sauge an seinen Brustwarzen und umspiele sie mit meiner Zunge. Manuel bäumt sich mir erregt entgegen. Dann gleite ich weiter, verharre kurz an seinem Bauchnabel und nehme anschließend direkten Kurs auf seine Mitte.

Zunächst stupse ich nur seine Spitze kurz mit meiner Zunge an und sauge ganz leicht daran. Ich sehe ihm grinsend ins Gesicht, als Manuel hingerissen aufstöhnt und mir einen glutvollen Blick zuwirft.

Die Laute, die seinen Mund verlassen, werden immer lauter und er reckt sich mir ungeduldig entgegen. Irgendwann fühle ich etwas Kaltes an meiner Schulter und blicke überrascht auf. Er hält mir die Tube Gleitgel entgegen, und ich weiß instinktiv, was das bedeutet.

„Liebe mich“, fordert er mich auch gleich darauf keuchend auf.

Ein freudiges Strahlen stiehlt sich auf mein Gesicht. Ich übernehme nicht sehr oft den aktiven Part, deswegen ist es jedes Mal etwas ganz Besonderes. Nicht nur für mich, auch für ihn.

Ich möchte ihm unter keinen Umständen weh tun, deswegen lasse ich mir sehr viel Zeit ihn vorzubereiten, auch wenn ich vor Ungeduld fast wahnsinnig werde. Manuel scheint das ähnlich zu sehen, denn plötzlich packt er mich, zieht mich zu sich hoch und hat uns mit einem Ruck umgedreht, so dass er nun auf meinen Oberschenkeln sitzt.

„Genug gespielt“, knurrt er leise und verteilt etwas Gel auf mir.

Dann setzt er sich mit gespreizten Beinen auf meinen Bauch, beugt sich etwas zu mir vor, stützt sich mit beiden Händen auf meiner Brust ab und rutscht langsam nach hinten. Dabei nimmt er mich Zentimeter um Zentimeter in sich auf, bis er irgendwann aufrecht und schwer atmend auf meiner Mitte sitzt.

Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn. Nicht, weil ich mich körperlich so wahnsinnig anstrengen muss, sondern weil ich verzweifelt versuche nicht die Beherrschung zu verlieren, nicht diesem schier unwiderstehlichen Drang zu erliegen nach seiner Hüfte zu greifen und tief in ihn zu stoßen.

Dann fängt er an sich zu bewegen, lässt zunächst seine Hüfte kreisen, bis wir kurze Zeit später zu einem gemeinsamen Rhythmus finden.

Sein Atem geht immer schneller und zischender. Mit einer Hand streiche ich fahrig seinen Schenkel entlang und mit der anderen halte ich ihn fest umschlossen, imitiere unsere Bewegungen. Ich weiß überhaupt nicht wohin mit all den Empfindungen, die durch meinen Körper peitschen. Er ist so viel mehr als nur mein Freund, Partner oder Liebhaber - er ist mein Leben.

„Gott! Lieb ich Dich“, keuche ich und lege an Tempo zu. Ich halte es einfach nicht mehr länger aus.

Manuel offensichtlich auch nicht, denn nur wenige Sekunden später biegt er seinen Rücken durch und wirft gleichzeitig den Kopf in den Nacken. Seine Augen sind geschlossen, die rotgeküssten Lippen schimmern feucht, weil er sich gerade darüber geleckt hat. Ein heiseres Stöhnen verlässt seine Kehle, während seine Finger sich in mein Fleisch graben. Er stellt dadurch einen derart sinnlichen Anblick dar, dass ich mich nahezu sofort in ihm verströme.

Danach lässt er sich erschöpft auf meine Brust sinken und vergräbt sein Gesicht an meinem Hals. Ich fühle seinen schweren, heißen und schnellen Atem an meiner Haut. Auch ich ringe nach Luft und mein Herz droht aus meiner Brust zu springen. Mit zitternden Händen streiche ich seinen erhitzten und schweißnassen Körper entlang.

„Ich liebe Dich auch. So sehr, dass es fast weh tut“, er hebt den Kopf und unsere Blicke verhaken sich in einander.

Sanft streiche ich eine Haarsträhne hinter sein Ohr und hauche einen Kuss auf seine Nasenspitze. Ich lege eine Hand auf seine Wange und fahre mit dem Daumen die Konturen seiner dunklen Augenbraue nach, bevor ich den Kopf etwas anhebe und sich unsere Lippen zu einem Kuss treffen, der mehr sagt, als es 1000 Worte je könnten.

Ich weiß nicht, wie lange wir in dieser Position verharren, irgendwann lösen wir uns aber doch noch von einander und erst da gleite ich aus ihm. Er lässt sich neben mich auf das Laken sinken und zieht mich eng an sich. Dass wir beide kleben und dringend eine Dusche benötigen, stört uns im Augenblick überhaupt nicht. Wichtig ist nur die Nähe des anderen. Mit einem zufriedenen Seufzen bette ich meinen Kopf an seine Schulter.

Keiner von uns spricht. Aber es ist eine angenehme, genießerische Stille. Eine vertraute Stille. Wir gehören ohnehin nicht zu den Menschen, die sich beim oder nach dem Sex ihre Memoiren erzählen müssen. Und solche Sprüche wie „Na Schatz, wie war ich“ sind nicht nur absolute Romantikkiller, sondern auch völlig überflüssig. Wir kennen uns gut genug, um ganz genau zu wissen, was der andere gerne mag und was ihm eher nicht so gefällt.

Versonnen betrachte ich den schmalen Reif am Ringfinger meiner linken Hand und mein Herz möchte überlaufen vor lauter Glück. Ich blicke zu Manuel auf, der nachdenklich an die Decke starrt.

„Woran denkst Du?“, frage ich ihn und schmuse mit den Lippen über seinen nackten Oberkörper.

Er sieht mich kurz an, richtet jedoch einige Momente später seinen Blick wieder zur Zimmerdecke.

„Ich hatte ganz schön Schiss heute Abend, als ich da oben gestanden bin“, gibt er zögernd zu.

„Das solltest Du auch haben. Ich hätte nein sagen sollen, für all den Rummel, den Du veranstaltet hast.“ Ich bin immer noch etwas verärgert über den Ort, den er für seinen Antrag gewählt hatte. Meine Worte klingen anscheinend harscher, als beabsichtigt, denn er sieht mich erschrocken an.

„Ich ... ich weiß“, stammelt er. „Aber Du siehst diese Leute Tag für Tag und seit der Sache mit Sven ... es ... es tut mir leid. Gott Axel, es tut mir schrecklich leid, ich wollte doch nicht ...“

Mein Ärger ist augenblicklich verflogen und ich ziehe ihn eng an mich. „Hey“, flüstere ich und küsse ihn. „Es ist okay, aber versprich mir bitte, dass Du bei zukünftigen Planungen meine Kollegen außen vor lässt, okay?“ Ich streiche ihm zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Er schließt die Augen und nickt. „Versprochen.“

„Dachtest Du wirklich, ich könnte nein sagen?“, frage ich irgendwann.

„Ich weiß nicht. Ich hatte Angst, dass Du Dir überrumpelt vorkommen könntest. Wir haben zuvor nie über dieses Thema gesprochen. Ich wusste einfach nicht, wie Du dazu stehst. Du warst schließlich vor zwei Jahren noch mit einer Frau zusammen und dann fragt Dich aus heiterem Himmel ein Mann, ob Du ihn heiraten möchtest. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie glücklich und erleichtert ich war, als Du mir geantwortet hast“, er dreht sein Gesicht wieder in meine Richtung und ich sehe den feuchten Schimmer in seinen Augen.

Augenblicklich schiebe ich mich über ihn und halte seinen Kopf mit beiden Händen fest. „Weißt Du denn nicht, wie sehr ich Dich liebe? Weißt Du denn nicht, dass mir das Herz überlaufen möchte, wenn ich Dich nur ansehe oder an Dich denke, was offen gestanden ganz schön häufig vorkommt. Und so ganz aus heiterem Himmel kam Dein Antrag ja nun auch nicht“, ich lächle ihn an.

Ich nehme wohlwollend zur Kenntnis, dass es um seine Mundwinkel kurz zuckt.

„Du bist mein Leben, Manuel. Und auch wenn ich es Dir vorhin vielleicht nicht ganz so deutlich zeigen konnte, bei all dem Trubel um uns herum – ich freue mich wirklich sehr darauf Dein Mann zu werden“, sanft küsse ich seine Nasenspitze, seine Wange und gleite schließlich tiefer bis zu seinem Mund.

Lächelnd schlingt er beide Arme um meinen Körper und drückt mich fest an sich. Und ich ... schließe glücklich und äußerst zufrieden die Augen.

Epilog - Manuel




Etwas hektisch blicke ich nochmals auf das Rezept, das neben mir auf der Arbeitsplatte liegt. Stirnrunzelnd vergleiche ich nun bereits zum gefühlt hundertsten Mal, ob mir auch wirklich kein Fehler unterlaufen ist. Ich hoffe inständig, dass ich nichts vergessen habe. Prüfend gleiten meine Augen über das geschnittene Gemüse ... und gleichzeitig betrachte ich das Chaos, das ich in unserer Küche veranstaltet habe. Hoffentlich bekommt Axel keinen Anfall, denn auch wenn er es sonst mit der Ordnung nicht allzu genau nimmt, ist er, was die Küche betrifft, furchtbar pingelig. Zudem ging der letzte Versuch ihm kulinarisch eine Freude machen zu wollen, furchtbar in die Hose. Die Pfanne konnte man anschließend samt den missglückten Rühreiern in die sprichwörtliche Tonne kloppen. Ich weiß bis heute nicht, wie ich das geschafft habe. Das Haus roch Tage später noch danach. Er hat mir weitere Experimente zwar nicht ausdrücklich verboten, aber doch recht deutlich gemacht, dass die Küche sein Ressort sei und ich mich doch lieber weiterhin darauf beschränken möchte meinen 'Ordnungsfimmel' auszuleben. Seine Worte, nicht meine. Im Grunde hätte ich ihm für diese Äußerung ja böse sein sollen – ich habe keine Putzmacke, ich mag es einfach, wenn es hübsch ordentlich ist. Böse sein konnte ich ihm trotzdem nicht, zumindest nicht länger als ein paar Minuten. Und irgendwie hat er ja auch nicht ganz unrecht... Küche und ich, das passt einfach nicht zusammen. Er ist bei uns der 'Maître de Cuisine', sogar ein richtig guter, das beweisen nicht zuletzt auch meine Klamotten, die an manchen Stellen deutlich enger sitzen, als noch vor einigen Jahren.

Erneut nehme ich die zwei vorbereiteten Backbleche in Augenschein. Zumindest im Rohzustand sieht alles nicht viel anders aus, als bei Axel, das beruhigt mich einigermaßen. Zufrieden stelle ich die Eieruhr auf 35 Minuten und schiebe beide Bleche in den vorgeheizten Backofen. Danach beginne ich die Küche wieder in ihren Urzustand zurück zu versetzen. Wenn ich mich etwas spute, schaffe ich vielleicht sogar alles wieder auf Vordermann zu bringen, bevor Axel nach Hause kommt.

Ich bin gerade dabei, die Spüle trocken zu wischen, als ich das Geräusch der sich schließenden Eingangstür höre. Ich hänge das Geschirrhandtuch an seinen Platz und beiße mir grinsend auf die Unterlippe. Es ist immer noch wie am ersten Tag – das heißt, nein, eigentlich nicht - unser Zusammensein ist sehr viel intensiver geworden, sehr viel vertrauter. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass sich meine Liebe zu Axel noch steigern könnte – doch bei Gott, das hat sie.

Und dann steht er im Türrahmen: verschwitzt, etwas erschöpft aber wie immer einfach hinreißend und unwiderstehlich. Ich überbrücke die kurze Distanz und bleibe vor ihm stehen. Eine Hand lege ich auf seine Wange und gleite zärtlich mit dem Daumen sein Jochbein entlang. Dann ziehe ich ihn an mich, indem ich mit beiden Armen seine Hüfte umfasse. Ein leichter Schweißgeruch geht von ihm aus. Bei jedem anderen Kerl hätte mich das wahrscheinlich abgestoßen, aber bei ihm macht selbst das mich an. Bei ihm fühle ich mich irgendwie immer wie ein wandelndes Sexualhormon, er muss dafür noch nicht einmal etwas tun.

„Hey“, hauche ich in sein Ohr, bevor ich ihn zur Begrüßung sanft küsse. Mein Körper reagiert sofort auf seine Nähe. Gott, lässt das denn niemals nach? Ich bin doch keine 15 mehr!

Er schmiegt sich sofort eng an mich, legt beide Arme um meinen Hals und erwidert meinen Kuss hingebungsvoll. Auch etwas, das ich so wahnsinnig an ihm liebe. Er hat die Gabe sich gänzlich fallen zu lassen und zeigt mir einerseits damit, wie sehr er mir vertraut, andererseits aber auch, wie sehr er die Dinge genießt, die ich so mit ihm anstelle - die wir zusammen anstellen.

„Hm“, brummt er genüsslich als ich mit meiner Zungenspitze über seine leicht salzig schmeckende Halsbeuge wandere und anschließend etwas an diesem verführerischen Stück Haut sauge. Ich weiß, dass ihn das total verrückt macht - und ja, ich leugne es ja gar nicht, ich nutze es schamlos aus, dass seine Haut an dieser Stelle so empfindsam ist. „Hast Du mich etwa vermisst?“, fragt er und seine Stimme klingt dunkel und rau. Er lächelt mich an und seine Augen funkeln wie zwei Aquamarine in der Sonne. Gleichzeitig erscheint dieses sexy Grübchen an seiner linken Wange, das, zumindest bei mir, noch nie seine Wirkung verfehlt hat … so auch heute nicht.

„Kein Bisschen“, antworte ich heiser und sein Lächeln wird noch eine Spur breiter. Jedes Mal, wenn er mich so ansieht, läuft er Gefahr, dass ich ihn mir einfach schnappe und über ihn herfalle. Ich bin ganz vernarrt in dieses Grübchen ... und fast noch mehr in diesen kleinen dunklen Leberfleck, unterhalb seines rechten Auges ... und natürlich in diese Augen, die je nach Gefühlslage einmal dunkel oder auch mal hell leuchten. Vor allem jedoch in seine Stimme, die mich auch jetzt noch, nach all den Jahren die wir nun schon zusammen sind, regelrecht aus den Socken haut. Sie ist tief, wahnsinnig tief und es schwingt stets ein leichtes Vibrieren mit, das einem einen Schauer über den Rücken rieseln lässt. Einer solchen Stimme würde man noch gebannt und andächtig lauschen, selbst wenn sie den Inhalt eines Telefonbuches von sich geben würde. Diese Stimme in den telefonischen Verkauf gesteckt, würde vermutlich einem Eskimo noch einen Kühlschrank andrehen können. Flüssige Zartbitter-Schokolade fällt mir dazu auf Anhieb ein. Die reinste Versuchung!

Bei den nächsten Worten allerdings klingt sie annähernd eine Oktave höher, ganz leicht panisch und kein bisschen sexy mehr.

„Hast Du etwa gekocht?“, mit einem etwas gehetzten Gesichtsausdruck sieht er sich in der Küche um und entdeckt den eingeschalteten Backofen.

„Ja“, antworte ich und schmolle etwas. Nur weil ich einmal eine Pfanne ruiniert habe, muss das doch nicht heißen, dass ich in Bezug auf die Nahrungszubereitung generell lernresistent bin. Na okay, es war seine Lieblingspfanne... aus Gusseisen, mit einer besonderen Legierung und sie war wohl sündhaft teuer.

Hastig löst er sich von mir und öffnet den Backofen. Der Duft von lecker gewürztem Brathähnchen erfüllt sogleich die Küche.

„Das riecht gut“, stellt er verblüfft fest, „und es sieht auch gut aus. Hast Du das wirklich gemacht?“, will er wissen. Er traut mir wirklich überhaupt nichts zu. Ich habe mir doch nicht ohne Grund gerade dieses hundseinfache Rezept ausgesucht.

„Ja“, erwidere ich leicht pikiert und er grinst mich daraufhin frech an... und wieder zeigt er mir dieses hinreißende Grübchen. Eigentlich sollte ich ja beleidigt sein, aber diesem frechen Grinsen konnte ich noch nie widerstehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass er ganz genau weiß, was er damit bei mir anrichtet. Als ob meine Hormone in seiner Gegenwart nicht schon verrückt genug spielen würden.

„Habe ich noch Zeit zu Duschen? Ich stinke wie ein Schwein, im Rechenzentrum ist heute die Klimaanlage ausgefallen und ich habe geschwitzt wie in der Hölle.“

Scheiß auf die Dusche, ich will Dich jetzt!

Ich sage es jedoch nicht. Stattdessen wende ich den Kopf zur Eieruhr. „Du hast eine Viertelstunde“, antworte ich und blicke ihm versonnen hinterher, als er nach einem letzten flüchtigen Kuss aus der Küche verschwindet.

Wenn ich die Intensität, mit der ich Axel liebe, auf einer Skala von 1-10 bestimmen müsste, läge ich vermutlich bei 25 … oder noch höher. Er ist für mich das wundervollste, begehrenswerteste, schönste und liebenswerteste Wesen, das mir je begegnet ist, auch wenn er selbst das wohl eher nicht so sieht. Er beobachtet so gerne die Menschen, kann regelrecht in sie hinein blicken, doch wenn es um ihn selbst geht, ist er blind wie ein Maulwurf. Mit ein Charakterzug, der ihn nur noch liebenswerter macht. Er erkennt nicht die schmachtenden Blicke der Frauen, die auf ihm liegen, wenn wir einmal nicht unter uns sind ... und die lüsternen Männerblicke im Boots, nimmt er ebenfalls nicht wahr. Ich allerdings schon. Ich kenne die meisten dieser Typen besser als mir lieb ist und im Gegensatz zu Axel registriere ich deren gierige Blicke durchaus. Kein Kerl, der noch ganz richtig ist im Kopf, würde einen Mann wie Axel ohne Begleitung dieser Meute überlassen. Ich am allerwenigsten. Axel käme allerdings ohnehin nie auf den Gedanken ohne mich ins Boots zu gehen, also müsste ich mir darüber eigentlich gar keine Gedanken machen - wenn da nicht diese Geschichte mit Sven vor 2,5 Jahren gewesen wäre...

Fast die ganze Abteilung wusste damals von Svens Gefühlen für Axel, nur mein Liebster war natürlich wieder einmal völlig ahnungslos. Es hat durchaus seine Gründe, dass ich Axel den Antrag ausgerechnet bei der Betriebs- Weihnachtsfeier gemacht habe - im Beisein all der Kollegen, mit denen er Tag für Tag zu tun hat, obwohl ich mir dafür eigentlich eine eher etwas intimere Umgebung gewünscht hätte. Ich musste es einfach tun, alleine um allen zu zeigen, dass dieses Juwel ganz allein mir gehört. Ich leugne es ja gar nicht, ich habe mein Revier markiert. Ich glaube, hätte Sven, oder auch jemand anderer, ihn an diesem Abend auch nur angefasst, wäre ich das erste Mal in meinem Leben wirklich handgreiflich geworden. Dabei war ich zuvor eigentlich nie der besitzergreifende Typ. Mit Axel jedoch war von Anfang an irgendwie alles anders.

Ich erinnere mich noch an jeden einzelnen Augenblick, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Meine Güte, ist das alles wirklich schon so lange her? Ich kann kaum glauben, dass seit Carstens 60stem Geburtstag bereits 4 Jahre vergangen sein sollen. Und doch ist so viel geschehen seit dem Moment, der mein Leben vollständig auf den Kopf stellte ...

Eigentlich hatte ich damals so überhaupt keinen Nerv auf Carstens Geburtstagsfeier ... und noch viel weniger aufs Boots. Ich war so ziemlich alles, nur nicht in Partylaune. Irgendwie hatte mich zu dieser Zeit eine seltsame Unruhe und Unlust ergriffen, ich war irgendwie … ja man konnte es fast unzufrieden nennen. Bedingt hatte meine Stimmung vielleicht auch mit dem Tod einer Patientin am Vormittag zu tun. Ich arbeitete zu diesem Zeitpunkt zwar schon seit etlichen Jahren in diesem Altenpflegeheim und auch ich musste irgendwann lernen mit dem Tod umzugehen, dennoch war es diesmal anders. Nicht, dass ich dieser Frau besonders nahe gestanden hätte, zumindest nicht näher als den anderen Patienten, aber ihre Familie hatte sie bewusst sich selbst überlassen, obwohl sie von uns frühzeitig informiert wurde. Das hat mich getroffen, wahrscheinlich mehr, als ich es mir in jenem Moment eingestehen wollte.

Unwillkürlich sah ich mich mit dem Gedanken an meinen eigenen Lebensabend konfrontiert und ich habe mir in diesem Augenblick geschworen, dass ich es niemals soweit kommen lassen wollte. Ich würde es zu verhindern wissen, mich irgendwann einsam und verlassen von dieser Welt verabschieden zu müssen.

Also bin ich Frederick zuliebe eben doch ins Boots – und ich habe es nicht eine Sekunde bereut, im Gegenteil.

Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich eigentlich nie so wirklich an die sprichwörtliche Liebe auf den ersten Blick geglaubt, schon gar nicht, dass sie mir selbst einmal widerfahren könnte. Natürlich gab es die eine oder andere Situation, in der ich fest davon überzeugt war verliebt zu sein, doch das kam und ging, ebenso der damit verbundene Liebeskummer. Heute weiß ich, dass all die Liebeleien damals niemals richtig tief gegangen sind; böse Zungen hätten mich vermutlich als etwas flatterhaft bezeichnet. Das soll jetzt zwar nicht heißen, dass ich alles mitgenommen habe, was mir vor die Flinte kam, aber ich habe auch nicht wirklich etwas anbrennen lassen. Wenn sich mir eine Gelegenheit bot, habe ich sie ergriffen. Sex ist etwas Großartiges, ich liebe es, ich brauche es. Das war schon immer so. Eigentlich sogar von dem Zeitpunkt an, als ich erkannte, dass man mit diesem Ding, das da zwischen meinen Beinen baumelt, ziemlich geile Sachen anstellen kann.

Aber nie zuvor war ich beim ersten Anblick eines Menschen buchstäblich vom Donner gerührt. Nie zuvor hämmerte mein Herz derart laut in meinen Ohren, dass ich befürchtete, dass es mir aus der Brust springen könnte. Nie zuvor habe ich jemanden gesehen und mir sofort gewünscht mein restliches Leben mit diesem einen, ganz bestimmten Menschen zu verbringen.

Und dann öffnete sich die Eingangstür vom Boots, Sandra erschien und hinter ihr genau dieser Mensch - Axel. Und auf einen Schlag brachen all die Gefühle, an die ich in einer solchen Intensität niemals geglaubt hatte, über mich herein. Von diesem Augenblick an war mein sehnsüchtiger Blick Axels ständiger Begleiter, zumindest an jenem Abend.

Natürlich war mir bewusst, dass ich mich hier auf wirklich sehr dünnem Eis bewegte, aber es war wie ein Zwang, ich konnte einfach die Augen nicht von ihm lassen. Ich beobachtete ihn, wie er sich immer wieder nach allen Seiten unsicher umblickte und somit verriet, wie unbehaglich er sich eigentlich fühlte. Ich sah ihm dabei zu wie er aß und sich mit Sandra unterhielt ... nur näher wagte ich mich nicht an ihn heran. Ich hatte regelrecht Panik davor, mich in seiner Anwesenheit zu benehmen, wie ein liebeskranker Volltrottel. Ich war mir sicher, keinen vernünftigen Laut über die Lippen zu bekommen. Gleichzeitig überkam mich eine unendliche Traurigkeit. Wenn es wirklich stimmen sollte, dass man der ganz großen Liebe in seinem Leben nur ein einziges Mal begegnete, dann konnte ich mich wohl getrost erschießen gehen ... denn er spielte ganz offensichtlich nicht nur in einer ganz anderen Liga, obendrein, und das wog noch viel schwerer, war er Sandras Freund.

Ich weiß bis heute nicht, welcher Teufel mich geritten hat, als ich ihm auf die Toilette folgte. Und ich hatte auch bei Gott nicht damit gerechnet, dass sich mein Verstand sofort gänzlich verflüchtigen würde, sobald sich unsere Blicke das erste Mal durch den Spiegel trafen. Es ist mir immer noch schleierhaft, wie ich es geschafft habe, diesem ersten Impuls zu widerstehen, ihn zu berühren, zu schmecken und noch ganz andere Dinge mit ihm zu tun, bei denen er mir im günstigsten Falle nur eine verpasst hätte. Ich finde, dafür habe ich im Nachhinein noch einen Orden verdient!

Nicht so Rob. Der musste Axel ja gleich an den Hintern greifen. Ich wusste in diesem Augenblick nicht, ob ich ihm dafür dankbar sein, oder ihm doch lieber den Hals umdrehen sollte. Zumindest hat Rob mich damit wieder etwas zurück auf den Boden geholt, es hätte sonst unter Umständen vielleicht sehr, sehr peinlich für mich werden können. Es gelang mir auch tatsächlich eine einigermaßen ungezwungene Unterhaltung mit Axel zu führen, vielleicht weil ich mich innerlich immer noch maßlos über Robs unverfrorene Aktion ärgerte und all die anderen Empfindungen dadurch etwas eingedämmt wurden. Allerdings schob Axels Stimme meinen ganzen Ärger nahezu sofort und mühelos wieder zur Seite, besonders, nachdem wir uns die Hände gereicht hatten. Ich scheine wohl doch ein besserer Schauspieler zu sein, als ich immer dachte, anderenfalls hätte Axel sicher bereits zu diesem Zeitpunkt laut schreiend die Flucht vor mir ergriffen.

Ich habe vor ihm die Toilette verlassen. Ob zu seiner oder meiner Sicherheit kann ich nicht so genau sagen, ich traute mir in diesem Augenblick selbst nicht so richtig über den Weg. Mein Lieblings-Plätzchen an der Bar war noch frei. Es befand sich im hinteren Teil vom Boots, etwas versteckt, so dass ich nach vorn eine gute Sicht hatte, selbst aber nicht sofort gesehen werden konnte. Mit Argusaugen verfolgte ich jede von Axels Bewegungen.

„Man Manuel, Du sabberst ja“, erklang plötzlich Robs amüsierte Stimme neben mir. Ich war so vertieft in Axels Anblick, dass ich Rob gar nicht bemerkt hatte.

Ein gequältes Seufzen stieg in meiner Kehle hoch und ich nahm einen kräftigen Schluck von meinem Whiskey. Single Malt. Pur. Genau das, was ich in diesem Augenblick brauchte.

Rob schielte grinsend in mein Glas. „Oha, so schlimm?“

Ich nickte.

„Das Sahneschnittchen von vorhin? Sandras Freund?“ Er sprach Freund auf eine ganz besondere Weise aus, die mich überrascht aufblicken ließ. Er lächelte hintergründig.

„Weißt Du irgendwas, was ich nicht weiß?“, fragte ich ihn.

Er schüttelte immer noch grinsend den Kopf. „Nein, aber ich habe so ein Gefühl“, erwiderte er.

Ich horchte auf. „Was für ein Gefühl denn?“, wollte ich wissen. Auf Robs Radar war eigentlich immer Verlass, er erkannte eine Schwester aus 1.000 Meter Entfernung. Wieder huschte mein Blick zu Axel und Sandra. Sie waren offensichtlich in ein amüsantes Gespräch vertieft. Ich hätte zu gerne gewusst, worüber sie sich gerade unterhielten.

„Ich würde fast meinen Arsch dafür verwetten, dass der einer von uns ist. Ich müsste mich schon arg täuschen, wenn Du ihn nicht geknackt bekommen würdest. Du solltest es wirklich darauf anlegen“, Rob wackelte bedeutungsvoll mit seinen Augenbrauen.

„Gut gemeint, Rob“, gab ich leise zurück und wandte mich wieder meinem Whiskey zu. „Aber selbst wenn Du recht hättest: er ist immer noch Sandras Freund. Ich werde einen Teufel tun, meiner besten Freundin den Kerl auszuspannen!“

„Wie so oft, ist Dir Dein Gewissen im Weg, Süßer“, seufzte er.

„Ich bin nicht wie Du Rob, ich kann das einfach nicht, und schon gar nicht bei Sandra!“ Ich kippte den Rest des Alkohols hinunter und stellte das Glas etwas unsanft auf die Holzoberfläche zurück. Irgendwie ärgerte ich mich über Robs Aussage, auch wenn ich wusste, dass er und Sandra sich noch nie ausstehen konnten. Ich wusste aber auch, dass Rob keinerlei Skrupel hatte, wenn es um eine schnelle Nummer ging. Wenn er jemanden haben wollte, schnappte er sich denjenigen… und wenn seine Beute einen Partner hatte, war das vielleicht ein Grund für ihn, jedoch noch lange kein Hindernis.

Rob musterte mich skeptisch. „Und jetzt ertränkst Du Deinen Kummer in Alkohol?“

„Keine Angst, ich lass mich schon nicht vollaufen, ich trinke mir nur etwas Mut an“, antwortete ich und bedachte ihn mit einem missbilligenden Seitenblick.

„Wofür Mut?“, Rob sieht mich mit nach oben gezogenen Augenbrauen fragend an. „Willst Du ihm einen Heiratsantrag machen?“, fügte er ironisch hinzu.

„Haha“, lachte ich freudlos. „Ich muss da rüber und wenigstens 'Hallo' sagen.“ Ich atmete laut durch die Nase aus, stürzte den Whiskey, den Pascal, der Typ hinter dem Tresen, mir wortlos nachgeschenkt hatte in einem Zug hinunter und glitt von meinem Hocker.

„Viel Glück“, Rob klopfte mir aufmunternd auf die Schulter.

Ich nickte nur und schritt mit klopfendem Herzen auf Axel und Sandra zu.

Ich wusste nicht, womit ich überhaupt gerechnet hatte, als ich an den kleinen runden Tisch trat, an dem sich die beiden niedergelassen hatten, ganz sicher aber nicht damit, dass ich etwa eineinhalb Stunden später das Boots mit Sandras neuer Adresse in der Hosentasche, und einer Einladung zur Wohnungsbesichtigung verlassen würde. Natürlich mit Kaffee und... Axel. Und einem von ihm gebackenen Kuchen. Ich war mir nicht ganz klar darüber, ob ich lachen oder heulen sollte. Wie um alles in der Welt, sollte ich es denn jemals schaffen, mir diesen Kerl aus dem Kopf zu schlagen, wenn er neben all den anderen Dingen, die mich so wahnsinnig zu ihm hinzogen auch noch Süßkram auf den Tisch zaubern konnte? Jeder der mich einigermaßen gut kannte wusste, dass ich mir so Zeug wie Torten, Kuchen, Kekse tonnenweise und mit wachsender Begeisterung in den Mund schaufelte.

Ich überlegte ernsthaft, ob ich Axel und Sandra nicht einfach absagen sollte, klüger wäre es allemal gewesen. Ich sollte mich von diesem Kerl wirklich so fern halten, wie nur irgend möglich. Das hat mich dennoch nicht davon abgehalten am nächsten Tag meinen Bruder zu besuchen, in der leisen Hoffnung, dass vielleicht auch der Traum meiner schlaflosen Nacht da sein würde.

Wie war das doch gleich? Wenn Gott einen bestrafen wollte, erhörte er seine Gebete? Er und Sandra waren nämlich tatsächlich da... und kaum hatte ich Axel erblickt, waren all meine guten Vorsätze beim Teufel.

Natürlich war mir bewusst, dass ich mich völlig irrational verhielt. Es konnte doch nicht sein, dass man einem anderen Menschen von einer Sekunde auf die nächste so sehr verfällt, wie es mir bei Axel passiert ist? Schon gar nicht, wenn man den anderen im Grunde gar nicht kannte. Was wusste ich denn schon von ihm, außer, dass er umwerfend aussah, eine wahnsinnig sexy Stimme hatte, und obendrein noch Backen konnte wie ein junger Gott?

Ich befand mich in einem Stadium, das mich von himmelhoch jauchzend bis hin zu zu Tode betrübt sämtliche Fassetten der Gefühlswelt durchleben ließ – und es machte mich insgeheim fix und fertig. Einerseits wollte ich davonlaufen, so weit mich meine Beine tragen konnten... nur weg von ihm, weg von diesem Blick, weg von diesen widersprüchlichen Signalen, die er aussandte. Andererseits wollte ich nichts lieber als in seiner Nähe sein... eben bei diesem Blick, bei diesen widersprüchlichen Signalen. Wäre Axel schwul, hätte ich diese stille Kommunikation sofort als offenkundiges Interesse gedeutet, aber so? Ich erinnerte mich sofort an Robs Worte am Vortag. Aber selbst wenn es tatsächlich so wäre, wie Rob vermutete, könnte ich es tatsächlich mit meinem Gewissen vereinbaren, den Freund meiner besten Freundin anzugraben? Die Frage war schnell beantwortet: nein! Ich könnte niemals etwas tun, das Sandra verletzten könnte, dafür liebte ich sie viel zu sehr. Wie man es auch drehte und wendete, ich hatte definitiv die Arschkarte gezogen.

Also beschränkte ich mich weiterhin darauf, ihn aus respektvoller Ferne anzuhimmeln, gefangen von diesen Blicken, die er mir immer wieder aus diesen wundervollen blauen Augen zuwarf und völlig hingerissen von dieser Verlegenheit, die er zeigte, als ich eine zugegebenermaßen recht unbedachte Bemerkung über seinen sexy Hintern von mir gegeben hatte, und schließlich gänzlich verzaubert von dieser Stimme, die mir durch Mark und Bein ging. Und er hatte nicht die geringste Ahnung, was er mit all dem bei mir anrichtete.

Ich stellte mir vor, wie es wäre, ihn zu küssen, sanft mit meiner Zunge über seine Lippen zu streichen, ihn zu berühren, ihn zu schmecken ... und vor allem, wie es sich anfühlen würde, wenn diese Stimme mir herrliche Unanständigkeiten ins Ohr flüstern würde – und verfluchte mich in der nächsten Sekunde dafür. Glücklicherweise saß ich am Esszimmertisch und niemand nahm Notiz von meinen ... Problem.

Der Samstag kam schneller als erhofft... oder befürchtet. Welches der beiden Gefühle überwog, konnte ich nicht sagen. Abgesagt habe ich das Treffen natürlich nicht, wie auch, wenn Axel selbst zu diesem Zeitpunkt schon all mein Denken und Fühlen beherrschte.

Als ob es erst gestern gewesen wäre, erinnere ich mich noch daran, wie wahnsinnig aufgeregt ich war, als ich vor Sandras Wohnungstür stand, in dem Wissen, dass ich ihn gleich wieder sehen würde. Das letzte Mal hatte mein Herz an Heiligabend so geflattert, in dem Jahr als ich 6 geworden und ich mir völlig sicher war, dass genau das ferngesteuerte Auto unterm Weihnachtsbaum liegen würde, welches ich mir so sehnlich gewünscht hatte. Nicht einmal bei meinem ersten Date war ich so aufgewühlt. Ein Adrenalinstoß nach dem anderen jagte durch meinen Körper, als ich meine Hand nach der Türklingel ausstreckte.

Axel war schon da, er öffnete mir sogar die Tür und sah mich mit einem solch unwiderstehlichen Glitzern in den Augen an, dass ich ihn am liebsten an die nächste Wand gedrückt und an Ort und Stelle schwindelig geküsst hätte... stattdessen jedoch schenkte ich ihm ein Lächeln, von dem ich hoffte, dass es nicht ganz so verliebt wirkte, wie ich mich fühlte.

Immer wieder bemerkte ich an diesem Nachtmittag Axels Blicke auf mir. Robs Worte wollten mir mittlerweile überhaupt nicht mehr aus dem Kopf gehen und ich fragte mich nicht zum ersten Mal an diesem Tag, ob er nicht vielleicht doch recht mit seiner Vermutung haben könnte. Heterosexuelle Männer bedachten für gewöhnlich Frauen mit derartigen Blicken, aber keinesfalls andere Männer! Es war unverhohlenes Interesse, das mich aus seinen blauen Augen traf, auch wenn Axel sich jedes Mal wie ertappt abwandte, sobald ich ihm in die Augen sah.

Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimmung stetig stieg und sie erreichte ihren Höhepunkt in dem Augenblick, als ich erfahren habe, dass die Beziehung zwischen Axel und Sandra am ehesten mit 'friends with benefits' zu vergleichen war. Sie liebten sich nicht, zumindest nicht als Liebespaar. Ich war zunächst zwar erstaunt, weil ich weder Sandra noch Axel für Menschen gehalten hatte, die sich mit einer solchen Beziehung zufrieden geben würden, aber die Überraschung wich schnell einem sehr viel tiefer liegenden Glücksgefühl, denn das erste Mal durfte ich mir wirklich erlauben zu hoffen.

Meine Zweifel jedoch blieben. Ich hatte nur eine einzige Hürde geschafft, aber der eigentliche Parcours lag noch weit vor mir. Verstohlene Blicke waren eine Sache, ein Anfang... jedoch Lichtjahre von dem entfernt, was ich von Axel wollte. Ich denke, ich fühlte damals schon, dass ich mich bei Axel niemals mit irgendwelchen halben Sachen zufrieden geben könnte, ich wollte alles... und ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich das anstellen sollte.

Eines jedoch wusste ich mit Sicherheit: ich war so verliebt in diesen Kerl, dass ich ihn mir schnappen würde, sollte sich auch nur die geringste Chance ergeben mit ihm zusammen sein zu können.

Die nächste Gelegenheit dafür, kam schneller als gedacht. Axel hatte nämlich angeboten, sich meinen maroden Computer vorzunehmen. Bei mir zu Hause, ohne Sandra als Anstands-Wauwau. Je weiter der Uhrzeiger voranschritt, desto stärker pochte mein Herz gegen meine Rippen. Ich glaube, das war das erste Mal in meinen Leben, dass ich so viel Zeit für meine Garderobe verplempert habe. Ich habe Stunden im Bad und vor dem Kleiderschrank verbracht. Völlig untypisch für mich.

Als es schließlich klingelte, war ich einem Nervenzusammenbruch nahe. Meine Hände waren schweißnass und ich bekam kaum noch Luft. Ich atmete noch zweimal tief ein und wieder aus und öffnete die Tür.

Es hat mich all meine Beherrschung gekostet, ihn nicht einfach an mich zu reißen. Stattdessen habe ich mich in Smalltalk versucht, habe ihm Geschichten über Sandra und mich in unserer Jugend erzählt und konnte doch an nicht anderes denken, als ihn zu küssen. Der Wunsch seinen Mund auf dem meinen zu spüren wurde übermächtig ... und dann … ist es einfach passiert.

Ich kann noch nicht einmal genau sagen, wie es letztendlich dazu kam. In der einen Sekunde habe ich mich noch so wahnsinnig darüber gefreut, weil er meinen Rechner wieder zum Laufen gebracht hat – und in der nächsten lagen unsere Lippen aufeinander ... es war einfach atemberaubend und ich wollte diesen Moment auskosten, so lange es ging. Seine Lippen fühlten sich wunderbar an, viel besser als in jeder meiner Phantasien, sehr viel besser. Und dann konnte ich mich nicht mehr zurück halten, ich musste ihn einfach schmecken. Vorsichtig tastete meine Zunge über seine Lippen und ich machte mich innerlich eigentlich schon darauf gefasst, dass er mich nun rüde von sich stoßen würde. Doch die befürchtete Zurückweisung blieb aus, er zog sich nicht zurück, im Gegenteil, er kam mir sogar entgegen, wenn auch recht zögernd. Ich seufzte angetan in seinen Mund. Ich glaube, er hat keine Ahnung, wie glücklich er mich in diesem Moment gemacht hat.

Sekunden oder auch Lichtjahre später, löste er sich schließlich doch von mir, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass es eher widerwillig geschah. Vielleicht war es aber auch nur Wunschdenken meinerseits, denn ich wollte nicht, dass wir damit aufhören, ich hatte noch lange nicht genug und ich bezweifelte, dass ich jemals genug bekommen würde. Wenn er gewusst hätte, was ich in diesem Moment am liebsten mit ihm gemacht hätte, wäre er wahrscheinlich schon sehr viel früher vor mir davon gelaufen.

Es war ihm deutlich anzusehen, dass sein Verstand kurz davor war, wieder die Oberhand zu bekommen. Das wollte ich unter keinen Umständen zulassen. Ich habe ihn einfach erneut an mich gezogen ... und er ließ es tatsächlich geschehen, dass ich ihn noch einmal küsste. Er hat sich auch nicht gewehrt, als ich ihn sanft aber energisch zum Sofa bugsiert habe. Ich glaube fast, er hatte es gar nicht richtig registriert.

Ein wahnsinniges Glücksgefühl machte sich in mir breit, als ich kurze Zeit später seine Hände in meinem Nacken und dann in meinem Haar gefühlt habe – er sich regelrecht an mich geschmiegt hat. Ich hätte ihn in diesem Moment liebend gern mit Haut und Haaren verschlungen.

Dann war plötzlich alles vorbei. Nie werde ich diesen panischen und ungläubigen Gesichtsausdruck vergessen, oder seine gestammelte Entschuldigung. Ich habe nach ihm gerufen, aber er hat mich nicht mehr gehört – oder wollte es vielleicht auch einfach nicht. Den Bruchteil einer Sekunde zog ich in Erwägung ihm einfach nachzulaufen, aber irgendwie wusste ich instinktiv, dass ich ihn gehen lassen musste, ihm die Möglichkeit geben, über das nachzudenken, was da gerade zwischen uns geschehen war.

Für mich begann dann die bis zu diesem Zeitpunkt schlimmste Zeit meines Lebens. Meine Sinne weigerten sich strikt seinen Geschmack, seinen Geruch, einfach seine ganze Nähe zu vergessen und verlangten unbarmherzig nach mehr. Und selbst wenn ich mir noch so oft die Ohren zuhielt, die Geräusche, die er in seiner Erregung von sich gegeben hatte, hörte ich dennoch. Und bei Gott, er war erregt, ich habe es deutlich gefühlt. Menschen, deren Fortpflanzungsorgane sich außerhalb des Körpers befinden, haben nicht wirklich eine große Chance das zu verbergen.

Ich vermisste ihn schrecklich. Fast zwei quälende Wochen lang, habe ich nichts von ihm gehört, traute mich allerdings auch nicht, den ersten Schritt zu machen, obwohl ich es so sehr wollte. Mehr als einmal stand ich vor seiner Wohnung und war drauf und dran einfach bei ihm zu klingeln, war dann aber doch unverrichteter Dinge wieder nach Hause gegangen. Irgendwie wusste ich, dass ich ihn nicht bedrängen durfte. Er musste von sich aus auf mich zu kommen. Ich musste warten, so schwer mir das auch gefallen ist. Ich war inzwischen das reinste Nervenbündel. Dann, als ich schon fast jede Hoffnung aufgegeben hatte, klingelte mein Handy. Es war Axel. Er wollte reden. Ich machte mich sofort auf den Weg zu ihm und gab ihm somit keine Möglichkeit es sich womöglich doch noch anders zu überlegen. Wo er wohnte, wusste ich ja.

Wenn ich heute so darüber nachdenke, war das eigentlich der Anfang von einem 'uns'. Ab da habe ich mich in einer Beziehung gefühlt, auch wenn mein Süßer und ich hier unterschiedlicher Meinung sind. Als Beziehung betrachtet er heute unser Zusammensein erst ab dem Zeitpunkt, als Sandra und er sich getrennt haben. Ich denke, das liegt daran, dass er ein sehr prinzipientreuer Mensch ist und so nicht das Gefühl haben muss, Sandra mit mir betrogen zu haben, auch wenn das im Grunde wirklich Unsinn ist.

Viel früher, als ich es mir insgeheim erhofft hatte, ist es auch tatsächlich passiert. Nicht, dass wir Sandra betrogen haben, sondern, dass er und sie sich getrennt haben. Eigentlich musste Axel ihr gar nicht viel erklären, sie hat es schon geahnt und ihm auf den Kopf zugesagt, was mit ihm los ist. Frauen scheinen da so eine Art sechsten Sinn zu haben. Was jedoch viel bemerkenswerter war: sie hat vollkommen locker reagiert. Jede andere Frau hätte Zeter und Mordio gebrüllt, wenn sie wegen eines Mannes verlassen worden wäre. Sie jedoch hat uns anstatt Anschuldigungen oder Vorwürfen ihren Segen und vor allem ihr Verständnis gegeben.

Die darauf folgende Nacht haben wir gemeinsam verbracht... die erste von vielen und ich war einfach nur ... glücklich. Wir schliefen nicht miteinander, aber das war irgendwie ... zweitrangig. Ich weiß, ein seltsames Eingeständnis aus meinem Munde, aber es stimmt. Bei keinem anderen hätte ich mich mit dem bisschen Gefummel zufrieden gegeben, aber bei Axel war selbst das der Himmel auf Erden. Von Mal zu Mal schien es ihm weniger auszumachen, dass ich ein Mann bin und er ließ mich deutlich spüren, dass ich ihm etwas bedeutete. Nur gesagt hat er es nicht, auch wenn ich mir das noch mehr wünschte, als mit ihm zu schlafen.

Jede einzelne Sekunde, die ich mit ihm zusammen sein konnte, habe ich genossen. Diese Tage waren bis dahin die glücklichsten in meinem Leben. Es fühlte sich wirklich so an, als ob wir ein richtige Paar wären. Wir sind gemeinsam zum Einkaufen und er hat es sogar zugelassen, dass ich eine Zahnbürste bei ihm deponierte. In dieser Zeit hatte ich auch begonnen meine Spätschichten zu hassen, denn sie bedeuteten, dass wir weniger Zeit miteinander verbringen konnten.

Dann geschah etwas, das meinen Hoffnungen einen herben Schlag versetzte. Es war Samstag. Wie schon die Nächte davor, hatte ich auch diese bei Axel verbracht. Am Morgen rief Axels Mutter an. Er war gerade auf dem Weg zur Dusche, deswegen hatte er mich gebeten, ans Telefon zu gehen. Ich weiß nicht, was ich genau erwartet hatte, aber insgeheim hatte ich gehofft, dass er gegenüber seiner Mutter zugeben würde, dass ich sein Freund bin, denn als nichts anderes sah ich mich. Sie war natürlich neugierig und wollte wissen, wer ich sei. Doch anstatt ihr die Wahrheit zu sagen, gab er mich als einen seiner Arbeitskollegen aus, der momentan zu Hause Stress hätte und einen Platz zum Übernachten brauchte. Ich fühlte mich in diesem Augenblick einfach… schäbig … wie jemand, der so furchtbar war, dass man ihn vor aller Augen verstecken musste. Es hat mich verletzt, sehr sogar ... so sehr, dass ich einfach gegangen bin, ihn alleine in seiner Wohnung zurück ließ.

Den Weg nach Hause nahm ich nur durch einen Tränenschleier wahr. Ich war furchtbar enttäuscht und es tat einfach nur wahnsinnig weh. Ich wusste nicht, ob ich noch länger dazu bereit war, mich zu verstecken. Was war denn falsch daran, auch offiziell derjenige sein zu wollen, der man doch heimlich schon längst war, nämlich der Mann an Axels Seite.

Mittlerweile ist mir klar, dass Axel sich natürlich nicht ohne jegliche Vorwarnung gegenüber seiner Mutter ausgerechnet am Telefon outen konnte oder wollte ... aber in jenem Moment dachte ich nicht rational. Ich wollte meinen Schmerz in die Welt hinaus schreien. Dafür herhalten musste letztendlich Rob, auch wenn ich viel lieber zu meinem Bruder gerannt wäre. Doch der schied aus gegebenem Anlass aus, denn Frederick wusste zum damaligen Zeitpunkt noch nichts von Axel und mir. Auch wenn es vielleicht albern klingen mag, aber mich hätte das schlechte Gewissen geplagt, wenn ich ohne Axels Einverständnis mit meinem Bruder über unser ... Verhältnis gesprochen hätte.

Zu Rob hingegen hatte Axel keinen direkten Bezug, wenn man mal die kleine Handgreiflichkeit auf der Herrentoilette im Boots außer Acht ließ ... und ich kannte Rob, er hätte sich eher die Zunge abgebissen, als das auszuplaudern, was ich ihm anvertraute.

Rob wartete bereits auf mich. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er neben der Eingangstür an der Hauswand. Noch bevor ich überhaupt etwas sagen konnte, hatte er sich schon von der Wand abgestoßen und mir einen Arm um die Schultern gelegt.

„Na komm, lass uns erstmal nach oben gehen“, schlug er sanft vor, bevor sich meine Augen erneut mit Tränen füllen konnten. Er wusste ja eigentlich noch gar nicht, was überhaupt passiert war. Viel hatte ich vorhin am Telefon nicht gesagt, er hatte sich dennoch sofort auf den Weg gemacht.

Rob und mich verband schon immer eine eher etwas seltsame Freundschaft. Es konnte sein, dass wir monatelang nichts von einander hörten, trotzdem waren wir in Krisensituation für einander da und das hat sich bis heute nicht geändert.

Ich nickte nur und schloss die Haustür auf. Kurz bevor wir meine Wohnung betraten, drehte ich mich zu ihm um.

„Danke“, sagte ich schlicht und machte ihm Platz, damit er vor mir eintreten konnte.

„Schon okay“, meinte er und musterte mich kritisch. „Das Sahneschnittchen, vermute ich?“

Ich schluckte den Kloß hinunter, der sich schon wieder in meinem Hals bilden wollte und nickte stumm. Wir waren mittlerweile in meinem Wohnzimmer angekommen und ich ließ mich seufzend in die Polster meines Sofas sinken. „Magst Du etwas zu Trinken?“, fragte ich.

„Ja, ein Bier… bleib sitzen, ich weiß ja, wo es steht“, wehrte er ab, als ich mich wieder erheben wollte. „Soll ich Dir was mitbringen?“

Kurz überlegte ich und nickte schließlich.

„Das Übliche?“ Rob wartete meine Antwort erst gar nicht ab und kam kurz darauf mit einen Glas Whiskey in der linken und einer Flasche Bier in der rechten Hand wieder zu mir zurück.

Dankend nahm ich das Glas entgegen, stellte es vor mich auf den Tisch, drehte es einige Male um seine eigene Achse und nippte schließlich daran. Die ganze Zeit über spürte ich Robs fragenden Blick auf mir. Ich holte tief Luft und begann langsam und stockend zu erzählen. Ich ließ nichts aus. Dass Axel und ich uns geküsst hatten, wusste Rob schon. Er hatte aber keine Ahnung von dem, das danach passierte. Anstatt jedoch überrascht zu sein, schmunzelte er, als ich ihm erzählte, dass sich Axel und Sandra getrennt hatten und ich quasi bei Axel eingezogen war, oder zumindest in meiner eigenen Wohnung nur noch selten anzutreffen war.

„Da hat sich ja einiges getan“, erwiderte er nach einer Weile. „Und ich freue mich, dass auf mein Radar nach wie vor verlass ist“, ergänzte er grinsend.

„Ja, richtig toll, dass Du mal wieder recht hattest – nur wie bitteschön bringt mich das jetzt weiter?“, gab ich etwas unwirsch zurück.

„Hast Du ihn eigentlich je gefragt, wie er sich das mit euch beiden in Zukunft so vorstellt?“ Meine vorherige Äußerung überging er einfach.

„Nein“, seufzte ich.

„Warum nicht?“, wollte er wissen.

Ich zuckte mit den Achseln.

„Du hast Schiss ihn um eine Entscheidung zu bitten, richtig?“, fragte er vorsichtig.

Rob hatte recht, in beiderlei Hinsicht. Einerseits, dass Axel sich entscheiden müsste und dass ich genau davor wirklich unglaubliche Angst hatte. Aus diesem Grunde war ich mir auch sicher, dass ich es letztendlich doch nicht tun würde. Was wäre denn, wenn Axel sich gegen mich entscheiden würde? Gefühlsmäßig steckte ich schon viel zu tief in dieser Geschichte, als dass ich jetzt überhaupt noch dazu fähig war, einen Rückzieher zu machen. Vielleicht war Axel einfach noch nicht so weit, um anderen und wahrscheinlich auch sich selbst gegenüber einzugestehen, dass er nicht ganz so hetero war, wie er es all die Jahre angenommen hatte. Hatte ich denn überhaupt das Recht dazu, ihn derart zu bedrängen? Dabei war es doch völlig überflüssig, auch nur darüber nachzudenken, ich hatte ohnehin keine Wahl, denn ich wusste im Grunde ganz genau, dass ich mich auch weiterhin mit ihm treffen würde, sofern er mich nach dieser Szene in seiner Wohnung überhaupt noch haben wollte... selbst wenn Axel mich auch weiterhin versteckt hielt. Heimlich mit ihm zusammen zu sein war immer noch um Welten besser, als ganz auf ihn verzichten zu müssen.

Irgendwann nach unserem Gespräch ist Rob dann gegangen. Nur ganz kurze Zeit danach klingelte es an meiner Wohnungstür. Im festen Glauben Rob wäre zurückgekehrt, um mich doch noch dazu zu bewegen Axel zu einer Entscheidung zu zwingen, setzte ich bereits zu einer Verteidigungsrede an. Aber es war nicht Rob, der aufgebracht und heftig atmend an mir vorbei in meine Wohnung stürmte, mit zu Fäusten geballten Händen ... bereit jederzeit auf etwas oder jemanden einzuschlagen. Axel und Rob mussten sich im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig die Türklinke in die Hand gegeben haben und erst, als mir Axel Robs Namen fast schon vor die Füße gespuckt hatte, erkannte ich, was seine Körpersprache fast schon überdeutlich verriet: Eifersucht. Axel war eifersüchtig. Auf Rob. Dieses warme Gefühl, das sich daraufhin in meiner Brust breit machte, war unbeschreiblich. In diesem Moment wusste ich einfach, dass wir es zusammen schaffen würden, ganz egal, wie viele Stolpersteine das Leben noch für uns bereithielt.

Und dann kam dieser Freitag, dessen Beginn nicht einmal ansatzweise verriet, wie wundervoll er werden würde. Seit unserem Streit waren fast zwei Wochen vergangen und nun lag ein arbeitsfreies Wochenende vor uns, das wir gemeinsam verbringen wollten. Ein ganzes Wochenende – nur Axel und ich.

Schon als ich nach meiner Spätschicht aus dem Hinterausgang des Pflegeheims trat, erkannte ich ihn und sein Auto im matten Schein der Parkplatzbeleuchtung. Augenblicklich stahl sich ein glückliches Lächeln auf mein Gesicht.

„Ist er das?“, der Blick meiner Kollegin Maria huschte von meinem Gesicht zu dem schwarzen BMW auf dem Parkplatz und wieder zurück zu mir.

Ich vergrub vor Freude meine Zähne in meine Unterlippe und nickte.

„Hach, junge Liebe. Na dann, ein schönes Wochenende und treib es nicht zu wild“, kicherte sie und sah mich bedeutungsvoll an.

„Ich doch nicht, Du kennst mich doch!“, antwortete ich gespielt empört und wandte ihr den Rücken zu. So gern ich mich auch mit ihr unterhielt, meine Prioritäten lagen in dem Moment eindeutig bei dem Mann auf dem Parkplatz.

„Eben, drum“, lachte sie. „Na los, geh schon, Du kannst es ja kaum erwarten“, ergänzte sie und winkte mir kurz zu, bevor sie in die andere Richtung verschwand.

Ich widersprach ihr nicht und schenkte ihr zum Abschied ein dankbares Lächeln, bevor ich fast schon gemächlich auf das Auto zuging, obwohl ich doch viel lieber einen schnellen Spurt hingelegt hätte. Ich ließ Axel keine Sekunde aus den Augen - und auch wenn ich in der Dunkelheit nur seine Silhouette erkennen konnte, wusste ich doch ganz genau, dass er jeden meiner Schritte beobachtete.

Ich öffnete die Beifahrertür und ließ mich auf den Sitz sinken. Die Tür glitt hinter mir ins Schloss und fast gleichzeitig griff ich mit der anderen Hand in Axels Nacken und zog ihn an mich. Er kam mir bereits entgegen und unsere Lippen fanden sich zu einem hungrigen, nicht enden wollenden Kuss. Ein erregtes Keuchen drang aus meiner Kehle, als Axel sich eng an mich schmiegte.

„Ich liebe Dich“, flüsterte ich in sein Haar. Ich wusste, dass er meine Worte nicht erwidern würde, aber ich musste es einfach sagen, diese Worte lagen mir schon viel zu lange unausgesprochen auf der Zunge und der Moment erschien mir perfekt dafür.

Er hob den Kopf und sah mir in die Augen. Sein Mund verzog sich zu einem glücklichen Lächeln, man sah ihm deutlich an, wie sehr er sich über meine Worte freute. Er öffnete den Mund und für einen winzigen Augenblick glaubte ich fast, dass meine stummen Gebete erhört worden wären. Aber sein Mund schloss sich wieder und der Moment verging.

„Lass uns nach Hause fahren“, schlug er leise vor und drückte mir einen letzten Kuss auf den Mundwinkel, bevor er den Wagen startete.

Er lenkte das Auto geschickt durch den abendlichen Straßenverkehr. Seine Hand lag locker auf meinem Oberschenkel und verließ mein Bein nur dann, wenn er einen Gang hoch oder runter schalten musste. In Momenten wie diesen wünschte ich mir ein Auto mit Automatik-Schaltung. Ich legte meine Hand auf die seine und streichelte zart mit dem Daumen über seine Knöchel.

Wir unterhielten uns zwar über Belangloses, dennoch war die Stimmung irgendwie ... verändert. Es hing etwas Großes, Wunderbares in der Luft, das man fast mit den Händen greifen konnte. Vielleicht lag es daran, dass ich ihm nur wenige Minuten zuvor meine Liebe gestanden hatte ... aber vielleicht hatten wir auch einfach nur die nächste Stufe unserer Beziehung erreicht. Wie auch immer, es war perfekt und ich genoss es in vollen Zügen.

Die Fahrt dauerte nicht lange und so kamen wir schon kurze Zeit später bei Axels Wohnung an.

Ich folgte ihm schweigend die Treppe nach oben und lehnte mich von innen gegen die Wohnungstür, nachdem ich sie hinter uns geschlossen hatte.

„Hast Du Hunger?“, wollte er wissen und schlug schon den Weg in Richtung Küche ein.

„Ja, aber nicht auf was Essbares“, antwortete ich ehrlich und meine Stimme zitterte vor unterdrückter Erregung.

Er blieb abrupt im Rahmen der Küchentür stehen und wandte sich langsam zu mir um. In seinen Augen blitzte es kurz auf, bevor er auf mich zutrat, die Hände auf meine Hüften legte und seine Lippen auf die meinen presste. Mit einem entzückten Aufkeuchen legte ich meine Arme um seinen Hals und zog ihn näher. Stürmisch nahm ich von seinem Mund Besitz und schob meine Zunge gierig zwischen seinen Lippen hindurch. Er kam mir mit Feuereifer entgegen und ich fühlte mittlerweile eine unglaubliche Hitze in mir aufsteigen.

Längst schon hatten sich meine Hände unter sein Shirt verirrt und auch er versuchte mit zitternden Fingern mein Hemd aufzuknöpfen. Ich hielt kurz inne, löste mich von ihm und zog ihn hinter mir her ins Schlafzimmer. Er folgte mir widerstandslos und ließ sich von mir auf das breite Doppelbett schubsen. Ich sah auf ihn hinab. Sein Shirt war nach oben gerutscht und gab den Blick auf seinen schlanken Bauch mit dem Streifen samtweicher dunkler Haare frei, der sich nach unten zog und schließlich unter dem Bund seiner Hose verschwand. Sein Brustkorb hob und senkte sich, als ob er gerade einen Marathon hinter sich gebracht hätte. Seine Jeans spannte sich über seinen Schritt, man konnte deutlich sehen, wie erregt er war. Er sah einfach nur... wunderschön aus. Dann sah ich in sein Gesicht und ein hungriger Blick aus tiefblauen Augen traf mich.

Mir blieb sprichwörtlich jedes Wort im Hals stecken. Nie zuvor habe ich etwas gesehen, das atemberaubender war als Axel in jenem Augenblick. Auch heute noch haut mich dieser Anblick jedes Mal regelrecht um, obwohl ich mich ja eigentlich nach all den Jahren daran gewöhnt haben sollte.

„Schlaf mit mir“, wisperte er so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte.

„Was?“, keuchte ich immer noch nach Atem ringend und ich dachte erst mich verhört zu haben.

„Schlaf mit mir“, wiederholte er, diesmal lauter und auch bestimmter. „Ich möchte endlich wissen, wie es ist, mit einem Mann zu schlafen – oder vielmehr wie es ist, mit Dir zu schlafen.“

Seine Stimme vibrierte mit jedem seiner Worte und löste damit die reinste Kettenreaktion aus. Mein ganzer Körper stöhnte entzückt auf. Meine Selbstbeherrschung fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. So erregt wie noch nie in meinem Leben, beugte ich mich über ihn und ließ mir auch noch das letzte bisschen Verstand wegküssen.

Am nächsten Tag fühlte ich mich wie auf Wolke Sieben. Unzählige Male hatte ich mir ausgemalt, wie es vielleicht sein würde … aber all meine Phantastereien kamen noch nicht einmal annähernd an die Realität heran. Es war … unbeschreiblich. Entweder Axel war ein absolutes Naturtalent oder ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht die geringste Ahnung von wahrer Liebe. Vielleicht ein bisschen von beidem. Eines war jedoch sicher: ich wollte keinen Tag mehr ohne ihn sein. Mir war danach, mein Glück in die ganze Welt hinaus zu schreien und in diesem Moment war ich mir absolut sicher, dass nichts dieses Hochgefühl trüben könnte.

Dann rief Sandra bei Axel an. Wir waren gerade mit dem Mittagessen fertig. Frederick versuchte mich wohl schon seit einigen Tagen zu erreichen – erfolglos … was nicht wirklich verwunderlich ist, denn der Akku meines Handys war längst leer und das Ladekabel lag irgendwo in meiner Wohnung, in der ich bestimmt seit einer Woche nicht mehr gewesen bin. Wie auch immer ... Sandra teilte uns jedenfalls mit, dass mein Bruder uns drei, also Sandra, Axel und mich zum Grillen für den nächsten Tag eingeladen hatte.

Axel sagte zwar zu, aber ich bemerkte nahezu sofort eine Veränderung an seinem Verhalten. Er war nervös, sehr nervös sogar. Er wich meinem besorgten Blick aus und schien sich erst dann wieder einigermaßen zu beruhigen, nachdem ich Sandra versprochen hatte, sie abzuholen. Auch wenn Axel nicht darüber sprechen wollte, so wusste ich doch insgeheim, was ihm zu schaffen machte: außer Sandra und Rob wusste niemand etwas von uns ... auch Frederick nicht. Bisher hatten wir uns immer mehr oder weniger in seiner Wohnung versteckt, unsere ganze Liebesbeziehung lief im Geheimen ab... aber nun würden wir Frederick und Carsten gegenüber treten. Man musste nicht Psychologie studiert haben, um zu erkennen, wie sehr Axel das zusetzte. Ich wollte mir meine Enttäuschung zwar nicht anmerken lassen, aber es war dennoch wie ein Schlag ins Gesicht. Frederick war doch mein Bruder, ausgerechnet ihm sollte ich doch nicht verheimlichen müssen, dass Axel es war, den ich über alles liebte.

Wie erwartet, war das Grillfest bei meinem Bruder ein einziger Alptraum. Axel hatte keinerlei Anstalten gemacht Frederick die Wahrheit zu sagen... also habe ich mich ebenfalls zurück gehalten, obwohl es sich furchtbar falsch angefühlt hat. Ich konnte und wollte es einfach nicht verstehen… Frederick war doch einfach nur mein Bruder… ich habe doch nicht von Axel verlangt, sich auf den Marktplatz zu stellen, mit einem Schild um den Hals auf dem stand: ‚Ich bin schwul!’ ... ich wollte doch einfach nur meinen einzigen Bruder nicht mehr länger belügen müssen.

Doch je länger der Abend voranschritt, desto mehr festigte sich die Gewissheit, dass wir an einem Punkt angekommen waren, an dem es so nicht weitergehen konnte. Vielleicht hätte ich all das besser ertragen können, wenn ich wenigstens gewusst hätte, dass Axel mich liebt … konnte ich mir denn seiner Gefühle mir gegenüber sicher sein? Gesagt hatte er es nämlich nie. Ich wusste doch im Grunde gar nicht, woran ich bei ihm war. Liebte er mich und hatte einfach Angst schwul zu sein, wobei daran ja im Grunde kein Zweifel mehr bestand, wenn man besah, was wir im Bett so miteinander trieben – oder liebte er mich einfach nicht?

Ich hatte es irgendwann einfach nicht mehr ausgehalten und ihn gefragt, dort in der Küche, bei meinem Bruder ... und in diesem Augenblick wurde mir klar, dass die Schonzeit zu Ende war. Auch wenn es mir insgeheim widerstrebte, aber ich musste Axel in genau diesem Augenblick unter Druck setzen, ihn dazu bringen entweder zu mir zu stehen, oder mich aufzugeben. Ich musste endlich wissen, was er für mich fühlte … diese Ungewissheit machte mich fertig.

Sein verzweifelter Gesichtsausdruck geht mir bis heute nicht aus dem Kopf. Er stand mir einfach nur stumm gegenüber ... und ich … ich ging, ließ ihn einfach stehen mit den Worten, dass er wissen würde, wo er mich finden könnte, sollte er sich jemals dazu durchringen können, sich zu entscheiden. Den Schmerz in seinen Augen zu sehen, war fast mehr, als ich ertragen konnte. Mein eigenes Herz zersplitterte in 1.000 Scherben.

Ich bin dann auf direktem Weg ins Boots. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich dort ankam. Am Wochenende auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen zu sein, ist der blanke Horror. Von unterwegs habe ich Rob angerufen, aus einer Telefonzelle. Danach habe ich meinen Tränen freien Lauf gelassen, es war mir völlig egal, ob mich dabei jemand sehen konnte. Ich hatte womöglich die Liebe meines Lebens verloren, ich hatte allen Grund zur Trauer.

Auch wenn das Boots vielleicht nicht gerade der geeignetste Ort war, um seinen Liebeskummer auszuleben, so war es immer noch besser als meine Wohnung, wo mich alles an Axel erinnert hätte. Dort wäre mir ganz sicher die Decke auf den Kopf gefallen.

Rob war bereits da, als ich in unserer Stammkneipe ankam. Er hatte einen Platz an der Theke für mich freigehalten. Er versuchte mir Mut zu machen, mich wieder aufzubauen, bot mir seine Schulter … alles mit eher mäßigem Erfolg.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, während ich stumpf in mein Glas gestarrt hatte, aber irgendwann tauchte tatsächlich Axel auf. Mein Puls beschleunigte sich augenblicklich, als Rob mir zuflüsterte, wer da soeben das Boots betreten hatte … und auch wenn ich am liebsten sofort aufgesprungen wäre, um Axel in meine Arme zu reißen, blieb ich sitzen und wartete ab, mit dem Rücken zu ihm gewandt.

Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch, als die Eieruhr klingelt. Ich stehe noch genauso da wie vor einigen Minuten und starre auf die Küchentür. Axel lehnt ihm Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt und lächelt. Sein Haar ist noch feucht von der Dusche.

„Ein Königreich für Deine Gedanken“, meint er und mustert aufmerksam mein Gesicht.

„Stehst Du schon lange da?“, frage ich ihn liebevoll und greife mit einer Hand über die Küchentheke, um die Eieruhr abzuschalten.

„Lange genug, um zu bemerken, dass Du meilenweit weg warst. Aber Deinem fast schon debilen Gesichtsausdruck nach zu schließen, war es angenehm“, lacht er und kommt auf mich zu.

„Hey!“, tue ich empört, fange dann jedoch seine Lippen mit den meinen ein, bevor ich mein Gesicht in seiner Halsbeuge vergrabe und ihn eng an mich ziehe. „Ich habe darüber nachgedacht, wie alles mit uns angefangen hat“, erwidere ich.

„Ich habe es Dir nicht gerade leicht gemacht, was?“, antwortet er nach einer Weile leise.

„Das stimmt wohl. Zwischendurch hatte ich fast schon die Hoffnung aufgegeben“, gebe ich zu.

„Nachdem ich erkannt hatte, dass meine Angst Dich zu verlieren um ein Vielfaches größer war, als die Angst mich outen zu müssen, war der Rest im Grunde ein Kinderspiel. Ich konnte nur noch daran denken, Dich so schnell wie möglich zu finden“, erklärt er mir.

Ich schlinge meine Arme noch fester um ihn und küsse ihn ungestüm. „Ich liebe Dich“, nuschle ich irgendwann an seinen Lippen.

„Und ich liebe Dich“, erwidert er liebevoll. „Dennoch sollten wir die Hähnchen aus dem Backofen holen“, fügt er kichernd hinzu.

Ach Du scheiße, an die hatte ich gar nicht mehr gedacht. Etwas panisch löse ich mich von ihm und spurte zum Herd. Das fehlt mir noch, dass ein weiteres kulinarisches Experiment in die Hose geht. Ich schalte den Herd aus und öffne den Backofen. Zum Glück scheinen die paar Minuten Verspätung keine größeren Schäden angerichtet zu haben.

„Wann bringen Sandra und Johannes die kleine Maus vorbei?“, will ich wissen, während ich das Baguette schneide und Axel uns je einen Teller mit Hähnchen und Gemüse füllt.

Axel blickt kurz auf die Wanduhr. „“Eigentlich in 'ner guten Stunde“, antwortet er. Dann trägt er beide Teller zum Tisch. „Aber so wie ich die beiden kenne, können die jeden Augenblick hier auftauchen … und Sandra hat bestimmt eine Liste mit Instruktionen bei sich, die so lang ist, dass sie von hier bis zum Mond reicht“, ergänzt er kichernd.

Ich folge ihm und setze mich ihm gegenüber an den Tisch. „Ich kann es kaum glauben, dass die beiden schon ein Jahr verheiratet sind“, lächle ich. „Und fast noch weniger, dass die Kleine fast auf den Tag genau drei Monate alt ist“, ergänze ich grinsend.

„Die zwei haben wirklich keine Zeit verloren“, stimmt Axel mir zu. Er hat recht, denn Sandra eröffnete uns unmittelbar nach der Hochzeit, dass sie schwanger sei. Das war auch so der Zeitpunkt, an dem Axel und ich selbst über Nachwuchs nachgedacht hatten. Natürlich wäre es schön ein Kind zu haben, nur hätten wir gerne, dass wenigstens einer von uns auch der biologische Vater wäre. Da haben Frauen es wesentlich leichter … ein paar geeignete Spermien waren schnell aufgetrieben – ein Uterus hingegen findet sich nicht unbedingt an jeder Straßenecke. Dafür haben wir aber jetzt ja die wundervollste und süßeste Patentochter, die man sich nur vorstellen kann.

„Wohl wahr … insbesondere, wenn man bedenkt, wie lange sie zu Anfang umeinander geschlichen sind.“

„Apropos umeinander schleichen: gibt’s was Neues von Rob?“, Axel sieht mich fragend an und schiebt sich ein Stück Fleisch in den Mund.

„Im Moment wieder Friede, Freude, Eierkuchen … es ist ein ständiges Auf und Ab mit den beiden. Also nichts Neues“, ich zucke mit den Achseln und lächle ironisch.

Als wirklich stabil kann man die Beziehung zwischen Rob und Kevin auch heute noch nicht bezeichnen. Sie können irgendwie nicht miteinander … ohne allerdings auch nicht, zumindest nicht auf Dauer.

Bei meinem Bruder und Carsten hingegen scheint tatsächlich wieder alles in Ordnung zu sein. Sie hatten sich damals getrennt, kurz bevor Axel und ich geheiratet haben. Danach war eine ganze Zeit lang Funkstille … sie hatten für sehr lange Zeit überhaupt keinen Kontakt mehr, nachdem Frederick ausgezogen war. Erst an Sandras und Johannes Hochzeit hatten die beiden sich wieder gesehen. Danach hatten sie sich zunächst hin und wieder getroffen, völlig zwanglos und vor allem ohne gleich miteinander im Bett zu landen. Es war eher ein vorsichtiges Abtasten und ein erneutes Kennen lernen. Erst seit etwa 8 Monaten sind sie wieder ein Paar, wohnen jedoch getrennt. Beide sind, zumindest im Augenblick, noch nicht wirklich erpicht auf ein gemeinsames Dach über dem Kopf. Und es scheint beiden gut zu tun, sie wirken wie frisch verliebt, was sie ja im Grunde auch irgendwie sind. Das wirklich Erstaunliche: Carsten ist tatsächlich treu und Frederick so glücklich wie schon lange nicht mehr. Ich freue mich wahnsinnig für ihn und endlich muss ich ihm gegenüber kein schlechtes Gewissen mehr haben, weil Axel und ich so glücklich zusammen sind.

Wobei zuweilen auch bei uns ganz schön die Fetzen fliegen können. Im Grunde sind es aber eigentlich nur zwei Themen, wegen denen wir uns regelmäßig in die Haare bekommen. Das eine ist meine – nach Axels Meinung übertriebene – Ordnungsliebe oder auch Axels Hang dazu, alles an Ort und Stelle einfach liegen oder stehen zu lassen, das andere meine Arbeit, beziehungsweise mein nicht vorhandenes Talent meinen Kollegen gegenüber auch einmal nein sagen zu können. Den heftigsten Streit überhaupt hatten wir einige Wochen nach unserer Heirat. Axel wollte mich überraschen und hatte für eines unserer wenigen gemeinsamen freien Wochenenden Karten für den ‚Cirque du Soleil‘ organisiert. Ausgerechnet da hatte ich mich wieder einmal von einer meiner Kolleginnen bequatschen lassen, für sie einzuspringen. Axel ist fast ausgerastet, als er davon erfahren hat. Ich glaube, ich habe ihn nie zuvor so unglaublich wütend erlebt… und enttäuscht. Er hat mir die Tickets vor die Nase geworfen, ist in sein Büro unterm Dach gestürmt und hat die Tür hinter sich zugeknallt. Es hat mich ein hartes Stück Arbeit gekostet zuerst alles wieder rückgängig zu machen und anschließend Axel wieder von seiner Palme zu bekommen. Letztendlich hatten wir trotz allem aber doch noch ein wundervolles Wochenende mit einer phantastischen Show und sehr viel … körperlicher Nähe. Seither bin ich etwas zurückhaltender mit meiner Hilfsbereitschaft, insbesondere, wenn es darum geht, für jemanden am Wochenende einzuspringen.

Ach übrigens: Chris ist mittlerweile mit seinem Max zusammen und auch Sven stellt keine Bedrohung mehr für Axel und vor allem mich dar … und seit ich weiß, dass er meinem Süßen garantiert nie wieder zu nahe kommen wird, mag ich ihn sogar recht gerne.

Aber das … ist eine andere Geschichte und die darf Sven euch gerne selbst erzählen!

*



Hähnchenschenkel á la Axel



3 Hähnchenschenkel
1 Päckchen Knorr Fix für knusprige Hähnchenschenkel (wichtig: nicht das Fix von Maggie, denn da ist weder Rosmarin noch Thymian enthalten und genau diese beiden Gewürze machen das Ganze extra lecker. ;-))
1 gelbe Paprikaschote
1 rote Paprikaschote
1 Handvoll frische Champignons
1 Zwiebel
mildes Olivenöl

Hähnchenschenkel auf ein Backblech legen und das Knorr Fix mit mildem Olivenöl verrühren. Das Fleisch mit der Marinade bestreichen.
Gemüse waschen, putzen und in grobe Stücke schneiden (ruhig schöne große Stücke schneiden, wenn das Gemüse zu klein geschnitten wird, kann es schnell ziemlich dunkel werden). Die übrige Marinade unter das Gemüse mischen und zum Fleisch auf das Backblech geben.

Das Ganze im vorgeheizten Backofen ca. 35-40 Minuten auf 180°C backen (Umluft).

Dazu passen Kartoffelecken oder auch frische Brötchen.



~ Ende ~


Impressum

Texte: Jule Fischer
Tag der Veröffentlichung: 05.06.2012

Alle Rechte vorbehalten

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