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Die Legende von Silen

Das Motorboot war noch weit entfernt, trotzdem schwebte sein Klackern über das Wasser in die kleine Lagune, in dem sich ein junges Paar für einen ruhigen Nachmittag zurückgezogen hatte.
„Das ist Zac“, sagte das Mädchen und warf einen unsicheren Blick zum Meer hinaus. „Was macht er schon wieder hier? Da stimmt etwas nicht!“
„Das kannst du nicht wissen. Niemand kann wissen, was in seinem Kopf vor sich geht. Mach dir keine Gedanken deswegen“, versuchte der Junge sie zu beruhigen.
„Du weißt, was die Legende zum Schutz der Insel sagt. Wir sind dazu bestimmt die Insel zu retten. Hier geht etwas vor sich und Zac hat etwas damit zu tun. Wir müssen es überprüfen. Das ist unsere Pflicht!“
„Du kannst nicht hinter jedem Rascheln eines Busches etwas erwarten, nur weil eine alte Prophezeiung sagt, dass etwas passieren wird. Vielleicht-“
Das Mädchen unterbrach ihn. „Ich weiß es einfach, okay? Und wenn du mir nicht glauben und helfen willst, dann muss ich das eben alleine machen.“ Mit diesen Worten sprang das Mädchen ins Wasser und verschwand unter der Meeresoberfläche.
Der Junge schaute ihr einen Moment bestürzt hinterher. Als er allerdings feststellte, dass seine Freundin nicht wieder auftauchen würde, holte er sein Mobiltelefon aus der Hosentasche und wählte die Nummer der Schnellwahltaste drei.
„Chloe?“ sagte er in den Hörer. „Du musst in Richtung Lagune kommen. Cora verdächtigt Zac und ist ihm auf der Spur – Er war wieder mit seinem Boot hier unterwegs – Mach dich auf den Weg – Ja, ich rufe CeeCee sofort an.“
Er wiederholte dasselbe noch einmal für die Schnellwahltaste vier. Anschließend packte er den kleinen Picknickkorb, den er so liebevoll für seine Freundin vorbereitet hatte und ging zu seinem Boot. Er lenkte es aus der kleinen Lagune.
„Gordy?“ Er hörte eine Stimme seinen Namen rufen.
Sanft brachte Gordy das Boot zum stoppen und schaute über den Rand. Ein Mädchenkopf schaute aus dem Meer und blickte ihn erwartungsvoll an. „CeeCee! Wo ist Chloe?“
In dem Moment tauchte auch noch ein zweiter Kopf auf. „Wo ist Cora hin?“ fragte das zweite Mädchen, Chloe.
„Ich weiß es nicht“, gab Gordy mit hängendem Kopf zu. „Sie ist einfach ins Wasser und verschwunden, wir waren in der Lagune. Ich denke, Zac ist in diese Richtung gefahren.“ Er zeigte mit seinem Arm in die Richtung, in die er sein Boot gelenkt hatte.
Die beiden Mädchen nickte.
Bevor sie untertauchen konnten, hielt Gordy sie noch einmal zurück. „Wollt ihr nicht lieber... mit mir?“
„Nein. Ich denke, es wäre besser, wenn wir aus zwei verschiedenen Richtungen kommen“, meinte CeeCee.
„Und wahrscheinlich wäre es auch besser, wenn du nicht sofort mit uns in Verbindung gebracht werden kannst... Du weißt schon, im Falle des Falles, dass wir entdeckt werden“, flüsterte Chloe.
„Es wird schon alles gut gehen“, versuchte CeeCee ihre Freundin zu beruhigen. „Deswegen sind wir doch da, nicht? Um alles gut zu machen.“
Gordy nickte unterstützend. „Dann sehen wir uns später noch in der Eisbar?“
„Sicher.“
Die beiden Mädchen tauchten unter.
Gemeinsam schwammen sie in die ihnen angedeutete Richtung, CeeCee immer etwas voraus, Chloe ihrer Führung folgend.
Bald kamen sie an ihrem Ziel an. Noch nicht lange war hier am Strand ein Steg gebaut worden, an dem nicht nur Zacs Boot angekettet war, sondern auch das Sportboot seines Vaters und eines, das den beiden unbekannt war. Sie blickten sich an, zuckten mit den Schultern und zogen sich aus dem Wasser.
„Lass uns gehen.“ CeeCee setzte sich in Bewegung, ohne auf eine Antwort zu warten.
Chloe nickte und schaute sich unsicher um.
Der Steg führte zu einem Strand, auf dem ein großes, weißes Zelt aufgebaut war. Niemand war zu sehen, nur das Surren eines Stromgenerators war zu hören. CeeCee ging mit vorsichtigen Schritten zu dem Zelt und zu seiner Breitseite, um durch eines der kleinen Plastikfenster ins Innere zu schauen.
„Sie haben Cora!“ zischte CeeCee zu Chloe. „Chloe?“ Das Mädchen war nicht, wie erwartet, hinter ihr, sondern blickte durch einen Spalt in das Zelt.
„Hier können wir nach drinnen.“ Mit diesen Worten verschwand Chloe.
CeeCee folgte ihr. Zu ihrer Erleichterung konnten sie sich hinter einem Schrank verstecken und von dort aus das Geschehen weiter beobachten.
In der Mitte des Zeltes hatte sich ein kleines Grüppchen gebildet. Zwei Männer in schwarz hielten Cora in ihrer Mitte gefangen, sodass sie von einer Frau in weißem Labormantel betrachtet werden konnte. Hinter der Frau standen ein junger und ein älterer Mann. Letzterer trug einen scharfen Blick, mit dem er Cora betrachtete. Der junge Mann warf immer wieder einen unsicheren Blick zu dem Mädchen und musterte dann wieder den Boden.
„Miss Living, ich wiederhole mich nur ungerne und dieses Mal möchte ich gerne eine ehrliche Antwort. Was machst du hier?“ fragte der Mann mit dem strengen Blick.
„Das sagte ich doch bereits, Mr. Bosworth, ich war spazieren und habe das Zelt hier gesehen. Sie können mir nicht verübeln neugierig geworden zu sein.“
„Das Gebiet ist weiträumig abgesperrt!“ herrschte der Mann.
„Die Wachen haben gesagt, Sie seien aus dem Wasser gekommen?“ fragte die Frau.
„Spazieren heißt nicht immer spazieren gehen. Man kann auch spazieren schwimmen“, setzte Cora dagegen.
„Das ist ein weiter Weg vom nächsten Strand bis hier her...“
„So kommen wir nicht weiter Professor. Ich werde mich um das Mädchen kümmern, führen Sie Ihre Experimente fort.“
„Ich weiß nicht, Mr. Bosworth, da ist etwas an dem Mädchen, das mich neugierig macht. Reichen Sie mir die Wasserprobe hinter sich!“ forderte die Professorin einen der Wachmänner auf. „Ich würde gerne wissen, ob hinter einer der Legenden, die ich über die Insel gelesen habe, nicht doch etwas Wahres ist.“
„Sie glauben doch nicht etwa an diesen Humbug!“ spottete Mr. Bosworth.
„Wir werden sehen“, meinte die Professorin zuversichtlich und nahm das Wasser entgegen.
Erschrocken hob CeeCee ihre Hand, um mit ihrer Magie das Wasser verschwinden zu lassen.
Chloe hielt sie schnell zurück. „Wir können uns nicht verraten. Sie kann nicht alles wissen.“
Die beiden blickte wieder zu dem Geschehen. Mit einer Pipette tropfte die Professorin etwas Wasser auf Coras Hand und wartete. Triumphierend blickte Cora die Frau ihr gegenüber an.
„Wasser? Was wollen Sie denn damit beweisen?“ Cora schüttelte ihre Hand, darauf bedacht, die Tropfen von ihrem Körper wegzulenken.
„Hm...“ Die Frau dachte einen Moment nach, dann hob sie das Wasserglas über Coras Kopf und schüttete es aus.
Entsetzt hielten CeeCee und Chloe die Luft an. Es würde nur wenige Sekunden dauern, ehe Cora sich vollständig verwandelt hätte.
Mit einem lauten Poltern fiel Cora auf den Holzboden, mit dem das Zelt ausgelegt war. Ihre Beine waren verschwunden, ersetzt durch eine große Fischflosse.
Erschrocken wichen die Männer zurück, während die Professorin siegessicher auflachte. „Ha! Humbug! Und was sagen Sie dazu?“ fragte sie den Mann.
„Aber... aber... Wie ist das möglich?“
„Ich weiß es nicht, aber es sieht so aus, als hätten wir gerade beide die Entdeckung unserer Karrieren gemacht. Denken Sie nur an all die Forschung, die ich betreiben könnte?“
„Und ich hätte die Attraktion für mein Ferienparadies. Forschen Sie, Professor Archile, ich lasse Ihnen freie Hand. Das Mädchen bleibt hier!“ Er wandte sich zu dem jungen Mann. „Zac, komm mit, du hast hier nichts zu suchen!“
„Einen Moment, ich brauche Ihren Sohn noch einen kurzen Augenblick“, rief die Frau den jungen Mann zurück.
Mr. Bosworth zuckte nur mit den Schultern und wandte sich zum Gehen.
„Bringen Sie das Mädchen weg“, befahl Professor Archile ihren Wachen. „Zac, ich möchte, dass du mir alles über das Mädchen erzählst. Wer sind ihre Freunde? Was macht sie? Einfach alles, verstehst du?“
Doch bevor irgendeiner der Befehle ausgeführt werden konnte, kam Mr. Bosworth in das Zelt zurück. Hinter sich zog er Gordy herein. „Schauen Sie, was ich draußen gefunden habe. Noch ein 'Spaziergänger'.“ Er schaute ihn hämisch an. „Gordon Gates. Ich konnte deine Familie noch nie leiden.“
Gordy ignorierte ihn. Er schaute sich mit großen Augen um, warf einen neugierigen Blick auf Cora und strahlte anschließend die Frau an.
„Dann sind die Gerüchte wahr? Sie sind tatsächlich hier? Professor Doktor Sophia Archile auf Silen? Ich bewundere Sie, ich bewundere Ihre Arbeit!“ sprudelte er förmlich heraus. Gordy schaffte es sich von Mr. Bosworth zu lösen und ging mit großen Schritten auf Professor Archile zu. „Darf ich fragen, an was Sie gerade arbeiten? Es war so lange still um Sie. Und hier waren Sie die ganze Zeit? Glauben Sie, dass ich einmal an Praktikum bei Ihnen machen könnte? Das wäre mein größter Traum!”
„Glauben Sie ihm nicht, er ist der Freund der Kleinen“, mischte sich Zac ein.
„Oh ja“, Gordy lachte spöttisch auf. „Ich wusste immer, dass an der Kleinen was nicht stimmt, und offensichtlich hatte ich Recht. Sie waren nur schneller, als ich. Aber das braucht mich nicht zu wundern, immerhin sind sie die Beste in ihrem Fach, nicht wahr, Professor Archile?“
„Das ist allerdings wahr“, bestätigte die Frau geschmeichelt. „Du hast das Mädchen also untersucht? Was kannst du mir zu dem Fall sagen?“
„Er wird Ihnen nie die Wahrheit sagen, Sie haben meinen Sohn doch gehört!“ herrschte Mr. Bosworth.
Gordy überging die Aussage und wandte sich wieder an sein Vorbild. „Coralin Living ist nie alleine unterwegs. Immer hängt sie mit ihren Freundinnen, Cecilia Hening und Chloe Musing. Wenn mich nicht alles täuscht, müssten sie sich in unmittelbarer Nähe zu uns befinden. Suchen Sie!“ forderte er die Wachen auf.
Auf ein Kopfnicken von Professor Archile bewegten die Männer sich und fanden auch bald CeeCee und Chloe hinter dem Schrank. Die beiden waren zu geschockt von Gordys Verrat, als dass sie sich rechtzeitig hätten in Sicherheit bringen können.
„Das hätte ich wirklich niemals von dir erwartet, Gordon!“ zischte CeeCee.
Er blickte sie herablassend an. „Und was willst du jetzt tun? Das Wasser beschwören? Ich habe ja solch eine Angst!“
„Bringt die drei Weg, ich muss mich vorbereiten!“ befahl Professor Archile.
Die Mädchen, Cora hatte sich in der Zwischenzeit wieder zurück verwandelt, wurden in einen abgetrennten Teil des Zeltes geführt und Rücken an Rücken an den Händen festgebunden.
„Ich kann nicht glauben, was gerade passiert“, regte sich CeeCee auf, als sie alleine waren. „Die ganze Zeit hat Gordon uns hintergangen. All die Versuche, mit denen er uns 'helfen' wollte, waren nur zu seinem eigenen Vorteil!“
„Hör auf, CeeCee“, raunte Cora zurück. „Gordy ist immer noch auf unserer Seite. Hast du nicht zugehört?“
„Du bist blind vor Liebe. Hast du nicht zugehört?“
„Doch, das habe ich allerdings. Zunächst einmal hat er nicht verraten, dass er schon über uns Bescheid wusste, folglich kann er der Frau auch keine seiner Ergebnisse weitergeben, ohne sich selbst zu verraten. Und zweitens hat er uns einen Fluchtweg verraten!“
„Ach ja?“ CeeCee war noch nicht überzeugt.
„Wir sollen das Wasser beschwören?“ fragte Chloe leise. „Aber wie sollen wir das machen? So viel Macht hat keine von uns!“
„Nicht, wenn wir alleine sind. Aber vielleicht wenn wir zusammen arbeiten“, sagte Cora aufgeregt. „Nur eine kleine Tsunamiwelle müsste ausreichen und wir könnten alle elektronischen Geräte soweit zerstören, dass alle Daten darauf für immer verschwinden.“
„Ich möchte niemanden umbringen“, flüsterte Chloe.
„Und wenn wir es nicht tun, bleibt das Wissen über uns unter den Menschen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wieder jemand hinter uns her ist.“
„Wir werden niemanden töten. Wir müssen versuchen alle Beteiligten davon zu überzeugen, es niemandem zu sagen. Aber damit setzen wir uns später auseinander. Das wichtigste ist vorerst, dass wir uns befreien. Mein Knoten ist schon etwas gelockert. CeeCee, kannst du ihn erreichen? Oder du, Chloe?“
Die Mädchen schafften es, ihre Fesseln zu lösen und mit gemeinsamer Kraft das Wasser zu rufen.

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Tag der Veröffentlichung: 13.06.2011

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