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Internet Love

Ich liebte den Menschen, der internetfähige Handys entwickelt hatte!
Warum?
Es begann vor ungefähr einem Jahr, als ich mich auf einer Seite mit Songtexten angemeldet hatte. Ich hatte die Seite häufig besucht und herausgefunden, dass es Vorteile mit sich brachte, wenn man sich anmeldete. Und da es kostenfrei war, folgte ich dem Hinweis.
Ich erstellte ein Profil, schmückte es mit wenig Information über meine Person, aber dafür mit umso mehr Musik. Ich kopierte meine Lieblingstexte hinein, machte eine ausführliche Auflistung meiner Lieblingskünstler und fügte einigen anderen Schnick Schnack hinzu.
Einige andere Mitglieder hatten es sich zur Aufgabe gemacht, neue Mitglieder sofort abzufangen, wenn sie sich angemeldet hatten. So kam ich auf die Idee, auch andere Profile zu durchsuchen und einen Profilkommentar über deren Musikgeschmack zu hinterlassen. Mit einigen kam man für einen Abend ins Gespräch, andere reagierten überhaupt nicht.
Und dann gab es diesen einen anderen User, mit dem ich mehr als einen Abend über Musik gesprochen hatte. Er schrieb mich am folgenden Tag wieder an, als wir beide Online waren, verwickelte mich in ein Gespräch über Musik und ließ einige private Details einfließen, ebenso wie ich es tat.
Bald waren uns die weiten dieser Seite nicht mehr genug und ich erstellte mir ein Profil in einem Chatdienst, ausschließlich für meine Internetbekanntschaft – denn bereit meine Private zu teilen, war ich noch nicht. Bei dieser Adresse war ich bald durchgehend online, immer erfreut, wenn er es ebenfalls war.
Zum letzten Weihnachtsfest hatte ich ein neues Handy bekommen, mit mobilem Internet – von denen er schon lange eines hatte – und so waren wir durchgehend in Kontakt. Und das obwohl ich nicht viel mehr über ihn wusste, als dass seine Initialen E. A. M. waren und er grüne Augen hatte – sein Chatname war GreenEyes. Genau dieselben Informationen hatte er auch über mich, meine Initialen I. M. S. und meine BrownEyes. Durch die ähnliche Namenwahl war ich am Anfang auf ihn aufmerksam geworden und sein Interesse und Wissen an Musik hatte uns in Kontakt gehalten.
Man konnte also verstehen, warum ich den Menschen liebte, die internetfähige Handys entwickelt hatte.

BrownEyes: Weißt du, was heute ein einer Woche für ein Tag ist?
GreenEyes: Wieder ein Mittwoch?
BrownEyes: Was bist du nicht witzig… Nein, vor 51 Wochen habe ich dein Profil entdeckt.
GreenEyes: Wirklich? Das kann noch kein Jahr her sein…
BrownEyes: Ist es. Ich habe es eben in meinem Profil nachgeschaut. Ich kann es auch nicht glauben.
GreenEyes: Dann müssen wir das feinern, oder? Einjähriges, so etwas hatte ich noch nie mit einer Internetbekanntschaft.
BrownEyes: Es gibt für alles ein erstes Mal! Allerdings habe ich, wie du we

Ich spürte einen harten Schlag in meine Seite und schaute erschrocken vom Display meines Handys auf. Obwohl Angela mich hatte warnen wollen, stand Mr. Druft bereits vor mir und streckte mir seine Hand entgegen. Die Augen verdrehend legte ich mein Handy hinein und nahm stattdessen gelangweilt einen Stift zur Hand.
Mr. Masons Unterricht war langweilig und schaffte es nie, mich für mehr als fünf Minuten zu begeistern. Es störte ihn auch nicht, wenn wir andere Dinge machten, während er vorne seinen Vortrag hielt. Allerdings hatte er eine strenge Abneigung gegen jegliche Art mobiler Telekommunikation, da einmal zu oft ein Handy lautstark im Unterricht geklingelt hatte.
Ich wusste, ich würde es am Ende der Stunde wiederbekommen.
„Tut mir leid, ich habe es selbst zu spät bemerkt“, entschuldigte Angela sich leise, als ob es ihre Schuld wäre.
Ich lachte leicht. „Mach dir keinen Kopf. Ist ja auch nicht das erste Mal.“
„Was wird E nur denken, wenn du plötzlich keine Antwort mehr gibst.“
E, so nannten wir ihn, wenn wir über meinen Internetfreund sprachen.
„Er kennt mich zu gut, er wird schon darauf kommen, dass ich mal wieder erwischt worden bin.“

Nach der Stunde holte ich mein Telefon wieder ab. Er war inzwischen offline, die letzten Nachrichten zeigten aber an, dass er erschlossen hatte, dass ich nicht mehr antworten würde und warum. Angela und ich gingen gemeinsam in die Cafeteria, holten unser Essen und setzten uns an unseren Stammtisch. Unsere Freunde kamen ebenfalls, eingeschlossen Jacob, der sich seit geraumer Zeit immer öfter zu uns verwirrte. Angela meinte, es sei wegen mir.
Schnell deaktivierte ich die Tastensperre meines Handys und wartete, bis ich automatisch ins Internet eingewählt wurde. Hoffentlich war Edward online.
Wenn Jacob tatsächlich wegen mir kam, dann wollte ich beschäftigt erscheinen.
Ich hatte Glück. „RPG“, tippte ich schnell und schickte die Nachricht ab. Ich hoffe, dass E verstand, was ich damit ausdrücken wollte.

GreenEyes: Hallo, mein Schatz.
BrownEyes: Hallo Darling. Hast du auch Mittagspause?
GreenEyes: Zum Glück! Warst du wieder böse zu Mr. Druft?
BrownEyes: Ich war ein sehr böses Mädchen und musste bestraft werden…

Breit grinsend tippte ich die Nachricht. Sie brachte uns auf eine völlig neue Stufe unserer Bekanntschaft. Ich war froh, dass er auf die Rollenspielnachricht eingegangen war, allerdings hatte ich nicht mit solch einem gerechnet. Immerhin war ich nun sicher für den Rest der Mittagspause beschäftigt.
Ob es unsere „Freundschaft“ stören würde, wenn wir hier diese Anspielungen von uns gaben?

„Ist E online?“ fragte Angela, die meinen Gesichtsausdruck bemerkt hatte.
Sie sprach leise, dennoch wandte Jacob seinen Blick in unsere Richtung.
„Ja, ist er.“ Ich antwortete nur kurz, wollte nicht abgelenkt werden.
„E?“ sprang Jacob an.
„E? Mein Freund?“ fragte ich, als ob er das wissen müsste.
Angela neben mir kicherte.
„Ich wusste nicht, dass du einen Freund hast.“
„Oh, den habe ich, mit wunderschönen grünen Augen“, prahlte ich. Ich wandte mich an Angela, nun absichtlich laut genug, dass ich auch von anderen verstanden werden konnte. „Er will mich bestrafen dafür, dass ich eben ein böses Mädchen war“, zwinkerte ich.
Angela biss sich in die Lippen und wandte sich ab, während ich mich wieder meinem Telefon zuwandte.

BrownEyes: Ich habe dich eben meinen Freunden vorgestellt, mein Freund mit den wunderschönen grünen Augen.
GreenEyes: Und was hast du ihnen noch von mir erzählt?
BrownEyes: Es scheint, als würden wir auf … Bettspiele stehen.
BrownEyes: Tut mir leid, das ging zu weit!
BrownEyes: E?
GreenEyes: Nein, das war… Also, ich habe nicht damit gerechnet. Offensichtlich hat man das meinem Gesicht angesehen und mein lieber Kumpel hat mir das Handy aus der Hand gerissen und jedem vorgelesen, was du als letztes geschrieben hast.
BrownEyes: Oh.
GreenEyes: Scheint, als wären wir jetzt offiziell ein Paar…
BrownEyes: OK.
GreenEyes: ?
BrownEyes: OK, lass uns ein virtuelles Paar sein OK.
GreenEyes: Hm… Das klingt interessant.
BrownEyes: Ja?
GreenEyes: Ja, allerdings. Dann würde es auch endlich stimmen, dass ich immer erzähle, ich würde eine Fernbeziehung führen und hätte deswegen kein Interesse an den anderen Mädchen hier.
BrownEyes: DAS klingt interessant.
GreenEyes. Nicht wahr? Wir sollten öfter über uns sprechen, immerhin feiern wir bald Einjähriges.
BrownEyes: Lass uns einen Deal machen.
GreenEyes: Ich höre?
BrownEyes: Wir bleiben noch eine Woche auf unserem alten Level und ab nächster Woche gibt es mehr.
GreenEyes: Ich bin einverstanden.


Die folgende Woche zog sich. E schien genauso gespannt auf den nächsten Mittwoch zu sein, wie ich. Wir würden uns einander endlich öffnen.
Ich musste zugeben, dass ich schon öfter darüber nachgedacht hatte, ihn zu fragen, ob wir unsere Regeln lockern sollten. Aber ich hatte Angst, dass sich etwas ändern würde, dass wir etwas übereinander erfahren würden, dass uns den Kontakt abbrechen ließ. Das wollte ich nicht. Es war spannend einen mysteriösen Chat-Freund zu haben.
Seit diesen Gedanken waren allerdings einige Monate vergangen und ich war mir immer sicherer geworden, dass nichts unsere Bindung so schnell trennen könnte.


Ich begann mit meinen Veränderungen am Mittwochmorgen. In das kleine Avatar-Fenster des Messangers lud ich ein Bild von mir. Es zeigte nur meinen Kopf und in den Größenausmaßen von einer Höhe, die nicht mehr als einen Inch betrug und die Breite noch weniger. Viel würde E nicht erkennen können, aber genug um einen ersten Eindruck zu bekommen.
Unser richtiges, aufschließendes Chatgespräch würde erst am Abend stattfinden, wenn wir ausreichend Zeit hätten, um unsere Fragen zu stellen. So hatten wir es am vorherigen Tag ausgemacht.

Als ich am Abend den Chat betrat, sah ich, dass auch er sein Avatar geändert hatte. Und ich sollte recht behalten. Für mehr, als einen ersten Eindruck, reichte das kleine Fenster wirklich nicht – wenn überhaupt. Das verpixelte Bild zeigte mir nicht viel mehr, als ein angedeutetes Gesicht. Helle Hautfarbe konnte ich ausmachen, wahrscheinlich hellbraunes Haar. Es ließ sich auch vermuten, dass E‘s Gesicht mit Mund, Nase und Augen versehen war. Wirklich sehr erleuchtend.
Er war online.

BrownEyes: Alles Gute zum Einjährigen!
GreenEyes: Endlich!
GreenEyes: Das wünsche ich dir auch!
BrownEyes: Was spielst du gerade?
GreenEyes: „Breathe your life into me
I can feel you
I'm falling, falling faster
Breathe your life into me
I still need you
I'm falling, falling
Breathe into me
Breathe into me”
BrownEyes: Sehr schön. Ah, ich liebe diesen Song. Wir hatten ihn damals beide im Profil, nicht wahr?
GreenEyes: Genau. Du warst die erste Person, die ich jemals getroffen habe, die RED kannte. Was kommt bei dir?
BrownEyes: „That green eyes, yeah the spotlight, shines upon you
And how could, anybody, deny you”
GreenEyes: Sehr witzig. Ich glaube dir nicht!
BrownEyes: Denkst du wirklich, dass ich dich an so einem bedeutenden Tag anlügen würde? Warum sollte ich kein Coldplay spielen?
GreenEyes. Weil ich denke, dass du dir einen schlechten Scherz mit mir erlaubst! Also, was spielst du?
BrownEyes: “Can’t you see I beg and plead
Cause when your eyes light up the skies at night
I know you’re gonna find your way back to me”
GreenEyes: The All-American Rejects. Definitiv immer ein ausschweifendes Gespräch wert.
BrownEyes: …wie wir des Öfteren bewiesen haben.
GreenEyes: …bei dieser, wie auch anderen Bands.
GreenEyes: Ich bin ungeduldig. Lass uns mit dem wahren Sinn des Abends beginnen.
BrownEyes: In Ordnung. Isabella.
GreenEyes: Edward.
BrownEyes: Meine Freunde nennen mich Bella.
GreenEyes: Ich bleibe bei Edward.
BrownEyes: Marie.
GreenEyes: Anthony.
BrownEyes: Swan.
GreenEyes: Masen.
BrownEyes: 18 Jahre.
GreenEyes: Das weiß ich schon.
BrownEyes: Ich weiß. Es schien nur so passend, das jetzt im Zusammenhang zu erwähnen.
GreenEyes: Okay, ich spiele mit. 18 Jahre. Noch genau einen Monat. Mein Geburtstag ist am 20. Juni.
BrownEyes: 13. September.
GreenEyes: Ich lebe in Seattle, geboren in Chicago.
BrownEyes: Hey! Dann sind wir gar nicht soweit von einander entfernt. Ich lebe in Forks bei meinem Dad, habe aber auch eine lange Zeit bei meiner Mom in Phoenix gewohnt.
GreenEyes: Forks? Liegt das auch noch in Washington?
BrownEyes: Typisch Großstädtler. Ich winke dir gerade von einmal übers Wasser und über den Nationalpark.
GreenEyes: Ich winke dir zurück. Wer hätte gedacht, dass wir so dicht beieinander wohnen?
BrownEyes: …und es sah ursprünglich anders aus. Warum seid ihr umgezogen?
GreenEyes: Mein Dad ist Anwalt. Er hat hier eine Partnerschaft angeboten bekommen. Da hat er nicht lange überlegt und mich und meine Mom eingepackt. Warum wohnst du nicht mehr bei deiner Mom? Ich kann mir vorstellen, dass das Wetter im Süden um einiges besser ist, als hier.
BrownEyes: Das ist es allerdings. Nun… Meine Eltern haben sich schon sehr bald nach meiner Geburt scheiden lassen. Meine Mutter hat mich damals mit sich genommen und so habe ich meinen Vater nur einmal im Jahr gesehen. Als meine Mutter dann entschlossen hat, wieder zu heiraten, dachte ich mir, dass es an der Zeit wäre, die letzten Monate vor meinem eigenständigen Leben bei ihm zu verbringen. Ich lebe hier seit letztem Jahr Anfang März.
GreenEyes: Aber warum bist du nicht bei deiner Mom geblieben? Magst du den Typen nicht?
BrownEyes: Doch, Phil ist in Ordnung. Nur viel unterwegs. Und er wollte meine Mom gerne mitnehmen, als sie zu Hause bei mir zu lassen. Ich habe den beiden die Entscheidung abgenommen.
GreenEyes: Eine sehr selbstlose Entscheidung.
BrownEyes: Weniger. Sie erschien einfach als logisch, richtig.

Wir sprachen an diesem Abend noch sehr lange, obwohl es eine Schulnacht war. Doch so viele Fragen wir uns auch gegenseitig stellten, eine Nacht war nicht genug, um unseren Wissenshunger zu stillen.
An unserem Verhältnis änderte sich eigentlich nicht viel. Wir hatten davor fast jede freie Minute Nachrichten beim anderen hinterlassen und das änderte sich jetzt auch nicht. Nur, dass neue Gesprächsthemen hinzugekommen waren.
Über die nächsten Tage und Wochen lernte ich alles über E. Edward.
Und besonders das Gespräch von dem Abend vor seiner Abschlussfeier von der High School würde ich nie wieder vergessen.

BrownEyes: Wie gerne hätte ich auch morgen schon meinen Abschluss. Aber ich muss mich noch eine Woche gedulden und Mr. Drufts Ärger über mich ergehen lassen.
GreenEyes: So schlimm kann er nicht sein…
BrownEyes: Nein, wahrscheinlich nicht. Aber ich freue mich schon auf mein Leben nach der High School. Die Welt muss noch einiges mehr zu bieten haben. Wenn nicht, bin ich schwer enttäuscht von ihr.
GreenEyes: Ich denke, wir können davon ausgehen, dass die Welt noch einige Überraschungen für uns bereithält.
BrownEyes: Und was wird die Welt für dich nach dem morgigen Tag bereithalten?
GreenEyes: Nun… Ich hatte Zusagen von mehreren Colleges, habe mich dann aber entschieden, dass ich zu Hause bleiben werde, weswegen ich mich an der University of Washington Seattle eingeschrieben habe.
BrownEyes: Was würdest du denken, wenn ich sage, dass ich auf diese Antwort gehofft habe?
GreenEyes: In mir macht sich ein Gedanke breit, aber ich will meine Hoffnungen nicht schüren.
BrownEyes: Nun, ich freue mich, dir mitteilen zu dürfen – und ich hoffe, dass es dich auch freut – dass ich ebenfalls in Seattle eingeschrieben bin. Und mit etwas Glück werden wir uns auf dem riesigen Campus auch irgendwann über den Weg laufen.
GreenEyes: Ich denke, dass sich so etwas arrangieren ließe. Wow… Ist das dein ernst? Wir wollen uns treffen?
BrownEyes: Wenn sich die Möglichkeit ergibt, warum nicht. Wir wären beide auf sicherem Terrain.
GreenEyes: …wobei ich nach einem Jahr so meine Zweifel habe, dass du dich als eine böse Überraschung herausstellst. Werde ich zuvor ein Bild in Großformat von dir sehen, oder muss ich mich an dem kleinen Avatar-Bild orientieren?
BrownEyes: Ich werde darüber nachdenken. Und du?
GreenEyes: Oh, ich denke, ich werde keine Probleme damit habe, mich in der Masse der Studenten zu finden.
BrownEyes: Wie lustig…
GreenEyes: Ich verspreche, dass ich dir ein Bild schicken werde, wenn du mir eines schickst.
BrownEyes: In Ordnung. Und was, darf ich fragen, wirst du studieren?
GreenEyes: Ausnahmsweise werde ich dir darauf antworten. Ich strebe Medizin an. Mein Vater würde mich natürlich gerne Jura studieren sehen, aber das ist einfach nicht mein Fach.
BrownEyes: Medizin. Wow. Die UoW soll dafür eine gute Universität sein.
GreenEyes: Das habe ich auch gehört. Deswegen habe ich sie gewählt.
BrownEyes: Ah, doch nicht wegen der Familie?
GreenEyes: Es gab diese beiden Faktoren, die entscheidungstragend waren.
BrownEyes: Verstehe.
GreenEyes: Und was wirst du machen?
BrownEyes: Musik. Klavier als Grundinstrument und Hauptmerkmal auf Geige. Ich war sehr lange unentschlossen und wollte Event Management machen. Aber vielleicht lässt sich das irgendwann auf irgendeine Weise kombinieren…? Wusstest du schon immer, dass du Arzt werden möchtest?
GreenEyes: Nein. Eine Zeit lang wollte ich Anwalt werden. Dann hat mein Dad mich mit ins Gericht genommen und der Traum war Vergangenheit. Der Bruder meiner Mutter ist Arzt. Bei einer Familienfeier habe ich mich lange mit ihm unterhalten und ab da hat sich der Wunsch entwickelt. Ich habe in verschiedenen Krankenhäusern hier in Seattle ausgeholfen, geschnuppert und Praktika gemacht… und hier bin ich.


Meine Abschlussfeier ging ohne große Zwischenfälle über die Bühne. Nur wenige Tage später brachte mein Vater mich zum Flughafen in Seattle von wo aus ich nach Jacksonville flog, wo meine Mutter inzwischen lebte. Sie hatte mir für zwei Monate einen Job in der Sonne besorgt, den ich sofort begeistert annahm. Ich hatte meine Mutter sehr vermisst und freute mich, sie wieder sehen zu können.
Edwards und meine Bekanntschaft weitete sich immer weiter aus. Oft redeten wir über unsere kommende Zeit in Seattle und machten Pläne, was wir dort alles unternehmen konnten. Sie gingen von verrückten Studentenparties über Sightseeing bis hin zu ruhigen Abenden in seiner Wohnung – denn im Gegensatz zu mir, die nur ein Zimmer im Studentenwohnheim zugewiesen bekommen hatte, würde er von seinen Eltern eine Wohnung außerhalb des Campus bezahlt bekommen.
Ja, ich freute mich darauf, ihn persönlich kennen zu lernen und ja, ich hoffte, dass wir uns dann immer noch so gut verstehen würden. Keiner meiner Freunde in Forks hatte sich dazu entschlossen diese Universität zu besuchen, weswegen er die einzige Person sein würde, die ich schon früher kannte.

Vier Wochen in meinen Aufenthalt in Florida hatte ich Edward meine Handynummer geschickt, um uns zum ersten Mal die Möglichkeit einer gesprochenen und nicht geschriebenen Unterhaltung zu bieten. Da er seine Ferien bei seinem Onkel in Chicago verbrachte und dort im Krankenhaus aushalf, waren wir wegen der zusätzlichen Zeitverschiebung von drei Stunden nicht zu unseren üblichen, ausführlichen Chatgesprächen gekommen.
Wenn ich für meinen Job aufstand, schlief er noch, wenn ich Mittagspause hatte, fing er gerade an zu arbeiten und wenn ich Feierabend hatte, war seine Mittagspause gerade vorbei. Wenn er dann Feierabend hatte, war ich kurz davor ins Bett zu gehen und Kraft für den nächsten Tag zu tanken und so unterhielten wir uns kurz jeden Abend und schrieben uns zwischendurch einige E-Mails. Zwar waren die Wochenenden für uns beide frei, aber die verbrachten wir mit unseren Familien.
Also hoffte ich, dass Edward mich anrufen würde. Das würde uns mehr Zeit geben, uns zu unterhalten und ich würde seine Stimme zum ersten Mal zu hören bekommen – natürlich machte ich mir nichts vor. Die Handyübertragung würde sicher verzerren, aber es wäre ein Anfang. Es gehörte zu unserem Prozess, uns näher kennen zu lernen.

„Bella“, sprach meine Mutter mich an, als ich ein weiteres Mal den Empfang meines Handys überprüft hatte.
Der Empfang war da, trotzdem erreichten mich keine Nachrichten.
Fragend blickte ich zu meiner Mutter.
„Gibt es etwas, dass du mir nicht erzählt hast?“ wollte sie wissen.
Sie war immer so aufmerksam. Andererseits, wahrscheinlich verhielt ich mich auch sehr auffällig.
„Nein?“ es klang mehr nach einer Frage, denn einer Aussage.
Der Blick meiner Mutter intensivierte sich.
„Fein“, stöhnte ich, meine Augen verdrehend. „Nein, ich habe keinen Freund. Nein, ich habe dir nichts verheimlicht. Ich stehe seit einiger Zeit in Kontakt mit…“ Konnte ich ihr sagen, dass ich Edward im Internet ‚aufgegabelt‘ hatte? „…in Kontakt mit einem angehenden Medizinstudenten aus Seattle.“
Meine Mutter beugte sich auf verschwörerische Weise weiter in meine Richtung. „Ein er?“
„Ja. Ein er. Und nein, ich habe kein Bild und weiß nicht, wie er aussieht!“
„Bei einem angehenden Arzt ist das auch nicht wichtig. Wichtig ist, was der Kontostand am Ende angibt.“
„Mom!“ rief ich entsetzt aus. „Das ist ganz sicher nicht der Grund, warum ich mit ihm in Kontakt stehe. Wir sind auf einer Wellenlänge, wie es bisher scheint. Ich kann dir mehr sagen, wenn wir uns kennen lernen.“ Ich hoffte, dass ich das Thema damit beendete.

Mein Handy klingelte einen Abend später, als ich Edward im Chat erwartete. Ich hatte nicht mehr viel Zeit, ehe ich ins Bett musste, um für den nächsten Morgen fit zu sein – allerdings war ich mir sicher, dass ich für dieses Gespräch eine Ausnahme in meiner Routine machen könnte.
„Hallo?“ meldete ich mich atemlos, als ich die unbekannte Nummer angezeigt sah. „Bella Swan.“
„Hallo Bella. Hier ist Edward.“
Das war alles, was ich hören musste, um meine Beine schwach werden zu lassen. Nach über einem Jahr sprach ich tatsächlich mit Edward! Und wenn er nicht, auch wenn er so nervös klang, wie ich mich fühlte, die schönste Stimme hatte, die ich je über einen Telefonhörer gehört hatte.
Einmal tief durchatmen und sprechen, Bella.
„Hi… Edward“, brachte ich heraus. Immer noch atemlos.
Er lachte leicht. „Das ist… interessant.“
Ich lachte ebenfalls, nervös. „Allerdings.“ Ich hatte nicht mehr zu sagen. Zum ersten Mal, seit ich Edward kannte, war ich verlegen um Worte. Wie sollte das erst werden, wenn wir uns wirklich trafen?
Ich lauschte Edward atmen, während ich verzweifelt nach einem Gesprächsthema suchte.
„Also… Wie war dein Tag?“ fragte er schließlich.
„Oh! Ahm… der war gut. Wie immer.“
„Kein Gespräch mit Mom?“ Davon hatte ich ihm erzählt.
„Nein. Keines. Und bei dir? Alles gut?“
„Ja… Eigentlich auch, wie immer.“
„Hm“, machte ich.
Pause.
„Meine Eltern haben eine Wohnung für mich gefunden“, rief er beinahe aus, als er sprach.
„Weißt du schon etwas darüber?“ sprang ich auf das neue Gesprächsthema an.
„Ja. Mom meinte, dass sie zwar nicht in unmittelbarer Nähe zum Campus ist, aber trotzdem gut zu erreichen. Außerdem wäre sie nicht allzu weit von ihrem Haus und relativ zentral. Sie wäre nicht allzu groß, aber ich werde ich kleines Schlafzimmer haben, einen Arbeitsraum und ein kleines Wohnzimmer mit Küchenzeile. Also eigentlich alles, was man zum Überleben braucht.“
„Das klingt wunderbar. Wie gerne hätte ich auch eine eigene Wohnung. Vielleicht finde ich ja auch etwas. Das Studentenwohnheim ist keine Lösung für immer.“
„Und so lange bist du bei mir immer willkommen“, lachte Edward.
„Sag das nicht zu laut, sonst kriegst du mich nicht mehr los“, scherzte ich.
„Wir werden sehen. Vielleicht ist das Wohnheim aber auch so toll, dass du gar nicht weg willst. Man kann nie wissen.“
„Das stimmt!“ Ich seufzte leicht. „Ich bin schon unheimlich gespannt auf das Studentenleben!“
„Ich auch“, stimmte Edward zu. „Es wird ja oft als die beste Zeit des Lebens beschrieben.“
„Wir werden herausfinden, ob das stimmt.“ Zusammen? fragte ich mich.
Das Eis schien gebrochen. Ehe ich es mir versah, waren zwei Stunden vergangen und ich musste mich für diesen Tag verabschieden.

Es war aber nicht das letzte Telefonat, das wir miteinander führten. Und jedes wurde besser, bei jedem wurden wir sicherer und mit jedem wurde unser Band stärker. Ich hätte nicht erwartet, wie wichtig es war, seinen Gesprächspartner zu hören und nicht nur seine Worte zu lesen. Und nach dieser Realisation fragte ich mich, wie wichtig es war, seinen Gesprächspartner zu sehen.


Sobald ich wieder zurück in Forks war, begann ich meine wichtigsten Sachen zu packen, die ich in Seattle bei mir haben wollte. Mein Zimmer im Haus meines Vaters wurde nicht aufgelöst, so konnte ich noch einige Dinge dort lassen, die nicht so wichtig waren.
Mit dem alten Truck eines Freundes meines Vaters fuhr mein Dad meine Habseligkeiten nach Seattle, während ich ihm mit meinem ebenfalls voll bepackten Kleinwagen folgte.
Die Wohnheime waren mit Möbeln ausgestattet, sodass wir glücklicherweise davon keine transportieren oder neu kaufen mussten.


GreenEyes: Ich bin da.

Nervös betrachtete ich die Nachricht auf meinem Handy. Er war da. Ich war fast da.
Nachdem wir beide unseren neuen Wohnsitz in Seattle eingenommen hatten, hatten wir uns am vorigen Abend dazu entschieden, dass es an der Zeit war, sich persönlich kennen zu lernen. Und zwar noch bevor die ersten Tage unseres Unilebens begannen.
Wir hatten uns in einem Studenten Café verabredet, dessen Parkplatz ich gerade überschritt, während Edward drinnen bereits auf mich wartete.
Ich betrat den Laden und versuchte mir zunächst einen Überblick zu beschaffen. Der Raum war unerwartet groß und unerwartet voll besetzt. Viele saßen alleine an den kleinen Tischen, sodass ich nicht auf den ersten Blick ausmachen konnte, wer mein Mr. Nicht-Ganz-So-Unbekannt war. Langsam trat ich von der Tür weg, die sich bereits wieder hinter mir öffnete und ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Hier waren viele junge Männer, die alleine an einem Tisch saßen und so erschienen, als würden sie noch Gesellschaft erwarten. Und es war mehr als einer, der erwartungsvoll zur Tür blickte und mich dabei musterte, wie ich eintrat und den Raum aufnahm.
Er hatte mittelbraunes Haar, erinnerte ich mich. Die grünen Augen würde ich auf diese Entfernung nicht erkennen können. Das war mein einziger Hinweis auf seine Person. Vielleicht sollte ich nach jemandem suchen, der ein Handy bei sich hatte?
Ich musste mir gestehen, dass selbst diese Kriterien die Auswahl nicht weit genug einschränkten. Ich verfluchte meine Idee, dass wir selbst versuchen sollten, uns zu finden. Ich verfluchte, dass ich nicht früher gekommen war, nicht diejenige, die gesucht wurde, sondern zur Suchenden wurde.
Ich ging zum Tresen und bestellte einen Kaffee. Während ich auf meine Bestellung wartete, schaute ich mich noch einmal um. Ziemlich nah bei mir saß ein junger Mann, auf den die ungefähre Beschreibung passte, die ich von Edward hatte. Er allerdings schenkte mir keinerlei Beachtung und tippte uninteressiert an seiner Umwelt auf seinen Laptop ein. Weiter drinnen im Raum blickte ein junger Mann in meine Richtung, der zwar vom Aussehen passen würde, den ich aber von seiner Ausstrahlung her ablehnte. Nein, das konnte nicht der Edward sein, mit dem ich seit über einem Jahr in Kontakt stand.
„Bella!“ rief der Angestellte des Cafés, als meine Bestellung fertig war genau in dem Moment, als ich am hinteren Ende des Raums einen wunderschönen Mann entdeckte, der lächelnd in meine Richtung blickte.
Nein! rief ich in Gedanken aus.
Ich nahm meine Tasse vom Tresen und schaute ein weiteres Mal in die Richtung des – ich hatte kein besseres Wort in meinem Vokabular – schönen Mannes. Er hatte kein mittelbraunes Haar, auch wenn man es in anderem Licht wahrscheinlich damit verwechseln könnte. Es war rötlich, kupfern. Er hatte breite Schultern und muskulöse Arme, soweit das Band-T-Shirt schließen ließ. Mehr konnte ich nicht von ihm erkennen.
Er lächelte immer noch und winkte mir mit einem Handy entgegen.
Nein!
Noch einmal ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen, doch ich fand keine bessere Alternative. Langsam durchschritt ich das Café, stets damit rechnend, dass er nicht mich anblickte, sondern jemand hinter mir und derjenige an mir vorbei lief. Doch nichts dergleichen geschah bis ich an dem kleinen Tisch ankam.
Mit nervösem Gefühl in meiner Bauchgegend stellte ich fest, dass er von Nahem sogar noch besser aussah. Ich hoffte, ich würde auch nur einen vernünftigen Satz herausbringen.
Unsinn! schalt ich mich. Das ist Edward. Der Edward, niemand sonst. Warum solltest du dich jetzt anders verhalten?
Aber ich wusste noch nicht einmal, ob er es war. Es konnte genauso gut sein, dass Edward am anderen Ende des Raumes immer noch auf die Ankunft von Bella wartete.
„Bella?“ …mein Name von seinen Lippen…
Als er mich ansprach, wurde mir bewusst, dass ich zwar an seinem Tisch angekommen war, aber kein Wort gesprochen hatte.
Ich nickte. „Edward?“ Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden.
„Das bin ich.“ Er lächelte wieder. Ein Mundwinkel höher, als der andere, stellte ich fest. Meine Augen fixierten sich eigenständig auf seine Lippen.
„Setz dich doch“, forderte er mich auf.
Unangenehm berührt schnappte ich aus meiner offenkundigen Bewunderung für ihn und setzte mich schließlich ihm gegenüber.
Das war er, der Moment, auf den ich so lange gewartet hatte.
„Hi“, flüsterte ich.
„Hey“, entgegnete er ebenso leise.
Er sprach nichts weiter, ich auch nicht. Stattdessen blickte er mir tief in die Augen, als hätte er etwas Faszinierendes in ihnen entdeckt. Ich hatte es auf jeden Fall in seinen. Es war nur eine Vermutung gewesen, aber seine Augen waren tatsächlich mit einem wundervollen Grün gesegnet. Ich starrte in Augen, die auf eine Art funkelten, wie ich es bisher noch nie an einem Menschen gesehen hatten. Er schien glücklich, fröhlich, zufrieden. Und das hier. Mit mir.
„Wie gefällt dir Seattle? Hast du inzwischen etwas mehr gesehen?“ unterbrach er schließlich die Stille.
„Absichtlich nicht“, erwiderte ich. „Ich bestehe auf die Stadtrundfahrt, die mir versprochen wurde.“
Er lachte auf. „Ich stehe zu deiner Verfügung.“
„Das hört sich gut an“, sagte ich mit einer Stimme, die mich selbst überraschte. Sie drückte so viel mehr aus, als einfache Freude auf eine Stadtrundfahrt.
Edward schien das nicht entgangen zu sein, bemerkte ich, als ich in seine Augen blickte – sie zogen die meinen an wie Magnete. Doch er schien von meiner Reaktion keineswegs abgetan. Im Gegenteil, viel eher schien er sehr angetan.
Ich schluckte hart, als ich seine Augen las. Das entwickelte sich komplett anders, als gedacht. Und so viel besser, als gehofft.

Mit Edward zu sein war natürlich, stellte ich am nächsten Tag fest. Wir unternahmen die geplante Stadtrundfahrt. Edward zeigte mir alles Sehenswerte und erzählte mir alles Wissenswerte über die Stadt. Wir entwickelten keine Berührungsängste. Ich hängte mich bei ihm ein, wenn wir Straßen entlang schlenderten und er ergriff meine Hand, wenn er mir etwas besonders interessantes zeigen wollte und meine volle Aufmerksamkeit brauchte. Es war, als würden wir uns bereits unser gesamtes Leben kennen und hätten uns nicht erst am vorigen Tag zum ersten Mal gesehen.
Und so war es auch völlig normal, dass ich ihm bereits an diesem Abend erschöpft in seine Wohnung folgte, wo wir den Tag ausklingen lassen wollten.
„Es ist wirklich nichts besonderes“, erklärte Edward, als er die Wohnungstür aufschloss.
Ich trat ein und schaute mich um. „Darüber reden wir noch einmal, wenn du meine derzeitige Behausung gesehen hast.“
Mein Vater und ich hatten uns noch vor seiner Abfahrt am Tag meines Umzugs darüber geeinigt, dass ich mich nach etwas eigenem umsehen würde und nicht für lange in dieser… Anstalt bleiben würde. Meinem Zimmer und auch dem übrigen Gebäude war anzusehen, dass dort Studenten gewohnt hatten, die alle gerne Partys feierten und davon ausgingen, dort nicht für länger, als die Zeit ihres Studiums zu bleiben. Es war nicht sonderlich sauber, und alles war sehr heruntergekommen. Die zwei Mädchen mit denen ich die kleine Wohnung teilte, waren in Ordnung, aber wir würden wohl nicht beste Freunde werden.
Ich fand Edwards Wohnung großartig. Das Schlafzimmer war klein, behauste gerade so das mittelgroße Bett und einen Kleiderschrank, auch das Bad war nicht sonderlich groß. Das Arbeitszimmer hingegen hatte eine angenehme Größe und im Wohnzimmer konnte man sich wirklich wohl fühlen. Es war eindeutig der Teil der Wohnung, der als Aufenthaltsraum geplant war, sehr großflächig und mit großen Fenstern. Die Küchenzeile beinhaltete alles, um als vollständige Küche zu zählen.
Nach meiner Führung ließ ich mich auf Edwards Sofa fallen und mich von ihm mit etwas zu trinken bedienen. Anschließend gingen wir verschiedene Lieferservice durch und entschieden uns schließlich über Internet Pizza zu bestellen.
„Wollen wir einen Film schauen, während wir warten?“
Ich nickte angeregt. Schon eine Weile hatte ich seine kleine Sammlung beäugt, neugierig, ob darunter auch etwas war, das mich interessierte. Wir entschieden uns schließlich auf einen und ließen uns dann nebeneinander auf dem Sofa nieder. Zunächst lehnte ich mich noch bei ihm an, verschwand aber bald ganz in seiner Umarmung, erst aufgeschreckt durch das Klingeln an der Tür, das unsere Pizzalieferung ankündigte.

„Bella?“
Müde sah ich zu Edward auf.
„Möchtest du hier schlafen? Es ist schon spät und du bist zu erschöpft, um noch nach Hause zu fahren.“
Steif setzte ich mich auf. Ich griff mir unter die Arme und half mir auf.
„Du kannst das Bett haben, ich nehme die Couch.“
Widerwillig schüttelte ich den Kopf. „Nein, ich bin okay. Ich meine… Ja, das wäre nett. Aber ich nehme die Couch.“
„Keine Widerrede.“ Er buchsierte meinen schläfrigen Körper den kleinen Gang entlang in sein Schlafzimmer und setzte mich auf dem Bett ab. „Gute Nacht, Bella.“


Das war der Anfang der Bella und Edward-Ära.
Trotz dem, dass wir auch separat Freunde in unseren Kursen fanden, kamen wir doch zumindest am Wochenende zusammen, unternahmen etwas gemeinsam, das meistens damit endete, dass ich in seinem Bett schlief, während er sich auf der Couch ausstreckte. Ich konnte ihn nicht davon überzeugen, dass das Bett groß genug war, um zu teilen. Er war ein Gentleman, wie er im Buche stand.
Doch am Ende war auch Edward nur ein Mann. Er konnte seine Blicke nicht immer kontrollieren, die er mir zuwarf und seine Hände entwickelten manchmal ein Eigenleben. Er wollte mir Respekt entgegen bringen, aber er war nicht immer erfolgreich. Ich wusste das. Aber er enttäuschte mich immer wieder, dass er nie weiter darauf reagierte.
Wir waren keine Freunde. Wir waren nie Freunde gewesen. Es war immer etwas mehr, aber nicht genug, dass man eine Definition dafür geben konnte. Und eine Frau konnte sich nur so und so lange auf dieser Ebene aufhalten, ehe sie den Verstand verlor. Also zog ich alle Register, die ich kannte.

Es war ein Freitagabend, wir hatten eine ruhige Filmnacht geplant, nachdem wir nun beide die Verrücktheit des Unilebens für einen Monat überlebt hatten.
Ich hatte mir in Vorbereitung auf diesen Abend mit meiner Kleiderwahl schwer getan. Was sagte ‚Ich verbringe einen lässigen Abend mit meinem besten Freund‘ und gleichzeitig ‚Lass mich dich Verführen‘?
Ich hatte mich also für eine Leggins entschieden und dazu ein T-Shirt, dass etwa bis zur Mitte meiner Oberschenkel reichte.

Edward ließ mich herein und half mir aus meinem Mantel. Ich ließ ihm einen Moment, um das Gesamtbild zu betrachten, ehe ich mich wieder in Bewegung setzte und die Wohnung betrat. Wie wir es abgesprochen hatten, war auf dem Wohnzimmertisch ein Stapel geliehener DVDs, wie auch verschiedene Getränke und Naschereien für einen langen Abend.
Ich setzte mich mit Edward auf das Sofa und er startete den ersten Film. Ich lehnte mich an ihn und stützte meine Beine auf dem Tisch ab, was mein T-Shirt zum verrutschen brachte.
Phase 1.
Im Laufe des Films wechselte ich meine Position des Öfteren, um mir etwas zu essen oder trinken zu holen, oder weil mir vorgetäuscht unbequem wurde und ich mich anders hinsetzen müsste. Alles mit dem einen Ziel, Edward möglichst großflächig zu berühren, mich an ihm zu reiben, oder einfach nur ein sanftes Streicheln meiner Haare über seine Haut.
Phase 2.
Edward reagiert. Ich merkte es an dem Heben und Senken seiner Brust und seinem Arm, der sich um mich verspannte.
Ich lehnte mich zurück gegen ihn; meinen Kopf legte ich gegen seine Schulter, während ich gefesselt die Geschehnisse auf dem Bildschirm verfolgte. Er bewegte sich leicht unter mir, änderte aber nichts an seinem Halt an mir.
Ich drehte mich um, bis ich zu ihm aufsehen konnte und meine Lippen direkt neben seinem Kiefer waren. Er musste meinen Atem spüren und wenn ich jetzt sprach, könnten meine Lippen seine Haut berühren.
Er blickte zu mir hinab. Sein schönes Gesicht wurde immer wieder vom Flackern des Fernsehers erleuchtet, doch dem schenkte er keine Aufmerksamkeit mehr. Seine Züge hatten sich vollkommen seinem Blick angeglichen, mit dem er mich musterte. Ich liebte seine Augen auf mir.
Doch keine Reaktion.
Ich biss mir auf die Lippen.
Seine Augen flackerten kurz nach unten.
Ich seufzte. „Denkst du, sie werden es schaffen?“ fragte ich auf das Paar des Filmes bezogen.
Edward gab keine Antwort, sondern betrachtete mich weiterhin.
Phase 3. Nicht erfolgreich.
Ich unterdrückte ein weiteres Seufzen, als ich mich aufsetzte. So kam ich nicht weiter.
Ich nahm mir mein Glas und setzte mich damit in die andere Ecke des Sofas. Vielleicht war Abstand halten nicht die beste Methode, aber ich brauchte Zeit, um mir einen neuen Schlachtplan zu überlegen.
Vielleicht, wenn ich… Nein.
Oder ich könnte… Nein.
Ich blickte auf den Bildschirm, während ich nachdachte. Unbewusst spürte ich, dass Edwards Blick auf mir lag, doch ich versuchte es mir nicht anmerken zu lassen.
„Bella?“
Vielleicht brachte Abstand doch etwas.
„Hm?“ machte ich unbeteiligt.
Er rutschte über das Sofa, bis er direkt neben mir saß, eine Hand legte er auf mein Bein.
Langsam blickte ich zu ihm.
„Bella, ich… Bella, darf ich…“ Er sprach nicht zu Ende, was er sagen wollte. Seine Augen blickten nicht auf meine.
„Tu es einfach, Edward“, forderte ich ihn auf.
Meine Augen verdrehend beugte ich mich ihm entgegen, ehe ich sie schloss. Mehr Hinweise konnte ich ihm nicht bieten. Nun war es nur noch an ihm zu handeln.
In meinem gesamten Körper gingen Feuerwerke los, als seine Lippen letztendlich die meinen berührten. Zunächst schüchtern fanden sie bald mehr zutrauen und bewegten sich forscher auf meinen. Meiner Kehle entfloh ein wohliger laut, als ich meine Arme um seinen Nacken legte und meine Hände in seinem wunderbaren Haar versenkte. Das hier war viel besser als alles zuvor erlebte.
Aber es hörte viel zu bald auf. Er zog sich viel zu früh zurück, wandte sich aber nicht ab, sondern blickte mir tief in die Augen.
„Bella, ich bin nicht dieser Typ“, versuchte er etwas zu erklären, verwirrte mich allerdings nur noch mehr. „Ich bin anders erzogen… Ich kann nicht…“
Unerwartet begann ich zu kichern, als meine Beobachtungen über die vergangenen Wochen auf einmal Sinn zu machen begannen. „Wirklich?“ fragte ich.
Er blickte mir immer noch tief in die Augen. „Wirklich.“
„Verstehe“, sagte ich schließlich, als ich wieder ernst reden konnte. „Ich werde versuchen das zu respektieren. Aber du musst auch verstehen, dass ich eben nicht so erzogen wurde und sich das nicht ausschalten lässt. Besonders nicht bei dir.“ Ich zwinkerte versuchsweise, was er mit einem Lächeln quittierte. Vielleicht war doch nicht alles verloren. Ich würde daran arbeiten. „Also, was ist erlaubt? Du kannst mich in den Armen halten. Wir können… in derselben Wohnung schlafen. Können wir uns küssen?“
„Ja.“ Er ergriff meine Hand und setzte einen Kuss darauf. „Nachdem wir diese Grenze nun überschritten haben.“
„Aber nichts weiter?“ versicherte ich mich.
„Nichts weiter“, bestätigte er.
„Aber wir wären… offiziell?“ Diese Frage war schüchtern. Von dieser Frage fürchtete ich die Antwort.
„Das wären wir, wenn du das möchtest?“
„Dumme Frage, Edward. Darauf arbeite ich schon seit einer Weile hin.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Was du vermutlich weißt… Hättest du mich nicht früher aufklären können? Das hätte mir einige Mühen und schlaflose Nächte erspart.“
„Ich konnte nicht, noch nicht, nicht so schnell. Das hier ist eine große Entscheidung für mich. Bella, du bist die erste für mich. Wirklich. Aber du warst das Mädchen aus dem Internet und ich hätte nicht erwartet, dass du dich als ein so großartiges Mädchen herausstellst, so wunderschön…“ Er streichelte über meine Wange. „…so perfekt. Für mich. Und als ich das verstand, kam gleichzeitig die Realisation, dass du ähnlich denken könntest. Bella…“ Er umfasste mein Gesicht. „Ich liebe dich.“
Meine Augen füllten sich mit Tränen und liefen augenblicklich über. „Ich liebe dich auch“, schluchzte ich. Ich küsste ihn kurz auf die Lippen und schloss anschließend meine Arme um ihn. Niemals hätte ich mit diesem Ausgang des Abends gerechnet.

Dass wir uns unsere Gefühle gestanden, änderte viel an unserem Verhalten, obwohl ich das nicht erwartet hatte. Edward öffnete sich mir, seine Berührungen wurden zärtlicher und kamen öfter und ich konnte ihm das eine oder andere Mal einen längeren Kuss rauben.
Ich konnte ihn dazu überreden, mir tiefere Einblicke in seine Erziehung zu geben, damit ich mehr auf ihn eingehen konnte. Ich verstand nicht, wie ein Kind unserer Zeit derart von seinen Eltern beeinflusst werden konnte, eine Frau so zu behandeln, wie es vor hundert Jahren üblich war. Es ließ mich allerdings verstehen, dass ich bisher nur einen Teil von Edward kennen gelernt hatte; den Teil von sich, den er der Außenwelt präsentierte und den seine Freunde kannten. Jetzt aber schritt ich langsam zu dem privaten Edward vor, einem Edward, den nur sehr wenige zu kennen schienen.
Ich war die eine Person. Und die anderen waren seine Eltern.

Ich begann Edward besser zu verstehen, als er mich für Thanksgiving zum Haus seiner Eltern einlud.
Mr. und Mrs Masen führten ein sehr zurückgezogenes Leben in einem mittelgroßen Familienhaus und mit einem großen Grundstück.
„Ein schönes Haus“, bemerkte ich sofort.
Ich hätte mit einem größeren Haus gerechnet, so wie ich Edwards finanzielle Lage und folglich die seiner Eltern einschätzte. Das Haus allerdings hatte Charme und passte viel besser zu dem Bild, das ich von den Masens hatte.
Wir kamen gerade passend zum Beginn des großen Festessens. Die Vorstellungsrunde war kurz, wir wurden sehr schnell zu Tisch gebeten.
„Ms Swan“, sprach mich Mr. Masen an. „Wir beginnen unser Thanksgiving Essen traditionell damit, vorzubringen, für was wir in diesem Jahr dankbar sind. Wollen Sie nicht den Anfang machen?“
Ich versuchte nicht allzu geschockt zu wirken, als ich ihn anblickte. Das war ein Test, dessen war ich mir ganz sicher.
„Dad…“ versuchte Edward seinen Vater umzustimmen, aber ich nickte ihm schnell zu. Es war besser, seine Eltern bildeten sich ihr Urteil sofort, als später.
„Das würde ich sehr gerne machen, Mr. Masen.“ Ich holte tief Luft, während ich versuchte, mich auf das Kommende zu konzentrieren. „Ich habe dieses Jahr viel, für das ich dankbar bin. Ich bin dankbar für meine Eltern, die mit guter Gesundheit gesegnet sind, die mich immer unterstützen und mich auf meinem Weg begleiten. Ich bin dankbar, dass es mir vergönnt war, meine schulische Ausbildung abzuschließen und ich nun die Möglichkeit habe, mich noch weiter zu bilden, in einem Fach, das mich interessiert und das mir Spaß macht. Ich bin auch sehr dankbar dafür, dass ich Edward dieses Jahr kennen gelernt habe, der zu einem äußerst wichtigen Teil meines Lebens geworden ist und ich bin dankbar dafür, dass ich dieses Fest im Kreise seiner Familie feiern darf“, endete ich.
Ich blickte von meinem Teller auf und blickte in die Runde. Edward lächelte und nickte mir leicht zu. Mrs Masen lächelte mir ebenfalls entgegen.
Mr. Masen nickte zufrieden. „Wohlgewählte Worte, Ms Swan. Elisabeth, meine Liebe, möchtest du fortfahren?“
„Sehr gerne. Ich bin dankbar für die Gesundheit meiner Familie. Ich bin dankbar dafür, dass mein Mann einen wundervollen Job hat, mit dem er Menschen helfen kann und der ihn erfüllt. Ich bin dankbar dafür, dass mein Sohn die Möglichkeit bekommen hat, das zu machen, was er liebt. Besonders dankbar bin ich in diesem Jahr, dass er jemanden gefunden hat, mit dem er seinen Lebensweg teilen kann. Ich bin dankbar, dass sich die Familie hier friedlich am Tisch versammelt hat, um dieses Fest gemeinsam zu feiern.“
Mit einem Blick reichte sie das Wort an Edward weiter.
„Ich bin dankbar eine wundervolle Familie zu haben. Ich bin dankbar, dass wir uns immer beistehen und immer aufeinander zählen können. Besonders dankbar bin ich für meine Eltern, die mich unterstützen. Ich bin dankbar, dass ich eine gute Schule besuchen und abschließen konnte und dass mir die Möglichkeit gegeben wurde, mich weiterzubilden. Ich bin auch dankbar dafür, dass Bella in mein Leben getreten ist und es vollständig gemacht hat. Ich bin dankbar, dass wir das Fest gemeinsam hier im liebenden Kreis der Familie feiern können.“
„Ich bin dankbar für meine Frau Elisabeth, die bei jeder Entscheidung hinter mir steht. Ich bin dankbar für meinen Sohn Edward, der in diesem Jahr so viel erreicht hat und mich mit Stolz füllt. Ich bin dankbar für das Wohlbefinden der Familie. Ich bin auch dankbar für den Zuwachs, den diese Familie für das heutige Fest bekommen hat. Möge ein glückliches und zufriedenes Jahr folgen. Ich wünsche euch einen guten Appetit.“
Die Wünsche wurden allseits weitergereicht, während Mr. Masen den Truthahn anschnitt. Was folgte, war höflicher Smalltalk. Edward wurde über seine Fortschritte an der Universität befragt, ich wurde allgemein über mein Leben befragt. Es waren keine unangenehmen Fragen, aber sie dienten eindeutig dazu, dass man sich ein schnelles Gesamtbild von meiner Person machen konnte. Ich hoffte wirklich sehr, dass meine Antworten gut waren.
Mir fiel auf, dass – unüblich für den Feiertag und die zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel – niemand zu viel auf seinen Teller häufte und niemand mehr als einmal nachnahm. Hier überaß man sich nicht, wie ich es von zu Hause gewohnt war. Und obwohl ich nie in einer heilen Familie gewohnt hatte, war ich mir sicher, dass die Umgangsformen von Mr. und Mrs Masen nicht dem modernen Familienleben angepasst waren. Ich war mir aber auch sicher, dass die beiden sich immer so benahmen und sich nicht verstellten, weil Besuch da war.
Das war wirklich eine interessante Familie.

„Mein Vater ist ein Mann weniger Worte, aber dafür haben sie umso mehr Gewicht. Das macht ihn zu einem so guten Anwalt. Ich kann mir vorstellen, dass er auf manche Menschen kalt wirkt. Es tut mir leid, dass er dich so überrumpelt hat und dass sie dich ins Kreuzfeuer genommen haben. Ich hatte gehofft, dass sie es nicht tun würden.“
„Mach dir keine Gedanken darüber“, versuchte ich Edward zu beruhigen. „Es hätte viel schlimmer kommen können. Ich war sehr erleichtert, dass sie mich angenommen haben, mehr als alles andere. Und natürlich wollen sie mich kennen lernen. Ich hatte einen schönen, aufschlussreichen Abend.“
„Aufschlussreich, hm?“ fragte er nach.
„Ja. Ich weiß jetzt, wo dein Respekt vor Frauen herkommt und deine guten Manieren. Ich habe das Gefühl, heute Abend sehr viel über dich gelernt zu haben.“


Mit dem Jahresende kam auch unser erstes Semester zu einem Ende. Die letzten Wochenenden vor Weihnachten verbrachten Edward und ich weniger Zeit miteinander, da wir uns mit unseren Lerngruppen trafen und den gelernten Stoff wiederholten. Wir waren wieder auf unser ursprüngliches Schema zurückgefallen, per Internet Kontakt zu halten.

BrownEyes: Nur noch eine Klausur, dann habe ich es endlich hinter mir.
GreenEyes: Wenn da mal nicht jemand erleichtert klingt. Bist du dem Unistress nicht gewachsen?
BrownEyes: Als wäre es dir gestern anders gegangen. Weißt du inzwischen, ob wir uns noch einmal sehen, bevor ich morgen abfahre?
GreenEyes: Ich habe es vor, aber ganz sicher kann ich es noch nicht sagen. Hast du schon alles gepackt?
BrownEyes: Ja. Ich weiß noch nicht, ob ich mich freue, wieder nach Forks zu fahren.
GreenEyes: Es ist doch nur für ein paar Tage…
BrownEyes: …aber es waren auch schon ein paar Tage!
GreenEyes: Es tut mir leid.
BrownEyes: Du musst dich nicht entschuldigen. Ich hatte genauso wenig Zeit. Ich wünschte nur wirklich, wir hätten uns öfter sehen können. Und könnten uns jetzt sehen, wo bald alles vorbei ist.
GreenEyes: Ich auch. Ich vermisse dich, furchtbar.
BrownEyes: Ich vermisse dich auch. So sehr. Aber du hast recht, es ist nur für ein paar Tage.
GreenEyes: Und dann gehen wir auf Wohnungssuche.


Forks schien mich glücklicherweise in meiner Ungeduld nicht strafen zu wollen. Ich fand genug Unterhaltung, dass die Tage an mir vorbeiflogen und ich bald darauf wieder nach Seattle zurückfahren konnte.
Edward und ich hatten seit einiger Zeit den Wohnungsmarkt beobachtet. Ich hatte ihn bisher noch nicht gefragt, ob er es als Möglichkeit ansehen könnte, seine Wohnung ebenfalls zu verlassen und mit mir zusammen zu ziehen; es war ein bisschen schwer bei ihm. Allerdings hatte ich im privaten auch nach größeren Wohnungen geschaut, nicht nur nach welchen, die ich alleine bewältigen könnte.
Ich musste etwas finden, denn ich wollte nicht mehr länger im Studentenwohnheim wohnen.

Ich fuhr von Forks direkt zu Edwards Wohnung, ohne Zwischenstopp am Campus.
„Hey! Du bist früh, mit dir habe ich noch gar nicht gerechnet“, begrüßte er mich an der Tür.
Ich legte meine Hand an seine Wange und schüttelte leicht den Kopf. Er redete immer so viel.
„Ich bin früher losgefahren und direkt gekommen“, erklärte ich, nachdem ich meinen Begrüßungskuss bekommen hatte.
Edward führte mich ins Wohnzimmer, wo ich mich einem Mädchen, ungefähr in unserem Alter, gegenüber sah. Überrascht sah ich sie an – und musste zugeben, dass ich sie auch abschätzig musterte.
„Bella, das ist Alice Cullen, meine-“
Edward wurde unterbrochen, durch einen Koloss von einem Mann, der nun ebenfalls ins Zimmer kam. „Dachte ich mir doch, dass ich die Klingel gehört hatte. Willst du mich nicht vorstellen, Eddie?“
Fasziniert blickte ich den fremden Mann an. Nicht nur wegen seiner Größe, er hatte Edward auch einen Spitznamen gegeben.
Edward schaute ihn missbilligend an, ehe er schließlich nickte. „Wie ich schon sagen, Bella, das ist meine Cousine Alice Cullen und ihr Bruder Emmett. Sie sind die Kinder des Bruders meiner Mutter aus Chicago. Ihr zwei, das ist Bella, meine Freundin.“
„Wir haben schon so viel von dir gehört“, zwitscherte das Mädchen und streckte mir begeistert ihre Hand entgegen.
„Es freut mich dich kennen zu lernen“, erwiderte ich.
„Nein, es freut uns, endlich ein Gesicht zu dem Namen zu haben. Und glaube mir, den Namen kennen wir.“ Emmett zwinkerte mir entgegen und warf dann einen triezenden Blick zu seinem Cousin. Offensichtlich mochte er es, Edward zu ärgern.
„Und wir wollten gerade gehen. Mom und Dad erwarten uns bestimmt schon“, erinnerte Alice.
„Oh, ihr müsst nicht… wegen mir…“
„Nicht doch, Bella. Wir müssen wirklich gehen. Wir sehen uns bestimmt noch vor unserer Abreise.“
„Davon gehe ich aus“, erwiderte ich.
„Wenn ich gewusst hätte, dass du früher kommst, hätte die die beiden schon früher herausgeschmissen“, erklärte Edward, sobald die Tür hinter den beiden ins Schloss gefallen war.
„Es hat mich wirklich gefreut, die beiden kennen zu lernen. Aber ich kann auch nicht behaupten, dass ich nicht froh bin, dass sie jetzt weg sind.“ Ich ließ mich in Edwards Arme sinken, die ich so lange gemisst hatte. „Das ist viel besser.“
„Allerdings“, seufzte er.
Eine Weile sagten wir nichts, sondern genossen nur die Nähe des anderen.
„Wie war die Fahrt?“ fragte Edward leise, als wollte er die Stimmung nicht stören.
„Lang. Aber der Highway war frei und ich konnte problemlos fahren.“
„Das ist gut.“
Ich löste mich etwas von ihm. „Darf ich dir deine Geschenke geben?“
„Mehrzahl?“ hackte er nach.
„Ja, zwei. Darf ich?“
„Bitte“, fordert er mich auf.
Ich griff in meine Tasche und zog einen Umschlag heraus. „Ich muss zugeben, dass es ein wenig eigennützig ist, denn ich hoffe, dass ich auch etwas davon haben werde. Hier.“
Edward öffnete den Umschlag und holte die zwei Tickets heraus. „RED?“ fragte er nach.
Ich nickte.
„Oh, ich denke, dass du auf jeden Fall etwas davon haben wirst. Danke, das ist wunderbar.“ Er beugte sich zu mir uns küsste meine Wange.
„Okay, dann kommen wir jetzt zu dem Geschenk, dass nur für dich ist.“
Neugierig packte er das Geschenk aus und betrachtete die CD-Hülle eingehend, die unter dem Papier erschien. Sie hatte ein rotes Cover, auf dem „Edward“ stand. Er öffnete die Hülle und betrachtete die Titelliste auf der Innenseite. Ich konnte an seinem Gesicht erkennen, dass er darauf kam.
„Ich habe die letzten Wochen daran gearbeitet. Meinem Professor habe ich erzählt, dass es für eine Demo-CD wäre, aber ich glaube, das hat er mir nicht abgenommen. Es sind meine Lieblingstitel aus meiner Edward-Playlist. Aufgenommen mit Geige und Klavier, arrangiert von mir. Für dich.“
„Wow.“ Edward starrte immer noch fassungslos auf die CD.
Ich nahm ihm die CD aus der Hand und legte sie in seine Anlage. Der erste Song war im Original von Secondhand Serenade.

„Cause I was born to tell you I love you
and I am torn to do what I have to, to make you mine
Stay with me tonight“

Edward trat hinter mich und legte seine Arme um meine Taille. Langsam bewegte er mich im Takt der Musik, zog mich in die Mitte des Raums und drehte mich, bis wir direkt voreinander standen. Ich legte meine Arme um seinen Hals und meinen Kopf an seine Schulter.
„Ich liebe dich“, flüsterte er in meinen Nacken. „Ich liebe dich so sehr.“
Ich blieb stehen und löste mich ein kleines Stück von ihm, um ihm ins Gesicht sehen zu können. „Ich liebe dich auch. Mehr als alles andere.“
Er zog mich wieder an sich, vergrub sein Gesicht in meinen Haaren und schlang seine Arme fest um mich. „Ich weiß, es ist zu früh, ich weiß es. Aber ich kann es nicht mehr zurückhalten. Es wird für mich nie eine andere geben, Bella. Ich liebe dich aus vollem Herzen, ich brauche dich in meinem Leben. Bitte werde meine Frau. Bitte heirate mich.“
Er hielt mich immer noch fest an sich gepresst, sodass ich zu kaum einer Regung fähig war. Fast so, als hätte er Angst vor meiner Reaktion, als könnte ich weglaufen.
„Edward“, sagte ich sanft. „Edward, lass mich los.“ Ich wollte ihn anschauen.
Er zögerte noch einen Moment, lockerte dann aber seinen Griff um mich.
Sofort fanden meine Hände ihren Weg in sein Gesicht und streichelten ihn. „Edward, weißt du, was du da sagst?“
„Ja“, antwortete er standhaft.
„Bist du dir sicher? Wir… wir…“
Er griff nach meinen Händen, setzte in beide Innenflächen einen Kuss und sah mir dabei fest in die Augen. „Ich bin absolut sicher. Ich liebe dich. Ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Ich möchte dein Ehemann sein!“
Ich studierte seine Augen noch einmal. „Okay“, antwortete ich. „Das… Das kommt zwar plötzlich, aber ja. Ja, ich will dich heiraten. Es wäre früher oder später sowieso dazu gekommen, nicht? Also warum nicht früher?“ brabbelte ich nervös.
„Ja?“ fragte Edward nach. „Du willst?“
„Ja, ich will“, versicherte ich.
„Warte hier!“ fordert er mich auf. Er trat einen Schritt zurück, überlegte es sich dann aber anders, kam mir wieder entgegen und legte seine Hände an meine Wangen. Feurig vereinte er unsere Lippen, einmal, zweimal, dreimal, ehe er sich ganz abwandte und schnell in sein Schlafzimmer lief.
Ich trat irritiert einen Schritt zurück, während ich mich mit großen Augen in der Wohnung umsah, als würde ich sie zum ersten Mal sehen. Meine Finger flogen zu meinen leicht geöffneten Lippen. Ich war verlobt.
Wie war das passiert?
Ich ließ mich in den nächsten Sessel fallen und atmete einige Male tief durch.
Edward hatte mich gefragt, ob ich ihn heiraten wollte. Vier Monate nachdem wir uns das erste Mal getroffen hatten. Drei Monate nachdem wir zusammen gekommen waren.
Ich war verlobt. Verlobt mit Edward.
Wer hätte das gedacht?
Edward war kein Mensch, der unüberlegt in Dinge stürzte. Er hatte gesagt, dass er wusste, es wäre zu früh. Aber dass er es nicht mehr zurückhalten könnte. Er hatte es geplant. Der Gedanke war ihm schon länger im Kopf. Aber er hatte eigentlich noch warten wollen.
Er liebte mich so sehr, dass er mich heiraten wollte.
„Bella?“ Ich schreckte aus meinen Gedanken und Edward erschien in meinem Blickfeld. „Alles in Ordnung?“ Er kniete sich vor mich und griff etwas besorgt nach meinen Händen.
„Etwas überrumpelt, denke ich. Ich bin heute nicht in der Erwartung gekommen, dass ich mich verloben würde.“
„So ist das generell vom Mann geplant“, versuchte er zu scherzen. „Aber, Bella, wir haben Zeit. Das hat keine Eile.“
Ich nickte.
„Möchtest du deinen Ring?“
„Du hast einen Ring?“ Natürlich hatte er einen. Edward war nicht der Mann, der so etwas unvorbereitet ansprach.
Er antwortete nicht, sondern zog den Ring aus seiner Hosentasche. Er war silbern, hatte ein dünnes Band, in seiner Mitte saß ein kleiner Diamant. Er war perfekt. Perfekt für mich.
„Seit wann… Ich meine, wie lange…“ Ich konnte den Satz nicht formulieren.
„Seit dem Moment, zu dem ich wusste, dass du dasselbe fühlst.“
Ich beugte mich nach vorne und lehnte meine Stirn gegen seine. „Das ist eine lange Zeit.“
Er lachte nervös. „Es hätte länger sein sollen.“
„Ich bin froh, dass du gefragt hast“, gab ich zu. „Das macht es mir nämlich einfacher, dir dein drittes Weihnachtsgeschenk zu geben.“
„Du sagtest, es wären nur zwei.“
„Ja, weil ich mir bei zweien sicher war, dass ich sie dir auf jeden Fall geben würde.“ Ich griff wieder in meine Tasche und zog die Dose mit dem Gebäck heraus.
Neugierig öffnete Edward sie. „Ein Kuchen?“
„In Schlüsselform“, bestätigte ich.
Edward reagierte nicht darauf.
Nervös erklärte ich: „Es ist ein symbolischer Schlüssel. Ich war mir nicht sicher, ob ich dich fragen sollte, ob wir uns gemeinsam eine Wohnung suchen die nächsten Tage. Aber ich wollte dir versichern, dass du einen Schlüssel bekommst, wenn ich eine Wohnung alleine nehme.“
Edward hob den Schlüssel aus der Box und biss ein großes Stück ab. „Ich mag deinen Schlüssel“, sagte er, sobald er geschluckt hatte. „Das war eine symbolische Antwort.“
„Dumm nur, dass ich zwei verschiedene Fragen gestellt habe, auf die man nicht dieselbe Antwort geben kann.“ Erwartungsvoll sah ich ihn an.
Edward stellte die Dose beiseite und zog mich neben sich auf das Sofa. „Bella, wie lange willst du verlobt sein?“
„Ich… ich weiß nicht“, antwortete ich, wieder überrumpelt.
„Deine Antwort könnte mir bei meiner helfen.“
Ich ließ meine Gedanken schweifen. Wann wollte ich ihn heiraten? Wollte ich eine kurze oder eine lange Verlobungszeit? Machte es einen Unterschied? Ich hatte meine Entscheidung getroffen, ich wollte ihn heiraten, musste ich mir wirklich lange Gedanken darüber machen, wann?
„Wegen mir könnten wir sofort nach Vegas durchbrennen. Edward, es ist mir egal, wann ich dich heirate, ich will nur, dass wir heiraten!“
„Hm… Vegas… Zwei Tagesreisen entfernt. Das könnten wir noch bis Silvester schaffen!“
Ich schlug ihm gegen die Schulter. „Das war figurative Sprache. Ich will eine richtige Hochzeit. Bald?“
„Bald klingt gut.“ Er zog mich in seine Arme.
„Können wir dann auf die ursprüngliche Frage zurückkommen?“
„Wenn wir bald heiraten, würden wir bald zusammen ziehen. Dann wäre es sinnlos, dass du dir für eine kurze Zeit eine Wohnung suchst. Sprich, ab morgen werden wir für uns beide eine Wohnung suchen.“
Fröhlich blickte ich auf. „Wirklich?“
„Wirklich. So schnell wirst du mich jetzt nicht mehr los. Du bist selbst schuld daran.“ Er ließ seinen Finger über den Ring an meinem gleiten.

Seine Eltern schienen wenig überrascht, als wir ihnen am nächsten Tag unsere Verlobung verkündeten. Das hätte ich eigentlich erwarten sollen.
Anders waren da meine Eltern. Von meinem Vater erfuhr ich, dass er zwar gewusst hatte, dass das kommen würde, aber dass ihm versichert worden war, dass es noch eine Weile hin war. Edward hatte ihn tatsächlich um Erlaubnis gebeten, obwohl die beiden sich offiziell noch nicht einmal vorgestellt waren.
Meine Mutter hingegen war völlig außer sich – im negativen Sinne. Ich konnte sie nicht damit beruhigen, dass ich wusste, was ich tat und dass ich ganz bestimmt nicht denselben Fehler machen würde, wie sie und Dad ihrerzeit.

Die Wohnungssuche verlief schnell und erfolgreich. Nur zwei Stockwerke über Edwards derzeitiger war eine größere Wohnung frei, die all unseren Ansprüchen gerecht wurde. Bis Ende Januar waren wir beide dort eingezogen.
Edward bestand darauf, dass ich in seinem alten Bett schlief, während er jeden Abend die neue Couch im Wohnzimmer auszog. Ich baute auf sein Versprechen, dass sich das in dem Moment ändern würde, wenn wir uns im März das Ja-Wort gaben.

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Tag der Veröffentlichung: 03.03.2011

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