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Restart


Ich wusste, dass es die richtige Entscheidung für mich war und trotzdem hatte ich Angst. Aber war das nicht normal? Immerhin hatte ich sowas noch nie gemacht und für alles musste es ein erstes Mal geben. Ich wusste, dass es wichtig für mein weiteres Leben war, dass es mich weiterbringen würde und dass es das Beste aus mir machen würde.
Meine Eltern konnten mich nicht verstehen, warum sollte sich ein junges Mädchen, dem es an nichts fehlt, dazu entscheiden seine Familie zu verlassen und stattdessen auf ein Internat zu gehen? Was sie nicht verstehen wollten, war, dass es nicht nur irgendein Internat war, sondern die Pacific Academy of Science, die beste Schule der Westküste. Sie förderte jedes Talent eines jeden Schülers individuell.
Ich hatte lange recherchiert, bis ich endlich das richtige für mich gefunden hatte, die PAS hielt alles für mich bereit.
››Und du bist dir auch wirklich ganz sicher, dass du dahin möchtest?‹‹ fragte meine Mutter nun schon zum zigsten Male.
Wir saßen schon im Wagen, mein wichtigstes Eigentum war in zwei Koffern verstaut im Kofferraum und wir waren bereits näher an der Schule, als an meinem alten zu Hause.
Ich nickte.
››Ich habe immer noch nicht verstanden, warum genau du auf dieses Internat willst. Du hättest doch genau so gut auch zu mir ziehen können, wenn du etwas neues brauchst‹‹, sagte mein Vater, der extra angereist war, um sich ein eigenes Bild meiner neuen Schule machen zu können.
Meine Eltern hatten sich schon vor vielen Jahren scheiden gelassen. Das war niemals ein Problem für mich, auch nicht, dass sie an zwei verschiedenen Enden der Staaten lebten. Das brachte Abwechslung in meine Ferien. Dieses Gespräch war seit Jahren – oder eigentlich seit ich mit dem Thema gekommen war – das einzige, in dem sie beide derselben Meinung waren. Gegen mich. Aber meine Entscheidung stand fest. Ich wollte auf diese Akademie gehen und sie würden mich sicher nicht aufhalten.
››Dad, ich möchte nicht nach Forks ziehen, das war noch nie mein Ding, das weißt du doch genau‹‹, versuchte ich ein weiteres Mal zu erklären. ››Außerdem könnte die Forks High mir niemals so ein gutes Angebot machen, wie die PAS es mir macht, genauso wenig konnte ich es meine alte High School in Phoenix. Und ich brauche das für mich, ich möchte auf eigenen Beinen stehen. Jetzt wo Mom Phil hat, muss ich mich auch nicht mehr in dem Maße um sie kümmern, wie früher.‹‹
Meine Mutter lachte einmal Kopf schüttelnd auf, mein Vater hingegen nickte. Sie hätte die letzten Jahre nie ohne meine Hilfe so gut hinter sich gebracht. Aber jetzt hatte sie jemanden und ich konnte ausbrechen. Auch wenn mein Vater nicht verstehen konnte, dass mein Ausbruch nicht zu ihm war.
››Und wozu hast du die anderen Veränderungen an dir gebraucht? Seit wann bist du ein Mädchen, das auf seinen Haarschnitt achtet? Und warum brauchtest du ein dunkleres braun, deine Originalhaarfarbe war doch so schön!‹‹ hakte mein Vater weiter.
››Dad, das ist einfach ein Zeichen dafür, dass ich jetzt reifer bin und es gefällt mir so viel besser.‹‹ Musste ich meinen Eltern wirklich erklären, dass es für mich an der Zeit war, aus meinem Mauseloch herauszukommen und mich der Welt zu zeigen, wie ich war?
Das war dieser eine Punkt, den ich immer aus meinen Erklärungen herausließ. Ich wusste, dass sie kein Problem damit hatten, dass ihre Tochter immer anständige Noten mit nach Hause brachte, noch niemals nachsitzen musste und ihr Verhalten tadellos war. So waren Eltern nun mal. Aber was war mit mir? Natürlich wollte ich nicht auf meine guten Noten verzichten und auf Nachsitzen war ich auch nicht scharf, aber musste ich denn immer die Brave sein? Konnte ich nicht auch einmal mit einem Jungen knutschend in einer Ecke der Schule erwischt werden? Okay, vielleicht ging der Gedanke etwas weit, aber der Sinn war doch klar. Ich hatte noch nicht einmal einen Freund gehabt, nie war auch nur ein Junge an mir interessiert gewesen.
Ich war seit einem Monat siebzehn Jahre alt, in zwei Jahren hatte ich meinen Schulabschluss, aber vom Leben hatte ich noch keine Erfahrung. Natürlich hätte ich für meine Neufindung zu meinem Vater gehen können, ich wäre auch dort in einer neuen Gesellschaft von Jugendlichen gewesen, aber meine Selbstständigkeit wäre voll eingeschränkt. Ich konnte nicht bei meinem Vater leben – einerseits, weil er nur auf einem kleinen Dorf wohnte, in dem sich jeder kannte und andererseits, weil er von diesem kleinen Dorf der Chief war und ihn deswegen wirklich jeder kannte!
Die Pacific Academy of Science lag auch mitten im Nichts an der Westküste, aber sie war groß und es wimmelte nur so von anderen Teenagern.
››Anstatt mich aufhalten zu wollen, könntet ihr auch einfach Stolz darauf sein, dass eure Tochter überhaupt an so einer Schule angenommen wurde‹‹, schalt ich meine Eltern.
››Schätzchen, wir sind Stolz auf dich, natürlich sind wir das! Es ist nur… Jetzt wohnst du bald bei keinem deiner Eltern mehr und du wirst erwachsen werden und du wirst deine eigenen Lebenserfahrungen machen und irgendwann werden deine Eltern die Wichtigkeit in deinem Leben verlieren. Du bist doch mein kleines Baby‹‹, schluchzte meine Mutter.
››Mom…‹‹ sagte ich verzweifelt, ››das hatten wir doch schon. Ich werde dir so oft wie möglich eine E-Mail schreiben und ich werde dich auch keinesfalls aus meinem Leben ausschließen. Das ist auch nicht mein Ziel hiermit. Ich möchte doch einfach nur… mich selbst finden.‹‹
Das klang so furchtbar egoistisch und eigentlich war ich das doch gar nicht. Oder doch? Meine ganze Entscheidung, hier her zu kommen, war eine einzige Tat des Egoismus. Aber andererseits hätte ich es auch niemals gemacht, wenn ich mir nicht sicher gewesen wäre, dass meine Mutter es auch ohne mich schaffte. Sie hatte doch jetzt Phil.
Mit diesem Gedanken schaffte ich es mich wieder selbst zu beruhigen.
Sie versuchten mich jetzt nicht noch länger davon abzubringen meinen neuen Lebensweg zu gehen – was mich wunderte – stattdessen lenkte mein Vater bald unsere Aufmerksamkeit darauf, dass wir bald da sein würden.
Tatsächlich hatten wir die belebten Teile der Staaten schon vor einer Weile hinter uns gelassen. Rechts von uns erstreckten sich die Weiten des pazifischen Ozeans, links der Straße waren wunderschöne, unendliche Weiten Landes.
››Bist du genauso aufgeregt, wie ich?‹‹ fragte meine Mutter.
Ich dachte einen Moment nach und schüttelte schließlich den Kopf. Ich war eigentlich nicht aufgeregt, ich freute mich einfach nur auf meinen neuen Lebensabschnitt.
Ich wusste selbst nicht genau, weshalb ich so überzeugt davon war, dass das das absolut richtige für mich war, aber ich war mir noch nie in meinem Leben so sicher in einer Sache gewesen. Ich hatte diese Schule damals im Internet gesehen und gewusst, dass es das wäre.
Die PAS bot die letzten zwei Jahre der High School für begabte Schüler bestimmter Richtungen an, in denen sie speziell weiter gefördert wurden. Mit einem Abschluss dieser Akademie sollte es ein leichtes werden, mich bei einem der besseren Colleges dieses Landes einschreiben zu können. Meine Förderungen lagen bei Biologie und Englisch. Die beiden Fächer waren mir schon immer die liebsten in der Schule gewesen, keiner meiner Klassenkameraden hatte das jemals nachvollziehen können. Aber keiner meiner Klassenkameraden hätte auch jemals die Chance bekommen hier her zu gehen.
››Bells‹‹, rief mein Vater plötzlich aus. ››Ist es das? Da vorne?‹‹
Schnell blickte ich aus der Windschutzscheibe und nickte dann – doch – aufgeregt. ››Ja! Das ist es!‹‹ Jetzt ging es los, es war in Reichweite!

Wir erreichten den Besucherparkplatz der Schule innerhalb der nächsten halben Stunde. Mit klopfendem Herzen stieg ich aus und drehte mich erst einmal um meine eigene Achse. Ich musste zugeben, dass die Bilder im Internet etwas schöner gewirkt hatten, aber trotzdem war es immer noch ein Traum. Ich konnte es nicht glauben, dass ich hier tatsächlich für die nächsten zwei Jahre zur Schule gehen durfte.
››Wunderschön‹‹, schwärmte meine Mutter. ››Ich kann schon verstehen, dass es dich hier her gezogen hat.‹‹
Ich nickte und ging langsam, gefolgt von meinen Eltern, auf das Hauptgebäude zu. Über der großen Eingangstür hing ein Banner, der alle Schüler herzlich Willkommen hieß.
Wir folgten den aufgestellten Pfeilen zur Anmeldung.
››Guten Tag, mein Name ist Bella Swan, ich bin neu an der Schule‹‹, stellte ich mich bei der Frau hinter dem Tresen vor.
››Wie die meisten‹‹, erwiderte Miss Horwarth – wie ihr Namensschild mir verriet – freundlich. ››Swan?‹‹ fragte sie noch einmal nach, woraufhin ich nickte und sie sich über einen Berg Akten hermachte, bis sie schließlich eine herauszog. ››Hier haben wir dich, Isabella. Hier, bitte, auf diesem Zettel findest du alle wichtigen Informationen, wo du alles findest, wo du noch mehr Informationen bekommst und so weiter. Ich wünsche dir eine wunderschöne Zeit hier.‹‹
Ich bedankte mich und eilte mit meinen Eltern wieder nach draußen.
››Was kommt als erstes?‹‹ fragte meine Mutter sofort nach.
Schnell überflog ich das Papier. ››Ich denke, es wäre am besten, wenn ich zunächst nach meinem Haus suche. Der Hausmeister dort hat meinen Schlüssel und wird mich zu meinem mir zugewiesenen Zimmer führen. In meinem Zimmer finde ich einen Geländeplan. Danach-‹‹
››Machen wir erst einmal das‹‹, unterbrach mich mein Vater.
Ich nickte zustimmend.
Wir gingen zurück zu unserem Auto, holten meine Koffer und Taschen heraus und folgten schließlich der Wegbeschreibung zu meinem Haus.
Ich war im grünen Haus untergebracht. Im unteren Stockwerk war ein großer Aufenthaltsraum mit einem kleinen Kiosk und einigen Automaten. Am Kiosk klingelte ich nach meinem Hausmeister.
››Hey‹‹, sagte die Frau, die nach ganzen fünf Minuten endlich auftauchte. ››Name?‹‹ fragte sie kurz angebunden.
››Bella Swan‹‹, antwortete ich.
Die Hausmeisterin begann eine Liste mit ihrem Blick zu scannen. ››Swan… Swan… Swan…‹‹ murmelte sie vor sich hin. ››Isabella?‹‹ fragte sie schließlich nach und schaute auf.
Ich nickte schnell. Die Frau war mir nicht ganz geheuer.
››G235, merk dir das gut‹‹, sagte sie grinsend, bevor sie einen Schlüssel unter der Theke hervorzog und ihn mir überreichte. ››Zweites Stockwerk, Treppen sind gleich hier links um die Ecke.‹‹
››Vielen Dank, Miss…?‹‹
››Victoria, deine Hausmutter.‹‹
Ich nickte. ››Danke, Victoria.‹‹
Ich drehte mich um und folgte meinen Eltern, die sich schon an den Aufstieg der Treppe gemacht hatten.
››Ich wusste gar nicht, dass du eine Hausmutter haben würdest‹‹, erwähnte meine Mutter überrascht.
››Ich auch nicht‹‹, antwortete ich und unterdrückte den Schauer, der sich über meinen Rücken schlich. ››Aber das Haus sieht doch wirklich nett aus, findet ihr nicht?‹‹
››Wirklich sehr schön‹‹, schwärmte meine Mutter. ››Ich bin mir sicher, dass du dich hier wohl fühlen wirst.‹‹
››Ich auch‹‹, seufzte ich zufrieden.
Zimmer G235 befand sich am Ende eines langen Ganges, leider in Ostrichtung. Ich hatte Blick auf das weite Land und würde jeden Morgen vom Sonnenaufgang geweckt werden. Es war ein Zweierzimmer, wie ich schon wusste. Man bekam erst im zweiten Jahr ein Einzelzimmer. Es schien allerdings, als wäre meine Mitbewohnerin noch nicht angekommen, allerdings mussten auch nicht alle so sein wie ich. Ich hatte beschlossen eine Woche vor Schulbeginn anzureisen, dass ich genügend Zeit hatte, mich einzugewöhnen und an die neuen Begebenheiten zu gewöhnen.
››Was für eine Fensterfront!‹‹ staunte meine Mutter.
››Sieh Mal her, da ist sogar ein kleiner Kühlschrank in dieser Sitzecke‹‹, rief mein Vater aus.
Mein erstes Interesse hingegen galt weder der Fensterfront, noch dem Minikühlschrank, sondern viel mehr der kleinen Toilette, die sich hier im Zimmer befand. Nachdem ich die, nun ja, getestet hatte, ging ich in das kleine Zimmerchen nebenan und begutachtete die Dusche genauer. Die würde ich allerdings erst testen, wenn meine Eltern weg waren.
››Soll ich dir beim einräumen helfen?‹‹ fragte meine Mutter, sobald ich wieder in ihrem Sichtfeld aufgetaucht war.
Eigentlich hätte ich das auch sehr gut selbst hinbekommen, aber es war das letzte, was ich meiner Mutter geben konnte, bevor sie sich verabschiedete.
››Klar‹‹, sagte ich also und schaute mich noch einmal im Zimmer um. ››Da ich offensichtlich die erste im Zimmer bin, ernenne ich einfach die linke Seite als die meine.‹‹
››Gute Wahl, das wäre auch meine gewesen‹‹, kicherte meine Mutter.
Auch mein Vater half uns beim Einrichten meiner Hälfte des Zimmers, denn ich war mit der Ausrichtung der Möbel nicht ganz zufrieden gewesen. Mein Schreibtisch ließ ich in der Mitte der Fensterfront, genau neben dem meiner Zimmergenossin stehen, mein Bett hingegen ließ ich direkt an die Längsseite der Wand schieben und der Schrank dagegen kam weg von der Wand. Die Türen waren nun der Fensterfront zugewandt, die Rückseite der Türe. So schaffte ich mir – vielleicht nur in meiner Einbildung – einen kleinen Privatbereich. Immerhin konnte ich mich dann auch im Zimmer umziehen, ohne das man alles von mir sehen konnte, wenn jemand die Tür aufriss.
Die Wand über meinem Bett dekorierte ich mit Bildern der Familie, was nicht viel war, und Postern, die ich über die Jahre hinweg gesammelt hatte. Man würde wahrscheinlich nicht unbedingt von ihnen auf mich schließen, aber das war auch nicht der Sinn dahinter. Sie waren, meiner Meinung nach, einfach schön gestaltet.
››Fertig‹‹, sagte meine Mutter schließlich und setzte sich auf mein frisch bezogenes Bett. ››Wollen wir noch ein bisschen auf dem Campus spazieren gehen?‹‹
››Ja, gerne, ich wollte sowieso gleich nachschauen, wo sich die Bibliothek befindet.‹‹
››Und wir könnten nach der Cafeteria Ausschau halten‹‹, bemerkte mein Vater.
Meine Mutter nickte lachend. ››Dann lasst uns gehen.‹‹
Mit meinem Lageplan fanden wir den Weg zur Cafeteria ganz einfach. Es handelte sich um einen großen, hellen Raum, der mit Tischen unterschiedlicher Größe gefüllt war und für gutes Wetter eine weitere, große Glastür besaß, die zu einer Terrasse mit Meerblick führte.
Bis ein Wochenende vor Schulanfang musste ich mir jedes Essen, das ich bestellte, bezahlen, da die Schüler erst nach und nach ankommen würden. Mein Glück war, dass ich heute noch mit meinen Eltern da war.
››Das sieht wirklich gut aus‹‹, meinte meine Mutter. ››Ich meine, für so eine große Schulküche.‹‹
››Du bist einfach zu wählerisch‹‹, stellte ich grinsend fest. Ich war mir sicher, dass ich gut mit der Nahrungsauswahl hier zu Recht kommen würde.
In der Cafeteria begegnete ich dann auch endlich meinen ersten Mitschülern, zuvor waren wir niemandem begegnet. Einige saßen schon in kleinen Grüppchen zusammen, ich ging davon aus, dass sie schon das zweite Jahr hier waren, wieder andere waren alleine und einige saßen, genau wie ich, mit ihren Eltern an einem der Tische. Aufregung machte sich in meinem Bauch breit. Würde ich mit jemandem von den hier anwesenden später einmal Freundschaft schließen? Was für Menschentypen waren das? Was sie wohl hier her verschlagen hatte?
Nach dem Essen war es schon zu spät, als dass ich mit meinen Eltern noch die Bibliothek hätte erkunden können. Mein Vater machte darauf Aufmerksam, dass sie noch eine lange Rückfahrt vor sich hatten. Also begleitete ich meine Eltern zum Parkplatz um mich von ihnen zu verabschieden.
››Pass auf dich auf…‹‹
››…vergiss nicht zu schreiben oder anzurufen…‹‹
››…wenn irgendwas ist, steige ich sofort ins Flugzeug…‹‹
››…ich will über alles informiert werden…‹‹
››…willst du wirklich hier bleiben…?‹‹
››…ich bin so Stolz auf dich…‹‹
››...pass gut in der Schule auf und sei fleißig…‹‹
››…hoffentlich findest du viele gute, neue Freunde…‹‹
››…und keine Jungs!‹‹
››Mom, Dad, ich liebe euch auch‹‹, grinste ich. ››Macht euch keine Sorgen um mich, ich pack das schon!‹‹
››Natürlich schaffst du das‹‹, flüsterte meine Mutter mit Tränen in den Augen. Sie zog mich in eine feste Umarmung. ››Mein kleines Mädchen wird Erwachsen.‹‹
››Ich werde immer dein kleines Mädchen bleiben‹‹, versprach ich ihr und tätschelte vorsichtig ihren Rücken.
››Bells…‹‹ mein Vater zog mich direkt aus den Armen meiner Mutter in seine eigenen. ››Mach‘s gut, ich glaub an dich. Sei ein gutes Kind!‹‹
››Versprochen‹‹, flüsterte ich.
Ich löste mich von meinem Vater und schaute in die traurigen, verlassenen Gesichter meiner Eltern. Sie machten es mir nicht gerade leicht in mein neues Leben zu starten, wenn sie mich an ansahen.
››Ihr solltet wahrscheinlich besser losfahren, das ihr noch ankommt, bevor es dunkel wird‹‹, sagte ich. ››Und meldet euch, wenn ihr angekommen seid, ja?‹‹
››Machen wir‹‹, versprach meine Mutter, während mein Vater mich ein weiteres Mal in eine Umarmung zog.
Ich folgte meiner Mutter zur Beifahrerseite. ››Macht euch keine Sorgen um mich, das hier ist genau das, was ich wollte. Es ist gut.‹‹
››Wissen wir, Schätzchen, wissen wir doch.‹‹ Meine Mutter steckte ihren Arm aus dem offenen Fenster und streichelte mir ein letztes Mal über die Wange. ››Also los‹‹, seufzte sie schließlich.
Mein Vater nickte und startete den Motor. Ich winkte ihnen hinterher, bis sie aus meiner Sichtweite verschwunden waren, bevor ich mich umdrehte und mit einem breiten Grinsen im Gesicht meinem Wegplan zur Bibliothek folgte.


First Sight


Meine erste Nacht in meinem neuen zu Hause versprach genau das, was ich mir von hier erhofft hatte. Ich schlief die gesamte Nacht, ohne einmal aufzuwachen und fühlte mich am nächsten Morgen wunderbar ausgeruht und unternehmungslustig. Ich beglückwünschte mich zu meinem Drang, schon eine Woche vor Schulbeginn hier anzukommen, sprang aus dem Bett und machte mich für den Tag fertig.
Gestern Abend hatte ich über zwei Stunden in der Bibliothek verbracht mit dem Ergebnis, dass ich auch volle zwei Jahre brauchen würde, um all den Lesestoff, der mich interessierte auch nur von außen anzusehen. Hoffentlich hatte ich auch wirklich die Zeit.
Im Laufe des Tages sah ich immer mehr Schüler mit oder ohne ihre Eltern ankommen. Bis zum Abend hatte ich noch mit niemandem gesprochen, da ich den ganzen Tag auf Achse gewesen war und von einem Ende des Campus zum nächsten gegangen war. Den einzigen Erfolg, den ich also am Ende des Tages vorweisen konnte, war, dass ich mich auf dem Campus auskannte und keine Gefahr laufen musste, mich zu verirren.
Für den nächsten Tag nahm ich mir vor mit jemanden zu sprechen und erste Bande zu knüpfen. Vor allem, weil ich nicht mehr alleine an einem Tisch in der Cafeteria sitzen wollte.

››Hey‹‹, sagte ich zu dem ersten Mädchen, an dem ich vorbeilief, als ich mir mit meinem Frühstück einen Tisch suchte. ››Kann ich mich zu dir setzen?‹‹
Sie nickte.
››Mein Name ist Bella, ich bin das erste Jahr hier. Und du?‹‹
››Nathalie. Auch‹‹, antwortete sie.
Na, die war ja gesprächig. Vielleicht sollte ich mir für mein Mittagessen jemand anderes suchen?
››Störe ich dich auch wirklich nicht?‹‹ fragte ich sie vorsichtig.
Sie schüttelte den Kopf, sagte aber kein Wort. Ich beschloss daraufhin mein Frühstück stumm einzunehmen. Hoffentlich waren die anderen Schüler hier gesprächiger, als Nathalie.
Nach dem Frühstück schlenderte ich durch das Schulhaus. Es war das größte Gebäude auf dem Campus, hatte zwei große Zeiler ins Land hinein. Wenn man es von oben betrachtete, sah es wohl aus wie ein großes V mit einer langgezogenen Linie auf dem unteren Strich. Ich schaute durch verschiedene Klassenzimmer, von denen mir besonders der Musikraum zusagte. Er war voller Instrumente, aber am meisten stach ein großer, schwarzer Flügel heraus, der neben einem Kontrabass und einer Harfe auf einem Podest im hinteren Teil des Raumes stand. Ich hatte gelesen, dass an der Schule nicht nur die traditionellen Naturwissenschaften besonders gelehrt wurden, sondern auch Musik- und Sportwissenschaften eine große Rolle spielten.
Im Biologielabor hielt ich mich besonders lange auf, da das der Raum sein würde, in dem ich mich bald sehr oft aufhalten würde. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl, viel wohler als in dem schlecht beleuchteten Raum, den ich auf meiner alten Schule hatte. Ich suchte mir meinen Platz aus und machte mich mit den Schränken vertraut, sodass ich nicht herum suchen müsste, um an die benötigten Instrumente zu kommen.
Auf meinem Rückweg fiel mir eine große Pinnwand auf, die über und über, aber fein säuberlich, mit Blättern zugepinnt war. Neugierig überflog ich einige, bis ich schließlich meinen Namen fand. Er war auf der Liste aller neuen Schüler dieses Schuljahres und verriet, welches meine Hauptfächer waren.
Je weiter ich die Blätter überflog, desto mehr Details über meinen Stundenplan konnte ich herausarbeiten. Hätte ich mir doch nur einen Notizblock mitgebracht! Ich fand heraus, dass ich im Biologiekurs B2 und im Literaturkurs L2 war, meine Nebenfächer waren Geschichte h4, Sport s4, Musik m1 und Spanisch s2. Ich stöhnte genervt. Man konnte daran sehen, dass mein Name mit S anfing, dadurch landete man immer in den hinteren Kursen. Immerhin aber schien diese Schule nicht darauf konzentriert zu sein, dass man jeden Tag denselben Stundenplan hatte. Für mich war viermal die Woche Biologie eingeplant, davon zwei Doppelstunden und zwei Einzelstunden und dreimal die Woche Literatur, immer Doppelstunden. Die restlichen Stunden verteilten sich auf jeweils drei Einzelstunden die Woche. Das hieß, ich hatte eine wunderbare Menge an Freistunden – oder Zeit Zusatzkurse zu nehmen um meinen Notenschnitt aufzubessern. Aber da wollte ich mir erst einmal die Angebote anschauen und vielleicht ein oder zweimal in die verschiedenen Kurse schnuppern.
Zum Mittagessen wagte ich mich dieses Mal an einen Jungen heran, nachdem ich von meinem eigenen Geschlecht am Morgen so enttäuscht worden war.
››Hi‹‹, sagte ich, als ich mich neben ihm am Tisch niederlies. ››Ich bin Bella.‹‹
››Und ich nicht interessiert‹‹, war die Antwort.
Na klasse! ››Hey Nicht Interessiert, nett dich kennen zu lernen.‹‹
Er verdrehte die Augen. Ich seufzte. Gab es hier normale Menschen?
››Tut mir Leid, ich wollte dich nicht stören, ich wollte nur ein paar Leute kennen lernen, nicht dich anmachen. Aber bitte!‹‹ Ich erhob mich.
››Andy‹‹, sagte er schließlich. ››Setz dich.‹‹
››Ähm… Danke?‹‹
Er winkte ab und beugte sich dann dichter zu mir. ››Meinst du das ernst?‹‹ fragte er.
››Was?‹‹ Ich war jetzt verwirrt.
››Du hast keine Absichten? Du wolltest nur Leute kennen lernen? Du stehst nicht auf mich?‹‹
››Ich habe dich gerade zum ersten Mal gesehen, ich stehe ganz bestimmt nicht auf dich!‹‹
››Oh. Gut. Weißt du, die Mädchen hier sind manchmal etwas seltsam. Sie sind… Sie sind immer hinter mir her!‹‹
Skeptisch betrachtete ich meinen Gegenüber noch einmal genauer. Entweder ich übersah irgendetwas, oder die Mädchen hier hatten einen komischen Geschmack, oder er war schizophren. Ich tippte auf Letzteres.
Abwehrend hob ich meine Hände. ››Keine Hintergedanken. Versprochen!‹‹ sagte ich, ein Lachen unterdrückend. ››Du bist also schon dein zweites Jahr hier?‹‹ Es war nicht mehr so, als wollte ich mich noch mit ihm unterhalten, aber jetzt da ich schon einmal angefangen hatte… Ich musste es nicht wiederholen, oder?
Und dann begann er zu erzählen. Was er hier schon alles erreicht hatte, wie toll er war und was nicht noch alles. Es gab nur eine Sache, die ich ihm glaubte. Er war der beste in Chemie in seiner Stufe. Zweifelsohne. Er erinnerte mich mehr und mehr an einen verrückten Professor. Wie war ich nur an den geraten?
Nach dem Essen redete ich mich aus seiner Frage heraus, ob wir am Nachmittag etwas zusammen machen wollten – ich dachte, er wollte kein Mädchen zu Nahe an sich haben? – und eilte in mein Zimmer zurück, wo ich mir ein Buch und eine Decke schnappte, um es mir auf einer der schönen, saftig grünen Wiesen in der Sonne bequem zu machen. Ich liebte die Sonne, obwohl man es mir nicht wirklich aussah.
Ich schmökerte den ganzen Nachmittag in einem meiner Lieblingsbücher und wurde nur ab und zu von vorbeilaufenden Schülern abgelenkt, die ich dann interessiert beobachtete. Nur wenige nahmen mich wahr, noch seltener wurde mir ein netter Blick geschenkt. Es gab einige Eltern, die mich nach dem Weg fragten, meistens zu einem der Gebäude ihrer Schützlinge, die ich Dank meiner langen Spaziergänge am Tag zuvor beantworten konnte.
Für die Mädchen gab es zwei Gebäude, das grüne, in dem ich wohnte und das rote, das direkt nebenan stand. Für die Jungen gab es nicht weit von den Mädchen entfernt zwei weitere Häuser, eines war orange-braun und das andere war blau. Die Jungen hatten einen längeren Weg zum Schulgebäude, als die Mädchen, die Cafeteria hingegen lag direkt in der Mitte und teilte somit Jungen von Mädchen.
Eine Familie stach aus den anderen heraus, die ich beobachtete. Ich sah sie nur von weitem, aber der Unterschied war klar zu bemerken. Nicht nur, dass sie alle sehr gut aussahen und ihre Haut in der strahlenden Mittagssonne zu glänzen schien, nein, das wirklich bemerkenswerte war ihre Größe. Die meisten Familien, die hier an mir vorbeiliefen, waren beide Elternteile, wenn überhaupt, mit einem Schüler, höchstens zwei. Diese Familie bestand aber aus beiden Elternteilen, drei Jungen und zwei Mädchen. Eine richtige Großfamilie. Zudem schienen alle in dem Alter zu sein, hier zur Schule zu gehen. Sie kannten sich aus und steuerten zielsicher den Weg zu den Wohnhäusern an. Ich ging davon aus, dass ein Teil von ihnen schon das vorherige Jahr hier gewesen war, vielleicht hatte der Größte bereits letztes Jahr seinen Abschluss gemacht und war nur hier um seine Geschwister sicher unterzukriegen?
Die sieben waren so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht waren.

Nach den Enttäuschungen der ersten beiden Mahlzeiten des Tages, beschloss ich mein Abendessen alleine einzunehmen, wenn ich Glück hatte, wollte aber vielleicht jemand mit mir essen? Startete einen ebenso verzweifelten Versuch, wie ich ihn bereits hinter mir hatte?
Ich wurde tatsächlich angesprochen, aber ob es Glück war, wusste ich nicht. Jedenfalls brachte er schon mit seinem zweiten Wort, dass er zu mir sprach, meinen Entschluss ins Wanken, nie einen meiner Mitschüler so zu behandeln, wie ich behandelt worden war.
››Ciao Bella‹‹, sagte er in einem überlegenen Ton, als er hinter mir in er Schlange auftauchte.
››Hi‹‹, sagte ich kurz, als ich ihn genauer betrachtet hatte.
Mein Gegenüber war ein Sunnyboy Typ. Ich ging davon aus, dass er Surfer war. Seine braungebrannten Arme, die aus seinem Muskelshirt herausragten, ließen darauf schließen. Er hatte ausgebleichtes Haar und zu viel Zahnaufheller benutzt. Er war exakt der Typ Junge, auf den ein Haufen Mädchen stehen würden und er schien sich dessen bewusst zu sein. Sein Problem war nur, dass ich nicht eines dieser Mädchen war.
››Mike‹‹, sagte er und streckte mir seine Hand entgegen. ››Mike Newton.‹‹
››Bella Swan‹‹, antwortete ich und schüttelte zaghaft seine Hand.
››Ich lag noch nie so richtig‹‹, lobte er sich und grinste mich süffisant an. ››Hast du schon ein Date zum Essen?‹‹
››Nein‹‹, sagte ich. ››Ich war eigentlich auch auf keines aus.‹‹
››Schade. Ich hätte mich sehr gerne angeboten.‹‹
Da wollte ich mal nicht so sein. ››Aber du darfst dich gerne an meinen Tisch setzen.‹‹
››Super!‹‹ sagte er begeistert.
Hoffentlich verstand er das nicht falsch.
Mike schien sehr gerne von sich selbst zu erzählen, dagegen hatte ich prinzipiell gar nichts. Allerdings störte mich die Art, wie er mit jedem weiteren Wort an mich heran rutschte und dann zu allem Überfluss auch noch meinte, meine Haare streicheln zu müssen. In meinem Kopf suchte ich nach einer passenden Entschuldigung, um das Essen Frühzeitig verlassen zu können.
››Entschuldigung‹‹, hörte ich in dem Moment eine äußerst willkommene Stimme. Ein Tablett wurde geräuschvoll auf den Tisch abgestellt und ein Stuhl verrutscht. Mein Kopf zuckte sofort in diese Richtung. ››Ist hier noch ein Platz frei?‹‹
Schnell nickte ich, bevor Mike sein ››Nein‹‹ zu Ende bringen konnte.
››Tut mir Leid‹‹, entschuldigte sich der Neuankömmling – er kam mir bekannt vor. ››Eigentlich sollte ich meine Geschwister hier treffen, aber sie sind noch nicht da. Und ich wollte nicht alleine sitzen. Ich bin übrigens Edward.‹‹ Er zwinkerte mir zu.
Verwirrt erwiderte ich seinen Blick. Hatte er bemerkt, dass ich mich in der Gesellschaft Mikes nicht zu wohl fühlte?
››Bella‹‹, stellte ich mich nun vor. ››Ich glaube, ich habe dich heute Nachmittag mit deiner Familie gesehen.‹‹ So viel Schönheit konnte niemand vergessen.
››Ich erinnere mich, du lagst auf einer der Wiesen, richtig?‹‹
Ich nickte. Er hatte mich gesehen? Er hatte mich bemerkt?
››Und du warst?‹‹ wandte sich Edward nun an Mike.
››Mike Newton‹‹, erwiderte der leicht angesäuert. ››Ich bin satt.‹‹ Er räusperte sich. ››Ich denke, man sieht sich, Bella.‹‹
Mike schenkte Edward keine Beachtung, als er abzog.
››Danke‹‹, seufzte ich in Edwards Richtung.
››Hättest du vielleicht Lust, dich mit mir nach draußen auf die Terrasse zu setzen?‹‹
Verlegen senkte ich den Blick. ››Du musst nicht mit mir essen, wirklich nicht.‹‹
››Warum sollte ich das denn nicht wollen?‹‹ fragte er überrascht.
››Du hast dich zu uns gesetzt um mich vor Mike zu retten. Das war wirklich sehr nett von dir. Aber willst du jetzt nicht lieber auf deine Familie warten und mit ihnen essen?‹‹
Edward legte seinen Kopf schräg und betrachtete mich einen Moment. ››Mit denen kann ich noch oft genug essen und glaub mir, ich habe mit ihnen auch schon sehr oft gegessen. Wenn du allerdings nicht willst, ist das auch vollkommen in Ordnung.‹‹
Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden und unterdrückte den Drang mich selbst zu schlagen. ››Nein, eigentlich würde ich sehr gerne mit dir auf der Terrasse essen‹‹, brachte ich leise hervor.
››Wunderbar.‹‹
Wer hätte gedacht, dass ein Typ, wie er, mit mir zu Abend essen wollte? Wahrscheinlich war es doch alles nur aus Höflichkeit. Aber das war mir im Moment egal, ich würde die kommenden zwanzig Minuten einfach genießen.
››Das ist dein erstes Jahr hier?‹‹ stellte er mehr fest, als dass er fragte.
Ich nickte. ››Ja, ich habe das letzte halbe Jahr sehr hart daran gearbeitet, dass ich hier aufgenommen werde. Ist es auch dein erstes?‹‹
››Ja. Meine älteren Geschwister Rosalie, Emmett und Jasper sind schon letztes Jahr hier gewesen. Alice und ich waren so begeistert, dass wir auch beschlossen hier her zu kommen.‹‹
››Wow, du hast viele Geschwister im selben Alter‹‹, stellte ich neugierig fest.
››Wir sind eigentlich keine Geschwister. Nun ja, Rosalie und Jasper sind Zwillinge. Wir wurden alle adoptiert.‹‹
››Oh… Das ist…‹‹ Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte.
››Ist schon okay, du musst nichts sagen. Wir sind schon lange so zusammen und glücklich damit.‹‹
Ich zwang mich zu einem schüchternen Lächeln. ››Dann ist ja gut.‹‹ Ich war neugierig auf mehr Details, befand dann aber doch eine Rettungsaktion und fünf Minuten Unterhaltung als zu wenig Grundlage für ein vertrautes Gespräch. ››Ich habe bis jetzt bei meiner Mutter in Phoenix gelebt‹‹, begann ich zu erzählen. An seinem interessierten Gesichtsausdruck sah ich, dass ich weitersprechen konnte.


Date


Ich brachte den Donnerstag und Freitag mehr schlecht, als Recht hinter mich, immer in freudiger Erwartung auf den Abend des letzteren Tages, wenn ich mein allererstes Date hatte. Mit Edward.
Meine Mittbewohnerin war immer noch nicht aufgetaucht, aber ich hatte inzwischen ihren Namen herausgefunden. Sie hieß Angela Weber, war sechzehn Jahre alt und kam aus dem Norden der Westküste. Leider konnte mir niemand Angaben darüber machen, wann sie ankam, oder mir eine Kontaktadresse geben. Ich hätte sie gerne schon kennen gelernt, als ewig und drei Tage auf sie zu warten und mir alle möglichen Vorkommnisse mit und wegen ihr auszumalen.
Auf dieses Thema kam ich in meinen Gedanken immer zurück, wenn ich mich von Edward ablenken wollte – was sich als schwerer, als erwartet, herausstellte.
››Hättest du Lust, dich am Freitagabend mit mir zu treffen?‹‹ hörte ich seine Stimme in meinen Gedanken wiederhallen.
Er hatte mich gefragt, als er mich nach unserem gemeinsamen Abendessen zurück zu meinem Wohnhaus gebracht hatte.
››Ich würde das wirklich gerne schon auf Morgen legen‹‹, hatte er nach einem kurzen Zögern meinerseits hinzugefügt, ››aber meine Schwester hat meine ganze Familie schon für Morgen verplant, sie will die Gegend um die Schule erkunden. Alice, sie ist, wie ich, neu.‹‹
Ich hatte genickt, bis mir bewusst wurde, dass ein Nicken für beides eine Antwort sein könnte. ››Ich würde mich sehr gerne am Freitag mit dir treffen‹‹, hatte ich also gesagt.
Er lächelte erfreut. ››Super! Dann sagen wir ungefähr zur selben Zeit auf der Terrasse in der Cafeteria?‹‹
››Sicher.‹‹
Und so war ich zum ersten Date meines Lebens gekommen. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Und dann auch noch mit so einem Typen! Ohne in irgendeiner Weise oberflächlich wirken zu wollen, aber Edward war schon eine Granate. Genau die richtige Menge an Muskeln, an genau den richtigen Stellen. Ein schiefes Lächeln, das dich komplett um den Verstand brachte und grüne Augen, so schön, dass du dich nicht mehr von ihnen losreisen konntest. Aber nicht nur sein äußeres schien genau richtig zu sein. Er war sehr höflich, nett, witzig, trieb seine Witze jedoch nie zu weit. Zudem war er ein richtiger Gentleman, mehr als einmal hatte er mir die Tür aufgehalten und mir den Vortritt gelassen. Ich war wie verzaubert von ihm und das nach nur einem einzigen Treffen.
Ich konnte mich nicht mehr genau entsinnen, wann ich zwei Tage zuvor zum Abendessen gegangen war, weswegen ich schätzte und zusätzliche fünfzehn Minuten auf mein Ergebnis gab. Lieber war ich zu früh, als dass er seine Mahlzeit schon halb beendet hatte, wenn ich auftauchte.
In der Cafeteria ließ ich meinen Blick zunächst durch die anstehende Schlange – inzwischen waren wirklich viele Schüler an der Schule angekommen – und anschließend durch den Saal gleiten, aber nirgendwo konnte ich Edwards Bronzeschopf erkennen. Seine Haare würden sicher überall herausstehen.
Ich stellte mich an der Schlange zum Essen an, vielleicht würde Edward in der Zeit hereinkommen, dann könnte er sich zu mir stellen. Aber dem war nicht so. Ich holte mein Essen alleine und suchte anschließend, immer noch alleine, nach einem Platz mit Meerblick auf der Terrasse. Nun wusste ich nicht, was ich machen sollte. Warten und riskieren, dass mein Essen kalt wurde? Oder essen und ihm später zuschauen? Wenn er denn überhaupt kam…
Böser Gedanke!
Aber trotzdem war keine Garantie darauf. Was, wenn er es vergessen hatte? Was, wenn er jemand interessanteren, als mich, gefunden hatte und lieber mit der ausgehen wollte? Was, wenn ihm etwas mit seiner Familie dazwischen gekommen war? Was, wenn… ich etwas falsch verstanden hatte und er von einem ganz anderen Tag gesprochen hatte? Oder war ich zur falschen Uhrzeit hier? Ich hatte doch nicht einmal seine Handynummer um mich mit ihm zu verständigen.
Etwas lustlos begann ich in meinem Essen herumzustochern. Ich hatte mir eindeutig zu viele Gedanken gemacht und die hatten meinen Stimmungsgrad erheblich gesenkt.
Neben mir wurde ein Stuhl gerutscht. Oh nein, bitte nicht jemand, der sich zu mir setzen wollte!
››Ist bei Ihnen noch ein Platz frei?‹‹ fragte mich eine sanfte Stimme.
Verwirrt über diese Wortwahl und Sprechendart an einer Schule voller Teenager schaute ich auf – direkt in die schönen, grünen Augen Edwards.
Ein Grinsen schlich sich über meine Züge. ››Natürlich. Nehmen Sie nur Platz, werter Herr.‹‹
››Edward Cullen, freut mich Ihre Bekanntschaft zu machen.‹‹
Ich legte meine Hand in seine, die er zu seinen Lippen führte. ››Bella Swan, die Freude ist ganz auf meiner Seite. Was verschafft mir die Ehre, dass Sie sich gerade an den Tisch meiner Wenigkeit verirren?‹‹
››Sie wirkten auf mich, als würden sie etwas Unterhaltung sehr begrüßen.‹‹
››Sie dachten richtig‹‹, sagte ich, anerkennend nickend.
In dem Moment konnten wir uns beide nicht mehr länger halten und begannen zu lachen. Die paar Minuten, die ich warten musste, waren in dem Augenblick schon wieder vergessen und ich schob mein Tablett in die Mitte, dass Edward sich ebenfalls bedienen konnte.
››Danke‹‹, murmelte er. ››Hast du lange gewartet?‹‹
››Nein, keine Sorge. Ich wusste nicht mehr genau, wann wir uns am Mittwochabend getroffen haben, deswegen bin ich lieber etwas früher los, als zu spät.‹‹
››Und ich dachte, ich wäre ebenfalls nach dem Prinzip vorgegangen. Tut mir Leid.‹‹
Ich beschloss das Thema zu wechseln. ››Hattest du gestern einen schönen Tag mit deiner Familie?‹‹
Er nickte nur, da er einen vollen Mund hatte.
››Lohnt es sich, dass ich selbst einen Ausflug für mich plane? Ich würde doch auch gerne erkunden, in welcher Umgebung ich hier lebe.‹‹
››Ich denke, das kommt ganz darauf an, was du gerne siehst und was du erwartest. Wenn du gerne weite Landschaften siehst, hier und da Berge und gerne läufst, dann könnte es genau das richtige für dich sein. Ein Stück am Meer entlang gibt es auch schöne Buchten und Strände, wir haben da einige Zeit verbracht, das war wirklich nett. Und vor allem, was mir besonders gefallen hat, einsam. Wir sind während des gesamten Tages kaum einer Menschenseele begegnet. Was ich von meinen Geschwistern bisher von dieser Schule gehört habe und was ich bis jetzt selbst von der Größe gesehen habe, könnte es eine nette Abwechslung sein, ab und an herauszufahren und einfach die Einsamkeit der Strände genießen.  Das positive ist auf jeden Fall, dass das Wetter hier jeden Tag gut genug sein wird, dass man seine Badesachen mitnehmen kann.‹‹
››Da hast du Recht. Und das klingt wirklich sehr schön. Seid ihr mit dem Bus gefahren?‹‹
››Nein, wir haben unsere Wagen mitgebracht. Rosalie ihren und ich meinen, wir dachten, das würde uns ausreichen.‹‹
››Zwei sind besser, als keiner. Du weißt also auch nicht, ob da sowas wie Busse fahren?‹‹
››Nein, tut mir Leid. Ich bin so an mein Auto gewöhnt, dass ich auf so etwas gar nicht achte.‹‹
››Das muss schön sein… Aber ich werde das sicher noch herausfinden.‹‹
››Bestimmt. Mit was hast du deinen Tag gestern verbracht?‹‹ fragte er mich nun.
››Ich habe nichts besonderes gemacht. Ich war den Vormittag in der Bibliothek und habe einige Bücher durchgeschaut, anschließend einige wieder zurücklegen müssen und die anderen ausgeliehen. Nachmittags war ich dann in meinem Zimmer, in der Hoffnung, dass meine Mitbewohnerin vielleicht auftauchen würde, habe Musik gehört und etwas gelesen. Aber sie ist nicht aufgetaucht. Am Abend war ich im Gemeinschaftsraum. Es war kein besonders spannender Tag.‹‹
››Ist deine Mitbewohnerin heute aufgetaucht?‹‹
››Nein, sie war noch nicht da, als ich gegangen bin.‹‹
››Schon seltsam, dass sie so spät dran ist. Vielleicht kommt sie ja im Laufe des Abends.‹‹
››Hast du schon einen Mitbewohner?‹‹
››Ja, er war schon da, als ich angekommen bin, das war ein bisschen blöd. So hat er sich die bessere Hälfte ausgesucht.‹‹
Ich nickte wissend. ››Wie ist er so? Werdet ihr klar kommen?‹‹
››Das ist am Anfang immer schwer zu sagen, da stimmst du mir sicher zu. Aber soweit kann ich mich nicht beklagen, dadurch, dass ich einen sehr weiten Musikgeschmack habe, kommen wir uns da nicht in die Quere. Er hat das Zimmer auch nicht irgendwie ein gequalmt und in eine Gruft verwandelt-‹‹
››Du machst mir Angst!‹‹
Edward lachte. ››Keine Sorge, das war nur ein Scherz. Ich glaube nicht, dass du so etwas hier erwarten musst. Wie auch immer, er scheint wirklich ein angenehmer Zeitgenosse zu sein. Chris McLean, falls du ihm über den Weg laufen solltest.‹‹
››Ich versuche es mir zu merken‹‹, lachte ich. ››Meine heißt übrigens Angela Weber, das habe ich bei meiner Hausmutter in Erfahrung gebracht.‹‹
››Der Name klingt ja schon mal nett…‹‹
››… was aber nicht sonderlich viel zu sagen hat, wie du an meinem Namen merkst.‹‹
Edward hob eine Augenbraue, sagte aber nichts dazu. ››Was hat dich auf diese Schule verschlagen? Was sind deine besonderen Fächer? Was willst du danach damit anfangen?‹‹ wollte er wissen.
››Immer langsam‹‹, lachte ich. ››Ich wollte aus meinen alten Lebensbegebenheiten heraus, außerdem konnte ich meiner Mutter dadurch etwas Zeit alleine mit ihrem neuen Mann verschaffen. Zu meinem Dad wollte ich nicht ziehen, er wohnt auf einem sehr kleinen Dorf in Washington und es regnet die ganze Zeit. Es ist sogar der Ort, an dem es am meisten regnet in den Staaten.‹‹
››Forks‹‹, sagte Edward, mehr wie eine Feststellung.
››Ist dein Hauptfach Geographie?‹‹ fragte ich, überrascht darüber, nach, dass er den Ort tatsächlich kannte.
››Nein, ich habe dort die letzten zwei Jahre meines Lebens verbracht.‹‹
››Oh‹‹, sagte ich leise. ››Oh, dann tut es mir Leid, dass ich es so schlecht gemacht habe.‹‹
››Du hast nichts als die Wahrheit gesagt.‹‹
››Okay, aber ich habe einen weiteren Grund, dass ich nicht dorthin wollte.‹‹
››Der wäre?‹‹
››Mein Vater ist Chief Swan.‹‹
››Oh‹‹, sagte dieses Mal Edward. ››Ja, der Name sagt mir etwas.‹‹
››Und jedem anderen in Forks ebenfalls. Du wirst sicher verstehen, wie die Leute schauen würden, wenn ich da ankäme. Ich wäre die Attraktion des Jahres.‹‹
››Immerhin wäre meine Familie und ich dann endlich diesen Thron los. Wir sind das neuste, was Forks an Bürgern zu bieten hat.‹‹
››Mein herzlichstes Beileid!‹‹
››Danke‹‹, sagte Edward gespielt dramatisch.
››Okay, dann komme ich auf deine anderen Fragen zurück. Meine Fächer sind Englisch und Biologie, ich weiß, das ist eine seltsame Mischung, aber es sind eindeutig meine Lieblingsfächer. Ich war zu Hause in Phoenix im fortgeschrittenen Kurs Biologie, für Englisch gab es leider keinen. Welches sind deine?‹‹
››Ich habe auch eine eher ungewöhnliche Mischung, wahrscheinlich mussten sie wegen uns die kompletten Stundenpläne durcheinander schmeißen. Ich habe ebenfalls Biologie und dann noch Musik.‹‹
››Daher der umfassende Musikgeschmack. Was ist dein Instrument?‹‹
››Ich bin für Klavier eingetragen.‹‹
››Heißt das, dass du noch weitere spielst?‹‹
››Ich habe mich an einigen anderen Instrumenten probiert, aber das Klavier hat mich immer wieder zu sich zurück gezogen. Ich bin manchmal auch ganz gut in Eigenkompositionen, das sagt zumindest meine Familie.‹‹
››Interessant‹‹, gestand ich.
››Du darfst dir da wirklich nichts besonderes darunter vorstellen. Ich bin kein Beethoven.‹‹
››Das ist auch gut so. Sonst wärest du in wenigen Jahren taub und das wäre sicher schlecht für deine Musik.‹‹
››Allerdings wenn ich Beethoven wäre, würde das nichts ausmachen, ich wäre trotzdem noch ein Genie.‹‹ Er zwinkerte mir zu. ››Du kennst dich aus‹‹, sagte er anerkennend.
››In der Theorie, ja. Sobald es an Taktgefühl geht, bin ich hilflos. Du siehst ja an meiner Fächerwahl, von welchem Ende ich mich lieber an die Themen heranwage. Dazu muss gesagt werden, dass ich in Biologie lange Bücherkapitel den Praktika vorziehe.‹‹
››Wir wären ein perfektes Team‹‹, meinte Edward daraufhin.
››Warum?‹‹
››Ich bevorzuge den praktischen Teil über dem theoretischen‹‹, erklärte er.
››Du hast Recht. Aber wie du schon sagtest, wir wären nur ein gutes Team.‹‹
››Warum sagst du das so?‹‹
››Wir sind nicht im selben Kurs. Ich habe die Stundenpläne schon gesehen, im Schulgebäude. Und wie es aussieht, werden die Kurse hier nach Namen sortiert. Du bist mit C ziemlich am Anfang des Alphabetes und ich bin weiter am Ende.‹‹
››Das ist dumm. Ich habe die guten Biologienoten schon vor mir gesehen.‹‹
››Du wirst dich wohl ohne mich anstrengen müssen.‹‹
Edward seufzte schwer und nickte. ››Du hast meine letzte Frage noch nicht beantwortet.‹‹
››Die war?‹‹
››Was willst du nach der PAS machen?‹‹
››Das ist eine gute Frage, ich habe natürlich einige Ideen, aber noch keine konkreten Pläne.‹‹
››Und die Ideen sind?‹‹
››Im Prinzip das vertiefen, was ich bald hier lernen werde. Entweder ein Englisch Studium, vielleicht auch Literatur, weil das der Teil ist, der mich an der ganzen Sache am meisten interessiert. Journalismus wäre auch eine Idee, in dem Zusammenhang. Bei der Biologie gehen meine Ideen noch nicht weiter, als die Naturwissenschaft selbst zu studieren.‹‹
››Wie wäre es mit Biologie und Englisch auf Lehramt?‹‹ schlug Edward vor.
››Nein‹‹, wehrte ich schnell ab. ››Ich kann mir für meine Zukunft alles vorstellen, aber nicht mich vor einer Horde Schüler zu stellen und ihnen etwas über die Zellenlehre predigen. Nein, ich kann mir den Job nicht an mir vorstellen, ich denke auch nicht, dass ich für so etwas gemacht bin.‹‹
››Sowas kann man nie sagen, solange man es noch nicht probiert hat.‹‹
Ich schüttelte grinsend den Kopf. ››Themenwechsel. Oder viel mehr, was ist mit deiner Zukunft?‹‹
››Ich bin nicht naiv. Ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass ich mit einem Abschluss in Musik keine großen Chancen auf Geld, Karriere, geschweige denn einen Job habe. Deswegen mache ich das auch nur mehr aus Spaß und Interesse heraus, als das ich damit einen ernsthaften Zukunftsplan verfolge. Meine Zukunft bringt mich eher in die Richtung der Biologie. Teilweise zumindest. Mich interessiert der Job meines Vaters sehr. Er ist ein sehr guter Arzt und arbeitet im Krankenhaus von Forks. Allerdings gibt es auch Nachteile in diesem Job, weswegen ich mir dessen noch nicht ganz sicher bin. Mein richtiger, mein leiblicher Vater, war Anwalt, das wäre auch etwas, das mir sehr interessieren würde. Nur weiß ich nicht, ob ich dafür gut genug bin. Für beide Ideen müsste auf jeden Fall auf der Universität erst einmal Latein lernen. Der gedanke kam leider erst vor kurzem zu mir, deswegen habe ich mich auch nicht schon früher um die Sprache gekümmert.‹‹
››Das sind beides sehr große Ziele‹‹, stellte ich anerkennend fest.
››Das stimmt wohl, aber ich möchte irgendwann von meinem Leben sagen können, dass ich etwas erreicht habe. Und andererseits möchte ich nicht im Schatten meiner Väter leben, sie waren und sind auch groß.‹‹
››Solche Vorbilder habe ich nicht. Allerdings würde ich nicht sagen, dass man mit nur einer kleinen Sache nichts im Leben erreicht hat.‹‹
››Das wollte ich auch nicht behaupten. Außerdem sieht jeder die Größe des erreichten anders. Nur sind meine Vorgaben schon sehr groß.‹‹
››Ja, das stimmt wohl. Was würdest du denn tun, wenn du nicht gut genug wärst, um eines der beiden zu machen? Oder, ich weiß es nicht, bist du so gut, um es wirklich schaffen zu können? Ich möchte dich wirklich in keiner Weise schlecht reden, aber… du musst schon wirklich sehr gut sein um Jura oder Medizin zu machen.‹‹
Edward lächelte gewitzt. Er schien mir meine Aussage nicht übel zu nehmen. ››Wenn es so weiterläuft, wie letztes Jahr, werde ich keine Probleme haben. Aber ich bin auch hier nicht Naiv, mir ist klar, dass hier an der Schule andere Ansprüche gestellt werden, als an der Forks High und ich am Ende des Jahres durchaus mit einem schlechteren Schnitt rechnen muss. Aber mit ein bisschen Arbeit werde ich trotzdem an mein Ziel kommen, da bin ich mir sicher.‹‹
Es war seltsam jemanden, den ich erst zwei Tage zuvor kennen gelernt hatte – selbst wenn ich das Gefühl hatte, ihn schon viel länger zu kennen – so selbstverständlich von Forks sprechen zu hören, dem Ort, den ich hinzuziehen verschmäht hatte. Weil ich davon ausgegangen war, dass ich niemanden finden würde, der mir gleich käme. Und nun saß Edward vor mir und ich musste mich von Gegenteil überzeugen lassen. Edward war überhaupt nicht der Kleinstädter Typ, der sich nur auf eine Karriere im eigenen Örtchen einstellte. Er hatte größere Ziele.
››Ich mag deine Einstellung. Davon könnten sich einige, mich eingeschlossen, eine Scheibe abschneiden.‹‹
››Danke für das Kompliment‹‹, grinste er. ››Es war doch eines?‹‹ fragte er schalkhaft nach.
››Ja, das war es‹‹, antwortete ich gelassen.
Wir hatten meinen Teller bereits leer gegessen. Ich fühlte mich noch nicht richtig satt, allerdings wollte ich die Atmosphäre zwischen uns auch nicht stören, indem ich darauf aufmerksam machte. Ich könnte später immer noch etwas essen.
››Ich glaube, ich bin erst im letzten halben Jahr wirklich fleißig für die Schule geworden‹‹, überlegte ich laut. ››Davor war ich einfach ein normaler Schüler, ich habe vor Arbeiten gelernt und meine Hausaufgaben gemacht, aber mich nicht wirklich für die Extraarbeiten interessiert. Dann, vor ungefähr einem dreivierte Jahr, hat unser Lehrer Flyer von verschiedenen weiterbildenden Schulen verteilt und ich bin auf diese Schule aufmerksam geworden. Ich habe mich weiter informiert, mit meinem Lehrer darüber gesprochen und mein Zwischenzeugnis eingeschickt. Herauskam, wenn ich mich im nächsten halben Jahr anstrengen würde und meine Noten um zwei Fünftel besser würden, hätte ich eine Chance. Meine Noten sind tatsächlich um drei Fünftel besser geworden und Voilà, hier bin ich!‹‹
››Da scheint es ja richtig langweilig, wie ich hier hergekommen bin. Gerade mal der Einfluss meiner Schwester und auch der meiner anderen Geschwister, hat mich hier hergebracht.‹‹
››Dann darf ich wohl davon ausgehen, dass deine Noten sehr gut aussehen, wenn du dich nicht extra anstrengen musstest, um hier aufgenommen zu werden.‹‹
››Nun ja…‹‹ Edward schien plötzlich etwas verlegen.
Aber ich war neugierig geworden. ››Hättest du dich denn angestrengt, wenn deine Schwester unbedingt hierher wollte, ihre Noten auch gestimmt hätten, aber deine nicht?‹‹
››Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht sicher. Ich hätte die Chance, in Forks zu versauern, gegen, mit meiner Familie auf einer der besten Schulen des Landes zu sein. Müssen wir wirklich über den Ausgang meiner Überlegung diskutieren?‹‹
››Ich denke nicht‹‹, gab ich zu.
››Allerdings kommt es auch immer auf den Notenstand an, den ich gehabt hätte. Wenn es nicht zu schaffen gewesen wäre, hätte ich es nicht versucht.‹‹
››Da muss ich dir Recht geben.‹‹
Edward ließ seinen Blick einmal durch den Raum gleiten, bevor er mich wieder ansah. ››Hättest du etwas dagegen, wenn ich schnell etwas zu Essen hole und wir dann erst weiterreden? Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich habe noch Hunger.‹‹
››Ich könnte auch noch was vertragen‹‹, gab ich zu.
Während Edward sich wieder anstellte, die Schlange war um diese Zeit viel kürzer, als sie noch bei mir gewesen war, brachte ich das leere Tablett weg. Ich musste nicht lange am Tisch warten, bis Edward wieder mit einem vollen Tablett kam. Er hatte eindeutig eine größere Portion bekommen.
››Wo waren wir stehen geblieben?‹‹ fragte Edward, während er sich seine Gabel vollhäufte.
Ich griff dieses Mal nach dem Löffel. ››Ich würde fast sagen, dass das Thema beendet war. Oder hast du noch etwas zu deinen nicht vorhandenen schlechten schulischen Leistungen zu sagen?‹‹
››Nein, eigentlich nicht. Hm, spielst du Theater?‹‹ fragte er aus heiterem Himmel.
››Nein?‹‹ Es klang mehr nach einem fragenden ›Warum‹, als nach einer sachlichen Antwort.
››Zwei Gründe‹‹, sagte er. ››Der Gedanke kam mir zuerst, als du auf mein Spiel ganz am Anfang heute eingegangen bist. Du warst wirklich überzeugend in der alten Sprache.‹‹
››Danke, gleichfalls‹‹, lachte ich.
››Und zweitens, weil du dich für Literatur interessierst. Es hätte durchaus sein können, dass du das auch gerne auf der Bühne präsentierst.‹‹
››Nein, da habe ich mich immer lieber herausgehalten. Ich habe schon das eine oder andere mal in einer Altertümlichen Aufführung hinter der Bühne mitgewirkt, dem Regisseuren hier und da Tipps gegeben und den Schauspielern das richtige Sprechen verschiedener Szenen gelernt, aber selbst auf der Bühne stehen wollte ich nicht. Das ist genauso wenig mein Ding, wie Lehrerin zu werden.‹‹
››Schade, ich könnte mir vorstellen, dass du gut bist.‹‹
››Kann ich nicht beurteilen. Was ist mit dir? Oder sollte ich lieber nach Musical, als Theater fragen?‹‹
››Keins von beidem, Forks ist zu langweilig für so etwas.‹‹
››Aber du sagtest, dass du nicht schon immer in Forks gewohnt hast. Was war an deinen anderen Schulen?‹‹
››Ich war nie an anderen Schulen. Bevor ich an die Forks High kam, hat meine Mutter mich und meine Geschwister zu hause unterrichtet. Sie war der Meinung, dass sie das viel besser könnte, als die Lehrer. Erst jetzt, da es an schwierigeren Stoff geht und es für unser Leben wichtig ist, hält sie es für gut, wenn wir an öffentlichen Schulen sind.‹‹
››Und was war, bevor du adoptiert wurdest?‹‹ fragte ich vorsichtig nach.
Edward presste für einen Moment die Lippen zusammen, bevor er antwortete. ››Kinder aus dem Waisenhaus werden allgemein nicht für solche Dinge in Betracht gezogen, ganz egal, wie gut ihre schulischen Leistungen sind. Glücklicherweise musste ich das nicht lange mitmachen, ich bin schon sehr lange bei Esme und Carlisle.‹‹
Ich zog meine Lippen in einer Schnute zur Seite und senkte den Blick. Es gab einfach Dinge, die sollte mein neugieriger Mund nicht aussprechen. ››Sorry‹‹, murmelte ich.
››Schon okay, wirklich. Das ist lange her und seither ist alles besser.‹‹
››Okay. Trotzdem werde ich versuchen, das nicht mehr zu erwähnen.‹‹
››Mach dir keinen Kopf, bitte.‹‹
Ich nickte und machte mir stumm weiterhin Gedanken über meine Dummheit. Da brachte es auch nicht viel, dass ich ›vorsichtig‹ fragte.
Edward klatschte einmal in die Hände und rief enthusiastisch ››Anderes Thema!‹‹
Wir endeten so noch häufiger während des Essens und auch danach, denn wir saßen noch Stunden vor dem leeren Teller und unterhielten uns – bis die Küchenaufseherin uns darauf aufmerksam machte, dass die Cafeteria, bis auf uns, leer war und sie gerne für den Tag schließen würde.
Edward brachte mich noch bis zur unteren Tür des Mädchenhauses.
››Danke für den schönen Abend‹‹, sagte er.
››Ich fand es auch sehr schön. Hm, ich denke, wir sehen uns dann… irgendwann?‹‹
››Morgen?‹‹ fragte er. ››Ich meine, was hast du Morgen vor?‹‹
››Nichts, eigentlich.‹‹ Ich spürte das wärmende Gefühl von Hoffnung in mir aufkeimen. Was wenn er sich wieder mit mir verabreden wollte? Ich hätte sicher nichts dagegen, wir verstanden uns so gut.
››Gut, ahm, was hältst du davon, wenn wir uns zum Frühstück treffen und dann sehen, was der Tag bringt?‹‹
Ich biss mir auf die Lippen um ein allzu verräterisches, glückliches Lächeln zu unterdrücken. ››Ich finde, das klingt sehr gut.‹‹
››Okay, dann treffen wir uns um… halb neun hier?‹‹
››Hier vor der Tür? Oder-‹‹
››Hier vor der Tür‹‹, bestätigte er. ››Bis Morgen dann.‹‹
››Ja, bis Morgen.‹‹
Ich drehte mich mit einem breiten Grinsen um und ging durch die Tür nach drinnen. Kurz bevor ich die Tür schloss, schaute ich noch einmal nach draußen. Edward hob winkend die Hand und drehte sich anschließend um und ging davon. Ich eilte schnell nach oben in mein Zimmer, ich wollte am nächsten Morgen rechtzeitig wach sein und nicht allzu verschlafen aussehen, wenn wir uns dann trafen. Das würde sicher keinen guten Eindruck machen.
In meinem Zimmer, allerdings, das merkte ich schnell, war ich nicht mehr alleine. Schon gleich, als ich die Tür hinter mir schloss, vernahm ich die gleichmäßigen Atemzüge einer schlafenden Person. Angela war also endlich angekommen und ich hatte sie verpasst und sie nicht willkommen heißen können. Und für Morgen hatte ich auch schon Pläne.
Was war ich nur für eine schlechte Mitbewohnerin?
Aber ich durfte betonen, eine Mitbewohnerin, die es allen Ernstes geschafft hatte, schon in der ersten Woche ihres Neustartes ein Date mit einem wirklich süßen Typen hinter sich zu bringen und gleich das nächste an Land zu ziehen.
War es denn eigentlich ein Date gewesen? Immerhin war davon nie die Sprache gewesen. Bildete ich mir möglicherweise zu viel darauf ein? Vielleicht war es für ihn nur ein Treffen mit einem neuen Mitschüler, die Chance etwas über diese Person herauszufinden, allerdings ohne jeglichen Hintergedanken?
War ihm möglicherweise aufgefallen, dass ich mir dahinter auch mehr vorstellen könnte? War ich zu offensichtlich mit meinem Gedanken gewesen, dass es sich um ein Date handeln könnte?
Andererseits hatte es nicht das eine oder andere Anzeichen gegeben, dass es sich doch um ein richtiges Date handeln könnte? Wie… gleich der Beginn unseres Treffens, die Art, wie er mich begrüßt hatte. Ging das nicht über ein freundschaftliches Treffen hinaus? Oder es war einfach seine Art, ohne… Aber wir hatten das Essen geteilt – auch etwas, das Freunde taten. Konnte man allerdings schon von Freunden sprechen? Eher von guten Bekannten. Und machten die sowas? Nein, bei einem Date allerdings wäre es doch weniger sonderbar.
Sprach die Kleine, die so eben ihr erstes – vielleicht – Date hinter sich gebracht hat, dachte ich in mich hinein grinsend.
Morgen wollten wir uns wieder treffen, vielleicht würden sich dann einige Dinge von ganz alleine klären.


Another One


Mein Wecker schellte am nächsten Morgen pünktlich um halb acht, eine Stunde, bevor Edward mich zur heutigen Verabredung vor dem Mädchenhaus abholen wollte. Ich wusste nicht, warum er sich unbedingt hier treffen wollte und nicht in der Cafeteria, aber so war es auf jeden Fall um einiges persönlicher. Mehr wie ein Date? – fragte sich eine Stimme in meinem Kopf. So würde aber auf keinen Fall einer sehr lange dort warten müssen, vielleicht mit Essen, bis der andere kam.
Ich hatte meinen Wecker sehr leise gestellt, weil ich Angela nicht wecken wollte. Vielleicht hatte ich Glück und sie würde aufwachen, während ich in dem kleinen Badezimmer duschen war? Auch hier war ich in einem Zwiespalt, sollte ich nun sehr rücksichtsvoll sein und kaum Lärm machen oder eher etwas lauter sein, in der Hoffnung, dass ich sie aufweckte und wir miteinander sprechen konnten?
Ich wusste nicht, wie ich mich schlug, als ich das Badezimmer dann allerdings verließ, schlief sie immer noch und wachte auch nicht während meiner letzten Bewegungen im Zimmer auf. Kurz bevor ich gehen musste, beschloss ich also ihr einen kleinen Brief zu hinterlassen, in dem ich mich entschuldigte, dass ich schon wieder weg war und aber hoffen würde, dass wir am Sonntag etwas gemeinsam machen könnten, um uns besser kennen zu lernen. Ich ging davon aus, dass wir, sollten wir uns heute begegnen, sicher aneinander vorbeilaufen würden, da wir unsere Gesichter noch nicht kannten.
Mein Herz klopfte bis zu meinem Hals, als ich die Treppen nach unten in den Vorraum ging, in dem ich vorhatte auf Edward zu warten, sollte er noch nicht da sein. Die Glasfront um den unteren Stock des Gebäudes verriet noch kein Anzeichen von ihm, was allerdings auch nicht schlimm war, immerhin war ich fast zehn Minuten zu früh dran. Ich wollte nur nicht, dass er einen schlechten Eindruck bekam und auf mich warten musste – so ein Mädchen war ich nicht.
Ich setzte mich auf die Bank am nächsten zur Treppe, wenn ich Glück hatte, würde ich ihn rechtzeitig entdecken und es würde so aussehen, als wäre ich gerade die Treppe herunter gekommen, wenn er den Weg herauf kam.
Was ich dann allerdings sah, überraschte und freute mich zugleich.
Edward kam pünktlich und er schien auch schon einen genauen Plan zu haben, wie unser heutiges Treffen anlaufen sollte. In seinen Händen hielt er einen großen Korb, der mich sehr an einen Picknickkorb erinnerte, über den Korb war eine karierte Decke gebreitet. Wollte er wirklich draußen mit mir frühstücken?
Schnell stand ich auf und kam ihm entgegen, an der Tür trafen wir uns.
››Guten Morgen‹‹, wünschte er mir.
››Hey‹‹, sagte ich.
Ich ging nach draußen und zog die Tür hinter mir zu.
››Ich hoffe, du hast nichts gegen ein Frühstück an der frischen Luft‹‹, fragte Edward, etwas unsicher, und schwenkte den Korb etwas vor sich.
››Überhaupt nicht‹‹, versicherte ich ihm sofort. ››Ich bin sogar schon richtig gespannt, auf mein erstes Frühstück an der frischen Luft. Wo gehen wir denn hin?‹‹
››Folge mir‹‹, sagte er geheimnisvoll.
Ich fand sehr schnell heraus, wo er mich hinbrachte, denn ich hatte schon einen langen Nachmittag auf der Wiese verbracht.
››Schick‹‹, sagte ich anerkennend, als wir uns auf der Decke niederließen.
››Die Wiese hat zwei Vorteile‹‹, erklärte Edward, als er langsam den Korb öffnete und einige Leckereien herausholte. ››Erstens und natürlich der wichtigere Grund, es war die Wiese, auf der du gelegen hast, als ich dich das erste Mal gesehen hab-‹‹
››Und ich dich‹‹, unterbrach ich ihn, während ich ihn beobachtete.
››Und der zweite Grund ist, dass man einen wirklich fantastischen Meerblick hat und es in der halbhohen Morgensonne wirklich sehr schön ist, hier zu sitzen.‹‹
Ich nickte anerkennend und blickte mich um. ››Da hast du auf jeden Fall recht.‹‹ Konnte man es vielleicht sogar als romantisch bezeichnen?
Edward schloss den Korb nach einer Weile wieder und stellte ihn zur Seite. ››Greif zu‹‹, forderte er mich auf.
Ich schaute noch einmal genau, was ich alles zur Auswahl hatte. Da waren Trauben, bestrichene und belegte Brötchen, sicher verpackter Obstsalat und Joghurt und zwei Tetrapacks mit verschiedenen Säften neben einigen Plastikbechern.
Ich begann ganz traditionell mit einem Brötchen. ››Wie schafft man es an einem Internat, wenn man gerade Mal eine halbe Woche da ist, so ein tolles Frühstück – mit Picknickkorb und -decke – zu organisieren?‹‹ fragte ich neugierig.
››Man muss eine große Familie dabei haben, die an alles denkt‹‹, sagte er und erklärte dann. ››Die erste Idee, die meine Schwester Alice hatte, als wir planten ebenfalls hier her zu kommen, war ein Picknick im Mondschein mit Jasper zu veranstalten – die beiden sind seit Ewigkeiten zusammen. Dafür hat sie alles Notwendige mitgebracht und mir für heute Morgen ausgeliehen, nett wie sie ist. Und das Essen habe ich aus der Cafeteria geholt, die Brötchen bestrichen und eingepackt.‹‹
››Wow‹‹, staunte ich. ››Dann hast du heute Morgen ja richtig früh das Haus für mich verlassen.‹‹
››Hm‹‹, machte Edward und senkte den Blick. War er jetzt etwa um seine tolle Idee verlegen?
››Ich finde es großartig‹‹, versicherte ich schnell.
››Wirklich? Ich hatte befürchtet, dass es vielleicht etwas kitschig oder in der Art herüber kommen könnte.‹‹
››Es ist genau mein Stil‹‹, bestätigte ich.
Während ich versuchte eine coole Oberfläche zu bewahren, ging es unter meiner Haut drunter und drüber. Meine Gedanken spielten verrückt, hitzige Hoffnung machte sich in mir breit und ließ meine Hände schwitzig werden. In meinem Kopf war ich bei meinem Konflikt von gestern Abend. Wie viel falsche Hoffnung konnte man in ein romantisches Frühstück am Meer auf einer Wiese mit dieser Geschichte einbringen? Wie falsch konnte ich mit meiner Hoffnung liegen, wenn ich Edwards verlegene Reaktion von eben betrachtete? Ob er wirklich interessiert an mir war? Und die wichtige Gegenfrage: War ich in dieser Art an ihm interessiert?
Ich war mir über eines im Klaren, von mehr als Interesse konnte man noch nicht sprechen, wir kannten uns immerhin erst eine halbe Woche. Auch wenn wir schon sehr viel voneinander wussten, weil wir über so viele Dinge gesprochen hatten, fehlte mir noch die endgültige Vertrauensbasis des langen Kennens um von mehr zu sprechen. Oder an mehr zu denken, sprechen würde ich wohl von selbst nie darüber. Noch nicht. Man musste sehen, wie es sich entwickelte.
Ich wandte meinen Blick vom Meer ab und schaute zu Edward. Der blickte in die Ferne und aß abwesend eine Brötchenhälfte.
Die Stimmung zwischen uns war heute Morgen eindeutig anders, als gestern und auch am Mittwochabend. Da hatte es kaum eine Minute des Schweigens zwischen uns gegeben und obwohl es immer noch sehr viel gab, dass ich ihm erzählen könnte, sagte ich kein Wort. Und er auch nicht.
Ich wusste nicht, ob die Stille bedrückend oder locker war, sie war seltsam und ungewohnt und ich wusste nicht annähernd, wie ich die Situation deuten sollte.
Nach meinem Brötchen griff ich nach einem Obstsalat und löste vorsichtig die Folie davon. Ich suchte nach einer Gabel und fand sie schließlich in einige Servietten gewickelt. Ich wollte Edward nicht stören, wenn er so in Gedanken war, er schien nicht einmal zu bemerken, dass ich über die Decke rutschte, während meiner Suche.
Allerdings wurde die Stille für mich immer unangenehmer. Ich wollte mir nicht mehr einen Kopf über das Wenn und Vielleicht machen, da ich mit Sicherheit keine Antwort darauf bekommen würde, also brabbelte ich einfach mit dem ersten Thema heraus, dass mir in den Kopf kam.
››Du hattest übrigens Recht, meine Mitbewohnerin ist tatsächlich gestern Abend angekommen, als wir zusammen in der Cafeteria waren.‹‹
Edward schaute mich einen Moment desorientiert an, bevor er grinste. ››Und, wie ist sie so? Haben sich deine Horrorszenarien bestätigt?‹‹
››Überhaupt nicht, aber viel kann ich auch noch nicht sagen. Meine einzige Information bislang ist, dass sie das Zimmer in seinem Originalzustand gelassen hat und nicht schnarcht. Sie hat schon geschlafen, als ich gestern hereinkam und noch geschlafen, als ich heute Morgen aufgewacht bin. Ich habe ihr jetzt nur einen Zettel geschrieben.‹‹
››Oh‹‹, machte Edward. ››Ich meine, ich könnte es durchaus verstehen, wenn du unser Treffen heute dann verkürzen möchtest und dich lieber mit ihr treffen, dass ihr euch besser kennen lernen könnt.‹‹
››Nein, möchte ich eigentlich nicht. Wir werden Morgen und im kommenden Schuljahr sicher genug Zeit haben um uns kennen zu lernen und herauszufinden, ob wir uns vielleicht doch lieber die Köpfe einschlagen wollen. In dem Fall kann ich auf unser erstes Gespräch auch noch eine Weile verzichten.‹‹
Edward lachte. ››Okay. Aber fühl dich nicht gezwungen den Tag heute mit mir zu verbringen, nur weil du zum Zeitpunkt der Verabredung noch nicht volle Information über deine anderen Möglichkeiten hattest.‹‹
››Hör auf wie ein Wirtschaftsberater zu sprechen und… Willst du mich loswerden?‹‹
Edward lachte ein weiteres Mal auf, dieses Mal allerdings nicht ganz so überzeugend. ››Nein, das möchte ich nicht.‹‹
››Gut.‹‹ Hatte er eben…? ››Was ist denn für den weiteren Tag geplant?‹‹ fragte ich, doch überrascht darüber, dass unser Treffen – Date? – über das Frühstück hinausging.
››Ehrlich gesagt, ist der Plan noch nicht ganz so ausgereift. Hast du eine Idee?‹‹
››Hm‹‹, machte ich und begann leicht zu grinsen.
››Was?‹‹ wollte er sofort verunsichert wissen.
››Naja, ich habe mich gefragt, ob du mir vielleicht ein kleines Privatkonzert auf dem Klavier geben möchtest? Ich meine, du musst natürlich nicht, aber ich würde dich sehr gerne spielen hören, wirklich.‹‹
Er atmete hart aus. ››Puh! Mit so etwas habe ich nicht gerechnet. Denkst du denn, dass sich das machen lassen würde? Ich meine, ich habe kein Klavier in meinem Zimmer und seit ich hier bin, habe ich auch nicht mehr gespielt.‹‹
››Oh, oh, das Training vernachlässigt‹‹, ich schüttelte gespielt schockiert den Kopf. ››Vielleicht haben wir Glück und das Schulgebäude ist heute auch offen und zusätzlich das Musikzimmer. Der Flügel darin sah sehr imposant aus.‹‹
››Flügel?‹‹ fragte Edward mit leuchtenden Augen nach.
››Schwarz wie die Nacht, glänzend wie ein Diamant‹‹, versuchte ich das Instrument bildhaft darzustellen.
››Ein Traum‹‹, seufzte Edward.
››Ist das ein ›Ja‹?‹‹
››Könnte ich ›Nein‹ sagen?‹‹
››Nicht wirklich‹‹, lachte ich.
››Abgemacht, ich werde dir etwas vorspielen‹‹, bestätigte Edward zu meiner Freude. ››Könnten wir das aber gleich nach dem Frühstück machen? Vielleicht habe ich Glück und es verirren sich noch nicht zu viele Schüler am Vormittag in das Schulgebäude. Ich spiele nicht allzu gerne vor Publikum.‹‹
››Wow, dann ist es mir noch eine größere Ehre, dass ich dich überzeugen konnte. Nach dem Picknick klingt gut, wir machen das ganz so, wie es dir am liebsten ist.‹‹
››Danke.‹‹ Edwards Blick glitt wieder in die Ferne und ich befürchtete schon eine weitere viertel Stunde, die wir uns nur anschwiegen. ››Was bekomme ich im Gegenzug von dir?‹‹ fragte Edward dann aber mit einem schelmischen Grinsen.‹‹
››Was? Oh… Tut mir Leid, ich habe keine praktischen Talente.‹‹
››Das ist schade. Findest du nicht, dass du mir ein bisschen mehr Ansporn geben könntest?‹‹
››Hm… Puh… Ich könnte dich danach auf einen Schokoriegel vom Automaten einladen?‹‹ schlug ich vor.
››Das ist alles?‹‹
››Tut mir Leid. Mehr scheint mir nicht drin zu sein.‹‹
››Mehr ist dir mein Geklimper also nicht wert? Du hättest wenigstens zwei daraus machen können‹‹, seufzte er enttäuscht.
››Also erstmal glaube ich nicht, dass es Geklimper wird und zweitens, okay, du bekommst zwei Schokoriegen aus dem Automaten von mir.‹‹
››Ich werde darüber nachdenken…‹‹ sagte er nachdenklich.
››Wie wirst du deinen letzten, schulfreien Tag morgen genießen?‹‹ wechselte ich das Thema.
››Gar nicht‹‹, erwiderte Edward. Überrascht sah ich ihn an. ››Eigentlich ist das hier schon mein letzter freier Tag und wie du siehst, habe ich beschlossen, ihn mit dir zu verbringen.‹‹
Ich schluckte und blickte auf das Meer, ich wollte nicht in Edwards Augen blicken, wenn er wahrnahm, dass sich meine Wangen durch seine Aussage gerötet hatten. ››Und was machst du dann Morgen? Die Schule wird wohl kaum schon für dich öffnen, oder?‹‹
››Nein. Aber ich verbringe immer den letzten Tag der Sommerferien damit den ganzen Stoff des Vorjahres zu wiederholen, zumindest das Wichtige, soweit die Zeit reicht. Und wir hatten jetzt ziemlich lange Sommerferien, einen Monat länger, als normale Schulen, deswegen wir das vermutlich etwas mehr Zeit beanspruchen. Ich hatte mehr Zeit zu vergessen.‹‹
››Oh. Wow!‹‹ staunte ich. ››Du hast dir deine Ziele ziemlich genau gesteckt, was?‹‹
››Ich denke, das könnte man so sagen.‹‹
››Ich bewundere das. Ich könnte mich Morgen nicht dazu bewegen, die Schulsachen durchzugehen. Damit werde ich mich in nächster Zeit noch genug beschäftigen.‹‹
››Es ist alles eine Sache der Gewohntheit.‹‹
››Das stimmt wohl, ich habe das noch nie gemacht. Aber wie gesagt, ich war auch noch nie so ambitioniert, wie dieses Schuljahr. Vielleicht werde ich mich Morgen, wenn ich Zeit habe, doch zu etwas durchringen können, aber mein erstes Ziel ist, Angela besser kennen zu lernen.‹‹
››Was auch sehr wichtig ist. Und wenn du es jetzt machst, kann es dir später nicht die Zeit nehmen, die du dann wirklich für lernen brauchst.‹‹
››Richtig.‹‹
Ich stellte den leeren Becher vom Fruchtsalat zur Seite und blickte mich nach einem weiteren, mit Joghurt gefüllten um. Ich wollte nichts von dem, was Edward besorgt hatte, unversucht lassen.
››Was hältst du davon‹‹, unterbrach mich Edward, während er mich beobachtete, ››wenn wir das hier zusammen packen und gleich ins Musikzimmer gehen. Ich spiele und du kannst währenddessen deinen Joghurt essen. Niemandem wird auffallen, dass du im Unterrichtssaal isst, denn wir planen doch, dass wir ganz alleine dort sind, richtig?‹‹
››Okay‹‹, stimmte ich zu. ››Wenn es dich nicht stört, wenn ich esse.‹‹
››Nein, das tut es nicht. Ich habe schon unter schlimmeren Bedingungen gespielt.‹‹ Neugierig sah ich ihn an, aber er schüttelte den Kopf. Das würde er mir offensichtlich nicht erzählen.
Wir hatten Glück. Das Schulgebäude und das Musikzimmer waren beider maßen offen und leer, sodass wir sie für unsere Zwecke benutzen konnten. Ich war gespannt auf das, was Edward mir gleich vorspielen würde – er hingegen schien überaus cool. Kein Anzeichen von Aufregung oder Anspannung.
Ich beschloss – zumindest vorerst – auf meinen Joghurt zu verzichten, dass ich der Musik meine volle Aufmerksamkeit schenken konnte. Ich setzte mich in die erste Bankreihe auf den zweiten Stuhl, den Korb stellte ich auf dem ersten ab und beobachtete anschließend Edward dabei, wie er an dem Flügel platz nahm und sich den Stuhl einrichtete. Anscheinend hatte er klare Vorstellungen davon, wie er sitzen musste, dass er den besten Klang erzeugen konnte. Schon alleine von seinen Vorbereitungen war ich mehr als fasziniert. So viel hätte ich mir darunter nie vorstellen können.
Und dann begann er zu spielen. Ich fühlte mich augenblicklich in andere Sphären versetzt, mein Körper war im Musikzimmer, aber mein Geist war auf einer weiten Reise. Ich hatte das Gefühl zu fliegen, auf Wolken zu tanzen, ich lächelte, fühlte mich unglaublich frei und glücklich. Es war nicht nur der sinnlich schöne Klang des Klaviers, sondern auch die Melodie des Stückes. So unglaublich sanft und gefühlvoll und… wunderschön.
Ich öffnete meine Augen – ich bemerkte erst in dem Moment, dass ich sie geschlossen hatte – und blickte Edward verträumt an. ››Wow‹‹, hauchte ich. ››Das war wirklich wunderschön. Was war das für ein Stück?‹‹
››Das ist eine sehr alte Ballade, sie heißt ›Love Story‹. Das war eines der ersten Stücke, die ich gelernt habe.‹‹
››Wunderschön. Ich kannte das Lied nicht, aber das ist wirklich sehr schön.‹‹
››Willst du noch etwas hören?‹‹
››Natürlich!‹‹
Edward überlegte einen Augenblick und setzte seine Hände anschließend wieder auf. Auch das nächste Stück war zauberhaft, auch wenn es mich nicht so sehr in seinen Bann zog, wie das erste.
Leider endete mein kleines Privatkonzert aber auch schon mit diesem Song, denn gegen Ende kam ein weiterer Schüler in das Zimmer und Edward beschloss damit, dass er für den Tag genug gespielt hatte. Etwas geknickt stimmte ich ihm zu, ich konnte ihn natürlich verstehen, andererseits war es mehr als schade, dass es vorbei war.
Wir packten unsere Sachen wieder zusammen und gingen nach draußen in den Gang.
››Was machen wir jetzt?‹‹ fragte ich, als ich zwei Schokoriegel aus dem nächsten Automaten ließ.
››Ich weiß nicht, nach was ist dir denn?‹‹
››Ich habe es diese Woche noch nicht geschafft an den Strand zu gehen, was hältst du davon, wenn wir dahin gehen. Wir könnten uns auf die Decke setzen, oder etwas durch das flache Wasser laufen. Es sind ja auch noch ein paar Sandwichs da, falls wir Hunger bekommen…‹‹
››Gute Idee‹‹,sagte Edward anerkennend. ››Und ich hab auch noch zwei Schokoriegel‹‹, er nahm sie mir ab und grinste mich dabei an, wie ein kleiner Junge.
Wir verließen das Schulgebäude und machten uns, nachdem wir kurz über den Weg diskutierten – und Edward gewann – auf den Weg zum Strand. Ich musste einsehen, dass mein Orientierungssinn kurze Zeit ausgesetzt hatte und ich tatsächlich in die vollkommen falsche Richtung gegangen wäre. Wahrscheinlich wären wir irgendwann trotzdem – mit schmerzenden Füßen – an irgendeinem Abgang zum Strand angekommen, aber sein Weg war schon kürzer. Und außerdem der für die Schüler.
Lachend stolperten wir – eigentlich viel eher ich, während Edward mich hielt – den Weg hinunter.
››Hm, Bella?‹‹ sprach er mich an, als wir unten ankamen.
Fragend schaute ich zu ihm.
››Hat es dir eben wirklich gefallen?‹‹ er blickte vor sich auf den Sandboden.
Trotzdem, auch wenn er es nicht sehen konnte, starrte ich ihn ungläubig an. ››War es das erste Mal, dass du vor Publikum gespielt hast?‹‹ fragte ich, obwohl ich überzeugt war, dass dem nicht so war.
Er schüttelte, als Bestätigung meiner Gedanken, den Kopf.
››Dann müssen dir doch schon unglaublich viele Menschen gesagt haben, dass du einfach wunderbar spielst!‹‹
››Aber das war meine Familie, die müssen so etwas sagen‹‹, redete er sich heraus.
››Du hast keine Ahnung, mein Lieber‹‹, sagte ich Kopf schüttelnd. ››Ich habe noch nie jemanden so Klavier spielen hören, wie dich.‹‹
››Wie viele Menschen hast du schon Klavier spielen hören?‹‹
Ich biss mir auf die Lippen. ››Nicht so viele‹‹, murmelte ich. Doch bevor er sich in seinen Zweifeln bestätigen konnte, fügte ich hinzu: ››Allerdings habe ich auch noch niemanden so musizieren hören, wie dich und glaube mir: Ich habe schon viele Arten von Musik gehört, ob nun Live, oder nur auf CD und man sieht selten so eine Leidenschaft, wie bei dir, oder hört solch ein Talent!‹‹
Ich hatte mich so in Rage gesprochen um ihn zu überzeugen, dass mir, erst als ich endete, auffiel, dass Edward nicht mehr neben mir lief. Irritiert blieb ich stehen und drehte mich um.
››Wirklich?‹‹ fragte er so leise, dass ich es über das Rauschen der Wellen kaum gehört hatte.
››Natürlich wirklich, so etwas sage ich nicht einfach so.‹‹
››Danke‹‹, sagte Edward mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen und setzte sich wieder in Bewegung. Als wir wieder auf derselben Höhe liefen, sprach er weiter. ››Klavier zu spielen kommt bei anderen Jugendlichen nicht immer gut an.‹‹
››Ich bin nicht wie die anderen‹‹, bemerkte ich trocken.
››Das ist mir allerdings auch schon aufgefallen‹‹, stellte er lachend fest.
Frustriert sah ich ihn an.
››Hey, das war jetzt nicht negativ gemeint‹‹, verteidigte er sich sofort. ››Ich find es gut, es sollten mehr so sein, wie du.‹‹
››War das ein Kompliment?‹‹ fragte ich, immer noch unsicher, nach.
››Ja, das war ein Kompliment. Du kannst mit den Dingern wohl genauso wenig umgehen, wie ich, was?‹‹
Ich zuckte mit den Schultern, nickte dann aber.
Innerlich hatte ich ein breites Grinsen auf den Lippen. Edward hatte mir in Kompliment gemacht!
››Was hältst du davon, wenn wir uns da vorne hinsetzen?‹‹ fragte ich um auf andere Gedanken zu kommen.
Edward folgte mit seinem Blick meinem ausgestreckten Arm und nickte schließlich. ››Schönes Plätzchen.‹‹
Vor uns erstreckten sich einige mittelhohe Sanddünen. Wenn wir es uns da auf einer bequem machten, würden wir sicher einen wundervollen Blick über den Strand und auf das Meer haben.
Ich beschloss etwas Sonne zu tanken. Ich zog die dünne Weste, die ich heute Morgen noch schnell übergezogen hatte, aus und legte mich mit den Füßen der Sonne entgegen auf die Decke. Zwar würde sich an meinem hellen Hautton dadurch nichts verändern, trotzdem würde mir die Sonne bestimmt gut tun.
››Müde?‹‹ fragte Edward.
Ich blinzelte kurz, bevor ich meine Augen wieder öffnete, schützend eine Hand darüber legte und zu Edward schielte. ››Nein, ich genieße.‹‹
››Und ich hatte schon befürchtet, dass ich dich heute Morgen zu früh aus dem Bett geholt habe.‹‹
››Keine Sorge, alles cool. Ich bin nicht der Langschläfertyp.‹‹
››Ich eigentlich auch nicht. Es kommt eigentlich immer ganz darauf an.‹‹
Ich murmelte etwas Unbestimmtes zur Antwort.
Edward, hörte ich, verlagerte sein Gewicht ebenfalls. Ich ging davon aus, dass er sich auch auf die Decke legte, war aber zu träge um nachzuschauen.
Einen Nachmittag mit einem netten Jungen am Strand und in der Sonne liegen – das war ein Leben!


Angela


Angela war in unserem Zimmer, als ich an diesem Abend zurückkam und sie war wach.
Ich hatte immer noch ein glückseliges Lächeln auf den Lippen, als ich die Tür aufschloss und langsam den Raum betrat. Wir hatten den ganzen Nachmittag am Strand gedöst, uns ab und zu unterhalten. Danach sind wir noch etwas spazieren gegangen, ehe Edward mir kurz sein Zimmer zeigte, allerdings nur um den Korb zurück zu bringen. Danach machten wir uns auf den Weg in die Cafeteria und teilten uns das Abendessen, das wir uns an dem Buffet zusammengestellt hatten. Er hatte mich bis vor die Tür des Mädchenhauses gebracht.
››Hi‹‹, sagte ich leise, als ich die Tür hinter mir schloss.
Ein Mädchen mit langen, dunkelbraunen Haaren und einer modischen Brille schaute von dem Buch auf, in dem sie gerade las. ››Hey‹‹, sagte sie mit schüchternem Lächeln, legte das Buch beiseite und stand von ihrem Bett auf um auf mich zuzugehen. ››Ich bin Angela‹‹, stellte sie sich vor und streckte mir ihre Hand entgegen.
››Bella‹‹, sagte ich. ››Tut mir wirklich Leid, dass wir uns erst jetzt kennen lernen, nachdem du schon einen ganzen Tag da bist.‹‹
››Das macht doch nichts‹‹, meinte sie großzügig, ihre Augen strahlten Ehrlichkeit aus. ››Ich habe mich wirklich sehr über deine Nachricht heute Morgen gefreut und fände es sehr schön, wenn wir Morgen etwas machen, dass wir uns besser kennen lernen.‹‹
››Super‹‹, sagte ich und verschwand anschließend in einem der kleinen Zimmer um einen Druck loszuwerden, der mich schon eine ganze Weile belastete.

Angela wartete am nächsten Morgen, bis ich wach war, dass wir zusammen frühstücken gehen konnten. Eigentlich dachte ich, dass ich kein Langschläfer wäre, aber sie war eindeutig vor mir wach und gerichtet. Das am Tag zuvor, meinte sie, wäre nur eine Ausnahme gewesen, weil sie alleine angereist sei und einen sehr frühen Zug nehmen musste um rechtzeitig vor dem Dunkelwerden anzukommen.
In der Cafeteria nahmen wir uns beide ein Tablett und suchten uns auf dem großen Frühstücksbuffet alles zusammen, was wir wollten. Anschließend suchten wir zusammen nach einem Tisch – ohne Absprache gingen wir nebeneinander auf die Terrasse. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, konnte Edward aber nirgendwo sehen, auch niemanden aus seiner Familie, soweit ich sie noch in meinem Kopf hatte.
Angela nahm meinen suchenden Blick ohne einen Kommentar hin.
››Erzähl mir was von dir‹‹, forderte ich sie auf. Ich wusste, dass das ungerecht war, ich könnte auch einfach anfangen, aber ich war nie die Person gewesen, die gerne sofort über sich erzählte – außer bei Edward, aber ihm hatte ich mich so unendlich vertraut gefühlt.
Angela schien die Situation ebenfalls unangenehm zu sein, sie richtete ihren Blick schüchtern auf ihr Tablett. ››Was möchtest du denn wissen?‹‹
››In erster Linie natürlich, was dich hier her verschlägt, was deine Fächer sind, ob wir vielleicht etwas zusammen haben? Etwas über deine Familie, deine Hobbies wären vielleicht interessant? Erzähle einfach etwas über sich. Gibt es Dinge, die du überhaupt nicht magst, die wichtig sind, wenn wir zusammen in einem Zimmer wohnen?‹‹
››Okay‹‹, sie biss sich auf die Lippen.
Sobald sie allerdings einmal angefangen hatte, schien es ihr sehr viel Spaß zu machen, über sich zu erzählen. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass ich Interesse an dem zeigte, was sie sagte und immer wieder Dinge hinterfragte.
Angela war von ihren Lehrern aufgefordert worden, sich diese Schule näher zu betrachten, dass ihre Leistungen mehr gefördert werden könnten. Sie war am Ende so begeistert gewesen, dass ihre Eltern sie freiwillig hatten gehen lassen um ihre Tochter glücklich zu sehen. Ihre Hauptfächer waren dieselben, wie meine und so schätzten wir unsere Chancen ziemlich hoch ein, dass wir zusammen Unterricht hatten.
Vielleicht war das der Grund, dass wir zusammen in einem Zimmer waren?
Sie hatte zwei kleine Brüder, Zwillinge, die sie sehr vermissen würde, obwohl sie sie auch manchmal ziemlich genervt hatten. Ihre Eltern waren noch zusammen und führten gemeinsam einen kleinen Laden in der Stadt, in der sie lebte.
Sie erzählte, dass es im Prinzip nichts gab, dass sie wirklich störte und so forderte ich sie auf, es mir zu sagen, wenn sich doch etwas ergab, denn ich würde genau dasselbe machen.
››Und was ist mit Hobbies?‹‹ fragte ich, nachdem alle anderen Fragen beantwortet worden waren.
››Viele Hobbies habe ich nicht. Ich habe eine lange Zeit Altflöte gespielt, es hat mir ziemlich Spaß gemacht – allerdings war das auch schon das einzige, was ich mit Musik am Hut hatte.‹‹
››Hast du sie dabei?‹‹
››Ja, aber wenn es dich stört, wenn ich in unserem Zimmer spiele, dann musst du das nur sagen.‹‹ Sie war wirklich ein rücksichtsvoller Mensch.
››Nein, nein‹‹, lachte ich. ››Ich würde mich sogar sehr freuen, wenn du mir einmal etwas vorspielen würdest.‹‹
››Wirklich?‹‹ Ihr Blick senkte sich wieder schüchtern nach unten.
››Natürlich‹‹, beharrte ich. Um sie aber nicht noch weiter in Verlegenheit zu bringen, fragte ich nach weiteren Hobbies.
››Ich habe schon immer gerne gelesen und kannte mich in der Bibliothek irgendwann sogar besser aus, als die Bibliothekarinnen selbst, weswegen sie mir irgendwann einen Job anboten. So verdiente ich etwas Extrageld.‹‹
››Das finde ich toll. So ein Glück hatte ich nie, aber ich hätte es auch brauchen können!‹‹
››Ja, das war wirklich eine Glückssache. Soweit ich weiß, ist das auch noch niemals zuvor passiert. Ich war froh, dass meine Eltern es mir erlaubten.‹‹
Ich nickte verständnisvoll. Eltern, das war immer so ein Großthema.
››Das war es eigentlich schon von mir‹‹, schloss Angela. ››Ich habe kein sonderlich interessantes Leben.‹‹
››Ich auch nicht…‹‹ Ich begann ihr von mir zu erzählen.
Angela war eine sehr angenehme Person, ich war davon überzeugt, dass ich mit ihr die beste Mitbewohnerin der gesamten Schule bekommen hatte. Wir waren uns teilweise sehr ähnlich, ergänzten uns an anderen Stellen und fanden, soweit, keinen Punkt, an dem wir uns rieben. Hinzu kam, dass sie keineswegs neugierig zu sein schien und alles so hinnahm, wie es war. Ich schloss daraus, dass man ihr jedes Geheimnis anvertrauen konnte und es bei ihr sehr sicher aufbewahrt wurde.
Trotzdem war ich froh, dass sie mich nicht wegen meines gestrigen Tages fragte, denn ich wollte es ihr nicht unbedingt erzählen. Warum, wusste ich nicht. Man konnte nie wissen, wie es nach Schulbeginn weiterging und ich wusste immer noch nicht sicher, wie die Treffen aus Edwards Sicht zu verstehen waren.
››Wie viel hast du denn schon von der Schule und dem Campus gesehen?‹‹ fragte ich sie schließlich, als wir beide unser Frühstück beendet hatten.
››Noch nicht so viel. Mir war es gestern wichtig mich im Zimmer einzuleben, meine ganzen Sachen auspacken und meine Ecke ein bisschen zu dekorieren. Eben alles ein bisschen häuslich machen. Ich habe den Weg in die Cafeteria gefunden und das Schulgebäude von außen angeschaut, ich wusste nicht, ob man rein darf. Aber sonst, die weitere Umgebung kenne ich noch nicht.‹‹
››Ich führe dich etwas herum, wenn du willst‹‹, bot ich an. ››Ich bin schon seit fast einer Woche hier und habe meine Zeit genutzt um alles auszukundschaften. Ich denke, ich habe bisher einen ziemlich genauen Überblick.‹‹
››Das ist gut. Ich würde mich sehr freuen, wenn du mir alles zeigst. Warst du denn schon einmal im Schulgebäude?‹‹
››Ja, zweimal. Ehrlich gesagt, habe ich gar nicht gefragt, ob man rein darf, oder nicht. Die Tür war offen und schon war ich drin.
Es ist eigentlich ein sehr schönes Gebäude, groß, aber hell. Besonders gefallen mir die Fachräume. Biologie ist ein schöner, großer Hörsaal und das Praktikum ist gleich nebenan, es ist wunderbar. Ich freue mich schon sehr auf den Unterricht dort. Sehr schön ist auch der Musikraum, der hat es mir angetan, nachdem ich eingetreten bin, obwohl man nicht wirklich behaupten kann, dass ich sehr musikalisch bin. Vielleicht willst du den Klang deiner Flöte dort mal ausprobieren?‹‹
››Ich denke eher nicht‹‹, meinte Angela schüchtern. ››Ich habe immer mehr für mich selbst gespielt.‹‹
››Ich werde ihn dir trotzdem zeigen.‹‹
Leider wurde daraus nichts, denn die Schule war abgeschlossen. Zwar konnte man die Bibliothek durch den zweiten Eingang betreten, aber die Tür, die in das Schulgebäude führte, war verschlossen.
››Dann zeigst du mir eben nur den Rest des Campus, das macht doch nichts‹‹, meinte Angela gütig.
Ich zuckte mit den Schultern und ging weiter.
››Warum bist du erst so spät gekommen? Am Freitag auf die letzte Minute?‹‹ fragte ich neugierig.
Angela seufzte. ››Es fiel mir sehr schwer mein zu Hause hinter mir zu lassen, ich denke deswegen. Ich habe es auf den letzten Tag hinausgezögert um noch so viel Zeit mit meiner Familie verbringen zu können. Leider mussten meine kleinen Brüder im letzten Monat schon wieder zur Schule und meine Eltern auch arbeiten. Aber ich habe ihnen in der Zeit etwas im Laden geholfen, bin noch mal zu meiner alten Schule gegangen um mich von allen zu verabschieden, solche Dinge eben.‹‹
››Das klingt ja ziemlich emotional. Ich weiß nicht, ich konnte gar nicht schnell genug von zu Hause wegkommen.‹‹
››Warum nicht? Magst du dein zu Hause nicht?‹‹
››Doch, sehr sogar‹‹, antwortete ich. ››Allerdings wollte ich so schnell wie möglich in mein neues Leben starten. Es ist schwer zu erklären, aber auf diese Schule zu kommen war einfach ein Freiheitsschlag für mich. Ich genieße jede Sekunde davon.‹‹
››Hatten deine Eltern keine Probleme damit dich gehen zu lassen?‹‹
››Doch, natürlich, meine Mutter auf jeden Fall und auch für meinen Vater war es komisch, dass ich plötzlich nicht mehr bei meiner Mutter leben würde. Er ist sogar extra hier her geflogen, dass es mich direkt an der Schule verabschieden kann – dabei nimmt er normal nie auch nur einen Tag frei von seiner Arbeit. Und meine Mutter, sie hat wieder geheiratet, deswegen habe ich sie auch nicht ganz alleine gelassen.‹‹
››Das muss schön sein, wenn der Abschied so leicht fällt.‹‹
››Ja, schon. Aber, Angela, wenn du irgendjemanden zum Reden brauchst, weil du sie zu sehr vermisst, oder wegen was auch immer, dann kannst du zu mir kommen, okay?‹‹
››Danke schön‹‹, sagte sie mit einem schüchtern Lächeln. ››Du aber auch.‹‹
Ich nickte und lächelte ebenfalls.

Zum Mittagessen ging ich auch mit Angela. Ich konnte mich nicht daran hindern wieder nach Edward Ausschau zu halten. Und dieses Mal hatte ich Glück, ich fand ihn. Er saß alleine an einem Tisch und blickte angestrengt in ein Buch, da wollte ich nicht stören und suchte mir mit Angela einen anderen Platz. Vielleicht würde auch seine Familie bald kommen und er würde dann mit ihnen essen.
Tatsächlich bekam er Gesellschaft an seinem Tisch, allerdings sah das Mädchen nicht nach einem aus, wie ich seine Familie in Erinnerung hatte. Und die Art, wie sie sich ihm gegenüber setzte, sah für mich auch mehr wie Flirten aus. Ich spürte ein mir unbekanntes Gefühl in meinem Bauch aufbrodeln, meinen Blick konnte ich nicht mehr von den beiden abwenden. Sie redete so lange auf ihn ein, bis er schließlich von seinem Buch aufblickte, ihr antwortete und schließlich ein atemberaubendes Lächeln zeigte. Die beiden schauten sich einen langen Moment in die Augen, bis sie kurz etwas sagte und schließlich benommen aufstand – was ich durchaus nachvollziehen konnte – und wieder zu dem Tisch zurück ging, von dem sie gekommen war, jedoch ohne zu vergessen ihm über die Schulter und den halben Rücken zu streicheln.
Neugierde überfiel mich. Über was hatten die beiden gesprochen? Was hatte er ihr geantwortet? Was hatte sie gesagt, dass seine Antwort ihn zu so einem Lächeln brachte? Warum hatte sie ihn berührt? Warum…?
››Er ist süß‹‹, bemerkte Angela.
Schnell blickte ich zu ihr und sie zeigte mir mit einem Kopfnicken Richtung Edward an, dass sie bemerkt hatte, wo mein Blick hängen geblieben war.
Ich seufzte und nickte. Es war ganz offensichtlich, dass ich nicht die einzige war, die das bemerkt hatte.
Angela fragte nicht weiter nach, obwohl ich schon eine Frage, wie: ›Kennst du ihn?‹ erwartet hatte. Sollte ich es ihr nicht vielleicht doch erzählen? Sie war eine nette Person und ich vertraute ihr, dass sie es niemand anderem weitersagen würde.
Aber ich konnte nicht.
Das Mittagessen verlief weitestgehend schweigend, danach zogen wir uns auf unser Zimmer zurück. Angela griff wieder nach ihrem Buch, während ich in einigen meiner Schulbücher schmökerte – so lange, wie ich meine Geduld halten konnte.


No Show


Mein erster Schultag kam und ging. Ihm folgten einige weitere, die schließlich zu Wochen wurden.
Der Unterricht war genau so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Sehr anspruchsvoll, aber interessant gestaltet, sodass das lernen in gewissem Maße sogar Spaß machte. Trotzdem musste ich schnell feststellen, dass ich meinen bisherigen Notenstand keinesfalls halten könnte. Nach den ersten Tests war mein Notendurchschnitt um eine Note schlechter, als an meiner alten Schule an meinem Abschluss. Allerdings war ich nicht die einzige. Ich hörte von manchen, die sich über zwei Noten beklagten und war dann doch relativ froh über meine Ergebnisse.
In den ersten zwei Wochen wurden uns immer wieder Zusatzkurse vorgestellt, die wir belegen könnten, sollten wir meinen, dass wir noch genügend Freizeit hatten. Meine Englischlehrerin hatte dem gesamten Kurs Latein nah gelegt und da ich darüber schon im Voraus nachgedacht hatte und auch der Lehrer des Kurses sehr nett erschien, trug ich mich für diesen Kurs ein. Nach einigem Hin und Her und langem überlegen schrieben Angela und ich uns dann auf den letzten Drücker auch noch für den Schulchor ein. Nicht nur, dass er uns Vorteile im Musikunterricht bringen könnte, wir sahen darin auch eine Möglichkeit der Befreiung von dem ganzen Schulstress, der sich mit jedem Tag mehr voraussagen ließ.
Angela und ich kamen wunderbar miteinander klar. In ihr sah ich bald eine der besten Freundinnen, die ich jemals gehabt hatte. Unsere Gedanken schwebten oft auf derselben Wellenlänge, was uns zum lachen brachte; wir gingen zusammen zur Cafeteria und hatten uns zusammen eine kleine Clique herausgesucht. Wir gingen zusammen zum Unterricht und machten unsere Hausaufgaben zusammen, halfen uns gegenseitig und zogen uns mit unseren Fehlern auf. Sie half mir meine Zurückhaltung abzugewöhnen, während ich ihr dabei half ihre Schüchternheit zu überwinden. Ich war sehr froh, sie als Freundin und Zimmergenossin hier gefunden zu haben. Sicher würden wir weit über unseren Schulabschluss in Kontakt bleiben.
Unsere kleine Clique bestand aus einem weiteren Mädchen und drei Jungen, von denen einer, zu meinem Unglück, Mike Newton war. Vom ersten Schultag an hatte ich Probleme gehabt ihn mir vom Leib zu halten und ihn zu einem angemessenen Körperabstand zu ermahnen. Die anderen beiden Jungs waren Taylor und Ben, das Mädchen hieß Jessica. Wir waren alle im selben Biologiekurs, Ben war noch mit Angela und mir im Literaturkurs.
Nach einem Monat konnte ich sagen, dass ich mich wunderbar an meiner neuen Schule eingewohnt hatte und dass ich mich sicher bis zu meinem Abschluss dort wohl fühlen würde.
Der einzige Nachteil, der mich Tag und Nacht verfolgte, war Edward.
Edward Cullen.
Der Junge, mit dem ich mich getroffen hatte.
Mit dem ich, wie ich dachte, mein erstes Date hatte.
Edward…
Es gab viele Mädchen an der Schule, die über ihn sprachen, aber nur sehr wenige, die mit ihm sprachen. Oder, wahrscheinlicher, er sprach mit sehr wenigen Mädchen. Er war allseits umschwärmt, schien sich aber daraus nichts zu machen, sondern sich viel lieber auf die Schule zu konzentrieren. Ohne Einschränkungen. Besonders in der Cafeteria hatte es schon mehrmals sehr offensichtlich Anmachen an ihn gegeben, aber er war nie mehr darauf eingegangen, als dem Mädchen ein herzerweichendes Lächeln zu schenken.
Ich war inzwischen sicher, dass unsere Treffen für ihn nichts mehr hatten sein können, als seine Zeit bis Schulbeginn zu überbrücken, aber nicht mit seiner Familie. Die Treffen hatten, für ihn, nichts bedeutet. Ich konnte nicht behaupten, dass diese Gedanken meine Stimmung sonderlich hoben.
Aber auch der Rest seiner Familie gab sich offensichtlich nicht gerne mit dem Rest der Schülerschaft ab. Sie blieben lieber für sich selbst, eine Tatsache, die ich nicht wirklich verstand. Vielleicht lag es daran, dass sie es nicht gewohnt waren, Edward hatte mir doch erzählt, dass sie früher von ihrer Mutter unterrichtet wurden. Das einzige, was ich über die restlichen vier wusste, waren ihre Namen und das nervende Gerücht, das eigentlich gar keines war, aber im Umlauf war. Nicht nur Jasper und Alice waren zusammen, sondern auch Rosalie und Emmett. Es war schon seltsam, aber ich fand es auch wirklich süß. Es scheint so schicksalhaftig, dass sie alle von derselben Familie adoptiert wurden und sich so fanden.
Angela hatte ich bisher immer noch nichts von meinen vergangenen Treffen mit Edward Cullen erzählt. Sie schienen mit jedem Tag, der verging, uninteressanter und unwichtiger zu werden. Es würde sich niemals wiederholen, wahrscheinlich würde mir nicht einmal jemand glauben, sollte ich davon erzählen. Edward Cullen sollte wirklich mit jemandem außerhalb seiner Familie zu sehen gewesen sein? Freiwillig? Unmöglich! Nein, ich behielt das für mich.
Das einzige Fach, das ich mit Edward gemeinsam hatte, war Latein. Offensichtlich hatte er sich, hin Hinblick auf seine Zukunftspläne, ebenfalls für diese Stunden entschieden. Aber in den vier Stunden, die wir schon hatten, hatte er niemals die Andeutung gemacht, dass er mich kennen würde. Ich allerdings hatte ihn auch nicht angesprochen.

››Ich habe gehört, dass auch der erste Biologiekurs gebeten worden ist, in die Aula zu kommen‹‹, teilte mir Angela mit, als wir in der Mittagspause auf den Weg dorthin waren.
Unser Biologielehrer Mr. Banner hatte uns heute Morgen in der Stunde mitgeteilt, dass wir uns in der Mittagspause alle in der Aula einzufinden hätten, da er gerne eine Änderung vornehmen würde. Wie die Änderung aussah, darüber hatte er kein Wort verloren.
››Wissen die vielleicht, was er von uns will?‹‹ fragte ich.
››Soweit ich weiß, nicht. Aber ich habe es auch nur aufgeschnappt‹‹, meinte Angela.
››Wahrscheinlich nicht. Warum sollte er es ihnen sagen und uns nicht? Das wäre sicher nicht gut für die Spannungskurve, die er für uns vorbereitet hat.‹‹
Wir lachten beide. Manchmal neigte unser Lehrer wirklich etwas zum dramatischen.
Die Schulaula war schon angefüllt mit unseren Mitschülern, es schienen so gut wie alle da zu sein. Einige hatten offensichtlich dieselbe Idee gehabt, wie Angela und ich, waren aber mit der Ausführung schneller gewesen. Bevor wir gekommen waren, hatten wir einen Zwischenstopp in der Cafeteria eingelegt um uns ein Sandwich zuzubereiten, sollte das Treffen die gesamte Mittagspause andauern.
Angela und ich suchten uns zwei freie Plätze in der Mitte des Saales und packten unsere Sandwichs aus, während wir warteten.
››Sind alle da?‹‹ hörten wir Mr. Banners Stimme von vorne. Sein Blick glitt einmal durch den Raum, dann zuckte er die Schultern und fuhr fort. ››Sie wundern sich bestimmt alle, was der Grund für mein zusammengerufenes Treffen ist.‹‹ Allgemeines, zustimmendes Raunen. ››Ich möchte eine Änderung an ihren Stundenplänen vornehmen – natürlich nur zu ihrem Vorteil um zu einem größeren Lernerfolg zu kommen. Dafür müssen aber einige von euch ihre Kurse tauschen, ich habe alles mit der Rektorin abgesprochen und sie ist einverstanden! Ich habe mir die gesamte letzte Woche darüber Gedanken gemacht und bin mir sicher, zur perfekten Lösung für jeden gekommen zu sein.‹‹ Mr. Banner suchte durch seine Blätter und fischte schließlich zwei davon heraus. Er begann die Namen alphabetisch vorzulesen und sagte jeweils dazu, ob sie Kurs eins oder zwei waren und wer optimaler Weise der passende Laborpartner war. Bei Edward hörte ich neugierig auf, vielleicht würden wir im selben Kurs enden? ››… Edward Cullen, Sie würden sich optimal mit Isabella Swan ergänzen. Sie wechseln in den zweiten Kurs…‹‹
Ich hielt die Luft an und spürte im selben Moment sämtliche weibliche Blicke im Saal auf mir. Mein Blick glitt zu Edward, der am Ende meiner Stuhlreihe ganz alleine saß. Ich meinte ein leichtes Lächeln seine Mundwinkel umspielen sehen und im selben Moment legte sich auch eines auf meine. Vor etwa vier Wochen hatten wir festgestellt, dass wir uns als Laborpartner tatsächlich gut ergänzen würden. Er wäre für den praktischen Teil zuständig und ich für den theoretischen.
››Du hast dir soeben tausende von Feinden gemacht‹‹, bemerkte Angela, als wir auf dem Weg nach draußen zu unserm nächsten Kurs waren. ››Du hast aber auch ein Glück! Mit Edward! Stell dir das mal vor! Und Mr. Banner meinte, dass ihr euch optimal ergänzen würdet… meiner Meinung nach nicht nur als Laborpartner.‹‹
Erschrocken blieb ich stehen. Was meinte sie damit?
››Oh Bella‹‹, Angela hackte sich bei mir ein und zog mich weiter. ››Das war und ist offensichtlich, dass du ihn gerne hast – zumindest für mich. Und meiner Meinung nach geht das nicht nur dir so. Manchmal, wenn du nicht zu ihm schaust, sieht er dich gedankenverloren an, was auch immer das bedeuten mag.‹‹
Schweigend ließ ich mich an meinem Platz nieder. Wir waren die ersten im Unterrichtsraum und es würde noch gut fünfzehn Minuten dauern, bis die Stunde begann.
Angela hatte es also mitbekommen? Nur, weil sie meine Freundin war, oder war es wirklich offensichtlich gewesen? Und jetzt, da ich wusste, dass sie es wusste, sollte ich ihr da mehr sagen?
››Ich kenne ihn… ein bisschen zumindest‹‹, gab ich leise zu.
››Ich dachte mir, dass da noch etwas mehr ist. Magst du mir davon erzählen?‹‹ fragte sie. Das mochte ich so an ihr, sie zeigte Interesse, wollte es aber nicht unbedingt aus mir herausbekommen.
Ich nickte und beugte mich näher zu ihr und begann ihr flüsternd von den schönsten Tagen meines Lebens vor Schuljahresbeginn zu erzählen.
Bis ich beendet hatte, füllte sich der Unterrichtssaal bereits und sie war so rücksichtsvoll nichts mehr dazu zu sagen. Nur ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen.

››Warum setzt du dich nicht zu ihm?‹‹ fragte Angela an diesem Abend, als wir unser Essen geholt hatten und uns in der Cafeteria nach den anderen umsahen. Meine Freundin nickte zu dem leeren Tisch in der Nähe der Terrassentür, an der Edward ganz alleine saß.
››Was, wenn er mit seiner Familie isst?‹‹ gab ich zu bedenken.
››Im Moment ist er alleine und seine Familie kann ich nicht sehen. Selbst wenn sie jetzt herein kommen, müssen sie sich zunächst eine Weile anstellen und in dieser Zeit kannst du ihm Gesellschaft leisten.‹‹
››Und was ist mit dir?‹‹
››Ich werde es ein Abendessen ohne dich mit den anderen aushalten. Ich könnte mit Jessica reden, oder… Ben.‹‹ Ein leichter Rotschimmer breitete sich über ihre Wangen.
Ich tat, als bemerke ich das nicht. ››Ich weiß aber gar nicht, was ich sagen soll.‹‹
››Egal, wie banal es ist, du wirst ihn damit schon nicht vertreiben‹‹, versuchte sie mich zu beruhigen.
››Aber ich könnte ihn trotzdem langweilen…‹‹
››Ich dachte, ihr habt schon Dinge zusammen unternommen?‹‹ Ich nickte. ››Dann wirst du ihn auch nicht langweilen, denn er weiß, dass du nicht langweilig bist.‹‹
››Was soll denn dann der Grund sein, dass er nicht mehr mit mir gesprochen hat?‹‹
››Geh hin und finde es heraus!‹‹ schlug sie grinsend vor.
Ich zog eine Schnute, bevor ich überzeugt nickte und in Edwards Richtung lief, während Angela unseren Cliquentisch anstrebte.


Friends? Well… Yes


››Hi Edward‹‹, sagte ich, als ich an seinem Tisch angekommen war. Ich wollte zunächst seine Reaktion auf mich sehen, bevor ich mich endgültig an den Tisch setzte.
Edward schaute, wie es schien, etwas genervt von seiner Lektüre auf, als er mich erkannte, breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus. Es war nicht dieses erzwungene, höfliche Lächeln, dass er all den anderen Mädchen schenkte, die sich einfach an seinen Tisch setzten und versuchten sich mit ihm zu unterhalten, sondern dieses wunderschöne Lächeln, dass ich schon von Anbeginn von ihm kannte.
››Hallo Bella‹‹, sagte er mit seiner schönen, musikalischen Stimme. Mit dem Kopf nickte er zu dem freien Stuhl neben sich.
Ich stellte mein Tablett ab, zog mir den Stuhl zurecht und ließ mich darauf sinken. In dem Moment fühlte ich mich auf einem sonderbaren Höhenflug, den ich mir nur so erklären konnte, dass ich unglaublich glücklich war, dass er mich nicht abgewiesen hatte.
››Danke‹‹, sagte ich. ››Wie geht es dir?‹‹
››Viel zu tun‹‹, antwortete er mit Seitenblick auf das Buch, das vor ihm lag. ››Aber gesund im Großen und Ganzen.‹‹
››Das freut mich. Und viel zu tun hat hier wohl jeder.‹‹
››Überfordert?‹‹ fragte er mit schalkhaftem Grinsen.
››Keineswegs.‹‹ Ich seufzte. ››Obwohl es ein bisschen besser laufen könnte. Hast du dich gehalten?‹‹
››Nein, ich bin eine halbe Note abgesunken. Das passt mir gar nicht.‹‹
››Über eine halbe Note wäre ich noch froh, bei mir ist es etwas mehr.‹‹ Ich hatte nicht vor näher drauf einzugehen.
››Oh‹‹, sagte er, offensichtlich hatte er verstanden.
Ich biss mir auf die Lippen, nicht wissend, was ich als nächstes sagen sollte. Das Gespräch war viel zu kurz gewesen und nun breitete sich unangenehme Stille zwischen uns aus, ganz anders als vor vier Wochen, als ich die Stille als schön und vertraut angesehen hatte.
››Du hast mir nie gesagt, wie es dir geht‹‹, durchbrach Edward glücklicherweise nach einer Weile das schweigen.
››Mir geht es ebenfalls gut‹‹, antwortete ich schnell. ››Nur fand ich es etwas schade, dass der erste Freund, den ich hier gefunden habe, nicht mehr mit mir gesprochen hat‹‹, flutschte es mir noch heraus.
Edward zog seine Lippen zu einem strengen Strich zusammen und wandte seinen Kopf ganz von mir ab um sich wieder ganz in sein Buch zu vertiefen.
Innerlich schlug ich mich. Wie konnte ich den Moment nur mit so einer dummen Aussage ruinieren?
››Ich hatte viel zu tun‹‹, sagte er mit überraschend kalter Stimme.
Ich senkte den Blick zu meinem Essen, ohne etwas darauf zu erwidern. Auf meiner Zunge lag eine Entschuldigung für das, was ich gesagt hatte, allerdings wollte ich sie nicht aussprechen, da es doch die Wahrheit war. Ich war enttäuscht! Und er hatte mich ignoriert, während ich nicht wusste, warum.
Ich beschloss das Thema auf ein heitereres zu bringen, da ich nicht wollte, dass wir uns anschwiegen – wenn ich schon den Schritt gewagt hatte mich an seinen Tisch zu setzen.
››Wer hätte gedacht, dass wir tatsächlich als optimale Laborpartner enden‹‹, sagte ich leicht, ein Grinsen auf meinen Lippen.
Auch Edwards zuckten verräterisch. Es dauerte eine Weile, bis er von seinem Buch aufblickte – wobei ich mir fast sicher war, dass er nichts darin gelesen hatte, sondern nur die Seite angestarrt hatte, da sich seine Augen nicht bewegten – und mich ebenfalls angrinste. ››Ich habe es schon immer gewusst…‹‹
››… du den praktischen Teil und ich den theoretischen‹‹, beendete ich für ihn.
››Genau‹‹, stimmte er mir zu. ››Gut, dass die Schule das jetzt auch endlich verstanden hat!‹‹
››Ich bin schon richtig gespannt auf die nächste Biologiestunde, wenn ich ehrlich bin.‹‹
››Es ist eine Doppelstunde, oder?‹‹ fragte er.
››Ja. Morgen. Das heißt Praktika, ich werde dich also in Aktion erleben‹‹ freute ich mich.
››Der aber immer durch einen theoretischen eingeleitet wird. Dass du mich bloß nicht enttäuschst‹‹, antwortete er mit herausforderndem Grinsen.
Ich versuchte ihm selbstbewusst entgegen zu blicken, während ich mir Still und Heimlich vornahm, heute Abend vor dem schlafen gehen, noch einen wichtigen Blick in mein Biologiebuch zu werfen.
››Ich glaube, deinen Freunden gefällt es nicht, dass du bei mir sitzt – nicht umschauen!‹‹
Ich verdrehte die Augen, kämpfte aber gegen den instinktiven Drang an. ››Als würde es nicht sämtliche Mädchen hier im Raum aufregen, dass du mit mir sprichst, aber nicht mit ihnen! Wer ist es denn, den es stört?‹‹
››So ein blonder Typ, er erdolcht mich fast mit seinen Blicken.‹‹
››Mike!‹‹ knurrte ich.
››Ist er dein Freund?‹‹ fragte Edward.
››Du traust mir nicht sonderlich viel Geschmack zu, was?‹‹ feuerte ich, entschuldigte mich aber gleich dafür. ››Sorry.‹‹
››Tut mir auch Leid, aber man weiß ja nie. Er ist offensichtlich ziemlich böse auf mich, da war das für mich der nahe liegendste Grund.‹‹
››Ja, ich denke, er wäre es gerne. Es macht ihm nichts aus, dass ich ihn schon seit vier Wochen abweise‹‹, beschwerte ich mich.
››Dummer Kerl‹‹, murmelte Edward. ››Das Wort einer Frau wie dir sollte man akzeptieren.‹‹ Dann sah er plötzlich auf und sagte mehr deutlich: ››Was meintest du vorhin mit ›sämtliche Mädchen im Raum‹?‹‹
››Muss ich dir die Frage wirklich beantworten?‹‹
Edward zuckte unwissend mit den Schultern.
››Weißt du, was dein Ruf hier in der Schule ist?‹‹ fragte ich langsam.
››Ich habe einen Ruf?‹‹ Edward schien interessiert. Wusste er das wirklich nicht?
››Ja, du hast einen Ruf‹‹, bestätigte ich. ››Du bist einer der begehrtesten Jungen und definitiv der begehrteste Single an dieser Schule-‹‹
››Bin ich?‹‹ frage er überrascht.
››Ja, bist du. Aber dein Ruf sagt, dass du niemanden an dich heran lässt, vor allem keine Mädchen. Alle die versuchen sich mit dir zu unterhalten, lässt du abblitzen. Zwischen manchmal Mädchen ist schon ein ziemlicher Kampf ausgebrochen, wer es als erstes schafft, dich weich zu kochen.‹‹
››Wirklich? Ist ja verrückt. Und was hat das jetzt mit dir zu tun?‹‹
Ich überspielte meinen gekränkten Stolz und antwortete. ››Zu deiner Information: Ich bin ein Mädchen! Außerdem gehöre ich nicht zu deiner Familie, aber du unterhältst dich mit mir. Ich habe mir in der letzten viertel Stunde unglaublich viele Feindinnen gemacht… obwohl, eigentlich hatte ich die schon seit de Mittagspause, als ich zu deiner ›perfekten Laborpartnerin‹ gemacht wurde.‹‹
››Oh… Oh!‹‹ mit einem Mal breitete sich auf Edwards Lippen ein ungewohntes, aber unwiderstehliches machohaftes Lächeln aus. ››Gehörst du auch zu den Mädchen, die darum kämpfen mit mir zu sprechen?‹‹ fragte er mit unglaublich samtener Stimme.
Unkontrolliert begann mein Herz heftiger zu schlagen und ließ das Blut nur so durch meine Venen rauschen. Ich war mir sicher, dass sich auf meinen Wangen ein leichter Rotschimmer gebildet hatte. ››Nein‹‹, antwortete ich so lässig, wie mir in dem Augenblick möglich war. ››Ich kenne dich ja schon.‹‹
››Und warum hast du dann in den letzten Wochen nicht mit mir gesprochen?‹‹ wollte er als nächstes wissen.
Ich senkte traurig den Blick. ››Du hast es doch auch nicht…‹‹
››Stimmt‹‹, sagte er um einiges leiser. Es klang, als wäre das Macholächeln wieder aus seinem Gesicht verschwunden.
Langsam sah ich auf und meine Vermutung wurde bestätigt. ››Sagst du mir irgendwann, warum?‹‹
››Vielleicht‹‹, sagte er. ››Irgendwann…‹‹
Wir schwiegen und ich konnte der Versuchung nun nicht mehr länger widerstehen und drehte mich um, um zum Tisch meiner Freunde zu blicken. Ich hörte Edward neben mir darüber lachen.
Mike senkte gerade den Blick, Jessica starrte mich unverhohlen und neidisch an, Angela war in ein Gespräch mit Ben verwickelt, der Rotschimmer war wieder auf ihren Wangen erschienen, während er kein einziges Mal die Augen von ihr nahm. Die beiden waren so niedlich.
Mir gegenüber am Tisch wurden zwei Stühle verrückt. Überrascht, dass noch jemand dazu kam, drehte ich mich um, entspannte mich aber sofort wieder. Keine anderen Mädchen, die sich an Edward heranmachen wollten, sondern seine Schwestern. Mein Blick glitt zur Essensschlange, wo ich seine beiden Brüder anstehen sah.
››Hi Bella‹‹, sagte das schwarzhaarige Mädchen und streckte mir ihre Hand entgegen. ››Ich bin Alice, das ist Rosalie.‹‹
Rosalie lächelte mir kurz zu.
››Hi‹‹, sagte ich ebenfalls und schüttelte Alices Hand. Woher sie meinen Namen kannte, fragte ich gar nicht nach. So groß war die Schule nun auch wieder nicht. Oder… hatte Edward seinen Geschwistern von mir erzählt?
››Es freut mich, dich endlich mal kennen zu lernen‹‹, sagte Alice mit ihrer glockenhellen Stimme.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Edward ihr einen bösen Blick zufeuerte.
››Mich auch‹‹, antwortete ich in aller Ehrlichkeit. Dann stand ich auf. ››Ich muss noch Hausaufgaben machen‹‹, sagte ich zur Erklärung, dachte aber eher an mein Biologiebuch, dass mir hoffentlich etwas über die nächste Unterrichtsstunde verraten würde.
››Du musst nicht gehen, nur weil wir gekommen sind‹‹, sagte Alice enttäuscht. Edward hatte den Blick gesenkt.
››Nein. Ich muss wirklich noch was tun. War nett. Wir sehen uns morgen‹‹, verabschiedete ich mich, nahm mein Tablett und ging davon. Ich brachte es zum Abwaschtresen und machte mich dann zum Ausgang. Bevor ich den Raum allerdings verließ, schaute ich noch einmal zurück. Die Brüder waren inzwischen fast am Tisch angekommen, Alice redete offenbar wild auf ihren Bruder ein.

››Bella!‹‹ wurde ich vor der Cafeteria zurückgerufen, allerdings nicht von der Stimme, die mir lieber gewesen wäre.
››Mike‹‹, sagte ich leise und drehte mich um. ››Was willst du?‹‹
››Was wolltest du bei diesem Cullen am Tisch?‹‹ fragte er Besitz ergreifend.
››Er ist mein neuer Laborpartner, aber ich wüsste nicht, was dich das angeht‹‹, antwortete ich patzig und ging weiter.
Er folgte mir. ››Es gefällt mir nicht‹‹, sagte Mike mit Abscheu in der Stimme. ››Außerdem, du weißt doch, wie er Mädchen immer behandelt. Und dann noch, wie er dich anblickt…‹‹ Er ließ das ›wie‹ offen.
››Ja? Wie schaut er mich denn an?‹‹ forderte ich Mike heraus.
››Wie… als ob… als wärest du sein persönliches Eigentum!‹‹
Für einen geschockten Moment blieb ich wie erstarrt stehen. Edward schaute mich an, als wäre ich sein Eigentum? Das konnte doch nicht sein!
››Tz‹‹, machte ich und setzte zum nächsten Schritt an.
››Bella‹‹, hörte ich da wieder. Dieses Mal von zwei verschiedenen Stimmen. Die eine gehörte zu Mike, die andere…
Ich drehte mich um und sah Edward am Eingang zur Cafeteria stehen. Er lächelte mir leicht unsicher zu, was ich erwiderte und er kam langsam auf mich zu.
››Bella‹‹, sagte Mikes nervige Stimme neben mir. ››Was ist denn nun?‹‹
››Nichts‹‹, sagte ich, ohne ihn anzublicken. ››Lass mich. Geh.‹‹ Mein Blick war fest auf Edward gerichtet.
››Denk nur an das, was ich dir gesagt habe‹‹, der Besitzer der Stimme wandte sich endlich zum gehen.
Edward kam vor mir zum stehen. ››Habe ich bei etwas gestört?‹‹
››Überhaupt nicht‹‹, hauchte ich, nicht mehr Herr über mich selbst. Ich blickte Edward tief in die Augen. Schaute er mich tatsächlich an, als wäre ich sein Eigentum?
››Hättest du was dagegen, wenn ich dich zu deinem Haus bringe?‹‹ fragte er schüchtern.
››Nein. Es würde mich sehr freuen!‹‹ Dass der Weg nicht einmal mehr eine Minute beanspruchte, war mit in dem Moment egal.
››Hättest du was dagegen, wenn wir einen kleinen Umweg machen?‹‹ wollte Edward wissen.
Ich schüttelte meinen Kopf, einerseits um mir endlich wieder Klarheit in meinen Gedanken zu verschaffen und andererseits, weil ich durchaus nichts gegen einen Umweg hatte, egal wie kurz oder lang er war.
Ich hakte mich bei Edwards angebotenem Arm ein – warum er das machte, wusste ich selbst nicht, aber ich nahm es gerne an – und er führte mich in Richtung des Schulgebäudes. Das war der einzig mögliche Umweg, wenn man nicht zum Strand wollte.
››Sprechen wir jetzt wieder miteinander?‹‹ fragte ich vorsichtig.
››Wir sind Laborpartner, wir haben gar keine andere Wahl‹‹, triezte er.
››Du weißt, was ich meinte‹‹, sagte ich und zog genervt an seinem Arm.
››Ja, ich weiß.‹‹
››Sind wir Freunde?‹‹
››Freunde…‹‹ er schien einen Moment über das Wort zu sinnieren. ››Ja… ich denke schon.‹‹
››Willst du etwa nicht?‹‹ fragte ich unsicher. Das Wort ›denken‹ sprach nicht von Überzeugung.
››Doch, natürlich will ich. Ich weiß aber nicht, ob ich gut darin bin‹‹, gab er zu bedenken.
Ich verstand nicht, warum er so unsicher war. Ein weiteres Rätsel, was ihn anging, dass ich unbedingt lösen wollte. ››Also im Moment stellst du dich schon ziemlich gut an‹‹, lobte ich ihn. ››Und den Rest bringe ich dir noch bei.‹‹
››Okay‹‹, sagte er, zuversichtlich lachend.
Ich grinste ihn an und ging schweigend weiter – nicht unangenehm schweigend, es war eher angenehm, sehr angenehm.
Ich war mit Edward Cullen befreundet!

››Wollen wir uns setzen?‹‹ fragte Edward an einer Bank hinter dem Schulgebäude. Vor uns lagen die Sportplätze und dahinter eine kleine Parkanlage.
››Gerne‹‹, sagte ich.
Da ich immer noch bei Edward eingehakt war, setzten wir uns so dicht aneinander, dass ich bequem meinen Kopf auf seiner Schulter ablegen konnte. Ich wusste nicht, woher mein Mut kam – es war seltsamerweise selbstverständlich – aber er schien nichts dagegen zu haben, also änderte ich auch nichts an meiner Position.
››Wollen wir Morgen zusammen frühstücken?‹‹ fragte Edward plötzlich in die Stille.
Mein Bauch fühlte sich von einem Moment auf den nächsten seltsam leicht an. ››Du machst dich wirklich sehr gut!‹‹ lobte ich ihn wieder. ››Ja, ich würde wirklich gerne mit dir frühstücken.‹‹
››Aber ganz normal in der Cafeteria‹‹, fügte er grinsend hinzu.
››Na gut‹‹, schmollte ich gespielt. ››Ich wollte gerade vorschlagen, ob ich dieses Mal für die Picknickdecke sorgen soll.‹‹
››Vielleicht können wir das irgendwann wiederholen‹‹, schlug Edward vor. ››Aber nicht gerade, wenn wir im Zeitstress sind, weil wir zur ersten Stunde pünktlich sein müssen.‹‹
››Nächsten Samstag, ist notiert‹‹, scherzte ich.
Er erwiderte nichts darauf, woraufhin ich annahm, dass er das eben gesagte ebenso wenig ernst nahm, wie ich es gemeint hatte.
››Willst du meine Freunde kennen lernen?‹‹ fragte ich vorsichtig.
››Eigentlich dachte ich, dass nur wir beide frühstücken… wenn das okay ist?‹‹
››Klar, dann verschieben wir das. Am besten fangen wir mit Angela an, sie ist wirklich toll. Die beste Mitbewohnerin, die man sich wünschen kann.‹‹
››Dann hast du es gut getroffen‹‹, bemerkte er.
››Allerdings. Du nicht?‹‹
››Chris hat aufgegeben mit mir befreundet sein zu wollen, aber wir kommen miteinander klar. Er lässt zumindest keine der Mädchen ins Zimmer, die manchmal davor stehen.‹‹
››Ernsthaft? Oh man, wie verzweifelt muss man sein?‹‹ Ich unterdrückte die Frage, warum er nicht mit Chris befreundet sein wollte.
››Ich weiß es nicht. Ist mir auch egal.‹‹ Wie gleichgültig er darüber sprechen konnte. Immerhin standen sie doch vor seiner Tür.
Plötzlich stand er auf. ››Du musstest noch Hausaufgaben machen! Tut mir Leid, ich wollte dich nicht aufhalten. Ich bringe dich zurück.‹‹
››Mach dir keine Sorgen, so dringend sind die nun auch nicht‹‹, versuchte ich ihn zu beschwichtigen, aber er zog mich einfach nur hinterher.
››Ich möchte nicht daran schuld sein, wenn du dir die halbe Nacht um die Ohren schlagen musst‹‹, rechtfertigte er sich.
Ich konnte es nicht über meine Lippen bringen, dass mir im Moment alles egal war, solange ich nur in seiner Nähe war.

Zurück in meinem Zimmer schaute Angela mich überrascht an. ››So früh zurück?‹‹
Ich erzählte es ihr, woraufhin sie die Augen verdrehte – allerdings aus einem anderen Grund, als angenommen.
››Du hättest ihm sagen müssen, dass es wirklich überhaupt nicht wichtig ist und-‹‹
››Aber dann hätte er doch bemerkt, dass ich früher in der Cafeteria gelogen habe!‹‹ warf ich ein.
››Und- Lass mich doch zu Ende reden! Du hättest ihm auch sagen müssen, dass du lieber Zeit mit ihm verbringen würdest.‹‹
››Wir sind Freunde, kein Paar! Damit hätte ich ihn doch sofort wieder zurückgeschreckt.‹‹ Ich ließ mich seufzend auf mein Bett fallen. ››Ich weiß immer noch nicht, warum er so war, er will es nicht erzählen, aber ich denke, dass die Chancen gut für mich stehen, dass er mich von jetzt an nicht mehr ignoriert. Wir werden Morgen zusammen frühstücken.‹‹
Angela ließ ein kleines Quietschen vernehmen. ››Das ist so schön, ich freue mich so für dich! Mike war am Essen heute drauf und dran zu euch hinüber zu gehen und Edward umzubringen. Jessica hat das natürlich gar nicht gefallen.‹‹
››Ja, er hat mich draußen abgefangen und wollte mich davon überzeugen, dass ein Edward Cullen nicht gut für mich ist.‹‹
Meine Freundin verzog das Gesicht. ››Wie denn das?‹‹
››Eigentlich nichts ekliges. Er meinte… ‹‹ ich räusperte mich. ››Also er sagte…‹‹ Ich bekam es nicht über meine Lippen, während mein Herz wieder zu pumpen anfing und meine Wangen warm wurden.
››Okay, du machst mich neugierig.‹‹ Angela stand von ihrem Schreibtischstuhl auf und kam zu mir um sich neben mich auf mein Bett zu setzen. ››Was genau hat er gesagt?‹‹
Ich biss mir auf die Lippen. ››Er meinte, Edward würde mich so ansehen, als würde ich ihm ganz alleine gehören, ihm, also Edward, ganz alleine gehören.‹‹
Angela grinste mich breit an, dann wurde ihr Gesicht ernst und sie meinte: ››Wo er recht hat…‹‹
Erschrocken setzte ich mich auf. ››Was meinst du damit?‹‹ presste ich heraus.
››Edward hat dich heute Abend wirklich so angesehen, als würde er dich nicht mehr hergeben.‹‹
Mein Blut pulsierte erneut stärker, während ich schüchtern fragte: ››Wirklich?‹‹
››Natürlich wirklich! Ich würde dich doch nicht anlügen!‹‹
››Okay…‹‹ sagte ich langsam. ››Okay, dann werde ich ihn auch nicht mehr gehen lassen. Ich werde so viel mit ihm unternehmen, dass es gerade an der Grenze zu zuviel ist.‹‹
››Guter Plan, das ist mein Mädchen!‹‹
››Aber‹‹, fügte ich hinzu, ››du musst genau dasselbe machen!‹‹
››Warum sollte ich mich an Edward hängen?‹‹ frage Angela verwirrt.
››Ich rede nicht von Edward‹‹, sagte ich und blickte ihr tief in die Augen. ››Ich rede von Ben!‹‹


How to Capture


Seufzend schaute ich mich ein weiteres Mal in der Bibliothek um. Eigentlich sollte ich mich wegen fünf Minuten nicht so verrückt machen, aber er war noch nie zu spät gewesen. Er war immer pünktlich!
Mr. Banner hatte eine neue Idee um den Unterricht interessanter zu gestalten, da er meinte, wir wären nicht aufmerksam genug. Sein Plan war, da wir bestimmt besser wussten, wie man eine Stunde spannender gestalten konnte, weswegen nun jeder Tisch zusammen ein Projekt erarbeiten sollte und das dann in den nächsten zwei Wochen vorstellen sollte. Edward und ich waren mit unserem Thema sehr gut vorangekommen und unser Vorstellungstermin war auf übermorgen angesetzt. Heute hatten wir uns noch einmal treffen wollen um über alles zu lesen, letzte Veränderungen vorzunehmen und es schließlich alles auszudrucken.
Doch Edward kam einfach nicht, er war noch nie auch nur eine Minute zu spät gewesen.

***
Ich war etwas nervös, das musste ich zugeben. Mr. Banner hatte uns am Morgen das Thema unseres Projektes gegeben und Edward und ich hatten sofort ausgemacht, dass wir uns am Nachmittag treffen würden, dass wir sofort anfangen konnten und uns auch auf jeden Fall genug Zeit für die Ausarbeitung lassen konnten.
Jetzt war ich auf dem Weg in die Bibliothek, meine Biologiebücher hingen schwer in meiner Tasche und mein Blick hing gerade zu auf meiner Armbanduhr. Ich wollte nicht zu spät kommen, aber die Nervosität drückte auf meine Blase – was eigentlich nicht sein konnte, meine Einbildung mir aber einredete. Schnell lief ich zur nächsten Toilette, mit dem Hintergedanken, dass ich dadurch zu spät kommen würde. ›Mein‹ zu spät, was hieß, dass ich nicht fünf Minuten vorher da war.
Nachdem ich die Kabine wieder verlassen hatte, stellte ich mich vor den Spiegel und blickte mich an. Wie jedes Mal, wenn ich mich mit ihm treffen wollte, hatte ich einen leichten Rotton auf meinen Wangen, der nicht von Make Up herrührte. Jedes Mal war ich nervös ihn zu sehen, jedes Mal wurde es schlimmer.
Ich atmete einmal tief durch, warf mir einen Kaugummi ein und verließ die Toilette wieder um mich nun endgültig auf den Weg zur Bibliothek zu machen.
Edward saß bereits wartend an einem Tisch in der Wissenschaftsecke, Bücher und einen Collegeblock vor sich liegend. Er blickte stumm auf ein weißes Blatt Papier.
Schnell warf ich einen versichernden Blick auf meine Uhr. Nein, ich war nicht zu spät, nur zwei Minuten zu früh. ››Hey Edward‹‹, sagte ich leise. ››Wartest du schon lange?‹‹
Er hatte lächelnd den Kopf geschüttelt.
So war es jedes Mal gewesen. Entweder er war vor mir da gewesen oder wir waren gemeinsam angekommen, allerdings waren wir beide niemals auch nur eine Minute später, als ausgemacht.
***

Seit Edward und ich vor einigen Wochen beschlossen hatten Freunde zu sein, hatte sich einiges für mich verändert. Ich versuchte einen fairen Ausgleich zwischen ihm und meinen anderen Freunden zu finden – was sich nicht als allzu einfach herausstellte, da ich meine Zeit lieber mit Edward verbrachte, als mit meiner ursprünglichen Clique. Die waren selbstverständlich nicht sonderlich erfreut, dass ich immer seltener auftauchte. Besonders Mike trieb mich mit seiner Art – konnte ich es Eifersucht nennen? – in den Wahnsinn.
Mein eigentlicher Plan, Edward mit meinen Freunden zu vermischen, war fehlgeschlagen. Einerseits schien Edward sich in ihrer Gegenwart nicht wohl zu fühlen, weswegen ich ihn nicht zwischen sie zwingen wollte und andererseits gaben die anderen sich auch gar keine Mühe ihn in ihrer Mitte aufzunehmen. Somit waren sie wieder selbst daran schuld, dass ich weniger Zeit mit ihnen verbrachte.
Aber nicht nur mit meinen Freunden hatte ich Probleme wegen Edward bekommen, sondern auch mit der Single Damenschaft der Schule. Etwas, das ich ihm niemals erzählen würde. Zwar hatte ich noch keine ausgesprochenen Drohungen bekommen, allerdings konnten Blicke manchmal mehr sagen, als tausend Worte.

***
››Siehst du das auch?‹‹ fragte ich Angela.
››Was?‹‹
››Diese Blicke, die sie uns zuwerfen.‹‹
››Oh, das. Ich denke, ehrlich gesagt, nicht, dass uns Blicke zugeworfen werden, sondern alleine dir. Sind das nicht die Mädchen, die sich sonst täglich versuchen an Edwards Tisch zusetzen?‹‹
Ich schaute mich kurz um und nickte dann. ››Ich habe mir also tatsächlich sehr viele Feindinnen gemacht. Aber das nur, weil ich jetzt ab und zu mit Edward rumhänge und wir Laborpartner sind?‹‹
››Du weißt genau, dass das mehr ist, als herumhängen und Laborpartner sein‹‹, wies mich Angela zurecht. ››Es ist allgemein bekannt, dass ihr Freunde seid und euer benehmen deutet manchmal darauf hin, dass ihr etwas mehr als Freunde seid – ich weiß, dass nichts zwischen euch läuft, das hast du mir schon oft genug gesagt und ich glaube dir auch, aber du kannst die anderen nicht da für verurteilen, dass sie das denken, was sie sehen.‹‹
››Aber ich will mein Verhalten nicht ändern, nur weil es den anderen Mädchen nicht passt.‹‹
››Das sollst du doch auch nicht. Aber wenn die Leute wirklich denken sollen, dass ihr nur Freunde seid, dann solltet ihr Dinge, wie das Freilichtpicknick letztes Wochenende vielleicht lassen.‹‹
***

›Das Picknick‹, dachte ich grinsend.
Das Gespräch mit Angela hatte eine Woche nach meiner ›Wiedervereinigung‹ – wie ich es manchmal gerne nannte – mit Edward stattgefunden.
Damals hatte ich scherzhaft gemeint, dass wir, wenn wir wieder gemeinsam frühstückten, dass doch wieder zu einem Picknick machen sollten. Ich hatte allerdings nie damit gerechnet, dass er am Samstag darauf tatsächlich vor meiner Tür stehen würde – mit einem voll bepackten Picknickkorb.

***
Ich war noch im Land der Träume, als ich ein Klopfen vernahm, das so gar nicht in mein paradiesisches Bild einer wunderschönen, grünen Wiese passte.
Es klopfte erneut und ich schreckte aus meinem Traum in einen halben Wachzustand. Es hatte also wirklich geklopft?
Grummelnd schaute ich auf die Uhr, während ich meine Bettdecke zurückschlug. Wer wollte denn an einem Samstagmorgen um viertel vor neun etwas von mir? Konnte das nicht warten?
Ich tapste zur Zimmertür und öffnete einen spaltbreit – selbst wenn die Person zu so eine menschenunwürdigen Zeit kam, musste ich mich nicht in voller Schlafmontur präsentieren.
››Guten Morgen‹‹, ertönte eine schöne und vor allem wache, vielleicht leicht belustigte Stimme, sobald die Tür ein Stück offen war.
Ich zwängte meine verklebten Augen auf und blickte meinen Gegenüber an. ››Edward?‹‹ sagte ich leise, mit Schlaf belegter Stimme. ››Was machst du hier?‹‹
Er blickte mich kurz nachdenklich an, offensichtlich hatte er bemerkt, dass sich noch vollkommen verschlafen war und hob anschließend einen Korb. ››Picknick?‹‹ fragte er unsicher.
Meine Augen wurden groß, als ich realisierte, dass er den Scherz offensichtlich ernst genommen hatte und nun bereit zu frühstücken vor meiner Zimmertür stand. – Woher wusste er überhaupt, welches mein Zimmer war? Hatte ich ihm das gesagt? Ich wusste es nicht mehr…
Was sollte ich jetzt machen? So tun, als hätte ich verschlafen à la ›Oh, schon so spät?‹ oder ihn aufklären, dass ich niemals vorhatte an diesem Samstagmorgen mit ihm zu picknicken. Keines von beidem gefiel mir sonderlich, also entschloss ich mich für einen Mittelweg.
Ich trat einen Schritt zur Seite und ließ ihn ein. ››Ich bin in einer Minute fertig‹‹, sagte ich knapp. Daraufhin verschwand ich mit meiner Kleidung im Bad, wusch mir das Gesicht und zog mich an.
Eine viertel Stunde später saßen wir auf ›unserer‹ Wiese auf der Picknickdecke und machten uns über die vorbereiteten Leckereien her.
››Ich war wirklich nicht darauf vorbereitet, dass du tatsächlich mit einem Picknickkorb vor meiner Tür auftauchen würdest‹‹, erklärte ich.
››Das habe ich bemerkt‹‹, meinte er belustigt.
››Ich meinte das auch mehr als Scherz, als ernsthaft.‹‹
››Ich weiß… allerdings habe ich mich um entschieden, da ich dachte, dass es wirklich ganz nett wäre, wenn wir das noch einmal machen würden.‹‹
››Ist es auch‹‹, gab ich zu. ››Tut mir Leid, dass du mich heute Morgen so sehen musstest.‹‹
››Ach was, halb so schlimm. Ich habe immerhin zwei Schwestern‹‹, lachte er.
Ich sagte nicht, dass ich mir kaum vorstellen konnte, das zwei Schönheiten, wie die beiden jemals auch nur annähernd so aussehen könnten.
***

Inzwischen hatte ich Alice und Rosalie, sowie auch Jasper und Emmett etwas näher kennen gelernt, da ich ab und an mal mit der Familie abends am selben Tisch saß. Sie waren alle ausschließlich sehr nett und hatten alle fünf sehr verschiedene, aber unglaublich interessante Charaktere. Und sie verstanden sich wunderbar untereinander, dass man sich als Außenstehender fast wie ein Eindringling vorkam.
So war es mir zumindest beim ersten Treffen vorgekommen. Ich war sehr schüchtern, aufgeregt davor seine Familie richtig kennen zu lernen – was im Grunde lächerlich war – aber sie hatten mich freundlich aufgenommen, fast so, als wäre ich eine von ihnen. Dadurch, dass ich mit ihnen gelacht hatte, hatte ich mir gleich noch ein paar Feinde mehr gemacht. Die Cullens waren nur sehr selten mit anderen Schülern zu sehen und da kam ich, verstand mich zunächst mit Edward und schaffte es anschließend auch noch an den Familientisch vorzudringen.
Ich seufzte lächelnd bei diesem Gedanken.
Die Cullens waren – ohne dass sie von sich reden machten – das Gesprächthema Nummer eins dieser Schule. Es war schon witzig. Sie führten ein zurückgezogenes Leben und waren trotzdem in aller Munde.
Und ich seltsamerweise auch, wegen ihnen.
››Hey Bella‹‹, mein Name schreckte mich aus meinen Gedanken.
Erleichtert schaute ich auf, allerdings nicht, wie erwartet, in Edwards Gesicht, sondern in Mikes.
››Mike‹‹, knurrte ich. ››Was kann ich für dich tun?‹‹
Ich schaute auf die Uhr. Es waren weitere fünf Minuten vergangen und von Edward war immer noch nichts zu sehen. Er war schon zehn Minuten zu spät und ich erwartete ihn dringender denn je – er musste mich von Mike retten!
››Du hast doch in Biologie auch das Thema der Pawlow’schen Reflextheorie, oder?‹‹ Ich nickte. ››Gut, ich habe nämlich eine Frage, ich komme damit überhaupt nicht klar.‹‹
››Was ist es?‹‹ fragte ich knapp und genervt.
Warum musste ausgerechnet Mike – er war im anderen Kurs – dasselbe Thema bekommen, wie ich?
Mike schob mir ein Blatt mit einer Grafik unter die Nase. ››Schau her, hier bis zur Mitte verstehe ich es ja noch, da geht die Grafik natürlich aufwärts, aber warum geht es hier auf einmal zurück. Ich meine, müsste es nicht doch weiter aufsteigen?‹‹
Ich warf einen Blick auf das Blatt – ich hatte es schon zuvor gesehen, aber für mich hatte es keinen Wert, da ich besser Auswertungen des Experiments hatte, was ich ihm allerdings nicht sagen würde – und verdrehte die Augen.
››Gab es dazu vielleicht einen Erklärungstext?‹‹ fragte ich ihn mit dem Ton, als würde ich zu einem Kleinkind sprechen um ihm möglichst mit einfachen Worten versuchen etwas klarzumachen.
Mike schüttelte den Kopf. ››Nein, ich hab es unter Googlebilder gefunden‹‹, meinte er stolz.
››Oh‹‹, sagte ich, ein lachen unterdrückend. So machte er seine Arbeit? Wie hatte er es geschafft auf diese Schule zu kommen? ››Sieh her‹‹, ich zeigte auf das Blatt. Erbeugte sich etwas zu gierig über den Tisch mir entgegen. ››Das F-Zeichen in den Balken in der ersten Hälfte der Grafik bedeutet, dass der Hund nach dem Glockenton etwas zu fressen bekommen hat. Da es in der zweiten Hälfte fehlt, bekommt der Hund nach dem Glockenton kein Fressen mehr und so geht natürlich auch mehr und mehr der Speichelfluss nach der Glocke zurück, wodurch die Balken kleiner und kleiner werden. Verstanden?‹‹
››Eh…‹‹ war seine schlaue Antwort.
››Super! Tut mir Leid, Mike, ich muss jetzt auch los. Man sieht sich!‹‹
Mir war es egal, ob er verstanden hatte, was ich ihm erklärt hatte. Er hätte es von alleine verstehen müssen, wenn er sich bereits näher mit dem Thema beschäftigt hätte. Oder er hatte einfach nur nach einem Grund gesucht, mit mir zu sprechen. Ew! Ob er überhaupt dasselbe Thema hatte, wie ich?
Meine Füße steuerten, nachdem ich die Bibliothek verlassen hatte, automatisch ›unsere‹ Wiese an. Was Edward wohl aufgehalten hatte? Ob er noch kommen würde und mich dann in der Bibliothek suchen? Ach, das war doch eigentlich egal, er hätte sich immerhin melden können, wenn ihm etwas dazwischen gekommen ist, immerhin hatte er meine Handynummer. Ich musste Lächeln, als ich mich daran erinnerte, wie es dazu gekommen war.

***
Angela hatte ihr versprechen wahr gemacht. Wenn ich mehr mit Edward unternehmen würde, dann würde sie mehr mit Ben unternehmen, jeden Abend machten wir uns gegenseitig Mut.
Es war dieser Abend, bevor ich Edwards Nummer bekam, als Angelas Handy klingelte, eine Kurznachricht ankündigte, kurz bevor wir ins Bett gingen. Kurz darauf kam ein Quietschen und anschließend ein Seufzen von Angelas Seite des Zimmers.
››Was?‹‹ fragte ich sofort neugierig nach.
››Ben hat mir geschrieben…‹‹ sagte sie verträumt.
››Und was?‹‹
››Er wollte mir nur eine gute Nacht und schöne Träume wünschen‹‹, seufzte sie.
Ich beneidete sie augenblicklich. Unser Plan ging von ihrer Seite eindeutig besser auf, als von meiner. Während Angela und Ben schon kurz vor dem ersten Date standen – er hatte sie zwar noch nicht gefragt, aber ich war mir sicher, dass es bald soweit sein würde – waren Edward und ich immer noch vollkommen auf der freundschaftlichen Basis und es gab keine Andeutung, dass es mehr werden könnte – meiner Meinung nach zumindest – und auch keine Andeutung für die Behauptung, dass er mich als sein Eigentum ansehen würde.
››Ich würde auch gerne solche Nachrichten bekommen‹‹, flüsterte ich.
››Vielleicht bist du diejenige, die den ersten Schritt machen sollte‹‹, meinte Angela. ››Du bist eine starke Frau und nur weil er es nicht in sich hat, heißt das noch lange nicht, dass du hinten anstehen solltest.‹‹
››Aber…‹‹ ich stockte.
››Was aber? Da gibt es kein aber!‹‹
››Doch‹‹, sagte ich leise. ››Ich habe seine Nummer nicht, ich kann ihm nicht schreiben.‹‹
››Ihr führt seit zwei Wochen eine fast unzertrennliche Freundschaft und ihr habt eure Nummer noch nicht getauscht?‹‹
››Nein?‹‹ fragte ich mehr, als das ich es sagte.
››Oh Bella! Dann ist das eben die Aufgabe, die ich dir gebe, die starke Frau zu zeigen. Morgen gehst du zu ihm und fragst ihn nach seiner Nummer.‹‹
››Ich weiß nicht…‹‹ sagte ich langsam.
››Willst du nun diese SMS, oder nicht?‹‹
››Ich will.‹‹
››Also braucht er deine Nummer und du seine. So und jetzt lass mich antworten…‹‹
Am nächsten Morgen war ich ganz verschüchtert und noch nervöser, als normal, zu ihm hingegangen und hatte ihm erklärt, dass wir als echte Freunde die Handynummer des anderen haben sollten. Mir schien auf seine Reaktion, als hätte er bis zu diesem Zeitpunkt nie darüber nachgedacht, dass wir die Nummer tauschen könnten – in einem völlig unschuldigen Sinne.
***

An der Wiese angekommen, breitete ich meine Weste unter mir aus, um mich vor Grasflecken zu schützen, setzte mich darauf und packte meine Bücher aus. Wenn er mich schon versetzte, dann konnte ich wenigstens die Zeit nutzen und mich auf meinen Part vorzubereiten.
Versetzte… wie das klang!
Ich kam noch gar nicht richtig zum anfangen, da bildete sich schon ein Schatten über mir und ich hörte die Stimme, auf die ich schon fast eine halbe Stunde wartete, ››Bella!‹‹
Ich schaute auf, schützte meine Augen mit meiner Hand vor der Sonne und blickte in Edwards Gesicht.
Er ließ sich schnell neben mir ins Gras sinken und sah mich entschuldigend – denke ich – an. ››Es tut mir so Leid, dass ich nicht rechtzeitig in der Bibliothek war!‹‹ entschuldigte er sich.
››Hmhm‹‹, machte ich. Ich wartete auf meine Erklärung.
››Da war dieses Mädchen und sie… sie hat mich gefragt, ob ich mit ihr zu diesem Ball gehen will. Ich war so überrascht, aber das erste Wort, das mir in den Sinn gekommen ist, war ›Nein‹ und das habe ich dann auch gesagt und bevor ich mich versehen konnte, kniete sie auf dem Boden und hat geweint. Völlig schockiert habe ich mich hinunter gebeugt und einen Arm um sie gelegt und da hat sie auch schon ihre Arme um mich geschmissen, es dauerte so lange, bis sie sich schließlich beruhigt hatte und dann erklärte sie mir, dass ihr Freund eben Schluss gemacht hätte und schon mit einer anderen zusammen wäre und sie hatte sich vorgenommen einfach den nächstbesten Jungen zu fragen, ob er mit ihr zum Ball gehen würde und da kam ich und… sie hat mich gefragt und das ›Nein‹ war dann einfach zu viel für sie…‹‹ erklärte Edward völlig durch den Wind. Wahrscheinlich hatte er noch nie ein Mädchen in dieser Verfassung gesehen, geschweige denn ein solches trösten müssen. Ich musste ein belustigtes Grinsen unterdrücken.
››In dem Falle sei dir vergeben‹‹, sagte ich freimütig. Ich glaubte keine Sekunde, dass er gelogen haben könnte, dazu war er eine viel zu ehrliche Person. ››Schön, dass du mich gefunden hast.‹‹
››Das war der erste Ort, an den ich denken konnte, nachdem du nicht in der Bibliothek warst.‹‹
››Es gefällt mir, dass du mich so gut kennst‹‹, grinste ich. ››Sag mal, weißt du, von was für einem Ball das Mädchen gesprochen hat? Sie hat sich das doch nicht nur ausgedacht, oder? Aber ich habe von noch keinem Ball gehört, oder gelesen.‹‹
››Nicht? Das wundert mich, meine Schwester, Alice, spricht schon seit Tagen von nichts anderem mehr, sie hat sogar von Jasper verlangt, dass er sie ganz offiziell fragt, ob sie ihn begleiten würde.‹‹
››Wann ist der Ball denn? Und was genau für einen Anlass?‹‹
››Es ist der Donnerstag, bevor wir alle in die Weihnachtsferien fahren. Mittwochs ist der letzte Schultag, Donnerstag der Ball und Freitag und Samstag reisen alle ab. Er ist jedes Jahr und ist ein typischen Winterball oder Schneeball. Die Damen kommen in weiß, hellblau oder hellrosa und alle Jungs müssen eine hellblaue Krawatte oder Fliege tragen. Schon grausam, aber immerhin darf man den Rest des Outfits selbst bestimmen – so lange es ein schwarzer Anzug und ein weißes, hellblaues oder hellrosa Hemd ist.‹‹ Er verdrehte die Augen.
Ich musste lachen, kam aber nicht umhin mir Edward mit einem hellrosa Hemd und hellblauer Fliege vorzustellen. Ew – ein Bild, das ich wahrscheinlich nie wieder loswurde.
››Wirst du gehen?‹‹ fragte ich.
››Eigentlich würde ich nein sagen, ich drücke mich immer lieber vor solchen Veranstaltungen, allerdings ist Anwesenheitspflicht eines jeden Schülers. Deswegen ja, ich werde wohl gehen.‹‹
››Anwesenheitspflicht? Wirklich? Ich hätte mich auch gerne gedrückt.‹‹ Den Grund musste ich hier nicht erwähnen.
››Es wundert mich allerdings, dass du noch nicht davon gehört hast, ich dachte, es würde jeder davon sprechen. Und hier und da hängen auch schon die ersten Plakate.‹‹
››Es schien wohl einfach nicht wichtig für mich zu sein. Ich tendiere dazu, solche Anlässe zu ignorieren und bin meist auch sehr erfolgreich darin.‹‹
››Das merke ich.‹‹
››Weißt du denn schon, mit wem du hingehen willst?‹‹ fragte ich voller Neugier – allerdings nicht sicher, ob ich es wissen wollte.
››Nein, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Außerdem stehen die Chancen, früher verschwinden zu können, vielleicht besser, wenn man ohne Begleitung kommt.‹‹
››Oh‹‹, machte ich und versuchte nicht ein allzu enttäuschtes Gesicht zu machen. Offensichtlich zog er es nicht einmal annähernd in Betracht, das wir zusammen gehen könnten.
››Und was ist mit dir? Jetzt wo du von dem Ball weißt, gibt es jemanden, von dem du gerne gefragt werden würdest?‹‹
››Hm‹‹, machte ich und blickte ihn an. ››Vielleicht sollte ich nach demselben Prinzip, wie du, vorgehen. Ohne Begleitung und dafür früher gehen.‹‹
››Oder…‹‹ Edward verdrehte nachdenklich die Augen, die nur kurze Zeit später zu leuchten begannen. Offensichtlich gefiel ihm seine Idee. ››Oder wir gehen einfach zusammen, dann müssen wir nicht gezwungenermaßen mit jemandem tanzen, der auch alleine gekommen ist und demjenigen vielleicht auch noch erklären, warum wir auf einmal gehen müssen. Wir würden beide nicht früh genug wieder verschwinden wollen. Was sagst du? Gehst du mit mir zum Ball?‹‹
Mein Herz setzte für kurze Zeit aus. Auch wenn ich wusste, dass ich nur zu seinem besseren Plan diente – den ich unterstützte – freute ich mich, dass er mich gefragt hatte, mit ihm zum Ball zu gehen. Allerdings versuchte ich cool zu bleiben, als ich ihm antwortete. ››Sicher, das klingt plausibel. Lass uns zusammen zum Ball gehen.‹‹ Das war einfacher, als gedacht.
››Ausgezeichnet. Jetzt kann mir Alice auch nicht mehr die ganze Zeit in den Ohren liegen, dass ich noch eine Partnerin brauche. Ich bin schon gespannt, dich in einem Kleid zu sehen!‹‹
War das ein Kompliment gewesen? ››Und ich auf dich im Frack.‹‹
››Anzug‹‹, forderte Edward sofort.
››Meinetwegen‹‹, gab ich bei.
Edward packte nun auch seine Biologiesachen aus und wir machten uns letztendlich an die Arbeit für unser Projekt.


Preparation / Annual Snow Ball I


Die Präsentation unseres Biologieprojektes lief ohne Probleme ab. Von Mr. Banner hörten wir nach der Stunde nur, ››Ich wusste, es wäre die beste Entscheidung, Sie beide zusammen zu tun!‹‹ während er uns die Bestnote eintrug. Meinem Durchschnitt half das natürlich und ich bedankte mich den restlichen Tag bei Edward.
Die nächsten zwei Wochen gab es nur zwei Gesprächsthemen unter der Schülerschaft. Das eine waren die Trimesterexamen, die noch vor den Ferien anstanden – unsere Schule hatte sich da schon an das Collegesystem angepasst und das Schuljahr in drei Teile, anstatt, wie üblich, in zwei geteilt. Das war mir das eindeutig liebere Thema, denn ich hatte immer noch Horrorvorstellungen vor dem Ball. Zwar freute ich mich sehr darüber, dass ich mit Edward dort hingehen durfte, allerdings graute es mich doch sehr vor der Hauptbeschäftigung eines Balles – das Tanzen. Ich hatte Angst, dass ich Edward die Zehen brechen würde, weil ich meine Füße zu sehr einsetzte, oder ihn wie einen Vollidioten auf der Tanzfläche aussehen zu lassen, weil ich mir, völlig versteift, keine einzige Bewegung zutraute.
Angela war auch eines der Mädchen, die sich sehr auf den Ball freuten. Ben hatte sie bei ihrem zweiten Date gefragt, ob sie mit ihm hingehen wollte – sie war damals von dem ersten ganz geknickt nach Hause gekommen, weil er sie eben nicht gefragt hatte. Jetzt schwebte sie auf Wolke sieben und schien sich ganz sicher, dass sie spätestens beim Ball beim ›Ersten-Kuss-Stadium‹ angekommen waren. Außerdem versuchte sie mir immer wieder Mut zu machen, dass zwischen Edward und mir nicht alles verloren war, denn wir gingen immer noch so miteinander um, wie schon vor vier Wochen. Oder sollte ich sagen, er ging noch genauso mit mir um? Ich hingegen traute mich immer nur zu sehr kleinen Schritten, zu klein wahrscheinlich, als das er sie wahrnehmen würde.
Durch die Examen sah ich Edward allerdings auch eher selten in den Tagen vor dem Ball. Wir trafen uns manchmal nach dem Unterricht um gemeinsam für das Biologieexamen zu lernen, einmal half er mir bei Musik aus und auch für Latein trafen wir uns, um uns gegenseitig abzufragen und uns unsere ausgedachten Eselsbrücken zu verraten.

Eineinhalb Wochen vor dem Ball setzten Angela und ich uns am Sonntagnachmittag vor ihren Computer, ließen unsere Lernsachen für einige Zeit zurück und durchsuchten verschiedene Internetseiten nach dem perfekten Kleid für den Ball. Es störte mich etwas, dass ich so viel Geld ausgeben sollte, wenn ich doch sowieso plante den Ball so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Aber Angela war unermüdlich, sie wollte unbedingt das perfekte Kleid für sich finden, eigentlich sogar mehrere, denn man wusste ja nie, ob das gerade in der richtigen Größe auf Lager war, welches man sich ausgesucht hatte, oder ob es wirklich so perfekt passte, wie es auf dem Bild mit dem Model aussah. Alles in allem bestellten wir jeder für uns etwa zehn verschiedene Kleider in den Farben rosa, weiß oder blau.
Für die Schuhe gingen wir noch einmal genau dasselbe Prozedere durch, dieses Mal stimmte ich Angela allerdings zu. Ich hatte schon immer Probleme gehabt, passende Schuhe für mich zu finden und wenn es dann noch um welche mit Absatz ging…

Eine Woche später hatten wir die Examen hinter uns und Angela und ich standen am Freitagnachmittag in unserem Zimmer und durchsuchten unsere bestellten Kleider nach dem perfekten. Am Ende war ich Angela dankbar, dass wir so viele bestellt hatten, denn irgendwo hatte ich immer etwas auszusetzen, was mir am Schnitt nicht passte, hier zu eng und da zu weit war. Manche Dinge könnte ich selbst ausbessern, andere hingegen überstiegen meine Fähigkeiten und wieder andererseits wollte ich nicht an einem Kleid dieser Preisklasse herumschneidern, für den Fall der Fälle, dass ich auch nur einen Fehlgriff machte.
Das erste Kleid, dass ich eine Woche zuvor ausgewählt hatte, machte schließlich das Rennen, zusammen mit einem Paar Schuhe, die ich genau mit Hintergedanken auf dieses Kleid bestellt hatte.
››Ich würde sagen, der Ball kann kommen‹‹, meinte Angela, als sie schließlich auch noch das passende Paar Schuhe gefunden hatte.
So wenig es mir auch gefiel, ich musste ihr zustimmen. Und wenn ich mich – ungeschminkt und unfrisiert, wie ich war – so im Spiegel betrachtete, kam doch ein klein wenig Vorfreude in mir auf. Ich musste mir selbst eingestehen, dass dieses Kleid mich recht ansehnlich machte. Wie ich Edward wohl darin gefallen würde?
››Ich hoffe, Ben wird es gefallen‹‹, sprach Angela meine Gedanken aus ihrer Sicht aus.
Ich betrachtete sie in ihrem Spiegelbild. Sie hatte ihre Haare provisorisch hochgesteckt, einige Strähnen fielen so heraus, dass es schon fast wieder kunstvoll wirkte. Ihr zartes Gesicht zeigte kaum Make Up, aber das störte ihrer Erscheinung nicht. Angela hatte sich für ein hellblaues Kleid entschieden, dessen Saum durch ihre Größe und die zugehörigen Schuhe leicht über dem Boden schwebte. Es hatte einen angenehmen Ausschnitt und zeigte durch ein breites Band um die Taille ihre hübsche Figur. Die langen Ärmel waren aus zierlichen Rüschen. Nach unten hin schweifte das Kleid in vielen Stoffschichten nach außen.
››Wenn ihm das nicht gefällt, ist er blind. Angela, du siehst umwerfend aus!‹‹ komplimentierte ich meine Freundin.
››Danke‹‹, sagte sie mit gesenktem Blick. ››Dir steht dein Kleid aber auch wunderbar, du solltest sie viel öfter tragen – nur vielleicht nicht ganz in diesem Stil.‹‹
Ich betrachtete mich noch einmal genauer. Ich musste zugeben, dass ich etwas über mich selbst überrascht war, dass ich mir tatsächlich ein Kleid dieser Art für mich ausgesucht hatte. Es hatte einen sehr hellen Roséton, weiß hatte ich für die Farbe meiner Haut für zu hell und unpassend empfunden. Die dünnen Träger, der Oberkörper bis zur Mitte der Oberschenkel war über und über mit schimmernden Pailletten bestickt, die ich mir sehr gut auf einem Schneeball vorstellen konnte. Das Kleid selbst war eng geschnitten und floss erst nach Kniehöhe auseinander. Es war lang genug um meine Füße in den hohen Schuhen zu verdecken. Wenigstens könnte ich so einige Fehltritte vertuschen. Meine Schuhe waren weiß und hatten in der Mitte, von oben nach unten, einen breiteren Striemen, auf die Seiten heraus drei dünnere Striemen, die ebenfalls mit Pailletten besetzt waren. Der Absatz betrug ungefähr sieben Zentimeter und ich fühlte mich schon jetzt unsicher, da ich gerade einmal zehn Minuten in ihnen stand. Ich sollte sie definitiv die nächsten Tage einlaufen.
››Und Edward wird definitiv gefallen, was er sieht!‹‹ fügte Angela hinzu, als ich mich einige Zeit schweigend aus jedem möglichen Blickwinkel betrachtet hatte.
Ich konnte nicht verhindern, dass mir eine leichte Röte in die Wangen schoss, als sich ein Hoffnungsschimmer in mir ausbreitete, dass Angela Recht haben könnte. Diese verleitete meine Reaktion zu einem breiten Grinsen.
››Und wahrscheinlich auch noch einen großen Haufen anderer Jungen‹‹, bemerkte Angela mit einem noch breiteren Grinsen.
Meine Stimmung schwang sofort von Hoffnung auf genervt um. ››Ich bete, dass das nicht allzu schlimm wird. Aber ich habe Edward schon gesagt, dass er mich keine Sekunde alleine zu lassen hat.‹‹
Ich hatte Angela nichts davon erzählt, dass Edward und ich planten den Ball sehr schnell wieder zu verlassen, da sie das sicher nicht verstanden hätte. Aber es stimmte auch, dass ich Edward gesagt hatte, dass er mich dort nicht alleine lassen sollte. Alleine beim Gedanken daran stand ich Ängste durch.
Innerhalb der letzten beiden Wochen war ich von mehr als einem Jungen zum Ball gefragt worden und ich war beim jedem einzelnen froh, dass ich sagen konnte, dass ich bereits eine Begleitung hatte. Trotzdem ließen sie es sich nie nehmen, mich trotzdem schon im Vorneherein um einen Tanz zu bitten. Besonders Mike Newton war unerbittlich, wenn es darum ging, obwohl er Jessica letztendlich zu seiner festen Ballpartnerin gewählt hatte. Das hatte ihn nicht daran gehindert mindestens einmal am Trag zu mir zu kommen und sich zu versichern, dass unter Tanz noch stand. Er hatte mir soviel Angst damit gemacht, dass ich es Edward erzählt hatte und er mir sein Versprechen gegeben hatte. Er würde mich weder alleine lassen, noch zwingen eine Sekunde länger auf dem Ball zu bleiben, als nötig.
››Das wird grausam werden‹‹, stöhnte ich, als ich alles noch einmal Revue passieren ließ.
››Ach was, mit Edward an deiner Seite hast du nichts zu befürchten‹‹, beschwichtigte Angela meine Angst.
Edward würde mich doch nicht ausliefern, oder?

Die nächste Woche schien nur so an mir vorbeizufliegen und ehe ich es mir versah, saß ich auch schon mit Angela am Donnerstag Nachmittag in unserem Zimmer, mein Herz klopfte bis zum Hals und ich machte mich über die kleine Hautunreinheit in meinem Gesicht mehr als verrückt.
Die letzten Tage in der Schule hatte keiner der sonst so ambitionierten Schüler mehr zugehört und auch die Lehrer hatten es zu meiner Überraschung eher ruhig angehen lassen. Gestern war der letzte Schultag gewesen, an dem uns die Lehrer noch einmal daran erinnert hatten, dass es unser aller Pflicht war zu dem Ball zu kommen und uns anschließend in die Freiheit entlassen hatten.
Angela und ich hatte heute Morgen lange geschlafen und das Frühstück sausen lassen. Wir wollten heute Abend fit sein – auch ich, auch wenn ich nicht plante lange auf dem Ball zu bleiben, so hieß das ja nicht, dass Edward und ich sofort ins Bett gehen würden, wenn wir dort verschwunden waren. Was genau wir machen würden, hatten wir nicht geplant, aber ich war mir sicher, dass wir uns noch nicht verabschieden würden.
››Noch fünf Stunden‹‹, quietschte Angela neben mir, ››dann geht es los! Hast du was dagegen, wenn ich zuerst dusche?‹‹
››Nein, mach nur‹‹, sagte ich mit gönnerischen Lächeln. Sie freute sich schon so sehr auf den Abend und ich freute mich für sie, dass sie solch einen perfekten Partner für sich bekommen hatte.
Angela und ich hatten einen richtigen Mädchennachmittag für uns geplant. Jede hatte ungefähr eine halbe Stunde im Badezimmer, anschließend würde ich ihr heiße Lockenwickler in die Haare drehen, während ich mir meine Haare zunächst nur zurückstecken würde. Wir hatten vor uns gegenseitig das Make Up aufzutragen, dazu hatten wir extra noch passend zu unseren Kleidern Farben bestellt. Angela würde mir meine Haare machen und zuletzt wären auch ihre Haare durch die Wickler schön gelockt und ich könnte sie ihr richten.
Wir hatten ruhige Balladenmusik aufgelegt, während wir unserem Gesicht noch eine letzte Erfrischungsmaske vor dem vielen Make Up gönnten. Wir lagen auf dem Teppich in der Mitte unseres Zimmers, jede in unseren Gedanken zum heutigen Abend. Zwischendurch unterbrach ein leises Kichern oder Seufzen die Stille.
Es machte Spaß diese Zeit mit Angela zu verbringen und wir kamen beide zu dem eindeutigen Schluss, dass wir das im neuen Jahr noch viel öfter wiederholen müssten.
Kurz vor halb sieben an diesem Abend standen wir fertig vor dem Spiegel und bestaunten uns gegenseitig.
Ich hatte von Angelas Haaren nur die obere Hälfte hochgesteckt und mit vielen kleinen Klammern um ihre Tiara befestigt. Diese war gut fünf Zentimeter hoch und hatte die Form eines halben Eiskristalls. Ihre restlichen, langen Haare fielen ihr in großen Wellen über ihre Schultern. Vier klein Strähnen mit kleineren Löcken fielen über ihre Gesicht. Angelas Make Up hatte ich sehr schlicht gehalten, allerdings wollte ich aus ihr eine richtige Eisprinzessin zaubern. Ich hatte sehr helle Foundation benutzt, hellblauen Lidschatten und Farblosen Lipgloss. Über die Wangenknochen hatte ich noch etwas Glitterpuder aufgetragen.
Mir selbst hatte Angela die Haare offen gelassen, allerdings geglättet und nur die Spitzen etwas mit einer Rundbürste abgerundet. Ich hatte meine Haare noch nie so weich fallen sehen. Ich hatte ebenfalls eine Tiara in Einskristallform in meinen Haaren und zudem unglaublich viele roséfarbene Perlen – ich wusste nicht, wie Angela mir die in die Haare bekommen hatte. Mein Make Up war ebenfalls dezent gehalten, kaum etwas von der hellen Foundation, glitzernd weißen Lidschatten, der um das gesamte Auge herumführte und nach innen hin immer dicker wurde, sogar weißen Mascara trug ich. Angela hatte sich für mich für einen ebenfalls roséfarbenen Lipgloss entschieden und auch hatte Glitterpuder auf den Wangen.
››Wer hätte gedacht, dass wir jemals so aussehen könnten?‹‹ fragte ich.
››Ich nicht‹‹, gab Angela zu. ››Übrigens habe ich noch etwas für uns beide.‹‹
››Ja? Was denn?‹‹ Ich dachte, ich hätte alles gesehen, was wir für unseren Abend zusammengetragen hatten.
Angela ging zu ihrem Bett und holte – umständlich in dem Kleid – eine Tüte unter ihrem Bett hervor. ››Ich habe es mir diese Woche von meinen Eltern schicken lassen, allerdings war ich nicht sicher, ob es noch rechtzeitig ankommen würde, deswegen habe ich nichts gesagt.‹‹ Sie holte einen Karton aus der Tüte heraus und öffnete ihn. ››Ich habe sie schon vor längerer Zeit im Schaufenster des Antiquitätenladens in meinem Ort gesehen. Und nun habe ich meine Eltern gebeten sie für mich zu kaufen und zu schicken. Glücklicherweise waren sie noch da.‹‹ Mit diesen Worten holte Angela einige Schmuckstücke aus der Box. ››Ich möchte, dass du dieses Collier hier trägst‹‹, meinte sie und reichte es mir.
Es war… ››wunderschön!‹‹ Zweireihig geschnitten, mit dünnen, silbernen Stäbchen verbunden, von glänzenden weißen Perlen gehalten. Sie passten wunderbar zu meiner sowieso schon schimmernden Erscheinung an diesem Abend. ››Danke Angela! Das ist eine wunderbare Idee! Ich gebe sie dir nach dem Abend auf jeden Fall zurück, aber… wow, sie sieht klasse zu dem Kleid aus!‹‹
››Nein, nein, musst du nicht‹‹, meinte meine Freundin schüchtern. ››Sieh es als Weihnachtsgeschenk an, ich habe sonst nichts für dich.‹‹
››Aber… nein! Das muss ein Vermögen gekostet haben!‹‹ wehrte ich mich.
››Nein, hat es nicht. Ist schon okay. Bitte! Nimm es an!‹‹
››Okay…‹‹ meinte ich unangenehm berührt. ››Zeig her, was du noch hast!‹‹
Angela förderte eine Kette mit einem, nach unten hin, dicker werdenden silbernen Band zu Tage, das unten einen größeren, hellblauen Stein hielt.
››Das ist auch wunderschön!‹‹ staunte ich. ››Lass es mich dir anlegen.‹‹
Angela nickte und ich nahm ihr die Kette aus der Hand, während sie sich umdrehte und ihre Haare aus dem Weg hob. Sie drehte sich lächeln wieder um.
››Perfekt!‹‹ sagte ich staunend. ››Danke Angela, das war eine wunderbare Idee!‹‹
››Und… meine Eltern haben noch etwas eingepackt, aber wenn es dir zu kitschig ist…‹‹
››Was ist es denn?‹‹
››Glitzerhaarspray.‹‹ Angela schien das etwas unangenehm zu sein.
Unwillkürlich musste ich lachen. ››Klasse! Her damit!‹‹ sagte ich begeistert.
››Sicher?‹‹
››Klar. Wir glitzern überall, also lass auch unsere Haare glitzern‹‹, meinte ich begeistert.
Angela lachte und förderte die Flasche zutage.
Wir sprühten sogar etwas über unsere Arme, ich auf meine nackte Haut, sie auf die Ärmel ihres Kleides.
››Okay, genug‹‹, sagte ich schließlich, hustend. ››Die Jungs müssten gleich kommen, es ist fast halb!‹‹
Ich hatte mitbekommen, dass Edward und Ben ausgemacht hatten, dass sie sich treffen und uns zusammen abholen würden.


Annual Snow Ball II


Es dauerte nun nicht mehr lange, bis es an unserer Tür klopfte. Angela sprang sofort auf und stürmte zur Tür, wo sie noch einmal kurz tief durchatmete und dann langsam öffnete. Als hätten sie sich abgesprochen, stand Ben vorne, ließ seinen Blick über Angela gleiten und legte schließlich einen Arm um sie, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben.
››Du siehst umwerfend aus, meine Eisprinzessin‹‹, sagte er so leise, dass ich es kaum verstand.
Ich musste mir ein Quietschen zu Angelas Gunsten verkneifen. Dann fiel mein Blick auf Edward, der sich vorsichtig an Angela und Ben vorbeizudrängen versuchte. Er trug einen schwarzen… Frack! Ich glaubte es nicht! Dazu einen weißes Hemd mit leichten Rüschen – nicht zu übertrieben – und eine roséfarbene Fliege, die zwar nicht ganz zu seinen Haaren passte, aber dafür zu meinem Kleid.
Er musterte mich. ››Jetzt bin ich froh, das Alice mich zu dieser Fliege überredet hat‹‹, sagte er, bevor er direkt vor mich trat, meine Hand nahm und mich dazu bewegte, mich einmal um meine Achse zu drehen – einfacher gesagt, als getan in diesen Schuhen! Er fing mich auf und sah mir direkt in die Augen. ››Du siehst toll aus!‹‹ seine Augen funkelten.
Ich spürte das Blut in meinen Wangen, als ich mich mit einem Lächeln für das Kompliment bedankte.
Edward stellte mich wieder aufrecht. ››Lasst uns gehen.‹‹
Ben und Angela übernahmen die Führung, Edward und ich folgten.

Die Feier fand in der Mitte der zwei V-Linien unseres Schulgebäudes statt und, wie ich sah, war auf dem großen Sportplatz dahinter ein Tanzparkett aufgebaut worden. Das würde ich hoffentlich nicht betreten müssen. Am anderen Ende, direkt am Schulgebäude, war eine kleine Bühne aufgebaut, auf der sich alle Lehrer versammelt hatten. Überall waren große schwarze Boxen, aus denen derzeit noch leise und langsame Musik kam. Die Schüler versammelten sich an und um die aufgestellten Tische und Stühle.
››Würdest du dich gerne zu deinen Freunden, oder zu meiner Familie setzen?‹‹ wollte Edward wissen.
Ich schaute mich kurz um, meine Clique hatte sich schon um einen Tisch versammelt und ich bemerkte, dass Mike mit mir Kontakt aufnehmen wollte und zu ihrem Tisch winken.
››Deine Familie?‹‹ fragte ich mehr, als dass ich es sagte, obwohl ich mir sicher war, dass ihm das auch lieber war.
››Das musst du nicht wegen mir sagen, wir können auch gerne…‹‹
››Nein!‹‹ unterbrach ich ihn. ››Das wäre mir wirklich lieber, weißt du noch, was ich dir über Mike erzählt habe…?‹‹ Ich nickte in die Richtung.
Edward folgte meinem Blick, seine Miene verfinsterte sich offensichtlich über etwas, dass er sah und schließlich nickte er. ››Ja, ich erinnere mich. Wahrscheinlich hast du Recht, es ist besser, bei den anderen zu sitzen. Sie sind allerdings noch nicht da, wahrscheinlich sind meine Schwestern wieder nicht fertig geworden. Nehmen wir einfach einen leeren Tisch.‹‹
Es überraschte mich nicht, dass Edward eher einen Tisch am Rand wählte. Ich wusste, dass er und die anderen vier immer lieber etwas abseits des Geschehens waren.
››Werden sie denn wissen, dass sie sich zu uns setzen können?‹‹ fragte ich unsicher.
››Ich denke. Und wenn nicht, dann holen wir sie oder gehen zu ihnen.‹‹
Ich nickte.
Die Feier sollte um sieben Uhr beginnen, aber bis der Direktor sich vor dem Rednerpult einfand, war noch nichts von Alice, Jasper, Rosalie und Emmett zu sehen. Stattdessen hatten wir an unserem Tisch kurz Besuch von Mike gehabt, der uns einladen wollte, dass wir uns zu ihm und den anderen setzten. Ich stellte mit Genugtuung fest, dass sich Edwards Laune abrupt zum Schlechten veränderte, bis ich Mike sagte, dass ich den Abend lieber mit Edward und seiner Familie verbringen würde.
Edwards Geschwister verpassten die gesamte, mitreißende Rede des Direktors, in der es eigentlich nur darum ging, dass der Ball jetzt beginnen würde, man sich doch bitte einen Tisch wähle und in einer halben Stunde auf der Tanzfläche einzufinden hätte – bis dahin wären bestimmt auch alle Partnerlosen zu zweit.
››Was haben wir verpasst?‹‹ vernahm ich plötzlich Alices Stimme auf meiner anderen Seite. Ich hatte sie nicht kommen hören. Die anderen waren gerade auf dem Weg zu unserem Tisch.
Alice trug ein kurzes, eisblaues Kleid, das oben sehr eng geschnitten war und nach der Hüfte in einen weiten, knielangen Rock bauschte. Ihre Haare hatte sie wie immer zu allen Seiten abstehend und mit einem glänzenden Lack besprüht. Um ihren Nacken trug sie ein dickes, blaues Band.
Jasper trug einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine, zu Alices Kleid passende blaue Fliege.
››Nichts‹‹, antwortete Edward. ››Was haben WIR verpasst?‹‹
Rosalie ließ sich seufzend auf dem Stuhl mir gegenüber fallen. ››Emmett‹‹, sagte sie genervt. ››Er hat sich doch tatsächlich versucht die Haare zu glätten!‹‹ erklärte sie außer sich.
Sie trug ein weißes, bodenlanges Prinzessinnenkleid, es hatte breite Träger, war tief geschnitten und passte sich perfekt an ihren schönen Oberkörper an. Nach unten hin schweifte das Kleid aus, allerdings nicht übertrieben weit. In ihre langen, blonden, groß gelockten Haare hatte sie eine goldene Kette eingearbeitet, die über ihrer Stirn einen großen, schwarzen Stein hielt. Ihre Augen waren rauchig schwarz geschminkt, ihre Lippen ganz weiß. Auf mich wirkte sie wie die Schneekönigin selbst.
Emmett trug ebenfalls einen schwarzen Anzug, ein leicht bläuliches Hemd und eine Krawatte, die aus demselben Stoff, wie Rosalies Kleid, gemacht schien.
››Offensichtlich nicht erfolgreich‹‹, bemerkte ich mit einem Blick auf Emmett Schopf.
››Doch‹‹, kicherte Alice. ››Und als Rosalie ihn so gesehen hat, hat sie ihn direkt ins Bad ihres Zimmers geschleift, seinen Kopf unter Wasser gehalten und gewaschen, bis alles Haarspray draußen war und seine Haare wieder lockig waren.‹‹
››Ja, aber sie hat dabei nicht daran gedacht, mir vorher das Hemd auszuziehen. Mein ganzer Rücken ist nass unter dem Jackett‹‹, regte sich Emmett auf.
Ich musste lachen. ››Tut mir Leid, Emmett, aber Rosalie hat schon recht. Alleine die Vorstellung, dass deine Haare glatt sind…‹‹ Ich schüttelte mich für den besten Effekt.
››Danke, Bella‹‹, meinte die grinsend.
››Und ich wollte mich einmal auch besonders stylen‹‹, grummelte Emmett.
››Überlass das lieber den Frauen, Brüderchen‹‹, meldete sich nun auch Jasper zu Wort.
››Aber Edward hat auch immer seine Sturmfrisur‹‹, meinte Emmett empört.
››Tut mir leid, aber die ist Natur‹‹, rechtfertigte Edward.
››Ich find sie klasse!‹‹ grinste ich und hob schon meine Hand um einmal durchzuwuscheln.
Edward fing sie, wie immer, sofort ab. ››Wag es nicht!‹‹
Ich verdrehte theatralisch die Augen in Alices Richtung. ››Wie ein Mädchen‹‹, sagte wir gemeinsam und lachten.
Ich liebte es mit den Cullens zusammen an einem Tisch zu sitzen. Es wurde nie langweilig und wir verstanden uns mit jedem Mal besser. Besonders in Alice hatte ich eine sehr gute Freundin gefunden, oftmals dachten und sagten wir genau dasselbe. Ich fühlte mich bei ihnen wie eine komplett andere Person und ich wusste auch, dass ich mich anders benahm, wenn ich bei ihnen war. Aber ich liebte diese Veränderung an mir. Das war genau das, was ich mir erhofft hatte, als ich hier hergekommen bin. Ein Stückchen Freiheit vor mir selbst.
Die letzten viertel Stunde, bis wir uns alle auf der Tanzfläche einfinden mussten, verging unglaublich schnell – und ich fand keine passende Ausrede um dieses Erlebnis zu umgehen. Alle Schüler mussten! Und Alice war absolut begeistert davon, als wir ihr davon erzählten und die erste, die aufstand, als der Direktor uns aufrief. Ich blieb sitzen, was sie natürlich bemerkte.
››Was ist los?‹‹ wollte sie wissen. Ich fragte mich, wie gequält mein Gesichtsausdruck war.
››Ich bin nicht der… Tänzer!‹‹ gestand ich leise.
Sie lachte. ››Mach dir keine Sorgen, du hast Edward als Partner. Glaub mir! Du wirst es mehr als nur genießen.‹‹
››Und wenn ich ihm auf die Füße trete?‹‹ gab ich zu bedenken.
››Vertrau ihm. Außerdem ist er der beste in der Familie und mein Jasper ist schon ein Gott auf der Tanzfläche. Und bedenke, dass er Musiker ist, es liegt ihm komplett im Blut!‹‹
››Aber…‹‹
Weiter kam ich nicht, denn in dem Moment legte Edward seine Hand auf meine Schulter. ››Bella?‹‹
Ich stand auf. ››Okay, lass uns das schnell hinter uns bringen und dann verschwinden‹‹, lächelte ich ihn so zuversichtlich wie möglich an.
Ich hakte mich bei Edward ein und ließ mich zur Tanzfläche führen.
Trotz meiner kleinen Diskussion mit Alice waren wir immer noch bei den ersten, die auf der Fläche waren. Ich schien nicht die einzige zu sein, die etwas gegen das Tanzen hatte. Nur wahrscheinlich hatten die anderen andere Gründe. Niemand anderes konnte so tollpatschig, wie ich, sein.
››Edward‹‹, sagte ich leise, als wir uns aufstellten.
››Hm?‹‹
››Ich wollte nur… Ich meine… Du weißt ja… Ich bin zu tollpatschig zum tanzen‹‹, brachte ich stolpernd heraus.
Er gluckste. ››Vertraust du mir?‹‹ fragte er zu meiner Überraschung.
Ich blicke ihn an, direkt in seine Augen und nickte ohne nachzudenken.
››Dann werden wir keine Probleme haben‹‹, versprach er mir.
Auch wenn ich es nicht verstand, glaubte ich ihm.
Es dauerte noch eine Weile, bis die Lehrer alle wehrlosen Schüler auf das Parkett gescheucht hatten und die restlichen Single Schüler irgendwie miteinander vermixt hatten. Ich fragte mich, warum man nur darauf bestand, dass alle Schüler den ersten Tanz einweihten?
Schließlich aber setzte die Musik an. Unsicher schaute ich zu Edward, der mich zuversichtlich anlächelte, eine Hand auf meine Taille legte und die andere in meine legte. Er drückte meinen Körper an sich – nicht zu fest, aber durchaus angenehm – und drängte mich vorsichtig zu einem Schritt rückwärts. Soweit klappte alles. Ich ließ mich unter Edwards permanenten Augenkontakt weiterführen und ehe ich es mich versah, schwebte ich auch schon mit ihm über die Tanzfläche. Es war… unbeschreiblich!
››Und?‹‹ fragte Edward lächelnd.
››Unglaublich‹‹, hauchte ich zur Antwort.
››Genau wie du‹‹, murmelte er mir zu.
Ich lächelte ihn breit an.
››Du hast es überstanden‹‹, sagte er schließlich.
Die Musik klang aus und wir blieben stehen. Ich lächelte ihn noch einmal an, bevor Applaus mich von ihm riss. Verwirrt schaute ich mich um.
Alice und Jasper, Emmett und Rosalie, Edward und ich waren die einzigen in der Mitte der Tanzfläche, während die anderen Schüler eher am Rand getrennt aneinander standen, keinesfalls in Tanzformation. Es war, als hätte sie uns sechs beim Tanzen zugesehen. Und jetzt zeigten sie uns begeistert, dass ihnen gefallen hat, was sie gesehen haben.
Immer noch verwirrt schaute ich nun zu Edward. Der grinse mich breit an.
››Meine Eltern haben schon immer gesagt, dass sich die Tanzstunden mal für uns auszahlen würden.‹‹ Neue Musik setzte ein und Edward umfasste wieder meine Taille. ››Darf ich bitten?‹‹
Ich nickte nur und spürte, wie ich wieder über die Tanzfläche gezogen wurde, als wäre ich Profitänzer. Ich liebte das Gefühl mich ganz auf Edward zu verlassen, ihm zu vertrauen, dass er mich führte, dass er mich nicht fallen ließ, dass wir zusammen perfekt aussahen.
Auch Edward schien es sehr zu genießen und mit einem Mal war der Ball gar nicht mehr so schlimm.

Wir schlossen uns schließlich den anderen Schülern an und bedienten uns an einem der beiden Buffets. Emmett und Rosalie waren schon wieder an unserem Tisch zurück, während Alice und Jasper immer noch über das Parkett flogen. Sie sahen einfach wunderbar zusammen aus, man konnte förmlich sehen, wie sehr die beiden sich liebten und wie sehr sie zusammen gehörten.
Ich musste ein Seufzen unterdrücken, als ich mich wieder meinem Teller zuwandte.
Das Essen verlief ziemlich ruhig. Irgendwann gesellten sich auch die anderen beiden zu uns und unsere Runde war wieder komplett – bis ich ein seltsames Räuspern hörte.
››Ah… Bella?‹‹
Ich schaute auf, direkt in Mikes Gesicht. Jetzt ging es los!
››Tut mir Leid, wenn ich hier unterbreche…‹‹ Na, wenigstens bemerkte er das. ››Aber hättest du Lust auf einen Tanz? Du weißt ja, du hast mir einen versprochen!‹‹
››Mike‹‹, sagte ich sanft, wie zu einem Kleinkind. ››Ich bin gerade am Essen, ich kann jetzt gerade nicht tanzen gehen, das verstehst du doch, oder?‹‹
››Oh… Ja… Natürlich.‹‹ Und damit ging er.
››Warum hast du ihm nicht einfach gesagt, dass du nicht mit ihm tanzen willst?‹‹ fragte mich Alice überrascht.
››Weil ich dazu viel zu nett bin‹‹, rechtfertigte ich.
››Oh, ich kann das für dich übernehmen‹‹, sagte Rosalie und war schon halb aufgestanden.
››Nein‹‹, sagte ich schnell. ››Der bekommt mich bestimmt nicht noch einmal zu Gesicht, dazu werde ich viel zu schnell weg sein.‹‹
Edward schlug mir in die Seite.
››Wie meinst du das?‹‹ fragte Alice. ››Schnell weg sein?‹‹
Edwards Ellbogen war ein weiteres Mal in meiner Seite.
Oh! ››Ahm… ich meinte… Er wird mich einfach nicht noch einmal alleine erwischen, wenn überhaupt, wenn ich nicht viel zu schnell wieder aus seinem Blickwinkel verschwinde. Und Edward wird mich ihm bestimmt auch nicht ausliefern, oder?‹‹
››Ganz bestimmt nicht‹‹, versicherte er.
Ich biss mir auf die Lippen um mir ein Grinsen zu verkneifen. Er hatte seiner Familie also auch nichts von unserem Plan gesagt, dass wir hier ganz schnell wieder weg wollten. Aber das war okay, wir hatten die Situation, in der ich mich beinahe verraten hätte, gerade so wieder gerade gebogen.
Nach dem Essen zog ich mich zum frisch machen auf die Toilette zurück, wo ich mich außerdem mit Angela treffen wollte, die auf meinen Zwischenbericht wartete, genauso wie ich auf ihren.
››Das war einfach Wow!‹‹ platzte es aus ihr heraus, sobald wir uns vor dem Spiegel getroffen hatten. ››Edward und du auf der Tanzfläche. Spätestens jetzt sind auch die letzten überzeugt, dass ihr zusammen seid und auch eindeutig füreinander geschaffen seid. Das war einfach unglaublich, wie ihr getanzt habt! Ganz in eurer eigenen Welt!‹‹
››Ja, das war schon etwas ganz besonderes‹‹, schwärmte ich. ››Aber das heißt jetzt trotzdem nicht, dass wir zusammen sind. Es war einmalig, aber mehr auch nicht.‹‹
››Ihr müsst das einfach hinbekommen! Bella, du musst mir versprechen, dass du heute Abend noch alle vorhandenen Register ziehst, damit hier alle Anwesenden endlich Klarheit bekommen.‹‹
››Aber ich will unsere Freundschaft nicht riskieren!‹‹
››Das wirst du nicht, das verspreche ich dir!‹‹
››Okay, ich werde es versuchen. Wenn es sich ergibt!‹‹ fügte ich hinzu. ››Und jetzt erzähl du mir von deinem Abend Ist es das, was du dir erhofft hast?‹‹
››Es ist besser!‹‹ schwärmte nun Angela. ››Er ist so unglaublich aufmerksam, er hat mir sogar den Stuhl zu Recht geschoben. Ich fühle mich tatsächlich wie eine Prinzessin heute Abend. Ich bin mir so sicher, dass er der Richtige ist, heute Abend ist einfach perfekt. Alles ist perfekt, wenn er da ist!‹‹
Neidisch schaute ich sie an, denn ich wusste, dass sich bei Ben genau dasselbe abspielte, wie bei ihr. Die beiden waren einfach füreinander gemacht!
››Oh Angela, das freut mich sich für dich. Setz auf alles und du wirst den Hauptgewinn bekommen!‹‹ riet ich ihr.
››Nicht nur ich‹‹, raunte sie verschwörerisch.
››Lass uns zurück gehen‹‹, kicherte ich.
Auf dem Rückweg schaffte ich es gerade so Mike zu entkommen, in dem ich Edward direkt schnappte und auf die Tanzfläche zog. Dass ich auf einmal so begeistert vom Tanzen war, konnte ich mir selbst nicht erklären. Es lief nun moderne Popmusik und kein altertümlicher Walzer mehr, dementsprechend waren die Tänzer auch freier und ausgelassener. Ich konnte es mir aber nicht nehmen lassen, trotzdem meine Arme um Edward zulegen und mich wieder von ihm führen zu lassen. So fühlte ich mich doch viel sicherer und vor allem konnte ich mich nicht durch Alleingänge zum Affen machen. Edward schien es auch nicht zu stören, er legte seine Arme ebenfalls um mich und wiegte mich sanft im Takt. Nicht einmal bei den etwas schnelleren Liedern lösten wir uns.
Ich löste meinen Kopf von Edwards Brust und sah ihm ins Gesicht. Ich wollte ihm irgendetwas sagen, vielleicht auch etwas fragen, aber die Worte gingen irgendwo zwischen meinem Kopf und meinen Lungen verloren. Alles, was wichtig war, waren Edwards Augen, die mich in diesem Moment unvergleichbar anfunkelten. Edwards Nase, die so nah an meiner war, dass sie sich fast berührten. Edwards Mund, der sich zu einem unwiderstehlichen Lächeln verzog. Ich fragte mich, was das war und im selben Moment wusste auch schon, dass ich es nicht wusste und niemals wissen würde.
Wie war das mit dem Hauptgewinn gewesen?
Meine Hände glitten von seinen Schulterblättern in seinen Nacken und übten einen unbedachten Druck auf ihn aus, dass er sich weiter zu mir nach unten beugte. Er kam der stummen Aufforderung nach und ich schloss meine Augen, darauf wartend, dass seine Lippen meine berühren würden. Mein Verstand wusste nicht, was er machen sollte, doch ich schaltete ihn kurzerhand aus und überließ das sprechen meinem Herzen. Die Signale waren eindeutig, als wir uns berührten.
Seine Lippen waren ganz weich und sanft, sie waren kaum auf meinen, da lösten sie sich auch schon wieder um sich gleich darauf wieder auf sie herunter zu senken. Ein weiteres Mal ließ ich das nicht zu, indem ich den Druck meiner Hände in seinem Nacken leicht verstärkte. Seine Lippen verweilten auf meinen und begannen sich sanft zu bewegen, die meinen zu massieren. Meine Lippen teilten sich in einem zufriedenen Seufzen. Edward und ich küssten uns!
Edward löste sich langsam von mir und blickte mich lange an. ››Denkst du, es wäre jetzt Zeit für uns zu verschwinden?‹‹ fragte er.
Das war sie! Das war die Frage, die ich ihm zuvor hatte stellen wollen. Jetzt war sie wieder da!
Ich nickte, noch immer benommen von seinem Kuss und seiner Nähe und ließ mich von ihm zunächst von der Tanzfläche und schließlich von der ganzen Veranstaltung bringen.
Edward schien schon genau zu wissen, wo er hinwollte und ganz langsam dämmerte es bei mir auch. Es war nicht, wie man vielleicht denken könnte, unsere Wiese – sie war eindeutig zu sehr in der Öffentlichkeit, jeder konnte dort heute vorbeikommen und wir wollten alleine, für uns, sein. Wir gingen zusammen zum Strand, zu den Dünen, an denen wir schon einmal zusammen waren. Von hier aus hatte man einen wunderschönen Blick über das Meer und einen noch schöneren Blick auf den Sonnenuntergang, der nun jede Minute beginnen würde. Noch strahlte die Sonne orange und angenehm warm auf uns herab.
Edward und ich setzten uns nebeneinander, dem Meer zugewandt. Im Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte, es war einfach so merkwürdig. Wir hatten uns auf dem Ball geküsst, auf den wir beide nicht gehen wollten. Und weil wir zusammen dort waren, hatte zumindest ich ihn ein Stück weit genossen.
››Bella‹‹, sagte Edward leise. ››Es tut mir Leid, dass ich dich einfach so geküsst habe.‹‹
Ich wartete einen Augenblick und sammelte meine Worte, ehe antwortete. ››Bitte sag das nicht. Wenn es dir Leid tut, dann sollte es mir auch Leid tun, aber ich will es nicht. Es war wundervoll und ich… ich… Es kann nicht falsch gewesen sein!‹‹
››Bitte, Bella! Es wäre nicht richtig.‹‹
Was meinte er damit?
››Warum nicht?‹‹ fragte ich, mir durchaus bewusst, dass ich trotzig klingen musste.
››Weil ich… Bella, ich sollte nicht… Es wäre nicht richtig, weil ich nicht richtig bin. Nicht richtig für dich!‹‹
››Warum solltest du das nicht sein? Sollte ich das nicht selbst entscheiden können?‹‹
››Wer bin ich denn schon? Bella, du bist so wundervoll, so einzigartig, so intelligent… du solltest wissen, dass ich nicht gut bin. Denn, wer bin ich schon? Ein Nerd! Zu sehr auf die Schule konzentriert um Vergnügungen nachzugehen. Zu sehr Zukunft und Karriere im Kopf, dass ich die Frau meines Lebens verpasse, wenn sie vorbeikommt?‹‹
Ich stockte. ››Frau deines Lebens… verpasst?‹‹ Das Gespräch lief eindeutig in eine andere Richtung, als ich wollte. Aber wenn er sie doch schon verpasst hatte, wenn er das wusste, warum küsste er dann mich um mir hinterher doch zu erzählen, dass ich nicht gut für ihn wäre.
››Bella‹‹, sagte er sanft und drehte sich nun mir zu. Ich tat es ihm nach. ››Bella, wie dumm kann ein einzelner Mann sein – und ich spreche von mir – wenn er dich nach einem wunderschönen Date vor Schulbeginn einfach ignoriert, weil er denkt, dass er sich jetzt wieder voll und ganz auf die Schule konzentrieren muss, weil er sonst einen schlechten Abschluss bekommt, nicht an der Uni aufgenommen wird, an die er möchte und somit seinen Traumberuf verpasst? Sag mir, wie dumm kann ein Mann sein, jemanden wie dich für etwas Dummes wie Karriere sausen zu lassen?
Und glaubst du, ich hätte das jemals verstanden, wenn da nicht Mr. Banners unglaubliche Idee für die Laborpartnerschaft gewesen wäre, die dich dazu gebracht hätte, wieder mit mir zu sprechen? Ich hätte es nicht! Ich wusste die letzten drei Monate, dass etwas anders war, aber ich wusste nicht was. Ich wusste es nicht einmal, als es sich noch mehr veränderte, weil wir uns anfreundeten. Ich war viel zu engstirnig, viel zu sehr auf meine Zukunft fokussiert, es zu verstehen, bis Alice mich darauf angesprochen hat.
Und nun sag mir, wie könnte so ein Dummkopf, wie ich, jemals gut genug für so jemand einzigartiges, wie dich sein? Ich wusste, dass du da warst, aber verbot mir dich zu beachten, weil es nicht für mein Lernen förderlich war. Ich bin so ein unglaublicher Idiot und dadurch habe ich die Frau meines Lebens verpasst.‹‹
Ich war baff von seiner Rede, die er mit so vielen Emotionen gesprochen hatte, die an jeder passenden Stelle durch sein Gesicht und seine Augen gezogen war. Nur eine blieb. Hass. Selbsthass. Er hasste sich dafür, dass er ein erfolgreiches Leben anstrebte? Er hasste sich, weil er dafür etwas Entscheidendes auf der Strecke liegen ließ.
››Aber was, wenn du es nicht hast? Was, wenn das einfach der normale Lauf der Dinge hat sein sollen, bis jetzt, wo sich alles ändert? Was wäre, wenn du falsch liegst und du sie nicht verpasst hast?‹‹
››Dann wäre ich immer noch ein zu großer Idiot, als das sie mich verdient hätte!‹‹ Edward sprach niedergeschlagen, aber voller Überzeugung.
››Und du findest nicht, dass sie das Recht darauf hätte, selbst zu entscheiden, was gut für sie ist und was nicht? Hältst du mich doch nicht für intelligent genug um selbst zu entscheiden, was ich will und was nicht. Denkst du nicht, dass das dem widerspricht, was du eben noch gesagt hast?‹‹
Edward blickte endlich wieder auf und mir direkt in die Augen. Er schien mehr als überrascht.
Ich war auch überrascht über mich und wunderte mich, wo mein plötzliches Selbstvertrauen herkam. Aber ich konnte jetzt nicht aufgeben!
Ich lächelte ihn vorsichtig an und hob meine Hand, um sie an seine Wange zu legen. ››Ich bereue nicht, dass wir uns eben geküsst haben, ich würde es nur sehr schade finden, wenn es nicht noch öfter passiert!‹‹
Edward legte seine Hand um meine. ››Oh Bella‹‹, hauchte er und drückte mir einen Kuss in die Handinnenfläche. ››Bist du dir ganz sicher? Ich möchte dich zu nichts zwingen, ich möchte nicht, dass du dich gezwungen fühlst, nur weil ich eben meine Worte nicht unter Kontrolle habe.‹‹
››Hör auf damit, Edward, bitte! Hör auf dich für die wunderschönen Dinge, die du zu mir gesagt hast, zu entschuldigen. Ich habe dich immer für klug gehalten, also sei klug und verstehe endlich, dass ich dich brauche! Dass ich dich will!‹‹
››Aber ich weiß nicht, ob ich gut darin bin. Für mich hat bisher immer nur die Schule gezählt, sogar meine Familie musste damit klar kommen… Was, wenn ich dir nicht das geben kann, was du erwartest?‹‹
Ich verdrehte die Augen. ››Das hast du schon gesagt, als ich dich um Freundschaft gebeten habe und ich habe dir immer wieder gesagt, dass du dich gut machst. Ich bin überzeugt davon, dass wir auch das zusammen hinbekommen werden.‹‹
Edward lächelte schwach und legte nun seinerseits eine Hand auf meine Wange. Ich kam ihm ohne zu zögern näher.
››Bella‹‹, unterbrach er den Moment. ››Ich weiß nicht… Ich habe nicht… Ich bin mir nicht sicher, was ich machen soll…‹‹
››Ich auch nicht, Edward, aber ich finde, dass du es eben sehr gut gemacht hast.‹‹
Eines seiner unwiderstehlichen Grinsen breitete sich schief über seine Lippen. Das war das letzte, was ich sah, bevor ich meine Augen schloss und darauf wartete, dass unsere Lippen ein weiteres Mal miteinander verschmelzen würden.

Ich saß zwischen Edwards Beinen, er hatte die Arme von hinten eng um mich geschlungen und wir beobachteten zusammen den Sonnenuntergang über dem Pazifischen Ozean. Es war ein wunderschönes Farbenspiel und hier in Edwards Armen unglaublich schön, ich konnte mir gelegentliche Seufzer nicht unterdrücken.
Wir hatten uns eben noch eine ganze Weile unterhalten und ich hoffte, dass ich nun auch Edwards letzten Zweifel beseitigt hatte, dass er nicht gut für mich war und dass ich das selbst für mich entscheiden konnte und dass ich zudem mehr als überzeugt davon war, dass ich mit ihm zusammen sein wollte. Und hier saßen wir nun, eng umschlungen und als Paar.
Edward lehnte sich vor auf meine Schulter, ich spürte seinen Atem auf meiner Wange. ››Ich kann nicht glauben, dass ich dich morgen schon wieder gehen lassen muss, jetzt, wo ich dich habe!‹‹
Ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich seine Arme um mich löste und mich umdrehte.
››Was?‹‹ wollte er unsicher wissen.
Ich legte meine Hände um seine Wangen und zog ihn näher an mich heran. ››Habe ich dir noch nicht gesagt, dass ich dieses Jahr Weihnachten bei meinem Vater verbringen werde?‹‹
Zunächst schien Edward mit der Information nichts anfangen zu können. ››Deinem Vater?‹‹ fragte er nur verwirrt nach.
››Ja‹‹, nickte ich, sagte aber nichts weiter und wartete, bis es bei ihm Klick machte!
Edward dachte weiter nach, schien auf jeden Fall verstanden zu haben, dass es einen Sinn dahinter gab.
Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. ››Dein Vater, der in Forks lebt?‹‹
››Ja, bei meinem Vater, der in Forks lebt‹‹, lächelte ich breit.
Edward zog mich wieder zu sich hin und küsste mich ein weiteres Mal.
››Das war die beste Neuigkeit des Tages, die du mir hast geben können!‹‹
››Ach… nicht, dass ich das ebenfalls mag? Sehr gerne mag?‹‹
››Ein bisschen, ja. Denn ich muss mich nicht für längere Zeit von der verabschieden. So oder so.‹‹
››Okay. Aber zusammen ist es dann perfekt.‹‹
››Ja, perfekt.‹‹
Das wurde mit einem Kuss besiegelt.

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Tag der Veröffentlichung: 25.11.2010

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