Er war blond.
Er war schön.
Er war… gefährlich.
Er nahm mich völlig in seinen Bann.
Es war unmöglich ihm zu widerstehen. Er sprach mit samtener Stimme, wie sie eigentlich nur ein Engel haben könnte. Aber ich war mir sicher, dass er keiner war. Ich hatte Angst vor ihm, im ersten Moment den Drang vor ihm zu fliehen.
Als er sagte, ich sollte ihm folgen, tat ich es, ohne darüber nachzudenken.
Es war der größte Fehler, den ich je in meinem Leben begangen hatte.
Ich war nicht alleine in dem Raum, als ich aus diesem schmerzenden Albtraum erwachte. Die Präsenz der anderen hatte ich die ganze Zeit gespürt, aber war viel zu sehr auf mich und meinen Körper fixiert gewesen, als dass ich auch nur eine Sekunde über ihre Schreie nachdenken hätte können.
Ich schrie selbst.
Der schöne Mann hatte mich in eine abgelegene Scheune zu vielen anderen… Opfern gesteckt. Es dauerte nicht lange, bis es losging. Was genau passierte, konnte ich nicht sagen. Ich spürte einen Schmerz in meinem Hals, der sich bald zu meinem Herzen ausbreitete und von dort in meinem gesamten Körper. Ich konnte auch nicht sagen, wie lange dieser Schmerz meinen Körper gefangen nahm, ich war aber froh, als es endlich ein Ende hatte.
Noch bevor ich die Augen aufschlug, wusste ich, dass etwas anders war. Ich konnte das angestrengte Atmen der Körper neben mir hören, jeden einzelnen der verschiedenen Atemzüge konnte ich genau herausfiltern, konnte analysieren, wie groß die Schmerzen dieser Person wirklich waren. Nur kurz zuvor hatte ich sie selbst noch durchgestanden.
Mein Fokus ging weiter. Die Scheune, in der ich mich immer noch befand, musste älter sein, als ich es vor den Schmerzen angenommen hatte. In dem Gebälk hörte ich es Kriechen und Knirschen, ohne Frage waren hier viele Kleintiere unterwegs und zerstörten Stück für Stück das Holz und die Füllmasse. Mit einer seltsamen Sicherheit ging ich von genau zweihundertvierundfünfzig Tagen aus, ehe diese Scheune zusammenbrach, sollte sich nicht zuvor jemand um ihre Instandhaltung kümmern.
Zum ersten Mal, seit ich bewusst meine Sinne einsetzte, nachdem der Schmerz gegangen war, nahm ich einen Geruch in der Luft wahr, unsagbar gut. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Was war das? Ein Geruch, wie er mir noch nie zuvor unter die Nase gekommen war. Ich konnte ihn schon fast nach mir rufen hören; er wollte, dass ich zu ihm kam, mich seiner annahm. Ich war mir sicher, dass der Geruch von einer Flüssigkeit stammte und ich war mir sicher, dass diese Flüssigkeit das Brennen in meinem Hals bis zur Zufriedenstellung besänftigen würde.
Ich schlug meine Augen auf, im nächsten Moment waren meine Füße auf dem Boden und trugen mich dem Geruch entgegen. Ich nahm keine Rücksicht auf das, was mir im Weg war, ich ging eine gerade Linie auf mein Begehren zu. Nichts würde mich aufhalten können.
Mein Kopf kontrollierte mich nicht mehr, es war meine schmerzende Kehle. Ich fühlte mich selbst ein wenig, als würde ich mir nur zusehen, beobachten, wie ich graziös die erste Wand durchlief, die sich mir in den Weg stellte. Mir dabei zusehen, wie ich immer schneller wurde, meine Beine wie von selbst die richtige Stelle auf dem Boden fanden, auf dem sie sicher auftreten konnten. Ich hatte das kleine Waldstück in geschätzten zwei Minuten durchquert, dieses Waldstück, das ich kannte und in dem ich normal meinen zweistündigen Mittagsspaziergang machte.
Schnell fand ich den Quell des guten Geruchs. Es war das Haus am Waldrand, in ihm wohnte meine gute Freundin Charlotte mit ihrer Familie. Ich wusste, ihr Vater war gerade auf einer Reise bei Familie, ihre beiden älteren Schwestern hatten vor nicht allzu langer Zeit geheiratet. Da war noch ihr kleiner Bruder, der sich immer auf den weiten Ländereien herumtrieb. Er kam am wenigsten damit klar, dass die Mutter fünf Jahre zuvor gestorben war – niemand wusste, warum oder woran. Sie war eines Tages völlig erblasst in der Schweinescheune gefunden worden, die sie früh aufgesucht hatte.
Charlotte musste alleine zu Hause sein.
Mit drei schnellen Schritten war ich an der Hintertür, öffnete sie in einer schnellen Bewegung und trat ein. Charlotte stand, wie erwartet, am Herd. Sie trug nur ein leichtes Kleid, selbst für ein Hauskleid tief geschnitten.
Ihr Hals lag frei.
Mehr Wasser lief in meinem Mund zusammen. Ich konnte die Adern unter ihrer dünnen Haut sehen, jedes Pulsieren des Blutes, einladend schien es mich zu winken. Ich sollte kommen. Ich solle es mir nehmen.
Ein tiefes Grollen fuhr über meine Lippen und ließ Charlotte sich erschreckt umdrehen. Einen Moment starrte sie mich entsetzt an, dann bildete sich ein leichtes Lächeln auf ihren blutroten Lippen.
››Oh, Bella, für einen Moment hast du mich wirklich erschreckt. Wie siehst -‹‹ Weiter kam sie nicht…
Ich hinterließ sie Blutleer. Außer einer halbmondförmigen Narbe an ihrem Hals gab es keine Anzeichen dafür, was ich getan hatte. Sie gebissen und sie getrunken. Wie erwartet, war es äußerst Zufriedenstellend gewesen. Und delikat. So unbeschreiblich gut.
Ich wartete auf das Schulgefühl, dass ich meiner besten Freundin das Leben genommen hatte, während ich mich wieder in den Wald begab. Doch nichts. In mir war nur dieses Gefühl der Gier. Ich wusste, für den Moment hatte ich genug, aber sobald sich die Chance erneut ergab – und das würde hoffentlich bald sein – würde ich sofort zuschlagen und… Blut trinken.
Blut.
Ich beschloss wieder zu der Scheune zurückzukehren, um nachzuschauen, ob vielleicht auch die anderen aus ihren Schmerzen mittlerweile erwacht waren. Ob sie wohl ähnliche Gelüste hatten, wie sie mich verfolgten und überkamen?
Auf meinem Rückweg ging ich langsamer durch den Wald und beschaute ihn mir genauer. War er schon immer so grün gewesen? Hatten die Bäume schon immer so viele Furchen in ihren Rinden gehabt? Waren die Läuse schon immer so gut erkennbar auf den einzelnen Blättern gewesen, hoch oben in den Baumkronen?
Alles sah so anders aus, als ich es in Erinnerung hatte und selbst die Erinnerung hatte einen Graustich, den ich einfach nicht durchdringen konnte.
Ich blieb stehen.
Ein mir unbekannter Instinkt riet es mir, verbot es mir, mich nur einen Schritt weiter nach vorne zu bewegen. Angestrengt lauschte ich.
Zu meiner Rechten konnte ich das leichte Wellenschlagen eines kleinen Waldsees hören, in seiner Nähe hatte sich eine Horde Waldtiere versammelt. Angewidert rümpfte ich die Nase. Der Geruch, der von ihnen ausging, war unmenschlich! Zu meiner Linken, nicht weit von mir entfernt, musste sich eine etwas größere Lichtung befinden, das Rauschen des Windes war viel lauter. Vor mir, in der Richtung, die ich anschlug, als ich meinem eigenen Geruch folgte, konnte ich Dumpf wieder die Maden hören, die sich durch das Gebälk der Scheune arbeiteten. Aber an der Gesamtsituation hatte sich etwas geändert. Es waren keine Schreie mehr zu hören, nur noch leises Murren. Doch das war es nicht, was meinen Instinkt anregte. Es waren weitere Gerüche, die meinem ähnelten und doch den Kampfinstinkt in mir weckten. Sie sprachen miteinander.
››Die drei Tage sind noch nicht um‹‹, sagte die eine Stimme. ››Aber ich bin mir sicher, dass eine fehlt. Der Boden war gestreut voll mit neuen. Da ist eine viel zu große Lücke.‹‹
››Ich kann mich erinnern, welche nicht mehr da ist. Lange, braune Haare, helle Haut. Ich habe sie gebracht‹‹, sagte eine weitere Stimme, erneut eine männliche.
››Kann sie schon wach sein?‹‹ Dieses Mal sprach eine Frau.
››Anders kann ich mir ihr verschwinden nicht erklären‹‹, sprach der zweite Mann.
››Dann sucht sie, verdammt nochmal! Wie können uns kein Gerede leisten und von den Volturi möchte ich, gerade jetzt, am wenigsten Besuch bekommen. Wir sind gerade so gut dabei!‹‹
››Das möchten wir genauso wenig. Lass uns gehen‹‹, forderte der erste wohl den zweiten auf.
Sie mussten über mich gesprochen haben. Sie wollten mich zurückholen. Sie brauchten mich? Aber wofür?
Immer noch meinem Instinkt folgend, drehte ich mich um und lief, lief so schnell ich konnte. Bald kam ich an einem Fluss an, in den ich mich warf und dem ich lange folgte. Hoffentlich würde ich meine Verfolger, die ich immer wieder hinter mir gehört hatte, so abschütteln.
Der erste Winter war grausam.
Ich hielt mich viel in dem Wald auf, den ich auf meiner Flucht, im Norden des Landes, gefunden hatte. Doch immer wieder trieb es mich in regelmäßigen Abständen nach draußen und ich machte mich hemmungslos auf die Jagd nach weiteren Menschen. Ich konnte ihnen und ihrem Geruch nicht widerstehen, wollte es auch nicht – zumindest in der ersten Zeit.
Nach dem ersten Winter änderte sich vieles. Schon sehr früh, hatte ich das erste Mal eine Spiegelung von mir gesehen und war über die neue Beschaffenheit meines Körpers sehr erstaunt gewesen. Ich hatte bereits festgestellt, dass meine Haut noch heller war, als gewöhnlich und das nichts sie zu zerstören schien. Auch hatte ich schnell bemerkt, dass das Sonnenlicht seltsame Dinge mit mir anstellte und mich funkeln ließ. Doch der Anblick meines gespiegelten Gesichtes würde ich wohl nie wieder vergessen – ich schien so nichts zu vergessen, jede Sekunde meines neuen Lebens blieb mir genauestens in Erinnerung.
Ich war… schön. Mit einem anderen Wort könnte man mich nicht beschreiben. Es war schon fast eine unmenschliche Schönheit, aber ich war bereits zu dem Schluss gekommen, dass ich kein Mensch mehr sein konnte – ich ernährte mich von Menschen, von deren Blut, ich konnte nicht zu selben Rasse gehören. Das wirklich erschreckende an mir waren die Augen, von einem leuchtenden Rot, dass nur an die Farbe von Blut erinnern konnte, das frisch und ungenutzt aus dem Herzen kam. Ich hatte auch bemerkt, dass meine Augen gelegentlich dunkler, fast schwarz wurden, in dem Zeitraum, wenn auch das Brennen in meiner Kehle wieder schlimmer wurde und mein Instinkt mich übernahm und auf die Jagd schickte.
Nach dem ersten Winter nahm die große Gier ab und meine Augen schienen einen dunkleren Rotton anzunehmen, selbst wenn ich frisch von der Jagd zurückkam. Mit dieser Änderung entwickelte sich auch mein Gewissen. Mehr und mehr fühlte ich für die, die ich umbrachte, kämpfte hinterher mit größeren und kleineren Schuldgefühlen denen gegenüber, die ich zu meiner Nahrung erkor. Mehr und mehr suchte ich meine Nahrung mit Sorgfalt aus. Mal ein Wanderer, der sich verirrt hatte und früher oder später sowieso des Hungertodes gestorben wäre, mal ein alter Mann in seiner kleinen Hütte, der nicht viel später des natürlichen Todes gestorben wäre – natürlich waren solche Fälle nie so delikat, wie ein frischer, junger und gesunder Mensch und ich konnte gerade denen auch nicht jedes Mal widerstehen. Aber es wurde, mit den Jahren, immer seltener, dass ich mich vergaß und mich selbst auf jemanden losließ, der noch ein schönes und langes Leben vor sich hatte.
Nach vielen Jahren und noch mehr misslungenen Versuchen, mich in einer Stadt aufhalten zu können, schaffte ich es, volle Kontrolle über mich zu gewinnen und konnte bald meinem selbst bestimmten, neuen Schicksal nachkommen. Ich wurde, wie ich mich selbst gerne scherzhaft nannte, zur ›Rächerin der Dunkelheit‹. Manchmal lauerte ich meinen nächsten Opfern schon Tage oder Wochen vorher auf, beobachtete jeden ihrer Züge und wog ab, ob sie der Menschenwelt wert waren. Die wenigsten hatten Glück und bestanden meine Probe, noch viel öfter war es der Durst, der mich überwältigte und mich doch keine rationale Entscheidung mehr fällen ließ.
Ich suchte meine Nahrung gezielt aus, nach Taten, aus denen es kein Entrinnen für ihr eigenes Schicksal mehr gab.
Ich hielt mich nie lange in einer Stadt auf. Ich durfte nicht zu auffällig handeln, nie hatte ich über die Volturi vergessen, über die meine drei Verfolger gesprochen hatten. Es war nicht schwer gewesen, für mein multifunktionales Gehirn, herauszufinden, was genau die Frau gemeint hatte. Wenn ich zu viel unkontrolliert tötete, würden genau diese Leute kommen, die sich Volturi nannten und das hätte mit Sicherheit mein Tod zur Folge.
Ich blieb nicht nur auf den beiden Kontinenten von Amerika, sondern hatte auch Aufenthalte in verschiedenen Städten in Europa und Asien, auch Afrika stattete ich einen kleinen Besuch ab. Überall lernte ich dazu. Ich schlich mich in Büchereien und Lehranstalten, las über die Art, wie der Dämon genannt wurde, der mich besaß und was allgemein von der Menschheit von ihm erwartet wurde. Doch stellte ich schnell fest, dass nicht viele Dinge über die Vampire stimmten, die sich der menschliche Kopf ausgedacht hatte. Wir waren schön, bekamen aber vor dem Trinken keine Fangzähne, oder grässliche Fratzen. Wir veränderten uns in der Sonne, allerdings verbrannten wir nicht. Es gab noch so viele andere Dinge.
Ich las über die Biologie und Chemie, über die Sprache und die Schrift. Eigentlich las ich alles, das mir zwischen die Finger kam, bevor ich wieder die Verfolgung vor meiner nächsten Jagd aufnahm.
Während meiner ganzen Zeit als Vampir, bei keiner meiner vielen Reisen und Aufenthalten in der verschiedenen Städten und Ländern, begegnete ich jemals einem anderen meiner Art, dabei war ich überzeugt, dass ich nicht die einzige war. Alleine das Lager, in dem ich aufgewacht war, war Beweis genug.
Das Lager.
Das war der Name, den ich hatte, für den Ort, an dem meine Verwandlung stattgefunden hatte. Sehr oft hatte ich es mich an diesen Ort zurückgezogen. Was genau ich dort wollte, konnte ich nicht sagen. Vielleicht wollte ich Rache nehmen an denen, die mir dieses Leben angetan hatten. Doch sicher waren auch sie schon lange nicht mehr da. Die Frau hatte gesagt, dass es gut liefe, wäre es nach meiner Flucht noch besser gelaufen, hätte sie es sicher nicht mehr für nötig gehalten, noch länger in einer Scheune Lager aufzuschlagen, besonders einer, die keine lange Lebensdauer mehr hatte.
Wollte ich sehen, wie es meiner Familie nach meinem Verschwinden ergangen war? Zunächst war es wirklich eine Ausrede gewesen, dass ich zu ihrem eigenen Schutz nicht zurückgekehrt war. Ich könnte nie vergessen, wie ich Charlotte zurückgelassen hatte. Und jetzt? Wen würde ich noch von meiner Familie vorfinden? Meine Eltern und meine Freunde, sie alle waren mittlerweile tot, es waren zu viele Jahre vergangen. Meine beste Freundin hatte ich umgebracht, sie hatte nie Nachkommen bekommen können, die ich besuchen könnte.
Nein, ich würde nie wieder in meine Heimat zurückkehren, nie wieder wollte ich diesen Ort sehen, an dem ich aufgewachsen war, an dem alles so schön begonnen und solch ein schreckliches Ende genommen hatte.
Doch mein Weg führte mich wieder zurück nach Amerika, nördlich, wo die Sonne nicht so oft zeigte, wie am Äquator.
Drei Tagen zuvor hatte ich die Spur des Menschen aufgenommen. Hungrig, schmutzig, mit Sicherheit schlechte Gedanken, schlimme Erinnerungen. Sie war von zu Hause verstoßen, hatte sich mit dem Falschen eingelassen. Die Hoffnung, dass er sie lieben würde, wie falsch sie war. Jetzt war sie alleine, die kalten Nächte auf der Straße hatten ihrer Gesundheit nicht gut getan. Sie stahl, wo sie konnte, Essen, Geld. Trank Wasser, das nicht zum trinken geeignet war. Sie hatte kein Leben mehr. Ich würde ihr einen Gefallen tun, ihr Dasein für sie zu beenden.
Es war Nacht in ihrer dunklen Gasse, ich war nur noch wenige Schritte von ihr entfernt. Sie schlief noch nicht, nicht weil sie mich hörte, vielleicht weil sie mich witterte, aber auch, weil dunkle Gestalten am offenen Ende der Gasse vorbeikamen. Ich konnte ihre Angst riechen.
Dann streifte mich ein neuer Geruch und ich ging automatisch in Kampfstellung. Ich kannte Gerüche dieser Art, auch wenn ich sie eine sehr lange Zeit nicht mehr gerochen hatte.
Ein anderer Vampir.
››Sie gehört mit‹‹, knurrte ich leise und dunkel.
Von über mir, von einem Fenstersims, kam ein hämisches Glucksen. ››Ich will sie gar nicht‹‹, erwiderte mein Mitspieler. ››Aber wir werden gleich Gesellschaft bekommen.‹‹
Tatsächlich bog in diesem Moment jemand zielsicher in die Gasse ein.
››Sie hat ihm dummerweise verraten, wo sie ihre Nächte verbringt. Hast du deine Hausaufgaben nicht gut gemacht?‹‹ triezte die Stimme über mir.
Der andere Vampir wartete keine Antwort ab, sondern drückte sich von dem Fenster ab und flog nach unten auf den Kerl zu. Ich wollte nun auch nicht mehr länger warten und rannte mit schnellen Schritten auf mein Opfer zu, vergnügte mich an ihrem süßen Saft.
Der Vampir war verschwunden, ehe ich fertig war.
Ich legte die beiden Körper zusammen und startete ein kleines Feuer. Niemand würde sie erkennen können und niemand würde sich weiter für sie interessieren.
Ich zog mich in den Unterschlupf zurück, den ich mir in dieser Stadt zu Eigen gemacht hatte.
Lange Zeit verließ ich ihn nicht. Es war zu verwirrend gewesen, einen anderen Vampir zu treffen, der doch ganz offensichtlich nach demselben Prinzip vorging, wie ich es tat. Er hatte gesagt, die Frau hätte dem Mann dummerweise gesagt, wo sie ihre Nacht verbrachte. Der Vampir wusste, dass der Mann böse gewesen war. Offensichtlich hat er ihn genau aus diesem Grund auch verfolgt und erwählt. Dachten auch noch andere meiner Art so wie ich? Wollten auch noch andere sich gegen ihren inneren Dämon wehren und versuchten deswegen das Beste aus ihrer Existenz zu machen?
Es war seltsam. Nie in meinen vielen Jahren als Vampir hatte ich mich nach Gesellschaft gesehnt. Nie hatte es mir gefehlt, mit jemandem über meine Erfahrungen zu sprechen, niemals hatte ich auch nur entfernt das Bedürfnis, mich jemandem anzuvertrauen. Und nun traf ich zum ersten Mal auf einen anderen Vampir und alles änderte sich schlagartig. Aber wie sollte ich ihn jemals wiederfinden? Er war bestimmt schon lange wieder weg. Sicher hielt er sich niemals länger als eine Jagd in derselben Stadt auf.
Es war nicht leicht, Zerstreuung von diesem Gedanken zu finden.
Immer wieder versuchte ich mich von der Stadt zu entfernen, doch niemals schaffte ich es weiter, als die nächste Ortschaft, bevor ich einen anderen Weg einschlug, der mich auf fast direktem Weg zurückführte. Ich fand mich selbst, in Nächten und an regnerischen Tagen, die Stadt durchstreifen, auf der Suche nach dem kleinsten Anzeichen seines Geruchs. Unbewusst hatte sich der Gedanke in mir festgesetzt, dass ich den Vampir wiederfinden musste. Diesen Einen. Tatsächlich stieß ich in meinen Streifzügen immer wieder auf andere Gerüche, aber keiner davon zog mich so sehr an, wie diesen, der sich in meinem Kopf verankert hatte. Es interessierte mich nicht einmal, in die Nähe der anderen zu kommen, mich mit ihnen zu unterhalten, mehr über ihre Jagdstile zu erfahren.
Ich wollte nur diesen Einen.
Ich bemerkte, wie mir oft Blicke nachgeworfen wurden, von den Menschen. Eine Frau, meines Alters und Aussehens, hatte weder mitten in der Nacht, noch an einem dunklen Tag etwas auf der Straße zu suchen. Zudem achtete ich meist nicht auf dicke Kleidung, selbst wenn es für die Menschen Gefriertemperaturen hatte. Es waren Dinge, die mich langweilten. Ich wollte nicht darüber nachdenken müssen, was ich trug und ich musste es auch nicht.
Doch in dieser einen Nacht wünschte ich, ich hätte zumindest einen dünnen Mantel angezogen.
Ein Mensch würde mich niemals von sich aus ansprechen. Wie gesagt, da waren Blicke, eindeutige Blicke, manchmal war es kaum zu überhören, wie sie miteinander flüsterten. Doch niemals würde ich angesprochen werden, nicht von einem Menschen.
Meinesgleichen hingegen hatten weniger scheu.
Es waren zwei männliche Vampire, die mich musterten. Ihren Augen konnte ich sowohl ansehen, dass sie gerade auf der Jagd gewesen waren, als auch, dass sie keine neuen Vampire mehr waren. Vielleicht waren sie sogar noch älter, als ich es war. Entgegen meiner Existenz erschauerte ich unter den Blicken der beiden. Sie waren so eindeutig. Sie wollten mir etwas entehrendes antun und ich wäre, selbst mit meiner Vampirkraft, nicht stark genug, mich gegen die beiden zu wehren.
››Wen haben wir denn da?‹‹ sagte der eine mit schleimiger Stimme.
Ich bevorzugte es, nicht zu antworten und drehte mich stattdessen um.
Der andere, der dunkelhaarige, stand vor mir. Ich hatte nicht erwartet, dass er hier auf der Straße eine seiner Vampirkräfte anwenden würde. Ich spürte ihn dicht vor mir, den anderen dicht hinter mir, doch sie berührten mich nicht.
››Was ist das?‹‹ fragte der erste.
Seine Worte ergaben keinen Sinn.
Sie kamen nicht näher an mich heran, umzingelten mich stattdessen, liefen im Kreis um mich herum, streckten immer wieder die Hände aus, zogen sie allerdings auch wieder zurück.
Was wollten die beiden?
››Ihr dürft euch jetzt von ihr zurückziehen‹‹, ertönte eine dritte Stimme, nicht weit von uns weg.
Ich kannte die Stimme. Ohne, dass ich wusste, was das Auftauchen dieser Person genau bedeutete, durchströmte mich Erleichterung und das Gefühl, dass mir jetzt nichts mehr passieren könnte.
››Haha! Und wer sagt das?‹‹ fragte der erste, der blonde. Wieder versuchte er mich zu berühren, doch zog seine Hand zurück, kurz bevor er ganz bei mir ankam.
Warum tat er es nicht?
››Aber, aber James. Siehst du denn nicht, dass hier nichts zu holen ist?‹‹ sagte der andere Vampir, den ich vor so vielen Tagen in der dunklen Gasse getroffen hatte.
››Woher kennst du meinen Namen?‹‹ wollte der erste, James, wissen.
››Tut das wirklich zur Sache? Warum stellst du mir nicht die Frage, die du wirklich stellen willst? Oder soll ich sie dir einfach beantworten? …Ich bin nicht alleine.‹‹
››Woher weißt du das?‹‹ fragte James.
Offensichtlich hatte mein Retter mit seiner Antwort genau getroffen, was James gedacht hatte. Wie verwunderlich.
››Nicht so Vorlaut, einer nach dem anderen. Zunächst ist Laurent an der Reihe, seine Frage zu stellen. Leider kann ich ihm keine Antwort darauf geben. Allerdings, und das geht jetzt wieder an euch beide, könnte ich euch einen guten Tipp geben: Da sie euch offensichtlich sowieso nicht an sich lassen will, warum sucht ihr nicht das Weite, bevor es richtig unangenehm für euch wird?‹‹
››Woher wissen wir, dass du nicht bluffst?‹‹ fragte der zweite, Laurent.
››Rieche ich, als wäre ich alleine?‹‹ stellte mein Retter die alles entscheidende Gegenfrage.
Ich sog tief Luft ein und musste tatsächlich feststellen, dass an ihm noch zwei weitere Gerüche hafteten.
Laurent trat einen Schritt zurück. ››James‹‹, mahnte er.
Von dem war ein Knurren zu hören.
››Jamsey‹‹, verniedlichte mein Retter James‘ Namen. ››Du solltest den Gedanken ganz schnell wieder verwerfen, wenn dir dein Leben lieb ist…‹‹ warnte er.
James machte eine schnelle Bewegung in meine Richtung, doch wieder berührte er mich nicht. Im kleinsten Bruchteil einer Sekunde stand mein Retter neben mir und warf James gegen die nächste Hauswand. Laurent war augenblicklich bei ihm und zog ihn in die entgegengesetzte Richtung.
Mein Retter grummelte etwas mit verbissener Miene und wandte sich dann zu mir um. ››Alles in Ordnung?‹‹ fragte er.
Ich nickte. ››Vielen Dank.‹‹
››Es war mir eine Ehre. Wollen wir an einen beschaulicheren Ort? Meine Familie und ich besitzen in der Nähe einen kleinen Wohnsitz.‹‹
Ich nickte ohne Scheu. Er schlug es von sich aus vor, er wollte sich mit mir unterhalten.
Vorsichtig näherte er sich mir mit seiner Hand und legte sie mir schließlich an den Arm. ››Sonderbar‹‹, murmelte er den Kopf schüttelnd.
Ich beschloss diese halbe Bemerkung zu ignorieren und ließ mich stattdessen von ihm führen.
››Es freut mich sehr, Sie wiederzusehen, Mr.…?‹‹
››Edward‹‹, antwortete er einfach. ››Und dein Name?‹‹
››Bella‹‹, antwortete ich schnell, ein Lächeln auf den Lippen. Er ließ alle sittlichen Regeln fallen und begab sich schnell auf eine freundschaftliche Ebene mit mir. Das erfreute mich wirklich sehr.
››Du sagtest eben, du wohnst mit deiner Familie? Zunächst mal, ich wusste nicht, dass Vampire feste Wohnsitze haben und zum anderen, wer genau ist deine Familie?‹‹ fragte ich neugierig.
››Meine Familie, das sind mein Erschaffer und seine Frau. Und warum die beiden sesshaft sind… das sollen sie dir am besten selbst sagen.‹‹
Ich nickte zum Zeichen, dass ich einverstanden war. ››Was für ein Zufall, dass du gerade in der Nähe warst, als die beiden mir nahe gekommen sind‹‹, wechselte ich das Thema.
››Ahm‹‹, Edward schwieg für einen Moment. ››Eigentlich… war es weniger Zufall.‹‹
››Ich verstehe nicht?‹‹ hinterfragte ich verwirrt.
››Nun ja, weißt du… Wenn ich ehrlich bin…‹‹
››Ja?‹‹
››Wollen wir das nicht lieber besprechen, wenn wir unter uns sind?‹‹ fragte er schnell.
Einen Moment dachte ich darüber nach und blieb dabei stehen. ››Nein, eigentlich nicht. Ich möchte es lieber gleich wissen‹‹, antwortete ich mutig. Zwar sagte mir mein Herz, dass ich ihm vertrauen konnte, doch sagte mein Kopf gleichzeitig, vor allem nachdem, was eben passiert war, dass es sicherer war, gerade solch eine Frage, gleich beantwortet zu haben.
››Nach unserem ersten Treffen‹‹, begann er schließlich, ››es fiel mir schwer, dich wieder aus meinem Kopf zu bekommen. Ich denke, es ist eine Art Beschützerinstinkt, der sich in mir geweckt hat. Eine zierliche Frau, wie du, alleine unterwegs und auf der Jagd, in solch einer großen Stadt, mit so vielen verschiedenen Vampiren. Es dauerte einige Tage, bis ich es wirklich verstand und ab dem Zeitpunkt machte ich mich auf die Suche nach dir. Es war nicht einfach, dich zu finden, aber letztendlich tat ich es.‹‹
››Gerade rechtzeitig, wie es scheint‹‹, meinte ich unsicher. Ich wusste nicht, was ich von der neuen Information halten sollte.‹‹
››Nun, wiederum ehrlich gesagt, hatte ich dich schon einige Zeit früher wieder gefunden.‹‹
››Warum hast du dich nicht gezeigt?‹‹ fragte ich.
››Ich wusste nicht, ob du mich wiedersehen möchtest?‹‹
Ich beschloss, darauf vorerst nicht zu antworten. ››Warum bist du mir gefolgt?‹‹
››Wie gesagt, ich fühlte einen großen Beschützerinstinkt für dich. Ich wollte dir folgen, bis du meine Hilfe brauchtest und dann rechtzeitig einschreiten – und eventuell wieder verschwinden.‹‹
››In dem Fall bin ich froh, dass du nicht gleich wieder verschwunden bist, und ich dadurch jetzt Zeit habe, mich mit dir zu unterhalten.‹‹
››Du willst dich mit mir unterhalten?‹‹
››Ja, sehr gerne sogar. Ich lebe schon viele Jahre, aber noch nie zuvor bin ich einem anderen Vampir begegnet, du warst der erste. Um also deine Frage zu beantworten, ja, ich wollte dich sehr gerne wiedersehen und hättest du dich gleich gezeigt, hättest du mir einige Mühe erspart.‹‹
››Wie meinst du das?‹‹
››Du denkst doch nicht, dass ich immer so viel durch die Gegend laufe, wie die letzten Tage? Und dass ich in diesem Eck der Stadt jagen gegangen bin, oder? Ich habe nach dir gesucht! Aber offensichtlich bin ich darin nicht so gut, wie gut.‹‹
››Was soll ich sagen? Ich habe ein gewisses Talent, was diese Sache angeht. Zudem wollte ich nicht von dir gefunden werden, deswegen habe ich mich auch immer im richtigen Winkel von dir befunden, sodass es unmöglich war, dass du mich hättest ausfindig machen können.‹‹
››Ich hoffe, dass du aus diesem Fehler gelernt hast‹‹, scherzte ich.
Wir schwiegen eine Weile, eine Zeit, in der Edward unruhig schien.
››Bella‹‹, sagte er schließlich.
Ich schaute zu ihm auf.
››Wie hast du das gemacht?‹‹ fragte er frei heraus.
Ich wusste nicht, von was er sprach. ››Wie habe ich was gemacht?‹‹
››Wie hast du die beiden davon abgehalten, dich zu berühren? Wie kann es sein, dass ich dich berühren kann?‹‹
Verwirrt blickte ich ihn an. ››Ich habe die beiden nicht davon abgehalten, mich zu berühren‹‹, erklärte ich.
››Du weißt es nicht?‹‹ fragte er überrascht.
››Ich weiß was nicht?‹‹ fragte ich frustriert.
››Du hast gesagt, dass du vorher nie Kontakt mit unseresgleichen hattest?‹‹
››Ja?‹‹ antwortete ich verwirrt. Ich verstand seinen Gedankensprung nicht.
››Was ist mit deinem Schöpfer?‹‹
››Ich bin vor ihm geflohen‹‹, erklärte ich.
››Du hast es also noch nie gebraucht?‹‹
››Was habe ich noch nie gebraucht?‹‹
››Bella? Hast du schon einmal von besonderen Talenten gehört?‹‹
Wir saßen auf einer bequem aussehenden Couch – nicht, dass es für mich einen Unterschied gemacht hätte – in einem kleinen, süßen Haus etwas außerhalb der Stadt. Hier lebte Edward mit seiner Familie, wie er sie nannte. Die beiden waren zu gegebenem Zeitpunkt nicht zu Hause, würden aber, so Edward, bald wiederkehren.
Während wir warteten, versuchte ich mir darüber klar zu werden, was Edward mir nicht eine viertel Stunde zuvor erzählt hatte. War das wirklich?
››Bella? Hast du schon einmal von besonderen Talenten gehört?‹‹ hatte er mich gefragt.
Natürlich hatte ich verneint.
››Vampire bringen aus ihrem Menschenleben ihre stärkste Eigenschaft mit in ihr neues Dasein. Kann es sein, dass du in deinem Menschenleben gut darin warst, Böses zu verdrängen? Dinge, die geschahen, nicht an dich heranzulassen?‹‹
Ich konnte mich nicht daran erinnern.
››Für mich sieht es so aus‹‹, erklärte Edward weiter, ››dass du Dinge, die du nicht willst, nicht zulässt. So wie eben die beiden Vampire. Du wolltest nicht, dass sie dich berühren und deswegen konnten sie nicht bis zu dir vordringen. Es schien, als würden sie gegen eine Mauer stoßen. Und ich muss sagen, dass es mich wirklich freut, dass du nichts gegen mich hast, und dass du mich hast dich berühren lassen!‹‹
››Wie seltsam‹‹, hatte ich festgestellt.
Ich fragte mich, ob dem wirklich so sein konnte.
››Welches ist dein besonderes Talent?‹‹ wollte ich, in Gedanken zurück in dieses schöne Wohnzimmer gekehrt, wissen. ››Hat es etwas damit zu tun, dass du die Fragen der beiden immer schon beantworten konntest, ehe sie sie überhaupt gestellt haben?‹‹
››Du bist sehr aufmerksam‹‹, stellte Edward fest. ››Ja, ich habe auch ein besonderes Talent. Ich kann Gedanken lesen.‹‹
Zunächst nickte ich, dann erstarrte ich allerdings mitten in der Bewegung. Er wusste, was in meinem Gedanken vor sich ging?
››Du musst dir keine Sorgen. Anscheinend hat dein Abwehrmechanismus etwas dagegen, dass ich in deine Gedanken vordringe. Ich kann deine Gedanken nicht lesen.‹‹
››Woher wusstest du dann, was ich gerade denke?‹‹
››Es war ganz leicht in deinem Gesicht zu lesen‹‹, erklärte Edward mit einem Schmunzeln.
››Hm‹‹, antwortete ich intelligent.
››Esme und Carlisle, so heißen die beiden, werden in etwa fünf Minuten hier sein‹‹, teilte er mir mit.
Tatsächlich zeigte die Standuhr genau fünf Minuten später an, als die Tür sich öffnete und die beiden mit einem misstrauischen Blick eintraten. Als sie allerdings Edward neben mir sitzen sahen, entspannten sich ihre Gesichter wieder und sie kamen mit einem Lächeln auf uns zu.
Sofort erhob ich mich, um mich angemessen vorstellen zu können.
Angeregt musterte ich die beiden. Sie waren anders, als die Vampire, die mir bis jetzt begegnet waren. Ihr Geruch war anders, nicht ganz so süßlich, wie der von Edward, oder auch James und Laurent, aber dennoch angenehm. Doch der größte Unterschied an ihnen war, und ich konnte mir nicht erklären, wie das sein konnte, waren die goldbraunen Augen. Warum hatten sie nicht, wie ich und alle anderen Vampire, rote Augen?
Anstatt mich nun also vorzustellen, wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, starrte ich die beiden nur an.
››Esme, Carlisle, das ist Bella, ich habe euch bereits von ihr erzählt. Bella? Das sind Esme und Carlisle, meine Familie.‹‹
››Bella, es freut uns sehr, dich kennen zu lernen‹‹, ertönte die Stimme der Frau.
Ich wollte antworten, aber mehr, als die Worte ››Die Augen…‹‹ verließen meinen Mund nicht.
Edward kicherte neben mir in mein Ohr. ››Ihr müsst entschuldigen, sie hatte zuvor noch nie Kontakt mit anderen Vampiren‹‹, teilte Edward den beiden mit.
Ich schnappte aus meiner Starre und senkte reuevoll den Blick. ››Tut mir Leid‹‹, entschuldigte ich mich. ››Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen und ich bin sehr dankbar, dass ich in Ihrem Haus aufgenommen wurde.‹‹
Carlisle schüttelte lächelnd den Kopf. ››Das ist in Ordnung, Bella. Wir sind so eine Reaktion schon auf uns gewohnt. Warum setzen wir uns nicht und erklären die, warum unsere Augen eine andere Farbe haben?‹‹
Ich nickte. Natürlich hätte ich keine Probleme damit gehabt, die nächsten Stunden stehend zu verbringen, allerdings war man doch eine geselligere Runde, wenn man beisammen saß.
Ich ließ mich wieder auf meinen vorherigen Platz auf der Couch, direkt neben Edward, sinken und starrte die beiden mit großen, fragenden Augen an.
››Nun, Bella, die Erklärung ist recht simpel‹‹, fing Carlisle an. ››Ich habe mich entschlossen, mich nicht von Menschenblut zu ernähren, sondern vielmehr von Tierblut, und meine Frau, Esme hier, hat sich mir angeschlossen. Edward hat sich erst vor wenigen Tagen wieder dazu entschlossen, auf Tierblut zurückzukehren.‹‹
››Das geht auch?‹‹ fragte ich nur.
››Ja, auch davon kann man als Vampir überleben‹‹, sprach Carlisle weiter. ››Allerdings ist das bei weitem nicht so zufriedenstellend, wie Menschenblut und es gehört einiges an Willenskraft dazu, dies wirklich zu einer Lebensweisheit zu machen. Und alleine diese andere Ernährung ist der Grund dafür, dass wir goldene Augen haben. Es erleichtert es uns außerdem, uns in der Nähe von Menschen aufzuhalten, ohne sie anfallen zu wollen. Das ist besonders in meinem Fall geeignet. Ich bin praktizierender Arzt.‹‹
››Ernsthaft?‹‹ hinterfragte ich mit großen Augen.
››Ja, ernsthaft.‹‹
››Mit operieren?‹‹ fragte ich nach.
››Mit operieren. Ich bin meist resistent gegen jegliche Blutgerüche.‹‹
››Wow‹‹, brachte ich nur fasziniert hervor. ››Das ist wirklich toll. Ich kann mir das gar nicht vorstellen, von einem Tier zu trinken.‹‹
Wenn ich nur daran zurück dachte, als ich das erste Mal in dem Wald unterwegs war und mir der Geruch von Tierblut in die Nase gekommen ist. Wenn ich das mit dem eines Menschen verglich…
››Wie gesagt, es ist eine harte Umstellung. Und nicht jedem von uns ist es leicht gefallen‹‹, erklärte Carlisle.
››Ich, zum Beispiel‹‹, sagte nun Edward, ››habe es vor einigen Jahren nicht mehr ausgehalten. Ich konnte der Versuchung von Mensch nicht mehr länger widerstehen und bin deswegen getrennte Wege von Carlisle gegangen. Hier haben wir uns wieder getroffen und ich bin froh darum. Lange hätte ich es nicht mehr ausgehalten. Weißt du, es ist nicht einfach, als Gedankenleser…‹‹
››Ich verstehe…‹‹ sagte ich langsam.
››Bella, möchtest du uns deine Geschichte erzählen?‹‹ fragte Esme mit sanfter Stimme.
Ich erzählte ihnen meine Geschichte. Und sie erzählten mir ihre. Gerade die von Carlisle war sehr lang und sehr interessant. Ich erfuhr, wie es sich entwickelt hatte, dass er ausschließlich Tierblut trank und er erzählte mir mehr über die Volturi, mit denen er einige Jahre gelebt hatte. Ihre Bestimmung schien dem wirklich sehr ähnlich zu sein, wie ich es mir gedacht hatte.
Esmes Geschichte war nicht sehr lang, aber dafür sehr tragisch. Ich konnte ihr ansehen, dass es ihr nicht leicht fiel, darüber zu sprechen und war deswegen umso dankbarer, dass sie mir dieses Vertrauen schenkte.
Auch Edwards Geschichte ging nicht so lange zurück, wie meine, oder Carlisles und war am wenigsten spektakulär. Er tat mir Leid, dass er seine Familie auf diese Art verloren hatte, konnte aber seinen Worten zustimmen, dass er wirklich eine tolle Ersatzfamilie gefunden hatte.
Die drei luden mich ein, einige Tage mit ihnen zu verbringen und, sollte ich neugierig geworden sein, könnte ich sie auch auf ihre nächste Jagd begleiten. Auch wenn ich mir einen solchen Lebensstil für mich nicht vorstellen konnte, nahm ich das Angebot an und war tatsächlich gespannt auf meinen ersten Jagdausflug mit meinen neuen Freunden und vor allem mein erstes Mal, wie ich anderes Blut, denn das von Menschen, trank.
Ich verbrachte meine Zeit gerne mit Edward. Wir striffen gemeinsam durch die Wälder oder rannten den ganzen Tag durch ganz Amerika, um am Abend völlig erfrischt zu dem Haus zurückzukehren. Einen Tag wagten wir uns sogar unter die Menschen und gingen in die Stadt. Ich hatte inzwischen wieder Durst, meine letzte Jagd war eine Woche her und ich hatte mich nie im Durchhaltevermögen geübt. Doch auch Edwards Jagd war mindestens so lange her, schien aber keine Probleme damit zu haben. Ich wollte keine Schwäche neben ihm zeigen. Ich würde das sicher durchhalten!
Esme beschloss, uns zu begleiten, da Carlisle, wie jeden Tag, im Krankenhaus war, um zu arbeiten.
››Bella?‹‹ fragte sie mich. ››Wie gefällt dir das Leben in einer Familie bisher?‹‹
Wir hatten uns beieinander eingehakt, Edward lief in angemessenem Abstand hinter uns her.
››Ich muss sagen, überraschend gut.‹‹
Es wäre schwer gewesen, sich nicht von Esmes herzlichen Art einnehmen zu lassen. Sie war so gütig und liebevoll, fast wie eine Mutter. Ich mochte sie wirklich sehr gerne und der Gedanke, die Familie wieder zu verlassen, wenn ich die Zeit eines Anstandsbesuches überschritten hatte, war schmerzhaft. Ich fühlte mich so unendlich wohl und der Trieb nach Freiheit, der mich die letzten Jahre innehatte, war völlig erloschen.
››Du darfst gerne noch bei uns bleiben‹‹, leitete sie langsam ein. ››Edward, Carlisle und ich würden uns wirklich sehr freuen.‹‹
››Ich würde… Das wäre… Es wäre mir unangenehm noch länger in euer Familienleben einzudringen‹‹, erklärte ich.
››Aber nicht doch, Liebes‹‹, widersprach sie mir. ››Sag doch auch etwas dazu, Edward!‹‹
››Ich dachte, Bella wüsste, dass es mich sehr freuen würde, wenn sie bleiben würde‹‹, kam seine leise Stimme von hinten.
Ich senkte verlegen den Blick. ››Nein, das wusste ich nicht.‹‹
Wir betraten nun die Hauptstraße, die wir möglichst menschlich entlang schlenderten.
››Was würdest du von einem neuen Kleid halten, Bella? Ich habe erst vor kurzem eines gesehen, dass dir ausgezeichnet stehen würde!‹‹
››Ich habe kein… Ich habe bisher immer… Meine ganzen Sachen sind…‹‹ Ich konnte keinen der Sätze in meiner Verlegenheit aussprechen.
Esme lachte herzlich. ››Wir haben Geld, mach dir darüber bitte keine Gedanken.‹‹
››Das kann ich nicht… Das geht nicht!‹‹
››Du würdest Esme unglücklich machen, wenn du nicht annimmst‹‹, drang Edwards Stimme zu mir vor. ››Außerdem kann ich ihr nur zustimmen, das Kleid würde dir wirklich ausgezeichnet stehen.‹‹
Ergeben nickte ich. Ich wusste, ich hatte nie eine Chance gehabt.
Sie führte mich in die Schneiderei am Ende der Straße. ››Sie haben es noch‹‹, freute sie sich und zeigte auf ein blaues Kleid im Schaufenster.
Der Laden war klein, aber exquisit. Hier ging selten eine Magd ein und aus und wenn, dann nur, um einem Auftrag ihrer Herrin zu folgen. Die ganzen Stoffe rochen teuer, jede Naht sprach von feinster Verarbeitung. Ich war verwundert, dass Esme so viel Geld für mich nur wegen eines Kleides ausgeben wollte. Ich war vollkommen zufrieden mit meinem alten, das ich noch nicht allzu lange zurückliegend von einer Wäscheleine entwendet hatte. Ich hatte mich darin gelehrt, meine Kleider so wenig, wie möglich, zu verschmutzen.
Edward, ganz der Mann, zog sich in eine entfernte Ecke des Geschäftes zurück, während Esme mit der Dame sprach, die sofort das Kleid für mich aus dem Schaufenster holte und mir bedeutete, hinter den großen Vorhang zu gehen, um mich zu entkleiden. Ich wehrte ab und meinte, ich bräuchte keine Mägde, die mir beim umziehen halfen.
Sobald ich wieder heraustrat, erschien auch Edward an Esmes Seite und betrachtete mich mit leichtem Lächeln.
››Kann ich es tragen?‹‹ fragte ich ihn schüchtern.
››Es verblasst neben deiner… Es sieht wunderschön an dir aus‹‹, antwortete er.
Die Dame nickte begeistert, aber für sie hätte ich wahrscheinlich auch in einem alten Leinensack gut ausgesehen.
››Ich denke, wir nehmen es‹‹, meinte auch Esme begeistert. ››Sind noch irgendwelche Änderungen vorzunehmen?‹‹
››Nein, es passt perfekt‹‹, erwiderte ich.
Der Gedanke, dass mir jemand der Menschen so nahe kommen würde, ließ mir das Wasser im Mund zusammen laufen.
Schnell – aber nicht zu schnell – ging ich wieder hinter den Vorhang und schlüpfte in mein altes Kleid. Von dem Verkaufsraum hörte ich die Dame mit Esme sprechen, offensichtlich kannten die beiden sich.
››Bella ist unsere Cousine aus dem Süden‹‹, teilte sie der Dame mit. ››Sie ist uns für einige Tage besuchen gekommen. Wir hoffen allerdings, dass sie noch lange bleiben wird.‹‹
››Ist sie als Braut für den jungen Herrn Edward erwählt?‹‹ fragte die neugierig.
Offensichtlich hatte Edward sich wieder zurückgezogen. Tatsächlich hörte ich von etwas weiter entfernt kichern, natürlich nicht laut genug für die Dame zu hören.
››Wie soll ich sagen…? Es wäre ein netter Zufall. Aber wir wollen die beiden zu nichts zwingen‹‹, antwortete Esme und ließ mich damit in Erstaunen zurück.
Dachte Esme das wirklich, dass wir… Edward und ich…? Oder hatte sie das nur der Dame gegenüber erwähnt, um Konversation zu machen? Verlegen biss ich auf meine Lippe, versuchte mich zu beruhigen, ehe ich hinter dem Vorhang hervortrat. Natürlich war mir nicht entgangen, was für ein übermäßig aufmerksamer Mann Edward war und wie jede andere Frau es auch getan hätte, reagierte ich darauf.
Wir liefen weit hinaus in die Natur, in die großen Reservate, die normal von keiner Menschenseele betreten wurden. Wir waren auf der Suche nach Großwild. Das wäre schmackhafter, als das des Kleinwilds im örtlichen Wald, hatte Carlisle mir mit einem Augenzwinkern mitgeteilt.
››Wir werden uns im Norden und Osten bewegen‹‹, teilte uns Esme mit, sie war bei Carlisle eingehakt.
››In Ordnung, wir sind dann eher im Süden. Wir treffen wieder aufeinander‹‹, verabschiedete sich Edward.
››Pass gut auf Bella auf‹‹, war Carlisles Abschiedsgruß.
Ich nickte den beiden zu, ehe sie sich umdrehten und davon liefen.
››Wollen wir auch gehen?‹‹ fragte Edward.
Ich nickte unsicher. Mein Körper schien sich noch nicht ganz auf das Vorhaben zu freuen, eine neue Form der Ernährung zu probieren.
››Keine Sorge, niemand wird dich verurteilen, wenn es dir nicht schmeckt und du dich lieber weiterhin dem Menschen widmest‹‹, teilte mir Edward mit leichtem Lächeln mit.
››Es war nie die Rede davon, dass ich umsteige‹‹, erinnerte ich ihn.
Aber ich wusste, dass es der Familie lieber wäre, würde ich auch auf Tier umsteigen, sollte ich mich weiter bei ihnen aufhalten. Das wäre schön. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob ich die Kraft hatte.
››Okay, dann lass uns mal los‹‹, nickte ich schließlich und rannte in die entgegengesetzte Richtung von Carlisle und Esme davon.
Edward konnte locker mit mir Schritt halten, er war ein wirklich sehr schneller Vampir.
Vor einem Felsvorsprung blieben wir schließlich beide stehen und sogen tief den Duft ein, der aus ihm heraus strömte. Eine kleine Bärenfamilie, soweit ich urteilen konnte, Mutter, Vater und zwei Kinder. Ich wollte schon eintreten, als Edward mich noch einmal aufhielt. Ein Knurren entfuhr mir, als ich mich zu ihm umdrehte.
››Bella, wir können nicht eine ganze Familie ausrotten‹‹, warnte er mich.
››Moral?‹‹ fragte ich ungläubig nach.
››Natürlich‹‹, erwiderte er selbstverständlich. ››Gleich wird einer der Elternteile herauskommen, vermutlich der Vater, weil er die Gefahr wittert. Ich lasse dir den Vortritt. Anschließend ziehen wir weiter. Wir lassen die Mutter zurück, damit sie sich weiter um die Kinder kümmern kann. Wir sind keine herzlosen Mörder, die kleinen würden alleine nicht durchkommen.‹‹
Auch wenn mein Jagdinstinkt nicht verstand, warum wir uns nicht auch an dem Jungblut erfreuten, nickte ich. Die Familie hatte ihre Regeln und da ich mit ihnen unterwegs war, musste ich mich an diese halten.
Einer der Gerüche kam näher; Edward zog sich zurück, wie er es angekündigt hatte. Der Geruch war nicht so angenehm, wie der von Menschen, aber auch nicht so abstoßend, wie der von Kleinwild.
Ich machte kurzen Prozess mit dem männlichen Bären.
››Und?‹‹ fragte Edward, als ich zurück trat.
Ich strich mir über den Mund. Fell. Ih! ››Es riecht schlimmer, als es schmeckt‹‹, gab ich aber zu.
››Hm‹‹, machte Edward.
Wir zogen weiter und suchten nach Edwards erster Nahrung. Wir trafen bald auf eine kleine Ansammlung von Pumas, Edward grinste gierig und bleckte seine Zähne. Ich blieb zurück auf einem Felsvorsprung und beobachtete, wie er sie zunächst aufwirbelte und sich dann einen aussuchte, den er etwas durch die Gegend jagte, ehe er ihn erlegte.
Breit grinsend und offensichtlich sehr zufrieden kam er zurück.
››Spielkind‹‹, kommentierte ich.
››Ein Vorteil gegenüber Menschen‹‹, bemerkte er. ››Du solltest es das nächste Mal auch versuchen.‹‹
››Mal sehen. Lass uns weiterziehen.‹‹
Tatsächlich stellte ich schnell fest, dass es wirklich Spaß machte, mit seinem Essen zu spielen, ehe man zuschlug. Es schien das Blut noch ein kleines wenig schmackhafter zu machen. Trotzdem war es noch lange nicht mit Menschen zu vergleichen. Ich kam mehr und mehr zu dem Schluss, dass es eine nette Abwechslung war, sich so zu Ernähren, aber für mich keine Lebenseinstellung wert war. Ich füllte mich am Ende, obwohl ich voll war, nicht befriedigt.
››Wollen wir zurück zum Treffpunkt?‹‹ fragte ich Edward.
››Nein…‹‹ Er schien etwas verlegen. ››Esme und Carlisle werden noch etwas länger brauchen.‹‹
Woher wusste er das? Er war zu weit entfernt, um sie zu hören, oder nicht?
››Sie sind verliebt und verheiratet‹‹, versuchte er zu erklären. ››Und sie hatten wenig Privatsphäre während der letzten Tage, als wir beide mit im Haus waren.‹‹
Langsam dämmerte es mir. ››Oh.‹‹
Mit einigen schnellen Bewegungen erklomm ich die Steilwand, vor der wir standen und setzte mich oben an den Rand, um das weite Land zu überblicken. Edward nahm neben mir Platz.
››Dann bleiben wir eben noch eine Weile hier. Es ist so schön und wir können uns problemlos in der Sonne bewegen.‹‹ Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich zurück und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Es fühlte sich so an, als könnte ich jeden einzelnen Diamanten in meiner Haut funkeln spüren.
››Ja, es ist befreiend, nicht?‹‹ Er hatte sich ebenfalls nach hinten gelehnt.
››Herrlich‹‹, seufzte ich.
Zwischen uns breitete sich eine angenehme Stille aus.
››Wirst du wieder Tier jagen?‹‹ fragte Edward irgendwann.
››Vielleicht, wenn ich deine Familie das nächste Mal besuchen komme‹‹, antwortete ich langsam. In dem Moment wusste ich, dass ich eine Entscheidung getroffen hatte. ››Aber vorerst möchte ich bei Mensch bleiben und weiterziehen.‹‹
››Du möchtest uns verlassen?‹‹ fragte Edward, Schmerz war in seiner Stimme zu hören. ››Warum?‹‹
››Ich möchte nicht länger bei euch eindringen. Und ich weiß, dass es euch lieber wäre, wenn ich eure Gewohnheiten übernehmen würde, aber das kann ich nicht. Ihr könntet mich nie voll akzeptieren, wenn ich weiter Menschen jage.‹‹
››Bella, das stimmt nicht. Wir akzeptieren dich, für uns alle bist du schon ein volles Familienmitglied, wenn du es denn auch sein möchtest.‹‹
››Nein, Edward, es ist besser, wenn ich gehe.‹‹ Für mich, fügte ich in Gedanken hinzu. Entschlossen sprang ich auf. ››Ich verspreche, dass ich euch wieder besuchen kommen werde.‹‹
Ich konnte nicht erklären, was genau meinen Entschluss festlegte, aber von einem Moment auf den anderen war ich mir sicher, dass es besser für mich wäre, würde ich gehen.
Ich traf in den folgenden Jahren auf viele verschiedene andere Vampire. Ich war ihnen gegenüber offen, mit einigen verbrachte ich ein halbes Jahr oder mehr meiner Existenz, ehe ich mich wieder von ihnen trennte, weil mir das fehlte, was ich in meiner ersten Familie bekommen hatte. Zuneigung, Verständnis, Liebe… Das alles hatte ich immer im Hinterkopf und machte es praktisch unmöglich, dass ich es schaffte, weiterzugehen.
In mir war der Drang zurückzukehren, doch noch immer war mir bewusst, dass es nicht ging. Ich war nicht stark genug, um mich von Tier zu ernähren. Mit meiner Lebensweise würde ich ihnen mehr Umstände, als Freude bereiten. Ich wusste es, war es doch der Grund gewesen, dass ich noch mitten in der Jagd geflüchtet war.
Doch war es wirklich der einzige Grund?
In meinen vielen Aufenthalten bei den verschiedensten Vampiren, stellte ich schnell fast, dass Carlisle und Esme nicht die einzigen Vampire waren, die sich für immer gefunden hatten, mit der einzigen Ausnahme, dass die beiden so viel ziviler mit ihrer Beziehung umgingen, während andere Vampire schon sehr nahe an die Schamgrenze heranreichten und auch darüber hinausgingen. Was mich diese Beobachtung lehrte? Ich war nicht nur vor der Ernährung von Tier geflüchtet, sondern auch vor Edward. Weil ich für ihn fühlte. Und weil ich nicht wusste, wie er fühlte. Weil ich Angst hatte, dass es nicht dasselbe war und ich deswegen für immer auf einen Schritt von seiner Seite warten musste.
Edward.
Alleine der nähere Gedanke an ihn – denn er war immer irgendwo in meinen Gedanken – machte mich glücklich. Ließ mich lächeln. Und doch traurig sein, weil ich ihn vielleicht nie wiedersehen würde. Ich mochte ihm versprochen haben, dass ich die Familie besuchen kommen würde, doch wusste ich nicht, ob ich stark genug war, mich ihm tatsächlich gegenüber zu stellen.
Um mich der Familie aber näher zu fühlen, begann ich immer öfter Jagd auf Tier zu machen. Mehr und mehr gewöhnte ich mich an den Geschmack, auch wenn ich oft lieber auf Mensch zurückgriff und war irgendwann an einem Punkt, an dem ich sagte, ich konnte es. Ich könnte es.
Das Problem war, dass ich ein Vampir war, von meinen Instinkten gelenkt. Jahre später, in einer Zeit, die ich alleine reiste, lag plötzlich sein Geruch in der Luft. Der Wind brachte ihn mir, folglich konnte nur ich ihn wahrnehmen, er mich aber nicht. Der Instinkt übernahm die Kontrolle über meinen Körper und jagte mich in eben diese Richtung, in der er sein musste. Es musste sein Jagdgebiet sein, unweit von Rochester. Bald nahm ich einen zweiten Geruch wahr, den ich schnell als den von Carlisle ausmachte. Glück durchflutete mich. Meine Familie.
Carlisle entdeckte mich als erster, sobald er mich gesehen hatte, wandte sich Edward ebenfalls um. Er hatte es sicher aus Carlisles Gedanken entnommen. Edward lächelte, als könnte er nicht glauben, was er sah, kam einen Schritt auf mich zu. Ich machte es ihm nach, ehe ich einfach in seine Arme sprang und das tat, was ich schon bei so vielen Paaren zuvor gesehen hatte. Ich küsste ihn, ohne darüber nachzudenken.
„Mach das nochmal“, flüsterte er, als ich mich wieder von ihm gelöst hatte.
Mein Bauch schlug einen Purzelbaum. Er hatte es gemocht!
Edward löste eine Hand von meinem Rücken und legte sie in meinen Nacken, um meine Lippen wieder zu seinen zu führen, die andere presste mich dicht an ihn heran. Ich legte meine Beine um seine Hüfte. Es war egal, dass mein Kleid dabei fast bis zu meinen Knien nach oben rutschte. Ich hatte die ganze Welt um mich vergessen. Ich war wieder bei meinem Vampir!
„Du hast fast goldene Augen“, stellte er schließlich fest, als wir uns nach langer Zeit wieder voneinander gelöst hatten.
Ich lächelte sanft. „Ja, so unglaublich es am Anfang auch geklungen hat, aber man kann sich tatsächlich daran gewöhnen.“
„Das ist schön.“ Edward ließ mich sanft auf den Boden zurück gleiten, löste seine Hände jedoch nicht von mir. „Wie lange bleibst du?“
„Ich hatte gar nicht vor zu kommen“, gab ich ehrlich zu. Ich beobachtete, wie seine Gesichtszüge zu enttäuscht wandelten. „Aber jetzt weiß ich nicht, ob ich wieder gehen kann“, fügte ich schnell hinzu.
Könnte ich? Nach dem, was eben zwischen uns passiert war? Nachdem ihm gefallen hatte, was ich getan hatte? Nachdem, wie er mich gehalten hatte?
Er lehnte seine Stirn an meine. „Dann bleib“, forderte er. „Bleib bei uns. Esme würde sich wirklich sehr freuen. Sie hat dich sehr vermisst und es sehr schade gefunden, dass du gegangen bist.“
Ich schloss meine Augen und presste meine Stirn fester gegen seine. „Ich möchte nicht für Esme bleiben.“
Edward legte seine rechte Hand an meine Wange. „Dann bleib wegen mir. Für mich“, flüsterte er. „Bleib bei mir.“
„Das würde ich wirklich sehr gerne.“
Dieses Mal küsste er mich. Mit allem, was er hatte, wie mir schien. Es dauerte nicht lange, bis sein Mund sich leicht öffnete und seine Zunge über meine Lippen fahren ließ. Er bescherte mir andere Gefühle, neue Gefühle. Wunderschöne Gefühle.
Erst in diesem Moment, als sein Körper sich noch dichter an meinen drängte, kam wieder ein Funke von dem in meine Gedanken zurück, was um uns herum passierte und auch, dass ich Carlisle unweit von Edward hatte stehen sehen.
Blitzschnell löste ich mich von Edward und schaute mich betreten um. Doch niemand war da.
„Er ist schon lange gegangen, er wollte uns in unserer Wiedersehensfreude nicht stören, wie er es sich in seinen Gedanken zusammengereimt hat. Er wird uns etwa eine Meile von unserem Wohnsitz treffen, damit wir gemeinsam zurück können.“ Seine Arme schlangen sich um meine Taille, seine Gesicht nahe meinem Nacken. Es fühlte sich so gut an. „Er wird uns erst in einigen Stunden erwarten.“
Ich ließ mich von Edward führen. Zurück in den Wald rannten wir ein Stück durch ihn und endeten schließlich an einem kleinen Waldsee. „Was hast du die letzten Jahre gemacht?“ wollte er wissen, sobald wir uns an einem etwas größeren Stein nahe dem Wasser ein kleines Lager aufgeschlagen hatten.
Ich erzählte es ihm und fragte nach ihm, Esme und Carlisle.
„Wir sind nicht mehr lange an diesem Ort geblieben, an dem wir uns getroffen haben“, erzählte Edward. „Einige Zeit sind wir herumgezogen. Doch schon bald hatte Carlisle wieder das Bedürfnis zu helfen, er wollte wieder in einem Krankenhaus arbeiten und Menschenleben retten. Also haben wir vor einigen Jahren beschlossen, uns hier in Rochester niederzulassen. Wir werden bald weiter ziehen, war waren schon zu lange hier, allerdings müssen wir noch etwas warten.“
„Warum?“
Edward schaute etwas unsicher zu mir und blickte dann weiter hinaus auf den See. „Wir sind nicht mehr nur Esme, Carlisle und Edward“, begann er. „Wir sind vor kurzem um ein Familienmitglied reicher geworden. Er hat sie auf der Straße gefunden, sie war kurz davor zu sterben.“
„Sie?“ fragte ich nach. Ein ungewohntes Gefühl machte sich in meinem Bauch breit.
„Ja. Ein Mädchen. Rosalie Hale. Er hat sie gebissen und zu uns gebracht, in der Hoffnung, dass sie vielleicht meine... nun ja, Schmerzen, heilen könnte.“
„Welche Schmerzen?“ Alleine durch die Erwähnung dieser waren meine Gedanken von dem Mädchen abgelenkt.
„Ich möchte... Ich möchte nicht... Es ist so... so schwer zu...“
„Welche Schmerzen?“ fragte ich ein weiteres Mal nach.
„Die, die du hinterlassen hast, als du gegangen bist“, erklärte er schnell.
„Oh“, bemerkte ich und schaute schnell in die entgegengesetzte Richtung. Ich hatte Schmerzen bei ihm hinterlassen, als ich gegangen war? Ich dachte, es wäre für das beste für alle gewesen?
„Aber sie konnte nicht... niemand könnte dich jemals für mich ersetzen...“
Ich nahm meinen Mut zusammen und wandte mich wieder zu ihm um. Ich konnte nicht anders. Ich küsste ihn wieder.
Wir trafen Carlisle unter einer großen, alten Fichte direkt an Waldrand zu einer größeren Ackerlandschaft. Mit fröhlichem Lächeln blickte er uns entgegen.
„Bella“, sagte er und schloss mich väterlich in seine Arme. „Es ist so schön, dich wieder zu sehen. Ich hoffe, dass du dieses Mal länger bleibst.“
Noch bevor er mich wieder ganz losgelassen und zurück in Edwards Arme geschoben hatte, blickte er diesem kurz, aber intensiv in die Augen. Edward nickte zweimal.
„Dann lasst uns nach Hause gehen.“
Wir wanderten die Straße in normalem Menschentempo entlang.
„Esme wird sich freuen, dass wir mit dir zurückkehren“, meinte Carlisle oberflächlich fröhlich, doch schien er etwas angespannt.
„Ich freue mich auch schon sehr, sie wiederzusehen“, antwortete ich ehrlich.
Ob ich mich darauf freute, diese Rosalie zu treffen – und ich war mir sicher, dass Carlisles Verspannung von ihr herrührte – darüber war ich mir noch nicht sicher. Edward hatte gesagt, dass sie für ihn gedacht war, aber er hatte mir versichert, dass er kein Interesse an ihr hegte – sondern an mir. Dennoch wusste ich nicht, wie sie darüber dachte. Mit keinem Wort hatte er erwähnt, ob sie in ihm sah, was ich in ihm sah. Ich könnte es ihr nicht verübeln, ich wusste, er war ein toller Mann.
„Wie alt ist Rosalie genau?“ fragte ich, bevor ich meinen Mund stoppen konnte.
Carlisle seufzte schwer. „Noch keine zwei Wochen. Sie hat unser Prinzip verstanden und ist damit einverstanden nach unserem Weg zu leben. Allerdings ist sie voller Rachegedanken. Sie will den Männern, die ihr Unrecht getan haben, ihre neue Kraft zeigen. Wir tun uns manchmal etwas schwer, sie unter Kontrolle zu halten“, gab er zu. „Nur mit Esme können wir sie wirklich alleine lassen, bei Edward oder mir würde sie... durchdrehen. Du musst vielleicht ein wenig nachsichtig mit ihr sein, wenn du auf sie triffst. Wäre das in Ordnung, wenn ich dich darum bitte?“
„Natürlich“, antwortete ich sofort. Ich würde alles tun, um in dieser Familie bleiben zu dürfen. Nach den wenigen Stunden, die ich mit Edward an dem Waldsee verbracht hatte, war mir endgültig klar geworden, dass ich ihn nicht mehr gehen lassen würde. Sie alle. Ich konnte nicht mehr ohne sie. Ich wollte nicht mehr. Ich brauchte sie. Vor allem ihn.
In unserem Tempo erreichten wir das große Haus am Rand eines weiteren Waldes, etwas abgeschieden, innerhalb der nächsten halben Stunde.
Etwas nervös drängte ich mich näher an Edwards Seite, der bereitwillig seinen Arm um mich legte und noch ein Stück näher an sich zog.
„Esme, wir sind wieder da“, rief Carlisle, sobald er durch die Eingangstür getreten war. „Und wir haben jemanden mitgebracht.“
Esme erschien innerhalb der nächsten Sekunde vor uns. Ich war mir sicher, dass sie mich schon gerochen hatte, als wir uns dem Haus genähert hatten.
„Bella!“ rief sie und zog mich direkt von Edwards in ihre Arme. „Es ist so unendlich schön, dich wieder zu sehen. Wie sehr ich gehofft hatte, dass du uns bald besuchen kommen würdest und jetzt bist du endlich da. Bitte sag mir, dass du dieses Mal länger bleiben wirst?!“ Sie blickte etwas verunsichert von mir zu Edward, der sie breit angrinste.
Ich lächelte glücklich. „Ich werde bleiben. Für lange“, versprach ich.
„Sehr, sehr lange“, bestärkte Edward und zog mich zurück in seine Arme.
Esme betrachtete dieses Geste und schloss mich – und damit auch Edward – sofort wieder in eine Umarmung. „Ich bin so glücklich!“ Dann aber wurde sie ernst und wandte sich an Carlisle. „Rosalie“, sagte sie leise.
Carlisle nickte.
Zum Zeichen, dass ich Bescheid wusste?
Und erst jetzt nahm ich den weiteren Vampirgeruch wahr, der im Haus hing. Er schien noch süßer, als alle, die ich bisher gerochen hatte. Süßer als Edwards, aber nicht besser. Nicht unangenehm, aber unangenehmer.
„Sie ist unten. Sie hatte einen Wutanfall.“
„Bist du okay?“ Carlisle beschaute seine Frau von oben bis unten, stellte aber schnell fest, dass es ihr an keinem Körperteil zu fehlen schien. „Wie geht es ihr?“
„Jetzt besser. Trotzdem denke ich, dass wir umziehen sollten. Sie muss weg von hier, es tut ihr nicht gut, so nahe an dem... an dem Ort zu sein, an dem alles geschehen ist. Wir sollten gehen. Für sie.“ Bittend schaute sie von Carlisle zu Edward und schließlich zu mir, als wollte sie auch mich fragen.
„Edward?“ Auch Carlisle schaute jetzt zu ihm.
„Ich gebe Esme recht“, sagte er. „Für sie wird es auf jeden Fall das beste sein, einige Zeit Abwechslung zu bekommen. Zumindest bis sie aus dem ersten Jahr ist und klarer denken kann.“
„Ja, es wird besser sein. Wir werden umziehen“, setzte Carlisle fest.
Esme wandte sich zu Edward und mir. „Werdet ihr mitkommen?“ fragte sie vorsichtig.
Ich war überrascht über diese Frage, die für mich überhaupt keine war. Gehörte Edward nicht genauso zu dieser Familie, wie ich zu Edward gehörte? War es nicht selbstverständlich, dass wir uns ihnen anschließen würden?
Ich richtete meinen Blick auf Edward, der noch an seiner Antwort zu arbeiten schien.
„Wer ist das?“ hörte ich da eine fremde Stimme vom anderen Ende des Raumes.
Was ich erblickte, war die schönste Frau, die ich jemals gesehen hatte. Sie war... perfekt. Wunderschöne, ebenmäßige Züge im Gesicht, eine enge Taille, angenehmer Ausschnitt und unendlich lange, blonde Haare, die ihr in großen Locken über die Schultern fielen. Das einzige, was an dem Bild störte, war der missbilligende Strich ihrer Lippen und die blutroten Augen.
Sollte das Rosalie sein?
Unsicher blickte ich zu der Schönheit, die mich ebenfalls mit ihrem Blick fixiert hatte.
„Rosalie“, meinte Carlisle in einem Ton, der erraten ließ, dass er diese Konfrontation gerne noch etwas hinausgezögert hätte. „Das ist Bella, wir haben sie vor vielen Jahren kennen gelernt und sie hat sich entschieden, sich uns anzuschließen. Bella, das ist Rosalie, unser... nun, zweineustes Familienmitglied.“ Er machte eine kurze Pause, als wollte er uns die Möglichkeit geben zu sprechen. Wir schwiegen. „Rosalie, wir haben uns soeben entschlossen, dass wir gerne eine neue Residenz suchen würden, es fehlt nur noch deine Stimme-“
„Nein!“ sagte sie sofort, schroff.
„Rosalie, Liebes, wir halten es in den gegebenen Umständen wirklich für das beste“, versucht Esme sie zu besänftigen. „Wir werden in den Norden gehen, da finden sich einige wunderbare Jagdgebiete, gefüllt mit dem besten, was unsere Nahrungswelt zu bieten hat. Viel besser, als hier, wo wir immer darauf achten müssen, wohin wir gehen. Es wird dir gefallen.“
„Ich möchte nicht weg von hier. Ich möchte... ich möchte...“ Ein Knurren ihrerseits unterbrach, was auch immer sie hatte sagen wollen.
Edward schob mich genau in diesem Moment hinter seinen Rücken, als wollte mich beschützen.
„Rosalie“, meinte Edward besänftigend. „Tief in dir weißt du, dass-“
„Hör auf!“ schrie sie. „Du weißt überhaupt nicht, was in mir vorgeht, also hör auf damit!“
Im nächsten Moment war Rosalie durch die Wand nach draußen gestürmt. Carlisle wollte ihr folgen, doch Edward hielt sie schnell auf. „Lass sie. Sie plant nichts. Sie sucht nur das Weite. Ich würde sogar behaupten, dass sie sehr bald wieder kommt.“
Carlisle nickte und zog sich zurück, gefolgt von Esme.
„Wollen wir spazieren gehen?“ fragte Edward.
Ich nickte und folgte ihm nach draußen. Wir gingen in die entgegengesetzte Richtung von Rosalies Spur.
„Was genau ist mit Rosalie?“ fragte ich vorsichtig, als wir einige Minuten gelaufen waren. „Was hat man ihr angetan, dass sie am sterben war und nun derart verbittert ist?“
„Es ist... kompliziert“, begann Edward langsam. „Es ist sehr persönlich und ich möchte dir nicht hinter ihrem Rücken etwas erzählen. Sie kennt dich nicht, ich denke, es wäre ihr nicht recht. Allerdings ist sie auch nicht in einem Zustand, in dem sie leicht vertrauen zu anderen fast... Ich kann dir nur so viel sagen: Sie hatte nicht den Schutz, den du damals hattest, als du mit James und Laurent konfrontiert warst. Und sie wurde danach direkt in ein Leben geworfen, dass allen ihren Vorstellungen von Zukunft widersprach. Der erste Punkt macht sie wütend, aber es ist der zweite, aus dem sie so verbittert ist.“
„Die Arme“, ich wusste nicht, was aus mir geworden wäre, hätte meine Gabe mich nicht vor James und Laurent beschützt. Ich wusste auch nicht, was geworden wäre, wenn Edward damals nicht eingesprungen wäre, immerhin wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nichts über meine Fähigkeit. Und sie hatte niemanden und nichts gehabt, das sie vor ihrem Schicksal bewahrt hat. Sie war stattdessen im ewigen Leben erwacht. „Was will sie tun, wenn sie zurück zu den Schändern ist?“
„Ihre Ideen schwanken jeden Tag, aber sie sind jedes Mal sehr grausam. Das ist der Grund, aus dem wir sie noch nicht gehen lassen können. Wir verstehen alle, dass sie Rache will und wir würden sie auch gehen lassen, aber derzeit ist sie noch zu jung um mit dieser Situation fertig zu werden. Ihre Pläne enthalten noch zu viel Blut. Sie will es nicht trinken, aber wenn sie in der Situation steckt, wird sie kaum widerstehen können.“
„Ich finde es schon erstaunlich, dass sie es nicht trinken will, mit zwei Wochen... Wenn ich da an meinen ersten Winter denke, ich hätte niemals auch nur widerstehen wollen.“
„Bei dir war es anders. Du warst alleine. Wir haben gleich nach dem Aufwachen eine Predigt über Gut und Böse von Carlisle bekommen und in der kann er sehr, wirklich sehr überzeugend sein. Ich habe sie mir schon dreimal angehört. Ich weiß, ich bin trotzdem einmal aus seinem System ausgebrochen, aber ich konnte nie vergessen, was er gesagt hat und wie du weißt, bin ich auch wieder zu seiner Seite zurückgekehrt. Rosalie, so wenig sie dieses Leben auch jemals für sich wollte und nun mit sich zu kämpfen hat, war ein guter Mensch und ist jetzt ein guter Vampir. Etwas dickköpfig, ja, aber das hilft ihr. Sie hat sich die Rache in den Kopf gesetzt, aber auch dass sie in dieser Familie bleiben will und ist bereit, dafür allen Voraussetzungen gerecht zu werden.“
„Das, was ich nicht sofort geschafft habe...“ flüsterte ich leise.
„Aber du hast auch sehr viele Jahre auf die andere Weise gelebt, bevor du zu uns gekommen bist. Rosalie ist damit aufgewacht.“ Edward drückte meine Hand aufmunternd. „Und alles was zählt, ist dass du jetzt bei mir bist.“
„Wird Rosalie weggehen, ohne ihre Rache bekommen zu haben?“ wechselte ich das Thema wieder zurück zu dem ursprünglichen.
„Wir werden die nächste Woche abwarten müssen. Bella, ist es für dich in Ordnung, dass wir schon bald umziehen werden?“
„Ja, natürlich. Ich war bis vor wenigen Stunden noch eine Wilde, ich habe nirgendwo anders, wo ich sein sollte. Ob wir nun hier leben, oder in Kanada ist mir gleich, solange wir nur zusammen sein können.“
Edward blieb abrupt stehen, drehte mich zu sich und presste unsere Körper aneinander. „Ich bin so froh, dass du gekommen bist“, hauchte er in meinen Nacken. „Auch wenn du es nicht geplant hattest, auch wenn es Zufall war, ich bin so froh, dass du jetzt bei mir bist.“
Es gab nichts, dass ich hätte antworten können, dass meine Gefühle auch nur annähernd hätte beschreiben können. Ich war einfach nur froh, endlich an meinem Ziel nach dieser langen Reise angekommen zu sein.
Bis wir wieder zurück kamen, war auch Rosalie wieder an dem Haus angekommen. Wir setzten uns alle zusammen und Carlisle erzählte uns von seinen weiteren Überlegungen für die Zukunft der Familie – von der ich ein Teil war, wie ich mich immer wieder erinnern musste.
Es wurde beschlossen, dass Edward und ich in den Norden fuhren, dass wir uns nach einem Haus für uns umschauen konnten, in einem Gebiet, in dem das Wildleben groß war und die Anzahl von Menschen auf Null minimiert. Rosalie war davon nicht begeistert, ließ sich aber damit beruhigen, dass wir zurückkehren würden.
Edward und ich verloren keine Minute seine wichtigsten Dinge einzupacken und uns anschließend auf den Weg zu machen.
Die Jahre vergingen schnell in meiner Familie, viel schneller, als wenn man als Nomadin lebt. Edward und ich heirateten sehr bald nach unserer endgültigen Vereinigung und lebten unser Eheglück in einer langen Reise aus, von der wir nur alle paar Monate mal bei Carlisle, Esme, Rosalie und deren Partner Emmett vorbeischauten. Als wir uns letztendlich aber dazu durchringen konnten, der Familie wieder ganz beizutreten und in den Nordwesten der USA reisten, erlebten wir eine Überraschung.
Wir näherten uns dem Haus unserer Familie, als ich plötzlich einen Geruch wahrnahm, den ich schon sehr lange nicht mehr gerochen hatte. Genauer, seit dem Tag meines Erwachens.
„Edward“, hisste ich und blieb stehen, hinderte ihn daran, dass er auch nur einen Schritt weiter ging.
„Ja“, kicherte Edward. „Es scheint, als hätten nicht nur wir eine Überraschung mit unserer Rückkehr.“
Er wollte weitergehen, aber ich hielt ihn mit meiner ganzen Kraft zurück, ging sogar gleichzeitig einige Schritte rückwärts.
„Was ist?“ wollte Edward verwirrt wissen. „Es scheint, als hätte wir Familienzuwachs bekommen, ich möchte sie kennen lernen.“
„Ich nicht“, hisste ich wieder. „Sie sind gefährlich. Wir können ihnen nicht trauen. Wir müssen den anderen helfen dort heraus zu kommen.“
Edward schaute mich entgeistert an. „Wie kommst du denn darauf? Ich höre ihre Gedanken, dort ist alles friedlich. Die neuen scheinen sich wohl zu fühlen und unsere Familie scheint sie wirklich sehr gerne zu haben. Warum denkst du, dass sie gefährlich sind?“
„Ich kenne den Geruch des Mannes“, erklärte ich leise, mit gesenktem Kopf.
Sein Gesicht versteinerte sich. „Woher?“ forderte Edward zu wissen. „Aber niemand kann dich anfassen, wenn du es nicht willst... Wolltest du es?“
„Als ich noch ein Mensch war, konnte ich das noch nicht verhindern“, flüsterte ich.
„Ich verstehe nicht“, gab Edward frustriert zu. Ich wusste, dass er sich einmal mehr wünschte, in meine Gedanken sehen zu können.
„Er ist einer derjenigen, die mich verwandelt haben. Einer aus dem Lager. Einer von denen, die mich gejagt haben und wieder einfangen wollten.“
„Oh.“ Mehr sagte Edward nicht. Stattdessen zog er mich ins eine Arme.
„Was denkst du, will er hier? Er wird mich nicht nach all den Jahren gefunden haben und holen wollen?“
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Wir waren schon so lange nicht mehr bei unserer Familie. Und es hört sich ganz so an, als wollten beide neue Vampire ein Teil von uns werden. Ich verstehe es nicht.“ Er schob mich sanft von sich und blickte mir fest in die Augen. „Wir werden hineingehen müssen und es herausfinden. Es gibt keinen anderen Weg. Wenn wir Glück haben, wissen sie nicht, dass ich Gedanken lesen kann und dann kann ich herausfinden, was ihr Plan ist. Und selbst wenn, wird es ihnen schwer fallen, ihre Gedanken zu kontrollieren.“ Er zog mich wieder zu sich und vergrub seinen Kopf in meinem Nacken. „Bella, ich möchte, dass du hier draußen auf mich wartest. Egal, was passiert, du bewegst dich nicht von der Stelle, bis ich wieder bei dir bin. Bitte! Er wird deinen Geruch an mir erkennen und das wird schlimm genug, aber das wird ihn auch verraten. Ich kann dich nicht in diese Gefahr bringen. Bitte versprich mir, dass du hier auf mich warten wirst.“
Ich atmete tief ein und schüttelte schließlich meinen Kopf. „Ich kann nicht“, erklärte ich ihm. „Ich kann nicht hier bleiben, unwissend was da drinnen passiert. Ich werde mit dir kommen. Ich verspreche dir, dass ich im Hintergrund bleibe und alles tue, was du willst. Aber bitte, lass mich nicht hier draußen stehen. Es geht hier auch um unsere Familie!“
„In Ordnung“, sagte Edward nach einer langen Weile. „Aber du tust alles, was ich sage.“
„Versprochen.“
Wir versuchten uns dem Haus so selbstverständlich, wie möglich, zu nähern. Als hätte es den Zwischenfall des Wiedererkennens eben nicht gegeben.
Unverfangen betraten wir das Haus und riefen sofort: „Wir sind wieder da!“
Esme war als erstes zu sehen. Sie prallte in uns und hielt uns fest in ihren Armen. „Bella! Edward! Ihr seid wieder da! Ihr habt euch gar nicht angekündigt! Wie lange bleibt ihr? Ich bin so glücklich!“
„Wir werden bleiben“, teilte ich ihr mit.
„Ihr wollt bleiben? Endlich! Ich dachte schon, das würde nie mehr passieren.“ Sie trat einen Schritt von uns weg und gab den Blick auf den Rest der Familie frei, plus der beiden neuen Mitglieder. „Wir haben euch so viel zu erzählen-“
In dem Moment knurrte Edward auf und zog mich hinter sich. Fixiert hatte er, genau wie ich, den männlichen Vampir. Ich hatte ihn sofort wiedererkannt. Er war derjenige, der mich vor all den Jahren als Mensch eingefangen hatte und er war einer der Gerüche, die mich auf meiner Flucht aus dem Lager verfolgt hatten.
„Edward!“ riefen Carlisle und Esme entsetzt aus.
Aber dies war einer der seltenen Fälle, in denen er nicht auf die Mahnung der beiden reagierte.
„Ich weiß nicht, was du hier willst“, knurrte er den blonden Vampir an. „Aber du wirst sie nicht zurückbekommen! Niemals!“
„Das will ich auch gar nicht“, sagte er blonde Vampir beruhigend. Sein Gesichtsausdruck änderte sich und Edward nickte schließlich.
„Oh“, sagte mein Mann in die Stille. Dann blickte er kurz zu dem Mädchen, das am Arm des fremden Vampirs hing. „Verstehe. Aber ich werde mein Verhalten nicht entschuldigen.“
„Das verstehe ich.“ Der blonde Vampir kam einen Schritt auf uns zu.
Ich versteckte mich ganz hinter Edward. Ich war mir noch nicht sicher, was ich von der Situation halten sollte. Offensichtlich war Edward auf eine Übereinkunft mit ihm gekommen, aber für mich war er immer noch derjenige, der mir dies alles angetan hatte.
„Mein Name ist Jasper Whitlock. Es tut mir sehr Leid, was ich damals getan habe, Bella. Ich habe mich geändert, Dank der Hilfe meiner Frau Alice. Wir würden uns beide sehr freuen, wenn wir dieses Kapitel in unseren Leben hinter uns lassen könnten. Aber wir würden es auch verstehen, wenn ihr beiden euch dagegen entscheidet, dass wir teil eurer Familie werden und wir werden gehen.“
„Er meint es“, sagte Edward, laut genug für alle zu verstehen, aber an mich gerichtet.
Ich trat hinter Edward hervor und betrachtete die beiden neuen genauer. Edward drückte ermutigend meine Hand und schließlich nickte ich. „Wir werden euch nicht daran hindern teil dieser Familie zu sein.“
„Dankeschön!“ trällerte das Mädchen mit glockenheller Stimme und sprang nach vorne auf mich zu. „Ich habe mich schon so sehr darauf gefreut, dich endlich kennen zu lernen. Die anderen haben mir schon so viel von dir erzählt, aber das hat mir nicht gereicht. Es ist so frustrierend, jemanden nicht sehen zu können.“
„Frag mich mal!“ raunte Edward mit scherzhaft genervter Stimme. „Alice hat Vision. Sie sieht die Zukunft“, erklärte Edward mir.
Carlisle trat hervor. „Da das Problem jetzt offensichtlich geklärt ist, dürfen wir auch dran teilhaben?“
„Das hier wächst auf meine Kappe“, sagte Jasper sofort. „Ich hatte euch ja bereits von meiner Vergangenheit erzählt. Ich muss leider zugeben, dass Bella eines meiner damaligen Opfer war. Ich habe sie zu Maria und Peter gebracht und auch verwandelt.“ Damit wandte er sich an mich. „Bella, wie ich Edward bereits mitgeteilt habe, habe ich mich schon vor einigen Jahren von der Gruppe getrennt und glücklicherweise hat mich Alice bald gefunden. Sie hat mir von eurer Familie und eurem Lebensweg erzählt und wir haben beschlossen, hier gemeinsam einen Neustart zu beginnen.“
Ich nickte nur, nicht sicher, was ich zu alle dem sagen sollte.
„Wir werden die beste Familie aller Zeit werden“, trällerte Alice in diesem Augenblick und brachte uns damit alle zum Lachen.
Tag der Veröffentlichung: 24.11.2010
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