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Die Beisetzung

Die Feierhalle auf dem Dorffriedhof füllte sich langsam. Die vordersten Reihen waren für die Familie reserviert . In der ersten Reihe saß ein alter Mann mit seiner Frau im gleichen Alter und ein Junge, der etwas 17 Jahre war.  Hinter der Familien saßen nur noch wenige Personen, welche meist im Alter des alten Ehepaares in der ersten Reihe waren. Auf den Reihe dahinter saßen kaum noch Trauergäste.

 

Kurz bevor die Orgel anfing zu spielen, setzte sich ein junges Mädchen im Alter des Jungen in die 2. Reihe in der Feierhalle.

„Die ersten Reihen sind nur für die Familie reserviert. Bitte setze Dich hinter sie Absperrung“, flüsterte eine alte Frau dem Mädchen zu. Diese reagierte nicht, sie weinte und schluchzte. Ihre Tränen konnte das Mädchen kaum halten und ihr Taschentuch war ganz nass. Bevor die alte Frau noch einmal etwas sagen konnte, setzte die Orgel ein und ein Redner trat an sein Pult.

 

Nachdem das Orgelspiel geendet hatte, begann er mit seiner Rede:

 

„Liebe Familie  Snitker, Liebe Familie Eckdahl. Wir sind heute hier zusammen gekommen, um von Frau Selma Hedwig Snitker geborene Eckdahl Abschied zu nehmen. Sie war eine starke Frau, die vom Schicksal schwer geschlagen wurde."

 

„Als einzige Tochter von Wilhelm Eckdahl und seiner Frau Hermine wurde sie am 12. Januar 1922 in Breslau (Niederschlesien) geboren. Sie wuchs gut behütet in einem liebevollen Elternhaus auf……… 1941 lernte sie ihren späteren Ehemann Paul Snitker kennen, den sie am 11. Juni 1943 heiratet. Kurz vor seiner Einberufung gebar sie am 16. April 1944 die Zwillinge Elisabeth Helene und Heinz Wilhelm. Am 30. August 1944 fiel ihr Mann Paul bei den Kämpfen in Russland. Sie war nun allein für ihre beiden Kinder verantwortlich. Ihre Mutter, ihr Vater war ebenfalls an der Front, unterstützte sie so gut es ging. Im Januar 1945 musste sie mit ihren Kindern und ihrer Mutter ihre Heimat verlassen und vor den herannahenden russischen Truppen fliehen. Sie verlor ihr Elternhaus, Ihre Eltern den Hof und das eigene Ackerland. Aber das Schicksal schlug noch ein weiteres Mal zu. Bei einem Fliegerangriff im Februar 1945 wurde sie von ihrer Tochter und ihrer Mutter getrennt. Bis zum Herbst 1947 glaubte sie, dass ihre Tochter Elisabeth bei ihrer Mutter lebte. Bei ihrem Wiedersehen mit Ihrer Mutter erfuhr Selma Helena Snitker, dass auch ihre Mutter Hermine Eckdahl von ihrer Enkelin bei dem Angriff getrennt wurde. Ihr Vater Wilhelm Eckdahl kehrte 1948 aus russischer Gefangenschaft zurück nach Deutschland. Bis zu ihrem Tod am 22. Oktober 1961 hatte Selma vergeblich nach ihrer verlorenen Tochter gesucht.“

 

Der Redner gab, nach einem kurzen Gebet, ein Zeichen und die Orgel begann erneut zu spielen. Nach kurzer Zeit trat der Redner an die Urne heran, verbeugte sich und nahm die Urne von dem Sockel und trug sie langsam aus der Feierhalle.

 

Zuerst folgten die engsten Angehörigen dem Redner. Das Mädchen, was immer noch weinte, hatte sich erst nach der zweiten Reihe den trauernden Menschen angeschlossen. Vor der Halle wartete ein junger Mann auf sie und nahm sie in den Arm. Erst am Schluss folgten der junge Mann und das Mädchen dem Trauerzug. Es war ein langer Weg über den Friedhof bis zur Grabstelle. 

 

Als sich alle Trauergäste um die Grabstelle versammelt haben, begann der Redner erneut zu reden: „Selma Helene Snitker, wir übergeben dich nun der geweihten Erde. Vom Staub bist du genommen. Zum Staub kehrst du nun zurück. Erde zu Erde, Asche zu Asche und Staub zu Staub.“

Vorsichtig setzte der Redner die Urne in die Grabstelle ein und trat nach einer kurzen Verbeugung zur Seite.

 

Nachdem zuerst der Junge und das alte Ehepaar an das Grab getreten waren, folgten alle anderen Trauergäste. Zum Schluss trat das Mädchen an die Grabstelle. Sie weinte immer noch bitterlich, warf eine rote Rose in das Grab und drei Hände Sand. Weinend sank sie auf die Knie und konnte sich nicht beruhigen. Ihr Begleiter hob sie auf und führte sie zur Seite.

Der Junge trat auf sie zu und fragte: „Warum weinst du um meine Mutter? Ich kenne dich nicht und habe dich noch nie gesehen?“

Das Mädchen zeigte nur mit einer Hand auf ihren Begleiter. Er legte ein Blumengesteck auf die Grabstelle und richtete die Schleife aus. Auf dem weißen Band war in goldenen Buchstaben zu lesen:

 

 

„Ich werde dich nie vergessen.

Deine verlorene Tochter Elisabeth.“

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Madlen Ludwig, I.C. Körner, Thomas Berlin
Bildmaterialien: Pixabay, Madlen Ludwig
Cover: www.canva.com, Madlen Ludwig, Thomas Berlin
Tag der Veröffentlichung: 22.09.2020

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