„So meine Süßen! Jetzt ist Feierabend und es geht ins Wochenende“, rief ich durch das Büro, griff nach meiner Handtasche und verließ das Büro. Mit meinem Auto fuhr ich vom Betriebsgelände meines Arbeitgebers.
Seit vier Jahren arbeitete ich in der Marketing-Abteilung einer großen Lebensmittelkette in Deutschland.
Nachdem ich aus Frankfurt am Main geflohen war, lebte ich in Schönberg bei Kiel. Ich hatte eine kleine Wohnung in der Nähe des Ostseestrandes und meinen gut bezahlten Job in Kiel. Meinen Vor- und Zunahmen musste ich ändern und es war schwer, ein neues Leben zu beginnen. Von meinen Freunden musste ich mich trennen und durfte keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen. Verwandtschaft hatte ich keine, da ich in einem Kinderheim aufgewachsen war.
Nach der Schule hatte ich eine Ausbildung zur Kauffrau im Marketing abgeschlossen, als sie damals Mehmet kennenlernte. Für mich war er die große Liebe ihres Lebens. Er sah es anders. Für Mehmet war ich nur eine Ware, mit der er viel Geld verdienen wollte. Ich musste für ihn auf den Strichgehen. Sechs Jahre ging ich auf dem Straßenstrich in Frankfurt am Main und Mehmet stieg in der Hierarchie der Unterweltgrößen bis nach ganz oben. Er war nicht nur ein großer Zuhälter, sondern war im Drogenhandel und der Schutzgelderpressung sehr erfolgreich. Jahrelang versuchte die Polizei ihn zu fassen, aber ohne Erfolg. An einem trüben Herbsttag wurden Mehmet und einiger seiner Gefolgsleute im Zentrum von Frankfurt am Main erschossen. Vier Täter stürmten in ein bekanntes Restaurant, wo Mehmet zu einem Geschäftsessen war, und eröffneten sofort mit ihren Uzis das Feuer und warfen Handgranaten. Es gab keine Überlebenden im Gastraum.
Nach Mehmets Tod tobten schwere Revierkämpfe der einzelnen Banden. Ich nutzte das Durcheinander und flüchtete aus Frankfurt am Main. Mit Hilfe der Polizei und dem Verein Hydra konnte ich mir ein neues Leben aufbauen.
Auf dem Heimweg musste ich noch für das Wochenende einkaufen und hielt auf dem Parkplatz eines Großmarktes an. Ich wäre schnell mit dem Einkauf fertig gewesen, aber die Kassen waren heute sehr voll. Lange Warteschlangen hatten sich gebildet und die Menschen schienen wieder riesige Mengen einzukaufen. Am Auto angekommen packte ich alles in den Kofferraum und setzte meinen Heimweg fort.
Mit dem Fahrstuhl fuhr ich von der Tiefgarage zu meiner Wohnung im Dachgeschoss. Als ich aus dem Fahrstuhl stieg, hatte ich ein merkwürdiges Gefühl. Etwas musste nicht in Ordnung sein, sagte mir dieses Gefühl. Ich nahm meine Schlüssel aus der Handtasche und wollte meine Wohnungstür aufschließen. Als ich den Schlüssel in das Türschloss stecken wollte, öffnete sich die Tür von selbst. Sie war aufgebrochen und nur angelehnt gewesen.
Vorsichtig trat ich in den Flur meiner Wohnung und öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Ich konnte es nicht fassen, was ich sah. Alles war zerstört. Die Scheiben der Schränke waren eingeschlagen und die Türen herausgebrochen. Meine Kleidung lag auf den Boden zwischen Büchern und wichtigen Unterlagen. Der Fernseher lag auf dem Boden und das Display war zerstört. Meine Gardienen waren heruntergerissen und meine Sitzgruppe und die Schlafcouch waren aufgeschlitzt. Ich konnte es nicht fassen. Wer war das gewesen? Ich lief langsam durch das Zimmer und schaute in die Küche. Hier sah es genauso aus. Das gesamte Geschirr lag zerbrochen auf den Boden. Das Ceranfeld war eingeschlagen, die Kochtöpfe und Pfannen auf dem Boden verteilt. Langsam drehte ich mich um und wollte wieder zurück ins Wohnzimmer gehen, da stand er vor mir. Der größte Albtraum meines vergangenen Lebens, Ferrari-Kalle. Einer der mächtigsten Zuhälter aus Frankfurt am Main.
„Na meine Edelstute? Du hast dich gut versteckt und ich habe dich trotzdem gefunden. Einen schönen Namen hast du dir ausgesucht. Steffy Boranowsky statt Heike Schulz. Es hat dir nichts genützt“, sagte er mit einem frechen Grinsen zu mir.
„Ich bin und war nie eines deiner Mädchen gewesen. Verschwinde aus meiner Wohnung oder ich rufe die Polizei“, schrie ich ihn an.
„Was will die Polizei mir anhaben? Ich bin rein zufällig hier gewesen und habe dich schreien gehört. Als Gentleman wollte ich nur nachsehen, was los ist“, antwortete er und grinste mich weiter siegessicher an.
„Du und ein Gentleman, dass ich nicht lache. Was willst du von mir? Verschwinde“, brüllte ich ihn an.
„Mein Eigentum wiederholen. Nachdem der gute Mehmet leider so plötzlich von dieser Welt abberufen wurde, habe ich sein Imperium übernommen. Du gehörst zum Inventar. Da du hier in einem Loch hausen musst, mit nicht als Schrott in den vier Wänden hole ich dich zurück, um dir ein besseres Leben zu geben“, bekam ich zur Antwort. Immer noch grinste mich er mich an und trat einen Schritt auf mich zu.
Ich wich zurück und er trat noch einen Schritt vor. Er stolperte über einen der Kochtöpfe und diese Chance nutze ich. um aus der engen Küche an ihm vorbeizukommen. Er war aber schnell wieder hinter mir und ich konnte nicht aus der Wohnung fliehen. Noch einmal ging er auf mich zu und wollte nach mir greifen. Im letzten Moment konnte ihm noch einmal ausweichen. Mir blieben keine weiteren Möglichkeiten, um ihn zu entkommen. Die einzige Chance war der Balkon. Dort gab es eine Feuertreppe, die über eine Bodenklappe erreichbar war. Ich musste es versuchen. Er war meine einzige Möglichkeit, aber ich musste ihn ablenken.
Eine Sektflasche, welche nicht zerbrochen war, warf ich nach ihm. Ich war schon immer ein guter Werfer gewesen und die Flasche traf ihm am Kopf. Dieser Moment reichte aus, um auf den Balkon zu flüchten. Er war schnell wieder hinter mir und bevor ich die Bodenklappe öffnen konnte, rannte er auf mich zu. Die kleine Kante der Balkontür hatte er übersehen und er prallte gegen das Balkongeländer. Nur noch ein lauter Schrei war zu hören und Ferrari-Kalle war verschwunden. Mit ihm war auch das Balkongeländer weg. Ich trat vorsichtig an die Kante und sah ihn drei Stockwerke tiefer auf dem gepflasterten Grillplatz liegen.
Texte: Madlen Ludwig, I.C. Körner, Thomas Berlin
Bildmaterialien: www.canva.com, Madlen Ludwig
Cover: Madlen Ludwig
Tag der Veröffentlichung: 20.09.2020
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