Im Grunde begann alles mit diesem Mädchen. Jedoch würde ich nicht so weit gehen und sagen, dass sie die Begebenheit zu verantworten hat. Nein, Schuld trage ganz allein ich. Ich und dieser im Nachhinein betrachtet furchtbar große Anflug von Idiotie.
Wirklich, es geschah mir ganz recht, dass sich die Sache so entwickelt hatte. Dummheit muss einfach ausgenutzt werden. Auch wenn ich damals zunächst ganz und gar nicht begeistert reagierte.
Aber der Reihe nach...
Sie war die Schwester eines Typen, der erst vor kurzem auf unsere Schule gewechselt war. Man teilte ihn meiner Klasse zu und nur deswegen entstand ein engerer Kontakt zwischen uns.
Er war ganz in Ordnung, bewies sich als wahre Sportskanone und es dauerte nicht lange, bis wir erkannten, dass er als Torwart für unsere Schulmannschaft taugte. Groß war er, drahtig und mit seinen aschblonden Haaren fiel er nicht sonderlich auf zwischen all den anderen Schülern. Als meine Kumpels und ich jedoch eines Tages zu seinem sechzehnten Geburtstag eingeladen wurden und ich dort auf besagte Schwester stieß, musste ich feststellen, dass sie das genaue Gegenteil von ihm war. Nie im Leben wäre man darauf gekommen, dass die beiden ein Geschwisterpaar bildeten. Er mit seinen durchtrainierten Bauchmuskeln und dem gebräunten Teint, sie mit nachtschwarzen, langen Haaren und Kleidung in eben der Farbe.
Sie wollte allem Anschein nach nicht unbedingt an der Feier teilnehmen, verschwand schon bald wieder hoch in ihr Zimmer, aus dem man laute, für mich lediglich als konfus zu beschreibende Musik protestartig erschallen hörte.
"Sie hasst Mainstream", erklärte ihr Bruder, man hörte heraus, dass er ihren Geschmack belächelte. Und auch meine Kumpels betitelten sie noch eine ganze Weile als Gothicbraut und Gruftieviech, bevor sie aus ihren Köpfen verschwunden zu sein schien.
Nur ich musste den ganzen Abend an sie denken, an den kurzen Augenblick, in dem ich ihr direkt ins Gesicht geschaut hatte. Sie war so blass, ihre Haut wirkte wie die Porzellanelefanten, die meine Mutter sich ins Regal stellte. Durch diese Alabasterfarbe war der Gegensatz zu ihrer schwarzen Schminke noch deutlicher hervorgetreten. Gepaart mit dem ernsten, fast schon etwas arroganten Blick wirkte sie beinahe wie ein Wesen von einem anderen Stern. Unnahbar und unerreichbar. Besonders für so einen Normalo wie ich es war.
Der Abend war längst Geschichte, aber sie war es für mich noch lange nicht. Selbst Tage später versuchte ich noch ihre zarten Gesichtszüge aus dem Gedächtnis heraus zu rekonstruieren, und es ärgerte mich, dass es mir immer schlechter gelang. Aber ich konnte die Erinnerung an sie nicht festhalten. Sie verschwamm immer weiter vor meinem geistigen Auge, aber irgendwann befand ich es für das Beste. Warum sollte man etwas behalten, was man eh nicht haben konnte? Bei dieser Entscheidung blieb es. Bis ich auf eine Gruppe Schwarzgekleideter traf und ich einen Entschluss fällte.
Ich erkannte, dass nicht nur die Schwester meines neuen Kumpels diese mystische, erhabene Schönheit innehatte, sondern auch die restlichen Szeneangehörigen.
Man konnte sie mit nichts vergleichen, sie wirkten so anders, so majestätisch auf eine gewisse Art und Weise, die ich mir selbst nicht erklären konnte. Vielleicht lag es an der Farbe Schwarz, die sie ganz und gar umhüllte; vielleicht auch an ihrer Aura, die eine merkwürdige Ruhe ausstrahlte. Wenn sie zudem noch lange Mäntel oder andere weite Gewänder trugen, dann beeindruckten sie mich geradezu mit ihrer unirdischen Eleganz.
Aber auch die weniger eleganten Szenegänger, die keine Spitzenkleidung mit verspielten Details trugen, wussten mich in ihren Bann zu ziehen; besonders die beiden Mädchen vielen mir ins Auge, welche knappe Lackröcke trugen und diese mit ebensolchen knappen Tops kombinierten. Ja, man konnte sagen, dass ich das nicht mehr nur als ästhetisch betrachtete, sondern auch als sehr attraktiv, wenn nicht gar als erotisch. Mir kam es so vor, als würden einige Gothics absichtlich damit provozieren oder sich einfach nicht davor scheuen, nackte Haut zu zeigen. Doch was auch immer es war, was sie zu diesem Kleidungsstil inspiriert hatte - ich empfand es keineswegs als billig.
Ich stand darauf, ich stand sogar sehr darauf. So sehr, dass ich ein Teil der Szene werden wollte. Und wenn ich ehrlich war, dann ging es mir eigentlich nur um die Frauen, die ich allen Anscheins nach nur mit dem passenden Styling erobern konnte.
So dauerte es gar nicht lange, bis ich mich ein wenig im Internet umgesehen hatte und Besitzer einer eigenen schwarzen Garderobe wurde. Natürlich trug ich nicht so dick auf wie mancher schwarze Prinz, der mir an jenem Tag begegnet war, aber schwere Stiefel von einer Marke namens New Rock sowie ein schwarzes, knallenges Top, welches ich mit einer coolen Lederjacke mit Nieten kombinierte, durften nicht fehlen.
Meinen Freunden und meiner Familie erzählte ich nichts von diesen Kleidungsstücken. Ich trug sie nicht in ihrer Gegenwart, aus Angst, dafür Hohn und Lacher zu ernten. Ich wusste schließlich, wie meine Kumpels das Gothicmädchen verspottet hatten. Das musste ich mir nicht geben, beschloss ich. Deshalb warf ich mich lediglich an den Wochenenden in Schale, wenn ich beschloss auszugehen.
Es war ein Samstag, als ich mich zum ersten Mal in einen der beiden schwarzen Clubs der Stadt wagte. Nox Interna leuchtete über dem kleinen Bunker, den ich ansteuerte. Man sah ihm bereits von außen an, dass sich hier kein normales Publikum einfand, um die Nacht zum Tag zu machen. Und das durch und durch düstere Bild setzte sich in seinem Inneren selbstverständlich fort. Nicht nur durch dessen Ausstattung und Dekoration, sondern auch durch die harten Beats, die aus den Boxen drangen und für mich wie eine Art Techno klangen. Doch in Wirklichkeit konnte ich sie mit nichts zuvor Gehörtem vergleichen. Das hier war anders, ganz anders. Genau wie die wunderschön gekleideten und gestylten Gestalten, die sich an mir vorbeischoben.
Selbstverständlich konnte ich meine Nervosität nicht verleugnen, die das ganze Umfeld, dieses Neue, Unbekannte, in mir auslöste. Selbst als ich an der Bar saß und mir einen Drink bestellte, an den ich mich heute nicht mehr erinnern kann, verschwand dieses Prickeln in meiner Magengegend keineswegs. Im Gegenteil - es verstärkte sich sogar. Es war ohnehin schon unangenehm, wenn man ohne Begleitung in einen Club ging und um einen herum nur unbekannte Gesichter auftauchten. Wenn die unbekannten Gesichter zudem weißes Make Up und schwarzen Lippenstift trugen, dann kannte die Aufregung keine Grenzen mehr.
Kaum konnte ich mich an den schönen Mädchen sattsehen, die sich lasziv und anmutig zu den technoesken Klängen im Laserlicht wogen. So viele nackte Beine, so viele knappe Tops, die oftmals kaum das Nötigste verdeckten. Aber besonders liebte ich ihre langen, schwarzen Haare.
Eine ganz bestimmte Person hatte nun meine Aufmerksamkeit erregt. Ich konnte sie lediglich von hinten bewundern, sie und ihre Haare, die ihr fast bis zu dem in einer engen Lackhose steckenden Po reichten. Sie war noch nicht einmal sonderlich freizügig gekleidet, und dennoch gefiel mir, was ich sah. So lange, bis sie sich umdrehte und ich ganz eindeutig in das Gesicht eines jungen Mannes blickte.
Erschrocken wandte ich mich ab, schämte mich für meine Verwechslung, andererseits konnte man mir nichts zum Vorwurf machen, schließlich war der Kerl so feminin wie einige der hübschen Mädchen und hatte kräftiges, schwarzes Augenmakeup aufgetragen. Gemeinsam mit den leuchtend türkisfarbenen Kontaktlinsen eine durchaus reizvolle Mischung.
Auf einmal kam ich mir vor wie ein unscheinbares Mauerblümchen. Nur hätte ich es mir nie im Leben gewagt, Mamas Schminkzeug anzurühren.
Ich hatte gehofft, dass dem Typen mein Blick entgangen war, aber dem war selbstverständlich nicht so. Kurz bevor ich weggesehen hatte, schien es sogar beinahe so, als entstehe der Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht. Und dann hatte er sich in Bewegung gesetzt. Steuerte direkt auf mich zu. Dass ich mich umgedreht hatte, half mir überhaupt nichts. Der Typ stand im nächsten Augenblick neben mir. Begleitet von einem ganzen Gefolge weiterer männlicher Schwarzträger, die mich angrinsten wie ein Rudel hungriger Wölfe. Vielleicht kam es mir aber auch nur so vor.
"Hey", grüßte mich der Typ mit den arschlangen Haaren knapp. Er schrie fast, da die Musik beinahe schon ohrenbetäubend durch meine Gehörgänge donnerte. Sein Lächeln verschwand nicht mal für eine Millisekunde.
"Hey", erwiderte ich so gelassen wie möglich, saugte an meinem Strohhalm, kam mir aber unheimlich beobachtet vor, auch dann noch, als ich meinen Blick abwendete.
Das Wolfsrudel ließ sich durch meine Reserviertheit nicht abschütteln. Einer der Jungs nahm sogar auf dem Barhocker neben mir Platz und stützte sich lässig auf dem Tresen ab, während er mich mit einem schiefen Lächeln von oben bis unten musterte.
"Ach, ein neues Fledermäuschen", meinte er schließlich mehr zu seinem Gefolge als zu mir, und dennoch ruhten seine Blicke weiterhin auf mir. Wenn man schon einmal erlebt hat, wie einen ein Mann mit weißen Kontaktlinsen unablässig anstarrt, dann weiß man in etwa, wie ich mich in diesem Moment fühlte.
"Du bist erst ganz neu in der Szene, stimmts?", wollte bald schon ein weiterer wissen und musterte mich ebenso neugierig von unten herauf wie der Typ mit den Kontaktlinsen.
Mir blieb nichts anderes übrig als zu nicken.
"Woher wisst ihr das?", hakte ich interessiert nach, denn es verwunderte mich, dass sie mich gleich entlarvt hatten. Woran erkannte man, wie lange man sich bereits in der Szene befand? Ich war schließlich vorschriftsmäßig angezogen, vielleicht lag es aber an meinen Haaren und der fehlenden Schminke. Obwohl...der da hinten trug noch wesentlich simplere Kleidung als ich und von Make Up war ebenfalls keine Spur.
"Wir haben dich noch nie hier gesehen", erhielt ich die einleuchtende Erklärung seitens des Langhaarigen. "Eigentlich kennt in diesem Club nämlich jeder jeden, wenn auch nur vom Sehen. Wie heißt du eigentlich?"
"Dim", erwiderte ich. "Kurz für Dimitri."
Ein Grinsen huschte über die Gesichter der Jungs. Sie tauschten vielsagende Blicke und murmelten etwas, das ich als 'Das wird Luc gefallen' identifizierte. Vielleicht hatte ich mich aber auch geirrt, denn diese Worte ergaben für mich keinen Sinn. Ich kannte weder einen Luc noch irgendjemanden, dem es gefiel, dass ich Dimitri hieß und aus russischem Hause stammte.
"Du willst also dazugehören."
Das war der Typ mit den weißen Kontaktlinsen, der mich wieder aufmerksam musterte.
"Wozu?"
"Na, zu der Szene", klärte er mich lässig auf, spielte dabei mit der Zunge an seinem rechten Lippenpiercing.
"Na ja...", gab ich unbeholfen von mir, woraufhin sich ein paar der Gesichter wieder zu einer grinsenden Fratze verzogen und mich noch weiter verunsicherten. "Ich würde schon gerne, ja..."
"Du magst das, mh?", hakte mein Gegenüber nach. "Unsere Musik, unsere Ansichten, die Art, wie wir uns kleiden..."
"Ja..."
Ich log. Hoffte, dass sie es mir nicht anmerkten. Ich schämte mich für meine eigentlichen Beweggründe, mich in die Szene zu schmuggeln. Sie waren oberflächlich und im Grunde einfach lachhaft. Hätte ich es ihnen gesagt, sie hätten mich mit ziemlicher Sicherheit für einen schwanzgesteuerten Macho gehalten. Deswegen ließ ich sie in dem Glauben, ich möge das Gesamtpaket. Dass mir aber genau das zum Verhängnis werden sollte, das ahnte ich noch nicht. Stutzig wurde ich trotzdem schon bei der nächsten Behauptung, die der Langhaarige in den Raum stellte.
"Das reicht aber nicht, und das weißt du, oder?"
Vier Augenpaare ruhten lauernd auf mir, was mich noch zusätzlich verwirrte.
"Wieso?", wollte ich wissen, runzelte die Stirn. Ja, was wollten sie denn noch? Was gehörte noch zu einem wahren Szenegänger? Sie ließen es mich selbstverständlich wissen. Wenn auch nur teilweise.
"Einer, der zu uns gehören möchte, muss erst die Prüfung erfolgreich absolviert haben", redete der Kerl neben mir ungerührt weiter, so, als ließe er sich gerade über den Wetterbericht aus.
"Was für eine Prüfung? Gothics haben doch nichts mit Satanismus zu tun...", warf ich ein, wobei der letzte Satz meine Unsicherheit verriet, denn er klang eher wie eine Frage. Mit meinem Unwissen würde ich mich in Teufels Küche bringen, fürchtete ich. Und genau so sollte es werden.
"In der Tat, wir haben nichts mit irgendwelchen satanischen Sekten zu tun", nickte mir der Kontaktlinsentyp zu, linste aber dann auf den Langhaarigen. "Auch wenn Sil ziemlich mit den satanischen Geboten sympathisiert..."
Der Angesprochene lachte kurz.
Erst jetzt fiel mir auf, dass sich die Truppe mir gar nicht namentlich vorgestellt hatte. Doch schon im nächsten Augenblick war diese Belanglosigkeit vergessen.
"Aber wie dem auch sei", meinte mein Nebenmann und schaute mir mit gesenktem Kopf direkt in die Augen, woraufhin ich schnell die Blickrichtung wechselte. "Du musst erst die Prüfung bestehen, um als vollwertiger Goth anerkannt zu werden."
"Was für eine Prüfung?", wiederholte ich meine Frage von vorhin noch einmal.
"Nun..."
Der Kerl tat sehr geheimnisvoll. Immer wieder ließ ein mir ziemlich hämisch vorkommendes Lächeln seine schwarzen Lippen zucken.
"Du willst wirklich dazugehören?", fragte er erneut, ich nickte, war mir ganz sicher, auch ohne groß darüber nachgedacht zu haben. Wahrscheinlich war meine Neugierde auf diese geheimnisvolle Prüfung aber auch der Auslöser für meinen festen Entschluss.
"Gut, Dim", fuhr der andere fort. "Um die Prüfung zu absolvieren, finde dich bitte morgen um Mitternacht in der Steingasse 3 ein. Klingle bei Raphael Reiter. Dreimal. Dort erfährst du alles Weitere."
Und dann ließen sie mich sitzen. Verschwanden einfach in dem lila Nebel, der die Tanzfläche ganz und gar einhüllte.
Sie ließen mich sitzen. Mit all den Fragen in meinem Kopf. Und mit der Anweisung, morgen einem komplett Fremden einen Besuch abzustatten. Mitten in der Nacht.
Mich überkam ein mulmiges Gefühl. Ich spielte mit dem Gedanken, einfach nicht zu erscheinen und dann eben nur ein kleiner Wannabe zu bleiben. Andererseits klang die ganze Sache ziemlich verlockend, und um bei einer schwarzen Schönheit zu landen musste man mit Sicherheit ein richtiger Goth sein. Und um ein richtiger Goth zu werden musste ich die Prüfung absolvieren.
Da führte kein Weg dran vorbei.
*****
Die Kirchturmuhr läutete unüberhörbar die mitternächtliche Stunde ein. Es war kühl geworden, fast schon zu kühl für eine Augustnacht, vielleicht fror ich aber nur aufgrund meiner ins Unermessliche steigenden Nervosität.
Hier stand ich nun, vor der Tür, die in den Flur dieses Mehrfamilienhauses führte und wartete. Dreimal hatte ich geklingelt. Dabei hatte ich einen leicht feuchten Fleck auf dem Plastik hinterlassen. Meine Finger fühlten sich steif an, eisig und von innen heraus erfroren.
Insgeheim hatte ich mir die Hoffnung bewahrt, dass das Wolfsrudel mir nur einen Streich spielen wollte und dass es in Wirklichkeit überhaupt keinen Raphael Reiter gab, der in der Steingasse 3 ansässig war. Bis zum Schluss hatte ich gehofft, wieder mit leichtem Herzen kehrt machen zu können, ohne die Prüfung absolvieren zu müssen. Doch mit dem Erblicken des mir genannten Namens wog der harte Stein in meinem Magen noch um einiges schwerer. Natürlich, ich hätte noch in diesem Augenblick den Schwanz einziehen und mich vom Acker machen können, aber ich tat es nicht. Ich presste den Klingelknopf. Dreimal. Und dann wartete ich. Hoffend, niemand würde mir antworten. Doch das Schicksal wollte es anders.
"Ja?"
Eine fast schon harsch klingende Männerstimme, verzerrt durch die Sprechanlage, ließ mich reflexartig zusammenzucken. Ein weiterer kalter Schauer rann über meinen Rücken, der mich am ordentlichen Sprechen hinderte.
Was sollte ich eigentlich sagen? Ich hatte mir darüber im Voraus keine Gedanken gemacht, war so überzeugt davon gewesen, dass dieses Treffen niemals zustande kommen würde.
"Ähm, ich...hier ist Dim", stellte ich mich unbeholfen vor, schimpfte mich dabei einen Idioten. "Also...der, der die Prüfung hier-"
Ehe ich ausgeredet hatte ertönte bereits der Summer, der das Türschloss löste. Ohne zu zögern drückte ich mich gegen das schwere Holz und trat in den Flur hinein.
Ich musste hoch in den dritten Stock laufen, bis ich Licht aus einer geöffneten Wohnungstür dringen sah. Noch einmal wog ich innerhalb einer Millisekunde ab, ob ich weitergehen oder doch lieber umdrehen sollte, aber letztlich schritt ich tatsächlich auf die geöffnete Tür zu.
Gerade setzte ich einen Fuß auf die schwarze Fußmatte, die mit einem Pentagramm versehen war, als ein Mann im Türrahmen erschien. Er schien nichts von meiner Aufregung zu bemerken oder er ignorierte sie beflissentlich, jedenfalls war er die Ruhe selbst, was ich an seiner lässigen Haltung abzulesen meinte. Er lehnte sich absolut entspannt gegen das Holz und trug dabei nicht mehr als eine ziemlich bauschige Jogginghose, die selbstverständlich ebenfalls die Farbe Schwarz aufwies.
"Hi."
Mein Blick rannte von seiner Begrüßung angestachelt an seinem Körper empor. Ich nahm seinen recht bleichen Oberkörper war, der von einigen Tätowierungen geziert wurde. Als ich scheu in sein Gesicht schaute, schluckte ich. Und gleichzeitig wurde mir auf eine ganz merkwürdige Weise heiß. Nie im Leben hätte ich diese so harsch klingende Stimme so fein geschnittenen Zügen zugeordnet, die ebenso feminin wie die des langhaarigen Typen aus dem Club wirkten, aber dennoch einen gewissen Touch Männlichkeit ausstrahlten. Im Zusammenspiel mit den in einem im Vergleich zu anderen Szenevertretern dezent geschminkten Augen und dreifach gepiercten Lippen ergab das einen Anblick, dem man sich nicht so leicht entziehen konnte und der mich für unendlich lange Sekunden sprachlos machte.
Mein Glotzen endete erst, als der andere mich hineinbat. Wie ein hypnotisiertes Kaninchen folgte ich ihm, noch immer wortlos. Wir durchquerten den Flur, und aus dem Wohnzimmer, in welches er mich führte, strömte mir ein schwerer, erdiger Geruch entgegen, der auf meiner Nasenschleimhaut brannte. Als ich direkt neben dem Kerl zum Stehen kam, bemerkte ich, dass der Duft nicht nur von der Wohnung ausging. Seiner bloßen Haut haftete dieses Erdige ebenfalls an. Obwohl ich es als seltsam und leicht unangenehm erachtete, so passte der Geruch doch perfekt zu dem hochgewachsenen, überaus schlanken Mann. Erhaben, edel und auch leicht animalisch...
Meine Augen tasteten die Umgebung ab. Ließen meine Blicke eine Weile an der schwarzen Anbauwand hängen, erfassten interessante Details wie die zahlreichen Leuchter, die die Form von Drachen aufwiesen sowie die sehr realistischen Nachbildungen von menschlichen Totenschädeln. Eine makabre Dekoration. Doch das, was mich am meisten irritierte und gleichzeitig beeindruckte war der imposante Sessel an der Stirnseite des Raumes, welcher wie der Thron eines Königs geformt war. Wahrscheinlich starrte ich ihn etwas zu lange an, denn die Stimme des anderen riss mich beinahe schon unsanft aus meinen Gedanken.
"Guck dir ruhig alles genau an", meinte er jedoch gelassen, schob die Hände in die großen Taschen seiner Hose und machte ein paar ziellose Schritte im Raum. "So wirst du dich auch einrichten müssen, wenn du ein wahrer Goth sein willst."
"Die...die sind aber nicht echt...oder?", fragte ich prompt und deutete mit dem Kinn in Richtung der Totenschädel. Anstatt einer eindeutigen Antwort erhielt ich allerdings nur ein Zähnefletschen von dem anderen. Ich schwitzte und fror zugleich ob dieses Anblicks. Und es wurde nicht besser, als der Mann sich die langen Haare mit einer lasziven Geste nach hinten strich.
"Doch, doch", sagte er schließlich ohne mit der Wimper zu zucken. "Die gehören denen, die die Prüfung nicht bestanden haben."
Wenn ich es noch nicht längst vorher getan hätte, spätestens jetzt wünschte ich mir, zu Hause in meinem warmen, weichen Bett zu liegen und mich nicht auf diesen riesengroßen Bockmist eingelassen zu haben. Doch es war zu spät. Ich befand mich offenbar in der Wohnung eines Irren und musste um mein Leben fürchten.
Sicher war mein Gesichtsausdruck ziemlich panisch geworden, denn der andere stellte sich plötzlich direkt vor mich, hob mein Kinn an und streichelte mir im nächsten Zug sacht mit dem Daumen über die Wange.
"Shh, Süßer, ich weiß, dass du jetzt Angst hast", säuselte er fast schon liebevoll und unterstrich dies mit einem sanften Lächeln. "Aber das musst du nicht. Du bist ganz bestimmt ein ganz hervorragender Prüfling, wenn ich mir deine Lippen so anschaue..."
Er schaute mir direkt in die Augen.
"Was sagtest du, wie heißt du?"
"Dim...also eigentlich Dimitri", äußerte ich atemlos, woraufhin der andere zugleich wieder zufrieden schmunzelte und meinen Namen langsam und genüsslich wiederholte.
"Dim...schöner Name. Ty russkiy, da?"
"D-da", nickte ich überrascht. Der Mann ließ ein gefälliges Brummen verlauten. Dann entließ er mit einem Ruck mein Kinn wieder in die Freiheit.
"Nenn mich Luc", schlug er nun vor, nachdem er mir den Rücken zugewandt hatte und wieder im Zimmer auf und ablief.
"Aber...wieso steht dann Raphael an der Klingel?", wollte ich wissen, woraufhin jedoch ein Glucksen durch den Körper des anderen fuhr. Seine Augen funkelten, als er mir wieder seine halbnackte Vorderseite präsentierte.
"Von wirklichem Interesse sollte eher der Nachname sein", erwiderte er ruhig. "Willst du nicht lieber wissen, wieso da unten Reiter steht? Alles hat seinen Sinn...und nicht alle Namen sind nur Schall und Rauch..."
Obwohl eine deutliche Suggestion in diesen Worten mitschwang, wagte ich es mir nicht, die angedeutete Frage zu stellen. Mein nicht immer sehr feiner Sinn für Zweideutigkeiten flüsterte mir zwar gerade etwas ziemlich Dreckiges, das ich mit Reiter verband, allerdings wollte ich mich nicht mitten in die Nesseln setzen.
Zumal hatte ich den Eindruck gewonnen, dass mit diesem Luc etwas faul war. Schließlich hatte er mich vorhin Süßer genannt und ich erinnerte mich nun an die Anspielung der vier Männer im Club, die ebenfalls von Luc gehandelt hatte. Wenn ich nun ganz scharf nachdachte, so scharf, wie es mit einem nervösen Magen eben möglich war, dann schlich sich ein mich ziemlich beunruhigender Gedanke in meine Hirnwindungen. Und dass ich mich tatsächlich auf der richtigen Fährte befand bekam ich nun unmissverständlich auf das Butterbrot geschmiert.
"Du willst es also nicht wissen", mutmaßte dieser Luc und drehte weiterhin seine Runden. Das Grinsen war noch immer präsent und in Verbindung mit seinen rastlosen Schritten wirkte er auf mich wie ein Aasgeier, der seine Beute umkreiste. "Nun gut, du wirst es ohnehin herausfinden."
Ich wollte nichts lieber als das Ganze so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Dieses Spiel erschien mir mit allem anderen aber nicht mit zahmen Regeln ausgestattet zu sein. Und obwohl der Typ eine absolute Augenweide darstellte, selbst für einen heterosexuellen Kerl wie mich, so sehr verschreckte mich seine ganze bedrohlich-geheimnisvolle Art. Und gleichzeitig zog sie mich völlig in ihren Bann. Ich war noch immer das hypnotisierte Kaninchen, welches einem Unbekannten willenlos in dessen Wohnung gefolgt war. Und trotzdem begehrte ein Funken meines Verstandes auf.
"Was...was ist das nun eigentlich für eine Prüfung?", hörte ich mich mit unsicherer Stimme sagen, woraufhin mich die Blicke des anderen einmal mehr trafen. "Was...muss ich tun?"
"Du willst es wirklich erfahren", meinte Luc mehr zu sich selbst und schüttelte sein Haupt, sodass ihm ein paar seiner langen Haarsträhnen ins Gesicht fielen, die er sich aber mit einer nach wie vor galanten Geste nach hinten strich. Alles in allem wirkte es so, als würde er noch darüber nachdenken, ob er mich tatsächlich in diese geheimnisvolle Prüfung einweihen oder mich nicht doch lieber nach Hause schicken sollte.
Da ich aber den immer stärker werdenden Wunsch verspürte, endlich ein richtiger Goth zu werden, nickte ich mit Nachdruck und ließ ein knappes, aber festes 'Ja' verlauten. Dies schien in letztendlich überzeugt zu haben.
"Okay", sagte er, zog seine Kreise mittlerweile um den thronartigen Sessel, allerdings ohne mich für längere Zeit aus den Augen zu lassen. "Einen wahren Goth machen nicht die Kleidung, die Musikvorlieben und die innere Einstellung aus. Aber das haben dir die anderen ja schon erklärt."
Er fuhr spielerisch mit den Fingerspitzen über den roten Samt.
"Ein wahrer Goth muss etwas weiter gehen. Er muss mein Sperma getrunken haben."
Dieser Satz prasselte auf mich hernieder wie ein Hagelschauer. Ich rang um Fassung, spürte, wie meine Lippen versuchten, Worte zu formen, aber meiner Kehle entwich kein einziger Laut. Tausend Gedanken rasten durch meinen Kopf, doch kein einziger wusste sich zu manifestieren. Deshalb blieb ich an Ort und Stelle stehen, obwohl mindestens einer der Gedanken die Flucht beinhaltete.
"D-dein...dein..."
Endlich bekam ich wieder einen Ton heraus. Wenn auch keinen sonderlich intelligenten.
"Ja, mein Sperma", bestätigte mir der Kerl mit einer für mich unverständlichen Gelassenheit. Ich zumindest hätte in diesem Augenblick kollabieren können. "Du musst alles runterschlucken, Tropfen für Tropfen. Falls du es vorziehst, dass man dir ins Gesicht spritzt, dann werde ich dabei zuschauen, wie du meine kostbare Flüssigkeit mit dem Finger von deiner Haut wischst und sie dann ableckst."
Er lachte ein wenig.
"Aber keine Sorge, ich habe heute schon eine ganze Ananas gegessen, ich schmecke also zuckersüß..."
"Aber...ich...ich bin nicht-"
"Schwul?"
Dabei ließ er sich auf den Thron sinken, wirkte aber überhaupt nicht wie ein erhabener König sondern eher wie ein Bauer mit seinen weit gespreizten Beinen und der schiefen Körperhaltung. Zugegeben, der Vergleich mit einem Bauern hinkte, dafür war Luc viel zu attraktiv. Aber ich konnte im Augenblick einfach keinen klaren Gedanken fassen. Ängstlich tasteten meine Blicke sich an diesem Typen auf und ab, bis sie an seinen gefletschten Zähnen hängenblieben. Böse. Doch dabei so verrucht, dass es in meinen Lenden voll angstvoller Erregung zu zittern begann.
"Muss ich denn...schwul sein, um ein...richtiger Goth zu sein? Sind alle Gothics schwul?"
Luc lehnte sich zurück, rieb sich über das fein geschnittene Kinn, so, als denke er nach.
"Na, nicht unbedingt schwul", wiegelte er ab. "Aber bi, bi sind wir alle. Und die, die genau wie du ziemlich erschrocken waren, als ich ihnen die Prüfung erklärte aber über ihren Schatten sprangen, weil sie nichts lieber wollten als zu der Szene zu gehören, beschrieben nachher das unstillbare Verlangen nach Männern. Nach Schwänzen. Davon, von einem Raubtier wie mir gefickt zu werden. Weißt du, man kann nie ahnen, was sich das Unterbewusstsein wünscht, wenn man das Bewusstsein nie auf die richtige Fährte geführt hat. Und deshalb vermute ich, dass auch du keine Ausnahme sein wirst. Der Mensch ist dazu bestimmt, ein bisexuelles Leben zu führen. Es fließt in seinen Adern..."
Das Pochen meiner Lenden zog sich tiefer. Als ich spürte, wie sich Blut in mein Glied pumpte, kam auch noch ein erneuter Schweißausbruch hinzu. Ich wollte das alles nicht fühlen, aber es riss mich mit. Seine Worte, seine Optik, ja sogar seine Stimme und sein erdiger Duft. Ganz kurz nur schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich all die Männer verstehen konnte, die er bi gemacht hatte. Doch noch wollte ich mich nicht geschlagen geben. Noch hoffte ich, dass meine Gelüste nicht als strahlender Sieger im Kampf gegen meinen Verstand aus der Sache hervorgehen würden.
"Warum aber ausgerechnet dein Sperma?", hakte ich ungläubig nach.
"Weil ich der Obergoth bin", entgegnete Luc ungerührt. "Der King, wenn du es so willst. Noch was?"
Als ich den Kopf schüttelte, bahnte sich seine Hand den Weg zum Saum seiner Jogginghose. Mit bis zum Hals klopfendem Herzen beobachtete ich, wie seine Finger unter den Stoff glitten und schließlich mit seinem fest umklammerten Glied wieder zum Vorschein kamen.
Ich hatte in der Tat schon einige männliche Geschlechtsteile gesehen, sei es unter der Dusche nach dem Sport oder nach dem Schwimmen, aber dieses Teil, welches sich mir hier so unverblümt präsentierte, konnte mit nichts zuvor Gesehenem verglichen werden.
Vollkommen hart schien es beinahe bis zu Lucs Bauchnabel hinaufzureichen und als die Finger seines Besitzers aufreizend die Vorhaut nach unten schoben, fiel mein Blick auf eine dicke Eichel, die bereits feucht zu glänzen schien.
"Appetit, Süßer?", raunte Luc in seiner lasziven Art und Weise, die ihm so unheimlich gut stand. "Du kannst noch 'Nein' sagen, dann blasen wir das Ganze ab...im unperversen Sinne, versteht sich. Dann wirst du aber auch nie ein wahrer Goth sein, sondern immer nur ein Normalo in Verkleidung bleiben, den nie jemand ernst nehmen wird. Ich verspreche sogar, dass ich dir nicht dein hübsches Köpfchen abhacken werde. Die Entscheidung liegt ganz bei dir..."
Ich weiß selbst nicht, was mich dazu bewog, einen Schritt auf den mich erwartenden Luc zuzumachen. Ein Schritt wäre ja noch gegangen, aber es blieb nicht bei diesem. Ich lief fast schon ein wenig zu entschlossen auf den anderen zu und realisierte, wie ich im Reflex vor ihm auf die Knie ging.
Vor dem König.
Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so unterwürfig gefühlt und noch nie im meinem Leben raste dieses eigentlich erniedrigende Gefühl mit solch einem pulsierenden Verlangen durch meine Glieder. Zwar glaubte ich in diesem Augenblick noch, mich nie dazu durchringen zu können, meine Lippen über das zuckende Genital des anderen zu stülpen, und dennoch erwischte ich mich schon im nächsten Moment dabei, wie ich genau das tat.
Lucs Atem zitterte in seiner Kehle, als ich seine Eichel in meinen Mund schob. Die ganze Sache war mir nach wie vor mehr als unheimlich, aber gleichzeitig überschritt ich gerade eine Grenze, die mein Verstand in meinem Leben gesetzt hatte und genau das war es, was mich dazu verleitete, meine Zunge über die sensible Haut gleiten zu lassen und von dem männlichen Geschmack dieses wahnsinnigen Typen zu kosten. Gerade als ich mich aber ein wenig an diese für mich so bizarre Situation gewöhnt zu haben schien, wurde ich bei den Haaren gepackt und hinaufgezogen.
"Und?", wollte Luc mit belegter Stimme wissen. "Wie ist es, den Schwanz von Lucifer höchstpersönlich zu lutschen?"
Ich wusste, dass er mir eine Frage gestellt hatte, aber ich versäumte es, darauf zu antworten. In meinem Kopf regierte eine weiche Masse aus Lust, Erniedrigung und dem Wissen, dass ich gerade dem Wahnsinn unterlegen war.
Lucifer.
Hatten sie nicht gesagt, dass die Gothicszene nichts mit irgendwelchen satanischen Sekten gemein hatte?
Das, was ich hier tat, tat ich aus dem Gefühl heraus. Was mir gefiel, das gefiel sicher auch ihm, dachte ich und saugte den großen, dicken Schwanz immer tiefer und fester in meine Mundhöhle, bis feuchte Tropfen auf meine Zunge perlten und ich für den Bruchteil einer Sekunde fürchtete, Luc pisst mir in den Mund. Ich traute ihm bis ganz zum Schluss nicht, wusste nicht, zu was dieser Mann fähig war, der meine Naivität für seine Befriedigung benutzte. Doch ich war tief in mir sehr dankbar dafür, dass er mir irgendwann harsch seinen Schwanz entriss und mir eine beachtliche Ladung mitten ins Gesicht schleuderte. Wahrscheinlich wäre ich erstickt, hätte er es darauf angelegt, dass ich schlucke. So musste ich nur die Augen fest zusammenkneifen, wobei sich meine Lippen von selbst öffneten und ich bald schon ein wenig von seiner Soße auf meiner Zunge wahrnehmen konnte. Warm und leicht süßlich erschien mir die klebrige Flüssigkeit und ich fühlte mich gleichzeitig schrecklich und bis aufs Höchste erregt, als ich mir vorstellte, wie ich mit all dem weißen Zeug im Gesicht wohl ausschaute.
"Gut, Jungchen", meinte der andere, nachdem der ganze Spuk vorbei war und tätschelte mir dabei die noch immer bespritzte Wange, als wäre ich ein kleiner Schoßhund. "Das war nicht übel für einen, der nicht schwul ist. Aber dumm fickt ja bekanntlich gut."
Er grinste sein schiefes Grinsen und ich schaute ihn verdattert ins Gesicht aufgrund des letzten Satzes, mit dem ich absolut nicht gerechnet hatte. Sicherlich verriet mein Blick die Fragen, die mir durch den Kopf schossen.
Dumm? Ich?
"Na ja, dumm ist vielleicht nicht das richtige Wort", berichtete Luc sich und strich mir die Haare nach hinten, aber aus dieser Geste sprach der blanke Hohn und ließ jeglichen Anflug von Zärtlichkeit vermissen. "Du bist einfach ein kleines Naivchen, das noch nicht viel weiß vom dem, was in der Welt so vor sich geht. Süßer, du solltest nicht jedem Menschen blind vertrauen, der dir über den Weg läuft. Die meisten wollen dich nur verarschen."
Noch immer starrte ich auf ein und dieselbe Weise hoch zu dem schwarzen Prinzen auf dem Thron, der nun tatsächlich etwas von einem dominanten Herrscher hatte. Ich verstand nicht...kapierte nicht, was er mit seinen Worten meinte...
"Falls du es noch immer nicht begriffen hast, was ich anhand deines Blickes beinahe glaube: Es gibt keine Prüfung, und es hat nie eine gegeben. Ein wahrer Goth muss auch nicht mein Sperma trinken. Sag bitte nicht, dass du das Märchen wahrhaftig ernstgenommen hast."
Doch genau das hatte ich getan. Ich hatte ihm und dem Wolfsrudel jedes einzige Wort geglaubt.
Man wird sich nun vorstellen können, wie sehr ich mich schäme für meine schreckliche Dummheit. Ich schwor mir, ab nun jedes Vorgehen auf der Welt aufs Gründlichste zu hinterfragen und immer misstrauisch zu bleiben. Auch gegenüber unmenschlich schönen Wesen, wie sie der Gothicszene angehören. Noch einmal wollte ich nicht in Teufels Küche kommen und mich belügen lassen, ohne dass ich es bemerkte.
Alles, was sie mir erzählt hatten, war ein albernes Hirngespinst. Die Gothicszene glaubte nicht zwangsweise an Satan. Und Lucs Sperma erhob mich nicht zu einem wahren Goth. Und dennoch gab es eine Sache, die ich in jener Nacht vernommen hatte und deren Wahrheitsgehalt nicht zu leugnen war.
"Weißt du, man kann nie ahnen, was sich das Unterbewusstsein wünscht, wenn man das Bewusstsein nie auf die richtige Fährte geführt hat. Und deshalb vermute ich, dass auch du keine Ausnahme sein wirst. Der Mensch ist dazu bestimmt, ein bisexuelles Leben zu führen. Es fließt in seinen Adern..."
Um sich selbst kennenzulernen sollte man viel mehr riskieren. Man sollte sich so manchen absurd erscheinenden Prüfungen stellen und keine Angst gegenüber dem Überschreiten selbst gesteckter Grenzen empfinden.
Und so kam es, dass meine Sehnsucht nach diesem Mann, der mich erniedrigt und zugleich emporgehoben hatte unstillbar wurde.
Noch heute stehe ich jeden Samstag Punkt Mitternacht auf der Schwelle zur Steingasse 3 und läute dreimal bei Raphael Reiter.
Und wieso er Reiter heißt, das weiß ich inzwischen auch.
Texte: Serpa Demon
Bildmaterialien: Google
Tag der Veröffentlichung: 22.09.2013
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