Verlassen
Manch einer denkt,
wenn er geht,
er schützt einen anderen.
Manch einer denkt,
er muss,
viele jedoch gehen für sich.
Was sie meinen,
tun zu müssen,
ist für die Personen,
die sie verlassen,
unverständlich.
Doch sie tun es dennoch,
für sich.
Ihre Gründe sind verschieden.
Sie meinen,
sie schützen einen,
doch dabei wird man,
durch ihre Abwesenheit,
nur noch mehr verletzt.
Es wäre vielleicht nicht besser gewesen,
wenn sie geblieben wären,
doch woher will man es wissen,
wenn man nie die Chance bekam,
es wenigstens zu versuchen.
Es ist eine Entscheidung,
die andere für einen getroffen haben.
Eine Entscheidung,
die mehr als ein Leben beeinflusst.
Doch die meisten tun es nur für sich,
auch wenn sie es nicht wissen.
„Keine Wunde ist in mir so vernarbt, dass ich sie ganz vergessen könnte.“
Francesco Petrarca
Du kannst es nie verstehen,
du wirst es nie verstehen.
Denn du kannst es nicht sehen,
mich wolltest du so nie sehen.
Es gibt Tage an denen ich mir wünsche einfach nicht aufgestanden zu sein oder die Zeit zurückdrehen zu können.
Heute war so ein Tag.
Alles fing noch ganz normal an. Ich stand auf, frühstückte und machte mich für die Arbeit fertig. Heute standen wieder etliche Operationen an.
Mir taten die Menschen leid, die so schlimme Verletzungen erlitten, dass sie Hauttransplantationen oder ähnliches benötigten. Menschen, die sich unters Messer legten um ihre Schönheit zu verbessern, verstand ich nicht. Ich wollte sie auch gar nicht verstehen. Man erreichte damit doch nur, dass man immer öfters unters Messer durfte.
Aber nun ja, diese Menschen sorgten wenigstens dafür, dass ich immer genug zu tun hatte. Schlecht verdiente ich dadurch auch nicht und selbst das normale Grundgehalt eines Chirurgen konnte sich sehen lassen. Dabei war ich Chefärztin in der Notaufnahme und verdiente dadurch noch ein Vielfaches mehr.
Doch leider sorgte dieser vermaledeite Schichtdienst, den ich daher hatte, auch dafür, dass ich teilweise Wochenlang meine Freunde nicht sah. Kontakt hatten wir dennoch, selbst verständlich. Doch mit ihnen zu telefonieren oder E-Mails auszutauschen war etwas anderes, als sich wirklich mit ihnen zu treffen.
Für einen richtigen Freund fehlte mir deshalb so oder so die Zeit.
Anja, meine beste Freundin, sagte immer, dass ich mit meiner Arbeit verheiratet bin und Igor hat es längst aufgegeben einen Freund für mich zu suchen, dabei hat er wirklich schon sehr viel ausprobiert. Inzwischen sagt er immer nur noch, dass ich mich ja eh nicht wirklich darum bemühen würde.
Leider haben die beiden Recht, aber meine einzigen Freunde kennen mich nun einmal.
Obwohl.... selbst sie wissen nicht alles von mir.
Wie hätte ich ihnen aber auch davon erzählen können? Wie hätte ich ihnen je sagen können, wer ich wirklich war? Es war für mich längst selbstverständlich geworden es zu verstecken und niemanden darin einzuweihen. Ich war eine Ausgestoßene, eine Yeme und das obwohl ich als Kaya geboren worden war. Doch niemand war vor den Strafen im Rudel sicher gewesen. Am wenigsten ein kleines Kind, das nur die Regeln missachtete. Doch eine habe ich nie vergessen: Verrate was du bist und alle Wissenden sterben.
Wie hätte ich es ihnen da erzählen sollen, ich hätte damit nur ihre Leben riskiert und das wollte ich nun wirklich nicht.
Aber auch jetzt waren sie in Gefahr....seit er mich gefunden hat.
Wie konnte das nur passieren?
Ich dachte, ich befände mich außerhalb seiner Reichweite, ich dachte wirklich, ich wäre vorsichtig genug gewesen!
Wie konnte es da sein, das ich ihm so einfach über den Weg lief? Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu.
Aber immerhin meinen Eltern konnte er nichts mehr tun, versuchte ich mich zu beruhigen. Unweigerlich kamen die Bilder von dem Unfall wieder hoch. Ihm war nämlich vor 3 Jahren ein betrunkener Autofahrer zuvor gekommen. Ich musste schon wieder mit meinen Tränen kämpfen. Seit ich verstoßen und vor dem Sozialamt ausgesetzt worden war, waren meine letzten Eltern die einzige wirkliche Familie für mich gewesen. Sie wussten zwar nichts von meiner wahren Natur, doch sie merkten dass ich anders war und taten nichtsdestotrotz alles für mich. Ich vermisse sie einfach immer noch zu sehr, als dass ich jetzt weiter darauf eingehen kann und möchte.
Aber nun mal wieder zum Thema zurück.
Warum ich heute so durch den Wind bin, liegt daran, dass ich ihm begegnet bin.
Ihm, den ich nie wiedersehen wollte und nach dem ich mich dennoch schon seit jeher sehne.
Ich bin nach dem Frühstück also wie immer in mein Auto gestiegen und zur Arbeit gefahren. Zwar brauche ich bis in die Stadt fast eine Stunde, aber ich lebe gerne so abgeschieden. Mein Haus steht in einem kleinen Vorort ziemlich am Waldrand. Es war eindeutig ein Vorteil, besonders dann wenn meine wahre Natur mal wieder ihren Triumph forderte. Aber auch so genieße ich einfach gerne diese Einsamkeit.
Doch ich schweife schon wieder ab.
Ich will einfach nur nicht an ihn denken. Er hat meinen heutigen Tag nun einmal in ganz andere Bahnen gelenkt. Vielleicht sogar mein ganzes Leben. Wer weiß das schon?
Ich bin ihm beim Einkaufen begegnet. Zum Glück erst nach der Arbeit, denn meine Konzentration war nach dieser Begegnung dahin.
Erst habe ich gar nicht gemerkt, dass er es war. Ich habe nur gemerkt, dass ich jemanden angerempelt habe. Als ich dann aufgesehen habe, war ich so geschockt, dass ich kaum hätte reagieren können. Unsere Blicke zogen sich magisch an und verhakten sich ineinander. Ich versuchte seinem Blick auszuweichen oder ihn zu ignorieren, doch es war hoffnungslos. Als wäre das nicht bereits genug gewesen, spielten meine Gefühle auch noch verrückt und verwirrten mich gänzlich. Ich begehrte ihn und doch war da die Angst vor ihm und dem, was diese Begegnung für Folgen haben könnte.
Als ich mich endlich wieder halbwegs im Griff hatte, rannte ich einfach los. Ich wollte nur noch weg von ihm.
Weg von Kevyn.
Doch vielleicht sollte ich euch diese Situation genauer erklären.
„Alles was man vergessen hat, schreit im Traum um Hilfe.“
Elias Canetti
Und doch,
wenn du gehst,
dann sitze ich dort
und schaue hinauf,
hinauf zu den Sternen.
Wie schon gesagt, es war ein ganz normaler Tag.
Aufstehen, Arbeiten, nach Hause fahren. Nur das ich dieses mal vorher noch einkaufen fahren musste, da in meinem Kühlschrank mal wieder gähnende Leere herrschte.
Ich bin einfach in diesen Discounter gegangen, der auf meinem Heimweg lag. Da ich scheinbar nicht die einzige war, die so praktisch dachte, war der Laden voller Menschen.
Kurz fühlte ich mich unwohl. Was wenn jemandem etwas auffiel? Das durfte nicht sein! Doch schnell beruhigte ich mich wieder. Immerhin hat die letzten Jahre niemand etwas bemerkt und ich konnte mich ja sogar vor meinen Freunden gut genug verstellen. Und trotzdem blieb das Gefühl beobachtet zu werden. Fremde waren nun mal doch etwas andere. Vor allem, da man ihre Reaktionen nicht mal im Ansatz einschätzen konnte.
Bemüht mich normal zu benehmen und nicht aufzufallen, holte ich mir einen Einkaufswagen und fing an im Zick-Zack durch die Regalreihen zu gehen. Hin und wieder nahm ich etwas aus einem der Regale und legte es in den Wagen.
Doch ich hatte noch immer das Gefühl beobachtet zu werden. Es war stärker als normalerweise und meine Instinkte begannen mich nun ebenfalls vor Gefahr zu warnen.
Unruhig sah ich mich um. Es war nichts auffälliges zu erkennen, das Gefühl beobachtet zu werden blieb, obwohl ich nicht erkennen konnte, woher es kam. Außerdem war es verschwunden als ich aufgesehen hatte.
Kopfschüttelnd wand ich mich wieder meinem Einkauf zu, doch sobald mein Blick nicht mehr durch den Raum schweifte, spürte ich wieder diesen Blick auf mir.
Ich fühlte mich fast wie gelähmt. Meine Instinkte rangen miteinander.
Ich wollte mich auf die Person stürzen und dafür sorgen, dass diese Blicke aufhören. Aber gleichzeitig war mir zu lange eingetrichtert worden nicht aufzufallen, daher wollte ich nichts lieber als aus der Gefahrenzone zu verschwinden. Ich beschloss einfach zu versuchen es zu ignorieren und in aller Ruhe weiter einzukaufen. Ich wollte nur vergessen, dass mich jemand beobachtete, und nicht mehr daran denken. Doch das war leichter gesagt als getan.
Ich weiß nicht mehr, wann es war, doch irgendwann spürte ich eine Veränderung in dem Blick. Er sorgte nicht länger nur dafür, dass ich mich unwohl fühle. Nein, nun fing dieser Blick auch noch an mich anzuziehen.
Ich spürte eine tiefe Sehnsucht und Vertrautheit, wie ich sie schon viel zu lange nicht mehr gespürt hatte. Es fühlte sich beinah an wie früher, als die Welt noch in Ordnung gewesen war.
So in Gedanken versunken bemerkte ich kaum, dass ich jemanden umrannte. Ohne ihn wirklich anzusehen, da mich meine Gedanken noch immer zu sehr beschäftigten, half ich dem jungen Mann vor mir auf.
Ich will mich gerade entschuldigen, als ich wieder diesen Blick spüre. Er kommt von diesem Mann vor mir. Ängstlich sehe ich auf und mustere den Mann.
Er ist größer als ich, geht bestimmt auf die zwei Meter zu. Insgesamt ziemlich muskulös, seine Arme sind von Narben übersäht. Ich bin kurz versucht zu denen dass sie von Rangkämpfen stammen, so sehr wie sie nach Prankenhieben aussehen. Ich besinne mich aber schnell, dass kann ja immerhin nicht sein. Er ist ja kein Fes Denabre Kye. Als mein Blick bei seinem Gesicht ankommt, bin ich überwältigt. Sein Gesicht besitzt sehr feine Züge. Doch der Blick mit dem er mich aus seinen eisblauen Augen ansieht, lässt mich ahnen, dass man sich von diesen feinen Zügen nicht täuschen lassen sollte. Abgerundet wird sein Gesicht von schwarzen Haaren, die ihm wild ins Gesicht hängen. Von seinen Augen angezogen, bemerke ich erst jetzt das kleine Tattoo über seiner Augenbraue.
Augenblicklich erstarrte ich.
Ich wusste wer das vor mir war, doch ich war mir sicher, dass ich mich irren musste. Es konnte nicht sein. Er konnte mich nicht gefunden haben.
Doch dann überschwemmten mich wieder diese alten, verloren geglaubten Gefühle, allen voran das Gefühl von Zugehörigkeit.
"Hallo Alisa", drang seine Stimme langsam durch den Nebel meiner Gefühle. Ich registrierte es nicht wirklich, zu sehr schockierte mich das Begehren, welches begann in mir aufzusteigen.
Warum nur konnte ich mich seinem Blick nicht entziehen. Wieso gelang es ihm mich mit seinen Augen zu fesseln.
Nach und Nach kam die Erkenntnis, dass das alles kein schlechter Witz war, sondern, dass Kevyn wirklich vor mir stand, dass er mich wirklich gefunden hatte. Wie konnte das nur sein? Ich war so vorsichtig gewesen und hatte alle Spuren, die ich früher hinterlassen hatte, verschwinden lassen.
Es war einfach unmöglich möglich, dass er mich gefunden hatte und doch war es ihm irgendwie gelungen.
Sofort nachdem ich verstand, wer mich hier gefunden hatte, holte mich die Angst ein. Angst davor, was er nun tun würde, was er tun dürfte und vor dem, was er tun müsste.
Ohne nachzudenken riss ich mich los und stürmte einfach aus dem Landen raus.
Es war mir vollkommen egal, dass ich dabei Leute umrannte und auch die verwunderten Blicke der Mitarbeiter und Kunden nahm ich nicht wirklich wahr. Ich rannte einfach immer weiter. Zu groß war meine Angst vor Kevyn, vor allem, weil ich noch immer seinen Blick auf mir spürte.
Erst bei meinem Wagen stoppte ich. Ich wollte sofort die Tür aufreißen, doch stattdessen prallte ich gegen das Auto.
Mist, die Tür ist noch abgeschlossen, schoss esmir durch den Kopf.
Schon griff ich nach meiner Handtasche, doch meine Hand griff ins Leere. Ich hatte sie in meiner Angst wohl vergessen oder sie auf meiner Flucht verloren. Kurz überlegte ich nach Hause zu laufen, doch ich wusste, dass das viel zu weit wäre.
Da musste ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und zurückgehen.
Innerlich flehte ich zu Gott, dass Kevyn nicht mehr da wäre. Große Hoffnungen, dass er mich erhörte, hatte ich aber nicht, da ich noch nie sehr gläubig war.
Wie ich es erwartet hatte, war Kevyn noch immer in dem Laden. Ich sah ihn zwar nicht, da ich es nicht wagte den Kopf zu heben, doch ich spürte wieder sehr genau seinen Blick auf mir.
Schnell lief ich in die Regalreihe, in der ich meinen Einkaufswagen hatte stehen lassen. Ich nahm nur meine Handtasche und lief dann sofort wieder zum Auto. Den Einkauf ließ ich einfach stehen.
Beim Auto angekommen, verschwendete ich keine Zeit damit mich anzuschnallen. Sobald ich saß, startete ich den Wagen und fuhr los. Den gesamten Heimweg fuhr ich in solch einem Tempo, dass man denken könnte, der Teufel höchst persönlich wäre hinter mir her.
So wurde aus der einen Stunde Fahrzeit eine dreiviertel Stunde.
Zuhause angekommen, rannte ich ins Haus und fing direkt an alles zu verriegeln: Fenstern, Türen, ja sogar meinen Kamin verschloss ich.
Dann setzte ich mich auf die Couch und versuchte tief durchzuatmen.
Okay, Kevyn hatte mich gefunden. Was sollte ich jetzt nur tun? Sollte ich fliehen? Oder sollte ich hoffen, dass er von selbst wieder verschwand? Obwohl das wohl eher sehr unwahrscheinlich wäre.
Seine ganze Gesetze verboten es schon. hoffentlich weiß er nicht wo ich wohne. Ich will nicht zurück. Auch wenn früher nicht alles schlecht war.
Nach und nach sackte ich immer mehr zusammen und meine Gedanken fingen an abzuschweifen. Ich begann mich an meine Kindheit zu erinnern.
„Du hast deine Kindheit vergessen, aus den Tiefen deiner Seele wirbt sie um dich. Sie wird dich so lange leiden machen, bis du sie erhörst. „
Hermann Hesse, Narziß und Goldmund, Gesammelte Werke Bd. 8
Und Ich denke zurück
an die Zeit im Glück.
Es erschien mir damals oft wie eine Szene aus einem Märchenbuch, als ich daran zurückdachte. Ich war dort wie die Prinzessin, die alle Hindernisse überwindet um mit ihrem Prinzen zusammen zu sein. In einer Welt voller Regeln und Gefahren traute nur ich mich zu rebellieren und meinen eigenen Weg zu gehen.
Doch heute weiß ich, dass ich nicht einmal eine Woche, nachdem ich das Rudel verlassen hatte, mein dortiges Leben verklärte.
Dennoch ist das erste Bild, welches mir bei den Gedanken an früher durch den Kopf schießt, ein Bild, das einem Märchen entsprungen zu sein scheint.
Ich sehe eine von Lichtern erfüllte Lichtung in einem Wald mitten im Nirgendwo.
Ich sehe Kinder mit bunten Bändern über die Wiesen laufen und Menschen, die sich unterhalten.
Ich sehe ein Feuer am den Fleisch gebraten wird und junge Leute, die um das Feuer herum tanzen.
Alles ist von strahlenden Farben erfüllt. Das Grün der Blätter und Gräser ist so satt, wie ich es noch nirgendwo sonst gesehen habe und der Himmel ist von einem strahlendem Hellblau erfüllt.
Ich höre Kinderlachen und Musik. Auch Gesang klingt an mein Ohr.
Ich rieche den Duft von eintausend verschiedenen Blumen, die an keinem anderen Ort auf der Welt wachsen, den Duft des gebratenen Fleisches und den Rauch von Feuer.
Alles ist die reinste Idylle, doch dann fange ich an und gebe den Menschen Gesichter. Ich fange an zu erkennen, dass dies mein altes Rudel ist, dass die Lichtung meine alte Heimat ist und auf einmal ändert sich die Szene.
Ich sehe in fast vollständige Dunkelheit, erkenne den bedrohlich wirkenden Wald und eine Lichtung, auf der nichts scheint wachsen zu können.
Ich sehe ein Feuer, dass von zwei Scheiterhaufen ausgeht.
Ich sehe Kinder, die sich an ihre Mütter klammern und Erwachsene, die sich in einer Reihe aufbauen und bedrohlich auf mich zu kommen.
Ich höre die Vorwürfe der Alten und das Unverständnis der Jungen. Überschattet wird alles vom Knistern der Feuers, bis letztendlich eine gespenstige Stille eintritt. Der Gestank der brennenden Toten beißt in meiner empfindlichen Nase und an mir selbst haftet der Geruch von Blut.
Doch zum Glück wache ich dann in den meisten Fällen aus meinen Tagträumen auf. Dieses Mal jedoch war es anders.
Die Szene wurde klar, sie war nicht länger verklärt oder getrübt. Nein, zum ersten Mal, seit ich mich zurückerinnern kann, sehe ich das Rudel so, wie es wirklich war.
Ich sehe, dass unsere Lichtung in ihrer höchsten Blüte steht und dass der Herbst naht und bald alles wieder verblassen wird.
Ich sehe die Frauen, die sich am Feuer um die Nahrung für das Rudel kümmern und im Augenwinkel erkenne ich, dass unsere Jäger erfolgreich aus dem Wald zurückkehren.
Ich sehe die Alten, wie sie zusammen sitzen und sich wieder einmal über Dinge unterhalten, die laut ihnen niemanden etwas angehen, die am Ende aber doch das ganze Rudel betreffen werden.
Ich sehe die Jungen, wie sie spielen und die Krieger, wie sie trainieren.
Ich erkenne Kevyn, der bei seinen Eltern sitzt und so aussieht, als würde er viel lieber bei den andern Kindern mitspielen, es auf Grund seiner Verpflichtungen aber nicht darf.
Ich erkenne meine beiden Paten Lin und Jenny, die auch bei ihnen sitzen.
Ich sehe Mira trainieren und Leo und Dark sind mit den anderen am spielen.
Ich sehe etliche andere Fes Denabre Kye in beiden Gestalten.
Die Geräusche und Düfte, die an mein Ohr klingen, sorgen dafür, dass ich beginne vollständig zu vergessen und anfange mich in einer Welt zu verlieren, in der noch alles in Ordnung war.
Es war fast so schön wie in unseren Legenden von wahrer Liebe, Frieden und Unsterblichkeit.
Ich erinnere mich wie mir meine Mutter abends oft Geschichten erzählte.
Geschichten von großen Helden unseres Volkes, Geschichten von Liebe, Vertrauen und Hoffnung, aber auch Geschichten von Schmerz Trauer und Verlust. Am besten jedoch gefielen mir die Legenden, die vom Anbeginn der Zeit stammten.
Ich weiß nicht mehr wie oft ich sie früher erzählt bekommen habe, doch eine Legende erzählte mir meine Mutter häufiger als alle anderen, so dass ich mich selbst jetzt noch an jedes Wort erinnere. Es war eine Legende, wie alles umfasste. Sie erzählte von Familie, von Verlust, von falschem Vertrauen, von Krieg und von der Liebe, der einzig wahren Liebe.
Meine Mutter begann diese Legende immer mit den selben Worten:
*Am Anbeginn der Zeit lebten die Fes Denabre Kye in Frieden mit allen anderen Völkern, auch mit den Menschen.
Doch die einzelnen Rudel lagen oft untereinander im Krieg. Während dieser Zeit lebte auch die Denaye Mira und der Denaye Kolve. Mira und Kolve kannten sich schon sehr lange und ihre Rudel waren immer miteinander befreundet.
Doch dann begann sich zwischen ihnen mehr zu entwickeln. Etwas, dass Kolves Schwester nicht hinnehmen konnte und so kam es wie es kommen musste. Sie erklärte Miras Rudel den Krieg.
Kolve jedoch, dem Mira wichtiger war als sein Leben, ja sogar wichtiger als sein Rudel, schloss sich Mira an und nahm sie zur Gefährtin.
Als es dann zu den Kämpfen kam, war die Schlacht blutig und lang, obwohl man schon früh merkte, dass Miras Rudel unterliegen würde. Sie waren einfach weniger Kampferfahrung, da sie bislang immer versucht hatten Kriege so gut es geht zu vermeiden.
Letztlich mussten auch Mira und Kolve mitkämpfen.
Ab diesem Zeitpunkt schien die Schlacht sich zu wenden.
Beide wären auf Grund ihrer Verletzungen, selbst mit der verstärkten Heilfähigkeit einer Dya oder eines Dyn, schon längst ihren Verletzungen erlegen, doch sie lebten noch immer.
Am Ende ergab sich Kolves Schwester, doch sie schwor Mira auf ewig Rache.
Nach diesem Sieg setzte sich eine verstärkte Rudelstruktur durch und es entstand diese Überlieferung.*
Mutter erklärte es mir später so, dass die beiden auf Grund ihrer unendlich wahren Liebe füreinander unsterblich geworden sind und dass es heißt, dass sie auch heute noch irgendwo unerkannt leben.
Oft sagte sie, dass sie mir wünschen würde, dass ich meine wahre Liebe finde.
Heute weiß ich, wie unwahrscheinlich es gewesen war, dass ich die Chance bekommen hätte.
Doch das alles ist unwichtig, denn Mutter würde es nie mehr mitbekommen, egal ob ich es nun geschafft hätte oder nicht.
„Der Tod ist ein Schlaf, in welchem die Individualität vergessen wird: Alles andere erwacht wieder oder vielmehr ist wach geblieben.“
Arthur Schopenhauer, Hauptwerke Band I - Die Welt als Wille und Vorstellung
Und doch,
die Tränen fließen,
du bist fort.
Kommst nie zurück,
wie mein Glück.
Ich wusste nicht mehr was ich tat. Warum ich es tat. Ich wusste gar nichts mehr.
Mein Körper gehörte nicht länger mir, die Bestie kontrollierte ihn.
Sie hatte die Kontrolle übernommen und schlug und biss immer und immer wieder nach Treyson.
Ich konnte sie nicht aufhalten, egal wie sehr ich es auch versuchte, es war mir unmöglich die Kontrolle zurückzuerlangen. Es wollte mir einfach nicht gelingen. Ich war zu schwach. Meine erste Verwandlung hatte mich zu viel Kraft gekostet.
Und doch hatte mien Bruder keine Chance. Ich war immer noch stärker als er.
Ich habe nie verstanden, warum es so war.
Er war älter als ich, größer und er hatte schon längst Kampfunterricht. Mein einziger Vorteil war, dass ich eine geborene Dya war und somit in mir mehr Kraft wohnte als in den meisten anderen Mitgliedern des Rudels.
Doch zu diesem Zeitpunkt konnte ich meine Kraft noch nicht einmal im Ansatz kontrollieren, se war vollkommen wild und unbereschenbar, wenn sie ausbrach. Das war wohl auch Treys Nachteil. Bei meiner ersten Verwandlung hatte Trey einfach nur Pech, rießiges Pech.
Normalerweise war es die Pflicht der Eltern die Kinder auf ihre erste Wandlung vorzubereiten, doch meine Eltern hatten e noch nicht einmal für nötig befunden mit mir darüber zu reden. ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was mit mir geschah.
In dem einen Moment stritt ich mich noch mit meinem Bruder und fühlte wie die Wut in mi immer mehr Raum einnahm. Dann auf einmal hatte ich das Gefühl mein Körper löste sich auf und im nächsten Moment stand ich als Schneeleopardin vor meinem Bruder und fauchte ihn an.
Inzwischen weiß ich, dass es völlig normal ist, nach der ersten Verwandlung das inner Tier nicht unter Kontrolle zu haben. Doch normalerweise sollten die Eltern einem helfen, damit man sich beruhigte. Auch sollte die erste Verwandlung normalerweise bewusst herbeigeführt werden.
Was meine Eltern sich dabei dachten, es bei mir nicht zu machen, weiß ich nicht. Aber ich erinnere mich noch zu gut daran, wie die Situation mit Trey aus dem Ruder lief.
Trey reagierte schnell. Innerhalb von Sekunden verwandelte auch er sich. Seine Haltung vermied jedoch jede Drohgebärde, um mich auch ja nicht weiter zu reizen. Doch mir war das in diesem Moment egal. Ich achtete gra nicht darauf. Ich war einfach nur wütend und meine Wut richtete sich gegen das einzige Lebewesen in greifbarer Nähe. Trey.
Ich glaube Trey und ich waren gleichermaßen erschrocken, als ich mit der Pranke ausholte und ihn mit voller Wucht am Kopf traf, so stark, dass er taumelte.
Ab diesem Zeitpunkt hörte scheinbar auch für ihn der Spaß auf, denn er griff nun seinerseits mich an.
Ich wich seinen Prankenhieben so gut wie ich konnte aus. Innerhalb kürzester Zeit war mein Fell voller roter Flecken. Immer mehr Blut tropfte auf den Boden und sowohl Trey als auch ich bluteten aus immer größeren Wunden.
Nachdem sich der Schock, der mich nach Treys plötzlichem Angriff gelähmt hatte, wieder legte, besaß Trey keine Chance mehr.
Ich schlug auf ihn ein, biss ihn, kratzte ihn, verletzte ihn. Immer und immer weiter, bis letztlich sein ganzer Körper rot war. Mehr als eine große offene Wunde konnte ich erkennen.
Trey taumelte schon und brach dann in sich zusammen. Das war der Moment, in dem es mir gelang die Bestie zu verdrängen und in dem ich realisierte, was ich gerade getan hatte.
Ich, eine 5 Jährige, hatte meinen großen Bruder fast getötet.
Ich weiß nicht wie es kam, dass ich mich zurückverwandelt habe. Doch ich erinnere mich daran, wie ich auf einmal neben Treys blutüberströmtem Körper kniete und ihn beruhigend über den Kopf streichelte. Ich weiß noch, dass ich das Ausmaß der Situation nicht verstand und das ich so unendlich viel Angst hatte. Angst vor dem, was von mir Besitz ergriffen hatte. Angst um Trey, da er einfach nicht mehr auf mich reagierte. Ich weiß nicht, wie lange ich an Treys Seite saß, doch irgendwann fanden und unsere Eltern.
Als ich sie bemerkte, fing ich an zu schluchzen und am ganzen Körper zu zittern. Irgendetwas in ihrer Präsenz machte mir Angst. Soviel Angst, dass ich mir fast wünschte sie würden wieder gehen. Dennoch klammerte ich mich verzweifelt an meinem Vater fest.
Dass, was nun geschah, liegt für mich im Nebel. Aber einige wenige, wertvolle und auch sehr schmerzhafte Erinnerungen sind mir geblieben.
Meine Eltern schienen die Situation direkt zu erfassen. Sie warfen sich einen kurzen Blick zu, dann nahm mich mein Vater auf den Arm und trug mich ins Lager zurück - weg von Trey. Mutter folgte einige Schritte hinter ihm.
Da ich über die Schulter meines Vaters zu Trey zurückschaute, bemerkte ich im Gegensatz zu meinen Eltern, dass er sich zurückverwandelt hatte. Ich sah auch als einzige, dass er versuchte den Arm zu heben. Auch vernahm niemand außer mir sein gekrächstes „Mom“.
Fortsetzung folgt...
Texte: Anduria Recca
Bildmaterialien: Coverbild von http://pixabay.com/ (nachbearbeitet)
Tag der Veröffentlichung: 02.10.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Allen die an mich geglaubt haben und die mich immer noch weiter motivieren.
Ich danke euch.