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Um die kleinen runden Tische sind jeweils ein paar Stühle gestellt. Es ist zwanzig vor acht; auf der kleinen Theaterbühne vorn sind hinter dem Vorhang Geräusche zu hören: wohl die letzten Vorbereitungen auf den Abend im Kabarett. Heute tritt Peter Resinger auf.

Vor zwei Wochen habe ich mir das Ticket mit der Platz-nummer 24 gekauft. Auf Peter Resinger freue ich mich und einfach auf einen unterhaltsamen Abend mit viel Schmun-zeln, Lachen, aber auch bestimmt mit einigen besinnlicheren Momenten. Ein Klavier steht auf der Bühne links. Also heute Abend mit Musik, denke ich.

Resinger war schon ein paar Mal im Fernsehen. Richtig gut, der Mann. Weil er es auf seine humorvolle, aber mitunter auch auf seine ironische Art schon immer verstanden hat, der Feststellung, dass Männer und Frauen nicht zusammen passen, die nötige Geltung mit seiner unwiderlegbaren Argumentation zu verschaffen, weil Männer und Frauen eben doch von einem jeweils anderen Planeten abstammen. Na, mal sehen, was der heutige Abend bringt…

So, hier also Platz Nummer 24. Guter Platz. Prima Aussicht auf die Bühne. Doch zunächst gehe ich rasch zu dem kleinen Tresen hinten in der Ecke. Ich stehe in der Schlange und sehe mich um. Die meisten sind Paare hier. Mittleres bis älteres Semester. Ich gehe recht oft hierher. Das kleine Theater bietet ein sehr abwechslungsreiches Kabarett-programm. Mit Künstlern, die oft schon recht bekannt sind.

„Was darf's denn sein?“ Meine Gedanken kehren in die Wirklichkeit zurück.

„Ich nehme eine Flasche von dem Roten da, schön trocken ist der doch, oder?!“ Die Show heute Abend dauert bestimmt zwei Stunden – mit Zugabe. Da ist eine Flasche trockener Rotwein bestimmt nicht zu viel.

Mit Flasche und Rotweinglas im Arm gehe ich zu meinem Platz. Auf Nummer 23 sitzt schon jemand. Ich schaue in ein offenes freundliches Gesicht. Grüne Augen? Bei dem Licht nicht so genau zu erkennen.

„Guten Abend“, sagt sie.

„Äh, ich, ehm, ja, guten Abend!“ Was ist los mit mir? Stottere ich neuerdings wie ein Primaner? Ich stelle Flasche und Glas auf den kleinen runden Tisch und vergesse, mir etwas ins Glas zu gießen.

„Wird bestimmt schön, heute Abend hier! Haben Sie den Resinger schon mal live erlebt?“ versuche ich ein Gespräch anzuzetteln.

„Nein, und in diesem kleinen Theater bin ich zum ersten Mal. Schön hier. Gefällt mir sehr, sieht gemütlich aus.“ Meine Nachbarin ist völlig locker, offensichtlich freut sie sich auf einen schönen Abend.

„Entschuldigen Sie mich bitte für einen Moment“, habe ich gerade eine grandiose Idee. Schnell – die Vorstellung fängt gleich an – laufe ich zum Tresen und lasse mir noch ein Rotweinglas geben.

„Ich hoffe, Sie trinken ein Gläschen mit“, versuche ich es.

„Ja, gerne, warum nicht?“

Wir prosten uns kurz zu. Der Ring an ihrer Hand sieht nicht aus wie ein Ehering.

„Übrigens, ich heiße Lukas.“

„Irene.“ Ich fange ihren Blick ein. Ich glaube, sie hat grüne Augen.

Der Raum beginnt sich zu verdunkeln. Das allgemeine Gemurmel verstummt, das Publikum klatscht rhythmisch – fordert zum Beginn der Show auf. Der Vorhang schiebt zur Seite. Resinger steht da. Applaus.

Resinger fängt an, Resinger ist gut. Wir lernen wieder einmal, dass Männer und Frauen eigentlich überhaupt nicht zusammenpassen, hatten wir das nicht schon?! Aber so, wie Resinger uns das erklärt, nein, so hatten wir das noch nicht. Das Gelächter und der Applaus seiner Zuhörer sind ihm sicher. So will er das haben. So bekommt er es auch.

Pause. Die erste Hälfte der Vorstellung ist durch. Ohne Musik. Das Klavier steht immer noch da. Die Flasche ist leer, im Glas meiner Tischnachbarin ist noch ein Rest. Mein Glas ist leer. Wir haben viel gelacht. Die Stimmung so gut. Auch ohne Musik. Bei mancher Pointe des Witz und Charme ver-sprühenden Comedians auf der Bühne treffen sich unsere Blicke. Irene strahlt eine so herzliche Fröhlichkeit aus.

„Sagen Sie, Irene, schaffen wir noch ein Gläschen für die zweite Halbzeit?“ will ich wissen.

„Oh, ich weiß nicht so recht; wird das nicht ein bisschen zu viel?“ zögert sie.

„Ach was“, grinse ich aufmunternd und bin schon auf dem Weg zum Tresen. Dort ist die Schlange noch länger als kurz vor Beginn der Vorstellung. Die Leute sind in bester Laune. Resinger hat wieder einmal ganze Arbeit geleistet: Herrliche Pointen, immer im richtigen Augenblick.

Und Irene. So mittleren Alters schätze ich sie. Na ja, meine Schläfen sind ja auch schon ein bisschen grau. Was soll's?!

Und sehr anziehend ist sie. Leger und trotzdem geschmackvoll gekleidet. Eine rundum sympathische Persönlichkeit. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ihr meine Gegenwart bis jetzt auch recht angenehm war.

Am Ende der Show verlangen wir alle eine Zugabe. Resinger lässt sich nicht lange bitten. Alle sind begeistert. Ein schöner Abend.

Aufbruch. Wir gehen – einige drängeln – zur Garderobe. Ich will sie nicht aus den Augen lassen. Meine Gedanken drehen sich um Irene. Ob ich sie noch zu einem Drink in das Restaurant nebenan einladen kann? Was wird sie sagen, wenn ich sie darum bitte?

Für einen kurzen Augenblick nur verliere ich sie aus den Augen, als ich meinen Mantel heraussuche. Ich gehe zum Ausgang, ins Treppenhaus. Wo ist sie? Ich sehe sie nicht. Bestimmt kommt sie gleich…

Alle drängen zum Ausgang, schieben mich. Wieder und wieder sehe ich mich um.

Irene habe ich nicht wiedergesehen.

Impressum

Texte: (c) 2010 jpresi
Tag der Veröffentlichung: 26.11.2010

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