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Der Auftrag

 

Die Luft im Büro könnte man wieder mal schneiden. Dichte Rauchwolken stiegen von den Schreibtischen empor. Ach was, die ganze Luft bestand ausschließlich aus dem schweren Rauch. Als im einundzwanzigsten Jahrhundert das Rauchverbot durchgesetzt wurde, gab es viele Aufstände. Vor allem in unserem Gewerbe gab es Defizite zu verzeichnen. Journalisten brauchen den Smok, etwas, was sie von der ganzen Welt da draußen abschneidet, was sie in eigenen Gedanken leben lässt.

Ich schlenderte den gewohnten Gang zu meinem Schreibtisch. Den hätte ich auch mit geschlossenen Augen finden können, immerhin ging ich ihn seit fast schon fünf Jahren jeden Tag, sieben Tage die Woche, zweiundfünfzig Wochen und dreihundertfünfundsechzig Tage. Kein Urlaub, keine freien Tage. Es gab keine Krankheiten mehr und keine Notwendigkeit sich zu erholen. Sogar die Zigaretten enthielten Stoffe, die, im Gegensatz zu den vor vierhundert Jahren, unser Immunsystem stärkten.

Mein Schreibtisch quälte über. Ein seltener Anblick angesichts dessen, dass die Festplatten unbegrenzte Speicherkapazität erhielten und die Computer automatisch die passenden Notizen zu den Artikeln zufügten, damit er sie nach Fehler- und Wahrheitsgehaltüberprüfung selbständig dem Boss übermitteln konnte. Ich winkte mit der Hand über dem Schreibtisch- die Hollogramme verschwanden. So war es besser, ich steckte mir eine Zigarette an.

»Hey, Jonathan, der Boss will dich sehen.«

Lara verschwand so schnell, wie sie aufblitzte. Ich fluchte kurz und begab mich zum Büro des Direktors. Es könnte nur noch mehr Arbeit bedeuten und ich war schon mehr als ausgelastet.

Durch die Glastür konnte man erkennen, dass ich nicht allein war, der auf den Teppich bei dem Boss antanzen musste. Ein dürrer Typ saß bereits auf der Wartebank. So schuldbewusst, wie er aussah, rechnete er wohl mit dem Schlimmsten.

Lara war die einzige hier, die nicht geraucht hatte, also löschte ich die Zigarette an der Zarge aus, schmiss den Filter auf den Boden und spuckte hinterher. Der Robomob war schnell zu Stelle und wischte die Sauerei weg.

Ich schritt hinein und gesellte mich zu dem Neuen. Ich hatte keine Ahnung wie er hieß, kann sein, dass er es mal erwähnt hatte. Doch in den letzten sieben Tagen, seit er hier war, gab es nicht viele Gelegenheiten ihn anzusprechen, also merkte ich ihn mir nicht.

Wir saßen, wie die Hühner auf der Stange, in Erwartung unseres Urteils. Suppe oder Heu, Suppe oder Heu. In Anbetracht der Laune des Direktors, die sein ständiger Begleiter war, schien uns nichts Gutes.

»Weißt du, was er von uns will?«, hielt ich es nicht mehr aus.

Lara schaute nur kurz von ihrem Tablett hoch und murmelte kaum hörbar: »Du fliegst mit der Hubble zum Phobos und der Benjamin hier darf die Tochter des Gouverneurs unterhalten.«

Der sarkastische Unterton war uns nicht entgangen. Die verwöhnte Göre war wirklich kein Zuckerschlecken, liebte es alles in ihrem Leben aufzeichnen und dokumentieren zu lassen. Jede Shoppingtour war ihrer Meinung nach interessant und wichtig genug, um einen Beitrag für die überregionale Presse zu schaffen. Doch ich würde jederzeit mit ihm tauschen.

Hubble war der älteste und rostanfälligste… Nein, die Bezeichnung Raumschiff hat sie nicht verdient, diese Kiste. Schlimmer noch, der Kapitän dieser Kiste war keine geringere als Cathrin Capperman, auch Captain Kitty genannt. Ich sah sie einst, furchteinflößende Frau. Also Suppe, dachte ich resigniert.

Die Tür zum Büro des Bosses ging auf und irgendwo zwischen den starken Rauchwolken zeichneten sich die Umrisse eines schwerfälligen Mannes aus.

»Wer will zuerst?«

Ich stand auf, dem Anderen sei Welpenschutz gewährt, dachte ich. Nicht lange, aber immerhin…

»Und? Hat sie es schon gesagt?«, deutete mein Boss auf seine Sekretärin. Ich hätte es nicht sehen können, hätte er nicht einen Glimmstängel in der Hand.

Man konnte ihn kaum identifizieren, so düster und verraucht es im Raum war. Ich war mir sicher, ich würde ihn nie erkennen, wenn ich ihn draußen vorbei gehen sehe. Damals, als er mich eingestellt hatte, war er um einiges schlanker. Und umgänglicher. Ist wahrscheinlich so, der Stress und Probleme gehen an niemanden spurlos vorbei. Er fing an zu rauchen, legte ordentlich an Gewicht zu und versteckte sich seitdem in seinem Erdloch.

Ich ging seiner Stimme nach und tastete sich bis zum Stuhl hinab. Doch auch sitzend kam mir die Aufgabe, die mir bevorstand, nicht besser vor.

»Wieso?«, fragte ich nur in meiner Verzweiflung.

»Na ja, seit mehr als 50 Jahren war keiner mehr auf Phobos. Wer weiß, wie sich die Bewohner so entwickelten. Du wirst uns darüber berichten…«

»Wenn ich heil ankomme«, setzte ich mit zusammengebissenen Zähnen dazwischen. Er ignorierte mich und fuhr fort.

»Außerdem hat die Kitty es noch nie erlaubt, ihr nahe zu kommen. Die Fahrt dauert zwei Wochen, du könntest mehr über sie rauskriegen«, er stand auf und blickte aus dem Fenster hinter ihm. »Die geheimnisvolle Captain Kitty.«

Was auch immer er gerade dachte, er hatte bereits seine Erfahrungen mit ihr, das hörte man zu deutlich.

Ich stand langsam auf und bewegte mich zur Tür. Sollte doch diese Kitty vom Meteoriten getroffen werden. Und der Phobos meinetwegen hinterher.

»Warte«, ein Quietschen verriet mir, dass er sich in seinen Sessel setzte. Ich kam wieder näher. »Ich will, dass du sie vernichtest, verstehst du? Moralisch tötest.«

Seine Augen blitzten durch den dichten Rauch. Diese Erfahrungen waren sicher nicht von der netten Sorte, dachte ich. Ich schlug die Tür hinter sich zu und atmete auf.

Captain Kitty

 

Die Hubble legte von dem Westplatz ab. Ich war überpünktlich. Und das, obwohl mir klar sein musste, dass Captain Kitty nie nach Plan geht- dafür war sie auch berühmt-berüchtigt. Die Crew schlich geradezu den Steg hinauf.

Der Innenraum war genauso, wie ich ihn mir vorgestellt hatte- trist und marode. Die Instandsetzung dieser Kiste würde mehr Kosten auffressen, als zwei neue Schiffe zu bauen. Ich machte unauffällig ein paar Fotos mit meiner Brillenkamera.

Mir zugewiesene Kajüte unterschied sich nur in zwei Punkten von dem Rest des Schiffes- es gab so etwas wie ein Bett und Latrine. Ich legte meine Tasche in die Ecke hinter dem Bett und ging auf Erkundungstour durch Hubble. Ich wusste, mir stand eine Audienz bei Kitty zu, doch bis dahin hatte ich noch genügend Zeit mich davon zu überzeugen, dass meine letzten Stunden auf dieser Welt geschlagen waren.

Ich schlenderte durch die verzweigten Gänge, immer wieder auf lustlose Mitglieder der Crew treffend. Captain Kitty heuerte offensichtlich ausschließlich die schlimmsten und unfähigsten Leute an. Vielleicht auch, weil nur die bereit waren eines glanzvollen Todes zu sterben, indem sie im All wie ein Feuerwerk aufgingen. Es waren hauptsächlich die blassen Mondlinge, die sich durch das fehlende Reaktionsvermögen auszeichneten, die langen Venuiten, für die sogar die Zeichensprache zu kompliziert war, und die Plutonier, die die Größe ihres Planeten durch ihren Übermut und unbedachtes Verhalten ausglichen.

Ich schaute nach unten in die Lücke. Meine Heimat, das blaue Planet, entfernte sich mit Lichtgeschwindigkeit von mir. Ich schickte die letzten Gebete zum Gott der Vorfahren und verabschiedete sich von der Erde.

Ein Mondling schlich langsam auf mich zu. Ich zündete mir eine Zigarette an- bis er hier war hätte ich sie schon weggeraucht.

»Sie erwartet dich«, sagte er in langsam gezogenen Tönen.

Ich schmiss den Filter auf den Boden, das dürfte ihn eine Weile beschäftigen, und beeilte mich aufs Deck. Sie stand in Erwartung, Gesicht zur Tür, als ich hineinging. Eine großgewachsene, gut gebaute Frau, nicht älter als ich es war. Einfach unfassbar, dass sie bereits so viele Abenteuer hinter sich brachte. Ihre roten Haare wellten sich über die Schultern und endeten im Bereich des wohlgeformten Busens. Ich hatte sie eindeutig schlimmer in Erinnerung.

Sie blickte auf mich mit ihren großen grünen Augen. Ich erzitterte augenblicklich. Irgendetwas, ich verstand nicht gleich was, hatte in mir diese Reaktion ausgelöst. Doch als ich näher kam, erinnerte ich mich wieder an alles, all die Geschichten über ihr Volk und ihre Herkunft.

Cathrin stamm aus dem Volke der Keplerianer. Kepler war ein erdähnlicher Planet aus der benachbarten Galaxie. Im Gegensatz zu Erdlingen, deren Ziele sich alle um technischen Fortschritt drehten, übten sich die Keplerianer darin andere Bereiche ihres Hirnes anzustrengen. Dies brachte sie im Laufe der Evolution dazu ihre Gestalt verändern zu können, was viele tatsächlich nutzten. Sie lebten manchmal jahrelang in der Gestalt eines Tieres, paarten sich und entwickelten neue Spezies. Die Großmutter der Captain Kitty sollte eine Wildkatze gewesen sein, munkelte man. Als Beweis starten mich zwei gelbgrüne Augen mit blitzartigen Pupillen an.

Ich machte unauffällig ein paar Fotos von ihr.

»Kann ich deine Brille haben?«, fragte sie statt Begrüßung.

»Was…«, wollte ich einwenden, doch sie unterbrach mich.

»Hältst du mich für so dämlich? Seit drei Jahrhunderten gibt es auf der Erde weder Kurz- noch Weitsichtigkeit«, sie lächelte kurz, »wobei es beim Letzteren auch im übertragenen Sinne zutrifft.«

Ich befolgte und übergab ihr die Brille. Sie schaute begutachtend darauf, dachte kurz nach, halb von mir abgewendet. Plötzlich schmiss sie sie auf den Boden und trat mit voller Kraft darauf. Was sie nicht wusste, war, dass wir nicht weit genug von der Erde entfern waren: die Bilder wurden sofort nach dem Aufnehmen automatisch auf meinen Rechner im Büro übertragen.

»Ich erwarte keine Störungen deinerseits und bitte dich, dich von meinem Personal fernzuhalten. Wenn wir in einer Woche ankommen, hast du zwei Tage Zeit, danach treffen wir uns Punkt zwölf Sternzeit am Board und es geht für dich heimwärts. Bist du nicht rechtzeitig da, fliegen wir ohne dich«, sie setzte sich auf ihren Sessel und mit den Worten: »Du kannst gehen«, drehte sie sich mit dem Rücken zu mir.

Ich stand noch etwa zwei Minuten unbeweglich da, doch es kam nichts mehr. Das ungute Gefühl noch in den Knochen spürend, ging ich zurück zu meiner Kabine. Was hatten sie alle bloß? Warum sprach jeder mit so viel Ehrfurcht und Begeisterung von ihr?, dachte ich. Ja, sie war attraktiv, ohne Frage. Die perfekten Züge, stolze Haltung und atemberaubende Ausstrahlung. Und doch wirkte sie auch gespenstisch. Und furchteinflößend. Das passte ja gut, sie und ihr Ziel, der schreckliche Planet. Doch was wollte sie genau auf Phobos? Und vor allem, was hatte nun mein Boss mit ihr? Was auch immer es war, er wollte ihr Ende. Meine journalistische Neugier war geweckt.

All diese Fragen ließen mich auch nachts nicht los. Glücklicherweise war der Zyklus von Tag und Nacht auf Kepler nicht viel anders als auf Erde und die Lichter gingen nach vierzehn Stunden aus. Die nächsten Vierzehn könnte ich beim Nachdenken verbringen.

 

Auch die nächsten Tage wurde mein Leben am Board der Hubble nicht interessanter. Ich beobachtete die Mondlinge, Plutonier und Venuiten, doch sie bildeten gewiss nicht den Stoff für eine richtige Sensation. Kitty ließ sich die ganze Zeit nicht blicken und ich dachte schon, dass ich sie gar nicht mehr zu Gesicht kriege, als ich eine Einladung zum Essen bekam.

Sie besagte, ich solle um fünfundzwanzig Sternenzeit zum Abendessen erscheinen. Ich verbrachte den ganzen Tag fast zitternd vor Erwartung endlich etwas Aufregendes erleben zu dürfen. Als die Stunde nahte, zog ich meinen besten Reiseanzug an und begab mich auf die Suche nach dem Saal. Laut der Beschreibung sollte er sich nicht weit von der Kapitänskajüte befinden.

Ich eilte durch die verrosteten Wege und versuchte die abstehenden Metallsplitter zu umgehen- jetzt die Schuhe zu ruinieren war nicht der perfekte Augenblick. Als ich die Kapitänkajüte passierte, änderte sich jedoch die Beschaffenheit des Bodens. Kein Rost, keine sperrigen Teile, die das Gehen behinderten, waren weit und breit zu sehen. Ein angenehmer Duft strömte aus den Poren des Schiffes hervor. Ich drehte mich um, um den Übergang zu sehen, doch da war nichts. Der ganze Flur sah genauso aus wie unter mir: Schön und weich. Dazwischen muss wohl ein Spiegelhollogramm sein, fiel mir ein.

Ich bewegte mich in Richtung des Duftes. Er wurde intensiver und veränderte sich mit jedem Schritt. Jetzt roch es nach Ente à l'orange und das Wasser lief in meinem Mund zusammen. Ich trat in den Saal ein und fühlte mich um fünfhundert Jahre zurückgeworfen. Sie, die Schönheit in Person, thronte auf einem Ende des langen Tisches. Es gab nur noch einen Stuhl, am anderen Ende. Nach ihrer stummen Aufforderung nahm ich Platz. Ich machte meinen Mund auf, um ihr für die Einladung zu danken, doch sie deutete mir zu schweigen. Ich befolgte.

Die Gänge wurden nach und nach serviert. Wir verspeisten sie stumm und warteten auf die Nächsten. Was auch immer ihr Plan war, ich konnte ihn nicht entziffern. Ich verbrachte meine Zeit, indem ich zwischen den Gängen ihre perfekten Linien nachging und, zugegeben, diejenigen Gedanken zuließ, die mir meine Mission nicht erlaubte.

Sie schaute hoch zu mir, so oft es ging. Die Luft zwischen uns knisterte spürbar, doch keiner machte auch nur einen Versuch etwas zu unternehmen.

Nach dem der letzte Gang, Zitronen-Pistazien-Parfait, serviert wurde, entfernte sie sich in kleinen schnellen Schritten und ließ mich ganz alleine sitzen. Ich wartete noch ein-zwei Minuten und ging ihr nach.

Ich hatte nicht wirklich Erwartungen an diesen Abend, aber das was da tatsächlich kam, haute mich um. Sie schnappte mich und küsste mich so heftig, dass es mir die Füße vom Boden riss. Ich ging vor Begierde fast um. Mit ihren starken Händen schmiss sie mich aufs Bett. Ich machte mal wieder meinen Mund auf, um ihr zu sagen wie schön sie war, doch auch diesmal ließ sie es nicht zu.

 

Ich wachte in meiner schäbigen Kajüte auf. Die Lichter waren noch aus. Der Blick auf den Kabinencomputer verriet, dass ich noch zwei Stunden bis zum Tagesmodus hatte. Zeit zum Nachdenken. Träumte ich es oder war es Realität? Mein Herzschlag erhöhte sich beim Gedanken an diese starke, katzenartige Frau. Captain Kitty.

Was tat ich da? Das durfte ich nicht. Mir war befohlen sie fertig zu machen, zu vernichten. Doch wie konnte ich es jetzt tun? Jetzt, wo ich sie nicht mehr hassen, sondern nur anhimmeln, ja vergöttern, kann. Ich musste rauskriegen, was da gelaufen war.


Das Geheimnis von Phobos

Die Hubble setzte zur Landung über. Unglaublich aber wahr, diese alte Schrottkiste hat es tatsächlich geschafft ihr Ziel einen Tag früher zu erreichen. Ich sah Kitty nicht mehr, nicht einmal nach unserem Abendessen. So oft ich an dem Deck vorbeilief oder zu ihrer Kajüte ging, ich traf sie nicht- sie war unauffindbar. Hatte ich mein Ziel aus den Augen verloren? Ja, sicher. Alles was ich wusste, war nur- ich musste sie sehen.

Der Phobos machte seinem Namen alle Ehre. Die schwache Atmosphäre, die, wie oft bei solchen Monden, künstlich hergestellt war, ließ nur kräftige und starke Organismen zu. Die Menschen waren hier selten.

Wir gingen vom Schiff und die schwere, ammoniaklastige Luft stieg uns sofort in die Nasen. Ich suchte mit den Augen nach Kitty, doch auch hier war sie nicht zu sehen. Zwei Tage, sagte sie. Zwei Tage, um diese Meute von großgewachsenen Riesen zu erforschen. Ich war daran nicht interessiert, ich wollte SIE sehen.

Fürs erste kam ich in dem Motel beim Landeplatz unter. Nicht der sicherste Ort, aber nah genug an das Schiff, um jede ihrer Bewegungen zu verfolgen. Aus dem Bullauge in meinem Zimmer konnte ich den Hubble gut beobachten. Doch sie ließ trotzdem auf sich warten.

Ich platzierte mich vors Fenster in der Motelbar, damit ich die Hubble in Sicht hatte. Die Bar war leer, außer einem schleimigen Phobosianer und mir war keiner da. Ich zog die Zigarette und suchte nach dem Feuerzeug. Der lag sicher gemütlich in der rostigen Kabine der Hubble und leider nicht in meiner Hosentasche.

„Hier, bitte, Verehrtester.“

Der Schleimie zog mir einen Tentakel entgegen. Darin, kaum zu sehen, hielt er ein steinaltes Feuerzeug.

„Wusste gar nicht, dass ihr hier die Produkte von der Erde habt“, ich neigte meinen Kopf um das Feuer zu empfangen und nickte anschließen zum Dank.

„Oh, dieses Exemplar ist ein Überbleibsel von meiner Mutter, die Erdling war. Es ist alles, was ich noch von ihr habe.“

Die Vorstellung, eine Frau könnte sich mit einem Schleimbeutel von Phobosianer paaren, ließ mein Frühstuck hochkommen. Ich schluckte mit Mühe und wendete mich weiter meinem neuen Bekannten. „Sie kam also von der Erde?“

„Oh, sie war hier geboren. Ihre Eltern kamen von dort. Nur überleben die Menschen hier nicht so lange, wie auf der Erde. Mein armer Papa hatte ihre sterblichen Überreste viel zu früh der Deponie übergeben müssen.“

Deponie! Wie Müll entsorgen sie hier die Menschen, dachte ich mit Ekel.

„Ich war damals kaum ein Jahr alt.“

Ich schaute mir diesen großen Klumpen an und irgendetwas, vielleicht der Ausdruck seiner Augen, hatte mich an die menschliche Trauer erinnert. Er litt, genauso, wie ein Erdling leiden würde. Das machte ihn sympathischer.

Eine monotone Melodie, die immer wieder rauf und runter gespielt wurde, ging mir gehörig auf die Nerven. Dieses Volk hatte überhaupt keinen Geschmack, weder bei Musik, noch bei Getränken, dachte ich. Ich spukte die warme Brühe aus, die sie hier als Bier servierten, wieder in das Glas zurück.

»Trift es nicht deinen vornehmen Geschmack?«

Diese Stimme, obwohl nur einst gehört, hätte ich immer wieder erkannt. Die, deren Erscheinung mir nicht mehr aus dem Kopf ging, stand wahrhaftig vor mir.

»Kitty…«

Und wieder einmal durfte ich nichts sagen. Doch diesmal war sie es nicht, die mir den Mund verbot. Etwas packte mich mit glitschigen Tentakeln von hinten und schleifte mich weg zum Ausgang. Das einzige, was ich jetzt zu Gute rechnete, war das, was ich noch sah, bevor ich ohnmächtig wurde: Captain Kitty wurde ebenfalls auf die selbe Art und Weise entführt.

 

Wir wachten in völliger Dunkelheit auf. Warum ich wusste, dass es wir waren? Tja, wir saßen auf altmodische Art mit dem Rücken zu einander und durften unsere Hände spüren. Die Fesseln drückten tief ins Fleisch. Hier hatten unsere Entführer nicht auf die altmodischen Strange gezählt. Starke und scharfe Streifen der Fiberfaser umzingelten fest jeden unserer Körperteile.

»Ich glaube jetzt habe ich eine Erklärung verdient«, kam ich endlich zu Wort. »Was genau ist hier los?«

Kitty zögerte mit der Antwort.

»Du schuldest es mir«, versuchte ich es mit der Gewissenstour.

»Na gut. Dein Auftrag hier ist eigentlich eine Fassade. Dein Boss schuldete mir noch etwas, daher hat er es so eingefädelt, dass du deine Story bekommst und er die alten Schulden begleichen kann. Nur haben sie davon Wind bekommen und jetzt ist alles für die Katz.«

»Wer sind sie und was genau ist für die Katz?«

»Sie sind VIP- Verband der intergalaktischen Piraterie. Wir hatten einige ihrer wichtigen Dokumente in der Hand, doch sie wurden gewarnt. Ich kann mir sogar denken von wem.«

Ich schwieg, wartend auf die Fortsetzung ihrer Erklärung. Doch Captain Kitty war still.

Ich konnte mir denken, wer sie warnen konnte. Derjenige, dessen Ziel es war, sie zu vernichten, sie moralisch zu töten. Das einzige was für mich verborgen blieb, war meine Rolle in diesem Fiasko.

»Warum ich«, traute ich mich endlich zu fragen.

»Ich konnte nicht hin und die Daten waren zu wichtig, um sie mit dem Kurier zu senden.«

Noch bevor ich meine nächste Frage stellen konnte, antwortete sie schon: »Die Brille.«

Natürlich, es war der perfekte Datenspeicher. Sie riss sie mir gleich hinunter und zerbrach dafür die perfekte Kopie. Wie ein Puzzle setzte ich alles zusammen. Außer einem. Welchen Groll hatte mein Boss auf Kitty? Er liebte sie einst, das war außer Frage. Doch was war geschehen, dass er sie verriet?

Das Quietschen der Tür brach meinen Gedankenfluss ab. Ein Phobosianer kam schwerfallend hinein, seine Tentakel auffallend vor sich hin tragend. Ohne ein Wort zu sagen, löste er die Fiberglasbände von Cathrins Füßen und wickelte sie mit seinen glitschigen Gliedmaßen ein. Er kam mit ihr nicht weit.

Irgendwie, das konnte ich nicht vernehmen, gelang es ihr ein Bein zu befreien. Damit schlug sie ihm in die Bauchgegend, zumindest wäre es eine, wenn er ein Mensch wäre. Doch bei Phobosianern befand sich dort die empfindlichste Masse ihres Körpers überhaupt- das Gehirn.

Vor Schmerz aufheulend, ließ er sie los, nur um im nächsten Moment seine scharfen, saugenden Tentakel erneut in sie zu stechen. Vielleicht sah er nicht viel oder es war ihm egal, wohin er die Stiche versetzte, doch sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Captain Kitty, diese willensstarke, ungebrochene Frau, sank auf Knie. Blut rannte ihr die Wange herunter. Erst jetzt sah ich, was der Anschlag angerichtet hatte: Der Phobosianer saugte ihren Augenapfel aus.

Woher ich die Kraft nahm, wusste ich in diesem Moment nicht. Aber der Anblick von niederknienden Kitty, die Wut auf diesen ekelerregenden Riesen, ließ meine Gehirnaktivität steigern. Ich rollte zur Seite und nahm, Hände noch immer auf meinem Rücken gebunden, das messerartige Instrument, was der Tentakelmann zuvor benutzt hatte. Ein Laserstrahl löste endlich meine Fesseln. Zum Glück war die Reaktionsfähigkeit meines Gegners noch immer eingeschränkt. Ich löste die Bänder an meinen Füßen, schnitt ihm in nächsten Moment zwei Tentakel ab und floh, Kitty auf der Schulter, aus unserem Gefängnis.

Sie waren sich ihrer Sache sicher, denn sie hatten noch nicht einmal Posten aufgestellt. So war der Weg zum Schiff für uns frei, zumal wir uns anscheinend die ganze Zeit auf dem Nachbarkoloss befanden.

Ich lief den Steg hinauf und ließ sie zu Boden. Noch immer strömte Blut aus der Wunde, das Auge war nicht mehr zu retten. Ich riss ein Stück Stoff aus meinem Hemd und wickelte es um mein Handgelenk.

»Nein, nicht«, gab sie von sich als ich das Blut abtupfen wollte und nahm mir den Fetzen ab.

Sie drückte es auf die Wunde und stand auf.

»Wir legen morgen ab. Du hast noch einen Tag Zeit.«

Sagte sie und ging. So tapfer, wie man es schon immer hörte. Keine Tränen, kein Gejammer. Noch nicht einmal, wenn sie für immer entstellt sein würde. Natürlich könnte sie ein künstliches Augapfel einsetzten. Es würde perfekt auf die Lichteinstrahlung und die Bewegung des anderen Auges reagieren und dementsprechend die Pupillen steuern. Vielleicht würde es sogar noch möglich sein ein Paar der Nervenenden zu retten und damit zu verbinden, dann könnte sie dadurch sehen. Aber es wäre trotzdem nicht dasselbe. Es wäre nicht ihr Auge, nicht ihre warme, strahlende Farbe. Schade.

Ich konnte nicht schlafen. Wie könnte ich denn morgen auf die Straße gehen, so tun als wäre nichts gewesen und meinen Job machen? Undenkbar.

Ich dachte an sie, wie sie sich wohl fühlte, was sie wohl dachte. Ohne es zu merken, stand ich auf und trat aus meinem Zimmer. Ich sah das schwache Licht aus der Brücke kommend und eilte dahin. Sie stand, nur in Morgenmantel umhüllt, vor dem Pult, mit dem Rücken zu mir.

»Kannst du nicht schlafen?«, sagte sie und drehte sich zu mir.

Das fehlende Auge hat sie noch nicht ersetzt. Stattdessen bedeckte sie es mit einer schwarzen Augenklappe. Wie ein Pirat, wie ihr Ruf es ihr gebührt, dachte ich bei dem Anblick.

Ich schüttelte den Kopf und kam ihr nahe. Sie war in Begriff sich von mir zu drehen, doch ich ließ es nicht zu. Ich küsste den schwarzen Stoff, ihre Nasenspitze, bevor ich mich ihren vollen Lippen widmete.

»Du bist wunderschön«, sagte ich. Sie wickelte ihre Arme um mich.

 

Der nächste Morgen brachte Neuigkeiten auf das Schiff. Der Präsident des Phobos hatte sich zu einem Besuch angekündigt. Ich machte Anstalten aufzustehen, um das Interview vorzubereiten, als sie mich zurückzog.

»Er kommt gewiss nicht in Frieden«, sagte sie kaum hörbar.

Sie setzte sich halb auf und begann ihre Erzählung.

»Vor vier Jahren besuchte er zuletzt die Erde. Es sollte um Verhandlungen über den Phobosianerschleim gehen. Es ist ein sehr gutes Reinigungsmittel, weiß du?«, sie zuckte mit der Schulter und lächelte mich an. »Wie auch immer, ich wurde gebeten bei den Verhandlungen dabei zu sein, da er als Gauner bekannt ist. Da habe ich auch Portos kennengelernt…«

»Portos? Meinen Boss?«

»Ja. Er vertrat die Cleanaxis, den Sponsor eurer Zeitung. Wir wussten gleich, dass etwas nicht stimmte. Der Preis war einfach zu billig. Natürlich störten sich die Anderen darum nicht. Doch wir hatten einen Kontakt hergestellt und einige aussagekräftige Aufnahmen bekommen, die er bis zuletzt aufbewahrt hatte. Wir forderten die Regierung auf Phobos auf, diesem Verbrechen ein Ende zu setzten, sonst würden wir es über alle Galaxien verbreiten- wie du weißt hätte Portos auch die Möglichkeiten dazu. Sie baten uns um Aufschub, bis sie die Angelegenheiten klären können. Und jetzt, vier Jahre später, haben sie Portos eingewickelt und versuchen mich zu vernichten«, sie schaute mir eindringlich in die Augen. »Lass dich nicht mehr mit mir blicken, es ist gefährlich.«

Ich wusste gar nicht, wie ich es sagen sollte. Gefährlich oder nicht, lieber starb ich an ihrer Seite, als sie nie wieder zu sehen.

»Was genau waren diese Beweise? Was habt ihr herausgefunden?«

»Das Herstellungsverfahren. Ein Phobosianer kann höchstens einen halben Liter Schleim am Tag produzieren. Die Hälfte dürfen sie für eigene Zwecke behalten, doch die andere Hälfte zieht die Regierung als Steuern ein, um auf dem intergalaktischen Markt Profit daraus zu schlagen. Doch Phobos ist ein kleiner Mond, Dreck aber gibt es in allen Galaxien zu genüge. Daher haben sie hier das Strafmaß für jegliche Vergehen auf die Todesstrafe erhöht. Die Gefangenen werden durchs Zermahlen hingerichtet. Und weißt du was aus schleimigen Kreaturen nach Zermahlen bleibt?«

Viel Schleim, dachte ich. Sie musste es nicht aussprechen. Diese Biester!

»Was denkst du, warum der Boss …«

»Du meinst mich verraten hat? Geld. Geld regiert die Welt. Und viel mehr. Auf deiner Brille war nichts, außer ein paar Fotos von mir. Da wusste ich bescheid.«

Sie stand auf und ging zum Bullauge. Mit dem gesunden Auge halb zu mir gedreht, fuhr sie fort.

»Damals war es undenkbar. Er war so ehrlich, bereit die Wahrheit zu verkünden. Ein Kämpfer eben.«

Es fiel mir sehr schwer, meinen Boss als Kämpfer vorzustellen. Soweit ich wusste, verließ er seinen Stuhl nur selten. Ich konnte mich nur an die Umrisse erinnern, sein wahres Gesicht versteckte er immer hinter einem Wall voller Dampf.

Damals, bei meiner Einstellung, hatte er noch nicht geraucht. Er war irgendwie wirklich lebensfroher, natürlicher. Die letzten Jahre hatte kaum ein Wort mit mir gewechselt.

Wann hatte er eigentlich angefangen zu rauchen? Etwa vier Jahre her. Genau da hatten wir auch unser letztes langes Gespräch.

»Kitty! Ich glaube er ist es nicht!«, schoss es aus mir heraus. »Wo auch immer Portos ist, da, im Büro meines Bosses, ist er nicht.«

Sie schaute mich verwirrt an.

»Sein Gesicht habe ich seit vier Jahren nicht gesehen«, führ ich fort. »Was denkst du wohl, warum?«

Mit der Geschwindigkeit einer Wildkatze, zog sie sich an.

»Beeil dich. Wir müssen noch einen Empfang ausrichten«, sagte sie über die Schulter und verschwand hinter der Tür.

Als ich endlich in den Saal kam, der jetzt gar nicht feierlich aussah, saß sie bereits hinter einem Schreibtisch, der an Stelle des übermäßig großen Esstischs stand. Sie winkte mir nur kurz zu und wendete sich weiter dem Ordnen der Hollogramme vor ihr.

Ich wollte nicht stören, daher nahm ich Platz an der Seite, gleich hinter der Tür. Doch lange sollte ich da nicht sitzen.

»Komm her, sie kommen«, sagte sie schnell. Ich gehorchte.

Zwei schwerfällige Phobosianer quetschten sich sogleich durch die Türe, eine glitschige Spur hinterlassend. Den Einen, sicher den Präsidenten, zierten glänzende Reifen an jedem Tentakel. Der Andere stand hinter ihm in devoter Haltung.

»Seid hier willkommen, Eure Präsidentschaft. Womit habe ich den solche Ehre verdient?«

Kitty beugte sich leicht vor. Der Präsident deutete ihr etwas mit dem Tentakel. Dabei bebte die gesamte Masse seines Körpers. Sie lockerte ihre Züge und setzte sich hin, das offizielle Teil war jetzt wohl vorbei.

Zwei übereifrige Plutonier kamen bereits mit den Stühlen in der Hand, gerade rechtzeitig um den Präsidentenhintern aufzufangen. Er plumpste hinein, sein Untertan tat es ihm gleich.

»Und jetzt zur Sache. Ich hörte nichts ist unternommen worden. Ich fühle mich gezwungen es weiterzuleiten«, fing Kitty im geschäftigen Ton an.

»Ich weiß absolut nicht worüber du sprichst, meine Liebe.«

Sogar ein Auge reichte Kitty, um den Präsidenten einzuschüchtern. Sie blitzte mit der Kraft eines Raubtieres, gefährlich, todbringend. Sichtbar unwohl schaute er zu seinem Gehilfen.

»Ich halte es nicht für klug ohne Beweise hausieren zu gehen.«

Seine Stimme kam mir bekannt vor. Kittys Gesichtsausdruck veränderte sich- sie kannte ihn auch. Vielleicht war er einer von Denen, die uns verschleppten.

»Wer sagt denn, das ich keine habe?«, sie stand auf und stellte sich von den Tisch.

Den Beiden Phobosianern klappte buchstäblich die Kinnlade runter. Es war doch vollkommen klar! Sie hatte bis jetzt alles allein gemeistert, all ihre Abenteuer, alle Gefahren. Nie hatte sie sich auf Andere verlassen. Auch in diesem Fall nicht. Sie hatte eine Kopie.

Der Gehilfe verstand es auch. Viel zu schnell für einen Phobosianer eilte er zu ihr, die Tentakel in Angriffsposition haltend. Doch ich war schneller. Ich jagte ihm, wie schon Kitty zuvor bei dem Schließer, mein Knie in die Bauchgegend. Er blieb stehen, doch nicht leidend, eher meinen nächsten Schritt abwartend.

»Bemühe dich nicht, Jonathan. Er ist kein Phobosianer. Und der Anzug hält jeden Prall ab.«

Ich schaute sie verwirrt an. Doch sie schien sich sicher zu sein. Sie wusste, wen sie da vor sich hatte.

»Ich habe dich lange nicht gesehen. Würde es dir etwas ausmachen, den Anzug abzulegen?«, fragte sie mit gekünzelter Höflichkeit.

»Natürlich nicht. Dieses Theater ist sowieso übertrieben.«

Er streifte den glitschigen Anzug runter und ich wurde das Gefühl nicht los, ihn irgendwoher zu kennen.

»Darf ich vorstellen: Captain Moriarty. Mein schlimmster Feind und …«, sie machte eine kurze Pause, »…mein Exmann.«

Jetzt war ich an der Reihe die Kinnlade runter zu klappen. Moriarty lächelte ein fieses schiefes Lächeln. Sein Blick erinnerte mich an etwas. Etwas kaum wahrnehmbares, quasi im Rauch vernebeltes.

»Boss?«, rutschte es mir von den Lippen.

»Nein, genau genommen ist das der Mensch, der die letzten vier Jahre deinen Boss gemimt hat.«

Sie kam wieder hinter den Tisch.

»Ich wäre bereit dir alles zu geben, wenn du ihn mir überlässt«, startete Kitty die Verhandlung. »Nur gilt unser Deal, wenn es jetzt passiert.«

»Du meinst doch nicht, dass ich das einzige Druckmittel mit mir rumschleppe?«

»Oh, das tust du. Ich kenne dich... und du kennst mich. Du weißt, ich bin immer für eine Überraschung gut.«

Er schwankte sichtlich. Man konnte förmlich sehen, wie es in seinem Kopf ratterte. Um seine Entscheidung zu beschleunigen, zog Cathrin eine Brille hervor.

»Die Echte«, setzte sie hinzu und legte sie vor sich hin auf den Tisch.

Moriarty drückte auf das Implantat unter dem Ohr und gab ein kurzes Befehl ab. Sogleich erschienen zwei Marsianer mit einer schwachen Gestalt in der Mitte. Er sah schon sehr anders aus, doch ich erkannte den lebenslustigen Typen, der mich mal angestellt hatte- meinen wahren Boss.

»Portos!«, Kitty lief sofort zu ihm. »Mein Freund, du bist am Leben!«

Ich weiß, es war nicht der passende Augenblick, mich darüber zu erfreuen, doch mein Herz fing an zu flattern. Sie waren nur Freunde!

Sie führte ihn zu dem Tisch. Und dann, in dem Moment, wo sie durch ihre Handbewegung die hollogramme Safeblase um die Brille öffnen sollte, löste sie etwas aus. Die Luft um uns herum erfühlte sich mit Rauch. Sie stoß mich und den Portos nach hinten und ich erkannte die alte abgeblätterte Farbe an den Wänden. Es war die Ersatzkapsel. Sie hatte schon wieder den Trick mit dem Spiegelhollogramm benutzt. Sogar ich war darauf hereingefallen.

Wir starteten augenblicklich und schon in wenigen Sekunden sah ich dem „schrecklichen“ Mond aus dem All nach. Es war vorbei.

Wir saßen alle in unseren Sitzen und ließen das Ebengeschehene sacken.

Es beschäftigte mich schon sehr, wie sie auf so eine geniale Art und Weise den Deal gedreht hat.

»Woher wusstest du…«, hielt ich es nicht mehr aus.

»Es war klar: Keine Verhandlung ohne einen Joker. Sie hielten ihn so lange bereit, irgendwann mal mussten sie ihn ausspielen. Zumal sie das Spiel seit Jahren vorbereiteten.«

»Aber nicht gründlich«, setzte ich hinzu. »Immerhin hattest du auch einen- die Kopie.«

Ein lautes Gelächter übertönte den Krach der Motoren. Kitty und Portos konnten sich kaum halten.

Sie ging auf mich zu, nahm mein Gesicht in die Hände und blickte tief mit ihrem grünen Auge in die Meinen.

»Das nennt man „Bluffen“«, sagte sie und küsste mich innig.

Ende gut, alles gut

Die Luft im Büro könnte mal wieder mal schneiden. Der dicke Rauch quoll fast von jedem der zwölf Tische in die Höhe. Fast.

Ich zündete mir eine an. Es denkt sich leichter, wenn man die Leere innen mit etwas gefüllt hat. Nein, die Verursacherin war nicht Kitty. Sie, nicht fähig auch nur einen Tag auf festen Boden zu verbringen, brach wieder auf eine neue Mission auf. Top secret.

Auch war nicht die Arbeit schuld an meinem Gefühlszustand. Es waren jetzt zehn Tage vergangen, seit wir heile auf der Erde aufgeschlagen waren. Erschöpft, aber glücklich sein altes Leben wieder zu haben, nahm Portos wieder seinen Posten auf und wurde zu dem umgänglichen Typen, der er zuvor war.

Ich schrieb meinen Artikel über die Bewohner auf Phobos. Zugegeben, das Meiste war aus den Erzählungen oder der Luft gegriffen. Doch ihr Wesen traf ich dabei trotzdem. Abgedruckt auf der ersten Seite, wurde er zum Verkaufsschlager. Ich war nicht besonders stolz darauf: Die Information war zwar aktuell, aber sicher nicht einmalig. Ja, es war seit fünfzig Jahren keiner auf diesem Mond. Doch bei der durchschnittlichen Lebenserwartung eines Menschen von hundertdreißig Jahren war es durchaus möglich, dass sie mehr als einmal solche Artikel zu lesen bekommen würden. Das war es also auch nicht.

Ich spukte auf den Boden und schmiss den Filter hinterher. Der allverlässliche Robomop war wiedermal zur Stelle. Ich beobachtete, wie er die Sauerei wegwischte und dachte weiter nach. Es wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen, dass die armen Phobosianer, unabhängig davon wie eklig und hässlich ich sie fand, tagtäglich um ihr Leben zittern mussten.

Ich schaute auf die Füllanzeige des Reinigungsmittels. Blaue Flüssigkeit war fast bis zur Hälfte vorhanden. Blau, hellblau, mit der Aufschrift „Phob“. Ich spuckte erneut aus.

Wie viele mussten bereits sterben, damit wir es schön sauber hatten? Warum nur hatte sie nicht wirklich diese Kopie?

Aber was sollte ich sie beschuldigen? Ich war derjenige. Kitty erzählte mir mal, dass sich die Daten bis kurz vor unserem Zusammentreffen auf der Brille befanden. Sonst hätte ich auch die Hubble nicht betreten dürfen. Er löschte sie, sobald ich sicher an Board war.

Ich hatte sie in meinen Händen und unternahm nichts. Unwissenheit schützt nicht vor Strafe.

Wenn ich es nur ahnen könnte, nur einmal ein Reboot…

Ich blieb wie gefroren stehen. Mit einem Wink rief ich wieder die Hollos des letzten Monats auf. Das war es nicht, das auch. Hier…

Ein Griff zu dem Implantat unter dem Ohr und ich hatte sie dran.

»Egal wo du bist oder was du tust, du solltest hier aufschlagen.«

»Ich vermisse dich auch, aber ich bin auf dem Kepler. Das könnte dauern.«

»Glaub mir, das willst du nicht verpassen.«

 

Ein leichter Luftzug lenkte mich kurz vom Schreiben ab. Doch bevor ich wieder hineinfinden konnte, roch ich es. Ihr Parfüm. Ich schloss die Augen, um den süßen Augenblick des Wiedersehens hinauszuzögern, einfach ihre Nähe zu genießen.

»Du bist verdammt schnell«, sagte ich die Augen noch geschlossen.

»Mhh«, war ihre Antwort.

Sie umarmte mich von hinten und küsste meinen Nacken.

»Um wie viel hast du die zulässige Geschwindigkeit überschritten?«

Ich drehte mich langsam um und suchte ihre Lippen.

»Bin etwa das Drei- vielleicht auch Vierfache geflogen.«

Ich fand, wonach ich suchte.

»Nur du schaffst es vom Kepler bis Erde in dreieinhalb Tagen.«

»Na ja, wenn du so nett fragst…«

Meine Euphorie war sofort verflogen. Natürlich freute es mich sie zu sehen und am liebsten hätte ich alles stehen und liegen lassen. Doch der Grund ihres Besuchs war zu wichtig.

Ich zerrte sie an der Hand ins Portos Büro. Laras Protest ignorierend zog ich bereits an der Tür.

»Mensch, Kitty! Seit wann bist du hier? Ich dachte, du wärst auf Kepler. Du weißt schon«, er zwinkerte ihr geheimnisvoll zu.

Ich winkte den Gedanken ab, sie könnten Geheimnisse vor mir haben. Natürlich hatte sie die. Immerhin waren beide Mitglieder einer wichtigen Galaxisorganisation. Und genau deswegen waren wir hier.

»Cathrin«, fing ich an zu erzählen. »Erinnerst du dich an die Fotos von dir, die du auf der Brille fandest?«

»Ja, klar. Wieso«

»Waren da vielleicht auch Fotos von der Hubble dabei?«

Sie schaute mich verwirrt an.

»Nein, ich sagte dir doch: Er löschte alles bevor du zu mir kamst. Wieso fragst du mich das?

»Na ja, damals hatte ich dem keine Bedeutung beigemessen. Aber jetzt… Mal von vorne. Als ich damals die Brille bekam, startete ich ein Update des Programms. Bei der Gelegenheit lud ich ein weiteres auf, das mir gestattete die automatische Datenübertragung nach jeder Aufnahme in Reichweite des Computers durchzuführen…«

Ich machte eine Pause. Meine Beiden Zuhörer saßen mit offenen Mündern vor mir. Sie hatten es verstanden und konnten kaum daran glauben. Ich schwöre, dass ich sogar ein paar Tränen hatte blitzen sehen. Natürlich bei Portos. Kitty war ein ganzer Kerl, nie würde sie sich so eine Schwäche erlauben.

Ich zog das Hollogramm aus dem Stick in meiner Hand und zeigte die wohlerhaltenen kompromittierenden Fotos, die zumindest für einen Mond eine ganze Welt bedeuteten.

 

Nicht mal eine Woche später wurde die Phobosregierung vor das Welttribunal gestellt. Der Vorwurf lautete: Verachtung der Wesenswürde. Die Verfassung wurde neu erstellt und das vorläufige Kabinett einberufen.

Kitty hatte endlich ihre Mission zu Ende führen dürfen und kam, wie man es so schön sagt, mit einem Auge davon. Doch es gibt noch viel Ungerechtigkeit im Universum, viele Galaxienverbrechen, aber nur eine Captain Kitty.

 



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Tag der Veröffentlichung: 05.06.2012

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