Warum hat er dies getan? Warum hat er mich verlassen? Wieso hat er mir keinen Grund genannt? Wieso hat er sich nicht verabschiedet? ... Warum tut es nur so weh? Dieser Schmerz ... Er ist unerträglich ... Ich stehe am Strand und schaue aufs Meer hinaus. Hier habe ich ihn das erste mal getroffen. Und genau hier habe ich ihn auch wieder verloren. Werde ich ihn je wiedersehen können? Wahrscheinlich nicht. Selbstmörder kommen nicht in den Himmel. Keine Ahnung wo sie hinkommen, aber bestimmt nicht dorthin, wo all die anderen sind. Die würden sie ja mit ihrer Verrücktheit anstecken. Ja. Selbstmörder sind für mich verrückt. Und er ist einer ... in meinen Augen. Er wollte sich wahrscheinlich nicht umbringen, aber er ist jetzt trotzdem weg. Tot. Für immer fort. Nie wieder bei mir. Nie mehr, solange ich lebe ... Das Meer ... Man kann es nicht bändigen. In seinen Fluten ist man verloren. Verloren in den unendlichen Tiefen des Wassers ... Langsam gehe ich einpaar Schritte tiefer ins Meer. Er hätte mich mitnehmen sollen. Mitten in den Sturm hinein. Aber er musste mich ja zurücklassen. Mich beschützen ... Dabei hat er mich nicht mal gefragt ... Mich einfach alleine zu lassen, ist kein Beschützen. Dies ist Egoismus. Und genau wie er, werde ich jetzt auch egoistisch sein. Ich will nicht mehr von ihm getrennt sein, die Einsamkeit tief in meinem Herzen spüren. Es hat einfach keinen Sinn ... Ich breite meine Arme aus und schwimme in das kalte Wasser hinein. Immer weiter schwimme ich auf das offene Meer hinaus. Irgendwann werden meine Arme immer langsamer. Ich lege mich auf den Rücken. Die Sterne über mir funkeln zu abertausenden und der Mond glitzert auf dem Wasser wie tausende Diamanten. Ich beginne ins Wasser zu tauchen. Immer tiefer sinke ich und die Sterne über mir werden immer undeutlicher und irgendwann sind sie von der Wasseroberfläche verschluckt worden. Der Mond scheint aber bis in die Tiefen hinein. Meine Augen schließen sich wie von selbst ... Bald bin ich bei dir ... In den Tiefen des Meeres wartest du auf mich ...
Das Schiff wackelt leicht im Takt der Wellen. Alles ist ruhig. Jeder der Mannschaft schläft, nur ich nicht. Warum? Weil ich nachts nie schlafen kann. Ich liebe es das Meer im Mondschein zu beobachten. Und die Wellen, die immer leicht gegen das Schiff stoßen, als wollten sie mit ihm spielen. Die Segel sind eingezogen und wir treiben einfach nur so dahin. Wohin, dass weiß ich nicht. Einfach dorthin, wo uns unser Schicksal hinführt. Doch ich bin der einzige, der so von uns denkt. Die anderen wollen immer nur saufen und rauben. Gerade schlafen sie sich auch nur wieder ihren Rausch aus. Ich muss leicht lächeln. So sind sie nun mal. Piraten wie man sie eben kennt aus den Geschichten. Ich seufze. Solangsam wird der Himmel immer heller. Bald wird wieder der Tag anbrechen und die Morgensonne wird das Meer in einen blutroten Schimmer tauchen und das Meer gefährlich und blutrünstig erscheinen lassen. Plötzlich werden die Wellen immer heftiger und größer. Der Himmel wird anstatt heller wieder dunkler und das Schiff beginnt heftiger zu wackeln. Zieht etwa ein Sturm auf? Schnell eile ich zur Warnglocke und beginne sie zu schlagen. Ein lautes Läuten ist zu vernehmen und alle Männer kommen aus den Kajüten gestürmt. Währenddessen ist die See immer stürmischer geworden. Der Steuermann versucht das Schiff wieder gerade zu bekommen, während wir anderen das Wasser vom Deck mit Eimerm zurück ins Meer kippen. Und schon erfasst eine Welle unser Schiff und der erste Mann wird von Bord gerissen. Die Wassermassen prallen so doll gegen das Schiff, dass ein Leck entsteht. Das Schiff droht zu sinken. Ich versuche das Loch wieder zu verstopfen, als es mich ebenfalls von den Füßen haut und ich über den Rand des Schiffes ins Wasser falle. Schnell versuche ich aufzutauchen, doch die Wellen ziehen mich immer wieder runter ins Wasser. Die Kälte des Meeres beginnt langsam meinen Körper zu lähmen und ich gebe es auf an die Oberfläche zu kommen. Doch da werde ich an den Armen gepackt und hinausgezogen. Wer ist das? ... Ich schlage meine Augen wieder auf. Ich liege am Strand an einen Stein gelegt und vor mir steht ein wunderschönes Mädchen in einem weißen Kleid. "Hast du mich gerettet?" Sie nickt und lächelt mich traurig an. Erst jetzt bemerke ich ihre großen weißen Flügel am Rücken. Langsam beginnt ihre Erscheinung zu verblassen. "Gehe wieder zurück zu deiner Familie und deinen Freunden. Lasse sie nicht im Ungewissen und sage ihnen, dass es dir gut geht. Such dir ein Mädchen, was du vom Herzen liebst und lass sie bitte nicht allein. Denn sie würde vor Kummer nicht mehr leben wollen. So wie ich ... Passe auf dich und dein Leben auf, denn ich kann dich kein zweites Mal retten." Und somit verblasste die Gestalt endgültig und flog als silberner Schimmer wieder hinauf in den Himmel.
Ich streiche sachte über meinen dicken Bauch. Bald wird es soweit sein. Bald werde ich unser Kind auf die Welt bringen. Unser kleines Mädchen. Ich schaue aufs Meer hinaus und lasse mir den Wind durch meine langen Haare wehen. "Ich werde dich bald kennenlernen können. Leider wird dein Vater dich nicht mehr zu Gesicht bekommen." Wieder wandert mein Blick über das Meer. Er liebte die See. Er liebte es über alles. Darum liebe ich es auch. Auch wenn er bei einem Seeünglück gestorben ist. Er hatte mir einmal von seinem Treffen mit dem wunderschönen Engel erzählt. Und wie sagte, konnte sie ihn kein zweites Mal retten. Aber ich werde nicht wie sie mich selbst töten, um bei ihm zu sein. Er wird immer in meinem Herzen bleiben. Und außerdem braucht unser Kind mich. Ich muss ihr von ihrem großartigen Piratenvater erzählen. Ich werde ihr die Liebe zum Meer lehren, weil es mich immer an meinen geliebten Mann erinnert. Sie soll es genauso lieben, wie wir beide. Mit einem Mal verspüre ich einen heftigen Schmerz. Es geht los. Sie will das Licht der Welt erblicken. Vorsichtig steige ich ins Wasser und lasse mich sogleich auf dem Rücken gleiten. Ich atme tief ein und aus und nach einer für mich gefühlte Ewigkeit höre ich einen kleinen Schrei und unsere Kleine taucht aus dem Wasser auf. Erschöpft nehme ich sie in dem Arm und lächele sie an. "Hallo, meine Kleine. Endlich lernen wir uns kennen." Die Kleine beginnt zu lachen und gibt einen kleinen Quieklaut von sich. Ich muss kichern. Endlich ist unsere kleine Tochter auf der Welt.
Ich verabschiede mich von meinen Freunden. "Ich werde in den Ferien an den Strand fahren. Ganz alleine." verkünde ich stolz. "Viel Spaß dir!" "Danke!" Ich drücke nochmal meine beste Freundin und schwinge mich dann auf mein Fahrrad. Meine kurzen Haare wedeln leicht im Fahrtwind und als ich zu Hause ankomme, kann ich es kaum noch erwarten. Ich öffne die Haustür und ziehe schnell meine Flipp-Flopps aus und renne in die Küche. "Bin wieder da, Mama." "Na mein Schatz." Sie küsst mich kurz auf die Stirn und widmet sich dann wieder dem Essen. "Schon aufgeregt?" "Natürlich!" Ich grinse sie an. Ich bin von Natur aus eine Frohnatur. Meine Mama sagt, dass es daran liege könnte, weil sie mich im Wasser gebar. Mir ist es eigentlich egal. Ich schnappe mir meine Tasche und mein Lunchpaket, was mir meine Mutter auf den Tisch gestellt hat und küsse sie noch mal schnell auf die Wange. "Dann geh ich mal Papap besuchen!" Und somit renne ich wieder aus dem Haus und schnell in den Bus hinein, der mich an den Strand für nun 2 Wochen bringt. Nach der ersten Woche würde meine Mama nachkommen, aber die ganze erste Woche habe ich ganz für mich allein. Gleich als ich ankomme, schnappe ich mir mein Handtuch und laufe an den Strand. Verträumt blicke ich aufs Meer und murmele "Hallo Papa..." Ich lege mich direkt vor den Wellen, die den Strand sachte berühren und schaue einfach nur hinaus aufs Wasser. "Willst du gar nicht schwimmen gehen? Bist du etwa Wasserscheu?" Sofort blicke ich auf und mein Blick wird finster. "Was willst du denn hier?" "Ferien machen." Ich kann diesen Typen nicht ausstehen. Er geht mir schon immer in der Schule auf die Nerven und jetzt treffe ich ihn auch noch hier, wo ich meinen Gedanken nachhängen will. "Lass mich in Ruhe!" "Ach komm schon!" Somit zieht er mich lachend hoch und ins Wasser. Sogleich fängt er an mich zu bespritzen. Aber das könnte ihm zu passen. Ich bin nicht so eine, die sowas einfach wegsteckt. Also spritze ich ebenfalls zurück. Das geht eine ganze Weile so, es macht sogar Spaß, bis er mich packt und einfach etwas weiter ins Wasser schmeißt. Als ich an die Oberfläche komme, kann er sich vor Lachen nicht mehr halten, wegen meines angeaäuerten Gesichtes. Dann hält er mir die Hand hin. Wiederwillig ergreife ich sie und er zieht mich hoch. Im selbem Moment berühren sich unsere Lippen und die Welt um mich drumherum beginnt zu verschwimmen. Vielleicht mag ich ihn doch ... Danke Papa.
Tag der Veröffentlichung: 10.06.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme dies den Opfern des Hochwasser. Das Buch kommt in die Gruppe für Hilfe bei dem Hochwasser. Somit kann ich wenigstens mit etwas helfen, was ich auch wirklich kann.