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Hähne verändern die Geschichte


Eine szenische Zusammenführung dreier Hähne, die letztendlich bewirkten, dass die Geschichte von einem bestimmten Zeitpunkt an neu geschrieben werden müsste


inhalt

HANS DER GÖTTERGATTE IN EINEM DRAMA IN 8 AKTEN
ERICH, DER ANARCHISTISCHE HAHN
HANS DER GÖTTERGATTE UND ERICH DER ANARCHIST
ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG ODER EDMUND DER REIMER
EIN DUO WIRD ZUM TRIO
ANGENEHME TRÄUME ODER RUHE VOR DEM STURM 44
SIEH DA, DER WASSERHAHN
'EN ZEITMASCHIN'
MAN KANN JA MAL GUCKEN
HISTORISCHER BODEN
AUF BRONZE STEHT GESCHRIEBEN...
EIN ERHABENER ANBLICK
VOR DER PRAXIS STEHT DER SCHWEIß DER THEORIE
PECH FÜR DEN BAUERN, WENN DER HAHN WEG IST
DIE MÜHLE
DA IST SIE, DIE ZEITMASCHINE


Hans der Göttergatte in einem Drama in 8 Akten

___________________________________________
1. Akt

Ein heißes Huhn macht dem mit der Henne verehelichten Hahn schöne Federn und bringt diesen vom Pfad der bisherigen Tugend ab.

Der Hahn, der alte Gockel
der ging mir auf den Sockel
der sprach von seinem Enkel
das ging mir auf den Senkel.

Die Henne stand oft auf der Tenne
ihr Sohn ging täglich auf die Penne
sie stand da einfach dumm herum
ganz locker aber reichlich stumm.

Das Huhn, das alte Luder
das klaute ständig Puder
das stank danach wie aussem Puff
der Hahn der musste einfach druff.

Die Henne fand das gar nicht gut
was plötzlich Hähnchen Hans da tut
denn Hans das war ihr Göttergatte
zu dem sie sprach: „Du alte Ratte.

Du steigst auf dieses dumme Huhn
das kannst’ bei mir doch immer tuhn
die blöde Tussi ist doch gar nicht heiter
bei der tropft aus dem Auge gelber Eiter.

Bei mir da kannst du sorglos poppen
ob grün, ob blau ob auch mit Noppen
das Huhn das lässt doch jeden dran
wers linksrum oder rechtsrum kann.

Das Ende unsrer Ehe ists:

Aber wer sagts den Kindern???


2. Akt

Die Henne, die davon erfährt, so ein Hühnerhof ist ja nicht unendlich groß, macht sich Gedanken über eine Trennung, wir aber vom Hahn darauf aufmerksam gemacht, dass so eine Trennung im gesellschaftlichen Umfeld nicht gern gesehen wird und der zur Penne gehende Sohn der beiden darunter zu leiden hätte. Er überredet seine Gattin zu einem Umtrunk, um das Problem zu erläutern.


Der Hahn sich aber leise dachte:
"Nicht schlecht, wie da die Schwarte krachte
das Huhn hat halt ne Menge drauf
und Federn hat die auch zu Hauf.

Die Henne macht halt nur Theater
und rennt wie immer schnell zum Pater
der sag ich mal: bleibe einfach cool
und hock dich da mal auf den Stuhl.

Das Huhn, das war ne schnelle Nummer
das ist kein Grund für deinen Kummer
vergessen hab ich sie doch schon
denk einfach mal an unsren Sohn.

Wie steht der Arme denn dann dar
wenn Vater/Mutter sind keine Paar
lass nicht das Federkleid jetzt sinken
wir gehen einfach einen trinken..."


3. Akt

Der zur Penne gehende Sohn der beiden kehrt heim aus einer Schullandheimfreizeit fern der Heimat, erfährt von den Streitereien und sucht nach einer Lösung.


Der Sohn der beiden, Hähnchen seines Zeichen
der pubertäre Flaum bekann bei ihm schon zu entweichen
der Sohn der beiden Streitparteien
der kam nach Haus, bekann zu schreien.

"Wo sind die beiden Trottel wieder
sind weg und fort, da legst di nieder
die haben sich bestimmt gestritten
und sind drauf einfach fortgeritten.

Bedenken nicht, der Sohn kommt heim
sie kümmern sich um keinen Reim."
Bestürzt erfährt er von den Nachbarn
das beide, Mutter, Vater, gram warn.

"Ist klar, das ist die alte Leier
das geht mir langsam auf die Eier.
Der Alte strotzt vor lauter Geilheit
und Mutter jammert voll der Blödheit.

Sie kennt den alten Trottel doch
und bleibt bei ihm in diesem Loch
anstatt sich endlich zu befreien
in Grund und Boden ihn zu schreien.


Nein, fügsam gaggert sie ihn an:
'Du bist und bleibst mein lieber Mann.'
Ich such sie jetzt in allen Ecken.
Mein Hähnchenschrei, der wird sie wecken!

Und wenn sie an der Theke saufen
laut und geräuschvoll voll sich laufen
dann geh ich stolz und hart dazwischen
ich werd das dumme Volk aufmischen!

Nix Scheidung auf dem Hühnerhof!!
Die beiden sind doch viel zu doof.
Das scharfe Huhn nehm ich mir vor
und flüstern werd ich ihr ins Ohr:

'Verpiss dich alte Jammerschlampe
sonst liegst du dreikant in der Pampe
mein Alter denkt doch mit dem Schwanz
der kriegt doch täglich seinen Tanz.

Du suchst dir jetzt nen andern Geiern
sonst sitzt du blitzschnell auf den Eiern
Ne Henne wirst du eins, zwei, drei
dann ist die Hurerei vorbei."

4. Akt

Der Sohn, das Hähnchen wird auf der Suche nach seinen Eltern vom scharfen Huhn überraschend gestellt.

Er eilt mit großen Riesenschritten
das Huhn, das zeigt ihm ihre Titten
das Hähnchen wird erst blass dann rot
man sieht ihm an, die Peinesnot.

Man ahnt, er ist des Vaters Sohn
genau, er spreizt die Federn schon
der Kamm, ganz groß, ganz stark, ganz rot
schwillt an, beim Anblick, den sie bot.

Noch schüttelt er sich und verneint
doch ahnen wir es, bald vereint
sind Huhn und Hähnchen, glaubt es mir
vereint, verwoben wie e i n Tier.

Man kann sie unterscheiden kaum
es bleibt für die Gedanken Raum
wie er es seinem Vater gleich tut
und ob verraucht nun seine Wut.

Die Wut auf Vater und das Huhn
beginnt er gleiches doch zu tun
doch einen Unterschied, den gibtes
der Vater kanns, der Sohn noch übtes.

Das Huhn, das grinst bei diesem Akt
das Hähnchen bei den Hörnern packt
der Alte, der war nett und scharf
der Junge jetzt mal üben darf.

Er lernt noch, übt es aber kräftig
der Fortschritt ist doch wahrlich mächtig
doch ist er noch nicht richtig locker
so hauts mich heute nicht vom Hocker.


5. Akt

Henne und Hahn versuchen sich und die Theke festzuhalten. Dabei kommt so etwas wie ein Gespräch zustande.

„Ach liebstes Täubchen,“ sprach der Hahn
es war nicht ernsthaft, war nur Wahn
sie hat betört mir das Gehirn
es hing an einem seidnen Zwirn.

Verstand war weg, nur die Gefühle
die brachten mich zu dem Gewühle
es war ganz ehrlich nur der Sexus
das ging nur bis zum Solarplexus.“

Du blöder Rammler, du Banause
ich hock da friedlich in der Klause
und du, du pimperst mit der Gans
und schreist: ich kanns, ich kanns.“

„Nun stop doch mal, du Frau, du liebe
und droh mir nicht so oft mit Hiebe
ne Gans war das nun wirklich nich
sie war ein Huhn wie du und ich

nun gut wohl eher so wie du
doch war sie keine blöde Kuh
sie war dabei doch recht schön schlau
ich geb es zu, ich war schon blau.

Doch hat sie es drauf angelegt
sonst hätt ich mich nicht so bewegt
ich wär geblieben wie ein Brett
hätt nur an dich gedacht im Bett

wär unverbraucht zu dir gekommen
ich hätt ihr Locken nicht vernommen
sie hat den Geist halt mir verwirrt
ein Hahn, der strebt, der manchmal irrt.

Doch heut versprech ichs dir ganz laut
ich hab halt damit Mist gebaut
doch wird ichs nicht bald wieder tuhn
du kannst ab jetzt ganz friedlich ruhn.“


6. Akt

Der Hahn sieht alle Felle den Bach runterschwimmen, doch plötzlich wittert er wieder Morgenluft

Die Henne, die war ziemlich bsuffen
der Pegel ging bis an die Muffen
sie schwankte her sie schwankte hin
und dachte bei sich, ach ich bin

doch viel zu gut für diesen Töffel
der braucht was Richtges vor die Löffel
ich sag ihm, Gockel geh vom Acker
mach hurtig, aber wacker, wacker

Von deiner Sorte gibt’s ne Menge
da gibt’s vor meiner Tür Gedränge
du bleibst jetzt eine zeitlang outdoor
ich häng ein großes langes Schloss davor

ich wird dir zeigen was es heißt
wenn du in andre Burzel beißt
und jammern sollst du in der Kälte
vom Sohn bekommst du auch noch Schelte.“

So dachte sie, so würd sies sagen
doch dann begann sie zu verzagen
sie sagte zu dem Hahn ganz kurz:
„Mir ist jetzt alles Schnurz.

Komm mit nach Hause dummer Stiesel
und machs mir wie der Ortmar Wiesel“
dem Hahn, dem fiel ein Stein vom Herzen
er war schon wieder aufgelegt zu Scherzen.

Der alte Mistkerl dachte dann
wenn sie mir so verzeihen kann
dann wird ich s öfter machen
ich mag so kleine feine Sachen.

Das Huhn, das wird wohl willig sein
es kriegt auch ab und an nen Schein
und meine blöde Henne hier
die kriegt halt abends öfter Bier

damit sie ruht ganz unverdorben
und macht sich darob keine Sorgen
was wohl ihr Göttergatte treibt
wo er so lange aushaus bleibt.

Doch plötzlich wurde er ganz leise
der Sohn kam wirklich von der Reise
stand vor ihm voller Grimm im Auge
als wollt er spucken scharfe Lauge.


INTERMEZZO

Es fragt sich sicher mancher heute
wohin der Dichter sie geleute
geleiten heißt es sicher besser
ihr lauft dem Schöpfer in das Messer.

Jawohl der Herr der hat ein Ziel
er schlägt euch vor jetzt einen Deal
er wird erzählen die Geschichte
und ihr sitzt nachher zu Gerichte.

Denn was sich abspielt mit den Hahn
die ganze Welt wird leiden drahn
das ist ein Drama ein ganz arges
das Ende ist für ihn ein karges.


7. Akt

Man glaubt es kaum, aber der Hahn hat schlechte Karten, weil sich die Damen verbrudern oder verschwestern.

Da sitzen sie nun leicht betrunken
sie denkt, wie tief bin ich gesunken
der Sohn steht nur bedröppelt da
den Tränen ist er sichtlich nah.

Er hat es selbst ja grad erlitten
war von des Amors Wahn geritten
er hat das Huhn ganz flott genommen
er kam sich vor doch sehr verkommen.

Da trat herein das flotte Huhn
sah aus als wollte aus sich ruhn
es schaute in der Runde rum
die Henne wurd vor Wut ganz krumm.

Als wäre nichts geschehn zuvor
beugt sich das Huhn sanft an ihr Ohr
und spricht mit ihrer süßen Stimme:
"nun hör mal zu du alte Bimme.

Der alte Hahn, der bringts nicht mehr
das zu kapieren ist nicht schwer
der junge Gockel gleicht dem Vater
am besten wärs, er würde Pater.

Die Männer sind doch alle gleich
versenkt gehören sie im Teich
wir Weiber sollte einig sein
das wär vernünftig, wäre fein.

Nun schlag ich dir die Rache vor
nicht schicken will ich sie ins Moor
er soll mal leiden etwas länger
und auskurieren seinen Hänger.

Du legst ihm morgen früh die Eier
und gehst dann kotzen wie ein Reiher
du bittest ihn ganz lieb und fromm
setz du dich drauf mein Lieber komm.

Und wenn er erstmal dort sitzt gemütlich
dann tun wir beide uns dann gütlich
die Tage außerhalb verbringen
und holdriho dann ständig singen.

Wir lassen ihn dort sitzen lang
ihm wird wohl ängstlich wird wohl bang
er soll die Küken brüten aus
daran wird knabbern keine Maus.

Er wird dort sitzen viele Tage
erkennen wird er seine Lage
verlassen wird er nicht die Brut
dazu ist er dann doch zu gut.

Und wenn geschlüpft ist diese Meute
dann wird es sehn die Hühnermeute
wie aus dem Lustmolch, Hahn genannt
als lieber Vater wird bekannt.

Er wird sich um die kleinen Kümmern
und finden wirst du keinen Dümmern
treu wird er sorgen heim im Stall
wir beide gehn derweil zum Ball

Was dieser Gockel früher machte
bis dass ihm seine Schwarte krachte
das werden tun jetzt wir zwei beide
im Wald, der Wiese, auf der Heide."

Die Henne war entzückt sogleich
die Knie wurden ihr ganz weich
den Gockel auf den Eiern sitzen
man sahs in ihren Augen blitzen.


8. und letzter Akt

Wie alles zu einem schröcklichen Ende fand.

Einige Wochen später:

Dem Leser wurd es doch ein Graus
er fragte" Wann ist dieses Drama aus?"
Denn mit dem Hahn nun das geschah
was jeder Leser vor sich sah.

Ein Fehltritt, war er doch sooo klein
die Henne stellte ihm ein Bein
es kam genau so wie vernommen
der Hahn hat seine Straf' bekommen.

Die Henne aber, welch ne Schande
spannt mit dem Huhn ganz feste Bande
sie ließen Hahn und Hähnchen sitzen
und streunen rum mit dummen Witzen.

Die beiden wurden stadtbekannt
nein, nicht nur Stadt, sogar im Land
es ist ein trunken torkelnd Pärchen
der Hahn zuhaus erzählt nun Märchen.

Die Kinderschar die ausgeschlüpft
ihm auf den Nerven hüpft und hüpft
"Papa, erzähl uns noch einmal
wir könn es hören ohne Zahl

Wie es geschafft hat die Mama
den ach so wilden Herrn Papa
sie brüten ließ ihn in dem Stall
ganz leise, fast, ganz ohne Knall."

Dem Hahn, der Tranquilizer schluckte
bei diesem Wunsch das Auge zuckte
zu spät ihm die Erkenntnis kam
wie sie ihm seine Ehre nahm.

Ein Hahn der muss doch, kann nicht anders
sonst säh er aus wie Lilo Wanders
er ist doch für die Damen da
gelacht, wenns anders wäre, ha.

Doch ihm blieb nur ein schwacher Schimmer
zu alten Freuden kam es nimmer
er wurde alt, er wurde grau
die Henne stahl ihm seine Schau.

Die Henne und das Luder Huhn
die hatten beide gut zu tun
die Hähnchen standen lange Schlange
dem Leser wird ganz angst und bange

Wo führt es hin das Lotterleben??
Kommt Männer, lasst uns einen heben.
Die Damen können vögeln, poppen
wir nehmen nun den Dämmerschoppen

Der Hahn derweil erzählte nun
was hätt er andres auch zu tun
für Kuno, Paul und auch das Klärchen
das lebensechte Hühnermärchen:

„Es war einmal ein Hahn, ein Gockel,
der ging den Leuten auf den Sockel
der sprach von seinem Enkel
das ging schon auf den Senkel......“


Erich, der anarchistische Hahn


Hahn Erich machte großen Kummer,
versuchte er ne krumme Nummer.
Er krähte nicht wann er es sollte.
Er schrie herum nur wann er wollte.

Der Bauer hatt’ die Schnauze voll
Er wußt’ nicht was der Zirkus soll.
Erklärt hat Hein ihm dann den Mist:
„Dein Hahn, das ist ein Anarchist!!

Ein Anarchist macht was er will.
Mal ist er laut mal ist er still.
Doch immer nur nach seinen Launen.
Die andern kommen drum ins Staunen.

Und mühsam ist’s, ihn dann zu zähmen.
Man muß geschwind den Schlund ihm lähmen.
Denn merkt er’s, wird er immer toller.
Er treibt es wild und ständig doller.

Vergiß den schönen Morgenschrei
Dein Hahn will sein so richtig frei.
Kein Sklave mehr der Zeiteinteilung!
Ich rate dir jetzt zur Beeilung.

Den Hahn bring um und brat ihn lecker
Für morgen kauf dir einen Wecker.“


DUO

Hans der Göttergatte und Erich der Anarchist

Wer kennt ihn nicht, den armen Hans
Der wurd’ zum Haushahn nach dem Tanz
Den er mit einem jungen Huhn
Als Ehemann gewagt zu tun.

Sein holdes Weib, die fette Henne
Die nagelte ihn auf der Tenne
Ganz fest so daß er fort nicht konnte
Und sie sich in der Freiheit sonnte.

Sie und das Huhn die gingen fegen
Sie hatte ihm den Kindersegen
Zur Aufsicht auf das Aug gedrückt
Darob war Hans nicht sehr entzückt.

Die Brut ward mittlerweile groß
Entwachsen ihres Vaters Schoß
Sie löste sich vom Elternhaus
Hahn Hans war aus dem Gröbsten raus.

Er ward nun frei, das Nest war leer
Da kam ein andrer Hahn daher.
Auch dieser Hahn ist uns bekannt
Der schmählich fast sein Ende fand.

Es war Hahn der nicht mehr wollte
Was einst der Bauer von ihm wollte
Der Bauer wollte ihn als Wecker
Der Gockel zog darauf den Stecker


Er war es, den der Hein wollt’ braten
Zuvor erschlagen mit dem Spaten
Nur weil der Hahn zur frühen Stunde
Nicht rufen wollte in die Runde.

„Ein Anarchist“ wurd er gescholten
Das hatte ihm allein gegolten
Das andre Viechzeug auf dem Hofe
Das lag derweilen in der Pofe.

Den Rat vom Hein der Hahn wohl hörte
Darauf aus vollem Hals er röhrte
„Du blöder Bauer kriegst mich nicht
Dir lach ich lauthals ins Gesicht

Ich mach mich hurtig nun vom Acker
Da stehst du nun du alter Kacker
Nen Wecker musst du dir besorgen
Zum Aufstehn morgen, übermorgen.“

Er zog davon in großer Eile
Und schaffte Meile über Meile
Bis er den guten Hans fand
Der einfach so am Rand stand.


Fortsetzung folgt vielleicht .....


Alles Gute zum Geburtstag oder Edmund der Reimer

Es war einmal ein Hahn. Gut, so fangen viele kleine Geschichten und Märchen an, wie jeder wohl aus seiner Schulzeit weiß. Aber das ist ja noch lange kein Grund, diese wahre Geschichte nicht beginnen zu lassen mit „Es war einmal ein Hahn.“

In jungen Jahren vagabundierte er als freier Hahn durch das Flachland und hinterlies hier und dort seine Spuren. Einige Gegenden, die er früher heimsuchte, mied er jetzt mit Bedacht, die Leute dort waren ihm nicht mehr wohlgesonnen. In die Jahre gekommen wand er in einem idyllischen kleinen Ort eine erste Heimstatt. Er betrachtete alles wohlgefällig, lies sich dort nieder und zog seine Schau ab. Man lies ihn gewähren, solange er den Platzhirschen des Ortes genug Freiraum lies. Einige Zeit funktionierte das Zusammenleben auch ganz gut. Aber nach und nach machte sich Gewöhnliches breit. Andere Wanderer fanden ebenfalls Gefallen an diesem kleinen Dorf und steckten dort ihre Claims ab. Immer häufiger kam es zu kleinen Reibereien, die unseren Hahn nervten. Gut, sagte er, wenn ihr aus dem Dorf hier einen Saustall nach eurer Vorstellung machen wollt, tut es. Ich werde mich mal wieder in der weiten Welt umsehen. Aber meinen Hühnerhof hier werde ich ab und an besuchen. Denn die Hühnerwelt wird es schwer haben ohne einen Gockel wie mich. Da sie sich hier einigermaßen an mich gewöhnt habe, werde ich sie ab und an heimsuchen. Er packte sein stattliches Bündel und machte sich auf den steinigen Weg in die blauen Berge. Und siehe da, nicht unverhofft fand er auch dort ein ähnlich beschauliches Dorf wie im Flachland vor. Auch hier schien ein Hühnerhof nur auf ihn gewartet zu haben. Und so schlug er auch dort seine Zelte auf. Da er auch hier der Meinung war, dass sich die Erde um ihn dreht und nicht umgekehrt, atmete die Hühnerschar ab und an gehörig auf. Endlich hatten sie mal ein wenig Ruhe, wenn er wieder mal einen Abstecher ins Flachland machte, um seinen alten Hof zu besichtigen. Allerdings muss auch gesagt werden, dass die Hühner unruhig wurden, wenn er allzu lang wegblieb.

Dieser Hahn hatte nun schon einige Jährchen und erwanderte Kilometer auf dem Buckel und konnte auf eine beträchtliche Zahl von Kindern, Enkeln und Enkelkindern im Flachland und in den Bergen – aber auch auf dem Weg dazwischen - herabblicken. Das tat er aus ausgiebig und wohlgefällig, denn er betrachte das um ihn herumwuselnde Leben auf dem Hühnerhof schon als sein Werk. Er war zwar ein wenig traurig darüber, dass er nicht mehr so viel Gefallen an den jungen Hühnern fand, sie waren ihm irgendwie zu schnell, zu hektisch und zu aufgeregt, aber diese Traurigkeit hielt sich in Grenzen. Ab und an hatte er doch noch sein Vergnügen. Eben nur nicht so oft wie früher.

Und da er doch alles in allem ein recht cleverer Gockel war, hatte er sein Hauptinteresse vom Körperlichen auf das Geistige verlagert. Er hatte den Trend erkannt und durch den Besuch des einen oder anderen Volkshochschulkurs hatte er sich, zumindest in dem kleinen Dorf, den Ruf einen kleinen, ironischen Philosophen und Dichters erarbeitet. Obwohl er schon manchmal verzweifelte an seiner Zuhörerschaft. Er hatte dann das Gefühl, Perlen vor die Säue zu werfen oder Eulen nach Athen zu tragen. Allein diese netten Vergleiche kamen bei seinem Publikum auf dem Hof nicht sonderlich an. Die Schweine, von denen ja gesagt wird, sie seien intelligent, pah, intelligent, saudumm sind die, also diese Schweine glotzten sich nur blöde an. Was sollen wir mit Perlen, fragten sie sich und die um sie Herumstehenden, von denen auch keiner sich einen Reim darauf machen konnte. Und Eulen nach Athen, was sollte die einzige Eule des Hofes, die ein Käuzchen war, den in Athen? Und was war überhaupt Athen? Kurz und gut, seine Zuhörerschaft bestand aus Banausen. So hatte er sich dann eines Abends gesagt, wenn der Krug schon nicht zum Brunnen kommt, dann eben umgekehrt.

Und oberflächlich gesehen war das auch der richtige Weg. Er senkte sein mittlerweile prächtiges Niveau und unterhielt das Tiervolk mit kleinen Nettigkeiten. Obwohl ihm manchmal Höheres in den Sinn kam, blieb er für sein Publikum bei netten, kleinen, schlüpfrigen Vierzeilern. Den Schlüpfrigkeiten mochten sie, die Hühner, Gänse, Schweine, Pferde, Kühe und so.

Mit diesen harmlosen Zeilen erlangte er sogar stadtweiten und landweiten Ruhm. Gut, nicht er selbst, eher der Bauer, der sich die Intelligenz seines Hahnes zu Eigen gemachte hatte. Auf jedes Tiefkühlhähnchen, das seinen Hof verlies, druckte er einen der Vierzeiler, die der Hahn tagein tagaus in der Gegend herumstreute. Manchmal schon zum Überdruss. Wenn er seinen Schnabel schon aufriss, stöhnte das eine oder andere Huhn auf. Nein , nicht schon wieder. Aber ab und an waren sie doch amüsiert. Wie gesagt, ab und an.

Nun traf es sich, dass der Patriarch des Dorfes in die Nähe der 75igsten Wiederkehr seiner Geburt rückte. Langsam, aber unaufhörlich. Und da der Bauer sich gut stand mit dem Patriarchen und sich auch weiterhin gut stehen wollte, kam er auf die Idee, mit seinem Hahn mal ein Gespräch unter Männern zu führen. Also von Bauer zu Hahn. Unter vier Augen.

Mein guter Hahn, sprach der Bauer mit tiefer Stimme, nahm dabei seine Pfeife aus dem Mund und klopfte sie vorsichtig an der Tischkante aus. Mein lieber Hahn, dir ist doch sicherlich auch zu Ohren gekommen, dass unser Patriarch sich einer Wiederkehr seines Geburtstages nähert. Und wir sind nun alle der Meinung, dass auch der Hühnerhof dazu etwas beitragen sollte. Von dem minderbemittelten Hühnervolk ist in dieser Hinsicht ja nicht so viel zu erwarten, die gackern ja den leiben Tag nichts als Blödsinn vor sich hin. Aber du gehörst doch zu der Sorte, die man als Intellektuellen bezeichnen könnte, oder? Des Hahnes Brust schwoll fast über ein erträgliches Maß hinaus. Der Bauer hatte ihm zwar zu schnöden Werbezwecken seine Vierzeiler gestohlen, aber anscheinend hatte er tief in seinem Innersten doch die Talente des Hahnes erkannt. Nun, hob der Hahn an zu sprechen. Der Bauer kam ihm jedoch zuvor und dazwischen. Also wirst du in den nächsten Tagen an einem schönen, verständlichen, diesmal aber nicht schlüpfrigen Gedicht arbeiten. Und damit das klar ist, klappt das nicht oder klappt das schlecht, so kannst du dir anschließend einen deiner Vierzeiler von innen aus der Verpackung anschauen. Schenkelklopfend ging der Bauer fort. Das war so seine Art. Dennoch gewichtete der Hahn das Vertrauen des Bauern höher als die Drohung der Tiefkühlverpackung. Er schaute nicht mehr links oder rechts, er hockte sich hin und dachte nach. Lange. Sehr lange. Und nach einer Woche hatte er das Geburtstagsgedicht für den Patriarchen fertig. Er raste zum Bauern und wollte ihm das Gedicht vortragen. Doch der Bauer schüttelte sein schütteres Haupt mit der roten Nase und sagte dem Hahn, nein, du eitler Gockel, ich will das Gedicht erst auf der Feier hören. Denn wir wollen uns doch beide die Spannung erhalten, oder? Und wieder ging der Bauer schenkelklopfend fort.

Nervös war er schon, der Hahn. Und der Tag kam. Alles hatte sich herausgeputzt für den Ehrentag. Und ganz besonders unser Hahn. Er verstand es geschickt, seinen kleinen Bauchansatz unter dem bunten Federkleid zu verstecken, die Schwanzfedern waren gestriegelt und ein wenig lackiert, der Kamm stand wie eine Eins und glänzte tiefrot in der Morgensonne.

Der Bauer stand schon mit dem Pferdefuhrwerk auf dem Hof und sah zu, dass die Tiere, die er zur Feier des Patriarchen mitnehmen wollte, auf den Wagen bekam. Ab und an schickte er eines zurück, denn so manches Schwein sah wirklich aus wie Sau, aber insgesamt funktionierte die Verladung doch zügig und flott. Ganz zum Schluss kam der Hahn daher. Stolz war sein Haupt erhoben. Er war sich seiner besonderen Position bewusst. Kein anderer war auserkoren, dem Patriarchen ein Gedicht vorzutragen. Nur er. Allerdings nahmen die Tiere auf dem Wagen keine Rücksicht auf ihn, so dass er sich seinen Platz dort erkämpfen musste. Darunter litt sein Äußeres weniger als sein Inneres.

Kurz und gut, die Gesellschaft kam komplett beim Patriarchen an, die Feier war schon im vollen Gange, Getränke und Speisen standen ausreichend bereit, einige leckere Hühnchen brutzelten auf dem Grill vor sich hin, da wurde die Musik leiser gestellt. Der Bauer stellte sich vor die versammelte Dorfgemeinschaft und kündigte seinen Dichterhahn an. Zu Ehren des Patriarchen.

Der Hahn erklomm ein wenig umständlich das kleine Podest aus Holzkisten, das extra zu diesem Zweck errichtet worden war. Alle waren still. Mucksmäuschenstill. Man hörte nur ganz hinten am Rande des Platzes einen kleinen strubbeligen Maulwurf, der geräuschvoll einen Haufen aufwarf. Doch dann war Stille. Auch der Maulwurf war fertig. Er legte sein Schnäuzchen auf den Rand des Hügels und lauschte.

Der Hahn war ergriffen. Alle Augen und Ohren waren auf ihn gerichtet. Welch ein Tag. Es sollte ein Ehrentag für den Patriarchen und FÜR IHN werden.

Er räusperte sich kurz. - Da brach ein Jubel aus. Alle klatschten, lachten, schlugen sich auf die Schenkel. Tränen liefen den Gästen über die Wangen. Der Patriarch umarmte gerührt den Bauern und bedankte sich für die Überraschung. Damit hätte er nun wirklich nicht gerechnet. Was der Bauer sich doch für eine Mühe gegeben hätte. Und nur wegen einer kleinen Geburtstagfeier.

Kurz und gut, es wurde noch ein schöner Abend. Der Hahn verstand die Welt nicht mehr und sonst auch nicht viel, aber da im fast jeder wohlwollend auf die Schulter klopfte, war es ihm dann auch egal. Banausen, dachte er vor sich hin. Dümmliches Volk. Effekthascher, alle, aber auch alle!

Er genoss den Abend dann aber doch im Kreise einiger netter Hühner aus der Nachbarschaft. Nur eine Sache war ihm noch nicht klar. Was würde der Bauer dazu sagen? Musste er sich darauf einstellen, sein eigenes Gedicht vom aus dem Inneren einer Tiefkühlverpackung lesen zu müssen?


Ein Duo wird zum Trio

In den blauen Bergen, weit oben im Süden, da hatte ein weiterer Gockel ein großes Problem. Es ging anscheinend um sein weiteres Fortbestehen. Der Bauer hatte ihn genötigt für den Patriarchen des Dorfes zu dessen Geburtstag ein Gedicht aufzusagen, aber da blöde Publikum hatte seinen wohldurchdachten Vortrag schon nach dem anfänglichen Räuspern mit Jubel und Getöse unterbrochen. Anscheinend waren sie der Meinung, ein Hahn, der sich auf ein Podest stellt um sich zu Räuspern, das sei schon ein Intellektueller. Keine Zeile hatte er vortragen können. Der Patriarch und der Bauer hatten sich zwar einträchtig einen Korn nach dem anderen hinter die Binde gegossen, aber die Blicke, die der Bauer ihm zuwarf, die waren schon überdeutlich. Ab in die Folienverpackung.

Da sagte sich der Hahn dann doch: „Nicht mit mir. Mit mir nicht.“ Packte wieder einmal sein Bündel, und machte sich vom Acker. Unterwegs machte er den einen oder anderen Abstecher auf die links und rechts am Wege liegenden Bauernhöfe und erfreute schon manches Huhn. So langsam wurde die Wege weniger steil, er näherte sich der Ebene. Wie er so nichtsahnend um eine Ecke bog, sah er auf einer Bank unter einer großen, mächtigen Kastanie zwei seiner Artgenossen sitzen. Besser gesagt, er sah sie nicht zuerst, er hörte sie vielmehr. „Daneben“ Pause. „Knapp daneben.“ Pause. „Getroffen, getroffen! Nur noch zehn zu acht für dich!“ Er verlangsamte seine Schritte und sah die beiden Kerle. Fesche Typen, das musste er schon zugeben. Etwas in die Jahre gekommen und bei näherem Hinsehen ein wenig verlebt. Aber immerhin prächtige Hähne. Insgesamt und in der Summe schon ein Pracht, sie da sitzen zu sehen. Gut, sie saßen eigentlich nicht ruhig auf der Bank, sie rutschten eher hin und her, die Köpfe in den Nacken gelegt und nach oben in den Baum schauend. Mit ihren Füßen traten sie abwechselnd nach rückwärts gegen die Kastanie. Und wenn dann eine Kastanie vom Baum fiel, dann rutschten sie auf der Bank ziemlich flott hin und her. Und anscheinend zählten sie die Körpertreffer. Der linke Hahn lag anscheinend in Führung.

„Mahlzeit Jungs,“ unterbrach er das konzentrierte Spiel der beiden. „Mist, daneben, das wäre Nummer neun für mich gewesen!“ ließ sich einer der beiden vernehmen. Aber es muss schon gesagt werden, sehr unfreundlich waren sie nicht, als sie ihren Wettkampf unterbrechen mussten, nur weil ein dahergelaufener Hahn zu ihnen sagte: „Ich wünsche einen schönen Tag, die Sonne scheint wie ich es mag, nun lauschet dieser frohen Kunde, ich geb’ für alle jetzt ne Runde!“
Irgendwie war ihnen mittlerweile nach Abwechslung. Und wenn schon kein adrettes Huhn, dann eben ein interessanter Hahn. Denn mit seinem leuchtend roten Kamm, den gepflegten Schwanzfedern und dem extra angepassten Rucksack machte der Neue schon was her.

„Jungs, hier, trinkt ein Schluck, hinunter geht’s mit einem Ruck“ bot er beiden einen Schluck aus seiner Flasche Obstler an. Und es wird doch wohl kein Leser erwarten, dass die beiden ablehnten. Sie lehnten auch nicht ab. Ruck zuck war die Flasche leer. Die beiden hatten das Gefühl, dass ihr weiteres leben mit diesem Kerl doch recht nett werden könnte. „Werter Gockel, sei in unserem Bunde der dritte,“ frohlockte Erich. „Erich mein Name,“ stellte er sich nachträglich vor. „Erich, dem sie den Beinamen ´Der Anarchist´ gegeben haben. Und hier neben mir sitzt etwas schräg der gute Hans, mit dem Appendix „Der Göttergatte“, den seinerzeit sein gutes Herz für die Dämlichkeit auf das Gelege gedrückt hat. Allerdings muss man sagen, dass aus der Schar der von ihm betreuten Küken doch durchweg was ordentliches geworden ist. Nicht wahr Hans?“ „Erich, ich weiß deine Vorstellung zu schätzen, aber wenn du immer meine Vorzüge erwähnst, dann ist mir das schon ein wenig peinlich. Sag einfach Hans zu mir,“ kicherte Hans. Da auch der neu hinzugekommen Hahn nicht zurückstehen wollte, erfand er für sich aus dem Stehgreif einen Beinamen, den ihm noch niemand gegeben hatte, der aber von nun an sein Markenzeichen sein sollte. „Edmund ist mein werter Name, Holadijö schreit manche Dame, der wilde Reimer, das bin ich, da kriegt manch andrer keinen Stich.“ Ein wenig blöde kuckten Hans und Erich schon. Unter diesem Beinamen konnten sie sich nicht viel vorstellen. Noch nicht. Der gute Edmund sollte sie bald aufklären. Obwohl den beiden schon zu diesem Zeitpunkt etwas dämmerte. Sie wussten nur noch nicht, was.

Wer jetzt allerdings eine Geschichte a la Bremer Stadtmusikanten erwartet, der liegt falsch, glaube ich. Denn hier entwickelt sich wirklich alles anders als man glaubt.


Angenehme Träume oder Ruhe vor dem Sturm

Nachdem die drei einträchtig und sozialistisch gerecht die Vorräte aus Edmunds Rucksack sorgfältig entsorgt hatten, lehnten sie sich auf der Bank zurück und überließen sich eine Weile Morpheus’ Armen. Der war dann auch schnell zur Stelle, und alle drei hatten ihren Spaß mit flugs herbeigeeilten Traumbestalten.

Sicherlich, ab und an blitze auch etwas Unerfreuliches aus der Vergangenheit wie ein Spotlight auf. Dem Hans erschien das holde Eheweib. Er sah sie als Traumgestalt Arm in Arm mit dem scharfen Huhn, das ihm den Schlamassel mit der Brutpflege eingebrockt hatte. Glücklicherweise wurde diese Erscheinung bald abgelöst von angenehmeren Dingen, über die wir an dieser Stelle aber geschwind den Mantel des Schweigens decken wollen. Denn seine weiteren Traumgestalten würden ein schon verleiten, sich mal psychoanalytisch mit dem Knaben zu beschäftigen. Aber das ist ja nun wirklich nicht unsere Aufgabe.

Neben ihm hing Erich locker über die Rücklehne. Er grinste im Schlaf vor sich hin. Sein Traum schien auch einer von der angenehmen Sorte zu sein. Denn in seinem Traum wurde der Bauer, der ihn so schmählich als pünktlichen Morgenruf missbrauchen wollte, gejagt von einer Horde klingelnder Wecker. Sie verfolgten ihn durch das ganze Dorf, sprangen ihn dabei an von hinten, von vorn, von links, von rechts, von oben und unten, und verpassten ihm herrlich schimmernde blaue Flecken. Die ganze Dorfstraße jagten sie ihn lang, und links und rechts sahen die anderen Dorfbewohner kopfschüttelnd und mit klammheimlicher Freude dem Treiben zu. Schön war auch, dass wenn der gejagte Bauer das Ende der Dorfstraße erreicht hatte, die ganze Jagd als Wiederholung vom Anfang der Dorfstraße wieder los ging. Erich grunzte jedes Mal heftig, wenn der Lauf wieder von vorn anfing. Edmund lag derweil entspannt auf der Seite. Sein Kopf hing von der Bank herab, wodurch sein Kamm und sein Kopf rot leuchteten, weil in dieser Lage wohl ein Großteil seines Blutes dort zu zirkulieren pflegte. Im Traum sah er sich selbst glänzend herausgeputzt vor einem riesigen Auditorium auf einer geschmückten Bühne stehen und deklamieren. Andächtig lauschte die Gemeinde der Zuhörer den paarreimigen Ergüssen; niemand räusperte sich, niemand hustete, niemand schnäuzte seine Nase, während Edmund sich von Endreim zu Endreim hangelte. Am hinteren Ende des Saales konnte er ein fortlaufendes Spruchband lesen, in dem die Lesung angekündigt wurde: „Edmund der Reimer, einmalig in dieser Stadt, das Ereignis des Jahrhunderts. Leicht irritierte ihn jedoch , dass links und rechts der Laufschrift die Werbung des Sponsors in fetten Lettern prangte. Der Sponsor war wohl ein Hersteller von Folienverpackungen.

Alle drei genossen so eine Zeit lang die Mittagssonne und ihre Träume. Der artgerecht entsorgte Obstler hielt die Stimmung noch eine Weile auf einem angenehmen Pegel.


Sieh da, der Wasserhahn

Alle drei wachten nahezu gleichzeitig auf, weil es plätscherte. Jeder schaute erst einmal vorsichtig unter sich, aber alle schienen sich noch voll unter Kontrolle zu haben. "Die leeren Flaschen entsorgt ihr aber bitteschön ordentlich im Mülleimer. Damit das mal klar ist," vernahmen sie eine scharfe Stimme schräg hinter sich. Ächzend drehten sie sich um. Tropfnass stand da einer ihresgleichen. Mit offenen Schnäbeln begutachteten sie kritisch die Erscheinung. "Glotzt nicht so blöd. Habt ihr noch nie einen nassen Hahn gesehen?" "Dooch," kam es zögerlich von Edmund und die anderen schlossen sich ebenso zögerlich an. "Haben wir schon, aber nur samstags nach dem Baden. Und nicht einfach nur so mitten in der Woche hinter einer Bank." "Klar, Samstagsbader, habe ich mir doch gedacht. Wohlmöglich auch noch Warmduscher und Schattenparker, wie? Na ist ja egal. Ich gehe mal davon aus, dass ihr kräftig genug seid um mir zu helfen. Als mein Bauer mich mit einem Tritt in den Allerwertesten vom Hof da hinten befördert hat, da habe ich im Sinkflug genau über diesem Bach wohl meinen Generalschlüssel verloren. Wenn sich die Wasseroberfläche beruhigt hat, könnt ihr mir ja mal beim Suchen helfen." Die drei schauten sich verlegen an. Wegen unterlassener Hilfeleistung wollten sie ja nun nicht angeklagt werden. Also rafften sie sich auf und schauten in den Bach. Nichts war da zu sehen. sie wanderten am Rand des Baches entlang und wieder zurück. Nichts. Kein Universalschlüssel. Der nasse Hahn hatte sich derweil nicht von der Stelle gerührt und schaute weiterhin konzentriert in die doch recht trübe Flüssigkeit. Erich sah es als erster. "Ey Jungs, der Trottel steht drauf!" "Worauf steht der?" fragte Hans, den es noch nicht so richtig aus seinem Obstlertraum geholt hatte. "Ist er pervers?" "Wer ist hier pervers?" dreht sich da der nasse Hahn plötzlich herum. "Macht ihr euch etwa über mich lustig? So in die Richtung von Generalschlüsselfetischist? Wartet mal ab, bis wir den Schlüssel gefunden haben. Dann werdet ihr ja sehen. Als er sich auf seinen Füßen wieder in Richtung Bach drehte, da hörte nicht nur er es. Es schrappte auf dem Boden. Er drehte vorsichtshalber seine Füße noch ein wenig hin und her ... und tatsächlich: Er stand drauf. "Jungs, nichts für Ungut, da habe ich euch wohl ein wenig falsch verstanden, von wegen pervers und so." Er hob den Fuß und den darunter liegenden Schlüssel auf. "So, da ist ja mein Kleiner. Herrschaften, da ich noch nicht dazu gekommen bin, stell ich mich mal vor. Otto. Ganz einfach Otto, von vorne wie von hinten. Klar? Und rausgeflogen bin ich soeben bei meinem Bauern. Jahrelang habe ich ihm seine Trecker und das ganze andere Zeugs auf dem Hof repariert, und nur weil jetzt der Kolben in seinem Lanz fehlt, hat er mich rausgeschmissen. Dabei hatte der schon Haarrisse! Ganz viele!! Und was ja noch bescheuerter ist, dass ist doch: Der Kerl ist mit dem Lanz in den letzten zehn Jahren nicht einen Meter gefahren! Der hat einmal pro Woche den Lanz mit dem Gasbrenner angeheizt und fünf Minuten laufen lassen, sich drauf gehockt, nur weil der sich von dem Wackeln, Klappern und Vibrieren hat aufgeilen lassen. Seine Mutti hatte dann am Morgen danach immer Ringe unter den Augen. Unverantwortlich der Kerl. Und nur deswegen hat der mich rausgeschmissen. Jetzt bin ich allerdings gespannt, wer ihm den Schrott auf seinem Hof repariert! Da lief doch nichts ohne mich. Die ganze Dreckarbeit hat der mich machen lassen. Das ganze Gefieder habe ich mir täglich versaut, weil der mich in die Maschinen reingeschickt hat. Und noch nicht einmal vernünftiges Werkzeug hatte der! Schrauben musste ich mit meinen Schnabel aufdrehen! Schaut euch nur die Scharten in meinem Schnabel an! Aufgeopfert habe ich mich für den Hof!"

Die Gesellschaft schaute Otto mitleidig auf den wirklich sehr schartigen Schnabel. Das hatten sie auch vorher schon getan. Nur jetzt hatten sie dafür eine Erklärung. "Aber," fuhr der Hahn eifrig fort, „aber,“ wiederholte er, um der nachfolgenden Aussage das entsprechende Gewicht zu geben, „der wird sich wundern!! Jedes Mal, wenn ich eines seiner Gerätschaften reparieren musste, aber auch wirklich jedes Mal, habe ich ein Teil, von dem ich annahm, es sei überflüssig, rausgenommen. Von wegen Redundanz oder so. Die bauen doch Teile ein, die völlig unnötig sind für die Funktion. Das habe ich jedenfalls festgestellt. Und bewiesen!“ Die drei Hähne staunten weiter. Was war das nur für ein Kerlchen. Tropfnass zwar aber topfit. Da lauschten sie doch gern. „Und da ist eine Menge Teile zusammengekommen. Aber ausbauen und sammeln kann ja jeder. Ich auch. Aber ich kann noch mehr. Alle Teile konnte ich auch gebrauchen. Und schlussendlich passte alles nach Plan. Nach meinem Plan. Denn ich hatte einen Plan.“ Jetzt ließ er den gaffenden Hähnen eine künstlerische Pause, damit sie die Sache mit dem Plan auch verdauen konnten. Natürlich wartete er darauf, dass einer der Herrschaften nun endlich fragte, was für ein Plan das denn sei. Und siehe da, Erich fragte dann auch nach kurzer Zeit: „Also Chef, dann sag mal, was dass für ein Plan ist. Du hast doch nur darauf gewartet, dass dich das einer von uns fragt. Mit solchen Rhetorik-Tricks brauchst du uns nicht zu kommen. Da sind wir fit wie Turnschuhe drin, in solchen Tricks.“ Zustimmung heischend schaute er sich um, stieß allerdings, das muss man zugeben, auf ein wenig Unverständnis zu seiner Rechten und zu seiner Linken. Wahrscheinlich hatten die beiden anderen noch nicht so weit gedacht. Oder der Obstler tummelte sich noch blockierend an der einen oder anderen Synapse. Egal, er hatte ja gefragt. Triumphierend richtete sich Otto Hahn auf, warf aber einen vorsichtigen Blick hinter sich in Richtung Bauernhof. Dann beugte er sich vor. „Psst. Das ist ein Geheimnis. Ihr müsst mir hoch und eilig versprechen, es niemals, aber auch wirklich niemals, also auch nicht morgen, auszuplaudern. Versprecht ihr das?“ Erich, Hans und Edmund nickten einträchtig, obwohl sie sich nun wirklich nicht sicher waren. Der Kerl machte so ein Theater um sein Geheimnis, dass sie wohl alle drei annahmen, einen mittelgroßes Großmaul vor sich zu haben. Ihnen war nun wirklich nicht fremd, dass es solche Hähne gibt. Ab und an flippte so einer halt mal aus. Was so allgemein gesehen kein Problem für sie war. Ausgeflippte Hähne waren nämlich im Grunde genommen recht interessante Hähne. Sie beugten sich also nach ihrer kollektiven Zustimmung vor, um Otto zu lauschen. Dieser räusperte sich vernehmlich, was bei Edmund eine leichte Irritation auslöste. Wir wissen warum. „Also Jungs, ich lasse euch an meinem Geheimnis Anteil nehmen. Ihr seht ziemlich vertrauenswürdig aus.“ Die drei schauten sich noch einmal verständnislos an, legten dann aber wohl auf das ziemlich größeren Wert als auf das vertrauenswürdig. „Ok, schieß los Alter. Spannend genug hast du es jetzt gemacht.“ „Na, irgendwie muss ich die Geschichte doch dramaturgisch aufbauen. Das gehört nun mal dazu. Also kurz und knapp: Aus den ganzen ausgebauten Teilen habe ich eine Maschine gebaut. – Eine Zeitmaschine!“ Dreimal hintereinander hörte man es: klapp – klapp – klapp. Alle drei waren vor Überraschung nach hinten gekippt. Alle drei schauten intensiv in sich hinein, ob nicht auch noch irgendwo weiße Mäuse rumliefen. Als keiner einen Maus sah, richteten sich wieder auf und wie aus einem Mund röchelten sie: “Du alter Spinner.“ Erich ergriff dann für die anderen das Wort: „Nass wie ne Socke und ein Maul wie ein Hammerhai. Und uns was von einer Zeitmaschine erzählen wollen. Da hat der Obstler nun wirklich nicht ausgereicht. Häng mal deine Fahne auf halbmast. Wir haben nichts gegen dich, aber solche Blümchen musst du uns nicht auf die Krone setzen. Eine ZEITMASCHINE!! Ja hast du den Obstler getrunken oder wir? Wir! Also! Jetzt setz dich zu uns und verdau mal den Flug und die nasse Landung. So einen Wasserhahn habe ich noch nie erlebt.“ Womit klar ist, woher der Wasserhahn seinen Namen für die fortlaufende Geschichte hat.


'En Zeitmaschin'

„'En Zeitmaschin' ! Na klar, was denn sonst. Einen automatischen Eierkocher gibt es ja schon. Da arbeitet man mit geklauten Teilen ja auch nicht an irgendetwas Unwichtigem. Nein, eine Zeitmaschine muss es sein! Sicher. Hör mal Otto, bis du sicher, dass der Bauer dir nur in den Arsch getreten hat und nicht ein ganz anderes Körperteil getroffen hat?" Edmund hatte sich insoweit wieder unter Kontrolle, dass er ihm einfiel, wofür er ja bekannt war.

Der Otto baut ne Zeitmaschine
die läuft geschmiert mit Margarine
der Kerl hat sie recht flink gebaut
mit Teilen, die er selbst geklaut.
Doch trifft er der Banausen drei
die sind so frech, die sind so frei
die halten Otto für beschädigt
drum ist die Sach' für sie erledigt.

"So Jungs, das war’s, jetzt können wir wieder zur Tagesordnung übergehen. Ich habe da ganz unten hinter der Geheimklappe meines Rucksacks noch ein Fläschchen Eierlikör gefunden. Eigelb soll ja beruhigend wirken. Das Fläschchen werden wir dann mal mit Otto teilen. Das mit der Zeitmaschine hat ja noch Zeit."

Das Gute war an Otto, dass er nicht sehr schnell beleidigt war. Und nach dem Flug über den Bach betrachtete auch er sich erst einmal dialektisch. Also mit These Antithese und dem Rest. These war, er hatte aus den Gerätschaften des Bauern eine Anzahl Teile ausgebaut und daraus etwas zusammen gebaut, von dem er glaubte, es sei eine Zeitmaschine. Gut, soweit die These. Die Antithese, die ja erst durch die drei herumlungernden Hähne Gestalt gewonnen hatte ja, durch den Flug über den Bach mit anschleißender harter Landung und wahrscheinlich auch schon mit hartem Abflug hatte bei ihm die Illusion entstehen lassen, er hätte dem Bauern Teile ausgebaut, also nicht direkt dem Bauern, sondern seinen Maschinen, und er hätte daraus eine Zeitmaschine gebaut. Ergo kam er auf die Synthese: Eines von beiden kann nur stimmen. Oder doch nicht. Ein kräftiges Schlückchen Eierlikör half da im Augenblick auch nicht weiter. Zweifelten die Jungs, die nüchtern betrachtet ganz in Ordnung schienen, doch Recht zu haben? Die Annahme galt aber nur für die Zeit vor der Eierlikörentnahme. Zum jetzigen Zeitpunkt konnte man die Betrachtungsweise nicht mehr nüchtern nennen. Er atmete nach einem kräftigen Rülpser tief ein und freute sich darüber, dass seine Analyse die Unklarheiten rechtzeitig aufgedeckt und einen Lösungsweg aufgezeigt hatte. Denn aufgrund seiner von Fachkreisen geschätzten analytischen Kompetenz blieb er nicht bei der Bestandaufnahme des Dilemmas stehen, in dem er sich zu befinden schien. Ihm war jetzt klar: 1. Er hatte eine Zeitmaschine gebaut. 2. Die mittlerweile etwas enthemmten Hähne hier auf der Bank glaubten ihm nicht. 3. Diese Hähne hatten ja keine Ahnung. Ergo: Er müsste sie vor vollendete Tatsachen stellen, sofern ihm selbst etwas daran lag, diese Herrschaften überhaupt zu überzeugen. Und so schritt er zur Tat. Er baute sich in seiner ganzen Größe vor der Bank auf, hielt den Schlüssel, der ja nach langem Suchen unter seinem Fuß plötzlich und unerwartet aufgetaucht war, in die Höhe. Mit einem lauten, kräftigen, provozierenden "Na, und was ist das wohl hier?" verstörte er die Gesellschaft erneut. Erich bekam als erster die Zähne wieder auseinander. "Otto, du bist ja anscheinend ein ganz lieber Jung, aber irgendwie solltest du auch wissen, wann so ein Kalauer ausgereizt ist. Wir sind nämlich nicht von gestern. Ein Eierkocher kocht Wasser, eine Brotmaschine backt Brot, ein Mähmaschine mäht Gras, aber eine Zeitmaschine? Was soll die denn machen? Zeit? Und wenn sie es könnte, wieso? Zeit haben wir genug. Wozu sollen wir sie uns machen? Klar? Klar. Mir jedenfalls. Euch auch Jungs?" Wobei sein in die Runde schweifender Blick nur auf wenig Unverständnis stieß. Hans blickte nach einigen Augenblicken schon etwas pragmatischer in Ottos Augen. "Sicher Erich. Wozu soll schon jemand Zeit herstellen? Wie sollte man sie denn Verpacken? Etwa in Klarsichtfolie?" Er bemerkte dabei nicht das irritierte Flackern in Edmunds Augenwinkeln. "Oder einfrieren?" Edmunds Flackern steigerte sich bedenklich. Und in welchen Größen soll die Zeit verpackt werden? Gibt’s die im Dutzend billiger? Kann sie auch ökologisch biodynamisch hergestellt werden? Wie lang kann sie überhaupt gelagert werden? Ist der Vertrieb gefährlich? Übrigens, in welchem Aggregatzustand möchte der Herr Otto die Zeit denn überhaupt herstellen und liefern?" Edmund hatte sich derweil wieder etwas gefangen und machte einen diskussionswürdig erscheinenden Vorschlag. "Flüssig. Sicher. Flüssig, Erich. Wenn Otto sie flüssig herstellt, dann kann sie doch in Flaschen gefüllt werden. Und Flaschen sind gut zu transportieren. Und wenn man Mehrwegflaschen aus Glas nimmt, dann ist zumindest die Verpackung dynamisch ökologisch. Otto, ich würde es flüssig machen." Hans war von dem Feuerwerk an Engagement bei Edmund überrascht. Er hatte eher irgendwas Vierzeiliges erwartet. Anscheinend hatte die Angelegenheit mit der Zeitmaschine den guten Edmund emotional durcheinander gerüttelt. Sogar die Anspielung auf Klarsichtverpackungen und Einfrieren hatten ihn nicht davon abgehalten, konstruktiv Vorschläge zu erarbeiten. Hans selbst hatte sich in den letzten Minuten mit ganz anderen Gedanken herumgeschlagen. Ihm ging es nicht um das profane Verpackungs- und Transportproblem, nein! Ihm kam schon etwas philosophischeres in den Sinn. Ihm stelle sich ganz existentiell die Seinsfrage! Und es brannte ihm jetzt auf der Zunge, mit der versammelten Hähnerunde das Problem zu diskutieren. Vorher nahm er noch einen kräftigen Schluck Eierlikör.


Man kann ja mal gucken

"Dieser Schlüssel," lallte Otto ein weinig, denn Eierlikör hatte bei ihm auch in homöopathischen Dosen eine fatale Wirkung, "dieser Schlüssel ist der Schlüssel zu Zeit!" Nochmals hielt er den Schlüssel wie ein Monstranz in die Höhe. "Mit diesem Schlüssel werde ich vor euren eigenen Augen den Schuppen dahinten," wobei er wage mit einer Hand nach Südsüdost zeigte, "also den Schuppen da hinten neben der Mühle werde ich aufschließen. Und was glaubt ihr, was da drin steht, in dem Schuppen? Na?" "Wahrscheinlich ein Probe-Abo der Zeit, schätze ich mal," ließ sich der belesene Edmund vernehmen und verbeugte sich mehrmals in Erwartung des Applauses für seine Spitzfindigkeit. Doch keine Hand und kein Flügel rührte sich. Hans quetschte gequält heraus. "Ob dann da vielleicht in dem Schuppen dahinten, aus dem es gerade qualmt, als würde er abbrennen, diese wundersame Zeitmaschine steht?" Es dauerte eine Weile, bis sich alle einschließlich Otto, den Sinn und Zweck dieses so nebenbei hingeworfenen Satzes erschloss. Zentral war weder der Schuppen noch die Zeitmaschine, von Bedeutung war wohl eher der Qualm. "Da brennt wohl ein wenig Zeit ab in dem Schuppen. Immerhin kann man damit ja wohl heizen. Womit ja wohl geklärt ist, wie wir über den Winter kommen," sprach stolz Hans, der damit ein Problem gelöst hatte, das sich zuvor eigentlich noch gar nicht gestellt hatte. Wieder einmal triumphierend klärte Otto das Team auf. "Was da qualmt, das ist die Standheizung. Ich hatte für heute Abend einen Teststart mit der Maschine vor. Deshalb hatte ich ja auch den Schlüssel bei mir. So eine Zeitmaschine ist schon recht empfindlich, was die Temperatur angeht. Und um sie eine Zeit lang vorzuheizen, da habe ich dem Bauern aus seinem Trecker die Standheizung ausgebaut, die der sowieso nie gebraucht hat, weil der gar nicht wusste, dass er den Trecker mit Standheizung bestellt hatte. Und mit einer Zeitschaltuhr wird halt einige Zeit vor dem Start in die Zeit mit der Zeitmaschine vorgeheizt. Außerdem hilft das auch im Winter, wenn der Diesel zähflüssig wird." "Ist eh klar, dass so eine Zeitmaschine auf einem Bauernhof mit Diesel läuft. Wahrscheinlich mit Biodiesel. Oder mit Margarine. Und dann stinkt der ganze Schuppen nach dem Start nach Frittenbude. Ist eh klar." Edmund schloss die Augen, als wollte er ein erneutes Nickerchen machen. Sein Fuß, der einen aufgeregten Takt schlug, ließ aber anderes vermuten. "Hör mal Otto, ohne dir zu nahe treten zu wollen. Hast Du dich da vielleicht ein klein wenig ungenau ausgedrückt als du sagtest, du hättest eine Zeitmaschine gebaut? Meintest du nicht vielleicht eine Zeit-Reise-Maschine?" "Ist eh klar," sagte Hans, während er seine leicht verspannten Nackenmuskel lockerte. Zeitreise. Was denn sonst. Der Otto ist doch nicht blöd. Also, worauf warten wir noch? Auf geht’s. Wohin wollen wir als erstes? Die heißen Hühner von Kleopatra beglücken oder schnappen wir uns ein paar Gänse Napoleons? Mir wäre eher nach französisch. Ägyptisch gackern kann ich nicht so gut." Otto, Edmund und Erich waren baff. So eine Entschlussfreudigkeit hatten sie bei dem ansonsten so ruhigen Hans nicht erwartet. Unter anderem auch deswegen nicht, weil - bis auf Otto - die Hähne irgendwie noch keine Beziehung zu einer Zeit-Reise-Maschine aufgebaut hatten. Ihnen fehlte der innere und äußere Bezug noch vollkommen. Aber Hans war auf einmal Feuer und Flamme. "Jetzt hör mal Otto, mal ohne Scheiß, gehen wir mal davon aus, dass du so ein Ding tatsächlich zusammengebaut hast, seinen wir einfach mal hinsichtlich deiner Intelligenz und deiner handwerklichen Fähigkeiten vorurteilsfrei, angenommen, das Ding funktioniert. Könnte ich dann, rein theoretisch, in meine pränatale Phase reisen und mich als Ei bekucken? Und könnte ich dann, rein theoretisch, dieses Ei mit nach hier und jetzt nehmen, mich wieder auf die Bank setzten, das Ei kochen und dann aufessen? Rein theoretisch natürlich?" Otto nickte die ganze zeit beständig mit zunehmender Frequenz. "Klar Hans. Du hast es erfasst. Erst schweigsam und dann plötzlich mit der Erleuchtung. Aus dem Holz sind die richtigen Hähne geschnitzt. Klar Hans, das ginge. Rein theoretisch. Praktisch müssten wir es natürlich ausprobieren." Edmund blickte schmunzelnd von Otto zu Hans. "Und rein theoretisch wärst du dann nicht mehr hier auf der Bank, wenn du dich als Ei hier auffressen würdest! Als Idee einfach super. Theoretisch gesehen. Aber praktisch irgendwie abwegig. Aber langer Rede kurzer Sinn: Wir sind Hähne der Tat, wir tun was. Macht den Weg frei Jungs." Er stand abrupt auf und machte sich forschen Schrittes auf in Richtung Mühle und Scheune. Kommentarlos folgten ihm Otto, Hans und Edmund, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, also Edmund, Hans und als letzter Otto mit dem Schuppenschlüssel.

Mit fallendem Promillegehalt besann sich Hans langsam wieder. Leise flüsterte er vor sich hin:


Ein Hahn mit einem Schuppenschlüssel,
der endet in der Suppenschüssel,
doch läuft sie gut mit Margarine,
des Hahnes große Zeitmaschine
dann nicht.

Na ja, so ganz zufrieden war er noch nicht, aber den Umständen entsprechend fand er sich selbst auf dem Weg der Besserung. Aber irgendwie beschlich ihn das klammheimliche Gefühl, dass er es war, den das Gluck damit bedacht hatte, als Chronist eines geschichtsverändernden Ereignisses zu fungieren. Darauf wollte er sich langsam vorbereiten.


Historischer Boden

Noch vor Beginn der einsetzenden Abenddämmerung erreichten Sie die Mühle, an deren linken Seite der Schuppen angebaut war, indem Otto den dreien das Mysterium der Zeitmaschine versprochen hatte. Abrupt blieb der die Herrschaften anführende Otto stehen. "Wisst ihr Banausen überhaupt, dass ihr euch hier auf historischem Boden befindet? Kennt ihr diese Mühle? Na? Keine Antwort? Ihr kennt sie also nicht. Passt mal auf ihr recken Kämpfer, schaut mal da unten auf die bronzene Tafel neben der Eingangtür der Mühle. Na? So, könnt ihr selber lesen oder braucht ihr Hilfe?" Edmund, Hans und Erich waren ein wenig verwirrt, da ihnen irgendwie mit den Resten Obstler und Eierlikör nicht unbedingt nach eingehender Lektüre stand. Hans war sowieso damit beschäftigt, gedanklich die zukünftige Produktion eines Eierlikör-Obster-Cocktails vorweg zu nehmen, da es ihm irgendwie unsinnig erschien, diese edlen Zutaten erst im Magen zu mischen. Erich war gedanklich auch ziemlich weit weg, da er, seiner Natur entsprechend, überlegte, was man mit einem mechanischen Wecker so alles anstellen könne. Sein Hauptproblem war schon, wie man einen Wecker dazu bringen kann, die Ketten der Knechtschaft zum pünktlichen Klingeln abzuwerfen? Ihm war nicht so ganz klar, inwieweit der Intelligenzquotient eines Weckers ausreicht, derartige Gedanken zu erfassen und umzusetzen. Edmund fabulierte ein wenig in sich hinein, wobei der gleichmäßige Trott ihm sehr entgegenkam, der plötzliche Stopp seine Paarreime aber durcheinander brachte.
´Sind die Hähne auf dem Marsch,
schaut sogar der blaue Barsch
traurig aus der trüben Flut,
bewundert dort der Hähne Mut.’
Und genau an dieser Stelle stoppte Otto und wollte sie zum Lesen irgendeiner Inschrift auf irgendeiner Bronzetafel auf irgendeiner Mühle zwingen. In ihm begehrte es auf. Sehr schnell merkte er jedoch, dass innerlich nichts aufbegehrte, sondern es nur die beginnende Obstler-Eierlikör-Reaktion war. Also beugte er sich vor, um dem Spiel ein Ende zu bereiten. "Otto, ich habe den Eindruck, du möchtest von deiner genialen Zeitmaschine ablenken. Wenn wir jetzt an jeder Ecke irgendeine Inschrift lesen sollen, dann wird es beistimmt zu dunkel. Dann findest du das Schluss des Schuppens nicht und erklärst uns dann lang und breit, Jungs, lasst es uns auf Morgen verschieben. Jetzt ist es zu dunkel. Und morgen fällt dir dann nicht mehr ein, womit du uns in deinem Großenwahn beeindrucken wolltest. Eierlikör hin, Eierlikör her, mach an, zeig uns dein Monstrum." Otto war leicht verschnupft. "Ihr seid gemein zu mir. Wie mein Bauer. Und mit dem wollt ihr euch doch nicht gemein machen? Na gut, ihr faulen Säcke, ich lese es euch vor und ihr werdet den historischen Ort nicht mehr aus eurem Gedächtnis streichen können. Schaut was dort geschrieben steht:


Auf Bronze steht geschrieben...

Diese bronzene Tafel ist angebracht zu Ehren eines tapferen Müllers, der sich gegen alle angeblichen Freiheiten einer antiautoritären Erziehung gestellt hat. Allein auf weiter Flur, nur unterstützt von einem leicht beschränkten Bauern, entfernte er zwei außer Rand und band geratene Jugendliche aus der wohlgesinnten Gesellschaft! Zur Bestätigung hier die entsprechenden Dichterworte, die die Tat des Müllers in höchsten Tönen lobt:

Als man dies im Dorf erfuhr,
War von Trauer keine Spur.
Witwe B.*, mild und weiche,
Sprach: „Sieh da, ich dacht’ es gleich!“
„Jajaja!“ rief Meister B.* .
„Bosheit ist kein Lebenszweck!“
Drauf so sprach Herr Lehrer L.*:
„Dies ist wieder ein Exempel!“
„Freilich“; meint’ der Zuckerbäcker,
„Warum ist der Mensch so lecker!“
Selbst der gute Onkel F.*
Sprach: „Das kommt von dumme Witze!“
Doch der brave Bauersmann
Dachte: Wat geiht meck dat an!
Kurz, im ganzen Ort herum
Ging ein freudiges Gebrumm:
“Gott sei Dank! Nun ist’s vorbei
Mit der Übeltäterei!“

* Die Namen wurden aus verständlichen Gründen nicht ausgeschrieben. Die dazugehörigen Personen wurden in ein Zeugenschutzprogramm übernommen und erhielten eine neue Identität.

Soweit der Text der Bronzetafel.
„So. habt ihr jetzt erkannt, was das für eine Mühle ist? Na?" Hans war nun doch ziemlich ergriffen. Edmund konnte sein Erstauen mit offenem Schnabel kaum unterdrücken und Edmund fiel vor Otto fast auf die Knie vor Dankbarkeit. Diese Mühle war ein Mahnmahl für die Urväter des Anarchismus. Seiner Wurzeln. Und er wäre fast daran vorbei gelaufen. „Hahn! Da laufen wir hier fast nichts ahnend durch die Gegend und wären fast an diesem epochebildenden Mahnmal vorbeigelaufen. Otto, ich danke dir! Diese beiden Jungs haben es dem Establishment doch mal so richtig gezeigt! Die nur an ihre eigene Verfressenheit denkenden Bolte, dem autoritär brutalen Lämpe, dem reaktionären Onkel Fritz und diesem Herrschaftsbüttel Böck! Aber das Proletariat hat ja schon damals nichts kapiert! sonst wäre es den Kapitalisten von Bauer und Müller ja nicht gelungen, diese beispielhaften Existenzen auf so schmähliche Art und Weise zu vernichten. Zeugenschutzprogramm, pah! Blockwarte und Denunzianten waren das! Und das hier ist also die Mühle, in der es geschah? - Widerlich. Abscheu ruft dieses Gebäude in mir hervor. man sollte..." Weiter kam er nicht, denn Otto drängte jetzt doch in Richtung Schuppen, um beim letzten Tageslicht das Schlüsselloch zu finden. Außerdem hatte er die Standheizung nur auf eine Stunde Vorlaufzeit gestellt. Und er hatte keine Lust, die Zeitmaschine noch einmal anzuheizen. "Jungs, ist ja gut. danke für eure überschwängliche Lobhudelei. Aber jetzt lasst uns doch mal mein Werk betrachten. Das Maschinchen hat jetzt gerade die richtige Temperatur erreicht."


Ein erhabener Anblick

Sie rissen den sich an die Bronzetafel klammernden Erich los, sahen zu, wie Otto die schwere Schiebetür mit einer eleganten Bewegung aus dem Handgelenk heraus aufschloss. Der Anblick war überwältigend! In den letzten Sonnenstrahlen, die durch die reichlich verfallen Rückwand des Schuppens fiel, glänzte ein Monstrum von Maschine. Jetzt erst konnten die drei so richtig erkennen, welche eine gewaltige Tat der doch zuvor leicht belächelte Otto vollbracht hatte! Sie wunderten sich nur kollektiv, dass auf dem Bauernhof überhaupt noch etwas stand und lief. Nach dem ersten oberflächlichen Überblick schien die gesamte Gerätschaft hier zu einem großen Haufen verarbeitet worden zu sein. Riesengroß, imposant, in seiner Mächtigkeit die stauenden Hähne fast erschlagend.

Edmund fand als erster die Sprache wieder: „
Wir haben es ihm nicht geglaubt,
wir hielten ihn für angestaubt,
was vor uns steht in seiner Pracht,
das hat uns sprachlos nun gemacht."

Otto wurde vor Stolz breit und breiter. Seine Augen glänzten sein Kamm schwoll und beinahe hätte er zu einem Krähen angesetzt. Aber nur beinahe. Ihm fiel rechtzeitig ein, dass er mit einem Freudenkräher schon Pack und Gesindel hätte anlocken können. Und davon wollte er doch lieber verschont bleiben.

In Heldenpose lehnte er sich an die verschraubten Gerätschaften, wobei die linksseitig angebrachte Wellblechverkleidung zwar bedenklich wackelte aber dennoch hielt, was sie versprach. "Falls ihr auch nur ein Fünkchen Allgemeinbildung mit der Mutterbrust eingesogen habt, dann dürfte euch das Prinzip ja wohl halbwegs bekannt sein."

Von nun an wird es ein wenig theoretisch. Aber Otto hatte schon Recht. Mit ein wenig internalisierter Allgemeinbildung und einer gehörigen Portion Glauben an das unwahrscheinlich Unmögliche, kann eigentlich fast jeder das Prinzip grundsätzlich begreifen.


Vor der Praxis steht der Schweiß der Theorie

"Was ist Zeit?" Nach einer kleinen Pause, die es seiner Zuhörerschaft ermögliche sollte, sich geistig zu sammeln, fuhr er fort. "Zeit ist nicht anderes als das perfekte Zusammenspiel von Kompression und Depression. Ebbe und Flut ist euch allen ein Begriff, davon gehe ich mal aus." Hier sei angemerkt, dass diese Annahme grundsätzlich falsch war. Keiner der drei hatte jemals am Meer Ebbe und Flut erlebt und deshalb auch nie verständnisheischend einem Vortrag dieser Phänomene gelauscht. Dennoch war es für das Verstehen der Ottoschen Zeitmaschine relativ unwichtig. " Bei diesem komplexen Wechselspiel von Kompression und Dekompression gibt es eine Phase der Umkehr, eben die kaum messbare Phase des Übergangs. Und zwar zweimal, einmal beim Übergang der Kompression in die Depression und , na... richtig, umgekehrt. So, eigentlich dürfte es euch nun klar sein, in diesen Übergangsphasen liegt das Geheimnis einer Zeitreise begraben beziehungsweise begründet. Wird in einem endlichen Zeitraum-Kontinuum genau zu diesem Zeitpunkt der Umkehr, der eigentlich ein Zeitpunkt des absoluten Stilstandes ist, ein Impuls ausgelöst, dann wird die Zeit zu einem flüchtigen Phänomen. Es kommt zum Hier-und-Jetzt-Paradoxon!! Ich verstehe, dass ich euch mit weiteren Ausführungen hinsichtlich der praktischen Umsetzung überfordere. Aber nun mal kurz in Richtung Schluss. Ausgangspunkt für eine notwendige Simulation von Kompression und Dekompression ist natürlich der Kolben des Lanz. Wenn durch komplizierte mechanische Abhängigkeiten der Kolben und das Raum-Zeit-Kontinuum synchron laufen, dann wird ein elektrostatischer Impuls genau im Umkehrpunkt die Zeit an sich auflösen. Nur in diesem einen Moment ist es möglich, genau zu diesem Moment zu einer anderen Zeit aufzutauchen. Nicht an einem anderen Ort. Das ist Sciencefiction-Lügerei. Das funktioniert nicht. Wer euch das weismachen will, der ist ein hoffnungsloser Scharlatan. Die Rückkehr in das Hier und Jetzt kann natürlich auch nur zu einem solchen Zeitpunkt erfolgen. Aber das ist ja wohl logisch und klar verständlich. Kompression Depression mittels Lanzkolben sind relativ problemlos anzupassen. Aber der elektrische Impuls zur rechten Zeit!! Aber Otto hat es gepackt!! Eine Schwingungskopplung zwischen einer Piezozündung und dem oberen und unteren Kolben-Todpunkt.. das war die Lösung. Und die Zündung habe ich in einem kleinen Handgerät untergebracht!! Transportabel!! Denn wie sollte man die Zündung in der Vergangenheit sonst auslösen?? Hä? Wie? Na also, nur mit einer transportabel Fernbedienung. Und hier ist sie!" Stolz hielt er ihnen einen Gasofenanzünder vor die Augen. "Umgebaut habe ich das Ding. Da stecken Sensoren drin, da schlackern euch nur so die Ohren. Auf eine Minute genau lässt sich damit der Zeitpunkt einstellen!! Exakt 60 Sekunden. Toleranz maximal 20%!!“

Stolz blickte er in die Runde. Das ehrfürchtige Schweigen und die untergehende Sonne trieben ihn weiter in seinem Erklärungsdank. Er war zwar der Meinung, ein guter Hahn müsse alles können aber nicht alles wissen, aber er war auch der Meinung, dass auch dem schärfsten Hahn ein Teelöffel voll Bildung auch nicht all zu sehr schadet.

„Wenn man unter anderem auch die grundlegenden Prämissen einer Zeitreise kapiert und berücksichtigt hat, die ja bekanntlich lautet: ´Man kann nicht mehrmals zur gleichen Zeit am gleichen Ort sein. Deshalb kann man sich selbst in der Zeit nicht begegnen“, dann ist der Grundstein schon gelegt. Diese chronologische Paradoxon bedarf ja nun wirklich keiner weiteren Erklärung, wie ich sehe.
Und wenn man dann bei der Konstruktion entsprechend sorgsam vorgeht, nach Möglichkeit unter Berücksichtigung des Step-bei-Step-Transfer, manchmal auch laienhaft als Zwischenschritt-Transfer bezeichnet, dann ist die Schwelle zum Erfolg eigentlich schon überschritten. Wenn man das Melken einer Kuh begriffen hat, dann ist man prinzipiell auch bald in der Lage, eine Raumstation zu bauen. Wobei schon gesagt werden muss, dass eben der Zwischenschritt über die Melkmaschine recht nützlich sein kann. Dass das Überspringen des Melkmaschine Probleme bereiten kann, dass sieht man ja an der russischen Mir-Raumstation. Viele Pannen wären sicherlich nicht aufgetreten, hätten die Russen nicht direkt nach dem Melken angefangen die MIR zu bauen. Allerdings hat ihnen ihr ausgeprägtes Improvisiervermögen geholfen. Denn in der Geschichte des technischen Fortschrittes hat sich auch häufig eine zu große Anzahl an Zwischenschritten als hinderlich erwiesen. Man stelle sich nur vor, auf der MIR wäre eine zwischenschritthörige Besatzung gewesen, als es da mal gebrannt hat. Die hätten doch erst beobachtet und dann mit 112 die Feuerwehr gerufen. Wahrscheinlich wäre die zu spät gekommen. Und was haben die Russen gemacht? Einfach ohne Zwischenschritt das Feuer ausgepustet.“
Wie viel Zwischenschritte Otto beim Bau seiner Zeitmaschine gemacht hatte, wussten die anderen drei nicht, sie hofften nur, es waren genug. Aber als Otto voller Überzeugung ein dreifaches „Positiv denken ist der erste Schritt zur Besserung“ in das Schuppenrund schmetterte, da glaubten sie einfach an ihn.
Otto schloß erschöpft: „So, jetzt seid ihr dran!"

Die drei wollten gar nicht dran sein. Sie staunten einfach und fühlten sich wohl. Otto war für sie ein Genie. Schon allein die handwerklichen Fähigkeiten, die Otto an den Tag gelegt hatte, als er die Wellblechverkleidung angebracht hatte, war bewundernswert. Und das Prinzip von Kompression und Dekompression glaubten sie auf Grund der vielfältigen und vieldeutigen, manchmal doch etwas obszönen Handbewegungen, mit denen Otto seine physikalischen Erklärungen begleitet hatte, verstanden zu haben. Im Grunde genommen war ihnen jegliche wissenschaftliche Erklärung egal. Egal war ihnen eigentlich auch, ob die Maschine überhaupt funktionieren würde. Sie können sich auch nicht vorstellen, wie sie funktionieren würde, wenn sie funktionieren würde. Die Maschine an sich war imponierend. Und schließlich hatte einer von ihnen so ein Ding gebaut. Das war es doch! Das war das Ereignis, auf das ein Hahn sein ganzes Leben hin arbeitet, es sei denn, er hat mal etwas anderes, unwesentliches im Kopf. Sicher, es gibt Hähne, die nur Unwesentliches in ihrem Kopf haben, Hühner und Hennen beispielweise, aber unser drei gehörten nicht dazu. Zumindest zeitweise. Den Kostverächter waren sie ja nun auch nicht, wie wir unter anderem von Hans und Edmund wissen.

Erich wurde nun pragmatisch. "Lasst uns einsteigen und eine Reise wagen. Wozu sind wir denn sonst hier. Wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Und ich hätte da auch schon eine Idee, wohin wir uns treiben lassen sollten. Hopp, ab in die Kiste. Auf geht’s." Erstaunlicherweise waren alle einverstanden. Kritische und vorsichtige Gedanken machte sich keiner. Das sollte eigentlich zu Denken geben. Aber so ein Hahn, den die Abenteuerlust einmal gepackt, der denkt nicht sehr viel. Der denkt eigentlich überhaupt nicht. Der ist ganz einfach nur neugierig.


Pech für den Bauern, wenn der Hahn weg ist

Der Bauer mit dem Lanz beobachtet misstrauisch und mit Wehmut die 4 Hähne die in Richtung Mühle laufen.
Der Bauer ist dafür bekannt, dass er Wetter- und Erntevorhersagen aufgrund kluger Bauernweisheiten und Sprüche abliefert. u.A. für die bekannte Zeitschrift: Der Agrarökonom an sich

Reim auf die 4 Hähne laufen/saufen

Terminhandel einsteigen weil erglaubt, wegen der versoffenen Ernte werden die Preise steigen.
das funktioniert aber nicht, weil ein alternativspruch gültig ist

wenn vier hähne abends laufen
wird der weizen dir versaufen.

der Bauer hatte übrigens beim letzten Dorf Roulette gewonnen, weil er auf die Null gesetzt hatte. (Spruch)

Ist das haus am Morgen full
setz am Abend auf die Null.

Ist der Hahn im März ganz spitz
wird es mit dem Urlaub nix.


Ehrlicherweise muß dazu gesagt werden, dass der Bauer nicht allein auf diese gewinnbringenden Weisheiten gekommen ist. Abend für Abend hatte der mit dem Hahn zusammen gesessen und darüber gegrübelt. Und er musste zugeben, der Hahn hatte schon was drauf. Dafür sah der Bauer dann auch großzügig darüber hinweg, dass der Hahn ständig irgendwo am Hof irgendetwas abbaute. Solange alles funktionierte und die Spekulation an der Börse erfolgreich war, war es ihm egal. Nur die Sache mit dem Kolben seines geliebten Lanz, die hatte er ihm nicht verzeihen können. Das war doch ein zu großer Eingriff in seine Gefühlswelt. Der neue Traktor war doch dafür kein Ersatz. Was ist schon ein John Deere gegen einen alten Lanz.


Die Mühle


Einleitung zu Max und Moritz

Max und Moritz machen beide
Als sie lebten, allen Freude
Denn bei ihren netten Possen
war derzeit man nicht verdrossen
Mit behaglichem Gekicher
Denn sie waren, das ist sicher
Höflich , lieb und angenehm
Vor deren Denkmal wir nun stehn.

Abgesang
Als man dies im Dorf erfuhr
War von Trauer hier die Spur
Witwe Bolte mild und reich
Sprach: ich weine Tränen gleich
Ja oh ja rief Meister Böck
Freunde war ihr Lebenszweck
Drauf sprach auch Herr Lehrer Lämpel
Das ist ein ungerecht Exempel
Freilich, meint der Zuckerbäcker
Ach ist dieser Weckmann lecker
Selbst der gute Onkel Fritze
Sprach, damit macht keine Witze
Nur der blöde Bauersmann
Dachte: Wat geiht meck dat an!
Kurz, im ganzen Dorf herum
Ging ein trauriges Gebrumm
Ach wie schad, nun ist’s vorbei
Mit der bunten Neckerei.


Da ist sie, die Zeitmaschine


geflügelsuppe


Ein Erpel von der schnellen Truppe
der fiel dem Koch schon in die Suppe
bevor der gute Mann bedacht
was er zu Essen heute macht.

Die Brühe war versaut, und wie!
Denn drinnen trieb das Federvieh
herum und wurde bald al dente
Die Suppe nannt’ der Koch „Valente“.

© willi2001


Wegen witwe bolte

Traue ja nicht Bauersfrauen
sie können dir den Tag versauen.


Erich der Anarchist kratzte sich umständlich am Hinterkopf. „Tja, wenn das so stimmt, wie du es sagst, dann könnte ich – also mal rein theoretisch angenommen – in meine pränatale Phase reisen, also in meine Zeit als Ei, damit ihr wisst, was ich meine. Und wenn ich mir dann ein Frühstücksei daraus kochen würde, dann wäre ich jetzt nicht. Oder“ Irgendwie herrschte knisterndes Schweigen. Irgendwie hörte man die vier denken. Und irgendwie waren sie dann alle der Meinung, dass , also rein theoretisch, Erich der Anarchist gar nicht so daneben lag. Ja, je länger sie nachdachten, desto eher waren sie seiner Meinung. Rein theoretisch. Na gut, diese kurze Phase der Seinsphilosophie blieb in den Kinderschuhen stecken. Mehr Gedanken machten sich die Herrschaften nicht, weil ihnen ja doch irgendwie klar war, dass das ganze Nachdenken über die Möglichkeiten und Gefahren einer Zeitmaschine doch eigentlich nur theoretischer Natur war. Und auf die Metaebene einer Diskussion wollten sie sich nun wirklich nicht begeben.

Das beleidigte den Wasserhahn schon ein wenig. Denn seine Maschine funktionierte ja. Er hatte sie zwar noch nicht ausprobiert, aber rein theoretisch, also nach seinen exakten Berechnungen, musste das ganze funktionieren.


Betroffen schauten sich die vier an. Besonders den vierten. Den Wasserhahn. Den diesem handwerklichen Großmaul war es ja nicht in letzter Sekunde gelungen, die relevanten Zahnräder aus der Schrotmühle zu entfernen. Nein. Er musste sich ja zu der Zeit den ach so faszinierenden Riemenantrieb der Maschine anschauen, während langsam aber stetig die beiden Buben brutal zerschrotet wurden. Aber immerhin hatten die Hähne auf ihre Art der Pietät ihren Lauf gelassen. Die Schrotkörner waren wirklich frisch und überhaupt nicht ranzig. Alles in Allem gaben sie dann aber nach einigem Schweigen dem Wasserhahn doch keine Schuld. Den irgendwie konnten sie schon verstehen, dass für ihn der Treibriemen interessanter war als die knackenden Zahnräder.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.04.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Allen Gockeln dieses Erdballs gewidmet

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