Jellisey ging am Strand entlang. Alle paar Meter hielt er an, bückte sich und steckte Seeglas in seine Tasche. Er sah zwei Kinder, die mit ihren Eltern eine Sandburg bauten. "Die haben's gut", dachte Jellisey. "Die müssen nicht ständig zur Untersuchung." Er sah auf seine Armbanduhr. "Sechs Uhr schon?", fragte er sich. Jellisey blickte noch kurz auf das Meer und ging dann zurück. Er stieg gerade die Treppe der Steilküste hinauf, als er wieder diese Übelkeit verspürte. Jellisey beschleunigte seine Schritte. Kurz nachdem er oben angekommen war, lief er schnell von den Menschen weg und da übergab er sich auch schon. "Hey, pass doch auf!", hörte er jemanden schreien. Jellisey blickte kurz auf, aber da überkam ihn schon der nächste Schwall. "Igitt! Das ist ja widerlich!" Jellisey stand wieder auf. "Tut mir Leid war nicht mit Absicht.", sagte er. Es kam noch ein weiteres Kind angelaufen. "Das ist so eklig, so etwas wie du muss weggesperrt werden, sonst steckst du andere noch an!" Die beiden Mädchen bauten sich vor Jellisey auf. "Das ist nicht ansteckend, wirklich nicht.", meinte er. "Na und?", erwiderte das eine Mädchen. "Du bist doch viel zu alt für so etwas! Du bist doch mindestens siebzehn." Jellisey nickte: "Stimmt genau", sagte er und sah auf den Boden. "Und jetzt betrachtest du es auch noch! Du bist so eklig!", rief das andere Mädchen. "Marie! Anna! Kommt!" Die beiden Mädchen drehten sich um und liefen weg. Jellisey ging vorsichtig zurück zum Weg. Er wollte zur Fliederstraße. "Hallo", sagte er. "Du bist so grün im Gesicht. Hast du dich wieder übergeben?" Das war seine Jugendsachbearbeiterin. Sie legte ihren Arm um seine Schulter. "Komm mit." "Wo gehen wir hin Lara?" "Du weißt wie die letzten Ergebnisse in der Onkologiestation ausgefallen sind, oder?" Jellisey nickte. "Der Arzt hat dich im Hospiz angemeldet." "Im Hospiz?! Ihr seid doch verrückt!" Lara sah ihn an. "Jellisey", sagte sie leise. "Kannst du dir vorstellen wie es deinen Pflegeeltern geht? Furchtbar. In dem Hospiz werden sie sich gut um dich kümmern und deine Pflegeeltern können auch mal entspannen." Jellisey riss sich von ihr los. "Ich dachte, ich darf ganz normal weiterleben. Als ich das erste Mal die Untersuchungsergebnisse bekommen habe, habt ihr mir das versprochen!" "Das wissen wir. Aber es hat sich nun mal alles anders ergeben als wir gehofft haben. Und außerdem werden sie im Hospiz alles tun um dir schöne Tage zu machen, du musst sogar nicht zur Schule gehen." "Wozu sollte ich auch noch zur Schule gehen, wenn ich doch sowieso bald die Radieschen von unten betrachten kann." "Jellisey!", rief Lara. "Wir gehen jetzt rein, wir werden erwartet.", meinte sie. Jellisey ließ die Schultern hängen. Er nickte. "Okay." Die beiden betraten die Eingangshalle des Hospiz. Sofort kam eine junge blonde Frau auf sie zu. "Hallo du musst Jellisey Sollingen sein, oder? Ich hoffe ich spreche deinen Namen richtig aus." Jellisey sah auf den Boden. Lara antwortete für ihn: "Ja , das ist schon richtig so. Ich bin Lara Müller, seine Jugendsachbearbeiterin. Von Jellisey hat ihnen sicherlich schon sein Arzt erzählt." "Ja, das ist alles erledigt. Ich bin Carolina, ich arbeite hier als Krankenschwester. Aber nenn mich Caro." Caro ging Richtung Aufzug und deutete den zweien an, mitzukommen. Die drei stiegen in den Aufzug. "Dein Zimmer ist im zweiten Stock, Jellisey. Es hat einen Balkon und ist sehr hübsch eingerichtet." Jellisey beachtete sie nicht. Sie stiegen wieder aus und gingen den Flur hinunter, zur letzten Tür. Caro schloss die Tür auf. "So", sagte sie, immer noch mit einem strahlendem Lächeln. "Ich hoffe es gefällt dir." Jellisey sah sich um. Das Zimmer war in einem Grauton gestrichen. Die Einrichtung war zweckmäßig, aber ziemlich schlicht. Es waren keine Bilder oder sonstige Dekoration im Zimmer, das war Jellisey auch schon in der Eingangshalle und dem Flur aufgefallen. Er sah aus dem Fenster. Genau vor seinem Balkon war auch noch die Feuerleiter, Jellisey verdrehte sauer die Augen. "Ich denke, du möchtest vielleicht lieber erst allein sein.", schlug Caro vor. "Frau Müller und ich, wir gehen herunter, wir müssen noch etwas klären. Wann es Frühstück, Mittag- und Abendessen gibt, steht auf dem Zettel auf deinem Schreibtisch, sowie unsere Hausregeln. Du kannst natürlich jederzeit jemandem außerhalb besuchen, allerdings nicht vor sieben und nicht nach achtzehn Uhr. Bitte melde das im Schwesternzimmer an, denn du darfst nicht ohne Begleitung gehen, okay?" Jellisey nickte. "Schön", Caro lächelte ihn wieder an. "Wenn ich Sie bitten darf, mir zu folgen." Sie hielt Lara die Tür auf. "Man sieht sich", rief sie noch. Jellisey ignorierte sie. Er las sich den Zettel auf dem Schreibtisch durch. "Um neun Uhr Licht aus?!", fragte er sich. Es klopfte an der Tür. Ohne das Jellisey 'Herein' sagte, betrat Caro wieder das Zimmer. "Möchtest du noch etwas essen? Du konntest ja heute nicht am Abendessen teilnehmen." Jellisey wollte etwas bissiges erwidern, nach Essen war ihm nicht gerade. Stattdessen hielt er sich die Hand vor den Mund. Erbrochenes tropfte ihm durch die Hand. Caro lief erst zum Schrank, holte einen Eimer daraus hervor und dann zu Jellisey. Sie wischte seine Hand ab und holte ihm ein Glas Wasser. "Alles in Ordnung?", fragte sie. Jellisey sprang auf. "Ob ist alles in Ordnung?!", schrie er. "Nichts ist in Ordnung, verdammt noch mal, ich habe Krebs, natürlich ist nichts in Ordnung!" Caro ging zur Tür. "Schlaf gut." Jellisey lief auf den Balkon. "Ich hasse dieses verdammte Haus!", dachte er. "Und das war von meinen dämlichen Pflegeeltern auch zu erwarten, dass sie jetzt, wo ich krank bin, mich fallen lassen wie ein heiße Kartoffel. Stattdessen hocke ich hier mit dieser dummen Krankenschwester." Jelliseys Blick fiel auf die Feuerleiter. Ohne darüber nach zu denken, stieg er über das Geländer, auf die Treppe und lief herunter. Jellisey lief die Fliederstraße entlang und rempelte jemandem an. "Entschuldigung", hörte er eine leise Stimme murmeln. "Pass doch auf!", antwortete Jellisey. Das Mädchen ging zu ihm zurück. "Du rempelst mich an, ich entschuldige mich und trotzdem bist du so unhöflich?" Jellisey sah sie sauer an. "Was geht dich denn das an?!", fuhr er sie an. Das Mädchen ging vorsichtig zurück und hob schützend die Hände. "Entschuldigung", sagte sie wieder, noch leiser als vorher. "Ich wollte doch nur..." "Das ist mir so egal was du wolltest!", schrie Jellisey sie an. Er schlug ihr ins Gesicht. Das Mädchen stolperte zurück und fiel hin. "Bitte lass das.", weinte sie. Jellisey trat noch mal zu. Dann bekam er wieder einen Anfall. Er stolperte ein paar Meter weiter, dann übergab er sich wieder.
Als Jellisey am nächsten Tag wieder aufwachte, lag er in seinem Bett im Hospiz. Caro saß neben ihm am Bettrand. Jellisey richtete sich auf. "Was ist passiert?", fragte er. Caro sah ihn ernst an. "Du bist gestern Abend aus deinem Zimmer über die Feuertreppe geflüchtet und hast ein Mädchen zusammen geschlagen." Er sah die Krankenschwester verwirrt an. "Zusammengeschlagen?", fragte er nach. "So etwas würde ich nie tun." Caro seufzte, stand auf und zog die Vorhänge zur Seite. "Ich bin gestern mit dem Hausmeister dich suchen gegangen, als ich feststellen musste, dass du weg warst. Wir haben dich an der Ecke Fliederstraße Wilhelmstraße gefunden. Und ein paar Meter weiter haben wir das Mädchen gesehen. Ihre Eltern haben Anzeige gegen dich erstattet. Jeden Augenblick wird die Polizei kommen um dich zu verhören." Caro verließ das Zimmer ohne ein weiteres Wort zu sagen. Jellisey stand auf, zog sich etwas anderes an und stellte sich vor das Fenster. "Wieso habe ich das gemacht?", fragte er sich immer wieder. Nach einiger Zeit klopfte es an der Tür. Jellisey richtete sich auf. "Herein", sagte er. Zwei Polizisten betraten das Zimmer. "Guten Tag. Ich bin Herr Leutner und das ist meine Kollegin Frau Meißeln.", stellte sich der Polizist vor. "Sie wissen warum wir hier sind?" Jellisey nickte. Die Polizistin redete weiter: "Es wurde gegen Sie Anzeige erstattet wegen Körperverletzung an der sechzehnjährigen Johanna Trachten. Wir werden Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen." Das Ganze waren schon nach kurzer Zeit beendet. "Wir gehen jetzt, Sie hören wieder von uns Herr Sollingen." Jellisey nickte. Nachdem sie den Raum verlassen hatten, setzte er sich auf das Bett. Jellisey stützte seinen Kopf auf seinen Händen ab. "Hallo", hörte er jemanden sagen. Jellisey sah auf und erschrak. "Was machst du hier?", fragte er. "Darf ich mich setzen?" Jellisey nickte. Das Mädchen setzte sich. "Ich wollte dich noch mal alleine fragen warum du das gemacht hast, ich meine, warum du mich geschlagen hast." Sie sah Jellisey an. "Ich weiß es nicht.", meinte er. "Wirklich nicht. Gestern wurde ich hier ins Hospiz gebracht, da sind mir die Nerven durch gegangen. Ich bin über die Feuertreppe geflohen und, na ja. Den Rest kennst du ja." Jellisey schaute betreten auf den Boden. "Wie heißt du eigentlich? Ich bin Johanna.", hörte er wieder die zarte Stimme. "Ich heiße Jellisey." "Jellisey?", fragte Johanna nach. "Wirklich? Ein wunderschöner Name. Er klingt nach etwas besonderem. Wo kommt dieser Name her?" Jellisey lächelte sie an. "Findest du? Leider weiß ich das nicht so genau." Johanna nickte. "Ist ja nicht wichtig." Sie lächelte ihn zaghaft an. "Warum bist du hier im Hospiz?" "Weil ich krank bin.", erwiderte Jellisey knapp. Dann sah er in Johannas Augen und lächelte ebenfalls vorsichtig. "Ich habe Krebs, im Endstadium." "Das muss schrecklich für dich und deine Eltern sein. Ich kann nicht mal ansatzweise nachempfinden wie du dich fühlen musst.", antwortete sie und schaute auf den Boden. Jellisey sah Johanna erstaunt an. "Kannst du nicht? Die meisten sagen immer 'Ich weiß genau wie du dich fühlst' aber das weiß niemand. Und das kann auch niemand nachfühlen. Und meine Eltern, ich kenne sie nicht, meine Mutter war eine Teenagermutter, sie hat mich damals weggegeben." In dem Moment kam Caro herein. "Oh tut mir Leid", sagte sie und an Johanna gewandt: "Die Besuchszeit für heute ist leider zu Ende, du musst gehen." Johanna stand auf. "Machs gut Jellisey.", meinte sie. "Kommst du wieder?", fragte Jellisey erwartungsvoll. Johanna nickte ihm vorsichtig zu. "Bis morgen", flüsterte sie. Damit verließ Johanna den Raum. Caro lächelte Jellisey an. "Da hast du aber eine hübsche Freundin, warum hast du mir nicht von ihr erzählt?" "Sie ist nicht meine Freundin", meinte Jellisey, seine Wangen waren rot geworden. "Wirklich nicht?", fragte Caro nach, während die beiden die Treppe nach unten in den Speisesaal gingen. "Sie mag dich aber, das sah man ihr an." "Meinst du?", fragte Jellisey mit leuchtenden Augen. Caro lächelte ihn an. "Setz dich", forderte sie Jellisey auf. "Es gibt Tortellini."
Jellisey lief die ganze Zeit in seinem Zimmer auf und ab. Seit fünf Stunden schon. Er hatte oft Caros Vorschläge zum Zeitvertreib abgelehnt, immerhin konnte Johanna jede Minute kommen. "Wo bleibt sie?", fragte sich Jellisey panisch. "Ob sie doch nicht kommen will und das gestern nur gesagt hat, um schnell weggehen zu können?" Es klopfte, Jellisey sagte schnell 'Herein' und hielt den Atem an. Johanna betrat leise das Zimmer. "Hi, wie geht's dir?", fragte sie. "Besser.", meinte Jellisey und deutete ihr an sich zu ihm auf das Bett zu setzen. "Was meinst du mit besser?", fragte Johanna nach. "Jetzt wo du hier bist geht es mir besser. Ich bin jetzt nicht mehr so allein." Johanna schaute auf den Boden, sie war rot geworden. "Und was hast du heute so gemacht?", flüsterte sie. "Na ja gefrühstückt, gelesen und auf dich gewartet." "Auf mich gewartet?" Jellisey sah sie an. "Ich habe sonst nichts worauf ich mich freuen kann.", meinte er. Johanna lächelte. Beide schwiegen sich kurz an. "Und deine Freunde?", fragte Johanna schließlich. "Meine Freunde? Bis auf einen haben sie sich alle verdrückt.", antwortete Jellisey. "Und mein bester Freund ist gerade in England." Als er Johannas verständnisloses Gesicht sah, hängte er noch dran: "High School Year." Johanna sah ihn immer noch fragend an. "Wieso wollen die nichts mehr mit dir zu tun haben?" Jellisey sah sie ernst an. "Vielleicht lag's an der Chemo. Seinen Freund auf einmal glatzköpfig zu sehen hat sie vielleicht umgehauen. Ich will aber nicht darüber reden." "Versteh ich", lenkte Johanna ein. "Deine Haare sind aber ganz schön schnell nach gewachsen." Sie musterte Jelliseys Haare. "Perücke", meinte Jellisey kurz. "Ich hasse es wenn die Leute auf der Straße mich so angucken." Wieder schwiegen beide. Johanna stand auf. "Ich glaube ich muss wieder gehen.", meinte sie. Jellisey stand auch auf. "Aber ich komme morgen wieder, versprochen.", hängte Johanna noch dran. "Ich werde warten.", versprach Jellisey. Immer war es die gleiche Verabschiedung, die die beiden vornahmen. Jeden Tag, jede Woche. Seit vier Wochen schon. Jeden Nachmittag, immer länger war ihr Treffen. Und immer kälter, da Jellisey gerne draußen spazieren ging, und es bereits November war.
Johanna betrat Jelliseys Zimmer, mittlerweile ohne anzuklopfen. "Wie geht's dir?", fragte sie. "Den Umständen entsprechend normal.", erwiderte Jellisey und lächelte zaghaft. "Du kannst deine Sachen anbehalten.", sagte er noch als Johanna anfing sich den Schal und die Handschuhe auszuziehen. "Wieso?", fragte sie erstaunt. Jellisey stand auf, öffnete die Tür und sah in den Flur. Dann kam er wieder zurück. "Warum hast du das gemacht?", fragte Johanna noch einmal. "Wieso?" "Wollen wir mal etwas verrücktes machen?", fragte Jellisey. Er sah Johanna erwartungsvoll an. Johanna nickte. "Klar." Jellisey nahm Johanna an die Hand und öffnete die Balkontür. Er zog sie mit auf den Balkon, ließ ihre Hand los und kletterte über das Geländer, auf die Feuertreppe. "Was machst du da?", fragte Johanna. "Dir was zeigen", meinte Jellisey. "Jetzt komm schon!" Johanna kletterte nun ebenfalls über das Geländer. Jellisey ging die Stufen hoch, Johanna folgte ihm auf den Fersen. Kurz bevor sie oben ankamen, hielt Jellisey inne. Er sank auf die Stufen und keuchte. Johanna beugte sich zu ihm herunter und legte ihre Hand auf seinen Rücken. "Was ist los?", fragte sie besorgt. Jellisey holte tief Luft. "Geht schon." Er bemerkte Johannas Hand und sah ihr in die Augen. Johanna konnte diesem Blick nicht standhalten, zog ihre Hand schnell weg und sah betreten zur Seite. Jellisey erhob sich wieder und sie gingen weiter nach oben, diesmal langsamer. Sie waren nun auf dem Dach des Hospiz angelangt. Jellisey nahm Johanna wieder an die Hand und führte sie zum Rand des Daches. "Ein toller Ausblick, oder?", meinte Jellisey. Johanna nickte. Sie lehnte ihre Kopf an seine Schulter und umklammerte seine Hand mit ihren Händen. "Wirklich wunderschön. Die Sterne, sieh dir mal den großen dort vorne an." Jellisey lächelte. "Das ist der Polarstern. Und dort vorne siehst du Königin Kassiopeia." Jellisey zeigte in den Himmel. "Königin?", fragte Johanna nach. "So heißt das Sternbild." Johanna kuschelte sich ganz eng an ihn. "Ist dir kalt?", wollte Jellisey wissen. "Ja, es ist furchtbar kalt. Aber ich würde gerne hier bleiben.", meinte Johanna. Jellisey nickte. "Okay." Beide standen dort noch eine ganze Weile und Johanna ließ sich die Sternbilder zeigen. Plötzlich begann Jellisey zu zittern, er setzte sich auf den Boden und sank in sich zusammen. Immer wieder gab er ein Stöhnen von sich. Er atmete schwer. "Jellisey?", fragte Johanna besorgt. Sie hockte sich neben ihn und strich ihm über den Rücken. "Hey, was ist los? Antworte mir. Jellisey!" Johanna schrie fast. Jellisey übergab sich wieder. Er würgte immer wieder. "Warte", sagte Johanna, ihr waren Tränen ins Gesicht gestiegen. "Ich hole jemanden, der wird dir helfen. Ich bin sofort wieder da!" Johanna stand auf und lief zur Treppe. Sie lief so rasch herunter, dass sie fast stolperte. Johanna kletterte auf den Balkon, ins Zimmer und lief auf den Flur. "Caro!", rief sie. "Caro!" Caro kam aus dem Schwesternzimmer gelaufen. "Ja?", fragte sie. "Was ist los?" Johanna schnappte nach Luft. "Jellisey!", brachte sie hervor. "Es geht ihm nicht gut, er zittert und.." Sie unterbrach, Caro lief in Jelliseys Zimmer. "Wo ist er?", fragte sie. "Auf dem Dach", antwortete Johanna, die ebenfalls in den Raum gelaufen war. Caro sah sie entsetzt an. "Was macht er auf dem Dach?!" "Er hat mir die Sternbilder gezeigt."; meinte Johanna vorsichtig. "Gott ihr seid doch verrückt! Wie seid ihr dahin gekommen?" "Über die Feuertreppe." Caro verdrehte die Augen. "Mal wieder.", murmelte sie, während sie über das Geländer stieg. Schnell lief sie die Treppe herauf, Johanna folgte ihr. Oben sah Caro sich kurz um, erblickte Jellisey und lief auf ihn zu. Sie beugte sich zu ihm herunter und brachte ihn dazu, Tabletten zu schlucken. Johanna stand hinter ihnen. "Komm her und hilf mir", forderte Caro sie auf. Johanna hockte sich neben sie. "Wir müssen ihn zurück in sein Zimmer bringen, Johanna." Caro und Johanna halfen Jellisey beim aufstehen und gehen, indem sie ihm unter die Arme griffen. Es dauert eine ganze Weile bis sie es schafften, Jellisey zurück zu bringen. "Wie geht es ihm?", fragte Johanna. "Scheiße, um es mal klar zu sagen.", erwiderte Caro. "Wie konntet ihr so etwas dummes machen? Jellisey weiß doch genau wie schlecht es momentan um ihn bestellt ist." Caro fuhr sich durchs Haar. Johanna sah sie erstaunt an. "Es geht ihm so schlecht?", fragte sie leise nach. "Mir hat er gesagt, es würde ihm sehr gut gehen." Caro sah sie an. "Das es ihm gut geht? Er hat Krebs im Endstadium, er lebt sogar schon länger als wir es erwartet haben." Johanna stolperte zurück. Sie hatte Tränen in den Augen. Sie schluchzte und lief weg. Caro wollte ihr etwas hinterher rufen, hielt dann aber inne und ging zurück zu Jellisey. "Geht's besser?", fragte sie. Jellisey nickte und stellte ebenfalls eine Frage: "Wo ist Johanna?" Caro verschränkte die Arme vor der Brust. "Weggegangen.", sagte sie knapp. "Wohin? Wieso hat sie sich nicht von mir verabschiedet?", wollte Jellisey weiter wissen. "Vielleicht weil du ihr nicht gesagt hast, wie es dir wirklich geht. Das habe ich gerade gemacht und Johanna wirkte nicht so glücklich darüber.", meinte Caro. "Außerdem Jellisey, willst du dich umbringen? Wieso bist du da hoch gegangen?" Jellisey wich Caros Blick aus. "Ich wollte Johanna nur den tollen Ausblick zeigen.", murmelte er. "Zeigen?", fragte Caro nach. "Du bist also schon öfter da oben gewesen? Alleine?" Jellisey nickte kaum merklich. "Ich will mir gar nicht ausmalen, was dir hätte passieren können." Caro sammelte die Medikamente wieder zusammen und ging aus dem Raum. Jellisey hörte, wie sie mit einem Mann sprach. Kurz darauf kam auch jemand in sein Zimmer. Jellisey richtete sich, so gut es eben ging, auf. "Bist du Jellisey Sollingen?", fragte der Mann. Jellisey nickte wieder. "Ich bin Herr Kossra, der Leiter dieses Hospiz." "Weshalb sind Sie hier?", fragte Jellisey, er war noch blasser als sonst geworden. "Ich habe gehört was du getan hast.", erzählte Herr Kossra weiter. "Auch was du damals am Tag deiner Ankunft gemacht hast. Du kannst von Glück reden, dass die Familie die Anzeige wieder zurück gezogen hat." "Wieso sagen Sie mir das alles?", fragte Jellisey. Herr Kossra sah ihn ernst an. "Ich wollte dich nur darauf hinweisen, dass erstens dein Balkon jetzt abgesperrt wird, und zweitens du das Hospiz leider nicht mehr verlassen darfst. Aufs Dach zu klettern! Du hast dich und die andere, Carolina mir das erzählt, ziemlich in Gefahr gebracht." Mit diesen Worten verließ Herr Kossra den Raum und knallte die Tür hinter sich zu. Jellisey zuckte zusammen, dann sank er zurück in sein Bett. "Zum Glück darf Johanna wieder kommen.", dachte er. Jellisey wälzte sich im Bett hin und her. "Ob sie das überhaupt noch will? Jetzt wo sie mich so gesehen hat und ich sie außerdem angelogen habe?" Jellisey dachte diese Nacht lange darüber nach, und war am nächsten Morgen alles andere als ausgeschlafen. Caro klopfte an die Tür und kam mit einem Frühstückstablett herein. "Darf ich jetzt noch nicht einmal nach unten in den Essenssaal?", fragte Jellisey mürrisch. Caro lächelte ihn an. "Nein, ich denke, Herr Kossra hat dir gestern alles erzählt?" "Stimmt schon.", willigte Jellisey ein. Caro setzte sich zu ihm ans Bett und stellte das Tablett neben ihn. "Guten Appetit", sagte sie dazu. "Danke" Nachdem Jellisey ein wenig gegessen hatte, fragte er leise: "Du Caro?" Caro sah ihn an. "Ja?" Jellisey holte tief Luft. "Und was ist mit Besuch?", fragte er. Caro lächelte wieder. "Du willst wissen ob Johanna dich immer noch besuchen darf, oder?" Jellisey errötete und nickte. Caro nahm das Tablett vom Bett und stand auf. "Sie kann dich jederzeit besuchen kommen, ihr dürft nur das Zimmer nicht verlassen." Jellisey lächelte erleichtert. "Danke", sagte er. Caro schaute ihn erstaunt an. "Wofür?", fragte sie. "Dass du so nett zu mir bist, obwohl ich dir so viel Ärger mache." Caro setzte sich wieder zu ihm ans Bett. Sie seufzte. "Ich weiß du glaubst mir nicht", sagte sie. Ihre Stimme hatte einen sehr traurigen Ton bekommen. Jellisey richtete sich auf. "Was meinst du?", fragte er. Caro strich sich nervös die Haare aus dem Gesicht und knetete ihre Finger. "Ich..." Caro schluckte und holte tief Luft. "Ich weiß genau wie du dich fühlst. Ich hatte auch einen Sohn, er hatte Krebs, wie du." Caro sprach immer schneller, Tränen stiegen ihr in die Augen. "Er ist dir so unheimlich ähnlich." Caro versteckte ihr Gesicht hinter ihren Händen und begann zu weinen. Jellisey legte vorsichtig seine Hand auf ihren Rücken. "Arbeitest du deshalb hier?", fragte er vorsichtig. Caro nickte und strich sich übers Gesicht. "Als ich mein Kind damals ins Hospiz geschickt habe, waren sie so unfreundlich zu ihm und um mich hat sich auch keiner gekümmert. Ich musste mit allem selber klar kommen und gleichzeitig auch mich noch um meinen Sohn kümmern." Jellisey lehnte sich wieder zurück. "Du bist stark.", sagte er nur, dann sank er ins Kissen und schloss erschöpft die Augen. Seine Hände zitterten noch, Caro streichelte sie vorsichtig. Dann ging sie aus dem Zimmer und schloss leise die Tür. In ihrem Gesicht war wieder ein Lächeln erschienen. "Hallo!", hörte sie eine ihr sehr bekannte Stimme. Caro drehte sich um. "Ja?" Johanna stand vor ihr. "Wie geht es Jellisey?", fragte sie zurückhaltend. Sie fixierte einen Fleck auf dem Boden. "Na ja, besser als gestern zumindest", antwortete ihr Caro. "Was meinst du damit?", fragte Johanna, ihre Augen schimmerten wieder. "Lass uns im Schwesternzimmer darüber reden, okay? Momentan wären wir dort unter uns." Johanna nickte zustimmend und folgte Caro. "Möchtest du Kakao?" Caro holte zwei Tassen aus dem Schrank und setzte einen Topf mit Milch auf den Herd der kleinen Küche. Sie stellte Johanna einen Stuhl an den Tisch und holte sich selbst ebenfalls einen. "Du weißt welche Krankheit Jellisey hat?", fragte Caro Johanna. "Krebs", sagte Johanna leise. "Im Endstadium, hat er mir gesagt." Caro nickte. "Genau." Sie sprang auf. "Die Milch!", rief sie. Caro zog schnell den Topf vom Herd und rührte zwei Kakaos zusammen. "Hier." Sie gab Johanna eine Tasse und setzte sich wieder. "Jellisey ist kränker als er immer behauptet. Es ist ein Wunder, dass er noch lebt." Caro sah Johanna tief in die Augen. "Und du bist dieses Wunder." Johanna sah sie erst erstaunt an, und dann, als sie anfing zu reden, wanderte ihr Blick wild durch den Raum. "Ich, ein Wunder? Wieso? Also warum ich? Weshalb?" Caro lächelte. "Jellisey war allein, niemand war für ihn da. Und dann kamst du. Mit deinem großen Herzen bist du zu ihm gekommen und hast zugelassen, dass er sich mit dir anfreundet. Er hat einen neuen Sinn in seinem restlichen Leben gesehen, nämlich dir die Zeit mit ihm zu versüßen, dir zum Beispiel Sterne zu zeigen." Johanna war rot geworden. "Wirklich? Mag er mich wirklich so gerne?", fragte sie. "Und wie er dich mag!", bekräftigte Caro. "Ich denke es war , außer Jelliseys Anfall, gestern wohl ein sehr schöner Abend für ihn." "Für mich auch.", murmelte Johanna. "Es war so schön entspannend, irgendwie." "Ich weiß", meinte Caro. "Man merkt es sehr deutlich." Johanna schreckte auf. "Merkt man? Echt?" Caro deutete Johanna sich zu setzen. "Ja, wie ihr euch immer ansieht. Aber kehren wir zu Jellisey zurück." Johanna trank ihren Kakao weiter. Ein leichtes Nicken war zu erkennen. Johanna dachte darüber nach, 'Jellisey' murmelte sie immer wieder. Caro räusperte sich. "Ich will dich ja nicht aus deinen schönen Tagträumen reißen, aber wir wollten weiter über Jellisey reden." Johanna sah sie an. "Ja, natürlich.", sagte sie schnell. "Wie gesagt", fuhr Caro fort. "Geht es Jellisey gesundheitlich sehr schlecht. Er wird nicht mehr lange leben. Deshalb will ich dich bitten, so lange wie möglich bei ihm zu sein." Johanna dachte nach. Sie fühlte sich wie auf einer Achterbahn, ihre Gefühle schwankten hin und her. "Ich mach's!", sagte sie und stand auf. "Ich will alles tun, damit es Jellisey besser geht." Caro stand ebenfalls auf und räumte die Tassen weg. "Danke Johanna. Ich will es auch, aber du hast eine andere Verbindung zu ihm als ich." Johanna ging zur Tür hinaus auf den Flur. "Ich gehe jetzt zu Jellisey, okay?" Caro nickte. "Er ist noch sehr erschöpft und müde, außerdem hat er Fieber, nicht dass du erschreckst. Und falls wir uns nicht mehr sehen sollten, schönen Tag noch!" Johanna lächelte. "Dir auch." Sie ging in Jelliseys Zimmer. "Hallo", sagte sie. "Geht es dir besser?" Jellisey antwortete ihr nicht. Johanna setzte sich zu ihm auf das Bett. "Hey Jellisey", sagte sie erneut und streichelte ihm vorsichtig über die Stirn, sie war glühend heiß. Jellisey drehte seinen Kopf in Johannas Richtung. Schlaftrunken sah er sie an. "Was?", fragte er leise. "Wer?" "Ich bin's, Johanna." Jellisey lächelte. Er versuchte sie aufzurichten, aber Johanna drückte ihn sanft zurück. "Bleib liegen." Jellisey rückte so nah wie möglich an die Wand. "Komm her, bitte.", er sagte das wieder sehr leise, Johanna konnte ihn kaum verstehen. "Ich bin doch hier.", meinte sie. "Leg dich neben mich, bitte", Jellisey stöhnte kurz und hielt sich die Hand auf die Stirn. "Mir ist kalt." Johanna wurde rot. "Mich neben ihn legen?", fragte sie sich. "Sollte ich das wirklich machen?" Sie sah in Jelliseys matte Augen. "Ja!" Schnell zog Johanna sich die Schuhe aus und legte sich neben ihn. Jellisey seufzte leise. Johanna drehte ihr Gesicht zu ihm. "Alles okay?", fragte sie. "Wieso?", kam die Frage zurück. "Weil du seufzt." "Weißt du,", fing Jellisey leise an. "Das beste hier im Hospiz bist du. Und ich bin sehr froh, dass du hier bist." Johanna lächelte, sie hatte das Gefühl, ihr Herz springt ihr gleich aus der Brust. Sie kuschelte sich eng an Jellisey und drückte ihr Gesicht in seiner Brust. Jellisey legte seine Hand auf ihren Rücken und begann, sie zärtlich zu streicheln. Er konnte momentan kaum einen richtigen Gedanken fassen. "Wow", dachte er. "Wieso hat dieses süße Mädchen mich genommen? Und nicht irgendjemand anderes?" Jellisey schloss seine Augen kurz fest zusammen , er wollte nicht wieder mit Selbstzweifel anfangen. "Meine hübsche Freundin.", murmelte er. Johanna sah ihn an. "Wie bitte?", fragte sie leise nach. "Was hast du gesagt." Jellisey wollte gerade einen Satz anfangen, unterbrach sich aber. Er wollte nicht lügen, jetzt kann pure Ehrlichkeit auch nicht mehr schaden. "Meine hübsche Freundin.", wiederholte er. Johanna lächelte wieder. Sie dachte an Caro. "Wieso?", fragte sie und hielt sich gleich darauf die Hand vor den Mund. Jellisey nahm sie da wieder weg. Er lächelte ebenfalls. "Nun ja, ich denke wir sind Freunde, oder?" "Sehr gute Freunde sogar", meinte Johanna. Jellisey lächelte. "Darf ich dir etwas erzählen?" Johanna nickte. "Die Sterne waren schon immer meine besten Freunde", fing Jellisey an. "Sie waren immer für mich da. Ich weiß, klingt albern, oder?" "Nein, tut es nicht. Es klingt sehr schön und..." Romantisch wollte Johanna noch sagen, traute sich dann aber nicht. "Danke Johanna. Na ja, Sterne sind so wunderschön. Genau wie du." Johanna bohrte ihre Finger in die Decke, um vor dem Glücksgefühl das sie gerade erfüllte, nicht aufzuschreien. "Ich..", Johanna wusste nicht, was sie sagen soll. Stattdessen seufzte sie auch. Lange lagen sie so da, fest aneinander geklammert. Es war schon längst dunkel draußen, und Caro kam herein. Sie betrachtete die beiden eine Weile, unentschlossen, ob sie sie ansprechen sollte. Sie entschied sich dagegen. Caro fühlte Jelliseys Puls, verließ das Zimmer und schloss leise die Tür. Sie ging ins Schwesternzimmer um sich einen Kaffee zu kochen, sie hatte heute Nachtschicht und war todmüde. Caro wurde dadurch aufgeschreckt, dass auf einmal eine Melodie ertönte. Sie sah ein Handy auf dem Tisch liegen, dass musste Johannas sein. Caro überlegte kurz, griff dann aber doch nach dem Handy und ging ran. "Johanna! Wo bleibst du?! Komm sofort nach Hause, weißt du wie spät es ist?!", schallte es aus dem Handy. "Hier ist nicht Johanna, sondern Carolina.", meldete sie sich. "Carolina? Wo ist Johanna?" "Lassen Sie es mich erklären", meinte Caro. "Aber beeilen Sie sich!" Caro verdrehte die Augen. "Johanna ist momentan im städtischem Hospiz, sie besucht jemanden." "Wen besucht sie denn da?!" "Ihren Freund, sie.." Caro wurde schon wieder unterbrochen. "Ihren Freund?! Sie hat keinen Freund!" Caro war sauer. "Jetzt halten Sie doch mal Ihre Klappe und lassen Sie mich endlich alles erklären!", rief sie in den Hörer. Ihr Gegenüber schwieg. "Ihre Tochter hat sich mit einem krebskranken Jungen hier im Hospiz angefreundet. Es geht dem Jungen sehr schlecht und Johanna tröstet ihn, ich denke sie wird hier übernachten. Okay?" "Okay.", kam es nur, dann das Klicken. Er hatte einfach aufgelegt. Caro legte das Handy und fuhr sich durch die Haare. "Reizender Mann", dachte sie. Sie hörte einen Schrei. Caro lief schnell auf den Flur und klapperte schnell die Türen ab, bis sie bei Jelliseys Zimmer angekommen war. Sie sah Johanna, die aufgesprungen war. "Was ist los? Hast du geschrien?", fragte Caro schnell. Johanna nickte. "Jellisey", sie zeigte auf das Bett. Caro bückte sich zu Jellisey herunter. Er spuckte Blut, immer mehr. Johanna sah ihn an und rannte weg. Sie lief den Flur entlang, die Treppe herunter, in den Garten des Hospiz. Johanna fing an zu weinen. "Wieso Jellisey, wieso er? Wieso nicht irgendjemand anderes?" Sie stützte ihren Kopf auf die Hände. Johanna betrachtete mit Tränen in den Augen einen kleinen Vogel, der über den Bäumen seine Kreise zog. "Jellisey ist zu nett, als das er so leiden muss. Warum er? Kann man ihm nicht helfen?" Johanna stand auf und blickte weiterhin nach oben. "Wieso?!", schrie sie den Vogel an. "Wieso?!" Johanna sank auf die Knie und weinte. Auf einmal war sie ganz ruhig. Sie fing am ganzen Körper an zu zittern und schnappte nach Luft. Johanna lag auf dem Boden und konnte sich nicht bewegen. Jemand lief auf sie zu. "Johanna?" Caro wickelte Johanna in eine Decke und half ihr aufzustehen. "Komm mit rein, es geht Jellisey wieder besser." Johanna schluchzte noch, nickte aber. "Darf ich mich wieder zu ihm legen?", fragte sie. "Selbstverständlich." Caro hielt Johanna die Tür auf und begleitete sie in Jelliseys Zimmer. "Schlaf gut.", meinte sie und verließ den Raum wieder. Johanna kuschelte sich wieder an Jellisey. Sie murmelte: "Jellisey?" Jellisey drehte langsam seinen Kopf. "Alles okay?", fragte er leise. Johanna bejahte es ebenso leise und klammerte sich wieder an ihn. "Ich bin froh das es dir besser geht.", sagte Johanna, sie wirkte ein wenig abwesend. Jellisey lächelte. "Ich, ich auch.", stotterte er unsicher und küsste sie auf den Kopf. Johanna schreckte auf und sah ihn erstaunt an. "Wieso?", fragte sie leise. "Weil du immer für mich da bist, Johanna.", sagte Jellisey. Johanna legte ihren Kopf wieder auf seine Brust und zitterte. Ihr Herz klopfte so stark, dass Johanna dachte, es zerspringt ihr gleich. "Jellisey", murmelte Johanna glücklich, immer und immer wieder. Jellisey drückte Johanna an sich. Die ganze restliche Nacht lagen sie so da. Die beiden wachten davon auf, das Caro Jellisey das Frühstück brachte. "Guten Morgen", sagte sie lächelnd. "Wie geht es euch?" Johanna streckte sich, stand auf und strahlte Caro an. "Super.", antwortete sie. Jellisey lächelte. "Mir geht's auch ganz gut." "Schön. Hier ist dein Frühstück, guten Appetit!", meinte Caro und lief zurück ins Schwesternzimmer. Johanna sah Jellisey an. "Ganz gut?", fragte sie ihn. "Wie geht's dir wirklich?" Johanna schaute ihn erwartungsvoll an. "Ähm, gut", sagte Jellisey. "Ich bin froh, dass es jetzt besser ist." "Ja ich doch auch." Johanna kam wieder unter die Decke und schmiegte sich an Jellisey. "Ich bin wirklich froh, das es jetzt besser ist.", sagte Johanna. Jellisey lächelte und drückte Johanna fest an sich. "Danke.", murmelte er. Johanna hatte einen glücklichen Gesichtsausdruck. Johanna schloss die Augen und drückte ihr Gesicht wieder gegen seine Brust. "Hey Johanna!", wurde sie aufgeschreckt. Johanna sprang fast aus dem Bett. Es war Caro. "Ich wollte dich nicht erschrecken. Aber dein Vater hat gestern angerufen, jetzt müsstest du nach Hause." Johanna stand auf und zog ihre Schuhe und Jacke an. Jellisey zwinkerte ihr zu. "Auf Wiedersehen.", sagte er. Caro sah von einem zum anderen und ging aus dem Zimmer. Johanna beugte sich zu Jellisey herunter und drückte ihm flüchtig einen Kuss auf die Wange. Jellisey sah sie an und grinste. Johanna wurde rot im Gesicht und ging schnell aus dem Raum. Jellisey lehnte sich zurück und lächelte. "Das ihr so was noch peinlich ist?", dachte er. "Süß. Johanna ist echt niedlich. Und dass sie sich echt für mich interessiert, für einen krebskranken Teenager. Ich dachte immer, als Kranker wäre ich ausgeschlossen." Jellisey betrachtete eine Fliege, die auf dem Fensterrahmen entlang spazierte. "Obwohl", Jellisey wandte sich wieder seinen Gedanken zu. "Ausgeschlossen war ich ja eigentlich immer." Jellisey knetete sich die Finger. Caro kam wieder herein. "Bist du fertig?", fragte sie. Als Jellisey nickte, räumte sie das Geschirr wieder auf das Tablett. Jellisey musterte sie. "Wieso siehst du so, so anders aus?" Caro lächelte. "Ich gehe gleich. Erstens ist Schichtende, und zweitens habe ich endlich mal Urlaub." Jellisey sah sie entsetzt an. "Du gehst weg?", fragte er. Caro nickte. "Wunderbar, endlich mal Ferien! Solange habe ich gewartet bis Herr Kossra mir das endlich genehmigt hat. Ich freue mich so, meine Familie endlich mal wieder zu sehen!" Jellisey sank zurück ins Kissen. Sein Lächeln verschwand. "Ich wünsche dir viel Spaß.", sagte er müde. "Freut mich für dich." Caro lächelte ihn glücklich an. "Danke!" Caro nahm das Tablett, öffnete die Tür und sagte: "Mach's gut Jellisey! Wir sehen uns ja in einer Woche wieder!" "Vergessen das du in einem Hospiz arbeitest?!", dachte Jellisey und verschränkte seine Arme vor der Brust. "Wie kann sie jetzt nur gehen?", fragte er sich. "Das kann sie doch nicht tun, das ist so unverantwortlich von ihr!" Jellisey ballte seine Hände zu Fäusten. "Ich brauch sie doch nicht!" Er schreckte kurz auf. "Es hat doch sowieso keinen Sinn sich selbst zu belügen." Seine Hände entspannten sich wieder und er ließ seine Schultern wieder sinken. "Ich brauche Caro, und Johanna auch. Ich mag sie beide sehr." Plötzlich kam jemand in sein Zimmer und Jellisey versteckte schnell die Blätter unter der Decke. "Hallo!", polterte ihn die Frau an, die eben herein gekommen war. "Hallo", antwortete Jellisey leise. "Was?!", rief die Frau. "Du musst lauter sprechen. Verstanden?" Den letzten Satz schrie sie fast. Jellisey hielt sich die Ohren zu. "Leiser, bitte", murmelte er. "Ich hab Kopfschmerzen." Die Frau verdrehte die Augen. "Mit so einer leisen Stimme wirst du es niemals zu etwas bringen.", tadelte sie ihn. Jellisey sah sie erstaunt an. "Ich werde sowieso nicht mehr viel machen.", meinte er traurig. Die Frau hatte genau seinen wunden Punkt getroffen. "Ich bin Wilhelmine Kossra. Ich bin die Vertretungskrankenschwester, meinem Eltern gehört dieses Hospiz. Da steht zwar, du heißt Jellisey, aber so heißt doch nun wirklich niemand. Wie ist dein richtiger Name?" "Jellisey", sagte er. "Ich heiße wirklich Jellisey, Wilhelmine." Sie sah ihn sauer an. "Habe ich dir jemals erlaubt mich zu duzen?! Nein! Also heißt das für dich Frau Kossra." Jellisey zuckte zusammen. "Niemand heißt Jellisey! Ich frage dich ein letztes Mal, wie heißt du richtig?" "Jellisey, das steht sogar in meinem Personalausweis.", wiederholte Jellisey. Frau Kossra sah ihn wütend an. "Mein Vater hat mir von dir erzählt.", meinte sie. "Du kannst mir also nicht die Geschichte vom lieben, armen, kranken Jungen vormachen." "Wollte ich auch nicht.", erwiderte Jellisey. "Du solltest dich jetzt ausruhen!", herrschte Frau Kossra ihn an. "Du siehst müde aus, also schlaf." Sie verließ den Raum und knallte die Tür hinter sich zu. "Ach, ich sehe müde aus?", dachte Jellisey. "Wie konnte das denn passieren? Und jetzt schlafen, es ist vormittags." Jellisey stand auf, zog sich um und ging aus seinem Zimmer, in den Gemeinschaftsraum, um sich abzulenken. Er spielte eine Weile mit einem anderen Jungen Mensch-ärgere-dich-nicht, bis Frau Kossra den Gemeinschaftsraum betrat. Sie sah sofort Jellisey. Sie ging auf ihn zu, packte ihn am Arm und meckerte: "Habe ich dir nicht gesagt, du sollst schlafen?" Jellisey verdrehte die Augen, was Frau Kossra allerdings nicht mitbekam. "Komm!" Jellisey ging zurück in sein Zimmer und setzte sich aufs Bett.
"Du bleibst jetzt hier, verstanden?", fragte Frau Kossra. Jellisey nickte. Er legte sich auf die Decke und starrte die Decke an. Ein leises "Hi" schreckte ihn auf. Johanna setzte sich zu Jellisey auf das Bett. "Wie geht's dir?" "Besser, weil du jetzt hier bist.", meinte Jellisey. "Und wieso bist du schon hier?" Johanna seufzte. "Familientreffen. Alte Leute, die ich eigentlich nicht kenne und die sagen: 'Bist du aber groß geworden.'. Ich hasse das. Wo ist eigentlich Caro?", fragte sie. Diesmal seufzte Jellisey. "Sie hat Urlaub." Er sah auf den Boden, und da platzte es auch schon aus ihm heraus. "Caro ist weg, für eine Woche. Stattdessen habe ich jetzt so ne Herrschsüchtige hier, die mich anschreit, mir nichts glaubt und immer will, dass ich 'schlafe'." Johanna legte ihre Arme um Jellisey und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. "Das wird schon wieder." Jellisey lehnte nun auch seinen Kopf gegen Johannas. "Mmh."
Johanna löste sich wieder aus dieser Haltung und holte etwas aus seiner Tasche. "Ich habe dir was mitgebracht.", sagte sie dazu. "Hier bitte." Sie sah Jellisey erwartungsvoll an. Jellisey nahm das rechteckige, flache Paket in die Hand und packte es langsam aus. Er lächelte. "Danke Johanna, danke." Vorsichtig schlug er das Buch auf. "Es ist ein Scrapbook, über mich und von mir." Jellisey blätterte es durch und mit jeder Seite lächelte er mehr. "Danke", sagte er noch einmal. Jellisey legte das Scrapbook auf seinen Nachttisch und drehte sich zu Johanna. Er streichelte ihr über die Wange und drehte Johannas Gesicht in seine Richtung. Jellisey ging nah an ihr Gesicht und... schreckte zurück, da Frau Kossra die Tür aufschlug. "Was ist das denn?", kreischte sie. "Eine sehr gute Freundin, Johanna heißt sie." "Das ist mir egal", antwortete Frau Kossra. " Wer hat dir erlaubt hierher zu kommen?" "Ich", fing Johanna an. "Ich bin, wie Jellisey sagte, seine Freundin. Und ich bin jeden Tag hier." "Und was hattet ihr gerade vor?" Johanna wurde rot. Jellisey antwortete sie. "Ich habe mich bloß dafür bedankt, dass sie mich jeden Tag besucht und wollte sie umarmen." Frau Kossra musterte die beiden misstrauisch. Dann ging sie wieder heraus. Johanna und Jellisey rückten näher zusammen. Jellisey holte tief Luft und sagte: "Johanna, du." Johanna sah ihn gespannt an. "Ich, ich", fuhr Jellisey fort. "Ich finde dich.." Jellisey übergab sich wieder, genau in Johannas Schoß. Sie sprang auf. Jellisey sah sie entschuldigend an. "Es tut mir so wahnsinnig Leid." Dann übergab er sich wieder und fing an zu zittern. Johanna lief zu Frau Kossra. "Jellisey geht es nicht gut, er hat sich wieder übergeben.", sagte sie schnell. Frau Kossra musterte sie und meinte: "Und ich schlage vor, dass du jetzt erstmal weggehst, verstanden?" Frau Kossra rempelte Johanna an und lief in Jelliseys Zimmer. Johanna ging leise weg.
Johanna blieb im Garten stehen und setzte sich auf die Bank, auf der sie schon neulich Nacht gesessen hatte. Sie fing an zu weinen. "Wieso widerfährt ihm noch mehr schlimmes.", schluchzte sie. Jemand setzte sich neben sie. "Johanna?" Johanna sah auf. "Caro?", fragte sie zurück. "Weshalb bist du denn hier? Hast du nicht Urlaub?" Caro nickte und zuckte mit den Schultern. "Ich weiß auch nicht", meinte sie und guckte sie gen Himmel. "Ist das nicht der Vogel, den du neulich angeschrien hast?" Caro zeigte auf eine Krähe. "Gut möglich", murmelte Johanna geistesabwesend. Was ist los?", wollte Caro wissen. "Wie geht es Jellisey?" "Grässlich" Johanna versteckte ihr Gesicht hinter ihren Händen. "Es geht ihm furchtbar, die Krankenschwester ist zum Kotzen, und ich hätte vorhin nicht wegrennen sollen!" Johanna weinte. "Was meinst du mit 'Ich hätte vorhin nicht weglaufen sollen'? Was ist passiert?", fragte Caro. Johanna schluchzte wieder. "Na ja, er hatte wieder einen Anfall und hat sich übergeben." Johanna stand auf und zeigte den Fleck auf ihrem Rock. "Und er hat sich halt auf meine Beine übergeben. Ich bin zu dieser Frau.." "Die Krankenschwester?", fragte Caro dazwischen. "Ja, und ich hab ihr das gesagt. Eigentlich wollte ich ja zurück gehen, aber da meinte sie, ich kann ruhig gehen. Aber ich hätte bleiben sollen." "Dann lass uns zu Jellisey gehen.", schlug Caro vor. "Ich weiß nicht", zögerte Johanna. Caro sah sie überrascht an. "Wieso denn nicht?" Johanna versuchte der Frage auszuweichen. "Er sah kaputt aus, vielleicht will er lieber alleine sein." Caro stand auf. "Dann gehe ich allein, auch wenn ich das bedaure, Johanna." Sie ging Richtung Hospiz. Sie lief zu Jellisey. Caro setzte sich zu ihm ans Bett. Jellisey sah sie an. "Caro", sagte er. "Du bist wieder hier?" Caro nickte. "Ich nehme den Urlaub irgendwann anders." "Wie geht's dir?", fragte sie. Jellisey antwortete nicht. Caro umarmte ihn. "Das wird wieder", flüsterte sie. Jellisey deutete ein Lächeln an. "Ich freue mich sehr, dass du wieder hier ist.", sagte er. "Ich habe dich sehr vermisst." Jellisey machte eine Pause, er sank wieder erschöpft ins Bett. "Es tut mir sehr Leid, das ich dich am ersten Tag als dumme Krankenschwester beschimpft habe." Caro sah ihn an. "Du hast mich..." Sie hielt inne und strich ihm über die Hand. "Nicht schlimm", fuhr sie fort. "Wie geht es dir wirklich?" Jellisey atmete laut. "Ich denke es wird mir nicht mehr lange so gehen." Caro nickte. "Ich verstehe", sagte sie leise. "Ich werde dich vermissen", sagte Jellisey. "Du bist die netteste Frau, die ich je kennen gelernt habe. Du warst immer für mich da, egal was ich getan habe. Und du hast mir so oft Mut gemacht. Danke!" Caro lächelte ihn an und umarmte ihn. "Du bist ein ungewöhnlicher Junge, Jellisey." Plötzlich schlug die Tür auf und Johanna kam herein. "Tschuldigung", sagte sie schnell. Jellisey versuchte zu lächeln, aber stattdessen schloss er die Augen. Nur Caro zwinkerte ihr zu. "Ich werde jetzt gehen, okay?", sagte sie. "Sagen, dass ich hier bin." Sie umarmte Jellisey noch einmal und verließ dann den Raum. Johanna lächelte Jellisey an. "Hey", sagte sie. Jellisey machte eine einladende Handbewegung. Johanna lachte ihn an, schlüpfte schnell aus ihren Schuhen und legte sich zu Jellisey ins Bett und kuschelte sich an ihn. "Caro hat Recht, das wird wieder, Jellisey, das wird wieder." "Das wird nicht wieder Johanna", murmelte Jellisey. "Es geht zu Ende, mit mir." Jellisey sah an die Decke. "Ich habe mich so lange gefragt, wie sich das wohl anfühlt, so kurz vor dem Tod zu stehen, und ob ich das überhaupt merke. Ja, und jetzt weiß ich es: nach Erleichterung, purer Erleichterung. Als ich das erste Mal mitbekommen habe, dass ich sterben werde, hatte ich Angst. Ich hatte große Angst vor dem Tod. Aber jetzt habe ich diese Angst nicht mehr. Ich hatte das große Glück, dich kennen zu lernen. Du hast mir die letzten Tage so viel schöner, und vor allen Dingen amüsanter gemacht. Du hast mir gezeigt, dass ich nicht wertlos und ungeliebt bin, obwohl ich krank bin." Jellisey machte wieder eine Pause, eine lange. Johanna klammerte sich an seinen Arm und versuchte, die Tränen zu unterdrücken. "Johanna?", fragte Jellisey leise. "Ja, was ist?" Johanna richtete sich schlagartig auf. "Beuge dich mal über mein Gesicht.", forderte er sie auf. Johanna tat es ebenso. "Egal was ich dir jetzt sage, du lachst nicht?" Jellisey bereute diese Frage sofort. "So was machen pubertierende Kleinkinder, aber ich doch nicht.", dachte er. "Ich werde nicht lachen", meinte Johanna. "Ich", Jellisey holte tief Luft. "Du bist das schönste, netteste und liebreizendstes Mädchen das ich je getroffen habe." Johanna errötete und drehte ihren Kopf peinlich berührt zur Seite. Jellisey redete leise weiter. "Johanna", fing er wieder an. Johanna drehte ihr Gesicht zurück. "Johanna, ich, ich liebe dich." Erleichterung durchfuhr Jellisey und er fasste Mut, es zu vertiefen. "Ich liebe dich von ganzem Herzen Johanna. Ich liebe dich." Johanna sah ihn glücklich an und senkte langsam ihren Kopf. Kurz vor Jelliseys Gesicht blieb sie stehen und flüsterte: "Ich liebe dich auch, Jellisey." Sie senkte sich noch weiter ab und küsste ihn. Jellisey zitterte kurz. "Wow", dachte er. Ihn durchfuhren die extremsten Gedanken und er konnte sie nicht mehr kontrollieren. Jellisey küsste Johanna immer intensiver und sie drückte ihre Lippen immer fester auf seine. Die Beiden umarmten sich immer stärker. Plötzlich ließ Jellisey nach und sank wieder ins Kissen. Er lächelte. "Ich liebe dich Johanna." Johanna streichelte ihm glücklich über die Wange und sah ihn lange an. Dann bemerkte sie den Umschlag, der unter Jelliseys Kissen hervor schaute. Johanna zog ihn hervor. 'Johanna' stand darauf. "Wie süß von dir Jellisey.", sagte sie und lächelte ihn wieder an. Er antwortete nicht. "Jellisey?, fragte sie nach. "Jellisey?" Sie wurde immer lauter, bis sie schließlich schrie. "Jellisey?!" Caro kam in das Zimmer gestürmt. "Du kannst hier doch nicht so rumschreien." Johanna traten wieder Tränen in die Augen, sie zeigte auf Jellisey. Caro kniete sich sofort neben ihn und suchte seinen Puls. Als sie den Arm wieder los ließ, knallte dieser an den Bettrahmen. Nun musste sich auch Caro beherrschen, nicht in Tränen auszubrechen. Sie stand auf und verließ wortlos den Raum. Johanna war wieder allein, ganz allein. Sie setzte sich zu Jellisey aufs Bett und nahm seine Hand in die ihre. Lange saß sie so dort, küsste ab und zu Jelliseys Stirn, und beobachtete, wie sich die Wolken zusammenzogen und es anfing zu regnen. Johanna betrachtete den Umschlag mit ihrem Namen darauf. Irgendwann fasste sie den Mut, den Umschlag zu öffnen. Johanna las ihn sich durch:
"Liebste Johanna,
ich hoffe du findest diesen Brief und freust dich darüber. Ich weiß nicht wie ich so etwas schreiben soll, ich hab das noch nie gemacht. Also fange ich einfach am Anfang an:
An dem Tag, an dem ich erfahren habe, dass ich den Krebs nicht überlebe, brach eine Welt für mich zusammen. Auf einmal wollte mich keiner mehr haben. Meine Pflegeeltern nicht mehr, und das Jugendamt hat mich hier ins Hospiz abgeschoben. Alle hier im Hospiz sind unfreundlich zu mir, es passiert nichts hier und es ist furchtbar langweilig, und außerdem sieht hier alles so trostlos aus. Und ich konnte mit niemandem reden, also mit niemanden, der dazu wirklich ausgebildet ist. Das Schönste hier war Caro, sie hat mir so viel Trost gespendet und zeigte mir, dass ich nicht unwichtig bin, obwohl ich todkrank war. Und das führt mich zu dir Johanna. Als du damals hier in meinem Zimmer aufgetaucht bist, um mich zu der Situation, das Ganze tut mir wirklich Leid, zu befragen wolltest. Du warst an mir interessiert, obwohl ich dich geschlagen habe und du später wusstest dass ich Krebs habe. Du glaubst gar nicht wie froh ich dann war. Jeden Tag bist du gekommen, wirklich jeden Tag. Du warst so sehr an meinem Astronomiewissen interessiert. Ich konnte dir alles erklären, und vor allen Dingen hast du auch zu gehört. Am Anfang habe ich dich mit dem schönen Sternenbild 'Königin Kassiopeia' verglichen... Aber später musste ich feststellen, dass du einzigartig bist und man dich mit nichts vergleichen kann. Ich habe mich eigentlich noch nie richtig getraut, irgendjemandem Komplimente zu machen, ich weiß auch nicht warum. Aber jetzt ist es ja okay. Am Besten, ich mache das als Liste: Du bist wunderschön, nett, hilfsbereit, süß, bezaubernd, liebreizend, anmutig, intelligent und das beste Mädchen was ich je getroffen habe! Und dass führt mich zum nächsten Punkt. Ich weiß nicht, ob ich dir das gesagt habe. Ich habe mich einfach nicht getraut. Früher habe ich das immer gekonnt. Aber bei dir war mir das so wichtig, dass ich Angst hatte eine Ablehnung von dir zu bekommen. Also sage ich es dir jetzt, oder auch nicht. Ich weiß nicht. Ich glaube, ich habe jetzt lange genug darum herum geschrieben habe. Also jetzt. Ich liebe dich! Jetzt habe ich es dir gesagt. Und es ist viel einfacher es öfter zu sagen. Ich liebe dich! Ich liebe dich mehr als alles andere auf dieser Welt! Du bist das wunderbarste Mädchen der Welt Johanna! Ich hoffe du vergisst mich nie.
Weißt du noch, als du mir erzählt hast, was du glaubst, was die Sterne bedeuten. Das hat mir so gut gefallen. Jetzt habe ich keine Angst mehr zu sterben, da ich weiß, dass ich dich immer sehen kann. Ich werde der kleine Stern neben dem Polarstern sein. Ich weiß es einfach. Der Polarstern ist übrigens der große leuchtende Stern, meine Süße. Ich denke das war es.
Ich liebe dich wirklich Johanna, von ganzem Herzen. Ich hatte nie zuvor so ein schönes Gefühl, jemanden zu sehen. Und um dir das zu beweisen, schenke ich dir meinen für mich bedeutendsten Besitz: meinen Füller aus Muranoglas. Ich möchte das du ihn behältst und er dich immer an mich erinnert. Also, ich hoffe du wirst mich niemals vergessen! Ich liebe dich!
Dein dich liebender
Jellisey
P.S. Sag Caro was sie mir bedeutet hat.
Johanna las sich den Brief wieder durch, immer und immer wieder. "Ich liebe dich auch Jellisey!", dachte Johanna. "Ich liebe dich so sehr." Johanna weinte, ab und zu hörte man Schluchzer, und ein anderes Mal ein leise geflüstertes 'Jellisey!'. Ihre Gefühle waren wieder wie auf einer Achterbahn, hin und her gerissen von Freude und großer Trauer. Johanna küsste Jellisey noch einmal. Caro betrat den Raum, wischte sich noch eine Träne aus den Augen und sagte: "Na Johanna?" "Es ist okay", antwortete Johanna. "Jellisey hat dich wirklich sehr gemocht." "Woher willst du das denn wissen?" Johanna hielt den Brief hoch. "Jellisey", murmelte sie noch einmal und ging aus dem Zimmer. Im Gehen drückte sie Caro einen Zettel in die Hand. "Ich finde dich auch ziemlich nett Caro!" Caro lächelte sie vorsichtig an. Sie öffnete ihre Faust und las das Blatt. Darauf stand Johannas E-Mail Adresse. "Deine kenne ich ja.", sagte Johanna zum Abschied. Die Beiden umarmten sich. Johanna wischte sich noch die Tränen aus dem Gesicht und lief schnell den Flur entlang, die Treppe herunter.
4 Jahre später
"Was kann ich denn für dich tun?" Johanna setzte sich auf den Bettrand eines kleinen Mädchens. "Mir ist so heiß", stöhnte sie. Johanna steckte dem Mädchen ein Fieberthermometer in den Mund. Als sie das Messergebnis las, lächelte sie: "Keine Sorge Milly, das kommt dir nur so vor. Möchtest du vielleicht noch mit Monopoly spielen? Wir wollen in Teams spielen und genau du fehlst uns noch! Außerdem gibt es noch Erdbeerkuchen." Milly nickte und zog sich ihre Hausschuhe an. Sie blieb in dem Flur stehen.
"Aber was ist wenn Mama und Papa kommen? Dann bin ich vielleicht gar nicht da und sie gehen wieder weg." Caro kam aus dem Schwesternzimmer. "Ich werde deinen Eltern sagen wo du bist, sie würden niemals gehen ohne dich zumindest gesehen zu haben." "Wirklich?" Caro nickte. Milly rannte in den Gesellschaftsraum. Johanna und Caro zwinkerten sich zu. "Jetzt hast du es geschafft Johanna. Du hast diesen Kindern geholfen.", meinte Caro. Sie ging zurück ins Schwesternzimmer und Johanna lief zu den anderen in den Gesellschaftsraum. "Du spielst mit in unserem Team!", ein Junge zog Johanna an den Tisch. Milly umarmte Johanna. "Das ist echt toll hier mit dir und Caro! Warum machst du so viel schönes?" Johanna lachte. "Jeder sollte anderen etwas Gutes tun. Aber manchmal muss man erst einmal angestupst werden. Und das ist mir passiert, mit dem besten Freund den ich je hatte." Sie betrachtete das Photo, das an der Wand hing. Johanna stand kurz auf und strich darüber. "Den liebsten Freund den ich je hatte, Jellisey." Milly und die anderen Kinder stellten sich um Johanna herum. "So heißt doch auch das Hospiz, oder?" Johanna nickte. Sie setzten sich wieder um den Tisch und fingen an zu spielen. Johannas Blicke glitten immer wieder zum Bild und zurück zu den Kindern. Lachend warfen sie die Würfel hin und her. Johanna schüttelte den Kopf.
Nein, alles war in Ordnung.
Tag der Veröffentlichung: 21.11.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meine krebskranke Freundin