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Ich zündete mir eine Zigarette an und ließ mich zurück in den Stuhl sacken. Der viel zu alte Stuhl ächzte und stöhnte unter meinem Gewicht. Die Luft in dem kleinen Raum füllte sich mit dem Rauch, den ich wieder ausblies. Der Kühlschrank hinter mir summte wie ein Radio und außer den Schritten über mir auf Holzboden war nichts zu hören in der kalten Novembernacht. Ich hatte mir ein kleines Büro über einem Zigaretten- und Waffenladen einrichten können, was nun wirklich nicht die perfekte Lage für einen Geheimdetektiven darstellt. Der Raum an sich war ungefähr so groß wie eine Besenkammer und hatte gerade noch genug Platz für zwei Schränke die überquollen, so voll waren sie mit Büchern, einen Kühlschrank, einen Schreibtisch mit Computer und Telefon und eine ewig taumelnde kahle Glühlampe. Ich hatte es mir immer cool vorgestellt als Geheimdetektiv zu arbeiten, aber mein Kühlschrank war genauso leer wie mein Konto. Das schrille Klingeln des Telefons zerriss die Stille.
Wenn das wieder nur ein misstrauischer Ehemann ist, hörst du endgültig auf!


Ich atmete tief durch und nahm ab.
„Privatdetektiv Jo Morgen.“
„Ich habe einen Auftrag für sie. Ich suche einen Computerhacker namens Gedog

. Das ist alles was wir wissen.“
Die Stimme am anderen Ende war rau und hart.
„Hört sich gut an“, sagte ich und nahm meine Zigarette aus dem Mund.
„Und für wen würde ich arbeiten?“
„Das kann ich Ihnen nicht sagen.“
Ich runzelte die Stirn.
„Denken Sie darüber nach. Es lohnt sich!“
Und damit legte er auf.
Bevor ich eine Zusage machen wollte, recherchierte ich zuerst im Internet über Gedog. Ich fand ihn auf einer Internetseite der Zeugen Jehovas als Mitglied eingeloggt unter dem Namen Ijob

. Ich schrieb mir die Adresse des kleinen Standpunkts der Zeugen Jehovas auf und zog mir meinen langen, braunen Mantel an. Als ich mit meinem kleinem Aktenkoffer durch die Tür nach draußen trat, stieß mir ein eiskalter Wind und Regen entgegen, dass ich meinen Hut tief in die Stirn ziehen musste damit er mir nicht wegflog. Bis ich an dem kleinem, wackeligem Haus ankam musste ich dreimal mit dem Zug umsteigen, einen Bus nehmen und durch ein Labyrinth aus Straßen laufen an denen sich Reihenhäuser häuften wie Hühner in Zwangshaltung. Es dauerte zwei ganze Stunden bis ich zu dem Haus kam. Obwohl man es eigentlich kein Haus mehr nennen konnte. Die Fensterläden hingen runter und schlugen taktgleich mit dem Wind gegen die Wand, auf den Fensterbänken hatten wohl mal Blumen gestanden, aber davon sah man nur noch ein paar zerbrochene Scherben, die Wände waren mit Graffitis vollgesprüht und man sah deutlich die Stellen wo die Hunde hingepinkelt hatten. Ich stieß einen Seufzer aus und öffnete die klapprige Tür. Ein leises Klingeln kündigte mein Eintreten an. Der Raum den ich betrat war seit einiger Zeit nicht geputzt worden und der Staub ließ mich auf husten. Ich ging zu der Frau am Schalter.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie mit fröhlicher Stimme. „Ich suche jemanden“, sagte ich und kramte meinen Zettel aus der Tasche.
„Kennen Sie zufällig Ijob

? Ich bin mit ihm in Verbindung getreten und wir haben uns hier verabredet.“
Die Frau sah mich prüfend an. „Es tut mir leid, Mister, aber ich kann Ihnen nicht helfen.“
„Sind Sie sicher. Jede so winzige Kleinigkeit würde mir sehr weiter helfen“, sagte ich und gab ihr einen Geldschein. Da wurde sie etwas lockerer. „Naja, Sie sind nicht der erste der nach ihm fragt. Vor Ihnen waren schon mal drei junge Männer hier.“
„Haben Sie zufällig die Namen dieser drei Personen?“
Das Lächeln der Frau geriet ins Wanken. Ich hielt ihr noch einen Geldschein hin und sie holte eine Mappe raus.
„Die drei jungen Herren sind den Zeugen Jehovas beigetreten. Glücklicherweise schreiben wir alle neu erworbenen Mitglieder auf. Mhm, da haben wir sie. Da war… Schreiben Sie mit? Mister Ben Ash, Thomas Chersterfield und Simon Michael Cruse.“
Ich schrieb alles schnell auf meinem Zettel auf, verabschiedete mich und verschwand durch die klappernde Tür. Auf dem Rückweg nahm ich ein Taxi und kam nach einer halben Stunde an. Ich gab in mein Suchsystem als erstes den Namen Ben Ash ein.
In New York geboren… Sohn eines Diplomaten… Studium in Oxford, England… Arbeit als Privatdetektiv…Einlieferung in Psychiatrie… Selbstmord mit Seil…


Ich grunzte und zog an meiner Zigarette. Das konnte nur ein Zufall sein. Wieso aber war ein Privatdetektiv hinter demselben Typen her wie ich und brachte sich dann zwei Wochen später um? Zufall. Weiter suchen.
Thomas Chersterfield: In Orlando geboren… kein Schulabschluss… Tod der Mutter… Arbeit als Privatdetektiv… verschwand vor zwei Wochen von der Erdoberfläche… niemand hat ihn seitdem gesehen


Ich rieb mir die Stirn. Sackgasse. Die Müdigkeit brannte mir in den Augen und ich schenkte mir ein Glas Whiskey ein um wach zu bleiben.
Simon Michael Cruse: Geboren in London… mit 16 lief er von zuhause weg… Militärdienst… Arbeit als Privatdetektiv… seit einem Monat Insasse in Psychiatrie…


Ich seufzte erleichtert. Ein Lebenszeichen. Ich wollte gerade gehen, als das Telefon klingelte.
„Wie es aussieht haben Sie sich schon gut in ihren Job eingefunden“, meldete sich die Stimme an der anderen Seite.
„Woher wissen Sie…?“ Ein Lachen.
„Glauben sie ernsthaft ich würde nicht wissen wollen ob Sie ihre Arbeit richtig machen, Mister Morgen?“
„Aber ich…“
„Hören Sie mir zu. Ich werde selbstverständlich jede Art von Kosten bezahlen und noch ein ansehnliches Honorar, wenn Sie mich nur immer über den neusten Stand der Dinge berichten, in Ordnung? Selbstverständlich nur wenn sie den Job annehmen, aber das tun Sie doch, oder?“
Ich seufzte resigniert. „Ja.“
„Wunderbar. Bis später Mister Morgen. Viel Erfolg.“ Stille. Ich schüttelte den Kopf und machte sich auf den Weg zu der St Joseph Psychiatrie

wo ich meinen neuen Freund treffen wollte. Der Typ an der Theke hatte einen Schnurrbart und ein riesiges John Lennon Tattoo auf seinem Oberarm und sah eher aus als ein Mitbewohner als ein Mitarbeiter.
„Simon Michael Cruse“, antwortete ich auf die mürrische Frage was ich den wolle. Er sah mich zuerst prüfend an und nickte Richtung Gang.
„Zimmer 1023. Passen Sie auf das er nicht tollwütig wird. Kann gefährlich werden.“
Ich betrat den Raum so leise wie ich konnte, was aber nicht nötig gewesen wäre, denn Simon saß mit dem Rücken zu mir und starrte die Wand an. Ein dunkles flackerndes Licht einer einzelnen Kerze umhüllte ihn in dem Fensterlosen Raum. Die Wände waren aus kahlem Backstein und an einigen Stellen waren Kratzspuren wie von wilden Tieren zu sehen. Mir schauderte. An der Wand stand in gezackten, blutroten Buchstaben:
Die Gottesfurcht ist ein Lebensquell, um den Schlingen des Todes zu entgehen.


Als ich näher an Simon heranging, schien er mich nicht zu bemerken. Er saß im Schneidersitz, die Stirn voller Schweiß, das Hemd klebte an seinem Körper, barfuß, die Hände gefaltet und seine Lippen bewegten sich unaufhörlich mit den Worten des Ave Marias. Ich wartete zehn Minuten, aber die Szene änderte sich nicht. Er betete weiter, murmelnd und hektisch, als könnte er die Worte nicht schnell genug zu Ende bringen. Irgendwann konnte ich nicht anders und sprach ihn leise an.
„Simon? Simon hörst du mich?“
Ich musste diese Worte dreimal wiederholen bis er mir eine Antwort gab. „Was willst du?“, fragte er ohne die Augen zu öffnen.
„Wer ist Ijob?“, fragte ich. Ich wollte das so schnell wie nur möglich hinter mich bringen. Simon schien auf diese Frage allergisch zu reagieren. Auf einmal presste er die Augen noch fester zusammen und sagte die Worte des Gebetes lauter vor sich hin. Erst als ich nicht locker ließ, konnte ich ihm eine Antwort entlocken. „Es ist alles nur eine große Lüge. Alles nur eine Lüge“, flüsterte er kaum verständlich. „Was ist eine Lüge?“ Da schaute er mich an und mir rutschte das Herz in die Hose, als ich seine verrückten Augen sah, die seinen Wahnsinn widerspiegelten. „Alles!“ Dann schaute er wieder auf den Boden. „Und wer bin ich? Ein Nichts ein Niemand!“ Und damit begann er wieder das Ave Maria zu beten, aber diesmal mit noch mehr Inbrunst und Wahrheit und es waren keine anderen Worte mehr aus ihm herauszubekommen.
„Was ist mit dem passiert?“, fragte ich den Hünen an der Rezeption. Der zog an seiner Zigarre.
„Der ist verrückt geworden.“
„Das habe ich auch gemerkt. Was hat ihn so gemacht?“ Der Mann grunzte und holte eine Akte raus.
„Hier steht`s“, sagte er und tippte auf irgendeine Papier. „Du musst es selbst lesen, ich bin Analphabet.“
„Wunderbar“, murmelte ich und begann zu lesen.
Religiöse Gottesfurcht… kündigt Untergang der Welt an… Panikanfälle…


„Mehr habt ihr nicht?“, fragte ich. Er schüttelte den Kopf. „In Ordnung. Trotzdem Danke.“
Als ich zuhause ankam ließ ich mich wieder in meinen Stuhl sacken und versuchte eins und eins zusammen zuzählen. Drei Privatdetektive waren mit demselben Fall beauftragt worden wie ich. Einer von ihnen war gestorben, ein anderer verschwunden und einer in der Psychiatrie. Ich hatte nicht die geringste Ahnung was für Zusammenhänge es zwischen Ijob, den Zeugen Jehovas und meinem geheimnisvollen Auftraggeber gab und deswegen musste ich es schnellsten herausfinden. Ich loggte mich in der Seite der Zeugen Jehovas unter dem Namen Josef

ein und suchte Ijob.
Josef: Ich habe von dir gehört.


Ich knetete meine Hände und wartete.
Ijob: Tatsächlich?


Mein Herz raste.
Josef: Du kannst Daten klauen?


Ijob: Wer unrecht tut, hat keinen Bestand, doch die Wurzel der Gerechten sitzt fest.


Ich runzelte die Stirn.
Josef: Wann kann ich dich treffen?


Ijob: Komm zu dem Platz, der den Untergang Ägyptens besiegelte. Ich werde um 22:00 Uhr da sein.


Der Benutzer Ijob hat sich ausgeloggt



Ich starrte den Computer an. Der Platz, der den Untergang Ägyptens besiegelte. Was hatte das schon wieder zu bedeuten? Ich lehnte mich wieder zurück und dachte nach. Es war 21:30. Ich weiß nicht, wie lange ich überlegt haben musste, als mir plötzlich ein Licht aufging. Der Untergang Ägyptens. Zeugen Jehovas. Bibel. Moses. Moses brachte den Untergang von Ägypten durch die zehn Plagen. In der Stadt gab es einen Platz mit einer riesigen Moses Statur. 21:50.

So schnell ich konnte, rannte ich zu dem Platz wo ich ihn erwartete. Als ich dort ankam, war er genauso menschenleer wie der Rest der Stadt. Nervös fragte ich mich ob ich mich wohl geirrt haben konnte. Nein, es passte alles genau zusammen. Ich hörte die Schritte hinter mir zu spät. Den Einstich an meinem Nacken spürte ich kaum.

Den Rest sehe ich nur noch verschwommen. Später würde man mir erzählen, dass ich in einen Sack gepackt, in ein Auto geworfen und irgendwann angekettet wieder aufgewacht war. Das erste was ich sah, war eine baumelnde Kette vor meinem Gesicht. Leise schaukelte sie vor mir hin und her. Der leise Singsang stimmte mich schläfrig. Ich verstand was die Stimme vor sich hin murmelte, aber ich konnte die Zusammenhänge nicht schließen.
„Wird dem Gerechten vergolten auf der Erde, dann erst recht dem Frevler und Sünder.“
Als mein Gegenüber merkte, dass ich aufgewacht war, beugte er sich vor und schaute mir ins Gesicht. Der Ausdruck darin ließ mich automatisch zusammenzucken. Die Augen waren so schwarz wie die Nacht, eine Adlernase, die Graf Dracula starke Konkurrenz machen konnte und ein hart geschwungener Mund. Ich zog an den Handschellen, die an eine Wasserleitung festgebunden worden war.
„Na, wen haben wir denn da?“, fragte eine leise Stimme. Ich zog immer wieder an meinen Ketten, aber es rührte sich nichts. Mein Gegenüber lachte.
„Du wirst nicht fliehen konnte. Niemand konnte bis jetzt fliehen.“
„Du“, flüsterte ich entsetzt, als ich verstand mit wem ich es zu tun hatte. Er grinste.
„Was hast du mit den anderen getan“, fragte ich ihn. Er lachte einmal und laut auf.
„Dasselbe was ich mit dir tun werde. Ich habe sie hypnotisiert.“ Ich schluckte.
„Das schaffst du bei mir nicht“, sagte ich verzweifelt.
„Ich werde dir das Handwerk legen und dich der Polizei aushändigen.“
„Wunderbar. Ich liebe Herausforderungen. Wollen wir anfangen?“
Er ließ seine Kette wieder taumeln.
Die nächsten Tage verschwammen unter Reden von Sündern, Betrügern und Ehebrechern bis mir der Kopf davon summte. Ich merkte es kaum, als er mir zwei Wochen später die Ketten abnahm und mich freiließ. Ich taumelte durch die Straßen wie ein Wahnsinniger, betäubt von Worten bis der Polizei berichtet wurde das ein Verrückter durch die Straßen ginge. Zwei Tage später wurde ich abgeführt, am Möchtegern John Lennon vorbei, der sich bei den beiden Polizisten bedankte und ihnen erklärte, dass er es hatte kommen sehen. Ich bin jetzt seit fünf Jahren in Psychiatrie und so langsam scheint die Hypnose nachzulassen. Immerhin ist mein Kopf nun klar genug um das aufzuschreiben. Ich hoffe darauf, dass ich bald raus gelassen werde. Ich bin ganz versessen darauf diesen Ort zu verlassen.
Vielleicht würde ich dann auch Ijobs Spur wieder aufnehmen können…

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Tag der Veröffentlichung: 05.08.2011

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