nervenending story
Satire zum Thema Psyche
Ja, ich bin am Ende mit meinen Nerven.
Irgendetwas hat das Fass zum Überlaufen gebracht.
Früher war ich die Ruhe in Person, fand Halt in mir
und konnte anderen Halt geben.
Heute schlottere ich in mir herum, wie in einer zu großen Badehose.
Ich bin voller Ungeduld, weil mir am Himmel die Sterne fehlen.
Mein Nachbar sagt, die sind doch am Tage nie zu sehen.
Was weiß der denn, wann ich Sterne sehe?
Überhaupt regen mich die Nachbarn tierisch auf. Nicht, weil sie laut sind,
nein, weil sie mit ihrem Besuch an meinem Haus vorbeilaufen und
möglicherweise über mich sprechen.
Neid ist mir fremd, aber müssen die Autos der Nachbarn immer größer werden?
Früher fasste ich in die Taschen und fand überall Markstücke
und sogar versteckte Scheine - heute bin ich froh, wenn ich einen Euro für
den Einkaufswagen finde. Das ist ein Scheißleben.
Ich könnte mich schon wieder aufregen und einfach meinen Ärger herausbrüllen.
Aber meine Stimme ist auch nicht mehr so kräftig wie früher.
Wer hat mir denn die Stimme genommen?
Welches Schwein ist so tief in mein Innerstes vorgedrungen?
Aber auch äußerlich macht sich meine nervenending story bemerkbar.
Früher rasierte ich mich einmal pro Woche und zwar immer montags um
06:30 Uhr. Danach sah ich sauber, geschmeidig, cool und auch verwegen aus.
Verwegen vor allem am Sonntag. Doch was ist heute?
Mein Bart wächst immer schneller. Ein Friseur sagte neulich zu mir,
ihr Bartwuchs macht mich richtig neidisch. Da ist er wieder der Neid.
Früher beneidete ich andere – heute beneiden die mich.
Wenn ich mal mit meinem Gleichgewicht kämpfe, denken die anderen gleich,
dass ich besoffen wäre und tuscheln hinter vorgehaltener Hand:
„Dafür hat der immer noch Geld“
Kann man sich die Nerven nicht ziehen lassen, dann hätte die ganze Unruhe ein Ende.
Mit den Zähnen geht das doch auch.
Ich muss mal mit meiner Krankenkasse darüber sprechen.
Aber jedes Mal, wenn ich mit denen rede, geht es um Beitragsrückstände und andere Peinlichkeiten. Da hilft mir nur eins: kräftig ins Telefon zu brüllen – die werden am anderen Ende ganz zahm. Überhaupt haben die viel zu viele Mitarbeiter, die ich alle durchfüttere.
Den größten Aufreger verursacht das Wetter für mich. Seit Kachelmann weg vom Schirm ist, erlebe ich nur noch falsches Wetter. Fehlt mir hier der Regen und ich steige in den Ferienrückwärtsflieger lande ich garantiert in der deutschen Sonne. Die wollte ich doch gar nicht. Also bleibe ich gleich sitzen und diskutiere mit den Flugbegleitern, warum ich nicht gewillt bin, bei diesem Wetter deutschen Boden zu betreten.
Innerlich lache ich, weil ich als einziger Fluggast solche Marotten haben darf.
Eine Stewardess deckte mich letzte Woche noch richtig mit zwei Decken zu.
Zwischenzeitlich machte die Crew einen Kudammbummel und ich schlief in der dunklen Kabine. Das war ein herrlicher Ausflug in die Heimat. Immer noch bequemer als in der überfüllten und lauten Abfertigungshalle des Airports herumzulungern und dann wieder umständlich einzuchecken.
Nun habe ich mich aber ganz schön für andere geöffnet.
Ich sollte viel verschlossener werden. Meine Mutter sagte immer zu mir: Mein Junge, du musst lernen, wie eine Auster zu sein – schön und verschlossen.
Ich werfe mir mal schnell eine Wochenration Beruhiger ein, dann brauch ich an den anderen Tagen dieses olle Zeug nicht zu schlucken.
Hasta pronto.
Tag der Veröffentlichung: 25.08.2011
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