3. Kapitel
Gestern war Landgang angesagt. Dr. Wellenbrinck hatte die Familie Heberle im Schlepptau.
Er musste sich mit dem pensionierten Arzt gut stellen. Das war klar.
Glücklicherweise blieben viele Passagiere an Bord. Sie zogen die Ruhe auf dem Kreuzfahrtschiff dem karibischen Trubel vor. Viele Seereisende hatten schon etliche Kreuzfahrten in ihrem persönlichen Logbuch. Die Reederei legte wert auf Tradition.
Für die medizinische Grundversorgung musste Schwester Martina an Bord bleiben. Das hatte der Kapitän entschieden.
Dem Schiffsarzt gefiel diese neue Freiheit und er dachte im Nachhinein an manche Begegnungen mit den Passagieren während des Landgangs.
Eine gewisse Gitta, sie stellte sich ihm als Kollegin vor, sagte dann aber lax: „Ich bin nur eine Psychotante und habe meine Praxis schon aufgegeben“ ließ wieder seine internen Alarmglocken läuten – von der würde er sich fernhalten. Da kann man sich schnell in Widersprüche verstricken.
Spannend war auch das Zusammentreffen mit einer Jutta mit Doppelnamen. Sie hatte einen Enkel an der Hand, der immer nach seiner freien Hand griff und sich schaukeln ließ.
Sie gehörte auch zu dieser lustigen BookRixAutorengruppe. Sie wohnte mit ihrem Enkel auf Deck 6, wo die Außenkabinen mit den Balkonen zu finden sind. Der Enkel sagte nie Oma zu ihr, sondern immer nur Rosenjule.
Heute war es in der Sprechstunde ausgesprochen ruhig. Tinchen konnte einer netten Seniorin aus Hamm ein Massage angedeihen lassen.
Nach der Massage, die sie wie immer mit Visa bezahlte, schenkte sie Schwester Martina eine Schachtel mit Lübecker Marzipan. Sie musste einen ganzen Koffer davon mit an Bord haben.
Als ich das „Danke Dora“ hörte, wusste ich – ich bekomme die Hälfte ab.
Etwas beunruhigend waren unklare Beschwerden im rechten Unterbauch. Darüber klagte eine pensionierte Lehrerin. Sie legte sich auf die schmale Pritsche und lokalisierte mit der rechten Hand die schmerzende Stelle. Das könnte Ernst werden dachte ich.
„Martina ich brauche mal die Leukos“ sagte ich wie ein Profi und etwas liebevoller zur Patientin: “Annelie, Sie sollten sich schonen, wenn die Schmerzen nicht nachlassen, will ich sie hier wieder sehen. Das kann eine Blinddarmreizung sein.“
Ich dachte sofort an meine eigene Blinddarm-OP vor vielen Jahren.
Jetzt bin ich aufgeflogen, was soll ich nur machen?
Ich suchte sofort Dr. Heberle und fragte, ob er sich mit Appendix auskenne. „Ich kann sie nicht mehr zählen, Herr Kollege, die Wurmfortsätze, die ich in meiner Laufbahn entfernte.“
Mich überfiel eine fiebrige Angst. Ich hatte Furcht vor den Konsequenzen meiner Hochstapelei. Sollte ich zum Kapitän gehen und eine Selbstanzeige machen, oder könnte ich auf einen harmlosen Verlauf dieser Entzündung hoffen.
Was würde meine Verlobte in Frankreich denken, wenn das ganze Kartenhaus zusammenfällt?
Sollte ich Juli nicht überhaupt die ganze Wahrheit sagen?
Was haben die täglichen Glückskekse auf meinem Kopfkissen zu bedeuten?
Irgendeiner von BookRix hatte Zugang zu meiner Kabine?
Kann mir nicht mein Freund Manfred der Rabe mit seiner langjährigen Polizeierfahrung helfen?
Tag der Veröffentlichung: 30.05.2011
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Widmung:
meinen geduldigen Stammlesern gewidmet