Cover

Dr. Wellenbrinck lehnte sich lässig an die Reling und genoss die frische Brise an Oberdeck.
Er ging seinen bisher größten Husarenstreich noch einmal in Gedanken durch.
Vor einer Woche war er noch der zweite Barmann in einem Steigenberger-Hotel.
Wie er das hasste, Nacht für Nacht den Betrunkenen um den Bart zu gehen für das immer dünner werdende Trinkgeld.
Aber es hatte natürlich auch seinen Reiz. Jede Nacht lernte er neue Leute kennen, vertiefte alte Bekanntschaften und entwickelte neue Ideen.
Die meisten Gäste an der Bar prahlten mit ihren Positionen, ihrem Geld und ihren Reisen – und Dr. Wellenbrinck war ein guter Zuhörer.
Eigentlich war er gar kein Doktor und er hieß auch nicht Wellenbrinck. Das alles war nur das Cover für sein neues Leben. Er wollte alles Frühere auslöschen aus seinem Gedächtnis. Diese demütigenden „Befehle“: „Johnny, noch einmal das Gleiche bitte!“ „Johnny, bitte noch etwas Crash-Eis in mein Glas!“ „Johnny, wer ist denn die Blonde da drüben?“
Er konnte auch den Pianisten nicht mehr hören. Dieses schleimige unechte Geklimper – Nacht für Nacht die gleiche Leier. Und wenn Fred dann noch mit seiner versoffenen Stimme zu Singen begann – er hätte in sein Spülbecken kotzen können.
Aber damit ist jetzt Schluss.
Die Nächte gehören von nun an nur noch ihm, dem smarten Werner Wellenbrinck.
In zwei Tagen wurde aus Johnny dem Barman ein richtiger Doktor.
Was andere können, kann ich schon lange, dachte er sich.
Er lernte von Montag bis Mittwoch diese Rolle auswendig. Viel Papierkram war nicht zu bewältigen. Die unverzichtbare Promotionsurkunde, der gefälschte Personalausweis, einige Empfehlungen und Zeugnisse. Es hatte ja auch eine Stange Geld gekostet – dieses neue Leben.
Am Donnerstag war es dann so weit. Seine erste und einzigste Vorstellung im neuen Leben.
Der Reeder war ein Mann Anfang fünfzig und sie waren sich beide sofort sympathisch.
Das Messingschild der Reederei ließ seine Träume erwachen: “Worldline Oversea“
Er hatte keinen Termin, lief gleich in seiner charmanten Art auf die Sekretärin zu:
„Hallo, meine Liebe, wo finde ich den Reeder? Mein Name ist Dr. Wellenbrick , Werner Wellenbrinck.“
Die so überrollte Renate wies mit der rechten Hand auf die geschlossene gepolsterte Tür und brachte nach 5 Minuten gleich zwei Kaffee ins Chefzimmer.
Der braungebrannte Dr. Wellenbrinck legte seine Visitenkarte auf den Schreibtisch des Reeders und plauderte ungefragt über sein bisheriges spannendes Leben als Arzt an internationalen Kliniken und sagte unvermittelt: „Was mich noch reizen könnte, wäre der Job eines Schiffsarztes auf einem Kreuzfahrtschiff. Aber so etwas ist sicher nicht vakant, oder?“
Da war sie wieder seine erfolgreiche Überrumpelungstaktik.
Der Reeder hing an seiner Angel, er spürte den Ruck körperlich.

Alles ging wie geschmiert. Das Gespräch mit dem Kapitän dauerte nur drei Minuten. Dann ließ der Boss an Bord dem neuen Schiffsarzt seine Kabine zeigen. „Machen Sie sich erst mal mit dem Dampfer vertraut – alles Weitere besprechen wir dann auf See“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 29.05.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /