Cover

Leilas große Liebe

Einst begab es sich, dass im Palast des großen Kalifen al Hotscha eine Schönheit bittere Tränen weinte. Nur sie durfte um den Grund ihrer Tränen wissen.
Sie schob den Schleier zur Seite und musterte lange ihr schönes Gesicht.
Der goldumrandete Spiegel zeigte ihr in der Tat ein wunderschönes Mädchen mit seidenem Gewand und einer perlenbestickten Halskrause.
Sie duftete immer noch nach Moschus auch nach der Liebesstunde in den Gemächern des Kalifen.
Was hatte er ihr heute nur wieder für schmeichelhafte Worte gesagt?
Einmal nannte er sie sogar meine kleine Prinzessin.

Der Spiegel dominierte das prächtige Zimmer, das sie für sich allein bewohnen durfte. Links und rechts vom Spiegel waren zwei hohe Fenster mit Blick auf den Palasthof. Außer, wenn der Kalif nach ihr schickte, hatte sie immer Freizeit, ja sie hatte sogar eine Kammerzofe, die ihr zu Dienst sein musste, wann immer sie nach ihr rief.


Trotz des märchenhaften Reichtums kam sich Leila, so hieß die Schönheit, wie in einem goldenen Käfig vor. Sie war von allen Freundschaften außerhalb des Palastes abgeschnitten. Selbst zu ihren Eltern durfte sie keinen Kontakt haben. Dabei wollte sie so gerne mit ihrer Mutter reden.. Leila sprach zu einem Nympfensittich, mit dem sie oft ihre Gedanken teilte:
“ Ich bin wie ein Waisenkind und würde so gerne meine Mutter um Rat fragen.”
Da verwandelte sich der Nympfenkopf für kurze Zeit in das Antlitz ihrer Mutter und sprach zu ihr: “Leila mein Liebling, lass dich nicht durch Reichtum blenden, glaube nur den fleiß`gen Händen.”


Der wahre Grund für ihre täglichen Tränen war ihre tiefe unbändige Liebe zu Ismail.. Beide waren seit dem letzten Sommer in enger Liebe verbunden. Sie erinnerte sich an die vielen heimlichen Abende in seiner Werkstatt inmitten des Basars. Ismail war trotz seiner Jugend ein außergewöhnlich begabter ja begnadeter Goldschmied, dessen künstlerisches Talent weit über die Grenzen des Landes bekannt war..
Sie wusste nur zu gut, dass er mit seinen feingliedrigen Händen wahre Wunder vollbringen konnte.
Noch nicht einmal verabschieden durfte sie sich von ihm – wieder traten ihr Tränen in die Augen.

Sie erinnerte sich an jenen ersten Sonntag im Mai, der Tag an dem ihr Vater sie gnadenlos und herzlos an den Gesandten des Kalifen übergab. Er nahm einen bunt bestickten Beutel mit Goldstücken entgegen, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und sagte: “Sei ab sofort dem hochwürdigen Kalifen zu diensten und mache uns keine Schande.”

Nie wollte sie ihren Eltern Schande antun. Aber das Feuer der Liebe zu Ismail brannte in ihrem Herzen. Außer mit ihrem Nympfensittich hatte sie wenig Gelegenheit zu Gesprächen.
Im Südteil des Palastes gab es ein warmes Marmorbad, das sie nach Gutdünken benutzen durfte.
Hier gab es auch die Möglichkeit, mit anderen jungen Frauen zu plaudern.
Große Vorsicht war jedoch geboten, denn es wimmelte nur so von falschen Schlangen, die alles versuchten, zur kleinen Gruppe der Favoriten des Kalifen zu gehören.
Eigentlich hatte sie nur zu Noria Vertrauen. Noria war das einzige Mädchen, das sie vor ihrer Palastzeit schon kannte. Sie hatten zusammen Gesangsunterricht in einer kleinen Moschee.
Zu Noria äußerte sie auch, wie sehr sie immer noch Ismail liebte.
Noria sagte oft zu Leila: “Du musst viel Geduld haben und täglich beten.”


Diese Noria war zwar keine Favoritin des Kalifen, gehörte aber dennoch zu einem
Kreis von privilegierten Mädchen. Sie sang im Palastchor und durfte den Kalifen auch auf Reisen begleiten.

Eines Tages spielten Noria und Leila mit den Rosenblättern im Wasser des Marmorbades. Da offenbarte ihr Noria, dass es in der kommenden Woche wieder eine Reise des Kalifen geben würde und diese Reise führte direkt durch ihren alten Heimatort.
Wenn es ihr gelänge, sich in eine der Kutschen des Palastchores einzuschmuggeln, könnte sie möglicherweise den goldenen Käfig verlassen. und Ismail wieder sehen.

Die Flucht war leichter als gedacht.
Leila verkleidete sich mit einem einfachen Schleier und dem Gewand einer Kammerzofe und fand einen Platz im Reisetross des großen Kalifen.
Bereits am nächsten Abend gelang es ihr, unerkannt von den Wachsoldaten auf ihren alten Basar zu gelangen. Hier duftete es nach orientalischen Gewürzen, nach gerösteten Mandeln, nach Rosenholz und Jasmin.

Ismails Werkstatt war mittlerweile doppelt so groß und sie sah ihn vertieft in seiner Arbeit beim Fassen von Edelsteinen.
Leise stimmte sie mit glockenheller Stimme ihr gemeinsames Lieblingslied “Wüstensand und Meeresrauschen” an. Ismail blickte vor Freude auf und schon fielen sich beide glücklich in die Arme. Ohne viele Worte packten beide das Nötigste und küssten sich noch einmal zärtlich.
Nur mit zwei Reisetaschen und einer Werkstattkiste ausgerüstet verließen beide mit Ismails Kutsche das Land des Kalifen.
Ismail war zwar kürzlich erst Hoflieferant geworden aber die Liebe zu Leila war stärker als alle Karrierebestrebungen.
Sie lebten fortan fleißig und strebsam in einem Nachbarstaat und ihre Liebe wurde jeden Tag größer.



Im Palast von al Hotscha ging man schnell zur Tagesordnung über. Noria vermisste zwar ihre beste Freundin, wusste sie aber in den rechten Händen.Der Kalif tröstete sich mit anderen jungen Frauen.
Richtig schmerzlich war für den Palast der “Weggang” des weltbesten Goldschmiedes.
Viele Bestrebungen des Kalifen, sein Reichtum zu mehren, waren mit Imails kunstvollen Werken verbunden.
Lange grübelte man, wie der Verlust von Ismail zu ersetzen sei.
Mit dem nächsten Vollmond kam al Hotscha dann die Erleuchtung:

Er schickte zwei Vasallen in den Nachbarstaat, um das geflüchtete Paar aufzuspüren.
Er ließ ihnen sein Wort überbringen, sicherte beiden freies Geleit zu und gab Leila ohne weitere Ansprüche frei. Für Ismail erfand der Großvisier einen neue Titel. Er wurde mit fürstlichem Gehalt als Goldvisier des Kalifen eingesetzt.

Leilas geldgieriger Vater war inzwischen an einer seltenen Geizkrankheit verstorben.

Ihre geliebte Mutter war überglücklich, die jungen Leute wieder in die Arme zu schließen.
Ismail und Leila heirateten endlich und bezogen im nächsten Sommer ein kleines Schloss am Meer
gemeinsam mit ihrer Mutter, die sich in den folgenden Jahren über 8 kleine Enkelchen freuen konnte, die alle in der Werkstatt ihres Vaters zu Goldschmieden ausgebildet wurden.

Wann immer es Noria einrichten konnte, besuchte sie ihre beste Freundin Leila.
Dann aßen sie Oliven und kleine trockene Schinkenstreifen mit Fladenbrot wie in ihrer Kindheit.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.11.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ein Märchen aus 1001 Nacht, das zeigt, wie stark die Liebe sein kann

Nächste Seite
Seite 1 /