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Alte Leute werden oft wunderlich. Das soll bei uns Hunden auch so sein. Bevor ich alles vergesse oder durcheinander bringe, wie mein Herrchen manchmal, nehme ich heute noch mal all meine Kraft zusammen und schreibe das wichtigste aus meinem Leben auf.
Vor einem knappen Menschenjahr ging’s mir ja wirklich hundeelend, wie ihr euch sicher erinnern werdet.
Der eigentliche Grund noch mal einen Stift zwischen meine alten Klauen zu nehmen, ist der Tod meines Freundes Andy. Gestern habe ich erfahren, dass dieser gute Freund aus der spanischen Hauptstadt in den Hundehimmel gekommen sei.
Noch im Dezember bewunderte ich ihn, weil er trotz seines ebenso hohen Alters noch den Eindruck eines jüngeren Bruders von mir machte.
Die Diagnose des Tierarztes lautete: Lungenkrebs.
Sofort dachte ich: Andy war starker Passivraucher. Ob das seinen Tod beschleunigt hat?
Einem ähnlichen Schicksal erlag vor kurzem auch ein anderer Freund von mir: Rocky.
Wenn das so weiter geht, bleiben mir nur noch die Katzen in meiner Straße zum Spielen.
Ob das den Menschen auch so geht? Die, die man früher gejagt hat, werden im Alter zu Spielgefährten.
Aber mir bleiben ja noch die schicken Zufallsbekannten.


Heute lernte ich diese beiden tollen Burschen kennen.
Auf den ersten Blick hat es gleich gefunkt. Ich konnte gar nicht so schnell Witterung aufnehmen, ob es wirklich Rüden waren. Ist mir auch Schnuppe.
Mich stört auch nicht, dass eine spanische Nachbarin, wenn ich ihr ein Küsschen verweigere, schnell mal mit Augenzwinkern „maricon“ (Schwuler) zu mir sagt.

Wenn mir meine Knochen zu sehr wehtun, trägt mich mein Herrchen schon mal die Treppen hoch und runter. Dafür bin ich ihm wirklich dankbar. Aber ich komme mir dabei irgendwie behindert vor und will doch wieder selbstständig die Treppe benutzen.

Neulich habe ich einen Hundekollegen von mir gesehen, der auf dem Markt mit einem coolen Gefährt kutschiert wurde. Ich finde, das ist ein ganz schöner Angeber. Jedenfalls empfand ich seinen Blick als hochnäsig.



Momentan erziehe ich meine Alten zu totalen Hundesklaven.
Damit hätte ich schon viel früher beginnen sollen.
Durch meine vielen Gebrechen, über die ich mich ja schon im ersten Teil meiner Erinnerungen ausgelassen habe, genieße ich aktuell richtig Narrenfreiheit.
Alles, was ich durchsetzen will, erreiche ich durch Kratzen.
Ich kratze an der Tür - schon wird sie geöffnet,
Ich kratze am Knie - schon darf ich auf den Schoß,
Ich kratze an der Tischdecke - schon fällt ein Leckerli für mich ab.

Diese Narrenfreiheit habe ich auch bei Nachbarn und Bekannten.
Die gleichen Leute, die früher wie die Rohrspatzen schimpften, wenn ich mal ein Bein an ihrem Auto oder Gartenzaun hob und meine Beregnung anstellte, sind heute toleranter sagt mein Frauchen immer.

Heute ist wieder Fußball angesagt.
Da muss ich mein Herrchen richtig in Ruhe lassen.
Bin mal gespannt, wie das Spiel ausgeht. Wenn Ghana gewinnt, sagt Herrchen, brauchen die Spielerfrauen gar nicht erst anzureisen.
Das würde mir aber Leid tun für unsere Nationalrüden.

Übrigens, am Montag habe ich Geburtstag.
Würde mich über einen kleines Leckerli oder zumindest einen Gruß sehr freuen.
Euer Westhighlandterrier Willi.

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Tag der Veröffentlichung: 23.06.2010

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