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Eingriffe am eigenen Herzen

Dr. Crash sah heute zum dritten Mal seine Post durch.
Ihn ängstigten nicht die Rechnungen. „Solange es keine Mahnungen sind, kannst du
ganz cool bleiben“ sagt sein Steuerberater immer.
Was ihm Sorge macht, sind die sich häufenden Anfragen von Fernsehstationen mit Einladungen zu Talkrunden. Wie er das hasst, wenn Spezialisten von wortgewandten
Journalisten in die Ecke gedrückt werden, wenn alle vorher verabredeten Tabus ignoriert werden, wenn die Neugier nur noch peinlich ist.

Eigentlich hatte er keinen Grund sich zu verstecken. Sein Leben lief und läuft in geordneten Bahnen. Sein Vater, ein bekannter Hamburger Anwalt hatte sich immer um eine gute Ausbildung für seinen Sohn gekümmert. Von Mutter hatte er seine künstlerische Ader – seinen Mutterwitz.
Im Grunde war Jutta, seine erste Frau, Schuld daran, dass seine akademische Laufbahn solche Schwankungen vollzog.
Nach dem Jurastudium drängte sie ihn förmlich in die Medizin. Widerwillig absolvierte er dieses Studium, war aber damals schon ein begnadeter Maler. Nirgendwo hielt es ihn lange. Über Paris, Manchester und Barcelona landete er schnell in zweiter Ehe wieder in Deutschland. In Frankfurt war er noch vor 10 Jahren ein gefragter Galerist.
Was war er eigentlich wirklich?
Natürlich hatte er seinen Doktor gemacht. Aber es ist ihm heute noch peinlich, wenn er sich dazu öffentlich äußern sollte.
Manche seiner Gedichte und Aquarelle haben für ihn einen höheren Stellenwert als seine Promotionsschrift. Das, was er damals schrieb, ist von der Zeit überholt, in der Sache zweifelhaft und von der gesellschaftlichen Relevanz gleich „Null“.

Interessant, selbst für Dr. Crash ist, dass dieses früher verhasste Medizinressort mehr und mehr sein Leben bestimmt.
Nicht dass Sie jetzt denken, er würde so ein Scharlatan oder Kurpfuscher sein, der mit seinem medizinischen Halbwissen sich an Kranken versündigt. Nein, weit gefehlt.

Unser Dr. Crash macht die bedeutendsten Selbstversuche der Gegenwart.
Er ist sein eigenes Versuchskaninchen.
Alles fing damals aus Langeweile an:
Als Kind zerschnippelte er seine eigenen Fotos: um etwas gegen Bauchweh zu tun,
legte er diesen in eine Tasse lauwarmen Kamillentee. Nachdem er das Foto wieder komplettierte, waren auch die Beschwerden weg.
Es folgten Testreihen mit Lackmuspapier und eigenem Urin.
Beim Mäusesezieren war er der Klassenbeste.
Nach dem ersten juristischen Staatsexamen manipulierte er bereits an seinem eigenen Herzen. Seine minimalinvasiven Eingriffe erforderten kein teures Instrumentarium.
Er operierte sich am offenen Brustkorb vor dem dreigeteilten Schlafzimmerspiegel mit einem kleinen Skalpell und einem Häkelhaken seiner Mutter. Damals assistierte ihm Jutta, später stellte er Elke ein. Elke war eine ausgebildete Op-Schwester, die er aus steuerlichen Gründen all die Jahre als Haushaltshilfe beschäftigte. Das war ja auch zu mehr als 90 % richtig, denn sie hilft ihm ja auch im Haushalt.

Mit dem Einbau von Schnappverschlüssen handelsüblicher Kugelschreiber als Stants legte er seinen Kollegen in aller Welt eine bahnbrechende Neuerung vor. In den USA entwickelt sich diese Methode als tragfähige Alternative zu den noch vorherrschenden
By-Pass Operationen.

Längst stieß Dr. Crash bei seinen Eigen-OPs an logische Grenzen.
Bisher konnte er alles ohne Anästhesie erledigen.
Aber es ist sehr beschwerlich, bei komplizierten Herz-OPs anschließend wieder die Gefäße zu verbinden. Einmal kollabierte er bei einem solchen Eingriff und Elke musste den in Rufbereitschaft wartenden Dr. Sauer rufen. Rufbereitschaft hieß glücklicherweise: Elke rief durch die angelehnte Tür ins Nebenzimmer:“ Sauer komm schnell – Crash stirbt“
Seit diesem Tag und angesichts eines ziemlich lädierten und perforierten Brustkorbs forscht Dr. Crash ausschließlich auf medizintechnischem Gebiet.

Eine von ihm entwickelte neue Technologie der Substitution von traditionellen Herzklappen durch den Einsatz asiatischer Minifederbälle steht kurz vor der klinischen Erprobung.
Allein schon die Veröffentlichungen in der internationalen Fachpresse brachten ihm im vergangenen Jahr den Ehrendoktor der medizinischen Fakultät der Universität von Osaka ein.
Von der Übernahme des ihm angebotenen Lehrstuhls für experimentelle Medizintechnik in Tokio musste er aus privaten Gründen absehen. Seine ihm inzwischen sehr vertraute Elke von Oggersheim hat eine progressive Sushiallergie.
Sie wissen, damit ist nicht zu spaßen.

Dr. Crash schob den gerade durchgesehenen Poststoß an den Rand seines Schreibpults und diktierte seine unmissverständlichen Absagen aus dem Kopf mit fester Stimme rüber ins Sekretariat.

Er machte einige ruhige Schritte bis zur Terrassentür und blickte gedankenversunken aufs rauschende Meer. Wie er diesen Ausblick genoss.
Gerade der Meeresblick von seinem spanischen Sommersitz inspirierte ihn immer wieder.


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Texte: Alle Rechte für Text und Bilder liegen beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 23.01.2010

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