6. Kapitel
Wetterkapriolen
Brandl schnippte mit dem rechten Zeigefinger auf sein altmodisches Barometer.
Der bewegliche schwarze Zeiger wich kaum vom eingestellten Messingzeiger ab.
Beiden verharrten wie eingefroren auf VERÄNDERLICH.
Sonst konnte er sich immer auf den Regen verlassen, wenn er ihn brauchte.
Er blätterte im Weser-Kurier und beneidete die Werder Spieler um ihr Wetter im Trainingslager in Dubai.
Noch war die Weser nicht zugefroren aber die schrieben, dass das Streusalz zur Neige gehe. Er grinste als er die Meldung vom Rohrbruch in der Bismarckstraße las.
Im Stadtteil Hulsberg war deshalb die Bismarckstraße in beiden Richtungen gesperrt.
Solch einen Rohrbruch brauchte er heute von oben. Dann klappte es auch mit der Nachbarin. Er brauchte einfach Geduld. Wieder dachte er an seinen Vater und die vielen Schläge die sie miteinander zusammenschweißten. Letztlich lebte er nicht schlecht vom Erbe des Alten. Die Kohle würde wohl nie zu ende gehen.
Sein Gefühl sagte ihm, du musst heute den blauen Kadett nehmen.
Der hatte zwar kein Airbag, war aber durchaus wintertauglich.
Laut Tagesprognose lag die Regenwahrscheinlichkeit heute bei 80%. In den nächsten Tagen eher weniger. Was hinderte ihn eigentlich daran, heute mal den Aktionsraum zu verlassen? In 21/2 Stunden konnte er in Holland sein.
Beim letzten Gespräch mit Schottke hatte er den Eindruck, dass der sehr cool war und nicht so nervös wie vorher. Vielleicht gab es doch schon Hinweise auf ihn?
Die clevere russische Tanzmaus, die sich wie ein Aal aus seinem kurzen Griff wand, hatte doch noch dankbar und freundlich hinterher gewinkt. Die konnte ihm ja wohl nicht gefährlich werden?
Aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Der Autotausch war längst überfällig.
Er musste nur seinen blauen Opel aus dem Stall holen und zur Butterfahrt aufbrechen.
Zur gleichen Zeit hatte Ramsauer alle Kräfte gebündelt. Die Riesenmannschaft saß im Schulungsraum der Inspektion. Er stand wie ein Motivationsguru vor seinen Beamten.
Er genoss es, vor so vielen Leuten zu reden und schwor sie auf den abschließenden Zugriff ein. „Notfalls“ sagte er, „müsse man zum finalen Schuss greifen“.
Schottke räusperte sich in der letzten Reihe und sofort bedauerte Ramsauer seinen unerlaubten verbalen Vorgriff.
Schroff beendete er die Lage:
„Teamleiter Ford: alles o.k.?“
„Teamleiter Opel: noch Fragen?“
Beide Gruppenleiter signalisierten ihre uneingeschränkte Einsatzbereitschaft.
Der gute alte Opel brummte vor sichtlichem Vergnügen, dass er seinem Herrn zu Dienst sein konnte. Auf der Rückbank brummte noch einer vor Vergnügen – Terri.
Bei solchen langen geplanten Reisen, wie heute, durfte er immer mitfahren.
Er fuhr gerne Auto, bei jedem Wetter. Müde, wie er war, kuschelte er sich in Herrchens Wattejacke.
Bradl fuhr heute seltsam entspannt. Manchmal kam er sich wie ein gejagter Hund vor, obwohl er selbst der Jäger war.
Er sagte zu Terri: „ Wenn wir heute keine Regenprinzessin finden, dann darf es auch eine Eisprinzessin sein.“ Er lachte laut über seinen Witz und fügte leise hinzu:
„Dann wird vielleicht aus dem Bremer Regenmörder der Eismörder von Holland.“
Terri schien alles zu verstehen, er schaute sein Herrchen jedenfalls verständnisvoll an.
Vereinzelte Schneeflocken drückten sich auf der Windschutzscheibe zur Seite. Er verlangsamte die Geschwindigkeit. Er lockerte seinen Gurt, weil er ihn behinderte.
Bei diesem gefährlichen Wetter hatte er sogar Terri`s Geschirr auf dem Rücksitz ordnungsgemäß verankert.
Was Bradl nicht wissen konnte, er hatte Mithörer.
Ramsauer hatte beide Autos präparieren lassen. Er konnte jedes Wort der letzten beiden Stunden genau mithören. Jedes mal, wenn Bradl etwas zu Terri sagte, fühlte er sich auch angesprochen.
Ein „Führungsfahrzeug“ observierte den vermutlichen Weg des Opels und checkte die Straße nach potentiellen Opfern. Nichts durfte heute schief gehen. Auch die niederländischen Kollegen waren über seine Täterjagd informiert.
Plötzlich ging alles ganz schnell. Bradl fuhr rechts ran und sprach mit einer Frau, die links und rechts mit Einkaufsbeuteln beladen war.
Ramsauer verstand kaum ein Wort über die Innenmikros.
Erleichtert beobachtete er, dass die Frau den Kopf schüttelte.
Sie waren aber sehr dicht aufgefahren und hatten ebenfalls angehalten. Das sah auch
Bradl, der seinerseits jetzt das Tempo erhöhte.
Jetzt wurde es eine Jagd mit offenem Visier.
Ramsauer drückte seinen Mikroknopf und rief „Zugriff!“.
Der Opel ließ sich nicht nach rechts abdrängen. Er fuhr stur links und beschleunigte, was der Motor hergab.
Bei der nächsten Rechtskurve kam das Fahrzeug ins Schleudern. Es brach hinten aus, Bradl versuchte noch gegenzusteuern, prallte aber mit voller Wucht an einem Chausseebaum. Er bekam seine unglückliche Lage noch kurz mit, merkte, dass sein Oberkörper total eingeklemmt war. Aus Mund und Ohr tropfte Blut.
Er hörte noch den Hund winseln und verlor dann das Bewusstsein.
Wie zum Hohn begann es in diesem Augenblick zu regnen. Dicke kalte Tropfen trommelten eine Abschiedsmelodie auf die total zerstörte Karosse.
Schottke stieg aus dem zweiten Wagen nach Ramsauer aus, keiner sagte ein Wort.
Ein Beamter hielt den kleinen Yorkshireterrier in seinem Arm. Auf Schottkes fragenden Blick bemerkte er kurz: „der Hund scheint einen Schutzengel gehabt zu haben“.
Kommissar Schottke wechselte die Straßenseite und drückte Veras Nummer in sein Handy: „ Du, Vera, es ist alles aus. Der Regenmörder wird keiner Frau mehr ein Leid zufügen können.“ Nach zwei Sekunden die von Erleichterung geprägt waren, fragte er: „ was würdest du sagen, wenn ich mit einem kleinen Yorkshireterrier nach Hause käme?“
Tag der Veröffentlichung: 07.01.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
meinen treuen Lesern auf BookRix gewidmet, die mir in den letzten Tagen viel Zuspruch gegeben haben und die meinen Entschluß, auch mal einen Krimi zu versuchen, nachhaltig unterstützten.