Sparstrumpf
Wir plauderten heute unter ihrer Palme. Ich streckte die Beine wohlig aus und genoss die wärmende Sonne. Ihr Blick glitt hinab zu meinen Schuhen, ihre Augen signalisierten Erschrecken. Sie realisierte langsam: Ich trug zwei unterschiedliche Socken. Einer davon aus ihrer Produktion (2005) der andere eine profane Marktsocke. Sie lächelte und bot mir ihre Strickhilfe an. Früher grinste ich auch hinter vorgehaltener Hand, wenn ein "zerstreuter Professor" zwei unterschiedliche Socken trug. Heute kenne ich den tiefen Sinn solcher Demonstration. Die Socken an sich sind friedliche Geschöpfe. Insbesondere solche, die keinen Fesselgummi in sich tragen - also handgearbeitete. Die Geschichte der Socken geht auf den Erfinder des Fußlappens zurück. Der russische Textilingenieur Anatoli Sockolowski aus dem heutigen Workuta meldete bereits im 14. Jahrhundert im Pariser Patentamt sein erstes Fußlappenpatent an. Von da an war es nur noch ein kurzer Schritt über die Glühstrümpfe in den Gaslaternen bis zu den hochmodernen Kompressionsstrümpfen mittelloser Banker. Ich sehe es einfach nicht ein, nur weil ein Strumpf defekt ist, beide zu entsorgen. Schließlich sind die so genannten Single-Socken auch nur Strümpfe wie du und ich und haben Anspruch auf Gemeinsamkeit. Johnnycrash (2009)
Puller Roid
Anekdote zum Thema Begegnung.
Als ich Puller das erste Mal traf, hatte sie einen unförmigen Kasten vor sich und sagte:"Halt mal still!" Sie hantierte am Kasten und sagte beiläufig zu mir: "Nun musste Geduld haben - dann erlebst du ein Wunder." Dann stellte sie sich vor:"Puller Roid" Ich sagte:"Ich suche gar keinen Anschluss, wir übernehmen nur gerade Trinkwasser an Bord." Puller ließ nicht locker und blieb neben mir stehen. Nach 5 Minuten, ich hatte gerade meine Selbstgedrehte beendet und blickte die Mole entlang zu meinem Kahn, hatte Puller ein sepiafarbenes Bild in der Hand und präsentierte es mir stolz. "Puller Roid" sagte sie nochmals. Da merkte ich, sie war stolz auf den Kasten und wollte mich an ihrer Freude teilhaben lassen. Wir schrieben uns noch bis in meine ersten Ehejahre. Schnell erfuhr ich natürlich ihren richtigen Namen. Doch für mich blieb sie die liebenswerte und stolze Puller aus einer norddeutschen Hafenstadt. Johnnycrash (2009)
Bioleks Malventee
Kurzprosa zum Thema Sucht
Er sieht dem Biolek zum Verwechseln ähnlich.
Jeder hier nennt ihn deshalb nur Alfred. Irgendwie ist er ein cooler Typ. Gestern sagte er zum Neffen der Wirtin:"Dir steht die Welt offen- mir nur die Hose" dann wandte er sich unvermittelt wieder seinem Malventee zu. Den bestellte er im 15-Minutentakt.
Mit seinen stumpfen Augen starrte er auf den Spielautomaten vor sich und klopfte mit dem Nikotinzeigefinger irgendeinen Takt gegen die Frontscheibe des Slots.
Auf dem Daddelautomaten vibrierte leicht das
frische Glas Glühwein. Er bestellte immer Malventee und trank eimerweise Glühwein.
Johnnycrash (2009)
Literatur und Marzipan
Beschreibung zum Thema Literatur
Heute stöberte ich wieder einmal in unserem Gästezimmer.
Nein, nicht was Sie denken, wir haben gar kein Gästezimmer. Was ursprünglich einmal als solches gedacht war, wird von einem alten Schreibsekretär und einer langen offenen Buchwand dominiert.Systematische Ordnung und chaotische Unordnung sind zu gleichen Teilen vertreten. Eigentlich suchte ich ein Versteck für
ein kleines Weihnachtsgeschenk fand dafür zunächst
Luise Rinser "Septembertag" ein bemerkenswertes Fischer-Taschenbuch. Na ja, ich lese mich fest und überlege, was hast du denn eigentlich gesucht?
Aus Platzgründen sind in dieser "Bibliothek" die meisten Buchreihen doppelt gestellt. Das erhöht die Kapazität, es erschwert aber auch die Übersichtlichkeit.
Ich entnahm einen halben Meter einer ersten Buchreihe.
In meinen Blickpunkt geriet etwas Freiraum für mein Weihnachtsgeschenk - Hurra! Aber was war das? In dieser Lücke lag schon etwas in rosa Papier gewickelt.
Es war ein Marzipanbrot, das ich dort vor exakt 10 Jahren versteckt hatte. (eingedrucktes Verbrauchsdatum 05/99)
Nun bin ich unsicher, ob ich es überhaupt auswickeln soll.
Gibt es hinter den vorderen Buchreihen noch weitere grausige Funde?
Was meint der werte Marzipanleser?
Johnnycrash (2009)
Nach der Rasur ist vor der Rasur
Short Story zum Thema Frauen/ Männer
Kaum ein Thema kann eine Beziehung so nachhaltig erschüttern, wie das ständige Anmahnen einer frischen Rasur. Da geht den Frauen jegliches Verständnis der männlichen Psyche ab.
Wer weiß von diesen hormongesteuerten Wesen einfachste physikalische Zusammenhänge mit der Rasur zu verbinden? Natürlich verbietet sich die Trockenrasur
bei hoher Luftfeuchte. Die Behandlung weiblicher Waden
hat ja nun wirklich gar nichts mit der Pflege von stoppligen
männlichen Kinnladen zu tun.
Ein entspanntes Männergesicht kann durch Schreckfalten
auf Dauer entstellt werden, wenn es fortwährend ermahnt wird, sich endlich zu rasieren.
Ich will nicht verhehlen, dass es auch einen Wohlfühlfaktor gibt, wenn alles erledigt ist und das teure after shave die Haut beruhigt.
Aber, wie gesagt, nach der Rasur ist vor der Rasur.
Johnnycrash (2009)
Tag der Veröffentlichung: 07.03.2009
Alle Rechte vorbehalten