Eingang
Unter den Bögen unserer Trauer
blieben wir nicht.
Zitternden Sinnes geh’n wir voran.
Und dann und wann
hält uns ein Lächeln, ein Kind, ein Gedicht.
Doch nirgends ist Dauer.
Vision des sechsten Tages – Armaggedon
Traumgesichtig wandert er
die Nacht herauf.
Stößt an die Schwelle und wacht auf.
Über ihm und unter ihm
ein schwarzes Meer.
Und nirgends eine Stelle,
daran ihn etwas hält.
Da bäumt er sich,
der Schweißdurchtränkte,
sieht Fallende, sieht frisch Gehenkte
und überall ein dunkles Firmament.
Und über tausend Leichen
wird etwas aufgestellt:
Ein Flammenschwert,
daran das All entbrennt.
Und unter ihm und über ihm
ein Flammenmeer -
kein Firmament
und keine Stelle mehr
daran ihn etwas hält:
Zuunterst wird das Oberste gekehrt.
Er sieht und hört den Seraphim:
„Nur einen Tag noch hat die Welt.“
Gespenster
Heimkehr nach Jahren.
Rückkehr ins Haus.
Im toten Spiegel ein bleiches Gesicht.
Darüber ein Kranz
von grauen Haaren.
Nichts ist mehr ganz.
Alles ist aus.
Und keine Lampe ist da und kein Licht.
Hör doch: die alten Stimmen fahren
Aus dem erloschenen Glanz.
Angst
Unerwartet trüber Tage
graues Angstgehänge
lastet schwer auf uns als Klage.
Es ist, als ob das Dunkel sänge.
Die Einsamkeit vollendet sich
und Traurigkeit nimmt ihren Lauf.
Etwas seufzt: Ich.
Woanders: Du.
Und einer hört zu leben auf,
schließt müd’ die Augen zu.
Herbst und ein Abschluss
Jemand schiebt wo einen Riegel vor…
Hinter dem Haus verfallen die Lauben.
Langsam löst sich der Putz.
Müde hocken die grauen Tauben
auf dem Gesimse wie Schmutz.
Ein schwarzer Wagen fährt lautlos vor.
Die Tauben verlassen alle das Haus
und fliegen zum Dach gegenüber.
Man trägt einen alten Mann heraus
und schlägt eine Decke darüber.
Herbst-Anfang
Nach langen Regentagen
folgt nun des Sommers Schlussakkord.
Der Himmel lichtet sich
und öffnet seine Farbentiegel.
Ein Zittern geht durch das Geäst
(so wie von dunklen Fragen),
und in den Büschen seufzt der Igel.
In dünnen Mänteln schlurfen Greise
durch fallende Alleen.
In ihren Augen flackert leise
ein letztes Sonnenspiel.
Ein kühler Wind setzt sich auf ihre Lungen –
sie haben viel geseh’n
und tragen schwer an den Erinnerungen.
Eden am Morgen
Verschwommen stieg der Tag
aus allen Horizonten,
von dunklen Träumen leicht durchmischt.
Und ein Gefühl wie von Verlust,
von etwas Großem - kaum besessen -
das niemals wiederkommt,
wuchs in uns auf.
Wir gingen allen Spuren nach
so gut wir konnten:
Sie waren längst verwischt.
Und ein Gefühl von Größe,
von etwas, das man nie verliert,
wuchs in uns auf.
Ein Ahnen um unsere Blöße:
Ein Schmuck, der seltsam ziert.
Herbst
Duftbunter Regen
auf liegengelassenen Wegen.
Schwärende Einsamkeit,
so groß und so weit.
Hängende Horizonte,
farbvollgedrängt.
Gelöste Welt:
Nicht mehr auf sich beschränkt.
Ikarus-Weisheit
Deine Gedanken zittern im Hirn,
zittern wie Luft um Gletscherfirn.
Klirrende Klarheit:
Kühnheit aus Eis –
Bleib lieber unten: Die Sonne ist heiß.
Gleichnis
Wäre meine Seele
ein Alabasterkrug,
der von deinen Schritten
erbebt
und dann zu Boden fällt:
Sag mir, womit soll ich ihn kitten?
Wäre es denn genug,
die Scherben aufzulesen
und dann zu tun,
als wäre nichts gewesen?
So schleiche leiser
wenn du kommst
und lass mich weiter ruh’n
auf meiner stillen Stele.
Auf-Gabe
Meine schweren Gedanken
tasten nach jener Nacht,
tasten im Dunkel
nach dir.
Sie sollen nicht auf dir lasten.
Ich will sie unter meinen nassen
Liedern
(schwer genug)
noch einmal zusammenfassen
mit unsern Liedern
und dann im Wind
oder in den Gefiedern
trauriger Vogel
im Flug
verwehen lassen.
Kafka
Gibt es noch Nächte?
Man wird immer weiter geh’n,
Landarzt und Pferdeknechte
niemals versteh’n.
Niemand findet den Kern.
Man wird an ihm suchend zerschellen.
Blickt in den Himmel ohne Stern,
stirbt, wenn im Hofe die Hunde bellen.
In diesen Tagen
Maienlaub
und frisch geschlagene Birken
Blütenstaub
auf deinen Lippen schmeckst du
vergissmeinnichtblau und azur
den Himmel über uns:
leicht und schwer,
ein riesiger Doppelsinn.
Siehe: wir wirken.
Wir gehen hin.
Wandern als Schattenstrich
über die Sonnenuhr.
Und Wünsche, Wünsche
heben sich
wie taumelnde Schmetterlinge
suchend nach Schatten
(die wir sind)
über die Dinge.
Lassen sich nieder
mit zitternden Flügeln,
steigen wieder,
und steigend meinen sie
dich und mich
als wir uns hatten
auf jenen Hügeln
gestundeten Glücks.
Austern essen
Deine Finger strichen nur kurz
über die schartige Schale
das Austernmesser mit kurzem Blatt
hast du angesetzt
in der winzigen Furche am Rand
Die Schalen auseinander-
gebrochen
mit leichter Hand
kennerhaft am zarten blassen
empfindlichen Fleisch gerochen
ob es auch gut ist.
Die Seele von Wind und von Meer....
Zitrone? Nein danke!
Gourmets genießen die Auster pur.
Und mit der Zunge langst du
mitten hinein ins salzige weiche Gekröse.
Schlürfend, weil es sich so bei Austern gehört,
saugst du das Herz und das andere
in deinen Mund.
Im unerbittlichen Blau
des Himmels über dem Hafen
kreisen und kreischen die Möwen.
Bis auf die weißen, inneren Wände
vollkommen ausgelutscht
wiegst du einen Moment lang die leeren Schalen
in deiner Hand --
Dann wirfst du sie
„Ach, das war gut“ auf den Lippen
achtlos zu Boden.
Unter den Tritten derer, die nach dir kamen
zerbrachen
die Hälften der schartigen Schalen alsbald.
Wie gut nur, dass du nicht mit mir
Austern essen gegangen bist.
Unsere Johannisbeeren
Ich mochte nie Johannisbeeren
bis du in meinen Garten kamst
und pflücktest diese kleinen Früchte.
Du fragtest mich, ob ich wohl welche möchte –
Ich sagte Nein, und dass sie mir zu sauer wären.
Du streutest Zucker drauf.
Und als du fort warst, leckte ich
die Süße aus der Schüssel auf,
und meine Zunge zittert noch…
Seit dem mag ich Johannisbeeren,
doch noch mehr mag ich dich.
Du weißt es doch…
Unser Kranz
Ich möchte einen Kranz aus frischen Zweigen mit dir flechten,
der hängt dann an der Tür zu unserm Haus.
Er hängt dort an den guten Tagen wie den schlechten -
und unser beider Herz ist unser Haus.
Und unser Kranz bleibt immer frisch und grün,
wenn wir die Tür zu unserm Haus stets offen halten.
Und auch, wenn wir verschied'ne Wege geh’n:
Der Kranz wird dich und mich zusammenhalten.
Holpriges Poem in old-fashioned manner, auch:
LUX DE PROFUNDIS ANIMAE MEA
Aus wolkenlosem Himmel fällt
Wie durch Magie
Der Tau auf dürres Land
Ich ahne, wer dies Wunder macht
Und sehe dich, ganz hell und klar
Nicht Zerrbild und nicht Fantasie
Du reichst mir deine Hand
Ich hoffte nie
Dass ich dich fand
Inmitten dieser Wüstenwelt
Du hast mich aus dem kargen Ort
Aus meiner tiefen Nacht
Mit engelsgleicher Energie
Und Macht hinausgestellt
Mit Deinem Zauberwort
Ganz nah ans Licht gebracht
Und mir das dunkle Herz erhellt
Nicht Zerrbild und nicht Fantasie
Du bist mein Himmel, hell und klar
Von Wolken unverstellt
Ich reich dir meine Hand
Dein Maß
Kein Engel
an den sich mein Geist
im Flug heften kann
ist höher als du.
Ich feiere nicht
die Rückkehr der Engel
und ihren gehobenen Einklang.
Lass mich die tosende Flut
unserer Töne feiern
die in mir als Frucht
von dir reiften.
Ich feiere dich.
Mein Herz ist in dir verwoben.
mein Geist versammelt um dich
die Welt.
Schlussstück
Vieles blieb ungesagt.
Ich suche dich in meinen Rätselträumen.
An schwarzen, winterkahlen Krähenbäumen
bleibe ich lauschend steh’n.
Doch vielleicht siehst du, wie mein Fragen
hinein in deine fernen Räume ragt.
Ich will zu leben nicht versäumen.
Will wach sein, wenn es wieder tagt.
Will meine fremden Wege weitergeh’n
und einmal auch hinein in deine Räume.
Wenn wir uns wiederseh’n.
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(geschrieben 1984 – 2009) copyright: Rainer Bendt
Tag der Veröffentlichung: 17.02.2009
Alle Rechte vorbehalten