Viele Geschichten werden oft von Generation zu Gener- ation weitergegeben. Sie verändern ihre Gestalt und ha- ben manchmal nur sehr wenig mit der Wahrheit gemein. So ist diese Geschichte nicht, denn diese Erzählung wurde schon immer geheim gehalten und selbst wenn sie erzählt wurde, hat niemand dem Erzähler ein Wort geglaubt. Sie wurde für gefährlich gehalten und der Protagonist selbst wollte, dass diese Geschichte aus seinem Leben, ja aus der ganzen Welt verschwindet. Lasst mich euch diese Ge- schichte erzählen, damit ihr euch selbst eine Meinung darüber bilden könnt:
Die Geschichte erzählt von einem Mann namens Mathis, der nach den napoleonischen Kriegen gelebt haben soll. Damals war er sehr verliebt in Constantia, eine junge Maid aus seinem Dorf und er hatte vor sie zu heiraten. Er war sehr eifrig in seiner Umwerbung und schließlich gab sie nach und willigte ein. Es war eine große und schöne Hochzeit am Achtundzwanzigsten des Monats Oktober und da Mathis der Sohn eines Großgrundbesitzers war, wurde bei nichts gespart. Alles war gut und jeder war glücklich. Doch das Glück währte nicht lange. Nach fast zehn Monaten Ehe, es war August, sah Constantia ein, dass sie mit der Heirat die falsche Entscheidung getroffen hatte, denn sie verliebte sich in einen Arbeiter auf ihrem Gut, das beide nun besaßen. Er war das komplette Gegenteil zu Mathis, und vielleicht machte das gerade seinen Reiz aus. Zwar schwärmte sie zuerst nur und ihr Ehrgefühl hielt sie zurück, doch aus Schwärmerei wurde Liebe und aus Liebe Sünde. Jedes Mal, wenn ihr Mann ausritt, um auf seinen Ländereien nach dem Rechten zu sehen, ließ Constantia den Arbeiter zu sich rufen und sich von ihm verwöhnen. Sie hatte alles gut arrangiert, so dass Mathis davon nichts mitbekam und die Jahre verstrichen.
Jedoch gibt es Situationen, welche die tiefe Liebe und das größte Glück ins Gegenteil umschlagen lassen können und das Leben der Betroffenen zutiefst verändern. Nie geschehen solche Dinge auf dieselbe Weise und diesmal passierte solche eine Schicksalswendung Mathis.
Er schlenderte den Gang seines weitläufigen Hauses entlang, da er früher als sonst seine Arbeiten erledigt hatte, als er seine Frau mit einer Freundin reden hörte. Er wollte sie nicht stören und setzte sich ins Nebenzimmer an seinen mit Papieren zugestapelten Arbeitstisch um seine Rechnungsbücher auf den neuesten Stand zu bringen, jedoch erreichten die gesprochenen Worte seiner Frau dennoch seine Ohren. Hätte er an diesem Tag noch seinen Vater besucht oder hätte er noch Nachgesehen, wie es mit der neuen Scheune voran ging, wäre nichts von dem Nachfolgenden geschehen. Vielleicht hätte er irgendwann herausgefunden, dass seine Frau ihm Hörner aufsetzte und hätte sie dann einfach verlassen oder er hätte nie davon erfahren und wäre glücklich mit ihr bis an sein Lebensende geblieben; doch das Schicksal hatte ganz andere Pläne.
So saß er also im Nebenzimmer und hörte nebenbei seine Frau reden: „Er sieht so gut aus“ – Mathis grinste, da er dachte, sie rede über ihn – „aber nichts geht über seine Qualitäten in bestimmten Bereichen, wenn du weißt was ich meine.“ Constantia und ihre Freundin lachten. Mathis grinste noch breiter; zum letzten Mal an diesem Tag. „Zuerst dachte ich ja,“ fuhr seine Frau fort, „dass Mathis es herausfinden könnte, aber er ist ja meist zu beschäftigt um überhaupt mit mir zu reden“ - Mathis hörte auf zu schreiben – „wie sollte er dann herausfinden“ – Mathis wurde rot vor Zorn. Er hatte verstanden – „was ich seit Jahren mache“ – zitternd vor Wut stand er auf – „wenn er ausreitet“- noch beherrscht langsam verließ er sein Zimmer – „Naja, Mathis kann im Bett einfach nicht mithalten mit meinem kleinen… Oh. Mathis!”
Er stand im Zimmer, sah Constantia an und seine Wut war verraucht. Er war nicht mehr wütend. Er war aber auch nicht traurig. Er war nicht gekränkt. Er war nicht verletzt. Mathis war zerstört. Sein Herz war gebrochen und das vielleicht auf ewig. In diesem Moment hatte er sich und damit sein Leben und sein Schicksal verändert. Nein, nicht verändert, es war gekommen, wie es sein musste. Er war mit einem Mal der geworden, der er für das kommende sein musste.
„Raus mit dir.“, sagte er ganz ruhig, fast schon geflüstert. Eine einzelne Träne floss ihm die Wange hinab. „Ich will dich nie wieder sehen. Und jetzt verschwinde.“ Maeva schaute ihn mit offenem Mund an, wollte eine Entschul- digung flüstern, dass sie ihm alles erklären könne, doch Mathis war schon zur Tür hinaus und auf sein Pferd gesprungen. Schnell peitschte er sein Pferd an. Aus einem Tropfen wurde ein Strom und der Strom verwandelte sich in Schuldzuweisungen. „Ich bin zu schlecht, ich wusste es, ach wäre ich nur besser gewesen, wieso musste das passieren, war ich wirklich so schlecht, ach, wieso nur, was habe ich getan, warum hat sie das getan, ich war zu schlecht, er war besser, nur deswegen hat sie mich verlassen, ich war zu schlecht, wäre ich doch nur besser gewesen, warum nur war ich so schlecht…“
Klagend ritt er, bis die Sonne rot wurde und unterging, weinend ritt er, bis es Nacht wurde. Er fegte über das Land, bis sein Pferd nicht mehr laufen konnte und er völlig verwirrt vor einem Haus abstieg, um zu rasten. Jedes Haus hätte er nehmen können, einen Kilometer zuvor im schönen Rasthof „Zum weißen Hirschen“ einkehren oder sich unter einen Baum legen und dort schlafen. Doch aus irgendeinem Grund hielt er aber genau vor diesem Haus, indem nur eine alte Frau und ihr schwarzer Kater lebten. Eine Frau, der nachgesagt wurde, sie sei eine Hexe.
Doch er konnte kaum drei Schritte gehen, da versagt ihm der Körper seinen Dienst und er viel in den Staub. Die Tür des Hauses ging auf und heraus trat eine alte Frau mit Warzen im Gesicht und einem scheußlichen Buckel. Ihr Gesicht war furchtbar unförmig und da, wo ihr rechtes Auge hätte sein sollen, blickte ein grünes Glasauge finster und unheimlich aus der Augenhöhle. Kraftlos lag Mathis im Dreck und seine Tränen begannen die Erde zu tränken, als sich die Alte näherte. Sie sah in weinen und schluchzen, da krächzte sie und versuchte dabei liebenswürdig und mitfühlend zu klingen: „Oh junger Mann, was hat man dir angetan, dass du so verzweifelst weinst? Komm in mein Haus und ruh dich erst einmal aus. Ich kann dir die Zukunft voraussagen, wenn du willst.“
„Ich habe keine Zukunft“, Mathis konnte nur noch flüstern, „und jetzt lass mich sterben.“
„Papperlapapp, heute wird sich nicht gestorben! Du kommst herein, keine Widerrede jetzt!“, erwiderte die Alte und wischte jeden Versuch von Mathis, zum reden zu kommen einfach mit der Hand weg. „Aufstehen musst du schon selbst, da kann ich dir nicht helfen, na los jetzt!“
Sie scheuchte ihn beinahe schon zum Haus, sodass er in diesem Moment seinen Kummer vergaß und gehorchte. Mit einer Geste bedeutete die Alte Mathis, dass er sich auf die hölzerne Bank setzen sollte. Nachdem er auch das getan hatte, hing sie ohne ein weiteres Wort zu verlieren eine Kanne über das Feuer, das angestrengt vom Kamin aus gegen die Dunkelheit ankämpfte. Dann setzte sie sich Mathis gegenüber und musterte ihn still. Schließlich stellte sie nüchtern fest: „Du bist traurig.“
„Was auch nicht schwer zu erraten war.“, erwiderte Mathis nicht ganz ohne Hohn.
„Erzähl es mir, ich bin eine alte Frau und habe nicht viel Unterhaltung. Ausgesprochen lastet der Kummer nur noch halb so auf dir, glaub mir.“
„Und warum sollte ich ausgerechnet dir meine Leidensgeschichte erzählen? Ich kenne dich nicht und wüsste nicht was dich das anginge!“
„Ich sehe dein Leid und sehe wie er dich auffressen wird. Lass mich dir helfen. Ich bin alt und habe mit solchen Dingen, die auf deiner Seele lasten, viel Erfahrung. Oft kommen junge Damen eines jeden Standes zu mir und holen meinen Rat. Sie bieten mir Gold und Silber. Dir gebe ich ihn umsonst, einfach aus reiner Christlichkeit. Man soll doch nicht behaupten ich sei eine Hexe!“, sagte sie und lachte dunkel.
„Na gut, was kann es mir schon schaden? Es wusste wahrscheinlich eh schon jeder Bescheid.“, dachte Mathis laut vor sich hin und fing schließlich an zu erzählen: „Es gibt eigentlich nicht viel zu sagen. Meine Frau, die ich über alles zu lieben glaubte hat mich jahrelang mit einem unserer Arbeiter betrogen, ja verraten hat sie mich. Nur weil ich so schlecht war… Mein ganzes Leben, alle meine Gefühle waren auf einer Lüge aufgebaut. Was soll ich nun noch hier?“
„Du hast keinen Grund zur Sorge. Ich kann dir helfen. Ich kann deinen Schmerz lindern, ihn sogar ganz verjagen. Lass mich dir ein Geheimnis verraten: Die Leute haben Recht, ich bin eine Hexe. Nein, nein, keine Angst, ich werde dir nichts tun, ganz im Gegenteil, ich werde dir helfen. Auch mich hat man einst betrogen. Ich stammte einst aus adligem Hause. Du glaubst mir nicht? Musst du auch nicht, ich weiß wie ich nun aussehe, zu was man mich gemacht hat. Sie haben mich verstoßen, nur weil ich keine Kinder kriegen konnte, sagten sie. Wie auch, wenn mein Mann mich nie anrührte? Lieber nahm er dieses junge Ding. Jeden Tag war sie bei ihm. Und ich, ich schlief allein. Lass mich dir helfen. Du sollst nicht in Selbstmitleid versinken wie ich. Ich möchte dir etwas schenken, nur eine Bedingung habe ich: Nachdem ich es dir geschenkt habe, hast du keinerlei Ansprüche an meine Kinder oder an mich. Nimmst du an?“
„Sag mir erst was du mir schenken willst! Und warum sollte ich Ansprüche an dich oder deine Kinder stellen? Und warum tust du das?“
„Du gefällst mir, Mathis. Und ja ich weiß deinen Namen auch wenn du ihn mir nicht gesagt hast. Ich sagte doch ich bin eine Hexe und deswegen sollst du keine Anspräche an mich haben. Ich möchte dir nur eine Gabe vermachen. Eine einzigartige Gabe. Nie wieder sollst du denken, dass du schlecht bist. Du sollst der beste Liebhaber werden, den die Welt je gesehen hat und es auch immer blieben. Schläfst du mit einer Frau, wird sie süchtig nach dir werden und nicht wenige werden sich in dich verlieben.“
„Ist das ein Scherz?“, fragte Mathis ungläubig. „Meinst du das ernst? Wo ist der Haken?“
„Wenn du mit einer Frau schläfst, wird sie dir ihre Lebenskraft übertragen.“, behauptete die Hexe. „Wie viel kann ich dir nicht sagen, das wird von Mal zu Mal unterschiedlich sein. Sie wird altern. Einen Tag, eine Woche oder ein Jahr. Und du wirst jung bleiben. So lange du willst.“
„Was? Wie kannst du, das ist doch unmenschlich! Machst du mich zum Vampir, der armen Mädchen das Blut aussaugt? Geh weg von mir!“, schrie Mathis durch die Hütte und wich von der Hexe zurück.
„Halt, Mathis, beruhige dich!“, versuchte die Hexe Mathis zu beruhigen. „Keineswegs will ich dich zum Vampir machen, das könnte ich auch gar nicht, weil es sie nicht gibt! Hör zu, du musst nicht jetzt entscheiden. Leg dich schlafen, überdenke alles. Wenn du eingeschlafen bist, wird dich irgendwann eine junge Maid wecken und dich fragen, wer zu so später Stunde schläft. Willst du die Gabe, so antworte, dass Dämonen und Engel nicht schlafen. Schlaf dann mit ihr und wenn du am nächsten Tag aufwachst, wirst du die Gabe haben. Was du damit anfängst, liegt ganz bei dir.“
„Aber…“, wollte Mathis erwidern, aber plötzlich wurde sein Körper schwer und seine Augenlider senkten sich. Die Hexe musste etwas in seinen Tee getan haben.
Texte: © Johann L. M. Scheck
Alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung: 30.12.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für die Achtundzwanzig