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Delphine


Meine Mutter wurde an einem der heißesten Tage des Jahres mit starken Wehen ins Krankenhaus gebracht. Die Sonne brannte seit Stunden gnadenlos auf die Erde, und trotzdem liefen Horden grölender Männer an den Fenstern der Gynäkologie vorbei und sangen: „So ein Tag, so wunderschön wie heute.“ Nein, die Freude galt nicht meiner bevorstehenden Geburt sondern den Spielern von Eintracht Frankfurt, die gerade Deutscher Fußballmeister geworden waren. Ich reagierte eingeschnappt, verschob meinen ersten Auftritt unter der Sonne um zwei Wochen und hatte zeitlebens mit der Eintracht nichts mehr am Hut.


Der Tag, von dem ich hier erzählen möchte, notierte ziemlich genau 35 Jahre später und war noch heißer. Ich hatte Sandra ein paar Wochen zuvor auf meiner Dienststelle kennengelernt und zeigte ihr meine Welt, in der ich gerne Leben würde. Das war Portugal, Setúbal und die Halbinsel Troia, auf der wir den Tag am Strand verbringen wollten. Ich war verloren in Sandra. So benommen und verliebt, dass ich trotz 15 Ehejahren und drei Kindern ein Familienparadies und meine erste Frau verließ, und rund 2600 km von zuhause entfernt auf der Halbinsel Troia mit der Kollegin ein neues Leben begann.


„Mit einem bisschen Glück sehen wir heute Delphine im Meer“, versprach ich Sandra. Ich selbst hatte zwar dort noch keine gesehen, aber meine portugiesischen Freunde erzählten immer wieder von den Schulen, die auf ihrem Weg in den Süden häufig die Strandbesucher mit ihrem Spiel erfreuten.


„Ich liebe Delphine“, schwärmte Sandra.


„Und ich liebe dich!“ antwortete ich. Wir waren gut ausgerüstet für den Tag. Eine große Decke, auf der wir beide genug Platz hatten, einen großen Sonnenschirm, die Kühltasche gefüllt mit Wasser, Säften, Sekt und Wein aus dem Alentejo. Im Fährhafen hatten wir uns zwei gekochte Krabben sowie zwei Steine zum Zerschlagen der Schale aus einer Parkanlage mitgenommen. Brot, Oliven, getrocknete Tomaten. Es war schließlich unser erster gemeinsamer Tag am Strand.


Das Auto ließ ich einfach an der Straße stehen, an einer Stelle, wo uns nur 200m vom Meer trennten. Wir liefen barfüßig über die Sanddünen, die uns vom Meer trennten. Der Boden glühte so heiß unter unseren Füßen, dass wir nach ein paar hastigen Schritten immer wieder die Decke auf die Erde warfen, uns darauf stellten, um nicht zu verbrennen. Und während jedes Stopps küssten und liebkosten wir uns; denn wir waren wie die Kinder so glücklich und unbefangen.


Der Strand entschädigte für alles. Weit und breit waren nur sanfte Wellen und die Dünen zu sehen. Im Süden war in weiter Entfernung eine Silhouette zu erkennen, ein Angler. Ansonsten war dieses Urlaubsparadies menschenleer. Wir hatten zwar Badebekleidung eingepackt, doch wir brauchten sie nicht. Es herrschte Ebbe und das herrlich erfrischende Wasser spiegelte die Sonne tausendfach und silbrig wieder. Wir aßen und tranken, wir liebten uns, und wir sahen die Delphine. Ich fotografierte Sandra in jeder Position und bei jedem Schritt. Und wir aßen wieder etwas, liebten uns aufs Neue und waren nur füreinander geschaffen und bestimmt. Es war der perfekte Tag. Die Flut kam, und mit dem Wasser die rauschenden Wellen. Ein neuer Höhepunkt, schöner und intensiver als die vielen zuvor, und so innig und ineinander verwoben, dass wir nicht einmal den Angler bemerkten, der bis auf wenige Meter an unseren Platz heran gekommen war. Dann wendeten die Spuren im Sand, die er zurück gelassen hatte.


Wir lachten über das Malheur. Lachten jahrelang darüber, und freuten uns mit unserem Lachen über diesen geilsten Tag unseres Lebens am Strand von Troia. Sandra sammelte kleine Delphinfiguren, die sie auf unserem Kamin aufstellte, und die uns täglich erinnerten, wann und wo wir zum ersten Mal solche vollendete Erfüllung und Ausgelassenheit erlebt hatten. Allein der Gedanke daran löste noch jahrelang neues Verlangen aus. Ich versprach ihr, sie zu Tode zu vögeln, und ich gab mir alle Mühe. Wir heirateten, und wir liebten uns innig. 15 Jahre sind seitdem vergangen. Ich glaubte wahrhaftig, dass unser Glück unvergänglich wäre. Und es dauerte nur einen Wimpernschlag, bis auch dieses Paradies verging.


Alles wiederholt sich auf so schreckliche Weise. Er ist ein Fan von Eintracht Frankfurt. Und als Sandra vor wenigen Wochen nebenbei zum ersten Mal von dem neuen Arbeitskollegen erzählte, streichelte sie einen der Delphine und sagte mit dem gewissen Lächeln: „Er ist ein bisschen so, wie du früher warst“.

Impressum

Texte: Alle Rechte beim Autor.
Bildmaterialien: Eigenes Foto
Tag der Veröffentlichung: 13.03.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich weiß, dass man "Delpfine" auch mit einem "f" schreiben kann. Ja, ich weiß es ...

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