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Deutsch?

„Entweder du bist ein Einbrecher, oder du bist Bogdan, der neue Mieter!“ scherze ich bei unserer ersten Begegnung im Flur des Sharematehouses, in dem ich seit einiger Zeit im Londoner Osten lebe.
„Bogdan“, bestätigt der ca. 25jährige Pole, der vor ein paar Tagen hier in das frei gewordene Zimmer im Erdgeschoss eingezogen war. Mein Landlord hatte mich per Email vom Mieterwechsel informiert. „Ich komme aus Polen.“
„Ah, dann sprichst du ja deutsch!“ unterstelle ich frech.
„Nur ein bisschen“, sagt er auf Deutsch.“ Mein Vater war Deutscher. Aber er ist … away ---, seit ich fünf war.“ Bogdan spricht wieder auf Englisch weiter. „Deutschland ist ein schönes Land. So sauber. Und so reich.“ Er schaut mich studierend an und fragt: „Warum bist du in London?“
Ich weiß, worauf er hinaus will. „Ja, Deutschland ist ein schönes Land. Aber die Deutschen sind … Scheiße!“
„Du bist Deutscher!“ stellt er fest.
„Nein, ich bin kein Deutscher!“ behaupte ich.
„Der Landlord sagte, du bist ein Deutscher“.
„Ich habe einen deutschen Pass. Aber ich bin kein Deutscher, wenigstens will ich keiner mehr sein. Die Deutschen sind …“, mir fällt kein besseres Wort ein "… Scheiße“.
„Du hast Kinder!“ Mein Gott, was hat der Landlord dem Polen alles erzählt. „Sie sind auch Deutsche!“
„Scheiße!“, sage ich zum dritten Mal lachend.
„Deine Kinder?“
„Nein, meine Argumente.“
„Wenn ich könnte, würde ich gerne in Deutschland leben.“ Bogdan sagt dies sehr zart und sehnlich. Ohne jeden Zweifel glaube ich ihm und spüre, dass dies nicht nur so ein höflicher Spruch, sondern ein Herzenswunsch ist. Ach ja, sein Vater war ja ein Deutscher.
„Wenn ich könnte, würde ich auch gerne in Deutschland leben.“ Meine ich was ich sage, oder sage ich das nur aus Höflichkeit. Auf jeden Fall klinge ich genau so melancholisch.
„Aber du bist doch Deutscher!“
„Nein, ich bin kein Deutscher mehr. Ich schäme mich sogar, einer gewesen zu sein.“


***


Die Frau in der Schlange vor mir gefiel mir auf der ersten Blick. Spanierin, oder Südamerikanerin. Braune Hautfarbe. Schwarze lange Haare. Schlank. Einen Tick zu groß für meinen Geschmack, aber das können auch die hochhackigen Schuhe gewesen sein. Ja, es sind die Schuhe gewesen. Alles ist perfekt.

Ich genoss es, in ihrer Nähe zu sein und ihren Duft zu riechen. Unsere Blicke trafen sich. Ich lächelte sie an. Sie lächelte zurück. Es ging ein paar Schritte weiter in der langen Schlange vor dem Ryanair-Schalter am Flughafen in Stansted. Kokett zog sie ihren Trolley hinter sich her, und ich hatte salopp meine fast leere Sporttasche über die Schultern gehängt. Wir trugen beide Sonnenbrillen. Sie holte ihr Telefon aus der superengen Jeans und verabschiedete sich von irgendjemanden auf ihren letzten Metern in England, bevor sie im Flugzeug nach Deutschland davon fliegen würde. Ja, es war spanisch! Ich hatte Recht.

„Sie dürfen nur ein Gepäckstück mit in die Kabine nehmen“, belehrte die Angestellte der Fluggesellschaft das Modell vor mir. Sie hatte über ihren Trolley eine Plastiktüte aus dem Duty free Shop hängen.

„Das sind zwei Flaschen Whiskey. Die habe ich mir gerade erst gekauft“.

„Das ist ein zweites Gepäckstück, und das ist nicht erlaubt!“

„Aber mein Koffer ist voll!“

„Dann müssen sie ein Gepäckstück als Reisegepäck aufgeben. Das kostet 35 Pfund extra.“

„Aber das ist ja doppelt so viel wie der Flug kostet.“

„Der Flug ist so günstig, weil er ohne zusätzliches Gepäck ist. Im Flugpreis sind nur 10 kg Handgepäck in einer Tasche erlaubt.“

„Was soll ich jetzt machen?“ fragte die Spanierin.

„Zahlen!“ rief lachend einer in der Reihe hinter mir auf Deutsch.

„Entschuldigung“, mischte ich mich ein und fragte die hübsche Mitreisende. „Mein Tasche ist fast leer. Wenn sie möchten, dann transportiere ich die beiden Flaschen für sie.“

„Das geht nicht!“ unterbrach die Ryanair-Schlampe meinen Versuch zu helfen.

„Wieso? Meine Tasche ist doch leer. Ein Gepäckstück pro Fluggast.“

„Es ist nicht ihr Gepäck“, belehrte mich die unsympathische Angestellte.

„Ich bitte Sie. Wir sind hinter der Gepäckkontrolle. Keiner hat eine Bombe. Und in der Tüte sind zwei Flaschen Whiskey aus dem Duty free. Die hätte genauso gut auch ich kaufen können. Also was soll das?“

„Es ist nicht ihr Gepäck!“ wies mich die die Engländerin schroff ab.

„Ist ihre Fluggesellschaft wirklich so geldgeil?“ empörte ich mich.

„Zahlen!“ wiederholte der Deutsche in der Schlange hinter mir. Und seine Begleiterin bekräftigte: „Steht doch überall angeschrieben: Nur ein Gepäckstück. Kann die nicht lesen, die blöde Kuh?“

„Geben Sie mir die Tüte“, bat ich die Spanierin.

Als sie mir die Flaschen reichen wollte, sagte die Angestellte der Fluggesellschaft: „Wenn sie dieses Gepäck annehmen, lasse ich sie nicht mitfliegen.“

„Wie bitte?“ Ich glaubte nicht richtig gehört zu haben.

„Sie haben bei ihrer Buchung dafür unterschrieben, dass sie nur eigenes Gepäck mitnehmen. Ich lasse sie nicht einsteigen, wenn sie das Gepäck dieser Dame übernehmen.“

„Sie sind doch gestört? Wo ist der Unterschied, ob sie oder ich im Duty free den Whiskey gekauft hat?“

„Wann geht’s endlich weiter?“ hörte ich mehrere Rufe auf Deutsch aus der Schlange.

„Es ist nicht ihr Gepäck. Also, wollen sie mitfliegen, oder …?“

„Die soll zahlen! Dummheit gehört bestraft!“ Der Deutsche getraute sich jetzt so laut zu rufen, dass jeder in der Wartehalle es hören konnte.

Ich schaute mir das Arschloch an. Er sah aus wie mein Nachbar vor vielen Jahren, als ich noch in jenem Land leben musste. „Deutscher“, stellte ich genau so laut fest. „Na klar! Ein richtiger kleiner Deutscher, gell?“

„Danke für ihr Angebot. Ich gebe meinen Koffer extra auf. Mein Gott, wie ist mir das peinlich!“ Die Spanierin wäre am liebsten in einem Loch verschwunden. Einen Moment fragte ich mich, was sie in Deutschland machen würde ... was der Anlass dieser Reise war.

„Nein, mir ist es peinlich. Kann ich ihnen irgendwie helfen?“

„Wie lange müssen wir noch warten? Die Schwarze soll die Tüte in den Müll schmeißen und endlich weiter gehen!“ Viele der Fluggäste mit Reiseziel Frankfurt-Hahn – ich lache mich kaputt: Frankfurt-Hahn – nickten zustimmend und begannen zu grummeln.

„Hey, seid ihr noch ganz dicht?“ fragte ich in die Menge. „Hier wird eine von euch abgezockt, nichts anderes, und ihr findet das okay?“ Mein Appell verklang im immer lauter werdenden Gegrummel. „Deutsche“, denke ich. „Deutsche! Nein danke!“


***


„Der erste Autofahrer, der vorbei kam, hielt und bot uns selbstverständlich seine Hilfe an. Wir hatten bereits drei Stunden in der sengenden Hitze gewartet und befürchteten schon, die Nacht in dieser Wüste verbringen zu müssen.“ Ich erzähle von meiner ersten Reise in Afrika am Rande der Sahara. Unser Auto war plötzlich an der Piste stehen geblieben und der Motor wollte nicht mehr starten, obwohl genügend Sprit im Tank war und wir sogar einen Ersatzkanister dabei hatten. Die Sonne am Himmel brannte gnadenlos herab, und schlimmer als der Hunger war der Durst, den wir jetzt schon aushalten mussten.

Der Fahrer in dem Auto, das anhielt, war ein Franzose. Er vermutete, dass unser Luftfilter mit Sand zugesetzt sein könnte und beugte sich unter die bereits geöffnete Motorhaube, mit der wir signalisieren wollten, dass wir Hilfe brauchten. Ja, es war der Luftfilter.

„Ich kann das säubern. Aber bitte fahren sie nicht alleine weiter. Sicherer ist es, in der Gruppe zu bleiben. Wo kommen sie denn her?“

„Aus Deutschland!“

„Nein, ich meine, in welcher Stadt oder in welchem Dorf sind sie denn losgefahren?“


***


Meine letzte Panne davor hatte ich in Deutschland mit meinem englischen Auto auf der A40 kurz hinter dem Kreuz Moers. Nach einer halben Stunde Warten fing ich an die vorbeifahrenden Autos zu zählen, bis der ADAC eingetroffen war. 738 PKW waren an mir und meiner offenen Motorhaube vorbeigefahren.

„Wo kommen sie denn her?“ fragte mich der ADAC-Mann wohl wegen des britischen Nummernschildes.

„Aus London“.

„Aber sie sind Deutscher, oder?“

Seitdem fällt es mir schwer. Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, an einem liegengebliebenen Auto einfach vorbei zu fahren. Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, ein Deutscher zu sein. Uns – uns? – geht es einfach noch zu gut. Obwohl auch wir - wir ? – am Rande einer Wüste leben.


***
joe
mac
zey


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.08.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet der Ostafrika Charity Aktion von www.Boorix.de ... dafür nahm ich mir gerne die Zeit

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