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Flash back

Das Treffen mit den beiden SPIEGEL-Reportern fand in einem schmucklosen Doppelzimmer des Frankfurter Sheraton-Hotels am Rhein-Main-Flughafen statt. Scheinbar ein Business-Meeting. Und wie Geschäftsleute sahen sie auch aus, die beiden Journalisten, die zu diesem Interview mit mir, Michael Pay, 41 Jahre alt, Umweltaktivist und ehemaliger Undercoveragent der britischen Polizei, gekommen waren.

„Wir haben uns schon einmal getroffen, Mister Pay“, begrüßte mich Stephan Wendt aus der Politikredaktion der größten deutschen Wochenzeitung. „In Heiligendamm. 2007. Der schwarze Block. Damals nannten sie sich noch Flash.“

Ich konnte mich entsinnen. Das G8-Gipfeltreffen und die Straßenkrawalle in Rostock. Ich zertrümmerte damals die Scheiben eines kleinen Polizeibusses. Danach ging die Straßenschlacht los. „Ja, Mann. Sie waren der Reporter, der mich gleich nach meiner Festnahme ausfragen wollte. Hey, die Welt ist klein, ist sie das nicht?“

„Damals glaubte ich auch noch einen Demonstranten vor mir zu haben. Stattdessen waren sie ein Polizist, der andere Polizisten in Todesangst versetzt hatte, so wie sie mit der Eisenstange auf die Autoscheiben eingedroschen haben.“ Wendt war entweder sehr gut vorbereitet oder wirklich Augenzeuge dieser Aktion gewesen, bei der die beiden deutschen Polizisten tatsächlich um ihr Leben bangten. Sechs Jahre zuvor bei einer ähnlichen Anti-G8-Demonstration in Genua hatte ein Polizist auf die Demonstranten geschossen und es gab einen Toten.

„Ja, das war keine schöne Geschichte damals“, gab ich ihm Recht. „Die anderen aus dem Block hatten Molotowcocktails dabei. Das wäre noch hässlicher gewesen.“

Der zweite Reporter, Robert Faltinghäuser aus dem Umweltressort des SPIEGELS, hüstelte künstlich, bevor er feststellte: „So oder so, es war eine Straftat! Und nicht die einzige, die sie in Ausübung ihres Dienstes begangen haben. Im Nachhinein könnte man sogar glauben, dass dieser Angriff ein abgekartetes Spiel war. Es wäre doch ein Leichtes gewesen, die Beamten zu warnen und abziehen zu lassen. Stattdessen überfielen sie und ihre Leute die Streifenwagenbesatzung. Waren sie ein agent provocateur

, Flash?“

Ich hatte keine Lust mich zu verteidigen. Dazu war ich nicht aus London nach Frankfurt gekommen. Ich war ja auch kein Polizist mehr; denn meinen Dienst bei der Londoner Metropolitan Police hatte ich längst quittiert. Und die Frau, mit der ich verheiratet war, war bereits mit den beiden Kindern nach Amerika ausgereist, weil es in England für uns zu gefährlich wurde. Die britischen Zeitungen berichteten zwar umfangreich über meinen Fall, aber sehr einseitig und oberflächlich. Ich willigte in das Interview mit dem SPIEGEL nur ein, weil ich das Geld brauchte, und um einiges wieder gerade rücken zu können. Und weil es mir die Chance bot, den Verrat an meinen Freunden bei Mother Earth, Greenpeace und Robin Hood wenigstens zum Teil wieder gut zu machen. Trotzdem war nicht alles verkehrt, was ich als Polizist während meines sieben Jahre andauernden Undercovereinsatzes bei den Umweltaktivisten gemacht hatte. Nein, ein agent provocateur

war ich nicht.

„Meine Tarnung wäre sofort aufgeflogen, wenn ich die Polizisten gewarnt hätte, Herr Faltinghäuser. In dieser Situation war der Schreck, dem die Kollegen ausgesetzt waren, für alle das kleinste Übel.“ Meine Entscheidung als erster mit der Brechstange auf den Streifenwagen einzuschlagen, fiel damals im Bruchteil einer Sekunde. „Die Alternative wäre gewesen, dass das Polizeiauto mit Mollis in Brand gesetzt worden wäre. Das ist Fakt!“

„Ja, Fakten. Darum allein geht es heute“, sagte Stephan Wendt. „Wir zeichnen auf Memocord auf und lassen ihnen ein Script von diesem Interview zukommen. Veröffentlicht wird nur, was zuvor von ihnen genehmigt wurde. Mister Pay, würden sie uns ihre Vita, ihren Werdegang bei der Polizei und wie sie verdeckter Ermittler geworden sind, bitte schildern.“

***

Operation an der Grenze der Illegalität


Frankfurt, 18.02.2011

Agenten, Spione, verdeckte Ermittler – je weniger wir darüber wissen, um so effizienter und zielführender können diese Frauen und Männer das Böse schlechthin bekämpfen. Sie operieren oftmals an der Grenze der Illegalität, unter falschem Namen in Rauschgiftringen, mittels Legenden in Gangsterbanden oder über einen langen Zeitraum „undercover“ in terroristischen Organisationen. Ihre Einsatzgebiete sind geheim, genauso wie ihre Aufträge und die Kontrolle darüber. Mit dem Leben eines James Bond hat dieser Job nichts zu tun, oder doch?



Einer dieser verdeckten Ermittler war Michael Pay. Er wurde mit 25 Jahren Staatsdiener bei der Londoner Metropolitan Police. Als junger Police Constable aus Camberwell, einem Stadtteil im Süden Londons, bewachte er den Buckingham Palast bei den samstäglichen Wachablösungen, zeigte mit dem ausgestreckten Arm geschätzte 1000mal zum St. James Park, um Touristen den Weg zur nächsten öffentlichen Toilette zu weisen, verjagte täglich die vietnamesischen Wokpfannenköche aus der Innenstadt und begleitete Demonstrationszüge zum Westminster Regierungsviertel, wo sie ihren Protest den Volksvertretern hinter den geschlossenen Fenstern entgegen schrien. Auf die Frage, was ihn an seinem Dienst in Uniform am meisten missfiel, antwortet der heute 41jährige, der aussieht wie eine Kreuzung zwischen Patrick Swayze und Bono: „Das ich kurze Haare tragen musste und kaum Zeit zum Fußballschauen und Klettern hatte.“



Das alles änderte sich für Michael Pay am 01. Juli 2002, jenem Tag, an dem er als verdeckter Ermittler zur National Public Order Intelligence Unit versetzt wurde. Von nun an hieß er Michael Stone, war der Legende nach ein gutverdienender professioneller Kletterer und ledig, und konnte sich die Haare so lang wachsen lassen wie er wollte. Sein Hobby, das Steilwandklettern, qualifizierte ihn für seinen neuen Job, nämlich die Beobachtung einer Gruppe von Umweltschutzaktivisten, die sich Earth First nannte und die Schornsteine britischer Kohlekraftwerke aus Protest erklettern und besetzen wollte. „Ich hatte einen eigenen Truck und zahlte meinen Sprit selbst“, erklärt Pay seinen erfolgreichen Einstieg in der Ökowarriorscene. „Und als ich sogar das ein oder andere Strafgeld unserer Aktivisten spendierte, war ich unverzichtbar in der Gruppe. Von da nannten sie mich Flash.“ Seine häufige Abwesenheit aus Nottingham, wo die Gruppe ansässig war, erklärte Stone mit seinem Job, der ihn oft wochenlang nach Spanien oder Portugal brachte, wo er angeblich Hochspannungsmasten reparierte. Keiner in Nottingham misstraute ihm, im Gegenteil: Alle liebten Flash, den smarten Umweltschützer.



***

„Sie sind verheiratet, Mister Pay. Sie haben zwei Kinder!“ Die mit dieser Feststellung verbundene Frage brauchte Stephan Wendt nicht auszusprechen.

„Ja, darüber haben sich die britischen Journalisten am meisten das Maul zerrissen“, knurrte ich. „Man hat mir sogar Vergewaltigung vorgeworfen, weil ich zwei Beziehungen in der Szene eingegangen bin, die im Schlafzimmer endeten.“

„Ein Vorwurf, der nicht von der Hand zu weisen ist“, hakte der Reporter nach. „Schließlich wussten diese Frauen ja nicht, wen sie da in ihr Bett gelassen hatten. Oder schließt ihre Lizenz zum Spionieren auch das Fremdgehen mit unbedarften Umweltschützerinnen ein?“

„Ich habe sieben Jahre im Geheimen gearbeitet. Da kommt man sich näher. Und man ‚duzt‘

sich nicht nur, um es in ihrer Sprache zu sagen.“ Es ekelte mich an, dass die geifernden Zeitungsleser sich am allermeisten über diesen Aspekt meines jahrelangen Einsatzes ereiferten. Vergewaltigung? Was für ein Blödsinn. Nur weil ich einen anderen Namen und Beruf genannt hatte, habe ich doch niemanden Gewalt angetan. „Was ich sagen will ist: Diese Frauen waren mir nicht egal. Es hatte nichts mit meinem Auftrag zu tun gehabt. Wenn sich jemand beklagen darf, dann ist das meine Ehefrau – aber nicht die Öffentlichkeit oder …“

„… ihre Vorgesetzen. Die tun es aber! Ihr Senior Officer, ACC Blackthorn, sagte im The Guardian, dass die Metropolitan Police solche Eskapaden ausdrücklich verbietet und keinesfalls dulden würde. Die Metropolitan Police wäre schließlich – so wörtlich zitiert – kein Zuhälter

.“ Wendt zog das Blatt der Zeitung mit dem entsprechenden Bericht aus seiner Laufmappe.

„Der Chief wusste jeden verdammten Tag, was ich mache und mit wem ich es mache. Mein Telefon war getrackt und auf den Meter genau zu orten. Blackthorn kann ihnen wahrscheinlich besser als ich selbst sagen, wie lange ich in einem Schlafzimmer oder auf dem Rücksitz meines Pick Ups war. Der Rabe hat nicht ein einziges Mal gekrächzt; weil es nie nie niemanden interessiert hat!“

„Es erscheint mir auch ziemlich verlogen“, beteiligte sich Faltinghäuser wieder an dem Gespräch, „Männer wie sie in den Dreck zu schicken, und sich dann öffentlich darüber zu wundern, wenn sich einer dabei schmutzig gemacht hat.“ Faltinghäuser räusperte sich abermals und wechselte dann das Thema: „Viel mehr interessiert mich, wie ihre Vorgesetzten das Ausspionieren von Umweltschützern an sich erklärt und begründet haben. Diese Zielpersonen waren doch keine Kriminellen oder Terroristen.“

Ich war ihm dankbar, dass er das Sexthema ruhen ließ und beeilte mich, eine ausführlichen Antwort zu geben. „Seit dem Ende der Friedensbewegung registrierte die Polizeiführung immer mehr Straftaten von inländischen Extremisten, die sich hinter oder genauer gesagt in der Demonstranten- und Widerstandsbewegung versteckten. Das war ein neues Phänomen, das europaweit zu erkennen war. Unter der Woche waren diese Täter ganz normale Arbeiter, Studenten oder Erwerbslose. Nur an den Aktionstagen schlugen sie im Schutz der Anonymität innerhalb dieser Gruppen oder aus dem sogenannten schwarzen Block heraus zu.“

„Wenn ich sie richtig verstehe, waren ihre Zielpersonen also etwas ähnliches wie die Hooligans in der Fußballszene?“ Faltinghäuser ließ die Frage im Raum stehen, ohne sich zu bewegen oder zu rühren.

„Ja, nur um einiges krimineller, und blitzartig. Mein Auftrag war es, diese Personen zu identifizieren. Sie namhaft zu machen, dass sie besser beobachtet werden konnten.“ Mit wenigen Worten hatte ich meinen Generalauftrag beschrieben.

„Und was bedeutete das in der Praxis?“ wollte der Umweltreporter wissen.

„Ich meldete meinen Vorgesetzten, wer zu den Rädelsführern und Aktivisten der Gruppe gehörte, wer gewaltbereit war, und was diese Personen für Pläne und Absichten hatten.“

„Was genau meldeten sie“, hakte Faltinghäuser abermals nach.

„Namen, Adressen, Autokennzeichen, Telefonnummern, geplante Aktionen, worüber sonst noch gesprochen wurde. Wer mit wem. Eigentlich alles, was in der Gruppe passierte.“

Faltinghäuser schien sich Notizen zu machen. Er kritzelte etwas auf sein Blatt und fragte, ohne mich dabei anzusehen: „Wurden von diesen Personen Verbrechen geplant?“

„Es ging in erster Linie um Aktionen wie Schornsteinbesteigungen, Sitzblockaden, Besetzungen von Büro- und Universitätsräumen …“

„Ich fragte sie nach Verbrechen. Sie kennen doch den Unterschied zwischen Vergehen und Verbrechen? Was sie bis jetzt genannt haben sind Protesthandlungen, ist ziviler Ungehorsam, allenfalls Vergehenstatbestände wie Hausfriedensbruch, Nötigung oder Sachbeschädigung. Ich frage noch einmal: Wurden Verbrechen geplant?“

Natürlich wusste ich, dass nur solche Straftaten ein Verbrechen sind, die mit einer Mindestfreiheitsstrafe von mehr als einem Jahr geahndet werden. „Bei einigen der Aktionen kam es zu schweren Körperverletzungen und sogar Mordversuchen an Polizeibeamten“, begann ich zu erläutern.

„Wurde das geplant?“ hörte ich Faltinghäuser scharf dazwischen fragen.

„Geplant wurde die Aktion an sich, zum Beispiel eine Demonstration. Die Mordversuche natürlich nicht. So etwas passiert spontan. Deswegen war es ja so wichtig, die Personalien im Vorhinein …“ Ich konnte meinen Satz nicht zu Ende bringen, weil Faltinghäuser seinen Notizblock laut zusammen klappte und mich entsetzt ansah.

„Nur die Planung eines Verbrechens ist strafbar! Das Vorbereiten einer Schornsteinbesetzung wird von keinem Gesetz verboten. Genauso wenig ist es verboten, darüber zu diskutieren, ob und wie und wo man sich an einem Bahngleis anketten oder die Verklappung von Dünnsäure aus Riesentankern im Meer verhindern will. Darüber nachzudenken oder es zu planen ist nicht strafbar! Deshalb ist die Frage erlaubt, aufgrund welcher Rechtsgrundlage sie eigentlich als verdeckter Ermittler der Polizei, die ja Straftaten erforschen soll, in diesen Umweltschutzgruppen eingesetzt wurden?“ Faltinghäuser erstarrte abermals und schaute mir ohne jede Regung frontal ins Gesicht.

„Es handelte sich bei meinem Einsatz um eine präventive Schutzmaßnahme, um Straftaten vorzubeugen. Denn auch Hausfriedensbruch, Nötigung und Sachbeschädigung sind strafbare Handlungen.“

„Auch falsches Parken ist eine strafbare Handlung. Sitzt demnächst auch ein verdeckter Ermittler in jedermanns Kofferraum?“ Ohne eine Antwort auf seine Frage abzuwarten, fuhr Faltinghäuser in einem ruhigen und sachlichen Ton, mehr feststellend als vorwerfend, fort: „Die Kritiker dieser Einsätze sagen, dass die Polizei keine Rechtsgrundlage hat, um Gruppierungen wie Greenpeace oder Earth First mit Geheimdienstmethoden auszuspionieren. Sie haben als verdeckter Ermittler nichts anderes getan, als bei Unschuldigen herumgeschnüffelt und möglicherweise den staatlichen Organen die notwendigen Informationen wie Telefonnummern oder die Kennzeichen von verfügbaren Fahrzeugen beschafft, um diese Personen lückenlos aus der Ferne technisch und wahrscheinlich widerrechtlich überwachen zu können.“

Ich bemühte mich genauso ruhig zu antworten, doch meine Stimme zitterte wütend: „Meine Aufgabe war die Aufklärung innerhalb der Gruppen. Wer wann was getan oder geplant hat. Was andere aus diesen Informationen gemacht haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Dafür bin ich auch nicht verantwortlich. Ich bedaure es sogar, falls meine Informationen missbraucht worden sein sollten.“ Ich war ziemlich erregt, weil ich mich angegriffen fühlte. Wütend sah ich zu Faltinghäuser, der wieder auf seinem Block herum kritzelte.

„So wie ich es momentan sehe, war das jahrelange Ausspionieren der Umweltschutzgruppen rein politisch motiviert und im Grunde gesetzeswidrig gewesen. Sie haben nicht ein einziges Verbrechen aufgeklärt. Stattdessen haben sie unstrittig selbst an mehreren Vergehen zumindest mitgewirkt, wegen denen andere Aktivisten verurteilt wurden oder aktuell noch vor Gericht stehen, wie die Aktivisten, die den Schornstein des EON-Kraftwerkes in Ratcliffe-on-Soar besteigen wollten. Oder die Gegner des Projektes Stuttgart-21, gegen die noch Verfahren anhängig sind. Wenn im Zusammenhang mit ihren Einsätzen von einem Verbrechen überhaupt einmal die Rede ist, dann ist es einzig und allein der Vorwurf der Vergewaltigung – eine Straftat mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe. Ein Vorwurf, der noch längst nicht unter dem Teppich gekehrt ist, Flash.“

***

Umweltschützer und geheimer Polizeiagent



„Ich bin ein Umweltschützer“, sagt Michael Pay im SPIEGEL-Interview über sich selbst. „Je länger ich in der Szene war, um so mehr erkannte ich, wie wichtig es ist, dass wir die Welt, in der wir leben, achten und schützen und handeln, um sie vor Schaden zu bewahren. Doch nicht jede Form des Protests und jegliche Aktion sind statthaft.“ Der Polizist glaubt zu wissen, wovon er spricht. Er kennt alle aktiven Umweltschutzorganisationen und -gruppen in Europa, hat an der Seite von Globalisierungsgegnern demonstriert und mit Greenpeace Schiffe in der Hochsee geentert, aus denen pures Gift, das verharmlosend Dünnsäure genannt wird, ins Meer verklappt wurde. Insgesamt 22 mal war er außerhalb von Großbritannien auf Kosten der britischen Steuerzahler als Polizeispitzel eingesetzt und bediente auch die Polizei der Partnerländer mit Informationen aus der Szene. „Ich habe nicht den Protest verraten, sondern nur diejenigen namhaft gemacht, die Straftaten begangen haben“, erklärt Michal Pay, alias Michael Stone, alias Flash, wie er über die Grenzen hinweg genannt wurde, seine zwiespältige Gesinnung und Verhaltensweise. Den Vorwurf, ein agent provocateur gewesen zu sein, will der ehemalige Polizist nicht gelten lassen: „Ich habe aus Gründen der Tarnung geringfügige Delikte begehen müssen. Diese waren aber niemals rechtswidrig sondern aufgrund meiner besonderen Rolle erlaubt und verhältnismäßig.“ Ist das die Lizenz, die bereits James Bond stets aus dem Ärmel zog, wenn es gar nicht mehr anders ging?

Michael Pay ist kein Polizist mehr. Er wurde im Oktober des vergangenen Jahres enttarnt und verbrannte, wie es im Spionagejargon heißt, nachdem sein Pass und der Führerschein mit seinem echten Namen von einer anderen Umwelt-Aktivistin in einem Hotelzimmer am russischen Baikalsee, gefunden wurde, das die beiden sich teilten. Die britischen Steuerzahler erfuhren rasch, dass der Spezialpolizist auf ihre Kosten gleich zwei Liebschaften mit Frauen in Nottingham und in Berlin unterhielt, obwohl er verheiratet ist und zwei Kinder hat. Eine der beiden Frauen, eine britische Staatsangehörige, hat zwischenzeitlich Strafanzeige wegen Vergewaltigung gegen Pay erstattet. Ein Vorwurf mit Brisanz, denn Pay behauptet, dass seine Vorgesetzten über jedes Detail seines Einsatzes stets lückenlos unterrichtet waren.

Auch die deutsche Öffentlichkeit muss sich wundern und fragen, wie es möglich sein kann, dass britische Polizeiagenten im Dauereinsatz undercover Gruppierungen wie Amnesty International, Greenpeace oder Robin Hood innerhalb der BRD ausspionieren und ihre Erkenntnisse den deutschen Sicherheitsbehörden zugetragen werden. Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Dr. Joerg Ziercke, musste am 26. Januar darüber dem Innenausschuss des Deutschen Bundestags in einer geheimen Sitzung bereits Auskunft erteilen. Wann erfährt die Öffentlichkeit, welches Ziel und welchen Zweck diese fragwürdige Bespitzelung, die deutschen Beamten untersagt ist, haben soll? Pay dazu: „Ich war bei weitem nicht der einzige special agent, der in Deutschland aufgrund § 14 des EU Rechtshilfeabkommens und des Neapel-II-Abkommens eingesetzt war. Wir wurden zwar Vertrauenspersonen genannt, waren aber Polizeibeamte und bekamen ganz normal unser Gehalt und die Spesen. Mein Chief bei der Metropolitan sagte mir, dass jeder Einsatz von uns pro Monat ungefähr 25.000 Pfund Stirling kostet. Meine Informationen waren denen also rund 2.000.000 Euro wert.“

Michael Pay hat die Seiten gewechselt. Er ist aktiver heute Umweltschützer, „ohne einen Nebenjob beim Staat“, wie er versichert. Abermals hat er einen neuen Namen, der ihn diesmal jedoch vor seinem ehemaligen Arbeitgeber und Repressalien staatlicherseits schützen soll. Eine Gefahr, die nicht unbegründet erscheint; denn nach seiner Kündigung gründete der Saulus, der zum Paulus wurde, eine Werkschutzfirma, die ausgerechnet bei EON unter Vertrag genommen wurde. „Meine eigene Firma setzte sozusagen die Tätigkeit fort, die ich für die Metropolitan Police sieben Jahre vorher begonnen hatte“, erzählt Pay und lächelt. „Doch diesmal lieferte ich nur Datenmüll. Es war lustig, wirklich lustig. Und die haben richtig gut dafür bezahlt.“



***

Nach dem vierstündigen Interview ging ich in mein Hotelzimmer. Wie sehr sich die Hotels dieser Welt doch ähneln! In einem solchen Zimmer saß ich vor 14 Monaten mit Dr. rer. nat. Valerie Husmann, eine der beiden Frauen, die ich vergewaltigt haben soll. Ich war mit der Biologin von der Freien Universität in Berlin für Greenpeace am Baikalsee, um die Umweltzerstörung, die von dem Papier- und Zellulose Kombinat in Baikalsk ausgeht, zu dokumentieren. Rücksichtslos werden dort die Wälder abgeholzt und durch den Kahlschlag für alle Zeit die Baumvegetation zerstört. Die Abwasser des Kombinats, um das herum sich die Kleinstadt Baikalsk gebildet hatte, laufen seit Jahr und Tag ungefiltert in den größten Süßwassersee der Welt, der unaufhörlich dadurch verseucht wird. Das Gift und der Schmutz sammelt sich unerreichbar für jedwede Säuberung oder Abhilfe in der Tiefe, und tötet nach und nach alles Leben im See. Die Menschen, die an den Ufern leben, werden immer häufiger und oftmals chronisch krank. Der Baikalsee ist in vielerlei Hinsicht ein Superlativ – auch dadurch, dass er die größte tickende ökologische Zeitbombe ist. Der Eigentümer des Baikalski zelljulosno-bumaschny kombinat

, Oleg Wladimirowitsch Deripasta, ist einer der reichsten Männer Russlands.

Ich hatte einmal in meinem Leben Oleg Deripasta leibhaftig gesehen. Es war bei einem Heimspiel meines Londoner Fußballlieblingsvereins Chelsea im Jahre 2003. Deripasta, der in meinem Alter ist, saß zwischen dem heutigen russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin und Roman Abramowitsch, dem superreichen Eigentümer der Blauweißen, der diesen Verein für eine vielfache Summe dessen gekauft hatte, die nötig wäre, um den Baikalsee zu retten. Ich hatte schon häufig von den dubiosen russischen Oligarchen gehört, die ihr Land auspressten, wie eine Ölmühle einem Sonnenblumenkern seine letzte Feuchtigkeit entzieht. Maximaler Profit bei minimalen Einsatz und Vorgehensweisen, so dass die Mafia im Vergleich dazu wie ein Bingo spielendes Kaffeekränzchen aussieht. Und nun in diesem Hotelzimmer am Baikalsee erfuhr ich von Valerie, dass der bei westlichen Politikern hochgeschätzte Präsident Putin die Stilllegung des Kombinats, das seinem Freund Deripasta gehört, verhinderte, obwohl die UNESCO den Baikalsee zum Weltnaturerbe erklärt hatte und auch die Bezirksregierung von Irkutsk das Kombinat wegen der verheerenden Umweltschäden schließen wollte. Tatsächlich geschlossen wurde nur ein Wärmekraftwerk, das ohnehin unrentabel war.

„Sie machen, was sie wollen“, fasste Valerie die Situation zusammen. „Dabei geht es ihnen längst nicht mehr um den Profit, denn sie sind bereits die reichsten Männer der Welt, sondern allein um die Macht und deren Demonstration. Putin hat 30 Milliarden Euro. Deripasta 5 und Abramowitsch 13. Jeder Euro, den sie mehr verdienen, bringt ihnen nur die Last des Zählens. Nein, es geht nicht ums Geld. Es hat etwas Diabolisches, etwas Abgrundtiefes, weshalb diese Männer so sind, wie sie sind.“ Die Wissenschaftlerin, in die ich mich schon in Berlin verliebt hatte, lächelte mich an. „Es hat etwas Religiöses! Ist dir schon einmal aufgefallen, dass jeder von dieser hochgradigen Hexenmeistern das Wörtchen ‚witch‘ im Namen trägt?“ Die Freundlichkeit in ihrem Lachen verwandelte sich in Ekel als sie fortfuhr: „Und unsere verlogenen sogenannten aufgeklärten Politiker huldigen unterwürfig diesen Verbrechern wie einst den Zaren gehuldigt wurde. Sie alle scheinen wie verhext zu sein, und denken gar nicht mehr an ihre eigenen Kinder, die in dieser Welt weiterleben müssen.“

Der Tag danach wurde zum großen Wendepunkt in meinem Leben. Valerie und ich machten eine Fotoserie am Ufer des Baikalsees, dessen erstes Bild einen einsamen Menschen vor der Weite des Baikalsees zeigt. Vor ihm das Ufer und hinter ihm ein sich verlierender Horizont im Sonnenuntergang. Rund herum nur Leere oder zerstörte Landschaft. Der Mensch steht inmitten toter Fische, die täglich ans Ufer gespült werden und sammelt einige davon in eine Kiste, um dieses Fischsterben erklären und beweisen zu können. Ursache ist das Zellulose- und Papierwerk von Baikalsk, der kleinen Stadt mit dem Hotelzimmer, in dem ich in der Nacht zuvor Valerie geliebt habe. Ich liebte sie, diese mutige und kluge Biologin, die ein so einfaches und klares Weltbild hatte. Hier die Guten, und da die Bösen.

Und sie liebte mich, Flash, den ebenfalls mutigen und ideenreichen Umweltaktivisten, der es zu einem gewissen Ruf in der Szene gebracht hatte. Flash, der überall in der ersten Reihe dabei war, wenn es irgendwo in Europa galt, den verlogenen Mächtigen den Spiegel vorzuhalten. Flash, dem es ganz um die Sache ging, und der vor keiner Verhaftung und vor keiner Strafe Angst zu haben schien, sogar nicht im russischen Sibirien.

Für Valerie gab es nur diesen Flash. Doch in meinem Gepäck hatte ich einen gewissen Michael Pay dabei, einen Undercoveragenten der britischen Polizei, der – ob er es wollte oder nicht – genau solchen Leuten zuspielte, die Paradiese wie den Baikalsee den Menschen rauben und für alle Zeiten zerstören. Ich weiß nicht, wer von diesen beiden Männern der einsamere war, Pay oder Flash? Zurück in unserem Hotelzimmer öffnete ich meinen Koffer und holte aus dem doppelten Boden meinen richtigen Führerschein und britischen Pass heraus. Michael Pay, geboren am 07. Juli 1969 in Camberwell, London. Ich legte Valerie die Ausweise hin und sagte: „Es tut mir unendlich leid!“

Valerie nahm das erste Foto unserer Serie aus dem Printer und schaute abwechselnd auf den Ausdruck und dann wieder auf meine Ausweise. Tränen liefen über ihr Gesicht und tropften auf das Meer und in den Horizont, auf dem sich die Druckerfarbe verwischte, während ich ihr mein Leben zu erklären versuchte.

***

Nach der Pause wollte Faltinghäuser wissen, wie es weitergehen würde. Spionage, Verrat, Ausstieg, Gegenspionage, abermals Verrat. War da irgendwo noch ein Funken Wahrhaftigkeit? Warum ich in dieses Interview eingewilligt hätte, fragte er zum zweiten Mal. Vermutlich, weil er befürchtete, dass auch seine Zeitung nur zum Spielball in diesem Match gemacht werden sollte. Ich erklärte ihm, dass ich vor der Wahl stand, entweder meine früheren Polizeikollegen öffentlich zu machen, und sie damit in Lebensgefahr zu bringen, oder eine Situation zu provozieren, in der die Auftraggeber, also die Regierungen und die Polizei dieser Länder, in denen wir eingesetzt wurden, gezwungen sein würden, ihre Machenschaften einzustellen. Einfach auszusteigen und so zu tun, als ob nichts gewesen wäre, das konnte ich nicht. Nicht nach Baikalsk, nicht nach den Tagen mit Valerie, und nicht nach der Umweltkatastrophe, die dort unbeachtet vom Rest der Welt eines der wertvollsten Naturreservate dieser Erde unwiederbringlich zerstört.

Die beiden Reporter bemühten sich, nur Berichterstatter zu sein und keine eigene Position zu beziehen. Ich weiß nicht, ob sie meine Motivation für den Wandel vom Saulus zum Paulus – neben dem Aspekt der guten Bezahlung für das Interview – erkennen und glauben konnten. Wendt fragte mich, ob ich auf Rache – er verwendete das englische Wort payback

in Anspielung auf meinen richtigen Namen – aus sei.

Ich zog das Foto vom Baikalsee mit Valeries Tränen darauf aus meiner Brieftasche, das einzige Foto, dass ich außer dem Bild meiner beiden Töchter ständig bei mir trage. Immer, wenn ich dieses Bild anschaue, erinnere ich mich an das, was an diesem Tag geschehen ist. Ich sehe diesen einsamen Mann und spüre die Nähe zu jener Frau. Ich empfinde die ohnmächtige Wut über die sinnlose Zerstörung der Welt und den euphorischen Kick, mit Beweisen in der Hand herauszutreten und gegen diese Verbrechen anzuprangern. Es ist, als ob ich alles noch einmal durchleben würde, mehr noch: als ob alles noch einmal geschehen würde.

„Ob sie es mir glauben oder nicht, Herr Wendt, ich war gerne Polizist.“ Ich suchte nach dem richtigen Wort, um meine Beweggründe für meinen Wandel auf den Punkt zu bringen. „Nein, ich muss mich nicht bei irgendjemanden rächen, kein payback

. Mehr noch als Polizist möchte ich wieder Flash sein! Als Umweltaktivist habe ich die schönste Zeit meines Lebens erlebt. Es war berauschend, lebendig, abenteuerlich und gefährlich. Es hatte einen Sinn. Ich war glücklich.“

Ich zeigte Wendt das Foto, das wie kein anderes mein Leben verändert hat. „Der Mann da auf dem Bild“, ich zeigte mit dem Finger auf die Silhouette, „kaum zu erkennen, aber das bin ich, Flash.“

„Flash back! Das hat etwas! Das käme als Titel in Frage. Und was machen sie nun? Gehen sie zurück zu ihrer Frau?“ Wendt war aufgestanden, um sich von mir zu verabschieden. Wir waren am Ende des Interviews angelangt.

„Ja, ich gehe zurück“, sagte ich ihm, während ich seine und dann Faltinghäusers ausgestreckte Hand schüttelte – eine Geste, die beide mir bei der Begrüßung verwehrt hatten.

***

Auf dem Observationsbericht vom 18. Februar stand, dass Michael Pay vier Stunden und zwanzig Minuten mit zwei Reportern des SPIEGELS, die als Stephan Wendt und Robert Faltinghäuser identifiziert wurden, im Zimmer 128 des Sheraton Hotels am Rhein-Main-Flughafen verbracht habe. Es gab nur eine Unterbrechung. Anschließend sei Pay nur mit Handgepäck zum Terminal B gelaufen, wo er für den Flug LH 3085 nach London Heathrow eincheckte. In seinem Handgepäck sei nichts verdächtiges gewesen. Unmittelbar vor dem Abflug habe er noch einmal telefoniert mit dem Anschluß von Dr. Valerie Husmann, einer Berliner Biologin, die mit Greenpeace in Verbindung gebracht wird.

Impressum

Texte: Die Handlung und Personen dieser Erzählung sind - soweit sie nicht Personen des Zeitgeschehens sind - frei erfunden. Ähnlichkeiten mit dem aktuellen Fall des britischen Polizeiagenten Mark S. sind nicht vermeidbar. Dies ist jedoch nicht die Geschichte von Mark S., sondern von Flash, einer erfundenen Figur. Einen wie Flash gibt es nicht in Wirklichkeit. Ebenso ist das SPIEGEL-Interview erfunden. Aber den SPIEGEL gibt es wirklich. Alle Rechte beim Autoren.
Tag der Veröffentlichung: 18.02.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet jedem, der noch einen Funken Anstand in sich hat.

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