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„Falsch verbunden …

… was für ein tolles Thema für einen Kurzgeschichtenwettbewerb“, geht es mir spontan aus dem Thalamus durch drei bis fünf Hirnlappen in die Mundhöhle, wo der Blitzgedanke in einem anerkennenden, so nicht gewolltem Schnalzen der Zunge endet. „Endlich mal wieder was zum Lachen“, und ich muss an den Film mit Tom Hanks denken, wie er sich mit dem armen Hund an der drosselnden Leine durch den Regen in eine Telefonzelle kämpft, um Maria anzurufen. Maria, sein einziger Gedanke … dann hebt am anderen Ende seine Frau ab, erkennt die Stimme des untreuen Gatten, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf durch ein Fegefeuer der Eitelkeiten.

Sanne, sein einziger Gedanke … und auch da scheint der Protagonist falsch verbunden zu sein und schüttet sein Herz an falscher Stelle, mit ebenso verhängnisvollen Folgen, aus. Es war das erste Buch, das ich bei Bookrix einstellte, und das erste, dass ich überhaupt geschrieben habe. Sollte ich etwa daraus ein typisches, der Vorgabe gehorchendes Kapitel für den Wettbewerb aufpeppen? Der Schinken hat mehr als 15 Jahre auf dem Buckel. Damals schrieb man „dass“ noch mit Eszet. Die Ausleihe würde kaum einer bemerken; denn wer stöbert schon bei den alten Sachen. Auf Bookrix wird ja nicht mehr gelesen. Aber nein, das lasse ich besser bleiben.

Denn es zwingt sich mir die Erinnerung an die Schwiegermutter auf. Ja, es war eine tragische Geschichte damals. Die Eltern hatten sich ein Haus, was sage ich, es war ein Schloss, in Portugal gekauft, und mein grandfather in law träumte davon, dort seinen Lebensabend zu verbringen (die BX-Erzählung „Eine Nacht im Atalaya“ beschreibt dieses tolle Anwesen). Dann stürzte die Mutter, brach sich das rechte Handgelenk und wurde in einem Krankenhaus in der Nähe von Lissabon verbunden und eingegipst. Die versehrte Hand war annähernd im rechten Winkel abgeknickt, so dass Schwiegermutter die Fingerspitzen in einer Schlaufe an der linken Schulter einhängen konnte. Derart ruhig gestellt, verbrachte sie den Rest des Urlaubs und ging in Deutschland zur Entfernung des Gipsverbandes ins Krankenhaus. „Mein Gott, was haben die denn mit Ihnen gemacht?“ hielt sich die Stationsschwester erschrocken die Hand vor den Mund und versetzte das Schwiegermütterlein in einen traumatischen Schock. Nur weil sie noch nie gesehen hatte, dass man eine gebrochene Hand auch anders als in Deutschland üblich eingipsen kann. Portugal und das Atalaya waren damit erledigt. „Wenn mir da mal was passiert!!! Ich kann ja noch nicht einmal die Sprache und mich wehren!!!“ Sie ging nie wieder. Dafür ging die Ehe in die Brüche. Und auch mein Schwiegervater konnte seinen Lebenstraum nicht erfüllen, weil plötzlich das liebe Geld nicht mehr reichte. Alles nur, weil die Hand vermeintlich falsch verbunden war.

Apropos Hand. Ich bin ein verkappter Linkshänder. Also einer, der gerne mit links getan hätte, aber von Kindheit an auf rechts gedrillt wurde. Doch so manches ist bei mir links geblieben. Unter anderem auch das Binden von Krawatten. Jetzt wollte es das Schicksal, dass ausgerechnet ich vom Spieß dazu ausgedeutet und bestimmt wurde, meinen damals allesamt 16 bis 18jährigen Polizeirekrutenkollegen das Krawattenkordeln vorzuführen und beizubringen. Denn einzig meine grüne Würgeschlange saß zu diesem Zeitpunkt korrekt und herzoglich doppelt verknotet unter dem Adamsapfel. Das ist jetzt 35 Jahre her, und eine ganze Generation von Schutzleuten ist daraus erwachsen, deren Windsor falsch herum, nämlich von links kommend, gebunden ist. Achten sie mal drauf!

Nicht nur wie und mit was man sich bindet, ist im Leben entscheidend, sondern vor allem, mit wem man sich bindet. Auch da habe ich leider einmal zugeben müssen, falsch verbunden gewesen zu sein. Nun, mittlerweile wird jede dritte Ehe geschieden, so dass ich mich in guter Gesellschaft vermute. Aber über meine gescheiterte Ehe möchte ich weder Witzchen noch Geschichten machen; denn es war die allerlängste Zeit eine gute Ehe gewesen, die drei Kinder hervorbrachte. Kinder, auf die ich mehr stolz bin als auf alles andere in dieser Welt.

Nicht nur Menschen binden sich aneinander, auch Staaten tun es. Und auch hier fragt sich so manche Nation im Nachhinein, waren wir womöglich jahrelang mit den Falschen verbunden? Oder mit den Falschen im Staate? Ich spiele dabei weniger auf die Ehemalige und ihre Stasi an (auch dazu gibt es eine BX-Erzählung von mir: „Schuld verjährt nie“). Ich denke vielmehr an die Schweden und die U-Bootaffäre aus den 80iger Jahren, die möglichweise sogar mit dem immer noch mysteriösen Tod von Olof Palme zusammenhängt. Unter falscher Flagge drangen jahrelang U-Boote in den schwedischen Hoheitsbereich ein und verunsicherten Politiker und Bevölkerung; denn man unterstellte, dass es sich um russische Kriegsschiffe handelte. Die Regierung Palme, die ähnlich wie Willy Brandt in Westdeutschland die Versöhnung und Annäherung an Russland suchte, geriet unter starken Druck, während die Rechte in Schweden erstarkte. Die NATO-Partner waren erleichtert. Ein „linkes“ Schweden war ein echtes Problem, und anders als in Italien und Deutschland gab es dort keinen Terrorismus, den man puschen konnte, um Links zu verhindern. Heute weiß man, dass die U-Boote unter falscher Flagge, die so viel Angst erzeugten, amerikanischer und britischer Herkunft (also Verbündete) waren. Waren unsere schwedischen Freunde damals sozusagen falsch verbunden?

Nicht dass sie nun denken, ich würde Amerikaner und Briten hassen. Weit gefehlt. Ich lebe in London. Freiwillig und sehr gerne. Und ich bin sogar erleichtert, dass Labour hier abgelöst wurde, weil es für das Land einfach besser ist, dass die Regierung endlich wechselte. Ich werde aber auch den nächsten Regierungswechsel höchstwahrscheinlich begrüßen, denn eines habe ich in meinem kurzem Leben begriffen: Wenn irgendwo auf dieser Welt eine ganz große Schweinerei passiert, dann steckt 100%ig eine Regierung dahinter. Und mit Schweinerei meine ich nicht nur die Schweinegrippe, oder wie es in England heißt: the swine flu. Da wurden wir ja auch falsch verbunden, internetmäßig, meine ich jetzt. In Deutschland schwiegen sich die Presseagenturen und Medien aus, während in Polen und der Ukraine, den beiden Ländern, die keinen idiotischen Impfstoff gekauft hatten, sich jedermann auf die Schenkel klopfte, als Dr. Flu, der Erfinder von SARS, der Vogel-, Schweine- und Ziegengrippe, wegen milliardenschweren Betrugsverdachts in Haft ging. Naja, bei uns wusste es kaum einer. Weil unsere Regierung noch versuchte, den Impfdreck an irgendein Dritteweltland in Afrika zu verschachern, und irgendwie die Informationskanäle falsch verdrahten konnte. Und jetzt interessiert es niemanden mehr. Die gute Nachricht ist, dass es nie wieder eine globale Tiernamengrippe geben wird. Beim nächsten großangelegten Arzneimittelbetrug wird man seitens der Betrüger wieder auf Latein zurückgreifen. Das verhindert auf jeden Fall, dass die Patienten möglicherweise irgendetwas gedanklich falsch verbinden.

Connections, die richtigen Verbindungen, das wäre mein Thema gewesen. Jahrelang habe ich mich mit Korruption beschäftigt und kenne das Phänomen bis in seine schmutzigen Hautfalten. Darüber sollte ich schreiben. „Das Recht sperrt jeden Menschen ein, der von der Weide stiehlt ein Schwein. Doch lässt es die wahren Schurken sausen, die Schweinen ihre Weiden mausen (Kurt Kraus).“ Wer nicht über die richtigen Verbindungen verfügt, bleibt auf der Strecke. In manchen akademischen Kreisen, insbesondere den juristischen, geht es sogar so weit, dass man sogar aus bestimmten Verbindungen stammen muss, um Karriere zu machen. Wer die falsche Burschenschaft besuchte und nicht mit den richtigen Alten gesoffen hat, endet bestenfalls bei der Staatsanwaltschaft. Einmal sollte ich einen Geschäftsmann wegen Korruptionsverdacht vernehmen. „Ich und korrupt sein“, beschwerte er sich bei mir lauthals über den Tatvorwurf. „Das habe ich doch gar nicht nötig, bei meinen Verbindungen.“

Neulich las ich über einen vergessenen Helden der Menschheit, einem alten Mann mit grauem Stoppelbart, horniger schlecht sitzender Brille, unfrisiertem Haar und einem Madonnenbild an der schlichten Wohnzimmerwand. Dieser vermeintliche Loser verhinderte den dritten Weltkrieg. Stanislaw Petrow nahm am 26. September 1983 auf dem russischen Nuklearwaffen-Kontrollzentrum Serpuchow 15 den Anruf entgegen, in dem der Start von fünf amerikanischen Atomraketen gemeldet wurde. Nach der Logik des kalten Krieges hätte er den Gegenschlag anordnen müssen. Ronald Reagen schickt seine Pershing-II-Atomraketen; Juri Andropow antwortet zwangsläufig mit 400 SS-20 Raketen. Hüben und drüben sterben die Menschen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß. „Die Welt kann froh sein, dass ich in dieser Nacht das Kommando führte – und kein dumpfer Militär“, sagt Petrow heute. Er traf seine Entscheidung alleine, nur aufgrund seines Gefühls, genährt von der Frage: „Warum schicken die Amerikaner nur fünf Raketen, wenn sie Hunderte und Tausende haben, und wissen, dass wir zurückschlagen werden?“ 200 Augenpaare sind auf Petrow gerichtet. Er ruft seinen Vorgesetzten an und macht die Meldung, dass es ein Fehlalarm ist, obwohl der Computerbildschirm weiterhin fünf angreifende Raketen zeigt. Später wird er getadelt, weil er es versäumte, einen Bericht im Diensttagebuch anzulegen. Doch er hatte Recht mit seinen Bedenken. Der Spionagesatellit lieferte eine komplette Fehlinterpretation eines Wetterphänomens. In dieser Nacht rettete Stanislaw Petrow (für die Briten ist es: Stan the man) die Welt vor dem dritten Weltkrieg, weil sein Herz mit seinem Verstand verbunden war – eine Einheit, die vom Aussterben bedroht ist.

Eine andere Weltmacht, ja, es sind schon wieder die Briten, verlor ihre Vormachtstellung in Indien, weil sie eine Kleinigkeit nicht bedachte. Nämlich den Umstand, dass ihre indischen Soldaten die Kühe als heilig verehren und niemals das Fleisch eines solchen Tieres verzehren würden. Ausgerechnet mit dem Fett von Rindern und Kälbern waren aber die Patronenhülsen der Enfieldgewehre versiegelt, um das Schießpulver vor Feuchtigkeit zu schützen. Und um die Gewehre zu laden, musste die im eingefetteten Papier verpackte Patrone in den Mund genommen und mit einer Hand der Papierstreifen von der Patrone weggerissen werden. Das Fett der heiligen Kühe berührt die Lippen der Gläubigen … Das ließen die indischen Soldaten nicht mit sich machen und meuterten und liefen in Scharen davon. England verlor den Kampf, weil die Patronen für die neuen modernen Enfieldgewehre falsch verbunden waren.

Hoppla, jetzt bin ich aber wirklich vom Höcksken aufs Stöcksken gekommen. Also nicht nur vom Hundertsten ins Tausendstel, sondern auf einem Holzweg, der zu nichts führt, außer zu noch mehr Holz, mitten in den Wald hinein. Und ich weiß immer noch nicht, welche Erzählung ich zum Wettbewerb einstellen soll. „I’m sorry. You got the wrong number“, muß ich zu mir selber sagen.

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Tag der Veröffentlichung: 09.06.2010

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