Das kleine Mädchen mit den blonden lockigen Haaren trug ein rosafarbenes Prinzessinnenkostüm. Ich schätze, dass sie fünf, höchstens sechs Jahre alt war. Ihre Mutter, die auf der anderen Seite des Mittelganges saß, deutete meinen skeptischen Blick richtig. Sie erklärte mir, dass die Kleine - ihren Namen habe ich mir leider nicht gemerkt, weil ich während des gesamten Fluges stets Fräulein Prinzessin oder ähnliches zu ihr sagte – nur unter der Bedingung am Rosenmontag in das Flugzeug nach Madeira eingestiegen sei, dass sie in ihrem Kostüm verreisen dürfe. Richtig, es war ja Fasenacht. Die fünfte Jahreszeit, und die schrillen Jecken waren diesmal völlig unbemerkt an mir vorbeigezogen. Ja, nicht ganz; denn eine entzückende kleine Prinzessin saß neugierig neben mir, schaute an meiner Nase vorbei durch das kleine Fenster auf die Außenspitze eines Flügels der Boing 727, und versuchte zu erforschen, was da draußen gerade vorging.
„Möchten Ihre Durchlaucht den Fensterplatz mit mir tauschen?“ fragte ich untertänig mit einem nach Erlaubnis fragenden Seitenblick auf die Mutter. Die Flügeloberflächen der Charterwaymaschine wurden gerade mit riesigen automatischen Bürsten enteist, was die Neugierde des Kindes geweckt hatte. Die Prinzessin nahm die Offerte dankbar an, und ich trat meine Flucht aus dem ungeliebten, kalten und mir mittlerweile feindseligen Deutschland am Mittelgang des Reisefliegers an.
Zum fünften Mal flog ich nach Madeira. Zum ersten Mal alleine. Vielleicht nie wieder zurück. Ich hatte mir in der Nähe von Funchal ein kleines Haus mit Meerblick gekauft und hatte nur noch den einen Wunsch: auf einem gemütlichen Stuhl auf meiner eigenen Terrasse in dauerhafter Frühlingswärme zu sitzen, und unendlich lange Zeit das Meer und die Ruhe zu genießen. Derart bescheiden stellte ich mir mein Discountparadies vor. In Magdalena do Mar, so hieß der Ort, in dem ich von nun an leben würde, wollte ich mir diesen Lebenswunsch erfüllen. Meine Frau war vor vier Monaten gestorben, und mit meinen Kindern, meinen geliebten Kindern, hatte ich mich heftig zerstritten.
Mit 15minütiger Verspätung rollte die Thomas-Cook-Boeing auf die Startbahn. Kapitän Larsen und seine Crew wünschten ihren Passagieren einen angenehmen, ca. dreistündigen Flug. Im unwahrscheinlichen Fall des Notwasserns würden die Sauerstoffmasken automatisch aus der Konsole über unseren Köpfen fallen, und Erwachsene sollten erst sich selbst diese Masken und dann die Rettungswesten überziehen, bevor sie Kindern oder alten Menschen dabei helfen würden. Schließlich soll ja niemand ertrinken müssen. Und wenn alle Beteiligten sich richtig verhalten, steigen die Überlebenschancen für jedermann.
Der Take-off war angenehm, und ich realisierte, dass ich ungefragt dieser verantwortliche Erwachsene sein würde, wenn die Masken über die Prinzessin und mich hinabfallen würden. Das Schicksal hatte mich Platz neben diesem fremden Kind nehmen lassen, und mir damit eine Rolle zugewiesen „Es ist ihr erster Flug“, erklärte mir ihre Mutter von der anderen Seite des Mittelganges. Ihr Mann, ein Portugiese, wäre Profifußballspieler und seit kurzem beim FC Funchal angestellt. Die Reise wäre keine Urlaubsreise, sondern Familienzusammenführung. Ich erinnerte mich an die Verabschiedung vom Vorabend. „Gute Reise“, wünschten mir meine eigenen Kinder, von denen ich mich trennte. „Erhol dich gut, Papa“. Dass ich mich in Deutschland endgültig abgemeldet hatte, ignorierten sie einfach. Ich war auf der Flucht.
Im Landeanflug auf Santa Cruz wurde die Boeing während einer langen Rechtskurve im Sinkflug kräftig geschüttelt. Sie schien in dem Moment ein ganzes Stockwerk tiefer zu fallen, als die Maschine vom Kapitän wieder zum Geradeausflug auf die seitlich ins Meer ragende Landepiste ausgerichtet wurde. Die Innenbeleuchtung des Flugzeugs flackerte und zwei Sitzreihen vor uns übergab sich einer der Passagiere. Die Frau neben der Mutter meiner Prinzessin betete laut schluchszend in einer mir unbekannten Sprache, und die Triebwerke heulten laut auf, als die Maschine mit einem weiteren kräftigen Ruck hart auf die Landebahn aufsetzte. Der Flugkapitän hatte große Mühe die 65 Tonnen Flugzeuggewicht nebst seinen 94 Passieren und dem Gepäck abzubremsen und auf normale Rollgeschwindigkeit zu drosseln. Auch ich fürchtete, dass die Boeing seitlich ausbrechen und verunglücken könnte. Kräftiger Regen schlug gegen das kleine Bullauge, aus dem das kleine Mädchen nach draußen schaute, ohne etwas erkennen zu können. Niemand klatschte, und erst jetzt realisierte ich, dass die kleine Hand der Prinzessin sich fest an meiner Hand gehalten hatte. Ich lächelte sie an.
Im Terminal verlor ich die deutsche Frau des portugiesischen Fußballprofis und die Prinzessin im rosafarbenen Faschingskostüm mit den Puffärmeln und dem hohen Kragen aus den Augen. Sie blieben am Ausgang der Zollkontrolle zurück und schauten sich nach einem Angestellten des Fußballvereins um, der sie dort in Empfang nehmen sollte. Ich wurde nicht erwartet und ging mit meinen beiden Rollkoffern, in denen sich mein bewegliches Hab und Gut befanden, schnurstracks und ohne zurückzusehen zu den Taxiständen, in dessen erstes wartendes Mercedesautomobil ich einstieg. Es regnete unverändert heftig, und die wenigen Minuten unter freiem Himmel genügten, um meine Jacke und das Hemd zu durchnässen.
„Magdalena do Mar, por favor. Quero vou na rua Vista Boa, no. 37”, gab ich dem älteren Taxifahrer das Fahrtziel bekannt. Er fragte nochmals nach, aber ich verstand ihn nicht, so dass ich einfach wiederholte: „Eu moro em Magdalena, rua Vista Boa. Compreender-se?“
„Sim boa“, sagte der Mann, nickte und startete den Motor. Die Scheibenwischer arbeiteten auf höchster Stufe. Ich verstand zwar nicht, was er mir als nächstes erzählte. Sicherlich meinte er, dass das Wetter so schlecht wie noch nie und soviel Regen eine Strafe Gottes und eine Katastrophe für den Tourismus wären. Aber vielleicht wollte er mir auch nur sagen, dass die Fahrt wegen des Unwetters etwas länger dauern würde.
Vorbei an Canico de baixo kämpfte sich das Taxi in Schrittgeschwindigkeit auf der dreispurigen Schnellstraße Nr. 101 in Richtung Funchal. Weder das Meer zur Linken noch die Bergseite zur Rechten waren durch die Regenwand erkennbar. „So ein Scheißwetter!“ rutschte es mir auf Deutsch heraus. „Sim, sim“, bestätigte der Fahrer, als ob er mich verstehen könnte. „Está num inferno!“ „Nein, Nein, mein Freund. Das ist nur Regen. Wo ich her komme, das war die Hölle.“ Mein Chauffeur konnte mich ja nicht verstehen. Schamlos nutzte ich diesen Umstand aus und begann darüber zu sprechen, ja fast schon zu plaudern, was mich hier auf diese Insel getrieben hat. Ich begann das zu sagen, was ich seit Wochen meinen Kindern mitteilen wollte, und nicht konnte. Begann, mich freizusprechen.
„Die Hölle, mein Freund ist, wenn du deine Frau beerdigen musst. 27 Jahre waren wir verheiratet. Du wachst morgens auf, spürst noch ihre Wärme an deiner Seite und bereitest das Frühstück für sie. Und während das Kaffeewasser sprudelt, bleibt ihr Herz stehen. Keine fünf Meter von dir entfernt stirbt der Mensch, für den du durch die Hölle gegangen wärst. Und du überbrühst das Kaffeepulver, stellst die Butter auf den Tisch, dass sie nicht mehr so schwer zu streichen ist, machst das Radio an, und wartest, dass sie aufsteht, so wie sie an den Tagen zuvor nach den ersten Takten aufgestanden war. Doch sie steht nicht mehr auf. Sie ist tot, einfach eingeschlafen, während du den ganzen Unsinn in der Küche gemacht hast.“
„Tempo de merda!“ fluchte mein Fahrer und wischte mit einem Lappen die beschlagenen Scheiben von innen frei.
„Und dieser Trottel von Notarzt, der viel zu spät kam, schreibt in seinen Bericht: Unklare Todesursache. Dann kamen die Schweine von der Kripo, zogen sie aus und fingerten an ihr herum. Und du stehst dabei und kannst nichts dagegen machen. Und während sie Fotos von deiner nackten Frau machen, fragen sie dich, ob sie Tabletten oder Drogen nahm. Ob du Sex mit ihr gehabt hast, und ob vielleicht dabei etwas passiert sei. Das ist die Hölle! Das ist die Scheiße! Verstehst du, mein Freund?“
„Sim, sim, Senor. Muito chuva. Como um diluvio!”
„Ja, eine Sintflut. Da hast du Recht, mein Freund. Eine Sintflut von Fragen, an denen du ertrinken möchtest. So waren die Tage danach. Weißt du, dass meine eigenen Kinder mich fragten – nein nicht mit Worten, sondern ganz diffizil – ob ich etwas mit ihrem Tod zu schaffen habe. Es wußte ja niemand, woran sie genau gestorben war. Klar, ihr Herz blieb stehen. Aber das war doch nicht die Ursache. Da muss doch vorher etwas passiert sein. Weißt du, was die Hölle ist? Wenn deine Kinder dich für den Mörder ihrer Mutter halten! Das ist die Hölle.“
Ich schlug mir die Hände vors Gesicht, weil ich meine Tränen nicht zurückhalten konnte. Ich wäre für sie durch die Hölle gegangen. Ich wäre an ihrer Stelle gestorben, wenn ich eine Wahl gehabt hätte. Ich habe sie unendlich geliebt. Doch sie starb mit nur 46 Jahren, ohne eine Spur des Warums zu hinterlassen. Weder morphologisch noch toxikologisch konnte die Todesursache bestimmt werden. Sie schlief einfach ein, und hinterließ mir ein Erbe, zu dem auch der Verdacht gehörte, dass ich an ihrem mysteriösen Tod schuld sein könnte. Ein Verdacht, vor dem auch meine eigenen Kinder nicht Halt machen konnten.
Das Taxi mußte anhalten. Ein armseliger Polizist stand vor seinem quer gestellten Streifenwagen mit einer Kelle in der Hand auf der Straße, zog eine Art Persenning über seinen Kopf, und signalisierte meinem Fahrer, dass es hier nicht weiterginge. Wir standen vor dem ersten der drei großen Tunnel, die Funchal mit der Westküste, an der auch Magdalena do Mar lag, verbanden. Der Fahrer kurbelte die Scheibe ein Stück herunter und fragte, was da los sei. Soweit ich es verstehen konnte, erklärte der Polizist die Straßensperre mit Geröll in der Tunnelröhre. Wir sollten umdrehen und nach Hause fahren.
„Und genau das werden wir auch machen, mein Freund. Dann fahr’ von mir aus über den Berg, die alte Straße, verstehst du: rua velho para o montanha. Para o lado de monte.“ Mein Portugiesisch war scheußlich. Aber der Fahrer schien zu verstehen. „Para Monte“ wiederholte er. Er drehte das Taxi, fuhr ein Stück entgegen der Fahrtrichtung und dann von der Schnellstraße herunter in den Vorort Funchals. „Monte“ stand auf dem Straßenschild.
Wir fuhren langsam den Berg hinauf und mussten immer wieder Steinen, Tischen, Stühlen, Gartengrillgeräten, Fahrrädern und allem sonstigen Kram, der mitten auf der Straße lag, ausweichen. Die Wassermassen spülten alles, was ihnen im Weg stand, den Berg hinunter. Je höher wir kamen, umso einfacher schien es zu werden. Vielleicht bekam mein Fahrer auch einfach nur mehr Übung beim Passieren dieser Hindernisse. Ich hatte keine Ahnung mehr, in welche Himmelsrichtung wir fuhren, oder wo genau wir waren. Monte kannte ich von früheren Urlauben. Hier rutschten doch die Korbschlittenfahrer mit den Touris den Berg hinunter. Hier waren doch auch der japanische Garten und das Fußballstadion von Funchal.
„Estádio de futebol“, sagte ich meinem Fahrer, und erinnerte mich an die Prinzessin und ihre Mutter aus dem Flugzeug, deren Ziel hier sein musste.
„Sim, sim, Estádio de futebol, lá está!“ bestätigte mein Fahrer und zeigte nach vorne. Nach ca. 400 Metern hielt er in Höhe einer Polizeistation an und zeigte auf die Mauern des Fußballstadions von Funchal. „Là està!“ Obwohl ich gar nichts mit dem Stadion zu tun hatte, öffnete ich die Wagentür, zog meine Jacke über den Kopf und stellte mich neben das Auto in den Regen.
Kaum stand ich auf der Straße, ertönte ein donnerndes Bersten und Krachen von der zum Berg gelegenen Polizeistation. Ich sah, wie die hintere Mauer des Parkplatzes, auf dem zirka ein Dutzend Streifenwagen abgestellt waren, auseinanderbrach und sich eine meterdicke Flut dunkelbraunen Wassers durch die Lücke auf das darunter liegende Gelände stürzte. Der Druck des Wassers war so stark, dass die Polizeiautos einfach bergab geschoben wurden und in meine Richtung rutschten. Instinktiv rannte ich bergauf, bis der erste Streifenwagen gegen die Mauer krachte, die das Polizeigelände von der Straße, auf der auch das Taxi stand, trennte. Es gab zwei weitere Anstöße, und die Mauer gab nach, fiel genau wie die hintere Geländeeinfriedung krachend um, und die Blechlawine wurde auf die Straße gespült. Mein Taxifahrer hatte keine Chance sein Auto in Sicherheit zu bringen und wurde nun als erstes Automobil von der Wasser- und Blechlawine einfach den Berg hinunter gedrückt.
Polizisten kamen aus dem Dienstgebäude, hielten sich gegenseitig an den Händen fest und versuchten an ihre Streifenwagen, soweit sie noch auf dem Parkplatz waren, zu gelangen. Die Wassermassen umspülten jedoch ihre Beine, und hätten sie sich nicht gegenseitig festgehalten, wären diese Männer genauso wie ihre Fahrzeuge einfach weggespült worden. Die Hauptkraft der dreckigen Brühe wirkte nur wenige Meter unter mir und verwandelte die Straße in ein Schlachtfeld. Ein Polizist rief mir irgendetwas zu, dass ich nicht verstehen konnte. Mein Portugiesisch ist nicht nur scheußlich, sondern völlig ungenügend. „Nao entendi!“ brüllte ich zu ihm herüber. „Pode repetir, por favor?“ Ich verstand ihn immer noch nicht, deutete ihn jedoch so, dass ich herüber zur Polizeistation kommen sollte.
Ein fataler Fehler war dies. Kaum war ich drei Schritte in das flutende Wasser auf der abschüssigen Straße getreten, schlug ein Brocken gegen meine Wade und brachte mich zu Fall. Mit den talwärts stürzenden Wassermassen wurde nun auch ich bergab gerissen und suchte mit Händen und Beinen mich irgendwie und irgendwo festzuhalten. Es gelang mir nicht. Ich verspürte harte Schläge gegen meinen Körper, hauptsächlich an den Oberschenkeln. Ich war nicht in der Lage mein Rutschen aufzuhalten. Dann traf mich eine Eisenstange, vielleicht ein Teil eines Geländers, hart am Kopf und ich tauchte in den Fluten unter. Wie ein Fötus rollte ich mich zusammen, driftete unaufhaltsam weiter bergab, schnappte nach Luft, wenn ich den Kopf über Wasser wähnte, schluckte den öligen Sud Brühe und glaubte daran zu ersticken, bis ich mit meinem Bein in einer Rinne eingeklemmt und äußerst schmerzhaft abrupt angehalten wurde. Sekunden später traf mich ein Stuhl, der aus irgendeinem Garten oberhalb herausgespült war, und ich bereute hier mitten im Schussfeld festzuhängen. Aber ich bekam wenigstens wieder Luft.
Jetzt bemerkte ich, dass ich nicht der einzige Mensch war, dessen Schicksal an diesem Berg enden sollte. Ich konnte zwar niemanden sehen oder gar erkennen, aber ich hörte Schreie, schreckliche, teuflische Schreie. Das einzige Wort, das ich verstehen konnte, war in Todesangst herausgeschrieen: „Socorro!“
Ich drehte und wand mich in der Rinne, die mein rechtes Bein einklemmte, um frei zu kommen und suchte vergeblich zu lokalisieren, woher genau diese Hilferufe kamen. Nach einer scheinbaren Ewigkeit bekam ich das Bein endlich frei und warf mich zur linken Seite, wo ich die Menschen vermutete, die ich kurz zuvor noch gehört hatte. Und einen erschreckenden Moment war es mir, als hätte ich nicht das portugiesische Wort, sondern tatsächlich „Hilfe! Hilfe!“ gehört. Spielte mein Gott mir einen Streich?
Ich weiß nicht, wie viel Meter oberhalb die Polizeistation lag, und was unterhalb von mir zu erwarten war. Ich wußte nur, dass ich eine einzige Straßenbreite bewältigen musste, um auf die andere Seite zu gelangen, woher dieses „Hilfe! Hilfe!“ erklungen war. Eine lächerliche Straßenbreite, die mich von Menschen trennte, die mir vielleicht Hilfe und Rettung bedeuteten, auch wenn sie selbst in Not waren. Ich holte tief Luft, legte mich flach auf den Boden und begann wie eine Schlange unter Wasser hinüber zu kriechen. Und es gelang mir tatsächlich drüben anzukommen.
Als ich auftauchte, tastete ich mit meinen Händen nach einem Halt und erwischte einen Fetzen, der an einer Treppe eingeklemmt war. Daran hielt ich mich fest, bis ich ganz an der Hauswand anlag und mich aufrichten konnte. Der Fetzen war ein rosa Stoff, ursprünglich eine Art Kinderkleid mit Puffärmeln und einem hohen Kragen. Ich erkannte es sofort wieder. Es war das Kleid der namenlosen Prinzessin, die meine Hand hielt, als das Flugzeug wackelte. Es war nur ihr Kleid.
Ich erstarrte. Bewegungslos stand ich da im Schutz der Treppe mit diesem Kleid in der Hand, dessen Bedeutung mir nur all zu gewiss war. Das Mädchen hatte keine Chance gehabt. Wäre ich früher zur Stelle gewesen, dann hätte ich sie vielleicht aus dieser Hölle retten können. Doch ich war Sekunden zu spät. Selbst mit dem verfluchten Leben davongekommen, empfand ich nur leere Wut und begann haltlos zu weinen. Mit dem Kleid der Prinzessin versuchte ich das Wasser zurückzupressen, das aus mir herausbrach, um sich mit diesem teuflischen Regen zu vermischen. Es war die Hölle.
„Vamos para o diabro, todos a gente“, sagte die Frau, als sie ihre Haustür an der Treppe öffnete, und unfaßbar auf das Chaos und die Zerstörung schaute, in der eben noch ihre Heimat war. „Ja, wir fahren alle zur Hölle“, sagte ich, „wenn wir nicht schon in der Hölle sind.“
Texte: Alle Rechte beim Autoren
Tag der Veröffentlichung: 09.04.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Beitrag zum 17. Bookrix-Wortspiel
überarbeitete Fassung