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Carmelitas Wunschzettel




Es gibt hausgemachte Probleme, die niemanden etwas angehen außer denen, die sie gemacht haben. Es gibt universelle Probleme, die eine Vielzahl von Menschen angehen, selbst wenn sie öffentlich nicht darüber sprechen – oder in manchen Fällen auch nur noch davon, und von nichts anderem mehr reden. Es gibt Fragen, die nur Frauen stellen; manche Männer meinen, dass auch nur Frauen diese Fragen stellen konnten. Und sie selbst, die Adamssöhne, haben auch ihre besonderen Gedankengänge. Es gibt die speziellen Probleme Erwachsener, typischen Pubertätskummer, und auch ganz junge Menschen haben ihre großen und kleinen Sorgen.

Eine Frage zieht sich wie ein roter Faden durch alle Generationen und fast jedermann in der westlichen oder christlich geprägten Welt hat diese Frage selbst schon gestellt. „Gibt es den Weihnachtsmann wirklich?“ Und genauso wie dieser rote Faden endlos zu sein scheint, sind auch die Geschichten, die die Wissenden darauf zu erzählen haben, schier endlos.

Das ist die Geschichte von Carmelita



Die Tochter einer Bekannten aus Venezuela, sie ist acht Jahre alt und nicht nur ausgesprochen hübsch, sondern auch sehr klug, gehört nicht mehr zu den fragenden Menschen. Auch ohne Schnee und Rentierschlitten, ohne Weihnachtsbaum, Plätzchenbacken und Mitternachtsmesse, das es alles im Dezember in Venezuela nicht gibt, weiß Carmelita sicher: es gibt den Weihnachtsmann. Sie hat es sogar schwarz auf weiß.

Solange Carmelita zurückdenken kann, schrieb sie ihre Wünsche auf einen Wunschzettel und bekam alle Jahre auch ein, zwei oder gar drei Geschenke aus dieser Liste, die anfangs gemalt und später in Buchstaben verfasst war. Aber niemals bekam sie vom Weihnachtsmann das Geschenk, das ganz oben stand, und das sie sich am allermeisten wünschte. Aber sie hatte gelernt.

Letzte Weihnachten schrieb sie ein einziges Wort auf ihren Wunschzettel: "Hund". Denn sie wünschte sich nichts sehnlicher als einen eigenen Hund. Sie wünschte sich so sehr einen kleinen vierbeinigen Freund, dass sie es fast nicht bis zur Adventszeit ausgehalten hatte, diesen sehnlichen Wunsch für sich zu behalten. Ihre Eltern waren einfache Leute. Luxus und Komfort gab es nur im Fernseher; im Haus fehlte es immer an irgendeiner Stelle. Und ein Haustier kostete Geld. Da konnte nur der Weihnachtsmann helfen, und deshalb vertraute Carmelita ihren Wusch zu allererst dem Weihnachtswunschzettel an.

Als es soweit war und die Geschenke auf dem Gabentisch lagen, konnte sie gar nicht abwarten, bis beschert wurde. Die Vorstellung, dass ihr Hund da in einer engen dunklen Kiste warten musste, bis aufgegessen, aus der Bibel vorgelesen und die Kleinen als erste ihre Päckchen bekommen hatten, war grausam und quälte sie unendlich. Also drängelte sie und wurde zum ersten Mal an einem Weihnachtstag so richtig unleidlich und gar nicht mehr die süße Carmelita, die sie an allen anderen Tagen war. Aber das Wohl ihres Hundes war ihr wichtiger.

Es nutzte nichts. Die Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten waren unerbittlich und schienen sich erst Recht Zeit mit dem Essen zu lassen. Carmelita war den Tränen nahe. Endlich waren die Weihnachtsgeschichte gelesen und die drei obligatorischen Lieder gesungen, und die Zwerge stürzten sich auf ihre Päckchen. Zum Glück ließen wenigstens die sich keine Zeit, sondern rissen das bunte Geschenkpapier gnadenlos auseinander und ließen ihrer Neugier, Freunde und Begeisterung freien Lauf.

Da war Carmelitas Päckchen. Groß und in einem weihnachtlichen Rot mit einer goldenen Schleife. Genau die richtige Größe für das Hündchen, das sich Carmelita so wünschte. Obwohl es sie drängte und sie am liebsten auch die Verpackung aufgewühlt hätte, nahm sie vorsichtig den Karton und löste die goldene Schleife. Der Hund darin schien ganz still zu halten, kein Mucks, kein Laut, nicht einmal ein Kratzen. Carmelitas Herz wollte vor Aufregung platzen.

Der Deckel des stabilen Kartons ließ sich leicht nach oben heben. Zuoberst lag ein schmuckvoller Briefumschlag mit ihrem Namen darauf. Carmelita hob den Brief heraus und schaute auf das zottelige Fell des süßesten kleinen Hündchens, das sie sich vorstellen konnte. Genau so einen Freund hatte sie sich gewünscht. Und der Hund hielt immer noch ganz still, als ob er schlafen würde. Ein kleiner Schrecken kam über sie: Könnte es sein, dass die Zeit in dem Karton für den Hund doch zu lange war?

"Was ist das für ein Brief?" hörte sie ihre Mutter Fragen. "Ist der vom Weihnachtsmann?" Alle verlangten nun, dass sie den Brief vorlesen sollte, obwohl sie doch lieber ...

Es half nichts. Carmelita öffnete den Umschlag und zog ein Blatt heraus, auf dem sie als erstes die Unterschrift "Dein Weihnachtsmann" las. Im Brief stand:

"Liebe Carmelita!

In jedem Jahr gibt es einige Kinder, die es mir sehr, sehr schwer machen, ihnen ihren größten Wunsch zu erfüllen. Ich gestehe, diesmal gehörst du zu ihnen. Du hast dir ein Hündchen gewünscht, einen vierbeinigen Freund und Vertrauten.

Ich hätte Dir gerne einen kleinen Hund geschenkt. Aber ich musste außer deinem Wunsch auch manch anderes bedenken. Wer kümmert sich um deinen Freund, wenn du es nicht selbst kannst? Du bist jeden Vormittag und dreimal in der Woche sogar ganztags in der Schule. Du wirst deine Ferien bei deinen Verwandten in Europa verbringen, darauf freust du dich doch schon seit langem, und Hunde können ohne weiteres nicht durch die Welt fliegen.

Deine Eltern sind nicht reich. Jeder Dollar, den sie für den Tierarzt, das Hundefutter oder die Versicherung ausgeben müssen, fehlt an anderer Stelle. Und was mir, deinem Weihnachtsmann, am meisten Kummer bereitete: Was werden deine drei kleineren Geschwister empfinden, wenn alleine du ein lebendiges Geschenk bekommst. Im nächsten Jahr wird euer Haus ein Zoo werden, glaube es mir, wenn ich all die Wünsche ohne Prüfung erfüllen würde.

Der Hund im Karton heißt Felix, das bedeutet "Der Glückliche". Es ist zwar nur ein Plüschtier, aber Felix wird dir gefallen, denn er kann eine ganze Menge Sachen, die man ihm so gar nicht ansieht. Du wirst alles nach und nach entdecken. Und wenn du sein Halsband dir ansiehst, dann wirst du darauf eine Telefonnummer und Adresse finden, die zu einem Tierheim gehört, in dem viele Hunde darauf warten, dass Kinder wie du mit ihnen - wann immer sie Zeit haben - vorbeikommen, sie füttern und pflegen und sogar mit ihnen spazieren gehen.

Sollte sich in einiger Zeit herausstellen, dass Du mit diesen Hunden verantwortungsvoll und zuverlässig umgehend kannst, und sollte sich in deiner Familie die Einsicht ergeben, daß ein Hund für "alle" ein Gewinn wäre, dann würde sich Felix ganz bestimmt freuen einen solchen Familienhund zur Seite zu bekommen. Bis dahin soll er dich jeden Tag daran erinnern, daß der Weihnachtsmann dich nicht vergessen hat.

Dein Weihnachtsmann"

Impressum

Texte: Die Erzählung ist Teil der Bookrix-Charity-Aktion Weihnachten 2009. Titelbild copyright von Angela Huth / aboutpixel.de
Tag der Veröffentlichung: 22.12.2009

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