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Dilettantismus allenthalben


„Und was machst du jetzt den ganzen Tag?“ Ich glaube, der Satz war der Frau meines besten Freundes nur herausgerutscht, als ich den beiden bei einem Glas Wein ernsthaft mitteilte, dass ich nicht mehr arbeiten würde. Eine Antwort erwartete Barbara nicht, und Herbert, mit dem ich schon zusammen die Grundschule besucht habe, schaute verlegen zu Boden.

„Hausmann“, ließ ich meinerseits herausrutschen, wobei ich allerdings die Achseln hochzog und die baren Innenseiten meiner Hände zeigte. „Ich kann ja sonst nichts.“

Barbara konnte es nicht fassen. Für sie war ich immer noch der Terroristenjäger, der Drogenfahnder, der Superbulle, der der Mafia das Fürchten lehrt. Und bis vor neun Wochen hatte sie sogar ein ganz kleines bisschen Recht mit dieser Vorstellung; denn ich war Leiter eines mobilen Einsatzkommandos des Hessischen Landeskriminalamtes - gewesen. Eines von vier MEK, das ich sechs Jahre lang operativ führte.

„Du nimmst uns auf den Arm“, versuchte Barbara ein weiteres Mal aus mir herauszulocken, was wirklich passiert ist. „Du machst jetzt was auf under cover, oder so, stimmt’s?“

„Nein“, schüttelte ich den Kopf. „Ich mache jetzt auf Hausmann!“ Und sachlich fügte ich hinzu, daß ich mit Wirkung zum 01. Dezember 2009 unwiderruflich aus dem polizeilichen Einzeldienst in den Vorruhestand versetzt wurde.

Immer noch skeptisch und ihrem gesunden Menschenverstand folgend wendete sie ein drittes Mal ein: „Herbert und Du seid beide erst 46 Jahre alt. Du bist kerngesund. Wieso solltest du schon in Rente sein?“

„Pension“, berichtigte ich mit erhobenem Zeigefinder. „Aber nur mit 60 Prozent der letzten Bezüge“, was bedeutete, dass ich mehr Geld für meinen Ruhestand als Herbert in seinem Job als Qualitätsmanager in seiner Firma bekam.

Wir drei kannten uns schon viele Jahre, viele gemeinsame Urlaube, und mein alter Schulkamerad war derjenige, mit dem ich durch Dick und Dünn gehen würde. Ich war der Taufpate ihrer beiden Kinder, die Familie war für mich so etwas wie ein sozialer Hafen, nachdem meine eigene kinderlose Ehe vor nun vier Jahren unspektakulär geschieden wurde, und ich keine Kenntnis darüber hatte, was meine Ex Corinna heute machte. Barbara und Herbert konnte ich vorbehaltlos vertrauen.

„Hausmann“, lachte Herbert. „Kannst ja bei uns anfangen. Dreimal die Woche durchsaugen, Staub wischen, Wäsche waschen, bügeln.“

Barbara schaute mich immer noch ungläubig an. Ich goss den Rest der Rosé-Flasche in ihr Glas, und mit einem Augenzwinkern zu ihrem Mann stellte sie fest: „Für deine eigene Wohnung langt dir doch eine halbe Woche, oder? Und da du jetzt ja Zeit ohne Ende hast, wenn …“

„ … wenn ich die Wahrheit gesagt habe?“ Ich holte tief Luft. „Okay, ich sage euch, was passiert ist. Aber nicht lachen. Es ist die Wahrheit. Okay?“ Die beiden bemühten sich um Ernsthaftigkeit, versteiften ihre zuhörende Haltung und ließen mich beginnen.

„Am Freitag, den 02. Oktober, hatte ich ein ganztägiges Einsatztraining mit meinem Team angesetzt. Wir wollten ein neues taktisches Konzept mit neuer Technik üben, um Fahrzeuge von Entführern oder Geiselnehmern auf der Autobahn zu stoppen und die Täter rasch und wirkungsvoll auszuschalten. So ein bisschen à la James Bond, wenn ihr versteht, was ich meine. Aber unser Training endete in einem Fiasko. Nichts funktionierte wie es sollte. Es war stümperhaft und im Ernstfall wäre es ein Desaster geworden. Ich brach die Übung ab, brachte den technischen Zauber zurück zur Polizeischule, machte dort mächtig Stunk, und wollte stattdessen mit meinen Leuten ins neue, viel gelobte Schießkino.“

Meine Zuhörer unterbrachen mich nicht. Sie hatten mich schon häufiger über den Dilettantismus innerhalb des Polizeiapparates schimpfen gehört und wussten, dass ich ein Perfektionist bin, wenn es um meinen Job ging. Daher gab es auch keine Zustimmungen zu meinem Vortrag, sondern nur geduldiges Zuhören; denn das konnte ja noch nicht der Anlass für meine Ruhestandsversetzung gewesen sein.

„Mit insgesamt acht Beamten erschien ich also in der modernsten Schießanlage Deutschlands, um vor einer verschlossenen Tür zu stehen, auf der ein DIN-A4-Zettel klebte mit dem Hinweis, dass die Raumschießanlage wegen Überschreitung der Feinstaubwerte bis auf weiteres geschlossen sei.“ Ich räusperte mich und konnte mir den Hinweis nicht verkneifen, dass nur wenige Tage zuvor in der Frankfurter Rundschau ein grosser Artikel über dieses supermoderne Schießkino zu lesen war, in dem die Teilnehmer nicht auf Scheiben sondern auf einen laufenden Film schießen, der im Moment der Schußabgabe anhält – wenn die Feinstaubwerte dies zulassen.

„Na ja“, räumte ich an dieser Stelle meines Vortrages ein, „ich war ziemlich gefrustet. Erst die stümperhafte neue Technik auf der Autobahn und dann die gesperrte Schießanlage. Meine Leute machten Feierabend, und ich nutzte die Gelegenheit, um mich bei einem oder zwei Saunagängen abzuregen und zu entspannen. Freitags ist dafür eigentlich der beste Tag, und weil tags darauf ein Feiertag war, konnte ich davon ausgehen, dass die Polizeistudenten bereits auf dem Nachhauseweg waren.“

Was hatte das mit meiner Hausmannwerdung zu tun?

schienten die Gesichter meiner Freunde zu fragen. Ich musste zum Punkt kommen.

„In der finnischen Sauna, einem weiteren Schmuckstück unserer Polizeischule, war ausser mir nur noch ein Kollege“, fuhr ich fort. Ich lag mit meiner Einschätzung, was den Besucherandrang anging, also richtig. „Und irgendwoher kannte ich diesen Kollegen auch. Er war etwas älter als ich, und ich überlegte, wo wir uns schon über den Weg gelaufen waren. Aber bei 17.000 Polizisten allein in Hessen kann man nicht jedes Gesicht und jeden Namen kennen. Außerdem sehen die Leute in der Sauna anders aus als in Uniform oder bei einem Einsatz.
Nach einer Weile fragte ich den Mann: Bist du aus Frankfurt?


Er schüttelte den Kopf.
Aus Wiesbaden

, fragte ich.
Ja

, sagte er, und ich offenbarte ihm: Ich kenne dich irgendwo her. Bist du beim Kriminaldauerdienst, Kollege?


Er schüttelte wieder den Kopf und zog sich das Handtuch über die Haare.
Du bist aber kein Schupo?

wollte ich wissen.
Nein

, schüttelte er den Kopf, kein Schupo

.
Ich verriet ihm, dass ich beim LKA beschäftigt bin, ohne auf meine genaue Tätigkeit einzugehen. Beim nächsten Aufguss nutzte ich die Gelegenheit, reichte ihm meine Hand, und sagte: Armin, heisse ich, und du?


Er antwortete mit Volker

, schüttelte meinen Arm und wollte wissen, wie es denn so laufen würde.
Am besten redet man sich seinen Frust vom Leib. Boxen oder Reden, das sind die schnellsten Methoden, um abzureagieren. Und so erzählte ich ihm von der Versagertechnik, die wir an diesem Tag testeten, und dem Witz an der Raumschießanlage, die bestenfalls für eine PR-Maßnahme, aber nicht zum Schießtraining geeignet ist. Und überhaupt: Dilettantismus allenthalben, und wer ist schuld daran? Schwachsinnige Politiker, die von der Arbeit an der Front keine Ahnung haben und nur an ihr Image in der Bevölkerung denken. Ich bin nichts, ich kann nichts, macht mich zum Chef

, äffte ich eine Politikerwahlrede nach. Für solche Idioten halten wir Tag und Nacht den Arsch hin

, beendete ich meinen Sermon.“

Wir hatten unsere Gläser ausgetrunken, so dass ich noch eine Flasche Rosé entkorkte und Herbert und Barbara nachschenkte. Der Mimik meiner Freunde konnte ich ansehen, dass sie der Meinung waren, ich wäre vollends vom Thema abgekommen. Denn was sollte dieser Saunagang mit meiner Pensionierung zu tun haben. Ich lächelte die beiden ein wenig hämisch an, weil ich ihre Gedanken und die Antwort kannte.

„Also, nachdem ich bei meinem Kollegen so richtig Dampf abgelassen hatte und die Hitze in der Sauna ihren Teil dazu beigetragen hatte, dass es mir wieder besser ging, bedankte ich mich bei Volker, der nun wissen wollte, wo genau ich denn arbeiten würde. Da es nicht der Geheimhaltung unterliegt, sagte ich ihm nicht ohne Stolz, dass ich beim MEK Wiesbaden wäre und nannte ihm auch meinen Namen und die Amtsbezeichnung.
Jetzt musst du mir aber auch sagen, wo du arbeitest

, forderte ich meinen Kollegen auf, weil ich weiss, daß wir uns kennen. Volker und Wiesbaden helfen mir allein nicht weiter. Zu welchem Haufen gehörst du denn?
Ministerium

, verriet Volker mit unterdrückter Stimme.
Du bist beim Personenschutz

, sagte ich ihm auf den Kopf zu, weil mit dieser Abteilung im Hessischen Landtag hatte ich früher schon zu tun gehabt.
Nein, nicht Personenschützer. Ich heiße Volker Bouffier und bin

– an der Stelle liess er eine kleine Pause – dein Innenminister.



Herbert und Barbara versuchten ein Glucksen zu unterdrücken. Sie drehten sich zur Seite und hielten sich die Hand vor dem Mund. Doch das Beben liess sich nicht länger zurückhalten. Je mehr die beiden versuchten Fassung zu behalten, umso stärker wurde der Drang, laut heraus zu lachen, und schliesslich gab es kein Halten mehr. Barbara liefen die Tränen und sie hielt sich mit beiden Händen das Zwerchfell, und Herbert mußte sich über die Sofalehne legen, da er an seinem Lachanfall fast zu ersticken drohte. Nur ich konnte nicht so richtig mitlachen.

„Möchtet ihr noch wissen, was danach geschah?“ fragte ich anstandshalber. Aber die beiden hatten sich immer noch nicht beruhigt, so dass es eine Weile dauerte, bis Herbert antworten konnte: „Nein danke, den Rest können wir uns denken. Du hattest die Wahl zwischen bewaffneter Schülerlotse oder Ganztagshausmann.“

„So ungefähr war es. Und jetzt ratet mal, wie ich mich entschieden habe?“


Impressum

Texte: Die Handlung dieser Kurzgeschichte ist frei erfunden. Es gibt keine saunageborenen Hausmänner. Alle Rechte beim Autor.
Tag der Veröffentlichung: 07.12.2009

Alle Rechte vorbehalten

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