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Briella saß in ihrem Zimmer und betrachtete das Bild ihrer Eltern. Hass loderte in ihr auf, schlug wie wilde Flammen um sie und ließ sich nicht zügeln.
Auf dem Bild blickten ihr ihre Eltern entgegen, beide Dämonen und oberste Diener von Senktus, unter den Menschen bekannt als Teufel.
Jahrzehnte lang hatten die beiden Seite an Seite für Senktus gekämpft, hatten es sogar geschafft Ariel auszulöschen, doch dann hatte es ihnen Solon, der gute und weise Gott der Menschen und weißen Engeln, zurückgezahlt.
Er, höchstpersönlich, hatte die beiden ausgelöscht, hatte sie mit seinem Lichtschwert zerstört, so wie sie zuvor seinen Sohn.
Damals war Briella erst sechs Jahre alt gewesen.
Das war nun schon lange her, doch noch immer ließ die Wut in ihrem Bauch nicht nach.
Es klopfte an ihrer Tür.
Rasch legte sie das Bild zurück und bat den Besucher herein.
Es war Senktus, sozusagen ihr Adoptivvater.
"Prinzessin, ich spürte deinen Hass und deine Wut, ist mit dir alles in Ordnung?", fragte er besorgt und zog sie an sich. Briella umarmte ihn und krallte ihre Finger in sein dickes, schwarzes Cape.
Zärtlich strich er ihr über ihre langen, blonden Haare und versuchte sie zu beruhigen.
"Du weißt, dass ich Hass und Wut schätze, doch sie ist eine gefährliche Waffe, Liebes. Sie kann dich zerstören! Nicht einmal Solon und ich schaffen es, die Wut und den Hass auszublenden, doch ich habe meine Wut unter Kontrolle, und du solltest auch lernen, dich zu beherrschen. Ich habe Sion und Eleila versprochen, dich vor allem zu beschützen, und werde dieses Versprechen halten.
Such dir doch einfach ein paar Menschen und mach ihnen das Leben zur Hölle, im wahrsten Sinn des Wortes. Ich habe ein paar, deren Zeit abgelaufen ist! Solon wird nicht lange warten, nimm dir doch ein paar Freunde mit! Ich muss wieder zur Arbeit, du kannst jederzeit zu mir kommen, verstanden?"
Sanft drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn und ging aus dem Zimmer. Als er fast bei der Tür angelangt war, zischte Briella:
"Wie lange, Senktus, wie lange noch?
Ich will nicht mehr warten, ich war lange genug auf der Akademie, ich bin neben dir das stärkste Wesen in diesem Reich! Ich will nicht mehr länger warten!" Ihre Stimme wurde laut, sie schrie und zerbrach einen Spiegel mit ihrer Hand.
"Nicht mehr lange, Kind. Nur noch eine letzte Prüfung, dann bist du offiziell eine Schattenkriegerin! Tief durchatmen, denke an deine Eltern, sie hätten dich nicht so von Hass zerrissen sehen wollen." Mit einem Lächeln verließ er das Zimmer.

"Briella, ich weiß deine Anwesenheit wirklich zu schätzen, aber würdest du uns ein bisschen deiner Aufmerksamkeit schenken?" Briella blickte auf.
Sie saß auf einer schwarzen Couch, auf ihren Knien ein Buch und ein Heft, umgeben von anderen Schattenakademieschülern und letztendlich auch der Lehrer. Sein Name war Lie und er hasste Briella.
Wäre sie nicht Senktus Adoptivkind, würde er sie wahrscheinlich jeden Tag in der Öffentlichkeit demütigen. Doch wegen ihrer hohen Stellung konnte er das nicht riskieren, ohne Angst vernichtet zu werden. Die Schüler um sie herum, körperlich alle im selben Alter, tatsächlich waren die meisten über ein Jahrhundert älter als Briella, kicherten, verstummten jedoch sofort, als Rauch aus Briellas wütenden Augen qualmte. "Was?", fuhr sie den Professor an. Dieser zuckte zurück, hatte sich jedoch schnell wieder unter Kontrolle.
"Würdest du uns bitte deinen Aufsatz über die alte Geschichte vorlesen? Die Aufgabe war, einen Aufsatz über die Entstehung der Schattenwelt, sowie Details von dem Machtkampf zwischen Gut und Böse...", säuselte der Lehrer.
Briella schlug ihr Heft auf, das mit schwarzer Tinte vollgekritzelt war. Sie war eine ausgezeichnete Schülerin, wusste mehr als alle anderen Bewohner zusammen, deshalb fand sie es auch äußerst nervig, dass sie jeden Tag ihre Hausübung vorlesen musste.
"Das ist ja wie im Kindergarten!", meckerte sie, erhob sich aber und trat vor die Klasse.
Das Klassenzimmer war rund, eigentlich nur eine Plattform im Himmel. Beugte man sich über den Rand der Akademie, konnte man auf die Wohnungshäuser und den Teufelspalast sehen.
Überall waren schwarze Möbel aufgestellt, Wolkenmöbel mit Pegasusleder überzogen.
Da sie diesen Aufsatz, oder zumindest ähnliche, schon oft geschrieben und gelesen hatte, zitierte sie auswendig:

"Am Anfang existierte nur eine unheimliche Energie, das Universum. Durch Zufälle entstanden Planeten und der Himmel. Eigentlich ist der Himmel ja ein Planet, nur millionenfach größer als die übrigen Planeten.
Aus dieser Energie entstanden mächtige Wesen, die Rothänen. Es gab nur zwei von ihnen, ihre Körper waren aus purer Energie, doch sie glichen uns, sowie den Menschen. Wie sie entstanden weiß niemand, doch sie zeugten Nachkommen. Wieder zwei, dieses Mal zwei Söhne. Solon und Senktus. Bald darauf verloschen die Energien der Rothänen und somit waren die Brüder die mächtigsten Wesen im Universum.
Gemeinsam bildeten sie weitere Wesen, alle waren Menschen. Anfangs harmonierten die beiden, doch in dem Punkt, welche Aufgaben die Menschen hatten, waren die beiden sich uneinig. Sie begannen zu streiten und teilten nach einem unentschiedenen Kampf das Universum in Erde, Himmel und Schattenreich. Jeder durfte zwei Menschen auswählen, mit denen er machen konnte, was er wollte, die Erde gehörte, so wie der Rest der Menschheit, beiden.

Gott, wie er sich nannte, schuf Wesen, die fliegen konnten und ihm ähnlich waren. Weiße Engel.
Senktus schuf Schattenkrieger, die bei ihm wohnten.
Solon hielt immer Abstand von den Engeln, er wollte der Herrscher sein, doch Senktus nahm die beiden Menschen als seine Familie und ließ sie bei sich wohnen, sorgte sich um sie. So wurden es auf beiden Seiten immer mehr. Nur hielt sich Solon nicht an die Spielregeln und mischte sich unter die Menschen, als Gottes Sohn, Jesus. Er verbreitete das Gerücht des Teufels und dass sein Vater, oder besser gesagt er selbst, Gott war, der Weise und Gütige, der Beschützer der Menschen.
Doch in Wahrheit war es umgekehrt, oder keiner von ihnen war gut oder böse.
Nach einigen Jahrhunderten ging Senktus ein Bündnis mit einer Schattenkriegerin, die Mächtigste und Hübscheste unter allen, ein, und bekam einen Sohn.
Sion, mein Vater. Dieser hatte jedoch nur ein Kind, nämlich mich.
Nachdem Senktus´ Begleiterin früh gestorben war, hatte er sich nie wieder auf ein Bündnis eingelassen. Daher bin ich die einzige direkte Nachkommin des Teufels, wie ihn die Menschen nennen.
Solon jedoch hatte von Sion erfahren und tat es ihm gleich. Er bekam einen Sohn Ariel, und auch noch weitere, die jedoch nicht mehr so stark waren wie sein erster Sohn. Bis es schließlich zu einer Fehlgeburt kam, bei der seine Gemahlin und das Kind starben. Deshalb beließ er es bei seinen bisherigen zwanzig schwachen Söhnen, die nach der Reihe von Senktus Boten ausgelöscht wurden.
Einzig und allein Ariel konnte sich eine Zeit lang widersetzen, bis meine Eltern kamen. Da Solon Senktus´ Sohn ausgelöscht hatte, und Senktus seinen, wurden beide von Trauer überwältigt und schworen sich die Söhne zu rächen. Doch um dies zu ermöglichen mussten sie einen Zauber vollbringen, der ihnen, und ihren Nachkommen es ermöglichte, im gewünschten Alter stehen zu bleiben.
Um diesen Zauber jedoch aufrecht zu erhalten, brauchen die Götter jedoch Macht. Und an dieser Stelle werden die Menschen wichtig.
Solon und Senktus benötigen Seelen, die sie sich von den Menschen holen, deren Zeit abgelaufen ist.
Nach einiger Zeit hat Solon es geschafft die Zeit der Menschen zu verkürzen und hat Todesunfälle verursacht. Dafür hat bald darauf Senktus Krankheiten geschickt, damit er mit Solon gleich auf blieb. Ich hoffe das war ausführlich genug!"

Briella setzte sich wieder und folgte gelangweilt dem Unterricht.

Nachdem die Lernzeit vorrüber war stürmte sie aus dem Gebäude. Es bestand wie alles andere im Schattenreich vollkommen aus Glas und war der Menschenwelt sehr ähnlich. Die anderen Studenten mussten mit Pegasuskutschen fliegen, doch Briella war es möglich sich unabhängig von den langsamen Tieren fortzubewegen.

Briellas Großvater, obwohl er nicht älter als zwanzig aussah, saß an seinem virtuellen Seelenprogramm und tippte gerade auf einige Menschen. Automatisch wurden an seine Diener Nachrichten geschickt, in welchen die Koordinaten, so wie der Name standen. Wer die Nachricht bekam, hatte die Aufgabe zur Erde zu gehen, und die Seele zu holen.
Normalerweise wurden nur Krieger geschickt, die die SAP (Schattenabschlussprüfung) bereits hinter sich hatten, doch Briella hatte schon oft solche Aufträge für ihren Großvater erledigt. Sie selbst hatte ihr Alter bei 16 angehalten, jedoch ging sie bereits fünf Jahrzehnte lang zur Blackakademie.
Ein normales Studium jedoch dauerte normalerweise einige Jahrhunderte, bis man sich zur Prüfung melden konnte.

Nur da sie außergewöhnliche Kräfte besaß und in direktem Kontakt zu Senktus stand, hatte sie die Möglichkeit die Prüfung bereits in einer Woche zu vollenden.
Tag und Nacht hatte sie gelernt, schon seit Jahren war sie dafür bereit.

"Wie war es in der Schule?", fragte Senktus sie. Sie murrte nur kurz und beobachtete ihn bei seiner Arbeit, bis er sich genervt umdrehte. Ihr "Großvater" war für Briella eher so etwas wie ein Bruder, er war immer für sie da, jung, stark, mächtig, liebevoll und doch würde er nie ihre Eltern ersetzen können.
Ihre Eltern, da war sich Briella sicher, waren gemeinsam stärker als Senktus, doch sie hatten Respekt vor ihm. Und nun hatten sie eine doppelte Kraft auf Briella übertragen.
"Wenn deine Gedanken schon die ganze Zeit in deinem Kopf herumschwirren, als sei da drin ein Bienennest, dann versuch wenigstens dich zu verschließen. Du kannst das doch, oder? Sieh es als Übung für deine SAP. Musst du nicht noch lernen, dich vorbereiten?"
Er wandte sich wieder zu seinem Bildschirm um.
"Nein, ich bin vorbereitet, besser als man es erwartet, oder besser gesagt, so gut als überhaupt möglich!" Gelangweilt verschloss Briella ihre Gedanken, was ihr, im Gegensatz zu ihren ersten Versuchen, keine Mühe mehr bereitete. Als sie sah, dass Senktus zu sehr beschäftigt war, als mit ihr etwas zu unternehmen, ging sie zurück in ihr Zimmer.

Lange betrachtete sie sich im Spiegel.
Ihre Haut war leicht und gleichmäßig gebräunt und sie hatte die perfekte Figur. Ihr blondes Haar fiel ihr bis zur Taille herab, Strähnen umrahmten ihr Gesicht. Unter den Stirnfransen blickten ihr tiefschwarze Augen, umrahmt von langen Wimpern, entgegen.
Sie wirkte zart, aber nicht zerbrechlich.
Im Gegenteil. Doch das auffallendste an ihr waren die Augen. In ihnen konnte man alles lesen, und doch wirkten sie geheimnisvoll und vernichtend.

Die nächsten Tage vergingen wie alle anderen.
Eine Regel des Schattenreichs besagt, dass ein Prüfling im Zeitraum von einem Monat vor der SAP keine Aufgaben erfüllen darf, und ohnehin durfte man eigentlich gar nicht auf die Erde, vor der Prüfung erst recht nicht.
Deshalb langweilte sich Briella.
In der Nacht vor ihrer Prüfung ging sie schließlich noch shoppen, um sich ein passendes Outfit zuzulegen. Als sie jedoch nichts fand, bat sie Senktus um Hilfe, der ihr eine Schneiderin schickte, die ihr einen Entwurf anfertigte.
Da Schattenkrieger nur wenig Schlaf brauchten, schaffte die alte Dame es ohne Probleme die Klamotten fertigzustellen.

Als Briella am nächsten Tag aufwachte, bekam sie leichtes Lampenfieber, das jedoch sofort verschwand, als sie wieder an ihre Eltern dachte, für die sie das alles machte.
Sie streckte sich und sprang, oder besser gesagt flog, aus ihrem Himmelbett.
Sentje, die Schneiderin, hatte ihr das Kleid für die mündliche Prüfung neben das Bett gelegt. Lächelnd nahm Briella es in die Hand und fuhr über den weichen Stoff.
"Perfekt!", flüsterte sie.
Sie zog das Kleid an, es war violett und bodenlang, hinter ihr zog sie eine kleine Schleppe mit sich. Darüber zog sie ein pechschwarzes Samtcape an, das die gleiche Farbe hatte wie ihre Augen.
Eine Weile bürstete sie ihre Haare und steckte einen Teil hoch.
Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel.
Schminke hatte sie keine nötig. Ihre Lippen waren voll und rot, ihre Haut makellos und ihre Augen waren einfach nur perfekt.

Ihr Großvater wartete bereits vor der Tür auf sie. "Du siehst umwerfend aus, noch hübscher als deine Mutter, und das ist fast unmöglich! Bezaubernd! Können wir?", fragte er sie.
Auf ihr sicheres Nicken hin verließen sie den Palast, der einem Schloss, nur viel größer, glich und traten ins Sonnenlicht.

Senktus schwang sich auf seinen weißen Pegasus, Briella auf ihren grauen. Gefolgt von einem Begleitungskomitee aus Wachen und Schaulustigen ritten sie zur Arena, die bereits mit Menschen gefüllt war.
Als die beiden einritten erhob sich der Einheitsrat und die Zuschauer, welche schlagartig verstummten.
Noch nie war die Arena so voll gewesen, außer bei der Taufe von Lord Sion.
Senktus führte seine Enkelin stolz auf das riesige Holzpodest, wo sie selbstsicher gegenüber dem Rat stand und einschüchternd funkelte. Senktus ließ sich in der Mitte des Rates auf seinem Thron nieder und brachte die aufgeregt tuschelnde Menge mit einer kurzen Handbewegung zum Schweigen.

Nachdem er die Regeln der Gemeinschaft und eine Begrüßungsrede vorgetragen und Briellas Daten wiederholt hatte, gab Senktus grünes Licht für die Befragung.
Ihr Professor begann mit einer Frage.
"Erzähle über die Entstehung des Schattenreichs, über die Konflikte und Gemeinschaften von Gut und Böse..."
Die ganze Arena lachte, sogar Senktus lächelte. Bei jeder Prüfung stellte der alte Professor dieselbe Frage.
Genervt zitierte Briella ihren Aufsatz herunter und bekam tosenden Beifall.
Es folgten weitere Fragen, wie: "Zitiere eine Seite aus Schattengelüste", oder "Wie verschließt man theoretisch seine Gedanken?"
Briella beantwortete jede Frage korrekt und ausführlich und ohne zu zögern.
Jedes Mal applaudierten die Zuseher und nickten beifällig.
Zum Schluss, alle hundert Ratsmitglieder hatten ihre Antwort bekommen, stellte Senktus seine Frage.

"Was befindet sich unter der Bibliothek, in den geheimen Katakomben?"
Ein raunen ging durch die Menge.
Die Antwort stand in keinem Buch, es gab nur Gerüchte darüber.
Doch Briella hatte einmal Aufzeichnungen ihres Vaters gefunden, in denen von den Katakomben berichtet wurde.
Sie lächelte ihren Großvater an und antwortete: "Es gibt viele Gerüchte, von Geistern bis zu Leichen. Die Wahrheit ist, dass sich unter der alten Bücherei ein Steinlabyrinth befindet, in dessen Mitte ein wilder Pegasus haust, dem man außergewöhnliche Fähigkeiten zusagt, der jedoch von niemandem gezähmt werden kann, zumindest bisher nicht, da noch niemand weiter als zehn Meter an ihn herankam. Der Wissenschaftler P. Dennes wagte sich in das Labyrinth, schaffte es aber nur noch seine Informationen hinauszuteleportieren, bevor er von der Bestie getötet wurde. Diese Unterlagen sandte er meinem Vater, der sie jedoch nur seiner Frau und seinem eigenen Vater mitteilte, der sich diese Frage bis jetzt aufgehoben hat."
Gebannt starrte die Menge auf Senktus, niemand kannte die Antwort. Briella begann zu schwitzen, doch die Anspannung fiel von ihr ab, als Senktus in die Hände klatschte und die Menge begeistert einfiel.

"Hiermit hast du die mündliche Prüfung bestanden. Auch deine Aufsätze die du geschrieben hast, waren alle korrekt, somit zur letzten Prüfung. Deine Aufgabe lautet:
Gehe in das alte Labyrinth, finde den Weg, bändige das Pferd und bring es heraus. Schaffst du es gehört es dir und du bist eine offizielle Schattenkriegerin! Zusätzlich wirst du dann den Titel Lady tragen, eine hohe Ehre!", verkündete Senktus ihre letzte Aufgabe.

Die Menge blickte entsetzt und auch Briella schrie erschrocken auf: "Was? Das ist doch nicht dein Ernst?"
Doch sie kannte die Antwort und stürmte wütend aus der Arena, um sich für ihre Aufgabe zu rüsten. Zusätzlich hatte sie nur 24 Stunden Zeit, um ihre Aufgabe zu lösen. Sie hatte eher damit gerechnet eine Seele zu beschaffen, so wie die anderen, doch sie war eben etwas Besonderes.

Zornig schlug sie ihre Zimmertür zu und ging zu ihrer Truhe. Darin hatte sie alle Erinnerungen an ihre Eltern aufbewahrt, und das war nicht wenig.
Hastig durchsuchte sie die Unterlagen von ihrem Vater, doch die Aufzeichnungen von Dr.Dennis waren nicht dabei.
"Hätte mein Vater seinem Vater wirklich von dem Labyrinth erzählt?
In seinem Tagebuch stand, er habe nur seiner Frau davon erzählt, damit niemand in Gefahr laufen würde, von Senktus den Auftrag zu bekommen, den Pegasus zu beschaffen! Na klar, sein Zimmer!" Briella griff sich mit der Hand an die Stirn.
"Wie konnte ich nur so blöd sein und die Unterlagen offen hier liegen lassen? Ich hätte wissen müssen, dass es einen Grund gab, aus welchem er es nur Mum und seinem Tagebuch anvertraut hatte!"
Sie verließ das Zimmer wieder und stürmte in das von ihrem Großvater.
Sein Zimmer war wesentlich größer als ihres, und es gab jede Menge Verstecke, wo sich die Aufzeichnungen befinden könnten.
"Denk nach, denk nach!", versuchte sie sich selbst zu motivieren.
Ihr Großvater würde nicht innerhalb der nächsten 24 Stunden zurück kommen, da es seine Pflicht war, die Prüfungszeit in der Arena zu verbringen.
Sie würde nicht gestört werden, doch das war ihre geringste Sorge.
"24 Stunden, bald nur noch 23!" Sie öffnete Schubladen, leerte sie achtlos aus und ließ die für sie unbedeutenden Sachen einfach liegen. Sie suchte über zehn Minuten, sein Zimmer war mit einem sehr kraftvollen Schutzzauber umlegt, so dass sie viel Energie gebraucht hätte, um eine Zauberformel zu murmeln oder ihren "Durchblick" einzusetzen.
"Was würde Solon tun?" Sie versuchte wieder ruhig zu werden und logisch zu denken.
"Was würde mein Vater tun? Solon würde seine Kraft einsetzen, mein Vater würde sie für später aufheben und sich Rat bei meiner Mutter suchen. Und sie...na klar, sie würde Senktus den Standort entlocken!"
Sie öffnete eine der größten Truhen, und...Volltreffer.
Überall lagen unzählige Fotos und Liebesbriefe herum, die er von seiner verstorbenen Gemahlin aufgehoben hatten.
Briella las sich eine Karte durch und lächelte spöttisch. "Er hat sie wirklich geliebt, perfekt!", dachte sie sich und rannte aus dem Palast hinaus, schwang sich auf ihren Pegasus und drückte ihm die Fersen in die Seite, so dass dieser auf der Stelle losgaloppierte.
Sie wünschte sich, dass sie einen Pegasus hätte, der fliegen könnte, doch es gab nur sehr wenige auf der Insel, die für Pegasuskutschen eingesetzt wurden.
Und auch diese hatten nicht viel Kraft und könnten keinen Krieger bei einem Zauber unterstützen.
Der Pegasus hielt plötzlich vor der Arena.
Da Briella nicht viel Zeit hatte bemühte sie sich erst gar nicht ihn wieder anzutreiben, sondern sprang einfach ab und rannte in die Arena. Der Rat und Senktus saßen noch immer an derselben Stelle, niemand war aufgestanden, nur das Publikum redete fröhlich miteinander.

Deshalb bemerkten nur wenige, dass Briella hereingestürmt kam.
Ohne Senktus überhaupt zu Wort kommen zu lassen stellte sie sich drohend vor ihn.
"Ich habe das hier gefunden, und werde es hier und jetzt vor den Leuten laut vorlesen, wenn du mir nicht sofort verrätst, wo die gestohlenen Unterlagen sind!"
Der Rat starrte sie verwundert an, nur Senktus schien belustigt.
"Du hast viel von deiner Mutter, sie war auch immer so aufbrausend. Nur war sie eine volle Kriegerin vor der man sich in Acht nehmen musste. Du hast deine Prüfung noch nicht bestanden!" Senktus spielte mit seiner Enkelin.
"Nun gut, alle einmal her..."
Briella hob ihre Stimme an, wurde jedoch von Senktus unterbrochen, der ihr wütend zu zischte: "In einem Buch versteckt, das in meinem Nachttischkästchen liegt und den Titel Dämonenrätsel trägt. Gib mir die Karte!"
Briella reichte sie ihm und verschwand wieder aus der Halle. Dieses Mal konnte sie nicht widerstehen und teleportierte sich zurück in den Palast, wo sie direkt vor Senktus Zimmertür auftauchte.
Ungeweihte konnten eigentlich keine Zauber oder ähnliches benutzen, und auch sie spürte wie eine Menge ihrer Energie verloren ging.
Wie ihr Onkel gesagt hatte, fand sie die Unterlagen in dem Buch.

Rasch blätterte sie die Pergamentzettel mit der etwas vergilbten Handschrift durch und zog sich dabei um.
In ihrer Kampfkleidung, schwarze, enge Hosen und dazu ihr schwarzes, bauchfreies Top, stieg sie die Treppen der alten Bücherei hinunter und stand mitten in einer Wand von Bücherregalen.
In den Aufzeichnungen fand sie jedoch schnell Hinweise, wie sie die Tür öffnen konnte und betrat das Labyrinth.
"Uneinfallsreich, einfach das Buch "Verborgene Wunder" aus dem Regal ziehen, und schon öffnet sich die Tür!", lachte Briella.
Feuchte, aber verblüffend frische Luft schlug ihr entgegen. Vorsichtig ging sie in einen engen Tunnel, der aus einem Fels gehauen war.
Plötzlich schlug die Tür hinter ihr zu und alles war stockdunkel.
In der Dunkelheit konnte sie jedoch neben dem Eingang eine Fackel erkennen, und entzündete sie mit ihren Augen, was zu ihren Spezialitäten gehörte.
Über ihr, ungefähr auf Kopfhöhe, befand sich eine lange Rinne, in der sie Flüssigkeit erkannte. Öl. Sie ließ die Fackel durch Telekinese hochschweben und entzündete somit das Öl, dass ihr Licht spendete. Sie folgte dem Pfad, der endlos schien, und gelangte schließlich zu einer Abzweigung.
So ging es weiter, und schon bald wusste sie nicht mehr wo sie war.

"Er traut mir zu, dass ich das schaffe, denn er würde mich niemals hier sterben lassen!"
Niemand anderer hätte das Labyrinth durchqueren können, wenn er noch nicht geweiht war. Doch sie konnte es.
Sie setzte ihren Durchblick ein, konnte aber nicht viel erkennen. Nur ein großes Stück weiter von ihr sah sie ein helles Leuchten.
Durch das Bild gestärkt ging sie etwas schneller weiter, gelangte jedoch bald darauf wieder zur nächsten Wegkreuzung. Sie wählte den linken Weg, kehrte jedoch sofort wieder um, als sie in einer Sackgasse endete, in der ein Haufen Knochen lag.
Sie schüttelte sich um ihren Ekel loszuwerden, rannte in die andere Richtung und gelangte zu einer weiteren Gabelung.
Stundenlang irrte sie umher, bis sie sich erschöpft auf den kalten Boden sinken ließ und ihre Augen schloss.
Bald darauf schlief sie ein.

Als sie aufwachte blickte sie entsetzt auf die Uhr. "Verdammt, nur noch fünf Stunden! Ich habe ganze zwölf Stunden geschlafen! Ich muss viel Energie verbraucht haben!"
Dafür fühlte sie, dass ihre Kraft wieder voll zurück gekehrt war.
Sie blieb noch sitzen und überlegte laut, was sie tun sollte. Ihre Stimme hallte von den Wänden wieder und klang merkwürdig fremd. Doch sie sprach laut weiter um sich durch den Klang ihrer Stimme selbst zu beruhigen und die leichte Verzweiflung die in ihr aufstieg zu vertreiben.
"Weitergehen bringt nichts, nur der Zufall könnte mich zu dem Pegasus bringen.
Ich brauche eine Beschwörung!"
Niedergeschlagen richtete sie sich auf.
"Ich habe noch nie eine Beschwörung gesagt!
Aber es muss immer ein erstes Mal geben!" Sie setzte sich auf den Boden, schloss ihre Augen und versuchte sich auf ihre Kraft zu konzentrieren. Nachdem sie nur noch ein goldenes Licht sah, dass ihre Macht darstellte, rief sie sich eine Totenbeschwörung in den Kopf und murmelte:

Es gibt ein Geheimnis, das hast nur du gekannt,
doch zu früh wurdest du in den Tod verbannt.
Deshalb, Piou Dennes, rufe ich dich herbei
und setze deine Seele frei!


Briella hielt ihre Augen geschlossen und murmelte immer wieder diese Worte.
Sie verlor den Boden unter sich und hörte ein lautes Rauschen. Gespannt öffnete sie ihre Augen und sah, dass sie in der Luft herumwirbelte. Der Sturm, in dessen Mitte sie sich befand, schien ihre Kräfte auszusaugen, die Beschwörung war zu mächtig für sie, doch Briella versuchte sich auf das Licht, ihre Magie zu konzentrieren.
Nach einer Weile nahm das Licht eine Gestalt an, sie war verschwommen, doch Briella kannte das Gesicht aus Büchern.
"Du hast mich gerufen, mein Kind!
Welches Geheimnis willst du wissen?", wurde sie von einer rauchigen Stimme gefragt.
Briella zögerte nicht lange, sie spürte wie ihre Kraft schwand.
"Zeig mir den Pegasus, Piou Dennes!"
Dieser lachte nur und antwortete: "Das Labyrinth ist klein, doch ein mächtiger Zauber durchdringt es. Er lässt dich immer wieder denselben, den falschen Weg wählen und löscht deine Erinnerungen an vorher aus. Durchbrich diesen Zauber, wehr dich dagegen, und du kommst zu dem Pegasus.
Ich nehme an, wir werden uns bald wieder sehen, denn du bist noch nicht geweiht. Somit hast du zu wenig Kraft um gegen den Pegasus anzukämpfen. Bis bald, Briella, Tochter von Sion und Eleila, Enkelin Senktus´des Mächtigen!" Das Licht wurde kleiner und dunkler, bis es schließlich erlosch. Mit einem Knall landete Briella auf dem harten Boden und stöhnte auf.

Nur mit Mühe konnte sie sich aufrappeln und weitergehen, die Beschwörung hatte sie mehr Kraft gekostet, als sie angenommen hatte.
Schon bald kam sie zur nächsten Weggabelung und wollte den rechten Weg wählen, als sie schnell zurücksprang.
"Wehr dich! Ich darf nicht vergessen!"
Immer wieder sprach sie sich diese Worte vor, doch sobald sie zur Weggabelung kam, wusste sie nicht mehr, was sie nicht vergessen sollte.

Wütend schrie sie: "Klar, ich habe auch kein Papier mitgebracht. Warum hätte ich daran denken sollen?" Ihr blieb nichts anderes übrig, als einen Teleportzauber anzuwenden, der ihr ein Pergament und eine Feder herbeibrachte, wonach sie sich jedoch kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Mit zitternden Händen kritzelte sie auf das Papier: "Nimm den anderen Weg!"
Sie versuchte es ein letztes Mal. Sie stützte sich mit ihrer rechten Hand an der Mauer ab und ging einen Schritt weiter.
Nur durch den Zettel erinnerte sie sich an die Beschwörung und überwand sich, den anderen Weg zu wählen. Der Zauber war simple, doch gut überlegt. Man musste kreativ sein, um auf die Lösung zu kommen, und sie wusste nicht, wie Dennes auf diese Idee gekommen war.
Doch das war ihr in diesem Moment egal.
Sie lehnte sich gegen die Wand, erschöpft und fast ohne einen Funken ihrer sonst so großen Energie.
Einen kurzen Augenblick später sackte sie in sich zusammen und schlief.

"Was, Au!" Sie sprang auf und rieb sich ihren Kopf. Sie war noch immer im Labyrinth und hatte sich an einem hervorstehenden Stein den Kopf gestoßen. Fluchend sah sie auf die Uhr.
"Nicht einmal eine Stunde!"
Sie trat mit dem Fuß gegen die Wand, was ihr nur einen Schmerzensschrei entlockte, und rannte dann den langen Gang entlang.
Dadurch, dass sie geschlafen hatte, konnte sie wenigstens gerade laufen, doch sie hatte nicht viel Magie übrig.
Der Gang erschien ihr wie der, durch den sie am Eingang gekommen war.
Zusätzlich wurde es auch, je weiter sie ging, immer heller, bis sie schließlich wenige Meter vor ihr eine Wegverbreiterung sah.
Sie führte zu einer großen Plattform.
Was oberhalb der Plattform war, konnte Briella nicht erkennen.
Sie ließ ihre Tasche liegen und versuchte den Fels hochzuklettern. Fliegen hätte ihr zu viel Kraft gekostet.
Als sie sich keuchend über den Rand der Plattform zog, blieb ihr der Atem weg.
Vor ihr stand ein riesiger, pechschwarzer Pegasus, der sich wild aufbäumte und seine mächtigen Flügeln drohend schwankte.

Noch nie hatte Briella ein solches Tier gesehen. Nicht ein mal auf Bildern oder in Büchern. Es schien sie zu sein. Die gleiche Farbe der Augen, die auch mit der Fellfarbe übereinstimmte. Außerdem noch das Glitzern in den Augen, in denen man die Magie und die Energie sehen konnte.
"Wenn ich ein Pegasus wäre, dann wäre ich entweder dieser, oder sein Zwilling!", dachte sich Briella, noch immer starr vor Staunen.
Der Pegasus ließ sich wieder auf die Hufe fallen und fixierte sie mit seinen Augen.
Briella erhob sich langsam, um das Tier nicht zu erschrecken, und blickte zurück.
Sie hatte das Gefühl, das Tier wollte ihre Gedanken hören, deshalb verschloss sie diese.
Ihre Vermutung wurde bestätigt, als sie das vertraute Gefühl einer tastenden Hand in ihrem Kopf bemerkte.
"So leicht bin ich nicht zu durchschauen!", sagte Briella zu dem Tier, mit einem leicht spöttischen Grinsen. Die Furcht war vollkommen verschwunden und hatte Stolz Platz gemacht.
Das Pferd scharrte mit den Hufen und bäumte sich erneut auf.
Als seine Hufen den Boden berührten erzitterte dieser und Briella stand plötzlich in einem Ring aus Flammen.
Kurz loderte Panik in ihr auf, doch sie konnte das Feuer schnell wieder löschen, da Wasser nicht sehr schwer zu kontrollieren war.
Der Pegasus testete sie, doch am Ende der Prüfung würde sie kraftlos sein und ihm mit ihrer Kraft seiner unterliegen, deshalb beschloss sie Angriffe auf ihn zu starten. Sie sammelte Luft, ließ sie um sich wirbeln und näherte sich so dem Pegasus. Während dem Flug ließ sie die Luft in Feuer umwandeln, was sie jedoch bereute, als der Pegasus eine Feuermauer entgegenschickte.
Schreiend wurde Briella weggeschleudert und konnte sich gerade noch rechtzeitig an einem Stein festhalten, bevor sie viele Meter in die Tiefe gestürzt wäre.
Langsam kam der Pegasus näher, sah sie drohend an und bäumte sich direkt vor ihr wieder auf.
Briella wartete nur darauf, dass seine Hufe auf sie niedersausten, ihre Energien waren vollkommen verbraucht. Doch wenn sie untergehen würde, dann mit Stolz, sie würde das Kommando über ihren Tod haben.
"Na los, töte mich, für dich macht es keinen Unterschied. Einer mehr oder weniger, dass ist doch gleichgültig. Töte mich! Aber wenn du es tust, dann sei fair, und erledige das ohne Magie. Komm her!" Sie konzentrierte sich auf ihre Stimme und versuchte das Zittern zu unterdrücken.
Hinter ihrem Rücken zog sie ein glänzendes Messer hervor. Sie würde den Pegasus nicht töten können, aber zumindest verletzen, so dass der nächste Schattenkrieger bessere Chancen hatte. Tatsächlich schien der Pegasus näher zu kommen, doch er blieb in einer sicheren Entfernung stehen.
"Du hättest deine Gedanken verschließen sollen, dann hätte ich deinen mörderischen Plan vielleicht nicht gehört. Lass deine Waffe fallen, du brauchst sie nicht mehr!"
Briella hörte die sanfte, dunkle Stimme in ihren Gedanken. Sie erklang mit einem leisen Echo. Verblüfft starrte sie in die tiefen schwarzen Augen des Pegasus´ und ließ das Messer fallen.
Der Pegasus kam näher und reckte ihr seinen großen Kopf entgegen.
"Halte dich fest! Vertrau mir!", befahl der Pegasus. Briella wusste nicht ob sie ihm vertrauen konnte, doch wenn sie sterben würde, dann gäbe es sowieso keinen Unterschied mehr. Sie griff in die lange seidige Mähne, unter der sie starke Muskeln spürte, und wurde langsam von dem schwarzen Pegasus hochgezogen, bis sie schließlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Sie ließ ihn los und sagte leise: "Danke."
Sie verschloss ihre Gedanken nicht, gab sich nicht einmal die Mühe es zu versuchen, denn der Pegasus hätte auch ohne ihre Gedanken zu lesen gewusst, was sie dachte.
"Warum? Warum hast du mich gerettet?"
In ihrem Kopf erklang wieder die samtweiche Stimme: "Weil ich nun dein bin. Ich habe dich als Begleiterin erwählt.
Seit Jahrtausenden warte ich auf einen würdigen Reiter. Doch niemand bisher hatte solche Kraft und Magie wie du, obwohl du noch nicht geweiht bist, Lady Briella, niemand war so mutig und stolz wie du.
Und niemand der Lebenden bisher hat es bis zu mir geschafft. Nicht einmal Dennes, der zwar das Labyrinth gelöst hat, aber an den Folgen zusammengebrochen war. Denn niemand ist wie du."

Erstaunt blickte Briella in diese mächtigen Augen, die ihre fixierten. Vorher war der Pegasus für sie ein Rätsel, doch nun konnte sie alles in seinen Augen lesen.
Furchtlos stand sie auf und strich mit ihrer Hand über seinen seidigen Hals.
"Sobald ich dich auf mir reiten lasse sind wir verbunden. Du wirst dich nicht mehr vor mir verstecken können, auch deine Gedanken nicht. Dann bist du nie wieder allein, es sei denn, einer von uns wird getötet. In diesem Fall werden alle Kräfte des Einen auf den Anderen übertragen, damit sich das Opfer gelohnt hat.
Du wirst auch ohne Weihe mächtiger sein als jeder andere, aber gemeinsam werden wir nahezu unbesiegbar werden. Und wenn dich jemand bedroht, dann werde ich dich beschützen, so wie du es für mich tun wirst.
Überlege dir gut ob du auf mir reiten willst, ich habe meine Wahl getroffen.
Dir sollte bewusst sein, dass deine Entscheidung für die Ewigkeit gilt."
Er legte sich auf den Boden, damit sie, da sie nicht genug Kraft zum Fliegen hatte, leicht aufsitzen konnte.

Ihre Entscheidung hatte sie getroffen, als sie seine weichen Augen gesehen hatte.
Sie stellte ihren Fuß auf einen seiner Flügel und zog sich hoch.
"Jetzt musst du deine rechte Hand auf dein Herz, die linke auf mich legen, um deine Entscheidung zu besiegeln und dich mit mir zu verbinden!"
Briella tat wie er ihr es befohlen hatte und legte ihre rechte Hand auf ihr Herz. Als ihre linke Hand seinen Hals berührte veränderte sich für sie plötzlich die Welt.
Sie spürte nicht nur ihre eigene Magie, sondern eine zweite, doppelte Macht in sich. Sie spürte die Gefühle des mächtigen Pegasus´, die sich jedoch kaum von ihren unterschieden.
Aufregung, Glück und Verwunderung.
Sie hörte seine Gedanken, als wären es ihre eigenen. Und in ihr schlummerte jahrhunderte altes Wissen, von dem sie noch nicht einmal eine Ahnung gehabt hatte.

Nachdem die beiden einige Minuten lang versuchten ihre Gefühle und Gedanken wieder in den Griff zu bekommen, erhob sich der Pegasus.
Er zog seine Flügeln ein und galoppierte zu einem verborgenen Ausgang, der direkt in die Wälder des Schattenreiches führte.
"Wie alt bist du?", fragte Briella stumm.
Worte benötigte sie nicht mehr.
"Alt, ich wurde noch von den Eltern deines Großvaters erschaffen, und das ist lange her.
Nach etwa drei Dutzend Jahrtausenden habe ich aufgehört mitzuzählen. Ich habe lange auf dich gewartet, Briella!", antwortete er auf dieselbe Weise. Nur hatte er keine andere Wahl.
"Welchen Namen haben sie dir gegeben?"
"Infinio, bei den Menschen in der Sprache Latein vertreten, bedeutet endlos. Aber das weißt du ja, wie ich gerade gesehen habe!"
Er erreichte den versteckten Ausgang und trat hinaus in das Sonnenlicht.
Beide schlossen die Augen und blinzelten, da das Licht so grell erschien.

Als sich Briellas Augen wieder an das Licht gewohnt hatten, bemerkte sie, dass sie vor einem senkrechten Abhang stand. Unter ihr sah sie viele winzige Bäume und erkannte den von unten riesig aussehenden Wald, der sich am Rande der Häuser befand.
"Ich habe gar nicht bemerkt, dass es so steil bergauf ging!", wunderte sich Briella.
"Das liegt an meinem Zauber. Er lässt dich denken, dass du geradeaus gehst, doch in Wirklichkeit ist der Hang fast senkrecht, wodurch eure Körper, wenn ihr nicht fliegen könnt, extrem geschwächt wird. Schluss jetzt, du musst zu deiner Weiheprüfung, wir haben nur noch wenige Minuten Zeit! Ich liebe es wieder frei zu sein!" Infinio bäumte sich auf und entfaltete seine Flügel.
Briella krallte sich ängstlich in seine Mähne, als er sich die Klippe hinunterstürzte.

Infinio flog eine kleine Runde über der Stadt und landete schließlich auf einer kleinen Lichtung nahe der Stadt.
Er konnte, da die Bäume zu eng standen, nicht fliegen, doch sein Galopp glich einem weichen Flug, nur langsamer.
In der Luft hatte sich Briella wieder etwas entspannt und den Flug genossen, genauso wie Infinio, der gewagte Luftkunststücke nur ihretwegen auf ihren nächsten Flug verschoben hatte. "Beeil dich, meine Zeit ist gleich um!", rief Briella Infinio zu, als er mit ihr durch die menschenleeren Straßen raste.
Sie erblickte die große Arena, sah die riesigen Tore, die jedoch geschlossen waren.
Infinio bremste ab, doch sie gab ihm einen leichten Druck mit den Fersen, worauf er weiter auf die Tore zupreschte.
Sie hob ihre Hand und ließ sie ruckartig zur Seite fahren. Die hölzernen Flügeltüren folgten ihrer kleinen Bewegung und gaben den Blick auf eine tobende Menschenmasse frei, die ihr entgegen winkte.
Senktus war aufgestanden und lächelte ihr entgegen.
Als sie sich von Infinio schwang erklangen die Glocken, die die Prüfungszeit beendeten.

Glücklich ließ sich Briella in Infinios warme Flügel fallen, die sich an sie schmiegten.
Sie lagen unter einem uralten Baum im Schlosspark. Infinio hatte zufrieden seine Augen geschlossen, seine Flügel umschlossen seine frisch geweihte Reiterin.
Briella blickte zu den Sternen auf.
Mit der einen Hand strich sie zärtlich über Infinios Hals, die andere umschloss den Griff eines Speeres, der sie als offizielle Schattenkriegerin auszeichnete.
Ihre Macht war noch einmal deutlich gestiegen, doch das war nichts im Vergleich zu der Verbindung zwischen ihr und Infinio.
"Tja, du hast nun endlich deine Weihe, Lady Briella!", lobte Infinio sie, mit einer besonderen Betonung auf Lady.
Den Titel Lady oder Lord bekam man im Schattenreich nur als besondere Auszeichnung, die sie mit der Weihe dank Infinio erhalten hatte.
"Endlos, das passt zu dir, Fini!", obwohl sie nicht reden musste, flüsterte sie.
"So jetzt habe ich bereits einen Spitznamen, Ella?", schnaubte Fini.
Nachdem er eine Weile Ellas gleichmäßigem Atem gelauscht hatte, fiel auch er in einen tiefen, aber wachsamen Schlaf.

Als Briella am nächsten Tag aufwachte, lag sie auf dem weichen Waldboden.
Fini war nirgends zu sehen und sie dachte schon sich alles eingebildet zu haben, als sie seine Stimme in ihren Gedanken hörte.
"Guten Morgen, Ella. Vergiss deine Mission nicht, ich bin gleich da, warte nicht auf mich!"
Ella suchte die Gegend ab.
"Fini? Wo bist du verdammt noch mal?"
Sie hörte das tiefe Lachen, das ihr bereits vertraut erschien.
"Ich bin bei den Wolkenfällen.
Da gibt es das beste Gras, das außerdem Kräfte verleiht. Ich rüste mich für den Kampf. Keine Sorge, meine Kräfte gehören auch dir."
Verblüfft richtete sich Ella auf.
"Wo? Bei den Wolkenfällen? Die sind doch endlos weit von hier entfernt, die sind an der Grenze zum Höllentor, dorthin kommt man nicht in fünf Minuten!"
"Hast du etwa noch nicht mitbekommen, dass ich ein exzellenter Flieger bin? Warte, ich habe gerade einen riesigen Grasbüschel entdeckt! Bis nachher!"
Sie versuchte gar nicht mehr mit ihm Verbindung aufzunehmen, er würde nicht sofort zurückkommen.
Deshalb ging sie zum Schloss zurück.
Die Krieger kamen ihr entgegen und verbeugten sich vor ihr, da sie nun offiziell als Lady über ihnen stand. Sie betrat ihr Zimmer, das noch genauso aussah wie am Tag zuvor-unordentlich.
Mit einer lässigen Handbewegung ließ sie die Sachen zurück in die Regale, Truhen und Kästen fliegen, und öffnete ihren Kleiderschrank.
Sie wollte noch kurz etwas essen, dann würde sie noch wichtige Sachen zusammenpacken.
Noch vor Mittag würde sie mit Fini losziehen, um Solon zu finden und sich endlich an ihm zu rächen.
Sie wählte ein himmelblaues, langes Kleid mit langen Ärmeln und kämmte ihre langen blonden Haare, bis sie glänzend auf ihren Rücken fielen.

Würdevoll ging sie zum Speisesaal, wo ihr Großvater gerade mit einigen Ratsmitgliedern beim Essen saß.
"Guten Morgen!", begrüßte sie die Anwesenden und ließ sich neben ihren Großvater in einen Stuhl sinken. Hungrig nahm sie sich eine Waffel mit flüssiger Schokolade darauf und biss herzhaft zu.
"Guten Morgen, Lady Briella!" Alle Anwesenden standen kurz auf und setzten sich wieder.
"Guten Morgen, Prinzessin.
Ich hoffe du hast gut geschlafen!" Senktus drückte sie kurz väterlich an sich.
"Tja, danke der Nachfrage. Worüber redet ihr gerade?", fragte Ella.
Senktus seufzte und nickte einem seiner engsten Vertrauten zu.
Dieser erhob sich und informierte Briella:
"Ich fürchte, ihr Vorhaben Solon zu stürzen wird nicht so einfach werden, wie sie sich das denken.
Irgendjemand hat Ihre Weihe bekannt gegeben, worauf hin er an seine Grenzen Wachposten verteilt hat.
Sie können nicht auf dem geplanten Weg in den Himmel gelangen und die Luft wird ebenfalls überwacht.
Es gibt nur noch einen Zugang für Menschen, und dafür müssen sie sterben."
Er setzte sich wieder und blickte Briella besorgt an.
"Was?" Briella kreischte wütend.
"Das kann ja wohl nicht wahr sein, es muss einen Weg geben!" Sie stieß ihren Stuhl zurück, der polternd auf dem Boden landete.
"Ich fürchte doch, Prinzessin. Es gibt einen Verräter unter uns, doch meine Leute werden ihn finden. Ich fürchte du wirst so nicht durchkommen und einen neuen Plan ausarbeiten müssen!"
Senktus war aufgestanden und versuchte sie zu beruhigen. Sanft legte er seine Hand auf ihre Schulter. Genervt schüttelte Briella diese ab.
"Hast du einen Pegasus, der weiter fliegen kann, als bis zur Schule hinauf?", fragte Briella Senktus und versuchte sich wieder zu konzentrieren.
"Du hast doch einen, dieser ist der einzige.
Aber wozu hast du für die Auszeichnung Lady Flügel bekommen?", fragte er sie mit einem spöttischen Grinsen. Briella murmelte nur ein kurzes "Danke" und verließ den Saal wieder, nicht bevor sie sich die Platte mit den Waffeln mitgenommen hatte.

Wieder in ihrem Zimmer ließ sie die Tür hinter sich zufallen, schnappte sich eine Tasche und ihren Speer und verließ laufend das Schloss.
Draußen angekommen versuchte sie Fini zu erreichen, doch wie erwartet bekam sie nur ein glückliches "Mmmmm, ist das gut!" zu hören.
Ungeduldig rammte sie ihre Lanze in den Boden und konzentrierte sich auf ihre Flügel, die kurz darauf plötzlich erschienen.
Sie waren kleiner als Finis, doch erschienen genauso mächtig wie seine, und waren ebenfalls pechschwarz.

"Warte!" Briella hielt inne und drehte sich zu ihrem Großvater um.
"Was hast du vor? Du hast gehört was Solon getan hat, du kannst nicht einfach so in den Himmel. Er hat gute Wachen, und mit allen wirst du niemals fertig. Das sind hunderte, tausende Engel die sich gegen dich stellen werden."
Briella ging ihm entgegen.
"Ich werde den einzigen möglichen Weg nehmen. Ich gehe mit Infinio in die Menschenwelt um mir eine Seele zu suchen, mit der ich in den Himmel gelange."
Senktus starrte sie einen Augenblick nachdenklich an. Dann reichte er ihr eine Tasche. "Ein Kommunikationsgerät. So kannst du immer in Kontakt mit mir bleiben. Ich werde dein Leben auf der Erde organisieren und dir die Koordinaten deines neuen Zuhauses schicken. Du weißt schließlich, dass du eine Seele nur für dich beanspruchen kannst, wenn du sie auf den Tod vorbereitet hast. Und da du eine starke Seele brauchst, um direkt zu Solon zu gelangen, könnte das länger als einen Tag dauern. Die arme sterbende Seele wirst du selbst finden. Viel Glück und pass auf dich auf, Liebes!" Senktus drückte Briella noch einmal an sich und stieß sie mit Tränen in den Augen sanft von sich.

Zur Probe flog sie ein paar Meter in die Höhe, bis sie sich an das Gefühl der Freiheit und Schwerelosigkeit gewohnt hatte, und stürzte sich schließlich von der Schlossmauer in die Tiefe hinab.
Ihr Ziel waren die Wolkenfälle.

Lachend flog Briella immer weiter hinauf, bis die Stadt unter ihr winzig klein wirkte.
Der Wind zog durch ihre Flügeln, konnte sie jedoch nicht von ihrer Flugbahn abbringen.
Mit kräftigen Flügelschlägen näherte sie sich den Wasserfällen und spürte die enger werdende Verbindung zwischen ihr und Infinio.

Nach einem langen Flug entdeckte sie gewaltige Wasserfälle. Nie in ihren Träumen hätte sie gedacht, dass Wasser sie so faszinieren könnte. Staunend betrachtete sie die tosenden Wassermengen, die direkt aus dem Himmel hinunterzufallen schienen.
Nur indem sie ihre Energien bündelte und sich auf ihre Augen konzentrierte, konnte sie eine Wiese inmitten der Schlucht erkennen. Rundherum waren Wasserfälle und die Wiese wirkte in dem Gewässer, das um die weite Insel einen Fluss bildete, wie ein winziges Pünktchen. Irgendwo auf diesem Punkt erkannte Briella einen noch viel kleineren Punkt, Infinio.
Sie ließ sich in die Schlucht hinabfallen und bremste erst kurz vor der Landung den Flug. Infinio stand grasend vor ihr und beachtete sie nicht. Er registrierte sie jedoch und öffnete ihr seine Gedanken.
Müde ließ sich Briella auf das weiche Gras sinken und merkte erst jetzt, dass ein so weiter Flug sie doch einen großen Teil ihrer Kraft kostete.

"Trink von dem Wasser. Bevor wir deinen Schlachtplan umsetzen musst du dich genauso wie ich stärken."
Mit diesem Gedanken rupfte er ein riesiges Grasbüschel ab und bewegte sich langsam zum Wasser.
Erst jetzt bemerkte Briella die Veränderung.
Obwohl er langsam ging strotzte sein Körper vor Kraft. Sein Fell schimmerte ein wenig und seine Augen glitzerten. Seine Flügel erschienen ihr noch größer als am Vortag und sie wusste, dass der Eindruck nicht täuschte.
Sie schloss sich ihm an und ging müde hinter ihm her. Als sie bei ihm ankam, die Insel war größer als sie gedacht hatte, stand er mitten im Wasser. Sie fragte sich ob das einen Sinn hatte und ließ sich am Ufer in den Sand sinken.
Sie formte ihre Hände zu einer Schüssel und griff in das kalte Wasser hinein.

Erschrocken zuckte sie zurück. Auf ihrer Hand war eine Wunde, als sie jedoch mit dem Wasser in Verbindung kam, heilte sie in weniger als einer Erdensekunde! Briella stellte keine Fragen mehr sondern ließ sich in das Wasser hineinfallen und spürte wie sich ihre Wunden schlossen. Vorsichtig nahm sie einen Schluck und wusste sofort warum das Wasser als heilig galt. Mit dem Wasser kamen unendlich viele Energien in ihren Körper. Es fühlte sich an, als ob in ihr ein Stromkreis wäre. Sie trank und trank, erst als es dunkel wurde, wurde ihr bewusst, wie lange sie getrunken hatte. Doch noch immer verspürte sie ein Verlangen nach dem heiligen Wasser. Auch Fini war mit dem Wasser und dem Gras beschäftigt. Die beiden verbrachten noch die ganze Nacht dort, bis die Sonne wieder aufging.

Briella nahm eine letzte Hand voll Wasser und wollte ihre Flasche damit füllen, doch Fini hielt sie davon ab. "Es wirkt nur hier, sobald du die Insel verlässt ist es normales Wasser. Verschwende es nicht!" Er selbst nahm noch einen Schluck Wasser und verließ, gefolgt von Briella, den Fluss.
"Ich bin satt, ich hoffe auch du hast genug Energie", dachte Infinio und ließ sich auf den Boden fallen.
"Und ob! Wenn ich an Wasser denke wird mir schlecht! Außerdem fühle ich mich gerade so, als ob ich das Universum spalten könnte!", sagte Briella laut, befestigte ihren Rucksack und kletterte auf Infinio.
Sie hörte seine unausgesprochene Frage und antwortete: "Zur Erde!"

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Tag der Veröffentlichung: 28.08.2010

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