Dem alten Mann im Rollstuhl wurde es langsam kühl. Er zog die Decke noch enger um seine Knie und schloß mit einer Hand den Fensterflügel an seiner Seite. Die Sonne stand schon sehr tief und die Vögel zogen in Schwärmen über die Donau von Nussdorf Richtung Wilhelminenberg in ihre Nachtquartiere.
Es wurde Abend. Wieder einer jener einsamen ungezählten Abende an denen die Erinnerungen aus allen Ecken des dunklen Hauses auf ihn zu krochen und ihn nicht einschlafen lassen.
Er klopfte mit dem Stock auf den Fußboden, ungeduldig und einige Male; öfter als es eigentlich nötig wäre. Er wußte, dass Anna nicht so schnell die Treppe heraufkommen konnte.
Anna war schon immer im Hause oder fast schon immer. Sie kam, als seine Tochter Viktoria geboren wurde und zog diese dann ganz alleine auf. Man konnte fast glauben, dass es ihr eigens Kind war. Es lag wohl an der seit vielen Jahren andauernden heimtückischen Krankheit seiner Frau Paula, dass die Bindung des Kindes zu ihrem Kindermädchen stärker war, als zu ihrer leiblichen Mutter.
Sein Blick glitt langsam zu dem im Dunkeln hängenden Bild an der Wand über dem Schreibtisch und tastete das geliebte Gesicht ab. Viel zu früh war seine Frau von ihm gegangen und hatte ihm mit einem halbwüchsigen Kind alleine gelassen. Sein Beruf nahm ihm sehr in Anspruch und er war oft wochenlang von zu Hause weg. Viel zu spät merkte er, dass ihm Viktoria entglitt, sie entwickelte sich zu einer sehr selbständigen eigenwilligen Persönlichkeit, es gab keine gemeinsamen Gespräche mehr. Er sprach meist nur Verbote aus, ohne zu merken, dass Viktoria erwachsen wurde. Eines Tages als er nach Hause kam, saß Anna weinend da, in der ausgestreckten Hand hielt sie einen Brief. Viktoria war gegangen. Sie bat darum nicht nach ihr zu suchen, da sie sich ihr eigenes Leben aufbauen will und wenn sie es geschafft hätte, würde
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2014
ISBN: 978-3-7309-8246-4
Alle Rechte vorbehalten