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Hora lupi

Beim Aufschließen der Tür fällt sein Blick auf das Klingelschild, bei dem sich eine Schraube gelöst hat und das jetzt schräg nach unten hängt. Er müsste es wieder befestigen. Immerhin kann man seinen Namen noch lesen, Wolf Hirt. Eigentlich heißt er Wolfram, aber er hat den Namen nie gemocht. Auf seine sprachliche Mitarbeit war bei der Zuteilung des Namens ja ohnehin verzichtet worden, also hat er ihn zumindest verkürzt. In der Küche wirft er die Brötchentüte und die Morgenzeitung mit der lächelnden Kanzlerin und dem winkenden Donald Trump auf den Tisch, das Einzige, was er einkaufen konnte. Im nahen Bahnhof hatten Polizei-Ketten die Eingänge verriegelt, im Einkaufszentrum dahinter schlossen Security-Kräfte gerade den Zugang, „kein Verkauf heute, hören Sie mal Nachrichten.“ An einigen kleineren Geschäften waren die Handwerker noch dabei, die Schaufenster mit Holzplatten zu verrammeln. Mit Akku-Schraubern standen sie auf hohen Leitern, zogen die Befestigungen nach oder vernagelten sie. Einige trugen Ohrenschutz, vielleicht wegen der in den Nebenstraßen immer wieder aufheulenden Polizei-Sirenen. Auf den Stopp-Schildern an der Allee leuchteten die Stopp-G20-Aufkleber, in der Unterführung und an den Häuser-Fassaden frische Graffiti in Rot und Schwarz: G 20 – Welcome to Hell. G 20 entern – Kapitalismus versenken. Molotow-Cocktails statt Sekt-Empfang. All cops are bastards. A.C.A.B. Daneben normale Werbung für Möbel und anderes in entfernteren Stadtteilen: Räumungsverkauf – Einkaufen jenseits der G-20 Krawalle. Ein Wunder, dass die kleine Bäckerei in der großen Einkaufsstraße noch geöffnet hatte und die Brötchen trotz der Käufer-Schlangen noch nicht ausverkauft waren.

 

 

 

 

 

 

 Wolf wirft einen Blick in den Kühlschrank. Der Ziegenkäse überspringt gerade unhörbar die Haltbarkeitsgrenze. Ansonsten ist es umso lauter, das Geschirr klirrt im Schrank und die Möbel zittern. Und das seit zwei Tagen permanent, wenn die Polizeihubschrauber über das Haus donnern. Hier in Altona in der Nähe des Bahnhofs meist in niedriger Höhe. Gerade steht wieder ein Helikopter in seinem Lärm über dem Häuserblock. Sehen kann er ihn nicht, aber dafür drei andere durch sein Küchenfenster nach Südosten. Da, wo sie fast unbeweglich in der Luft neben der Spitze des Fernsehturms verharren, muss ungefähr das Messegelände sein, wo sich gerade Putin und Trump die Hände schütteln. Andere Hubschrauber bewegen sich, in einem Rudel von der Elbphilharmonie und den Tanzenden Türmen zu Beginn der Reeperbahn her kommend, in Richtung Altona, sie fliegen parallel zum Elbufer – wahrscheinlich bis Nienstedten oder Blankenese.

Er macht sich einen Kaffee, obwohl der Kühlschrank leer ist und er keine Milch mehr hat. Die Brötchen wird er ohne Butter essen müssen. Den Korb voller Schmutzwäsche schiebt er in die Ecke, ein Käfer krabbelt auf den Küchenfliesen unter den Kühlschrank. Er hat nicht mehr viel zum Anziehen. Während der Wasserkocher kaum vernehmbar zu rauschen beginnt, schaltet er das Radio ein – Waking the Demon. Um das Gefühl zu bekommen, etwas Sinnvolles zu tun, steckt er das Ladekabel ins Smartphone. Er sollte aufhören zu rauchen und schaltet das Radio wieder aus. Die Musik in normaler Lautstärke wird ohnehin vom Krach der Hubschrauber übertönt. Er horcht lieber in sich hinein – und verspürt ein leichtes Grollen, irgendwo in der Magengegend. Es wäre schön, jetzt woanders zu sein. Das Blubbern des kochenden Wassers ist mehr zu sehen als zu hören. Ein

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 09.07.2018
ISBN: 978-3-7438-7476-3

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Remus Lupin Anregungen: Thomas Hobbes: homo homine lupus (omnia opera: de cive) Angelina Mekel: hora lupi (Maischberger) Oluf Schulz: lupus horae (Hamburger Abendpost)

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