Wenn ich die Wahl habe zwischen dem Nichts und dem Schmerz, dann wähle ich den Schmerz.
William Faulkner
1
Schwer atmend hetzte ich in den Aufzug, bevor er sich schloss. Heute Morgen war ich viel zu spät aus dem Haus gekommen, was daran lag, dass ich nach einem Streit gestern Abend mit Max noch lange wach lag und erst in den frühen Morgenstunden etwas Schlaf gefunden hatte.
Ich wusste nicht mal genau wie es zu dem Streit gekommen war, in einem Moment hatte ich noch mit Max geredet und gelacht und im nächsten Moment hatte er etwas an meinem Aussehen auszusetzen gehabt. Mir vorgeworfen, dass ich nicht so schlank und sexy gekleidet wäre wie viele meiner Kolleginnen. Dabei fand ich mich nicht so unansehnlich wie Max es darstellte. Ja sicher ich war mit meinen 1,69 m nicht so groß wie viele anderen, und hier und da hatte sich in den letzten Jahren ein kleines Pölsterchen gebildet, aber das hatte Max bisher doch auch nicht gestört.
Auf meiner Station angekommen verwarf ich die Gedanken an den vergangenen Streit, setzte ein Lächeln auf und betrat das Schwesternzimmer. Vor mir lag ein Tag vollgepackt mit jeder Menge Arbeit und ich durfte mir keine schlechten Gedanken oder Fehler erlauben. Der Tag verlief ohne großen Zwischenfälle und auch Max, der der neue Chefarzt unserer Chirurgischen Station war, begegnete ich immer wieder aber in der Arbeit war kein Platz für private Probleme.
Gerade als ich Feierabend hatte und das Schwesternzimmer verlassen hatte, um mich auf den Weg zu meinem Yoga Kurs zu machen, hört ich hinter mir Max rufen „Alea! Kommst du mal bitte kurz?“ Was wollte er nun schon wieder? Mir etwa wieder erzählen wie unattraktiv ich bin? Ich hatte wirklich noch genug an dem von gestern zu kauen.
„Alea, Schatz, es tut mir leid was ich gestern gesagt hab. Ich hätte nicht so mit Dir reden dürfen, und es wird nicht wieder vorkommen.“
Hatte ich richtig gehört? Max entschuldigte sich? Bei mir? Das war ja noch nie vorgekommen, dass der große Max einen Fehler eingestand.
Gerade wollte ich ihm sagen, das alles halb so schlimm ist und ihm verzeihen, da sagte er, dass er trotz allem gemeint hatte was er gesagt hatte. Ich schluckte schwer und all die Worte die mir eben noch auf der Zunge lagen waren verschwunden. Ich merkte wie meine Augen feucht wurden, und bevor Max die verräterische Träne sehen konnte die sich aus meinem Auge gestohlen hatte wand ich mich ab, nuschelte was davon, dass ich nun gehen müsse. Max rief mir noch etwas nach, aber ich hörte es nicht mehr.
Ich wollte einfach nur weg, und meinen Tränen freien Lauf lassen. Ohne mich umzusehen stürmte ich in den Aufzug und danach zum Ausgang. Mittlerweilen liefen meine Tränen, und ich achtete kaum auf das was um mich herum war. Plötzlich lief ich gegen etwas Hartes und schaute erschrocken hoch. Vor mir stand Phillip, Oberarzt der Kardiologie. „ Alea? Geht es Dir gut, was ist denn los?“ fragte er mich. Ich sah ihn nur an, stammelte Entschuldigung und lief einfach weiter. Ich konnte jetzt mit niemandem reden, vor allem nicht mit Phillip, der auch noch Maxs bester Freund war. Ich muss weg von hier, bevor mir noch jemand über den Weg lief und mich fragen konnte was geschehen war.
2.
Ich lief den Weg zu meiner Wohnung in Rekordzeit. Gerade als ich die Haustüre aufschließen wollte, entschied ich mich um und machte mich auf den Weg zum nahegelegenem Eimsbütteler Park. Ich konnte am besten zur Ruhe kommen wenn ich mich dort an meinen Platz am Weiher setze und die Ruhe um mich herum auf mich wirken lies. Die Stille wurde vom klingeln meines Handys unterbrochen. Eine Nachricht von Max.
Alea, ich werde in 30 Minuten bei dir sein, wir müssen reden! Max
Seufzend machte ich mich auf den Rückweg, da es nur ein paar Gehminuten waren würde ich vor Max eintreffen und könnte mich noch duschen und umziehen.
Gerade war ich aus der Dusche raus, da klingelte es an der Türe. Max war 10 Minuten zu früh. Mir blieb nichts anderes übrig als nur mit einem Handtuch bekleidet zur Wohnungstür zu gehen.
„Alea wie siehst Du denn aus, hast Du meine Nachricht nicht bekommen?“ Max ging an mir vorbei ins Wohnzimmer und lies mich einfach in der Tür stehen. Ich folgte ihm, um herauszufinden warum er hier war. Max saß auf der Couch und musterte mich kritisch
„Mensch, zieh dir doch mal was an, ich kann deinen unförmigen Körper nicht mehr sehen.“
Ich stand wie angewurzelt da, konnte mich nicht bewegen. Das hatte er jetzt nicht wirklich gesagt oder? Schnell wand ich mich um und lief so schnell ich konnte in mein Schlafzimmer, schloss die Tür und lehnte mich von innen dagegen. Was war nur los mit Max, er war doch früher nicht so, im Gegenteil, er sagte mir immer, dass er meine Kurven liebt. Schnell zog ich mir eine Jeans und einen kuscheligen Angora Pullover an, kämmte mir durch meine langen dunklen Haare und band sie mit einem Band hoch.
Mit hängenden Schultern machte ich mich auf den Weg zurück ins Wohnzimmer, wo Max noch immer auf der Couch sitzend wartet. Ich war unsicher wie ich mich verhalten sollte, deshalb setzte ich mich in den Sessel gegenüber von Max und wartete auf eine Reaktion von ihm. Nach einigen Minuten, die mir wie Stunden vorkamen fing Max endlich an zu reden.
„Ich wollte mit dir über die bevorstehende Party zu meiner Ernennung zum Chefarzt der Chirurgie am Samstag bei mir zuhause sprechen. Ich finde du hast dich in letzter Zeit gehen lassen, und ich möchte mich vor meinen Freunden und auch Eltern nicht mit dir blamieren.“
Ich schluckte schwer, was sollte das denn jetzt heißen? Mit mir blamieren? Sonst war ich nach seinen eigenen Worten doch immer perfekt gewesen.
„Alea, versteht mich nicht falsch, ich liebe dich, aber so wie du aussiehst kann ich mich mit dir nicht mehr sehen lassen, als Chefarzt erwartet man von mir eine angemessene Partnerin an meiner Seite.“
Ich hatte das Gefühl in einem falschen Film zu sein. Gerade wollte ich etwas dazu sagen
„Max ich versteh…“ da unterbrach mich Max barsch
„Sprich nicht dazwischen, wenn ich mit dir rede. Ich erwarte von dir, dass du meinen Wünschen entsprichst, deshalb will ich, dass du das was du eine Frisur nennst änderst, außerdem erwarte ich ein angemessenes Kleid am Samstag. Wenn du mich blamierst wird es dir leid tun das verspreche ich dir!“
Ich traute meinen Ohren nicht. Während er mit mir redete ging er aufgebracht in meinem Wohnzimmer auf und ab.
„ Max, aber wieso? Was stimmt denn nicht mit meinem Aussehen, bisher hat es dich doch auch nicht gestört, du sagtest doch selbst immer wie sehr du meine Natürlichkeit liebst“
Max stürmte auf mich zu und packte mich grob am Oberarm und zerrte mich vor den Spiegel im Flur.
„ Sieh dich doch mal an, wie soll ich dich so attraktiv finden? Du siehst aus wie ein altes Hausmütterchen.“
Grob zog er mein Haarband heraus und riss meinen Kopf nach hinten.
„ Sieh dich genau an, gefällt dir was du siehst? Die strähnigen Haare, und dein blasses Gesicht? Und das was du Kleidung nennst, findest du diese schlabbrigen Pullis und die Hosen die du immer trägst sexy? So wie du aussiehst findet dich niemand scharf und glaub mir, ich stell mir auch immer jemanden anderen vor, wenn ich mir dir schlafe, sonst würde sich bei mir nichts regen!“
Mit diesen Worten ließ er endlich meinen Arm los, der sehr schmerzte, und an der Stelle wo er mich gepackt hatte würde morgen sicherlich ein Bluterguss zu sehen sein. Er drehte sich einfach um und verließ meine Wohnung ohne ein weiteres Wort oder einen Abschiedsgruß und ließ mich völlig geschockt zurück. War das gerade wirklich geschehen, oder hatte ich mir das nur eingebildet. Das war doch nicht mein Freund mit dem ich seit fast 8 Jahren zusammen war.
3.
Damals, vor 8 Jahren war er noch Assistenzarzt bei meinem Vater gewesen und bis dato hatten wir nie mehr Worte als „Hallo“ und „Tschüss“ bei zufälligen Treffen miteinander gewechselt.
Seit wir uns auf der Beerdigung meiner Eltern länger unterhalten hatten, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatte er sich sehr um mich gekümmert und war mir in der schweren Zeit beigestanden. Er war für mich da und hörte mir stundenlang zu, wenn ich ihm alte Geschichten von meinen Eltern und mir erzählte. Er tröstete mich wenn mich wieder einmal ein Heulanfall heimsuchte.
Max war damals ein einfühlsamer Mann. Ich glaub ich hatte mich vom ersten Augenblick an in ihn verliebt, gestand es mir aber erst 7 Monate später ein. An einem warmen Herbstabend saßen wir auf meiner Bank am Weiher, um uns herum war alles friedlich und still. Max erzählte mir irgendwas, ich sah wie sich seine Lippen bewegten, aber ich hörte nicht was er sagte. Ich sah nur diesen wundervollen Mann der so viel Zeit mit mir verbracht hatte, seine wenige kostbare Freizeit für mich geopfert hatte. In diesem Moment erkannte ich was ich unterbewusst schon lange wusste. Ich liebte diesen Mann, er war das wichtigste in meinem Leben geworden, und ich musste es ihm sofort sagen.
„ Max, Max… ich“, ich wusste nicht wie ich es ihm sagen sollte, und stammelte rum „Max ich muss dir was sagen. Mir ist heute,… also ähm… mir ist heute bewusst geworden, dass….“
„Alea, was möchtest du mir sagen?“ Ich holte tief Luft und sagte ganz leise „ Max ich liebe dich“ „Alea?“
Max sah mir damals tief in die Augen und sagte „ Ich bin mir nicht sicher ob ich richtig verstanden habe was du mir eben gesagt hast, aber ich möchte dir auch schon lange etwas sagen. Alea, ich liebe Dich! Schon seit längerer Zeit, aber ich wollte dir Zeit lassen, wegen deinen Eltern.“ Ab diesem Moment waren wir ein Paar, und ich hatte das Gefühl endlich angekommen zu sein. Ich fühlte mich geliebt und beschützt, über all die Jahre hinweg. Bis zu diesem Tag, an dem sich alles änderte
4.
Ich weiß nicht wie lange ich schon auf dem kalten Steinboden vor dem Spiegel saß. Meine Tränen waren mittlerweile getrocknet, aber ich war immer noch geschockt, und versuchte zu verstehen was gerade passiert war.
Langsam stand ich auf und sah mich im Spiegel an. Ganz so Unrecht hatte Max vielleicht gar nicht. Ich war wirklich sehr blass, und meine langen dunkelbraunen Haare hatten auch mal wieder einen Schnitt nötig. Und was meine Kleidung angeht, ich hab es einfach lieber bequem, gerade auch in der Arbeit, mit kurzen Röcken wie ein paar meiner Kolleginnen konnte ich einfach nicht richtig arbeiten. Ich muss mich ungehindert bücken können, ohne mir Gedanken darum machen zu müssen, ob man etwas sehen konnte. Auch wenn ich schnell zu einem Patienten kommen muss, ist ein Rock eher hinderlich. Eine Hose ist da wirklich die bessere Wahl.
Aber vielleicht sollte ich in meiner Freizeit öfter man einen Rock oder ein Kleid anziehen. Max hat Recht, ich bin nicht sexy, das erkannte ich, je länger ich mein Spiegelbild anstarrte. Gleich morgen, an meinem freien Tag werde ich einen Friseurtermin machen, und ein paar Boutiquen aufsuchen. Schade, dass ich keine beste Freundin habe, mit der ich das zusammen machen konnte. Aber durch meinen Beruf hatte ich schon nicht so viel Freizeit, und die Arbeitszeiten waren auch nicht gerade förderlich dabei Freundschaften zu knüpfen. Und bisher hatte ich einfach lieber meine Zeit mit Max verbracht, oder es mir gerne auch zuhause mit einem schönen Buch und einem Glas Wein gemütlich gemacht. Ich war nie der Partymensch gewesen, schon allein deshalb nicht, weil ich eher der schüchterne, zurückhaltende Typ Frau bin.
Klar, sicher gab es da die Freunde und deren Partnerinnen von Max, aber es waren eben Maxs Freunde, und um ehrlich zu sein, mit den meisten von ihnen konnte ich auch nicht so gut. Oft ließen sie mich spüren, dass ich nicht so studiert oder gebildet war wie sie, denn sie hatten alle studiert und waren ebenfalls Ärzte, oder Juristen und Architekten. Ich dagegen nur eine kleine Krankenschwester. Wann immer ich konnte habe ich gemeinsame Unternehmungen gemieden, was leider viel zu selten klappte.
Ich warf meinem Spiegelbild noch einen letzten Blick zu und beschloss ins Bett zu gehen, auch wenn ich mir sicher war, in dieser Nacht keinen Schlaf zu finden. Aber morgen würde ich mein Aussehen ändern, so werden wie Max mich wollte, dann würde er mich sicher auch wieder so lieben wie früher.
Texte: C.Y. B.
Tag der Veröffentlichung: 21.05.2013
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