Als sie im August 1999 das Kinderheim „Haus Sonnenland“ in Freudenthal verließen, waren Sarah Ritter und Mona Braun gerade achtzehn geworden und Nina Braun war siebzehn. Da sie nicht auf dem Lande bleiben wollten, nahmen sie sich eine gemeinsame Wohnung in Berlin-Kreuzberg. Sie statteten die Wohnung mit den Möbeln aus, die Sarahs Vater ihr und die das Ehepaar Braun ihren Töchtern hinterlassen hatten. Die jüngere Nina bekam eine Sondergenehmigung aufgrund der Tatsache, dass ihre Schwester bereits achtzehn war. Also durfte sie mit ihnen das Heim verlassen. Nach dem Abitur hatten sie Pläne, die sich nur in einer Großstadt verwirklichen ließen. Sarah wollte Journalistin werden, Mona liebäugelte mit einer Kunsthochschule und die forsche Nina stellte sich eine Karriere als Schauspielerin vor.
Obwohl ihre Eltern gut für sie vorgesorgt und die drei jungen Frauen nicht mittellos zurückgelassen hatten, waren sie nicht gänzlich unabhängig. Um sie auf das Leben dort draußen vorzubereiten, waren Sarah, Mona und Nina schon mit sechszehn Jahren in die separate Einliegerwohnung des Kinderheimes gezogen. Hier hatten sie sämtliche Arbeiten weitestgehend selbständig erledigen müssen: Putzen, Behördengänge und Einkaufen, wobei sie mit dem Geld, das ihnen zur Verfügung gestellt worden war, haushalten mussten. Natürlich ließen ihre Betreuer sie nicht ins kalte Wasser springen, sondern standen ihnen immer mit Rat und Tat zur Seite. Auch jetzt noch in der großen, neuen Stadt hatten sie Hilfe. In Berlin jedoch waren die Erzieher von Haus Sonnenland nicht mehr für die Mädels zuständig.
Eine ambulante Jugendhilfe würde die drei im Umgang mit ihren Finanzen und bei allen anderen Dingen, die junge Leute im Leben so brauchten, unterstützen. Auch finanziell waren sie nicht unabhängig, sie bekamen Unterstützung vom Staat, da sie mit der Schule noch nicht fertig waren. Durch ihr Erbe mussten sie nicht sparsam leben, mit achtzehn Jahren hatten sie Zugriff auf ihre Erbschaften erhalten. Zwar hatten sie einen Teil an den Staat abtreten müssen, aber es blieb genug übrig. Deshalb war die Wohnung etwas größer und teurer als es in so einem Fall eigentlich üblich war. Jede hatte ihr eigenes Zimmer und ein zusätzliches wurde ihr gemeinsames Wohnzimmer. Sarah konnte sich sogar einen Computer zulegen. Sie nahm an Computerkursen in der Schule und in ihrer Freizeit teil, war das doch die Zukunft. Die Kenntnisse sollten ihr später im Beruf helfen. Erst sollte er im Wohnzimmer stehen, damit Mona und Nina auch darauf zugreifen konnten, aber sie hatten beide kein Interesse an diesem Ding.
»Ein Buch mit sieben Siegeln«, nannte ihn Nina. Sie konnten nicht verstehen, warum irgendjemand seine Freizeit dafür opfern sollte. Also zog der Computer in Sarahs Zimmer um, und dort blieb er auch.
Für Sarah lief es im Moment mit allem sehr gut, sie fühlte sich so glücklich wie lange nicht mehr. Vielleicht lag es auch ein wenig an David. Mona und Nina hätten gesagt, es lag so was von an David, aber sie hielten sich mit ihrer Meinung zurück. Aber Tatsache war, dass sie ein Auge auf den jungen Nachbarn, der ihnen beim Umzug geholfen hatte, warf.
Als er damals aus dem Büro nach Hause kam, fand David Connelly einen Haufen Kartons vor der Haustür stehend vor und drei zierliche Mädchen mit je einem Karton auf dem Arm. Die Vierzimmer-Wohnung direkt neben seiner, stand seit etwa einem halben Jahr leer. Doch er wunderte sich sehr, dass jetzt zwölfjährige Mädchen hier einziehen würden.
Bei genauerem Hinsehen dachte er ironisch: „Well, vielleicht sind sie ja auch schon vierzehn.“
Ein wunderschöner beigebrauner Hund saß in der Nähe der jungen Frauen und beobachtete ihn wachsam. Als der Agent in ihre Richtung kam, erhob dieser sich und kam vorsichtig auf ihn zu. Da es sich bei David um einen Hundemenschen handelte, der in seiner Kindheit und Jugend in Schottland immer welche um sich gehabt hatte, wusste er, wie man sich gegenüber fremden Hunden verhielt.
Langsam ging er in die Hocke und begab sich somit auf Augenhöhe des Hundes, ohne diesem jedoch allzu tief in die Augen zuschauen, das hätte ein Hund durchaus als Machtkampf ansehen und eventuell aggressiv darauf reagieren können. Er hielt ihm die linke Hand hin, nicht seine rechte. Denn sollte der Hund bösartig sein und zubeißen, dann bitte nicht in die Hand, mit der er als Rechtshänder für gewöhnlich seine Waffe hielt. Er erkannte, dass das Tier eine Hündin war. Sie schnupperte und nahm die angebotene Hand erst einmal zwischen die verdammt spitzen Zähne. Aber sie biss nicht zu, wofür er äußerst dankbar war.
Es war ein Test von dem Tier. Denn sollte der Mensch Angst zeigen und sie wegreißen, würden sich die Zähne fester schließen und durch die eigene Bewegung des Fremden, verletzte er sich praktisch selbst. Nicht viele Menschen wussten, wie manch eine Bisswunde eines Hundes zustande kam. Aber David kannte sich aus, und deshalb ließ er seine Hand in der Schnauze des Hundes ruhig liegen.
Ohne eine Drohbewegung von beiden, schauten sich der Mensch und die Hündin jetzt
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: t.m.wulf71@gmail.com
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Cover: t.m.wulf71@gmail.com
Tag der Veröffentlichung: 28.01.2018
ISBN: 978-3-7438-5297-6
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Widmung:
Für David Tennant.