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1

Felix Weikmann keuchte eine steile Gasse hinauf. Vor ihm hämmerten die Absätze der beiden fliehenden Bankräuber ihr Stakkato aufs Pflaster. Hinter ihm blieb das gequälte Schnaufen von Pepi, seinem Partner, immer weiter zurück.

„Schieß! Gleich ... sind sie ... weg!“

Felix zielte, so gut es im Laufen ging, auf die Beine des hinteren Räubers, der den vorderen verdeckte. Der Mann ging zu Boden. Als Felix bei ihm ankam, sah er schreckensstarr einen roten Fleck über der linken Brustseite des vermummten Mannes erblühen.

„Ach du Scheiße! Hast du ihn erschossen?“

Pepi war endlich auch herangekommen. Der zweite Räuber war abgetaucht im Gassengewirr der Altstadt.

Felix stand immer noch stumm und fassungslos. Wie in Trance ließ er sich von Pepi die Pistole abnehmen. Dann saß er plötzlich am Straßenrand, die Beine im Rinnstein, und hörte die Sirenen der Einsatzfahrzeuge.

Die Sirenen wurden lauter und lauter. Das waren keine Sirenen. Himmel noch mal, das Telefon klingelte!

Felix tastete im Dunkeln nach dem Hörer und meldete sich mit krächzender Stimme. Schweiß perlte ihm über die Brust, brannte in seinen Augen. Oder waren das Tränen? Das Telefon, schwer wie ein Hinkelstein, zerrte an seinen zitternden Händen. Dieser Scheißtraum! Ob es ihm wohl jemals gelingen würde, sich von ihm zu befreien?

„Wer dort sprechen?“

„Weikmann hier.“

„Oh! Sorry, falsches Nummer.“ Aufgelegt.

„Du mich auch!“

Ein kurzer Blick auf den Wecker zeigte ihm: fünf Minuten vor fünf Uhr früh. Tolle Zeit, um sich zu verwählen. Felix wischte sich unwirsch über die nasse Stirn. Schlafen konnte er jetzt sicher nicht mehr. Er schlüpfte in Short und Tanktop und schnürte seine Laufschuhe zu. Laufen half ihm immer, wenn dieser Albtraum ihm wieder einmal die Kehle zuschnürte.

Draußen war es noch ziemlich dunkel. Eine lange trockene und heiße Periode hat die Menschen stöhnen lassen. Heute spürte Felix zum ersten Mal den nahenden Herbst. Es war kühl und eine angenehme Brise umschmeichelte ihn. Die Föhren am Fuß des Anningers verströmten ihren unverwechselbaren Duft, der sich mit den Jahreszeiten veränderte. Dieses harzige Aroma bedeutete für Felix Heimat und Wohlfühlfaktor 10 auf der 12-teiligen Weikmann-Skala. Die Vögel erwachten und sandten erste zarte Botschaften in die Dämmerung.

Am Umkehrpunkt seines Laufes legte Felix eine Pause ein. Er überblickte das diesige Wiener Becken. Aus ihrem wabernden grauen Bett erhob sich eine aufgeblähte Sonne.

 

Felix stieg aus der Dusche. Befriedigt betrachtete er sich im Spiegel. Der Albtraum hat keine Spuren hinterlassen. Sein Teint war wohlgebräunt durch ein paar Badetage am Schotterteich. Die dunkelbraunen Augen täuschten Sanftheit vor, Plüschblick. Aber er konnte auch ganz anders. Er setzte sein bösestes Bullengesicht auf. Wild und beeindruckend autoritär. An den Schläfen zeigten sich die ersten grauen Strähnen. Sieht gar nicht so schlecht aus! Wirkt irgendwie interessant.

Der gestrige Abend drang in sein Bewusstsein. Er hat wieder, wie so oft, im Streit geendet. Verdammt, warum schaffte er es nicht, zwei Stunden mit seinem Vater zu verbringen, ohne dass sie sich in die Haare kriegten? Warum ließ er sich von dem alten Fuchs nur immer wieder provozieren? Und nicht nur das: er hat die Partie Billard auch noch verloren. Sein Vater wusste haargenau, dass er nicht streiten und gleichzeitig gut spielen konnte. Felix war sich nicht sicher, worüber er sich mehr ärgerte: über seinen Vater oder seine eigene Blödheit.

Schade, dass sein großer Bruder Adrian gestern nicht mit von der Partie war. Nicht nur, weil dadurch der Puffer zwischen seinem Vater und ihm fehlte. Es war jedes mal wieder lustig, wenn er zu jemandem aufschauen musste. Das kam bei einem lang aufgeschossenen Spargel von eins einundneunzig eher selten vor! Adrian hatte die Größe, den wiegenden Gang und die breiten Schultern eines Basketballers. Und das, obwohl er es mit Churchill hielt: no sports! Sein Sport war das Ausspähen von Steuerschlupflöchern und das Jonglieren mit Zahlen. Er war Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Er machte nur eine Ausnahme: er spielte, wie alle Männer der Familie Weikmann, für sein Leben gern Billard. Schon als Kinder haben sie auf Eurosport mit Begeisterung jede Meisterschaft verfolgt. Und sobald sie groß genug waren, um über den Tischrand zu reichen, mussten sie selbst zum Queue greifen und die Kugeln über den Filz jagen.

 

Felix riss sich gewaltsam aus seinen Tagträumen. Er quetschte seine langen Beine unter das Lenkrad seines alten Mini. Bei jeder Bodenwelle musste er den Kopf einziehen, sonst gab’s eins auf die Rübe. Dennoch konnte er sich nicht dazu durchringen, ein neues und vor allem seinem Körperbau etwas angemesseneres Auto anzuschaffen. Er hatte diese alte Rostschüssel, die ihn noch nie in Stich gelassen hatte, richtig ins Herz geschlossen.

Das Kommissariat kam in Sicht. Hieß jetzt eigentlich Polizeiinspektion. Aber kein Mensch nannte das Gebäude so. Was für ein hässlicher Kasten! Dass niemand auf die Idee kam, diesen Schandfleck mitten in Mödling wenigstens zu renovieren. Er persönlich hätte den reizlosen Plattenbau aus den Siebzigerjahren gern mit der Abrissbirne umgestaltet. Die großflächigen Fenster mit den Metallrahmen leiteten Kälte und Hitze vorzüglich ins Innere und die weitgehend nicht isolierten Betonmauern trugen das ihre dazu bei, dass sie im Sommer geröstet wurden und im Winter oft mit der Winterjacke am Schreibtisch saßen. Seit Jahren hieß es, dass demnächst mit der Renovierung und Isolierung des Baues begonnen werden sollte. Doch es geschah nichts. Der einzige Lichtblick war ein knorriger alter Kastanienbaum neben dem Weg zum Eingang. Und selbst der war heute unfreundlich zu Felix. Er bewarf ihn mit den ersten Kastanien des ausklingenden Sommers.

An seinem Schreibtisch erwartete Felix wie jeden Morgen ein Stapel unerledigten Schreibkrams. Obenauf lag ein Schriftstück, das ihm seit Wochen Magenschmerzen verursachte: die Budgetanforderung für das kommende Jahr. Er musste sie endlich ausfüllen und einreichen. Das war ein Balanceakt. Verlangte er zuviel, bekam er gar nichts, forderte er zu wenig, konnten sie ihren Dienst nicht effektiv versehen. Und wenn er den Termin versäumte, konnte er sich vom Leiter des Landeskriminalamtes Niederösterreich wieder einen Vortrag über Disziplin, lasches Personal und ausufernde Etats anhören. Der Mann vereinte in sich die Statur eines Grizzly mit der Stimme einer jammernden Kreissäge. Das Papier musste heute vom Tisch!

Normalerweise war Felix der Erste, aber heute war Sophia Rettenbacher bereits vor ihm eingetrudelt.

„Hallo Sophia, hast du nicht schlafen können?“

„Ich leide noch nicht an seniler Bettflucht, wenn du das meinst. Ich wollte nur wenigstens einmal vor dir im Büro sein!“

„Braves Mädchen.“

Sophia, das Küken der Abteilung, war erst seit einem Jahr bei ihnen. Felix hatte sie unter seine Fittiche genommen. Sich selbst traute er am ehesten zu, eventuelle Anfängerfehler auszubügeln. Aber Sophia machte kaum Fehler. Sie war intelligent, ehrgeizig, aufmerksam, und schoss besser als alle Männer der Truppe zusammen. Einzig ihr Fahrstil ließ zu wünschen übrig. Doch da sie an den Wochenenden Autorennen fuhr, war das nicht weiter verwunderlich.

Anfangs hatten die Kollegen ihnen gelegentlich ein Verhältnis unterstellt, aber mittlerweile war das Gerede wieder eingeschlafen. Felix könnte sich eine schlimmere Strafe vorstellen, als mit der feschen Sophia ein Verhältnis zu haben. Doch eine seiner ehernen Regeln lautete: keine Beziehung am Arbeitsplatz. Sophia hatte ihm auch nie Avancen gemacht. Ihr Verhältnis war freundschaftlich, begründet auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen.

 

Schön langsam tröpfelte der Rest der Mannschaft herein. Klaus Simoner, der Familienvater mit den zwei Kindern, die er auch mal im Kindergarten und der Schule abliefern musste oder dort auflesen. Er war immer in Eile und brachte trotzdem nicht besonders viel weiter.

„Kinder, heut’ ist wieder ein Mords-Verkehr. Scheinbar sind schon alle aus dem Urlaub zurück.“

„Versuch’s mal mit früher aufstehen, Faulpelz!“

„Du hast es nötig, Sophia. Du kommst sonst meist nach mir!“

„Ich gehe aber auch meist lang nach dir.“

Autsch, das saß. Felix grinste in sich hinein. Klaus war kein schlechter Polizist, aber seine Organisation war schlicht chaotisch. Er wollte auch keine Überstunden machen, sofern es sich irgendwie vermeiden ließ. Was bei den Kollegen nicht immer auf Verständnis stieß.

Karl Schwandner, ihr Pensionsanwärter, war der nächste. Sein Rheuma quälte ihn an nassen und kalten Tagen. Besonders im Winter war ihm jeder Außeneinsatz verhasst. Seine Stärke lag in der lebenslangen Erfahrung mit den bösen Buben. Es gab kaum eine Situation, die er nicht schon einmal erlebt hatte. Er wusste oft noch in den verfahrendsten Situationen Rat.

„Was hat denn der verdammte Computer schon wieder?“

„Hast ihn überhaupt aufgedreht Karl?“, meldete sich Klaus.

„Jaaa, du Klugscheißer. Aber der Bildschirm ist schwarz.“

„Vielleicht hast du gestern den Monitor abgeschaltet?“

Sophias sachlicher Ton brachte wieder Ruhe in die Dienststelle.

„Das hab ich sicher nicht. Aber – komisch, danke Sophia, ich glaub das war’s.“

So wie Klaus grinste, war er wohl der Übeltäter, der heimlich den Monitor ausgeschaltet hatte. Nach dem Motto: Kleine Bosheiten erhalten die Freundschaft.

Karl stand mit der modernen Technik gelegentlich ein wenig auf Kriegsfuß, mal mit dem Handy, mal mit dem Computer. Goran Ilic wurde bereits als sein Nachfolger aufgebaut, daher war es nicht mehr oft nötig, dass Karl ausrückte. Karls größte Sorge war, dass es noch einmal eine Pensionsreform geben könnte und er dann im batteriebetriebenen und Joystick-gesteuerten Rollstuhl den Banditen hinterher brettern musste.

 

Lambert Oberhauser und Goran Ilic hatten gemeinsam im Café gegenüber gefrühstückt. Die beiden hatten die Nachtschicht abgedient und würden sich nach der ersten Besprechung empfehlen.

Lambert, ein waschechter Tiroler, den seinerzeit die Liebe nach Ostösterreich verschlagen hatte, war 52 Jahre alt und vor zwei Jahren war seine Frau gestorben. Seit dieser Zeit hatte ihn keiner mehr lachen gesehen. Seine größte Stärke war seine endlose Geduld, seine Schwäche die mangelnde Kommunikation. Ein Grabstein war dagegen geschwätzig.

Goran war nach Sophia der Jüngste. Ein Zuwandererkind einer serbokroatischen Familie der dritten Generation. Seine Sprachkenntnisse hatten sich schon mehr als einmal hilfreich erwiesen. Er sah aus wie der sprichwörtliche Latin Lover, inklusive schwarzer Schmalzlocken. Im Gegensatz zu Lambert stand sein Schnabel kaum jemals still und damit war er die sinnvolle Ergänzung im Team mit dem wortkargen Tiroler.

Als Letzter kam Mario Pöllauer, 32, verlobt, ein zartes Bürschchen. Blondes Haar, akkurat kurz geschnitten und gegelt. Sein Anzug wirkte, als sei er maßgeschneidert, mit Bügelfalten wie Rasiermesser, die Schuhe ohne jedes Stäubchen.

„Hallo allseits. Gibt’s schon Kaffee?“

„Kommt als Letzter und schreit nach Frühstück, das haben wir gern. Falls es dich interessiert, Mario, du bist diese Woche mit Kaffeekochen dran. Also mach dich flott ans Werk!“

„Unsere liebe Sophia. Charmant und lieblich, wie immer.“ Sein Ton stand im eklatanten Widerspruch zum Inhalt der Worte. Doch an Sophia perlte das wirkungslos ab.

Mario war ein verwöhntes Muttersöhnchen und ein kleiner Choleriker, der schnell die Beherrschung verlieren konnte. Dazu ein Macho. Seiner Meinung nach war es Sache der Frauen, Kaffee zu kochen und zu servieren. Das gab am Anfang Zoff mit Sophia. Seine gelegentlichen rassistischen Anwandlungen führten zu Spannungen zwischen Goran und ihm. Er bildete mit Klaus Simoner das dritte Team.

„Kennt ihr den schon? Was ist der Unterschied zwischen einem Neger und einem Winterreifen?“

Mario füllte nebenbei mit Todesverachtung die Kaffeemaschine mit Wasser und löffelte Kaffeepulver in den Filter. Er blickte Karl direkt ins Gesicht.

„Keine Ahnung“.

„Der Winterreifen singt keinen Blues, wenn man ihm Ketten anlegt.“

Goran schubste ihn zur Seite. „Ha - ha - ha. Wieso kennst du nur rassistische Witze, du geschniegelter Fatzke?“

„He, Goran, wenn du so zart besaitet bist, dann solltest du Kindergärtner werden!“

„Hört auf mit dem Blödsinn!“, unterbrach Felix die aufkeimende Feindseligkeit der beiden Streithähne. „Sonst komme ich noch auf die Idee, ihr habt zu wenig zu tun. Außerdem ist es 9 Uhr. Bitte alle in den Besprechungsraum“,

Der Verhörraum, der gleichzeitig für Besprechungen diente, war das einzige Zimmer, das groß genug war, dass alle sitzen konnten. Da wurden in lockerer Atmosphäre beim Kaffee die anhängigen Fälle besprochen, die Nachtschicht berichtete kurz, was sich ereignet hatte, die Arbeit wurde aufgeteilt und sofern nötig, die Diensteinteilung verändert, wenn jemand krank wurde oder auf Urlaub gehen wollte. Hier tagte jedoch auch der Krisenstab, wenn ernste Fälle zu lösen waren.

Die Nacht war einigermaßen ruhig verlaufen. Es gab weder Einbrüche noch Vergewaltigungen, keinen Raub, keinen Mord.

“Wir mussten nur einmal ausrücken.“ Goran erstattet Bericht. „Da gab es einen Randalierer bei einem Sommerfest in Biedermannsdorf. Der Bursche hat erst auf das Torten- und Kuchen-Buffet gekotzt und als ihn die Damen dort zur Rede stellen wollten, packte er sein bestes Stück aus und urinierte auf den Rest. Daraufhin gingen einem Gast die Nerven durch und es gab eine Schlägerei. Die endete noch vor unserem Eintreffen, weil der kleine Kotzbrocken KO ging. Er war übrigens erst vierzehn und stockbesoffen. Das Schlimme dran ist, dass er seine dreizehnjährige Freundin und deren elfjährigen Bruder auch mit dabei hatte. Und auch die beiden mussten ins Spital. Jeder von ihnen hatte mehr als eineinhalb Promille.“

„Die Komatrinkerei könnte noch ein Nachspiel haben“, meldete sich Lambert. „Die Kids haben nämlich prominente Eltern. Der Vater des Burschen ist ein bekannter Schauspieler und die Mutter des Mädchens und des kleinen Jungen ein ehemaliges Model.“

Na super! Felix sah sich schon in einen Rechtsstreit der Eltern verwickelt, die ihre Kinder schützen und dem jeweils Anderen die Verantwortung für die Sauferei zuschieben wollten. Aber vielleicht hatten sie Glück und die Geschichte wurde totgeschwiegen.

Einige alte Fälle harrten noch ihrer Lösung, ein paar Berichte waren noch ausständig.

Dieser Tag versprach im Moment ausgesprochen ruhig zu werden. Felix teilte die alten Fälle allen anderen zu und freute sich darauf, einige Akten aufzuarbeiten und den Stoß mit den unerledigten Schnellheftern, die ihn dauernd vorwurfsvoll anzustarren schienen, erheblich zu verkleinern.

 

Zehn Minuten später zerstob sein Traum von der ruhigen Schreibtischarbeit. In Leopoldsdorf lief ein Mann mit einer Hacke Amok. Felix und Sophia sprangen auf und waren schon unterwegs zum Auto, als ein weiterer Notruf einging. In der Südstadt wurden Kinder auf dem Spielplatz beschossen! Soeben war ein kleiner Junge mit einer Schusswunde an der Schulter umgekippt!

„Karl, das übernimmst du mit Klaus und Mario!“

 

 

2

Regine blickte aus dem Fenster ihres Schlafzimmers und genoss den Augenblick der Ruhe. Ihr Blick schweifte über frisch gepflügte Äcker, ein weidengesäumtes Bächlein und dahinter abgeerntete Felder. In der Ferne leuchtete der Kirchturm von Alland in der Morgensonne. Schön, dass sich diese Woche endlich ihrem Ende zuneigte. Die hatte es echt in sich gehabt. In der Firma ging es drunter und drüber und der Geschäftsführer machte neuerdings kryptische Andeutungen. Auch ohne diese Hinweise wusste sie, dass die Verkaufszahlen ständig zurück gingen und es eine Frage der Zeit war, wann sie ihre inländische Fertigung aufgeben mussten, weil sie zu teuer produzierten. Dann würden sie zu einer reinen Handelsfirma schrumpfen. Regine, die den Vertrieb für West- und Südeuropa leitete, war ständig mit dem Gejammer der Kunden über die hohen Preise ihrer elektronischen Bauteile konfrontiert. Da brauchte sie auch gar nicht auf die hervorragende Qualität ihrer Produkte gegenüber der Konkurrenz aus Fernost hinzuweisen. Das interessierte niemanden. Es ging immer nur um den Preis. Auch wenn die billigen Produkte Schrott waren.

Selbst im Bürgerforum, der kleinen politischen Gruppe, in der sie sich engagierte, gab es Zoff. Sie fühlten sich für den Erhalt der Landschaft und der Lebensqualität verantwortlich und wollten die Umweltqualität erhalten, die sie alle dazu bewogen hatte, sich hier anzusiedeln. Die seit Jahrzehnten, wenn nicht schon seit Generationen, ansässigen Bauern dagegen waren der Meinung, dass sie mit ihrem Grund und Boden machen könnten was sie wollten. Da rosteten Autowracks im Wald vor sich hin, Bauschutt lagerte neben dem Acker, Sondermüll wurde im Bach entsorgt. Und die Zuagrasten ging das einen Dreck an!

Der Bürgermeister bereitete dem Wirt, in dessen Gaststätte sie ihre Treffen abhielten, in letzter Zeit große Schwierigkeiten. Da konnte der noch so beteuern, dass er nichts mit dem politischen Programm der Leute zu tun hatte. Gast ist Gast, und er brauchte diese Einnahmen. Der Bürgermeister hatte ihm wiederholt gedroht, dass er ihm im Sommer den Schanigarten nicht bewilligen würde und er seine Lizenz verlieren könnte, weil er angeblich an Jugendliche Schnaps ausgeschenkt hatte. Die großen und kleinen Schikanen nahmen zu und der entnervte Wirt bat sie, sich wo anders zu treffen – am besten in einem anderen Ort, wo sie niemand kannte. Das war ja noch schöner! Sie durften im eigenen Ort nicht in das Wirtshaus gehen, in das sie wollten?

 

Wenigsten war heute ein wunderbares Kontrastprogramm angesagt. Ihre Freundin Maria, genannt Maxi, und sie wollten einen Ausflug zum Erzberg unternehmen. Das war schon lange geplant und jetzt schritten sie zur Tat. Sie durchlitten gemeinsam ihre Mittelschulzeit und ihre Freundschaft hielt bereits einigen harten Belastungsproben stand. Sie teilten alles: Jausenbrote in der Unterstufe, später erste alkoholische Drinks, verbotene Filme, Menstruationsprobleme, Aufklärung durch Pornohefte, erste Freunde. Das war überhaupt die lustigste Zeit! Die Jungs haben nie gewusst, woran sie mit ihnen waren. Damals waren sie echte Luder!

Regine kleidete sich für die Expedition zum Erzberg an. Nicht dass sie erwartete, dass man dort nicht anständige Wege hätte oder sonstiger Unbill der Besucher harren würde, aber sie kannte Maxi. Diese junge Dame war etwas kapriziös und es war besser, sich für alle Eventualitäten wie außertourliche Höhlenwanderungen, Erstbesteigungen von Nordhängen oder Ähnliches zu wappnen. Dann war es im Ernstfall mit Maxi ganz lustig. Aber ohne entsprechende Ausrüstung half bei Maxis Unternehmungsgeist nicht einmal ein absolviertes Überlebenstraining. Maxis Exmann, der Greifer, war schier an ihrer nicht enden wollenden Unternehmungslust verzweifelt. Noch dazu, wo sie alle Regeln der Sicherheit prinzipiell missachtete. Ihre Mottos waren: Sorgen mach ich mir, wenn ich todkrank bin, und: Im Holzpyjama hab ich auf ewig Zeit zum Faulenzen.

Maxis Mann, als Polizeibeamter von Berufs wegen misstrauisch und vorsichtig, kam mit ihrem Naturell, das ihn am Anfang so fasziniert hatte, auf die Dauer nicht zurecht. Und außerdem hatte er nach tage- und wochenlangem aufreibendem Dienst ein echtes Bedürfnis nach Ruhe. Maxi hingegen war die ganze Zeit mit einem kleinen Kind zu Hause angebunden und wollte Action. Nach einigen Jahren konnten sie einander nicht mehr ertragen. Er fand sie überdreht, verrückt und kapriziös - und all das war Maxi. Früher fand er das irre aufregend. Sie fand ihn langweilig, faul und fett - und alles das war er auch, aber in der Hauptsache als Folge seines Berufes. Selbst sein Bäuchlein war wohl auf seine unregelmäßigen Dienste und Essenszeiten zurückzuführen.

Regine griff sich noch eine warme Jacke aus dem Schrank, denn bei der Führung unter Tage würde es vermutlich trotz der Hitze draußen kalt sein. Dann war sie gerüstet. Nun Kater Fietzo noch die Näpfe gefüllt und dann hieß es warten. Maria kam fast immer ein bisserl zu spät.

 

Es klingelte und eine lachende Maxi schwenkte sie im Flur herum, sobald Regine öffnete.

„Lass dich anschauen, Regs, ich habe dich ja schon Monate nicht mehr gesehen!“

„Wir waren vor zwei Wochen miteinander im Kino, schon vergessen?“

„Das zählt nicht, da war es finster und ich durch Brad Pitt abgelenkt - wie hätte ich da auf dich schauen sollen?“

„Sehr schmeichelhaft, Maxi! Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde! Wieso kommst du so spät?“

„Der Greifer hat uns wieder mal warten lassen. Sissy war schon ganz hektisch vor Angst, dass er wieder nicht kommt.“

„Wie kann man seinen Mann nur Greifer nennen?“

„Ex-Mann, bitte schön! Und er ist doch Polizist, oder nicht?“

„Trotzdem. Gerade du solltest einen besseren Namen für den Vater deines Kindes finden. Du bist doch sonst immer so pingelig und legst Wert auf eine gehobene Ausdrucksweise“.

„Wenn mir mal fad ist, werde ich darüber nachdenken, Frau Professor Regine.“

Nach Regine wurde noch Fietzo Opfer der schmusesüchtigen Maxi. Aber der genoss das und ließ sich den Bauch kraulen. Nur als Maxi ihn auf den Arm nehmen wollte, was er gar nicht schätzte, flüchtete er durch die Katzenklappe.

Regine schob Maxi zur Tür raus. „Los jetzt, sonst kommen wir nicht einmal mehr zur letzten Führung zurecht! Dann kannst du den Erzberg per Pedes erobern.“

 

Nach einer gemütlichen Fahrt und lebhafter Unterhaltung über die Männer im allgemeinen, Kollegen, einen neuen witzigen Friseur und andere lebenswichtige Kleinigkeiten, kamen sie beim Erzberg an. Maxi fand wider Erwarten sogar gleich einen Parkplatz.

Sie erstanden ihre Karten für die Führung durch den Schaustollen und die anschließende Fahrt mit dem Hauly, so hießen die großen Muldenkipper. Dann enterten sie die Kleiderkammer. Hier mussten sie eine knallgelbe Wetterjacke und einen gelben Helm anlegen.

„Mein Gott Regs, bist du sexy im quietschgelben Ostfriesenpelz!“, zog Maxi sie auf.

„Schau dich einmal in den Spiegel! Du siehst auch nicht grad wie das Pin Up des Monats aus!“ gab Regine lachend kontra.

Sie verließen die Umkleidekammer und am Eingang zum Stollen wurden sie alle einzeln fotografiert.

„Das Foto können die behalten. Das wird wieder ein Meuchelfoto sein!“, moserte Regine.

„Na, wenn du dein Foto nicht kaufst, nehm’ ich es. Dann habe ich für später ein Druckmittel in der Hand!“

„Bei deinen kriminellen Anlagen ist es kein Wunder, dass der Greifer die Flucht ergriffen hat. Eher dass er dir das Sorgerecht für eure Tochter überlassen hat.“

„Du hast es nötig! Wer wollte denn die arme, fast vaterlose Tochter ihres Freundes nicht in sein Testament aufnehmen? Kein Wunder, dass er mit der grausamen Stiefmutter nichts mehr zu tun haben wollte.“ Maxi blieb einem selten was schuldig. Regine zeigte ihr die Zunge. Und dann wurden sie gebeten, in die Katl zu steigen.

 

Die Katl ist der ehemalige Mannschaftszug, der die Bergleute tief ins Innere des Erzberges brachte. Bis 1986 wurde hier noch Erz unter Tag abgebaut. Nach der Schließung des Grubenbetriebes und der Stilllegung der Gleisförderung wurde ein Teil des unterirdischen Labyrinths für interessierte Besucher freigegeben. Ausgerüstet mit der bergmännischen Schutzkleidung fuhren so an die dreißig oder vierzig weiße Riesen und gelbe Zwerge einen Kilometer in die Tiefe.

Auf der Länge von etwa 800 Meter ist ein Schaubergwerk eingerichtet worden. Hier erfuhr man, wie früher die Knappen das Erz gewonnen haben, wie es befördert wurde, wie sich die Grubenarbeit im Laufe der Jahrzehnte verändert hat. Zahlreiche Beispiele zeigten anschaulich, welche Vorrichtungen zur Verfügung standen, die Entwicklung des Bohr- und Sprengwesens und der Fördertechnik, aber auch wie die Sicherung der Gruben durch verschiedene Ausbautechniken sichergestellt wurde.

Einer der Höhepunkte der Führung war eine nachgestellte Sprengung. Unter großem Getöse zuckten durch einen dunklen Stollen Blitze und dann polterte und rauchte es, als würden wirklich 50 Tonnen Stein runterdonnern.

Maxi und Regine waren mitten im Pulk der Besucher und alberten sich durch die Stollen. Ihnen war im Gegensatz zu manch anderem Besucher mollig warm und ihre Füße waren trocken. Einige der anderen Touristen hatten kurze Hosen und T-Shirts und als Fußbekleidung Flipflops. Die klapperten mittlerweile hörbar mit den Zähnen. Der „Ostfriesenpelz“, eine gummibeschichtete Leinenjacke, schützte zwar vor Nässe - in vielen Abschnitten der Strecke tropfte es von der Decke - aber nicht vor der Kälte. Und die offenen Schlapfen boten weder Schutz vor Nässe und Kälte, noch waren sie überhaupt das geeignete Schuhwerk für die mit Felsbrocken übersäten, schlüpfrigen Stollenwege.

Als der Führer ein wenig über die eigene Sprache der Bergleute schwadronierte und dabei ein ‚Arschleder’ erwähnte, was einen allgemeinen Heiterkeitsausbruch nach sich zog, fiel Regine ein Mann auf, der unter Tag eine Sonnenbrille trug. Und er machte nicht den Eindruck, blind zu sein. Sie sah Maria an und beide prusteten los.

„Sag Maria, kannst du dich noch an unseren gemeinsamen Freund Koksi erinnern?“

„Wie kommst du denn jetzt auf den, Regine?“

„Der Komiker mit der Sonnebrille – er erinnert mich ein wenig an ihn. Wenn ich manchmal an unsere Jugendsünden zurückdenke, fällt mir der Koksi immer als erster ein. Wir haben den armen Kerl damals ganz schön fertig gemacht.“

„Ja, das war echt krass, als wir ihm beide gestanden haben, wie sehr wir ihn lieben, so dass er voller Angst sein Heil in der Flucht suchte. Dabei war er richtig herzig.“ Maxi kicherte bei der Erinnerung gar nicht damenhaft.

„Ich hab ihn neulich mit seiner Frau und der Kinderschar gesehen. Sie haben fünf in allen Größen, wie die Orgelpfeifen, und die Michi hat schon wieder ein ordentliches Bäuchlein.“

„Dann sollten wir froh sein, dass wir ihn beizeiten in die Flucht geschlagen haben. Oder wolltest du eine eigene Fußballmannschaft aufziehen?“

„Nicht unbedingt. Aber ein, zwei Kinder hätte ich auch gern. Wenn geht, mit dazupassendem Mann.“

„Wenn du das möchtest, liebe Regs, dann solltest du gelegentlich etwas anderes tun als arbeiten. Wie willst du denn sonst einen potentiellen Kindeserzeuger kennen lernen? Oder glaubst du, du kannst einen aus dem Katalog bestellen? Das können nur Männer, die sich ihre Philippina frei Haus liefern lassen.“

„Du weißt doch wie Beziehungen bei mir enden. Denk doch nur an Richard. Ich zieh scheinbar die Spinner an. Da bleib ich lieber allein.“

Regine zog Maria aus dem Weg, sonst hätte sie der Sonnenbrillenträger umgerannt. „Na der hat’s aber eilig. Glaubt er, er kommt zu spät nach oben?“

„Vielleicht hat er einen Tiefenkoller!“ Maria trat noch einen Schritt zur Seite, damit sie der Mann, der eine seltsam unangenehme Aura ausstrahlte, nicht berührte. „Dein Richard war wirklich eine Nummer. Hast du noch einmal etwas von ihm gehört?“

„Nein, seit ich voriges Jahr den Anrufbeantworter gekauft habe, hat der Telefonterror aufgehört. Macht wohl keinen Spaß auf ein Tonband zu schweigen, das sich nach zehn Sekunden abschaltet!“

Den Abschluss der Führung bildete das Erscheinen eines Wassermannes, der den Knappen folgendes Angebot unterbreitete: Gold für 10 Jahr, Silber für 100 Jahr oder Eisen für immerdar!

„Bei den heutigen Eisenpreisen fiele mir die Wahl nicht schwer!“, entschied Regine.

„Ich bin mehr für’s schnelle Geld. Ich will das Gold!“ Typisch Maria.

 

Es ging zurück in Sonne und Wärme. Einige der Teilzeitknappen sahen aus, als wären sie eben der Tiefkühltruhe entstiegen. Sie würden sich wahrscheinlich in ein paar Tagen mit einem kapitalen Schnupfen herumärgern. Maxi und Regine waren guter Dinge und spazierten ins Restaurant, um sich vor der Fahrt mit dem Hauly die Bäuche voll zu schlagen.

Der Hauly war ein riesiges Ungetüm, ungefähr zwei Autobusse hoch und breit, dessen Räder angsteinflößend unhandlich aussahen. Selbst unter Zuhilfenahme aller technischer Möglichkeiten, musste eine Reifenpanne der reine Horror sein. Man bestieg das Ungetüm über eine lange Leiter und saß in luftiger Höhe. Die 860 PS starken Giganten brachten die neugierigen Ausflügler zu ihren aktiven Kollegen. Sie durchquerten eine wilde Kraterlandschaft und erlebt die riesigen Schwerlaster und imposanten Radlader bei ihrer Arbeit, der Gewinnung von 20.000 Tonnen Erz und Gestein pro Tag. Maxi und Regine waren richtig beeindruckt.

Das Wetter präsentierte sich nach wie vor strahlend und so beschlossen sie, sich zum Ausklang des Tages noch ein Plätzchen an einem Teich zu suchen. Aber erst wollten sie unter den ausgestellten Bildern nach ihren suchen. Bald hatten sie die Abzüge ihrer Gruppe entdeckt und auch Maxis Foto gefunden, aber von Regine war keines dabei.

„Wahrscheinlich ist dem Fotografen wegen meiner Schönheit die Kamera aus der Hand gefallen! Ich wollt’s eh nicht kaufen.“

„Aber ich habe gesehen, wie dich der Knipsheini fotografiert hat. Da muss es ein Bild geben!“ Maxi gab nicht so schnell auf.

Sie sahen noch einmal alle Bilder durch. Mit dem selben Ergebnis wie zuvor.

„Maxi, trag es mit Fassung. Es wird kein Erpresserfoto geben!“.

Regine lachte über den Eifer ihrer Freundin.

„Spaßverderber! Ich wollte es anonym an deine vornehmen Kumpel vom Bürgerforum schicken!“ Regine zeigte ihrer Freundin den Stinkefinger.

„Darf ich dich darauf hinweisen, Regs, dass dies eine ganz und gar nicht damenhafte Geste ist. Dein Akademikerclub wird das nicht gerne sehen …“

„Maxi, du bist äußerlich ein nettes Mädchen, aber innerlich eine miese Ratte!“

Lachend schlenderten die beiden Mädchen zu Maxis Auto.

 

Regine und Maria verabredeten, auch den Sonntag gemeinsam zu verbringen. Sie holten auf dem Weg zu Marias Wohnung Sissy beim Ex ab. Am Morgen würden sie alle gemeinsam zu Regine ins Haus fahren.

Sissy schwärmte vom Wurstelprater und wo sie überall mit ihrem Papa hatte fahren dürfen.

„Ich habe Langos gefuttert und ein Eis und Zuckerwatte und sogar Autodrom ist Papa mit mir gefahren!“

Sissy redete ohne Punkt und Komma.

„Weißt du, Regs, ich freu mich wirklich, dass sich mein Ex einmal einen ganzen Tag für seine Kleine freihalten konnte. Ich weiß, dass es für ihn schwer ist, weil die Verbrecher sich leider nicht an die Ladenschlusszeiten halten. Er hat mich zwar wahnsinnig gemacht. Trotzdem bewundere ich ihn für seine Ausdauer und Zielstrebigkeit, wenn es darum geht, zwielichtige Gestalten dingfest zu machen.“

„Kein Mensch hat nur negative Seiten. Ich hab dir eh nie geglaubt, dass er so ein unmöglicher Kerl ist. Sonst hättest du dich nicht in ihn verliebt. Und ihn schon gar nicht geheiratet.“

„Ach Regs. Aber leben hab ich mit ihm, oder besser gesagt mit seiner dauernden Abwesenheit, auch nicht können. Und selbst wenn er einmal körperlich anwesend war, war er mit seinen Gedanken ganz wo anders. Aber Sissy ist unsere Tochter und ich möchte, dass sie mit beiden Elternteilen aufwächst, so gut es bei getrennt lebenden Eltern eben geht.“

„Du machst das ganz super, Maria. Ich glaube nicht, dass es viele geschiedene Paare gibt, die sich so gut über die gemeinsame Obsorge einigen konnten.“

 

Daheim musste Maria drei mal im Kreis fahren, bevor sie einen Parkplatz fand.

„So ein Schmarrn. Kein Parkplatz. Dabei ist jetzt Sommer! Im Winter wird das noch viel ärger. Da sind dann alle Schrebergartenbesitzer wieder in der Stadt.“

Dann begann der übliche Einparkmarathon. Sie verwechselte beim Retourfahren gern links und rechts und wenn sie falsch eingeschlagen hatte, begab sie sich in die Ausgangsposition zurück. Wieder falsch!

„He, Maxi, kurbel doch nicht so hektisch herum. Wann lernst du endlich einmal einparken?“

„Ich fürchte, nie. Willst du, Regine?“. Hoffnung klang aus ihrer Stimme.

„Na rutsch schon rüber.“

Regine parkte das Auto im ersten Versuch. Sie verstellte nicht einmal den Sitz, obwohl sich ihre Knie ins Lenkrad bohrten.

„Toll! Ich werde das nie können. Ich warte drauf, dass sie endlich das Auto erfinden, dass du neben der Parklücke abstellst und das von allein hineinflutscht!“

Sissys Redefluss erlahmte zusehends, und als sie ausstiegen merkten Regine, dass Sissy kurz vor dem Einschlafen war.

„Schnell noch Katzenwäsche und Zähneputzen und dann ab in die Heia“, kommandierte Maria.

Sissy nickte verträumt lächelnd. Keine Widerrede? Da war wohl wer wirklich müde!

 

 

3

Sophia klemmte sich hinters Steuer. Sie fuhr wie der Teufel. Trotzdem kamen sie zu spät.

Als das Polizeiauto mit rauchenden Pneus an der angegebenen Adresse hielt, hatte der Mann mit der Axt bereits ganze Arbeit geleistet. Ein Schwerverletzter mit einer klaffenden Wunde im Schädel, eine Frau mit einer tiefen Schnittwunde am Arm und ein zertrümmertes Gartenhaus bot sich ihren Blicken dar. Sophia funkte um Notarzt und Verstärkung, Felix rief den Zaungästen aus dem Nachbargarten zu: „Wohin ist er abgehauen?“

Sie wiesen in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

„Über den Zaun!“

„In den Nachbargarten!“

Der Zaun war nicht besonders hoch. Er sollte es schaffen. Der Nachbargarten lag still und friedlich in der Morgensonne vor ihm. Wo war der Kerl mit der Axt? Vermutlich weiter weg geflohen. Er kletterte über die nächste Hecke. Und da war er! Ein eher kleiner Mann, drahtig und grauhaarig, bedrohte eine junge Frau, die ihr kleines Mädchen mit ihrem Körper schützte.

„Waffe runter, Polizei“, rief Felix von weitem und zog seine Glock. Der Mann mit der Axt ließ von der Frau mit dem Kind ab und stellte sich Felix. Er ließ die Axt, die in Wirklichkeit ein Spaltkeil von imposanten Ausmaßen war, über seinem Kopf kreisen.

„Hören Sie, das hat doch keinen Sinn. Wollen Sie die Hacke werfen? Ein gezielter Schuss von mir und Sie können Ihre Hand nie wieder gebrauchen!“

Felix versuchte es mit vernünftigen Argumenten.

„Das ist jetzt auch schon egal“, schrie der Mann, drehte sich um und stob davon.

„Stehen bleiben, oder ich schieße“, rief Felix ihm hinterher und nahm die Verfolgung auf. Gleich danach stoppte der Mann, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Plötzlich war alles Leben aus ihm gewichen. Die Axthand sank herab. Als Felix näher kam, sah er, dass keine drei Meter vor dem Amokläufer Sophia mit gezückter Waffe stand. Sie hielt sie mit beiden Händen und zielte mitten auf den Brustkorb. Felix nahm ihm die Axt ab, legte dem Mann Handschellen an und gemeinsam schafften sie ihn über den nächsten

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Veronika A. Grager
Tag der Veröffentlichung: 12.06.2014
ISBN: 978-3-7368-1996-2

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